Schon seit zwanzig Jahren wird am Modell der integrativen Volksschule herumgeflickt, ohne dass sich ein überzeugender Erfolg abzeichnet. Begründet durch das Dogma vom Recht aller Schüler auf eine Schullaufbahn in Regelklassen, wird den Lehrpersonen ein Auftrag zugemutet, den sie in vielen Fällen trotz unermüdlichem Einsatz nicht befriedigend erfüllen können. Die Unterstützung in wenigen Lektionen durch Heilpädagoginnen reicht bei Weitem nicht, um in einer heterogenen Klasse oft mehrere verhaltensauffällige Schüler zu stabilisieren. Diese können den Unterricht in den Regelklassen arg durcheinanderbringen, wenn die Lehrerin überall gefordert ist.
Benötigen einzelne Schüler aussergewöhnlich viel pädagogische Aufmerksamkeit, geht dies klar auf Kosten des Lernfortschritts der ganzen Klasse. Ganz schwache Schüler wiederum, die mit dem Schulstoff generell überfordert sind, fallen im Unterricht zwar weniger auf. Aber sie sind die grossen Verlierer, da ihnen die Erfolgserlebnisse fehlen und sie sich in der Klasse oft ausgegrenzt fühlen. Das Beharren auf dem Dogma der totalen Integration führt zu schulischen Tragödien, die sich im Rahmen einer gut betreuten Förderklasse nicht abspielen würden.
Es liegt an der Politik, flexible Lösungen mit Förderklassen zu ermöglichen
Es wirkt lähmend, dass sich die aktuelle Bildungspolitik in der Integrationsfrage überhaupt nicht flexibel zeigt. Statt das Scheitern der bisherigen Bemühungen einzugestehen und Offenheit für Lösungen mit Förderklassen zu signalisieren, wird das Stigma der Ausgrenzung einzelner Schüler bis zum Überdruss ins Feld geführt. Das anhaltende Beschönigen der Probleme droht unterdessen zu einem ernsten Konflikt mit den Schulpraktikern zu führen. Diese haben absolut genug von den finanziellen und personellen Versprechungen, die von der Bildungspolitik nicht eingelöst werden können.
Die Förderklassen-Initiative ist ein konstruktiver Vorschlag, um die gegenwärtige Krise zu überwinden. Im Gegensatz zur Zürcher Bildungsdirektion nimmt das breit abgestützte Initiativkomitee die Notsignale aus den Schulklassen ernst und verlangt eine Neuorientierung beim Integrieren. Mit der Unterschriftensammlung kommt Bewegung in eine Sache, die unerträglich lang auf die lange Bank geschoben wurde. Man muss nicht in allen Details mit der Initiative einverstanden sein, um sie zu unterstützen. Aber sie ist ein guter Wegweiser, um aus der Sackgasse herauszukommen.
Es steht der Bildungsdirektion frei, einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative auszuarbeiten. Macht sie dies im Sinne einer Öffnung zugunsten der Führung von finanziell vom Kanton besser unterstützten Förderklassen, kann ein Rückzug der Initiative ins Auge gefasst werden. Unternimmt die Regierung nichts oder präsentiert sie nur alten Wein in neuen Schläuchen, kommt die Initiative voll zum Zug.
Eine Diskussionsrunde deckt grosse Frustration an den Schulen auf
Wie die Berichte meiner Redaktionskollegin Marianne Wüthrich und von Condorcet-Redaktorin Claudia Wirz eindrücklich belegen, hat das fair geleitete Podiumsgespräch vom 11. April über die Förderklassen-Initiative den Nerv der Zeit getroffen. Es wurde leidenschaftlich diskutiert und es zeigte sich, dass sich im Publikum ein gewaltiger Frust über die aktuelle Lage in den Klassenzimmern angestaut hat. In überzeugenden Voten gab es heftige Kritik am belastenden System der integrierten Schule. Die gelungene Veranstaltung war ein unüberhörbarer Appell an die Bildungspolitik, sich endlich den Herausforderungen zu stellen und Hand für überzeugende Lösungen zu bieten.
