Appenzell – Basel 3:0

Condorcet-Autor Roland Stark in Höchstform. In seiner neuesten BAZ-Kolumne vergleicht er die schulischen Leistungen der Stadt Basel mit denjenigen der Appenzell-Innerrhodener. Nach der gestrigen Fussballpleite des FCB gegen Linz eine weitere Schmach für den Stadt-Kanton. Allerdings mit weit gravierenderen Konsequenzen.

Die Ergebnisse der ersten schweizerischen Erhebung von Grundkompetenzen in der Volksschule, mit Verzögerung von der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) publiziert, haben die Öffentlichkeit erstaunt und aufgeschreckt. Nun können wir uns ein Bild machen, wie gut die Sechstklässer ihre Schulsprache beherrschen, wie weit sie im Lernen der ersten Fremdsprache sind und wie viel an Mathematik bei Sekundarschülern am Ende der Schulzeit hängen geblieben ist.

Grosse kantonale Differenzen

Die Untersuchung offenbart grosse kantonale Differenzen. Die NZZ wählt einen drastischen Titel: „Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen“. Und fasst dann zusammen: Die Schüler aus Freiburg, Wallis und Appenzell Innerrhoden beweisen sowohl bei Mathematik wie bei den Sprachen überdurchschnittliche Kompetenzen.

Basel-Stadt am unteren Ende

Am unteren Ende der Skala finden sich beide Basel und Solothurn. Besonders augenfällig ist das schlechte Abschneiden der Schüler aus Basel-Stadt, wo in Mathematik nicht einmal die Hälfte der Schüler genügt, wo aber auch bezüglich der Sprachkompetenzen weniger erreicht wurde als in fast allen anderen Kantonen.

Die Ausrede des Basler Erziehungsdirektors überzeugt nicht

Als Ausrede tischt Erziehungsdirektor Conradin Cramer (LDP) gebetsmühlenhaft die schwierige Zusammensetzung der städtischen Schülerschaft auf. Die EDK allerdings lässt diese Erklärung nicht gelten: „Die Analysen zeigen“, hält sie fest, „dass die unterschiedlichen Anteile nicht oder nur zu einem äusserst geringen Teil auf die Schülerzusammensetzungen zurückgeführt werden können.“ Weder die soziale Herkunft, noch die zuhause gesprochene Sprache noch der Migrationsstatus sind demnach entscheidend für das Erreichen der Kompetenzen. Defekt ist das System.

Frühfranzösisch war ein (teurer) Blödsinn

Gegen den ausdrücklichen Rat zahlreicher Fachleute wurde zuerst der Französisch- dann auch noch der Englischunterricht in die Primarschule verlegt. Nun zeigt sich, wenig überraschend: Viele Primarschülerinnen und Primarschüler sind mit zwei Fremdsprachen heillos überfordert. Dabei wird erst noch übersehen, dass für einen erheblichen Teil der Schülerschaft die Standardsprache Deutsch ebenfalls eine Art Fremdsprache ist.

Besser zuerst scharfzüngig Deutsch als vielzüngig, aber ungenau! Viele erfahrene Lehrpersonen wissen das.

Der Erziehungswissenschaftler Carl Bossard lobt die Appenzeller: „Sie verlegten den Französischunterricht von der Primar- in die Sekundarstufe und unterrichten hier mit hoher Kadenz. Sie befreiten die Primarschule von Französisch und gewannen Zeit fürs Kernfach Deutsch. […] Anders gesagt. Besser zuerst scharfzüngig Deutsch als vielzüngig, aber ungenau! Viele erfahrene Lehrpersonen wissen das. Doch die Bildungspolitik hört nicht auf sie.“ (NZZ am Sonntag, 22.6.2019)

Oder mit den Worten von Marcel Proust: „Die Wirklichkeit dringt nicht in die Welt des Glaubens.“

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Was für ein ungeschminkter und ehrlicher Kommentar eines Stadtbaslers! Die Überprüfung der Grundkompetenzen hat genau das zutage gefördert, was erfahrene Lehrpersonen überhaupt nicht überraschte: Die meister Kinder sind mit zwei frühen Fremdsprachen überfordert und das hektische Durchnehmen des überladenen Matheprogramms geht klar auf Kosten der Schwächeren.
    Schadenfreude über die besonders reformeifrigen und grandios gescheiterten Stadtbasler wäre aber fehl am Platz. Vielmehr gilt es, das Fehlkonzept des hektischen Nebeneinanders samt den überzogenen Erwartungen generell zu korrigieren. Nur wenn der Erhebungstest zu einer Kursänderung bei den Zielsetzungen führt, kann weiterer schwerer Schaden abgewendet werden.

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