Schule der Zukunft

Zwei sich diametral unterscheidende Positionen

Wie so oft in den vergangenen Jahren warteten die Ostschweizer Kinderärzte am 29. November wieder mit einer hochkarätigen Veranstaltung auf. Es ging um die substanzielle Frage: «Welche Schulen brauchen wir?» Die beiden profilierten Redner Horst Biedermann (Rektor PHSG) und Carl Bossard (Gründungsrektor PH Zug und Condorcet-Autor) versuchten die wichtigsten Kriterien dieser Schule zu skizzieren. Condorcet-Autor Urs Kalberer stellte für uns die Hauptaussagen der beiden Referenten zusammen. Der Anlass fand am 29. November statt. Der Artikel ist aber leider in den vielen Artikelzusendungen untergegangen, weshalb er erst jetzt erscheint. Dafür entschuldigen wir uns beim Autoren.

Horst Biedermann, Rektor der PH St. Gallen.

Zu Beginn skizziere ich die Kernpunkte der beiden Referenten.

Professor Dr. Horst Biedermann, Rektor der Universität St. Gallen, ging in seinem Referat auf folgende Fragen ein:

  • Bildungsauftrag gemäss Harmos.
  • Die Welt steht im Wandel.
  • Megatrends: Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI).
  • Veränderte Arbeitswelt mit weniger Routinearbeit.
  • Von VUCA (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) zu BANI (brittle, anxious, non-linear, incomprehensible): Diese Schlagworte aus der Management-Theorie beschreiben die Welt und ihre Herausforderungen. Das VUCA-Konzept aus den 1980er Jahren genügt heute nicht mehr und wurde durch BANI ersetzt.
  • Welche Fertigkeiten braucht man für die Zukunft? Future Skills.
  • Neben den Kulturtechniken sollen auch andere Bereiche abgedeckt werden.
  • Veränderung der Sitzordnung: Mehr Gruppenprozesse.
  • OECD-Lernkompass 2030.
  • KI und Digitalisierung nutzen, nicht verbieten.
  • Rolle der Lehrperson: Initiierung und Begleitung von Lehr-Lernprozessen.

 

Carl Bossard, Condorcet-Autor und Bildungsexperte

Dr. phil Carl Bossard, ehemaliger Gründungsdirektor der PH Zug, Condorcet-Autor und prominenter Kritiker der heutigen Bildungsreformen, referierte über folgende Themen:

  • 3 G: Grundkenntnisse, Grundfertigkeiten, Grundhaltungen.
  • Konzentration auf den pädagogischen Kern.
  • Freiheit und Berufszufriedenheit.
  • Bildungsverwaltung steuert und reglementiert: Lehrpersonen werden zu Sklaven der Administration.
  • Spannungsfeld zwischen Neuem und Bewährtem. Nicht alles Alte ist a priori schlecht. Und nicht alles Neue ist gut, nur weil es neu ist.
  • Schule nicht auf die Veränderungen anpassen: Die humane Kraft des Analogen.
  • Lernen heisst: üben, üben, üben.
  • Die Inhalte wurden maximiert, das Üben minimiert.
  • Es gibt Bildungsinhalte ohne Verfallsdatum.
  • Die Leidenschaft fürs Lehren darf nicht im Administrativen ersticken. Es braucht das Echte, nicht die Konserve.

Während Biedermann die Schule in der Pflicht sieht, den aktuellen Wandel mitzumachen, stellt Bossard die unverrückbaren Grundkenntnisse und -fertigkeiten ins Zentrum. Wir wissen nicht, was die Zukunft alles bringen mag, aber Rechnen, Lesen und Schreiben werden ihre erstrangige Bedeutung behalten. Biedermann sieht die Ausdehnung der Schule in Bereiche, die bisher unberücksichtigt geblieben sind: Neben den Kulturtechniken sind dies beispielsweise vermehrt Lernstrategien, forschendes Denken und Handeln, lebenslanges Lernen und interkulturelle Kompetenz. Während das Bouquet der Ansprüche an die Schule bei Biedermann in allen erdenklichen Farben blüht und funkelt, fordert Bossard eine Rückbesinnung auf den pädagogischen Kern. Und dies in Freiheit, ohne durch Lehrmittel oder pädagogische Trends gegängelt zu werden. Für Bossard ist das System zu komplex geworden und muss deshalb dringend vereinfacht werden.

Das Publikum kam in den Genuss einer umfassenden Auslegeordnung mit zwei sich diametral unterscheidenden Interpretationen über die Rolle der Schule.

Offene Fragen:

Ist die Vielfalt der Ansprüche an die Schule überhaupt umsetzbar?

Wie können angesichts der gewachsenen Ansprüche auch zukünftig noch genügend Menschen für den Lehrberuf gewonnen werden?

 

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3 Kommentare

  1. Ich danke Urs Kalberer für die knappe und trotzdem aussagekräftige Zusammenfassung. Die Position von Carl Bossard teile ich vollumfänglich! Ich nutze hier die Gelegenheit, Carl Bossard für seinen unermüdlichen Einsatz zu danken!

  2. Herr Biedermann erwähnt ausdrücklich den OECD-Lernkompass 2030. Zwei andere Institutionen, die den auch empfehlen, sind die “Bildungsgewerkschaft” GEW in Deutschland und die Bertelsmann-Stiftung, die die Einleitung dieses “Kompasses” an oberster Stelle unterschrieben hat, noch vor dem Vorwort von Herrn Schleicher.

    Man findet das im Internet leicht unter “GEW Gute Bildung in Zeiten multipler Krisen” bzw. “Bertelsmann-Stiftung 21st Century Skills”.

    Den “Kompass” sollte jeder mal gesehen haben, das ist eine einzigartige Ansammlung von wolkigen Allgemeinplätzen und Postulaten, vom Volk auch als “Blabla” bezeichnet. Die wahren Ziele sollen dadurch offenbar vernebelt werden.

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