20. April 2024

Auch im Klimadiskurs gilt: Zuhören!

Der 23-jährige Student der Elektrowissenschaften am Imperial-College in London, Leon Wiederkehr, schaltet sich in den Klimadiskurs ein. Seine eigene Erfahrung reflektierend, kommt er zum Schluss: Zu viel Penetranz im Unterricht kann das Gegenteil von dem bewirken, was man erreichen will. Und da sind ja auch noch seine asiatischen Kommilitonen, die sich für den Klimawandel überhaupt nicht interessieren.

Leon Wiederkehr, Student am Imperial-College in London: Habe meine Meinung geändert.

Sehr geehrter Herr Bandelt, sehr geehrter Herr Geiger, sehr geehrter Herr Hänggi

Ich möchte mich Ihnen kurz vorstellen. Ich heisse Leon Wiederkehr, bin 23 Jahre alt, Sohn von Alain Pichard und studiere derzeit Elektroingenieur in London. Meine Schulen besuchte ich in Biel. In der 5. Klasse der Primarschule – es handelte sich um eine sogenannte Brennpunktschule – ging es um den Klimawandel. Unsere Lehrerin zeigte uns den Film «Eine unbequeme Wahrheit» von Al Gore. Ich verstand mit meinen 11 Jahren kaum etwas, und meine 15 anderen Mitschüler, die meisten von ihnen fremdsprachig, verstanden rein gar nichts.

Vergiftete Diskussion am Gymnasium

Im Gymnasium besuchte ich die PAM-Klasse (PAM= Physik und angewandte Mathematik). Es war eine reine Knabenklasse. Wieder einmal kam es zu einer Lerneinheit über den drohenden Klimawandel. Mein Geografielehrer erklärte unserer Klasse die drohende Klimakatastrophe in allen Einzelheiten. Ich hingegen fragte ihn, warum denn die Temperaturen in den letzten 15 Jahren nicht mehr gestiegen seien, und das obwohl der CO2-Austoss in diesem Zeitrahmen um 75% zugenommen habe. Er verneinte dies vehement, worauf ich ihm in der anschliessenden Lektion die NASA-Resultate als Beleg vorlegte. Mein Lehrer meinte: «Okay, vielleicht stagnieren sie ein bisschen».

Ich (und übrigens auch ein Teil meiner damaligen Klasse) machten uns einen Spass daraus, unserem beflissenen Lehrer immer wieder zu widersprechen, und ich selber wurde so mit der Zeit ein Klimaskeptiker, und das mit 15 Jahren. Ich vernetzte mich mit anderen Kritikern und bewegte mich von nun an in meiner eigenen Blase von Klimaskeptikern. Diskussionen mit Leuten, die anders dachten, wurden beidseits nie wissenschaftlich, dafür aber sehr emotional geführt, was mich wiederum nur in meinem eigenen Standpunkt bestärkte.

Erlebte meinen ersten Shitstorm schon mit 15 Jahren

Das Seeland Gymnasium in Biel: Ein Ort des kritischen Denkens?

Zu dieser Zeit  war ich allerdings bereits in der Lage, anständige Texte zu schreiben. Deshalb beschloss ich, selbst Initiator einer Schülerzeitung, in die Fussstapfen meines Vaters zu treten, und verfasste meinen ersten Artikel für eine richtige Zeitung.

Unter anderem schrieb ich: „Ich merke, wie dieser indoktrinierende Ökounterricht oft ohne wissenschaftlichen Background immer mehr das Gegenteil dessen bewirkt, was er eigentlich will.»

So erntete ich mit meinen 15 Jahren den ersten Shitstorm – bzw. ich musste erkennen, dass das ehrwürdige Gymnasium es mit seinen Leitlinien nicht ganz so ernst meinte. Dort hiess es nämlich unter Kritikfähigkeit:

“Unsere Schule ist ein Ort kritischen Denkens

Die Schülerinnen und Schüler lernen, Argumente abzuwägen, unterschiedliche Positionen einzunehmen und Selbstverständliches zu hinterfragen.

Die Lehrenden sind Vorbilder in dieser Haltung.”

Es gab auch noch eine 2-stündige Lehrerkonferenz, der Direktor rief meinen Vater an und sprach von einem dümmlichen Artikel und dass es jetzt für seinen Sohn gefährlich werden könne. Meine Eltern wurden vor die Schulleitung zitiert. Der Hinweis auf die Leitideen nahm allerdings dem Zorn schnell den Wind aus den Segeln. Am Schluss hiess es nur noch, man solle das intern besprechen.

So also, dachte ich, sieht der freie Diskurs aus!

Auf dem Weg in mein Klassenzimmer sprach mich ein Lehrer an und flüsterte mir zu, dass er meinen Artikel als sehr gut und mutig empfand. Einige Minuten später kam er wieder zu mir und bat mich, sein Geständnis niemandem zu erzählen. So also, dachte ich, sieht der freie Diskurs aus!

