Auslöser war ein Post von Philippe Wampfler, Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich, den er auf seinem Facebook-Account veröffentlichte. Darin verkündete er:
«Schulen müssen bessere Lernorte werden, damit sich schulisches Lernen für Jugendliche sinnvoll anfühlt. Sie müssen professionell mit Jugendkultur umgehen und Unterricht anbieten, der in eine Kultur der Digitalität passt.»
Marion Heidelberger, ehemaliges langjähriges Geschäftleitungsmitglied des LCH, repostete Wampflers Beitrag auf der Facebook-Gruppe Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.
Philippe Wampfler
«Schulen müssen bessere Lernorte werden, damit sich schulisches Lernen für Jugendliche sinnvoll anfühlt. Sie müssen professionell mit Jugendkultur umgehen und Unterricht anbieten, der in eine Kultur der Digitalität passt.»
Philippe Wampfler, Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich
Marion Heidelberger
Genau!
Das renommierte Karolinska Institut hat die schwedische Bildungsbehörde unlängst aufgefordert, die wissenschaftlichen Belege nicht länger zu ignorieren. Der Einsatz digitaler Werkzeuge führe erwiesenermassen u.a. zu mehr Ablenkung, schwäche die Konzentrationsfähigkeit, behindere das Arbeitsgedächtnis und verschlechtere damit die Lernleistung markant. Pikant: Ausgerechnet Kinder mit besonderen Bedürfnissen wie z.B. ADHS treffe die Digitalisierung besonders hart. [1]
- Es braucht gemeinsame, evidenzbasierte Nutzungsregeln, die sich am Wohl der Schülerinnen und Schüler orientieren – und nicht am Shareholder Value der IT-Giganten aus dem Silicon Valley.
- Die geistige und körperliche Unversehrtheit gehört ins Zentrum pädagogischer Medienkonzepte. Der Schutz der Privatsphäre muss gewährleistet sein. Es ist z.B. nicht einzusehen, warum Minderjährige nach Schulschluss und am Wochenende für Lehrpersonen erreichbar sein sollen – und umgekehrt.
- Der Eingriff der Schule in das digitale Erziehungskonzept der Eltern ist zu unterlassen. Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind verbindlich zu klären.
- Der Einsatz von iPads in der Basis- und Unterstufe ist zu hinterfragen.
- Die Schule ist aufgefordert, ihre pädagogische Verantwortung wahrzunehmen und den negativen Folgen der grassierenden digitalen Vereinnahmung der Kinder und Jugendlichen entschieden entgegenzutreten.
Das ist eine sehr einseitige und eigenwillige Auswertung der vorhandenen Studien. Wer zu diesem Schluss kommen will, findet immer Auswertungen. Gilt auch für das Gegenteil. Eine Reflexion muss mehr sein als eine Ablehnung und eine Verantwortungsabgabe an die Eltern.
Es steht jedem offen, dem 435 Seiten starken Monitoring Report «Technology in education» der UNESCO, der sich auf 89 Studien beruft, Einseitigkeit vorzuwerfen. Als Lehrer, Vater und Präsident des LVB nehme ich die Befunde ernst und stelle die Elefanten im Raum – die unübersehbaren schwierigen Aspekte, die am liebsten niemand zur Sprache bringen möchte – zur Diskussion.
Einseitig ist nicht der Report, einseitig ist deine Interpretation. Solche Forderungen lösen einfach die Probleme nicht.
- Schutz der Privatsphäre: Müssen deiner Ansicht nach Primarschulkinder für Lehrpersonen auch abends und am Wochenende erreichbar sein?
- Digitale Vereinnahmung: Soll die Schule die aufgrund der verordneten Schul-Tablets zunehmende Bildschirmzeit regulieren?
- Konfliktpotenzial Schule – Eltern von schulpflichtigen Kindern: Darf sich die Schule der Debatte über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit dem Einsatz der schulisch verordneten Geräte im Elternhaus entziehen?
- Pädagogische Medienkonzepte: Braucht es deiner Ansicht nach pädagogische, evidenzbasierte Medienkonzepte, welche die geistige und körperliche Unversehrtheit von Primarschulkindern berücksichtigen?
https://lvb.ch/2022/wp-content/uploads/2023/10/385723eng.pdf
Die Schule darf Bildschirmmedien einsetzen und auch dazu auffordern, das zuhause zu tun.
Philippe Wampfler
a) Es ist sinnvoll, auch ausserhalb der Unterrichtszeit kommunizieren zu können. Z.B. während Hausaufgabenphasen. Wenn alle Lernaktivitäten in der Schule erfolgen, wird das kaum nötig sein (aber teilweise auch sinnvoll, z.B. um Schüler*innen an wichtige Dinge zu erinnern – dass man in den Wald geht und die entsprechende Ausrüstung benötigt etc.).
d) Es braucht Medienkonzepte. Die »Unversehrtheit« ist eine ideologische Verengung, kein sinnvoller Begriff in diesem Zusammenhang.
Philipp Loretz
Besten Dank für deine Einschätzungen.
Aha – der Herr Gymnasiallehrer bemüssigt sich, dem Sekundarlehrer aufzuzeigen, dass er zu kurzgefasst denkt. So funktioniert Elfenbeinturm. Verengt ist letztlich der Horizont desjenigen, der im Turm sitzt und nicht hinausschaut.
Auffällig an diesem qualitativ einseitigen Dialog ist, dass Ph. Loretz evidenzbasiert und praxisorientiert argumentiert, während Ph. Wampfler keine Gegenargumente, sondern nur Behauptungen und herablassende Rundumschläge entgegenzusetzen hat. Woran orientiert er sich eigentlich: An der ganzheitlichen Entwicklung und Förderung der Kinder und Jugendlichen oder am Gedeihen der IT-Branche, die möglichst viele Gadgets verkaufen möchte, indem sie rosige Heilsversprechen abgibt und Ängste schürt, man verpasse die Zukunft, wenn man nicht spure?
Wenn die Digitalisierungspropheten intellektuell nicht mehr zu bieten haben als den Herrn Wampfler, dann kann man sich, Condorcet hin oder her, einen Diskurs sparen.