Konfliktfähigkeit zählt zu den Schlüsselkompetenzen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Verbindung zwischen Beziehungs-/Bindungsstärke und Konfliktfähigkeit ist bekannt. Letztere ist die Folge der ersteren und erstrebenswert. Durch Kontakthäufigkeit kann sie erreicht werden.
Überall, wo Menschen mit Menschen in Kontakt treten, entsteht ein unsichtbares Band, das die Kommunikation[1] und den Austausch unter ihnen ermöglicht. Dabei spielen zahlreiche Einflussfaktoren eine Rolle. Jedoch erst die Häufigkeit der Begegnungen führt zu einer tragbaren Beziehung, sei es im Geschäftlichen wie im Privaten.
Niklaus Gerber, war bis zu seiner Pensionierung im August 2021 Abteilungsleiter und Mitglied der gibb-Schulleitung und hat sich mit NORDWÄRTS – Kompass für kompetente Führung selbständig gemacht. www.nord-waerts.com
Im Arbeitsleben habe ich grundsätzlich keine Wahl, mit wem ich zusammenarbeiten muss und in eine Beziehung gelange. Die Menschen und die organisatorischen Teams sind meist vorhanden oder vorgegeben. Als Individuum und als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter muss ich mich in diesen Gemeinschaften zurechtfinden.
Den Freundeskreis hingegen kann ich selbst bestimmen. Ich wähle idealerweise diejenigen Menschen aus, die mir guttun und mir auf gleicher Augenhöhe begegnen. Verändert sich dieses Wohlgefühl zum Negativen, steht es mir frei, den Kontakt und die Beziehung zu beenden.
Fallsituation 1: Leitungsgremium einer Schule
Das oberste Gremium ist stets unter Beobachtung. Ihre Vorbildrolle zeigt sich insbesondere auch im Umgang mit anspruchsvollen Themen und Konflikten. Von ihnen als Führungspersonen wird erwartet, dass sie gut miteinander funktionieren, sich gegenseitig stützen, als Team auftreten und zum Wohl der Institution agieren.
Beschreibung. – An einer grossen Bildungsinstitution treffen sich die Führungspersonen einmal pro Monat im Umfang eines Halbtages zur Schulleitungskonferenz. Die Sitzung ist gut organisiert und folgt einer Traktandenliste. Nach dem Meeting erfolgt die höfliche Verabschiedung. Das monatliche Zusammentreffen ist freundlich, jedoch wenig freundschaftlich. Die merkliche Distanz zwischen den Leitungspersonen führt zunehmend zu einer Unzufriedenheit und ruft nach einer neuen Lösung.
Veränderung. – Das Führungsgremium beschliesst eine Musterbrechung. Man entscheidet sich für wöchentliche Vormittags-Konferenzen mit kürzerer Dauer. Die erste Viertelstunde dient dem so genannten Bilateralen. Im Anschluss an das Meeting folgt ein gemeinsames Mittagessen. Vor 14.00 Uhr werden grundsätzlich keine Verpflichtungen abgemacht.
Am Mittagslunch wird ausschliesslich über Privates gesprochen. Hierin liegt das grosse Potenzial, den Menschen hinter der Funktionsträgerin oder dem Funktionsträger besser kennenzulernen. Die zwischenmenschliche Nähe führt zu einer besseren und nahezu freundschaftlichen Zusammenarbeit.
Wirkung. – Das Ergebnis der Veränderung zeigt sich wie folgt:
Die Kontakthäufigkeit des Schulleitungsgremiums wird vervierfacht. Die Beziehungs- und Bindungskraft unter den Mitgliedern nimmt zu. Mit Konflikten wird verständnisvoller umgegangen als vorher.
Das Bilaterale dient dazu, kleinere Anliegen zwischen den Führungspersonen rasch und unkompliziert auszutauschen.
Am Mittagslunch wird ausschliesslich über Privates gesprochen. Hierin liegt das grosse Potenzial, den Menschen hinter der Funktionsträgerin oder dem Funktionsträger besser kennenzulernen. Die zwischenmenschliche Nähe führt zu einer besseren und nahezu freundschaftlichen Zusammenarbeit.
Fallsituation 2: Teamleitungen in Schulen
Teams gelten als die wichtigsten Arbeitszellen in einer Organisation. Sie existieren in unterschiedlichen Formen. Als fixe Einheiten resp. Teil der Aufbauorganisation oder als ad-hoc Gruppierungen (Projektteams, Arbeitsgruppen, Themenkreise etc.). Studien belegen, dass häufigere Begegnungen zwischen den Team-mitgliedern zu qualitativ wirkungsvolleren Ergebnissen führen.
