13. Dezember 2025

Politische Bildung: Sich um die Welt als Ganzes Sorgen machen

Soll ein Fach “Politische Bildung” eingeführt werden, wie die Historikerin Béatrice Ziegler fordert? Condorcet-Autor Georg Geiger ist skeptisch.

Béatrice Ziegler, Historikerin: Es braucht ein neues Schulfach.

Die Historikerin Béatrice Ziegler, die bis 2016 das Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der Pädagogischen Hochschule der FHNW in Aarau leitete, stellt in einem zweiseitigen Artikel der VPOD-Zeitschrift «bildungspolitik» vom Oktober 2019 fest, dass politische Bildung im gymnasialen Schulunterricht nur marginal vertreten sei, und sie plädiert dafür, die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Perspektiven stärker zu berücksichtigen.

Der Beutelsbacher Konsens

Aspekte politischer Bildung seien in den Kantonen teilweise fachlich verankert, teilweise würden sie als «Element der ‹Schulkultur› oder im überfachlichen Bereich Berücksichtigung finden.» Frau Ziegler hat nichts gegen partizipative Elemente der Schulgestaltung, doch die dabei geförderten Kompetenzen seien kaum solche der politischen Bildung, sondern mehr überfachlicher Natur. Politische Bildung als Schulfach aber ermögliche den Aufbau politischer Kompetenz bei Individuen. Sie solle sich nicht an der Werteerziehung, «sondern an der Wertereflexion orientieren.» So, wie es auch der 1976 in Deutschland vereinbarte Beutelsbacher Konsens meint, der sich auf folgende Prinzipien für das Fach «Politische Bildung» geeinigt hat: Indoktrinationsverbot, Kontroversität und Schülerorientierung.

Für die Autorin ist die Sache klar: Politische Kompetenz werde nur wenig aufgebaut, «wenn die Lehrpersonen nicht selbst in der Didaktik der Politischen Bildung ausgebildet werden. Es lässt sich sogar zuspitzen: Egal, welche Lehrpersonen Politische Bildung unterrichten: Sie müssen dafür ausgebildet werden. Diese Ausbildung muss fachlich und insbesondere fachdidaktisch sein.» Das klingt alles sehr plausibel. Doch es ginge auch anders.

Die Schule zur Polis machen

Halten wir fest: Während gesamtgesellschaftlich Nationalismus, Populismus und Rassismus weltweit grassieren und die hereinbrechende Klimakatastrophe demokratiepolitisch eine enorme Herausforderung darstellt, werden die beiden Schulfächer Geschichte und Geographie, die sich mit eben diesen Themen beschäftigen, in der Volksschule stundenmässig reduziert und in einem neuen Sammelfach zusammengelegt, was zur Folge hat, dass eines der beiden Teilfächer oft fachfremd unterrichtet wird. Gleichzeitig taucht auf der Sek-II-Stufe ein neues Fach namens «Politische Bildung» auf, das aber angesichts der Informatikoffensive an den Gymnasien einen schweren Stand haben wird. In der Logik der Argumentation von Frau Ziegler ist auch absehbar, dass man für die Unterrichtsberechtigung in diesem neuen Fach zwingend ein entsprechendes Zertifikat an einer Pädagogischen Hochschule wird erwerben müssen.

Ich plädiere dafür, dass an der Volksschule Geschichte und Geographie wieder zwei vollwertige Einzelfächer werden und dass an den Gymnasien alle interessierten FachlehrerInnen Politische Bildung unterrichten dürfen, egal, ob sie Französisch, Geschichte oder Informatik studiert haben.

Ich plädiere dafür, dass an der Volksschule Geschichte und Geographie wieder zwei vollwertige Einzelfächer werden und dass an den Gymnasien alle interessierten FachlehrerInnen Politische Bildung unterrichten dürfen, egal, ob sie Französisch, Geschichte oder Informatik studiert haben. Denn alle bringen ja eine didaktische Grundausbildung mit, alle sind es sich gewohnt, variantenreich Fachwissen altersgerecht herunterzubrechen. Das Fachwissen bringen sie in ihrem Selbstverständnis als Citoyen und Citoyenne mit, als StaatsbürgerInnen, die sich für das aktuelle politische Geschehen interessieren. Und es werden sich dabei wohl nur diejenigen KollegInnen an dieses Fach heranwagen, die eh schon eine Affinität zur Politik haben.

Es ist wohl kein Zufall, dass dieses neue Fach weder «Staatsbürgerkunde» noch «Politikwissenschaft» genannt wird. Der Begriff «Politische Bildung» zielt darauf ab, Motivierungshilfe zu einem Engagement in unserer Gesellschaft zu leisten. Wenn wir uns heute um die Welt als Ganzes sorgen müssen, dann sollen auch alle Lehrkräfte, die sich von dieser Besorgnis angesprochen fühlen, mit dazu beitragen, diesen Blick aufs Ganze und aufs beispielhaft Einzelne zu schärfen. Je interdisziplinärer und von der politischen Gesinnung her bunter der Haufen der Engagierten ist, umso besser! Dabei sollte aber möglichst vermieden werden, allzu moralisch belehrend daherzukommen und die Stossrichtung eines möglichen Engagements normativ vorzutragen.