United World College, Standort Freiburg: der Völkerverständigung verpflichtet.

Ich verliess die Schule und wechselte in das UWC in Freiburg (D) – das United World College – und machte dort die Internationale Matur. Das United World College ist ein englischsprachiges College, das der Völkerverständigung gewidmet ist. Palästinenser teilen das Zimmer mit Israelis, Pakistanis mit Indern. Das UWC ist keine Bezahlschule, die meisten Schülerinnen und Schüler (70%) erhalten Vollstipendien, die aus Spenden finanziert werden.

In dieser Schule herrschten der freie Geist und ein lebendiger Diskurs. Man konnte mit den Lehrkräften und den Mitschülern über alles reden und hatte es nicht nötig, mit Machosprüchen die anderen niederzumachen. Und es gab viel zu diskutieren. Beispielsweise gab es Studenten aus Kulturkreisen, welche die Homosexualität als schlimm empfanden und nichts mit Schwulen zu tun haben wollten. Es gelang mir nach unzähligen intensiven Diskussionen, bei einigen einen Meinungsumschwung zu

UWC – viele Studentinnen und Studenten aus anderen Kulturen

bewirken. Wie dies gelang? Es brauchte Zeit, ich interessierte mich für sie, wertete sie nicht ab und hörte vor allem auch zu. Hätte ich mich so verhalten, wie es einige in der derzeitigen Klimadiskussion tun, wären sie in ihrer Haltung nur bestärkt worden.

Sich für seine Mitstudenten interessieren, auch bei Meinungsverschiedenheiten

Ich will Homosexualität und den Klimawandel nicht gleichsetzen, es geht mehr um ein Prinzip. Wir müssen in der Lage sein, objektive Diskussionen zu führen und uns respektvoll mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.

Ich bin heute überzeugt, dass der Klimawandel eine Tatsache ist.

Ich schreibe dies, weil sich durch solche Diskussionen auch meine Haltung zum Klimawandel verändert hat. Ich sah mich nicht mehr genötigt, sie hochzuschaukeln, sondern konnte mich mit den Fakten auseinandersetzen. Ich bin heute überzeugt, dass der Klimawandel eine Tatsache ist und er auch eine existentielle Bedrohung für viele Menschen in verschiedenen Regionen der Welt bedeutet.

Zum Schulstreik keine abschliessende Meinung

Zum Schulstreik habe ich keine Meinung. Es mag sein, dass er zu einer Sensibilisierung beigetragen hat. Mit einem fortdauernden Schulstreik schaden sich die Schüler aber nur selber. Ich sage dies, weil ich hier am Imperial College, einer sogenannten Eliteuniversität, zusammen mit vielen Asiaten studiere, die sich in der Regel weder für den Klimawandel noch überhaupt für politische Zusammenhänge  interessieren. Sie wollen nur eines: lernen, etwas entwickeln und Karriere machen.

Mit apokalyptischen Horrorszenarien wird uns dies nicht gelingen. Eine CO2-Bepreisung ist aber durchaus ein Anreiz, auch in Indien oder China.

Und das tun sie auf einem Niveau, das sogar mich als sehr gutem Studenten in Erstaunen versetzt. Solche Menschen brauchen wir, um die technologischen Abwehrmassnahmen zu entwickeln, ohne die es nicht gehen wird. Die CO2-Emmissionen der EU und der USA sind in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis zum Weltmassstab massiv gesunken. Indien und China sind die neusten Player im CO2-Business. Und die besten Studentinnen und Studenten hier am Imperial-College kommen genau aus diesen Ländern. Junge Frauen und Männer, die nächtelang über Probleme grübeln und ohne Ende Mathematik und Physik büffeln. Hier in London, wie auch an der ETH, erhalten sie die Bildung und das intellektuelle Rüstzeug, was uns erlaubt, neue Antriebstechnologien, Bewässerungs- und Entsalzungsanlagen und umweltschonende Batterien zu entwickeln. Egal worauf wir im Alltag verzichten, genau das werden wir benötigen. Herr Geiger hat schon recht, wenn er schreibt, dass es einen starken Staat braucht, der zum Beispiel den Katalysator verordnet. Aber ein solcher Katalysator muss erst einmal erfunden werden, ebenso wie umweltschonende Elektro-Speicheranlagen.

Meine chinesischen und indischen Kommilitonen interessieren sich kaum für den Klimawandel.

Dazu brauchen wir Ingenieure und Wissenschaftler, die diese neuen Technologien entwickeln. Mit apokalyptischen Horrorszenarien wird uns dies nicht gelingen. Die haben meistens eine kurze Laufzeit bis zur nächsten Hype. Eine CO2-Bepreisung ist aber durchaus ein Anreiz, auch in Indien oder China.

Ich habe meinem Vater geholfen, die Condorcet-Webseite zu entwickeln. Mich hat überzeugt, dass hier linke, liberale und konservative Kräfte am Werk sind, die gemeinsam diesen Blog betreiben – für eine Bildung, die den Namen verdient. Das sollte uns auch im Klimadiskurs gelingen.

Leon Wiederkehr

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3 Kommentare

  1. Das sind sehr angenehme Worte eines jungen Menschen, der vom Klimawandel überzeugt ist. Die führende Sprecherin der Schweizer Klimastreikbewegung Marie-Claire Graf (23), Studentin der Politikwissenschaften und „UN Climate Champion“ (!) schlägt da allerdings in einem NZZ-Video schärfere Töne an und meint, der Zug sei definitiv abgefahren. Dann folgte ein Bild von einer Jugenddemo in Liestal mit dem Poster: „S’Problem isch s’System“. Passend dazu Graf als Demorednerin: „Wir müssen die strukturelle Ungleichheit in unserer Gesellschaft abbauen…“ und weiter: „Es braucht jetzt grosse Veränderungen, auch Verbote und schmerzhafte Eingriffe“. Dann werden „Klimalügner“ mit Anhängern der Wiedereinführung von Hexenverbrennungen und Kinderarbeit assoziiert. Und schliesslich meinte Graf, die Klimakrise sei existenziell für uns, aber auch für die Menschen im globalen Süden „und darum dürfen Klimalügner gar keine Plattform mehr erhalten.“

    Kommentar eigentlich überflüssig, aber trotzdem: Graf will Redeverbote, natürlich auch an Bildungsinstitutionen. Wohin Gesinnungsdiktate, Redeverbote und Ausgrenzungen führen können, lässt sich an grotesken Vorgängen an nordamerikanischen Hochschulen beobachten. Dagegen wendet sich eine Free Speech-Bewegung von betroffenen, ausgegrenzten oder gemobbten meist linksliberalen Intellektuellen und Professoren (z.B. Jonathan Haidt, Brett und Eric Weinstein etc.), die man unter dem verschwörerisch klingenden Namen “Intellectual Dark Web” im Internet findet.

  2. Sehr geehrter Herr Wiederkehr
    Da Sie mich direkt ansprechen, antworte ich gern. Da hat Ihr Geografielehrer – und die Schulleitung – zweifellos sehr schlecht reagiert, und dass ein solcher Unterricht kontraproduktiv ist, versteht sich von selbst. Ich will hoffen, dass Ihr Erlebnis nicht repräsentativ sei!
    Wenn ich meinen Schüler*innen zeige, wie (beispielsweise) die «Weltwoche» lügt, stelle ich selbstverständlich wissenschaftliche Daten zur Verfügung. Beispielsweise die von Ihnen erwähnten Nasa-Daten. Und gerade an diesen Nasa-Daten hätte Ihr Lehrer Ihre Frage ja sehr gut antworten können; der Trend ist sehr eindeutig (für alle Leser*innen: https://data.giss.nasa.gov/gistemp/graphs/). Man hätte daraus gerade eine Lektion im Interpretieren statistischer Daten machen können.
    Erlauben Sie mir noch drei kleine Einsprüche:
    – Sie schreiben, dass «die CO2-Emissionen der EU und der USA sind in den letzten Jahrzehnten im Verhältnis zum Weltmassstab massiv gesunken» seien. Das ist nun halt wieder ein schönes Beispiel für eine irreführende Aussage – denn gesunken ist da gar nichts, außer dem *relativen* Anteil der *inländischen* EU-/USA-Emissionen, was u.a. damit zu tun hat, dass die Produktion dieser Staaten in so genannte Schwellenländer ausgelagert wurde. Die Emissionen, die der Konsum der EU- und US-Einwohner*innen verursachen, sind stets gestiegen. Und darauf kommt es ja an.
    – Sie schreiben, zu den Fridays for Future hätten Sie «keine Meinung», schreiben dann aber «Mit einem fortdauernden Schulstreik schaden sich die Schüler aber nur selber.» Da kann ich Ihnen nun nicht folgen. Inwiefern ist das «keine Meinung»?
    – Sie schreiben, wir bräuchten «Ingenieure und Wissenschaftler, die diese neuen Technologien entwickeln». Es geht aber nicht darum, neue Techniken zu entwickeln, sondern eine alte – die Energiegewinnung durch Verbrennen fossilen Kohlenstoffs – loszuwerden. Ersatztechniken sind längst vorhanden. Wenn ich hier einen Professor Ihrer Schule, des Imperial College, zitieren darf (nämlich David Edgerton, aus seinem Buch «The Shock of the Old»): «Calling for innovation is, paradoxically, a common way of avoiding change when change is not wanted. The argument that future science and technology will deal with global warming is an instance. (…) Technology has not generally been a revolutionary force; it has been responsible for keeping things the same as much as changing them.»
    Mit freundlichen Grüßen

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