Beschreibung. – Die Leitungspersonen der verschiedenen Berufsgruppen treffen sich gemäss Schulordnung einmal pro Semester zu einem vierstündigen Meeting. Auf den Sitzungszeitpunkt hin werden Themen vorbereitet, die besprochen werden. Da es sich um Pflichtanlässe handelt, gleicht die Stimmung jeweils eher einem unmotivierten Dienst-nach-Vorschrift-Anlass und löst zunehmend Unbehagen aus. Dem Wunsch nach einer wirkungsvolleren und motivierenden Zusammenarbeit im Team wird nachgegangen.
Veränderung. – Einzelne Berufsgruppenleitungen machen den Vorschlag, das Semestermeeting in eine sinnvollere Richtung zu entwickeln: Jeden ungeraden Monat soll ein zweistündiges Themenmeeting und jeden geraden Monat ein einstündiges Teamtreffen ohne Traktanden stattfinden.
Wirkung. – Das Ergebnis der Veränderung zeigt sich wie folgt:
Die Kontakthäufigkeit der Berufsgruppen-Leitungspersonen wird vervielfacht. Statt einmal pro Semester treffen sich die Mitglieder monatlich resp. sechs Mal. Die häufigeren Begegnungen führen zu einer guten Stimmung an den Themenmeetings und zu qualitativ besseren Ergebnissen.
Das am Spätnachmittag stattfindende Teamtreffen im Umfang einer Stunde ist inhalts-offen. Themen, die jemanden aktuell betreffen, werden eingebracht und diskutiert. Im Anschluss des Treffens gehen die Mitglieder nach Bedarf zu einem Umtrunk.
Die Kontakthäufigkeit führt zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens. Die Leitungspersonen der Berufsgruppe verschmelzen zu einem echten Team, in dem auch anspruchsvolle Themen Platz haben.
Es reicht heute nicht mehr, das Kerngeschäft Unterricht sehr gut zu machen und einen fortschrittlichen pädagogischen Umgang mit den Lernenden zu pflegen.
Fallsituation 3: Lehrpersonen-Teams
Lehrpersonen sind das Fenster nach draussen. Damit wird verdeutlicht, dass der Ruf und das Image einer Berufsfachschule nicht unterschätzt werden dürfen. Es reicht heute nicht mehr, das Kerngeschäft Unterricht sehr gut zu machen und einen fortschrittlichen pädagogischen Umgang mit den Lernenden zu pflegen. Der Kontakt zu den Eltern[1], zu den Ausbildungsbetrieben und zu den Leitungspersonen der überbetrieblichen Kurse (üK) ist wichtig. Wenn der so genannte «Heisse Draht» zwischen diesen Verbundpartnern funktioniert, lassen sich Konflikte mit Lernenden eher vermeiden und insbesondere rascher lösen.
Beschreibung. – Innerhalb einer Fachgruppe, bestehend aus mehreren Lehrpersonen, verweigern sich einzelne Kollegen der Kontaktpflege nach aussen. Sie argumentieren, dass dies nicht zu ihrem Kernauftrag gehöre und von den Leitungspersonen der Schule wahrgenommen werden solle. Diese Haltung führt zu Spannungen und Konfliktsituationen. Die Fachgruppe beschliesst, das Thema proaktiv anzugehen und eine Lösung zu finden.
Veränderung. – Die Mehrheit der Fachgruppe vertritt die Meinung, dass die Kontaktpflege zum Berufsauftrag einer jeden Berufsschullehrperson gehöre. Dies entspricht auch der Erwartung der Schulleitung. Die Lehrpersonen beschliessen, innerhalb des ersten Monats nach Ausbildungsbeginn der Lernenden die Eltern und die Ausbildnerinnen und Ausbildner zu einem Orientierungsanlass einzuladen. Ziel ist es, Einblick in den berufsschulischen Untericht zu ermöglichen. Im Weiteren entscheiden sich Lehrpersonen, einmal pro Semester gemeinsam einen Ausbildungsbetrieb oder einen üK zu besuchen. Um dem Nachdruck zu verleihen, werden während der Schulferien (freiwillige) Betriebspraktika[2] absolviert.
Wirkung. – Das Ergebnis der Veränderung zeigt sich wie folgt:
Der Einblick in die berufschulische Ausbildung der Lernenen – es sind dies die Bereiche Berufskunde, Allgemeinbildung und Sport – wird allen interessierten und mitverantwortlichen Personen ermöglicht.
Im Sinne der Lernortkooperation verhalten sich die Berufsschullehrpersonen proaktiv und besuchen als Team die berufspraktischen Ausbildungsorte.
Das periodische Betriebspraktikum führt zu einer engen Beziehung zu den Ausbildungsverantwortlichen der jeweiligen Firma und den dort arbeitenden Lernenden.