Abschaffung der Noten als zusätzliche Grossbaustelle?
Nach wie vor löst die vom Vorstand des Schulleiterverbands und anderen Bildungsorganisationen konzertiert vorgetragene Idee einer Abschaffung der Zeugnisnoten grosses Kopfschütteln aus. Ausgerechnet jetzt, wo sich herausstellt, dass eine ganze Reihe von Reformen die Erwartungen bei Weitem nicht erfüllt, soll eine weitere Grossbaustelle eröffnet werden. Das Dreisprachenkonzept der Primarschule erweist sich als hohles Versprechen, das überladene Bildungsprogramm des neuen Lehrplans bleibt ein Papiertiger und von einer wirkungsvollen Bildungssteuerung durch ein übergeordnetes Monitoring kann angesichts des Deutschdebakels im PISA-Test nicht die Rede sein. Dazu kommt die erwähnte Integration, die krachend gescheitert ist.
Die in vielen Medien geführte Diskussion über die Schülerbeurteilung lenkt davon ab, dass es für mehr Schulqualität sehr viel dringendere Massnahmen braucht als eine allfällige Abschaffung der Zeugnisnoten. Es wirkt wie eine Flucht nach vorn, wenn an den offenen Baustellen vorbeigerast und ein weiteres Heilsversprechen in Form einer Schule ohne Noten angekündigt wird. Man fragt sich schon, wie lange diese Art der Schulpolitik noch weitergehen soll.
Oberflächliche Notendiskussion lenkt von zentralen Herausforderungen ab
Bei genauerem Hinsehen auf die Vorschläge zur Abschaffung der Noten fällt auf, dass vieles überhaupt nicht neu ist. An die in Reformschulen praktizierte Grundidee, dass demotivierende schlechte Noten vermieden werden sollen, halten sich gute Pädagogen auch im Rahmen der bisherigen Notenpraxis schon lange. Werden Prüfungen so konzipiert, dass faire Grundanforderungen für das Erreichen einer genügenden Note bei seriösem Üben gestellt werden, entfällt ein zentraler Konfliktpunkt. Wie Carl Bossard zu diesem Thema schreibt, ist es viel wichtiger, dass Lehrpersonen in regelmässigen Schülergesprächen über individuelle Leistungsziele sprechen. Wenn ein im Französisch schwacher Schüler die Grundanforderungen im Hauptteilung der Prüfung (mit begrenztem Stoffumfang) erfüllt und deshalb mindestens eine Vier erreicht, wird er den Kurzkommentar «gut gelernt» neben der Note durchaus schätzen. Dazu braucht es weder Farben für halbwegs noch für vollständig erreichte Ziele oder gar die Abschaffung der Noten.
Die aktuelle Notendiskussion verläuft in höchstem Mass oberflächlich. Sie blendet weitgehend aus, dass ein überladener Lehrplan, ein überforderndes Mehrsprachenkonzept und massiv störende Mitschüler erfolgreiches Lernen in den Klassen weit mehr beeinflussen als jedes Notensystem mit den bekannten Schwächen. Verantwortungsvolle Bildungspolitik zeichnet sich aus durch das Anpacken der zentralen Herausforderungen und nicht durch Schaumschlägerei an Nebenschauplätzen. Für diese Art der Politik besteht zurzeit einiges an Nachholbedarf.
Unsere Textsammlung weist eine ganze Reihe hoch politischer Texte und gründlicher Analysen zu Bildungsthemen auf. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der spannenden Lektüre!
Toller Artikel! Ich bin absolut für die Iniatitive, denn es kann so nicht weiter gehen in den Schulzimmern. Pflästerlipolitik ist nicht Zielführend – nicht für die Schüler und auch nicht für das Lehrpersonal.
Die Iniatitive sollte aber bekannter werden. Niemand aus meinem Bekanntenkreis kannte die Iniatitive Förderklasse.