Simon Ohl ist wohl das, was man früher noch leicht hämisch einen Musterschüler oder Streber zu nennen wagte. Ecken und Kanten hat er jedenfalls ebenso wenig wie unkonventionelle Einfälle. Zumindest spürt man nichts davon, wenn man dem Interview zuhört, das er im Rahmen der Podcast-Reihe “BNE leben” der deutschen Unesco-Kommission gegeben hat. Geschliffen und artig antwortet er auf die braven Fragen der Interviewerin Lisa, die ihrerseits BNE studiert und der jeder journalistische Biss fremd ist. Es geht in dem Zwiegespräch einzig darum, sich gegenseitig zu bestätigen. Man könnte fast den Eindruck erhalten, schon eine einzige kritische Frage oder Antwort zu BNE wäre Blasphemie.
Zuhause in der Konformität
Und so antwortet Simon Ohl, als wäre er der Fleisch gewordene Max Mustermann einer nachhaltigen Postmoderne. Es gibt keine Kontroverse, kein Widerwort, keinen pubertären Trotz, kein kritisches Nachfragen. Hier suhlt man sich gemeinsam in den Konventionen der Nachhaltigkeitsdoktrin, wie sie im BNE-Unterricht vermittelt werden. Und man ist glücklich in der Umarmung dieser neuen Konformität; man fühlt sich in ihr geborgen wie in einem warmen Zuhause und ist überzeugt, Gutes zu tun und gut zu sein.
Von jugendlicher Rebellion ist nichts zu spüren, von einer kontradiktorischen Meinungsvielfalt auch nicht.
Und so berichtet Simon Ohl, der bald Abitur macht, voller Begeisterung von seinem nachhaltigen Leben in der Schule. Er ist Schüler*innensprecher und weiss ganz genau, was alles an seiner Schule so läuft. Virtuos meistert er die gendergerechte Sprache. Nur einmal passiert ihm ein Lapsus, als er dem sächlichen “Mitglied” ein ungrammatisches “Mitgliederin” beigesellt. Das ist schon manch einem vor ihm passiert, so dass dem Abiturienten der Fehler vermutlich gar nicht mehr auffällt.
Dieser politisch korrekte Übereifer lässt tief blicken; er spricht dafür, dass der Sprecher über die Sinnhaftigkeit sogenannt “gendersensibler Sprache” nicht selber nachgedacht, sondern sich einfach den Konventionen angepasst hat, ganz im Sinne des kompetenzorientierten Unterrichts. Meisterlich beherrscht er die Gender-Pause und er schafft es locker, in einem einzigen Satz drei, vier Mal “Schülerinnen und Schüler” und “Lehrerinnen und Lehrer” zu sagen. Soviel Zeit für Gerechtigkeit muss sein.
BNE heisst: Werte fest verankern
Simon Ohl ist stolz, an einer Unesco-Projektschule Abitur zu machen. Dort legt man besonderen Wert auf das ganze Spektrum von BNE. Explizit erwähnt er die Demokratieerziehung und Menschenrechtsbildung, die an seiner Schule Tradition ist. Eloquent erzählt er über die vielen Gremien, in denen sich die “Schüler und Schülerinnen” demokratisch einbringen können. Für eine Demokratie ist man sich bei den Beschlüssen allerdings erstaunlich einig, so scheint es zumindest, denn sie sind – soweit man das im Podcast mitbekommt – immer im Sinne der BNE. Von jugendlicher Rebellion ist nichts zu spüren, von einer kontradiktorischen Meinungsvielfalt auch nicht.
Ziel seiner Schule sei es, “gewisse Werte” fest zu verankern, sagt Ohl. In der Schule sei man sowieso auf Lernen getrimmt; da könne man leicht auch den BNE-Stoff noch vorsetzen. Und mehr noch, das durch BNE erworbene Wissen soll nicht Theorie bleiben, es soll das Handeln bestimmen. Und das passiert offenbar so raffiniert, dass viele Schüler gar nicht merken – oder eben nicht darüber nachdenken –, dass sie nachhaltig leben. Nachhaltigkeit sei an seiner Schule überall, sagt der Schülersprecher.
Recyclingpapier und Tischtennis
Und was bedeutet das alles nun konkret? Rettet das Leibniz-Gymnasium in St. Ingbert gerade die Welt? Nun, die Ergebnisse sind überschaubar: Für die Drucker der Schule werde nur Recyclingpapier verwendet und die Mensa sei auf Regionales und Bioprodukte spezialisiert, sagt Ohl. Das ist zwar alles gut und recht, aber keine Sensation. Auf diese Ideen sind schon andere vor 30 Jahren gekommen. Und auch beim Mensabeispiel zeigt sich, dass im Rahmen von BNE offenbar vor allem liebgewordene Klischees und vorgefertigte Meinungen verbreitet werden. Nicht immer sind nämlich regionale oder biologische Produkte nachhaltiger als “gewöhnliche”. Aber auch diese Erkenntnis würde eben kritisches Hinterfragen voraussetzen.
Die Möbel der Mensa sind, sagt Ohl, auch alle nachhaltig, was auch immer das bedeutet. Einen Mülldienst gebe es ebenso wie einen Energiedienst, der danach schaut, dass die Fenster nach dem Lüften wieder geschlossen werden. Erinnerungen an die eigene Schulzeit werden wach. Bei uns gab es sogar einen Pflanzen- und Aquariumsdienst während den Ferien, und damals dachte man noch nicht einmal im Traum an sowas wie Unesco-Schulen und BNE.
Wäre es nicht nachhaltig gewesen, auf diese Platte zu verzichten?
Dann: Plätzchen werden gebacken und Marmelade wird eingekocht. Laut Ohl sind das nachhaltige Handlungen. Und der bisherige Höhepunkt der demokratischen Mitbestimmung war offenbar die Beschaffung einer Tischtennisplatte. Da fragt sich der Naturfreund: Wäre es nicht nachhaltig gewesen, auf diese Platte zu verzichten? Wir erfahren es leider nicht, weil nicht danach gefragt wird.
Irgendwie passt die BNE-Begeisterung nicht schlecht zu einer Schule, die den Namen eines grossen, ja laut Schopenhauer “ruchlosen” Optimisten trägt. Es wäre den Schülerinnen und Schülern des Leibniz-Gymnasiums allerdings sehr zu wünschen, dass auch an dieser Schule ein alter Klassiker immer mal wieder gelesen und vor allem verstanden wird: Candide oder der Optimismus.
Zum Podcast “BNE leben”: https://www.unesco.de/bildung/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/podcast-reihe-bne-leben