Sie entstehen dann, wenn die zwischenmenschliche Chemie stimmt und sich auf einer verlässlichen Basis nachhaltiges Vertrauen entwickelt.Fallsituation 4: Freundschaften im Privaten
Freundschaften sind sozial tragfähige Gebilde. Sie entstehen dann, wenn die zwischenmenschliche Chemie stimmt und sich auf einer verlässlichen Basis nachhaltiges Vertrauen entwickelt. Echte Freundschaften gelten auch in Krisenzeiten als ein verbindliches Gut.
Beschreibung. – Eine Gruppe junger und bergbegeisterter Männer setzt sich das Ziel, gemeinsam einen anspruchsvollen Berggipfel im Rahmen einer mehrtägigen Expedition zu besteigen. Einzelne Teilnehmende kennen sich von früheren Erfolgen und Misserfolgen her. Letztere werden selbstkritisch reflektiert mit der Erkenntnis, dass sie sich zu wenig kannten und in heiklen Situationen das erforderliche Vertrauen fehlte. Diese Negativerfahrungen sollen sich nicht wiederholen.
Veränderung. – Da auch neue Teilnehmende zum Expeditions-Team dazustossen, entschliesst sich die Gruppe, eine intensive Vorbereitung auf verschiedenen Ebenen zu machen. Sie treffen sich dafür zu kurzen Meetings, um Aufgabenzuteilungen vorzunehmen und sich besser kennen zu lernen.
Wirkung. – Das Ergebnis der Veränderung zeigt sich wie folgt:
Die Beziehungen und Bindungen unter den Bergsteigern werden stärker. Für alle wird klar, dass für die Bewältigung eventuell auftretender Herausforderungen – seien es technische, meteorologische, körper-liche, psychische usw. – ein gegenseitiger Verlass da sein muss.
Im Wissen, dass bei Expeditionen zwischenmenschliche Situationen eine besondere Herausforderung darstellen, tauschen sich die Teilnehmenden im Sinne des Konfliktmanagements über mögliche Stresssituationen aus. Daraus werden Lösungsoptionen abgeleitet, zu denen sich alle bekennen.
Die Gruppe nützt die Vorbereitungszeit ebenso, auf ihre inneren Stimmen zu hören. Sie reden – mit Blick auf die Gesamtsicherheit und den Expeditionserfolg – offen über auftretende Gefühle gegenüber einzelnen Kollegen. Bei einer unzureichenden Beziehungs- und Bindungsstärke verabschieden sie sich von ihnen.
Fazit
Die Bedeutung der Kontakthäufigkeit mit ihrer Wirkung zu stärkeren Beziehungen und Bindungen unter Menschen – sei es im Beruflichen oder Privaten – wird oft unterschätzt. Meist steht das Argument, dass die Zeit für Begegnungen fehle, als Verhinderungsgrund im Wege. Der Zusammenhang – als ein Erfolgsrezept – wird nicht erkannt. Dabei müsste eine hohe Konfliktkompetenz ein Ziel für alle gelten, die in einer beruflichen oder privaten Beziehung zueinanderstehen.
Martin Buber[3] meinte hierzu: «Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.»[1] «Man kann nicht nicht kommunizieren.», Axiom von Paul Watzlawik. 1921-2007
[1] An einer Berufsfachschule ist der Kontakt zu den Erziehungsberechtigten bis zum 18. Lebensjahr der Lernenden (Mündigkeit) möglich.
[2] Gerber, N. 2024. Betriebspraktika für Lehrpersonen – oder: Mit einem Fuss in der Praxis: https://condorcet.ch/2024/12/betriebspraktika-fuer-lehrpersonen-oder-mit-einem-fuss-in-der-praxis/[3] Buber, M., jüdischer Philosoph, 1878-1965
Jg 1955, Biel, seit 42 Jahren Real- und Sekundarlehrer, vorwiegend an Brennpunktschulen in Biel, Mitinitatior des Memorandums «550gegen550», Mitherausgeber des «Einspruch», Gründer des «Lehrlings-und Migrantentheaters «TheaterzoneBiel», Gewerkschafter, Mitglied der GLP.
Geplant war eine Diskussion zur Integration von Radio DRS im Sendegefäss Forum. Die kontradiktorische Diskussion hätte zwischen unserem Condorcet-Autor Roland Stark, ehemaliger Kleinklassenlehrer in Basel und Mitinitiant der Initiative für die Einführung von Förderklassen, und Professor Andrea Lafranchi stattfinden sollen. Es kam nicht dazu.
Fast 10 Jahre nach der Vorstellung des Monstrums Lehrplan 21 entdeckt der fünffache Vater Markus Somm die absurden Kompetenzziele dieses bürokratischen Machwerks und schüttelt den Kopf ob so viel Heilslehre. In seinem Newsletter im Nebelspalter seziert der Herausgeber des Nebelspalter die absurden Zielformulierungen und weist darauf hin, dass dieses Machwerk nur schwach legitimiert gewesen sei. Verkauft habe man diesen Lehrplan als Harmonisierungsvorlage.