Der Gefahr der Demoralisierung durch die Riesenhaftigkeit der aktuellen Herausforderungen sind sowohl die SchülerInnen wie die Lehrkräfte ausgeliefert. Heute sollen sich die Leute auf der Strasse und die Kinder in der Schule Sorgen machen, die früher einem Aussenminister angestanden hätten, wie es der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk einmal flapsig formuliert hat. Das neue Fach soll probieren, mit kritischer Reflexion eine Richtschnur des Handelns zu formulieren, die aller Konfusionen zum Trotz eine hinreichend starke Orientierung bietet. Dabei ist es nötig und hilfreich, die Jugendlichen, wenn immer möglich, als gleichberechtigte PartnerInnen mit ins Boot zu holen und den Kurs als Team zu gestalten.

In diesem Fach sollten wir mit den Jugendlichen zusammen erlernen, was es heisst, sich in der Gemeinschaft der Schule, des Staates und des Global Village zu engagieren. Wir müssen die Schule zur Polis machen.

Wenn das Fach «Politische Bildung» mehr sein soll als eine Wiederholung der Dringlichkeiten, wie sie etwa in Geographie, Biologie, Geschichte, Wirtschaft und Recht oder Philosophie vermittelt werden, dann geht es vor allem um die Ausgestaltung eines neuen Begriffes von konkreter Solidarität mit universalen Implikationen. In diesem Fach sollten wir mit den Jugendlichen zusammen erlernen, was es heisst, sich in der Gemeinschaft der Schule, des Staates und des Global Village zu engagieren.

Dabei soll es nicht nur um die globalen Herausforderungen gehen, sondern auch um die verhandelbare Ausgestaltung der eigenen Schule und um das Zusammenleben in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Der Schaffung von demokratischer Öffentlichkeit kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Aus der Schule eine Polis machen

Wir müssen die Schule zur Polis machen, in der man, wie es der Pädagoge Hartmut von Hentig formulierte, «im Kleinen die Versprechungen und Schwierigkeiten der grossen res publica erfährt, sich und seine Ideen erprobt und die wichtigsten Tätigkeiten übt: ein Problem oder Interesse definieren und es öffentlich verhandeln, andere Menschen überzeugen und sich von ihnen überzeugen lassen, Entscheidungen treffen, Zuständigkeiten bestimmen und dergleichen mehr.» Dabei soll es nicht nur um die globalen Herausforderungen gehen, sondern auch um die verhandelbare Ausgestaltung der eigenen Schule und um das Zusammenleben in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Der Schaffung von demokratischer Öffentlichkeit kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Die Geschichte eines Sprechverbots: An der Uni wird wieder der bestraft, der anders denkt

Der Condorcet-Blog wurde seinerzeit gegründet, weil seine Initiatoren der Meinung waren, es werden in den Medien, in den PH’s, in der Verwaltung und in den Parteien nicht mehr alle Meinungen abgebildet oder zugelassen. Ausserdem würde sehr oft versucht, umstrittene Personen mit „Kontaktschuld“ und Etikettierung aus dem Diskurs fernzuhalten. Vier Jahre nach der Gründung unseres Bildungsblogs müssen wir feststellen, dass die Problematik der „Cancel culture“ um sich greift. Wenn verlangt wird, dass Professorinnen, die sogenannt missliebige Studien veröffentlichen, von ihrer Fakultät entlassen oder namhafte Wissenschaftler mit unpopulären Meinungen am Auftreten gehindert werden, müssen wir das klar benennen und uns dagegen wehren. Es widerspricht unseren Prinzipien einer offenen und freien Debatte. Von Anfang an suchten wir immer den Dialog mit Persönlichkeiten, die auch andere Überzeugungen haben und bemühten uns um das Prinzip „Rede und Gegenrede“. In keinem Milieu gedeiht die Einengung des Diskurses so prächtig wie an den Universitäten. Das Verrückte dabei ist: Niemand ist in Deutschland und in der Schweiz so abgesichert wie ein auf Lebenszeit berufener Hochschullehrer. Es kann ihm nichts passieren, wenn er sich querlegt oder einfach nur das macht, was er für richtig hält. Und dennoch ziehen alle sofort den Kopf ein, wenn Ärger droht. Jan Fleischhauer berichtet im Fokus von einem Fall an der Uni Erlangen.

Kritiker bringen unbequeme Wahrheiten zur Sprache

Im NZZ-Interview von Sebastian Briellmann mit dem Jugendpsychologen Allan Guggenbühl müssen die Pädagogischen Hochschulen einiges an Kritik einstecken. Fehlender Bezug zur Schulpraxis, ideologische Nähe zu weltverbessernden Theorien und einseitige didaktische Konzepte werden ihnen vorgeworfen. Ganz schlecht weg kommt bei Guggenbühl dabei die pädagogische Idee des “Beziehungs-Talks”, welche heute an manchen Schulen als wegweisend in der Erziehung gilt. Vor allem Buben schätzten es wenig, wenn sie dauernd über ihren Gemütszustand befragt würden. Dies und mehr im Überblick zum aktuellen Newsletter der Starken Volksschule Zürich von Condorcet-Autor Hans Peter Amstutz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert