18. November 2024
Parlament und Schule

Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint (Karl Kraus)

Vor etwa 10 Jahren wurde eine Parlamentarierin der Stadt Bern durch Medienberichte über einen schrecklichen sexuellen Missbrauch in einer Familie aufgerüttelt. Ihre Emotionen flossen in einen Vorstoss, der verlangte, dass an allen Schulen ein Sensibilisierungsprogramm durchgeführt werde. Die Kinder sollten daran erinnert werden, dass der Körper ihnen gehöre und dass sie sich nicht durch erwachsene Personen – und seien dies die Eltern – unsittlich berühren lassen müssten. Condorcet-Autor Alain Pichard über hyperaktive Parlamentarierinnen, ihre Motionen und die Umsetzung.

In dem rot-grünen Parlament pflegen diese Art Vorstösse schlank durchzugehen, winken doch immer wieder lukrative Beschäftigungsangebote für Institutionen, die ständig ihre Bedeutung unterstreichen müssen. Das Drehbuch solcher Rettungsprogramme ist immer das gleiche: Eine Arbeitsgruppe entwirft ein Strategiepapier, eine Institution wird beauftragt, ein flächendeckendes Unterrichtsprogramm zu entwerfen. Schliesslich erfolgt die Schulung der Expertinnen und schon ist der Morgen geritzt. Die Lehrkräfte sitzen hinten und eine Moderatorin leitet das Sensibilisierungsprogramm.

Condorcet-Autor Alain Pichard

Es gibt natürlich immer wieder renitente Lehrpersonen, welche an dieser Art staatlicher Beglückung herumnörgeln. Drei Schulen fanden, sie wollten das nicht. Sie wurden aber umgehend darauf aufmerksam gemacht, dass dies kein Wahlprogramm, sondern ein parlamentarischer Auftrag sei. Es gehe schliesslich um das Wohl der Kinder und die Vermeidung sexueller Übergriffe.

Eingriff in profunde Lebensweisen

Nun darf man feststellen, dass so ein Morgen ja nicht gerade der Untergang der Welt ist und in der Schule auch manch anderer Unsinn passiert. Schwieriger wird es, wenn gut gemeinte Ideen von Parlamentarierinnen – sorry, aber es sind meistens Parlamentarierinnen, denen so etwas in den Sinn kommt – in profunde Lebensweisen eingreifen.

Rettungsprogramme gegen allerhand Schädliches an den Schulen haben Hochkonjunktur

Vor einigen Jahren verlangte das Bieler Stadtparlament, dass die Ernährung an den Mittagstischen biologisch, nachhaltig und gesund sein müsse. Dagegen ist wirklich nichts einzuwenden und die Motion wurde mit grossem Mehr überwiesen. Nun gibt es auch in der Verwaltung von Biel diese Bettelmönche der Dystopie, die die Welt und die Kinder vor sich selber schützen wollen. Ernährung, so die Idee, sei viel zu wichtig, als dass man sie den Köchen überlassen dürfe. Für die Ernährung der Kinder ist neu ein Ernährungsberater zuständig.

Dieser Ernährungsexperte berechnet die Menüs nach neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft, gibt minutiös den Kalorien-, Zucker-, Eiweiss- und Mineralienanteil-Tagesbefehl heraus und entwirft daraufhin die Speisepläne, nach denen die Mahlzeiten zentral in einer Grossküche eines Altersheims zubereitet und dann in der ganzen Stadt – Schulen und Pflegeheimen – verteilt werden. Natürlich wird auch dem Kampf gegen die Klimaerwärmung Rechnung getragen: ein Tag Fleisch, ein Tag Fisch und zwei Tage vegetarisch. Nun weiss ich aus eigener Erfahrung zahlreicher Skilager, dass man wirklich feine vegetarische Gericht kochen kann.

Kosten viel und schmecken den Kids nicht

Der Bieler Beglückungsspeiseplan mit Bulgur, Quinoa-Porridge, Vollkorn-Spaghetti, Buddha-Bowl mit Granatapfelkernen oder Vollkornpfannkuchen hatte allerdings zwei Probleme: Sie kosten viel und sie schmecken den Kids nicht. Die Ernährungsgewohnheiten unserer unterprivilegierten Kinder – und von denen gibt es in Biel eine ganze Menge – sind etwas anders als die der Lastenfahrradfahrenden-Upper-Middle-Class. Es ist die Sehnsucht einer bequemen, da ökonomisch bestens abgesicherten Mittelschicht, Menschen zu erziehen, von deren Lebensweisen sie keine Ahnung hat. Die Selbstverkennung dieses Milieus zementiert den Klassenstandpunkt.

Eine Mittagsbetreuerin kaufte auf eigene Rechnung schnell in der Stadt noch ‘Schoggistengeli’, um den Kids wenigstens noch einen Zuckerschuss für den Nachmittag zu liefern.

Die Folge dieses Minimums an Komplexität sind ein atemberaubender Foodwaste, hungrige Kinder und wieder einmal überzogene Budgetvorgaben, denn biologische Lebensmittel gehören nicht zu den billigsten. Eine Mittagsbetreuerin kaufte auf eigene Rechnung schnell in der Stadt noch ‘Schoggistengeli’, um den Kids wenigstens noch einen Zuckerschuss für den Nachmittag zu liefern. Die wenigen älteren Schüler, die meistens auch etwas Geld in der Tasche haben, kürzen den Mittagstisch ab, lassen sich eine Pizza ins Schulhaus liefern und verzehren diese genussvoll in meinem Klassenzimmer.

Die Vermessung aller Arten von staatlicher Beglückung treibt immer wieder seltsame Blüten.

Man darf aber der Verwaltung nicht vorwerfen, dass sie nicht kreativ oder lernfähig wäre. So wurden die zahlreichen Reklamationen aufgenommen und eine Arbeitsgruppe gebildet. Gewisse Pläne sind bereits durchgesickert. Die Unmengen an Essensresten sollen in den Lehrerzimmern verteilt werden, die Lehrpersonen werden diese bezahlen und mit dem Geld kann man dann die Schoggistengeli finanzieren.

Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.

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Hinweis: Diese Artikel ist zuerst in der Zeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB) erschienen (Juni-Ausgabe 2019).

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