Schule und Lernen

Wer schlau sein will, schreibt mit der Hand

Das Notieren mit der Hand ist oft mühsamer als das Tippen auf einer Tastatur. Aber die Handschrift hat viele Vorteile, besonders Kinder profitieren davon. Forscher zeigen jetzt, wie das Gehirn beim Schreiben positiv stimuliert wird. Der Welt-Reporter Holger Kreitling berichtet.

Früher haben nur Ärzte unleserlich gekritzelt, heute schreiben alle so. Wer einen handgeschriebenen Zettel oder gar Brief in die Hände bekommt und nicht “Hä?” denkt, darf die Schreiberin oder den Schreiber beglückwünschen. Dass die Fähigkeit, akkurat mit der Hand zu schreiben, verlernt oder gleich gar nicht mehr von Kindern gelernt wird, ist Thema vielstrophiger Klagegesänge.

Holger Kreitling, Journalist der Welt

Die Forschung hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und kann die Verluste belegen. Nicht nur die Rechtschreibung erleidet Schiffbruch– wie leidgeprüfte Eltern im Chat-Austausch mit Kindern bemerken –, auch das Erinnerungsvermögen ist schwächer ausgeprägt.

Was wiederum ein helles Licht auf Kinder wirft, die in der Schule nicht mehr oder nur für kurze Zeit mit der Hand schreiben, bevor sie zu Tablets und Computern wechseln. Das mag jetzt unsexy klingen, ist aber so: Das Erlernen und Schreiben mit der Hand befördert positiv die Entwicklung des Gehirns.

Die Verluste sind belegbar

In Norwegen haben Wissenschaftler nun nachgewiesen, dass die Muster der Gehirnverbindungen beim Schreiben mit Hand auch bei Erwachsenen deutlich ausgefeilter sind als beim Tippen auf einer Tastatur. “Eine solch umfassende Gehirnkonnektivität ist für die Gedächtnisbildung und das Verarbeiten neuer Informationen von entscheidender Bedeutung und unterstützt daher das Lernen”, sagte Audrey van der Meer, Hirnforscherin an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens und Mitautorin der Studie in “Frontiers in Psychology”.

All die Stunden mit Schönschrift, über die Kinder stöhnen, sind nicht vergebens.

 

36 Studenten sollten mehrfach Wörter aufschreiben, entweder mit einem digitalen Stift per Hand oder mit jeweils einem Finger per Tastatur. Dabei trugen sie Hauben mit Sensoren. Für fünf Sekunden wurde so die elektrische Aktivität des Gehirns mit einem Elektroenzephalographen (EEG) gemessen.

Die Verbindungen verschiedener Gehirnregionen nahmen zu, wenn die Teilnehmer mit der Hand schrieben, nicht jedoch, wenn sie tippten. Die Bewegungen und das sorgfältige Formen der Buchstaben machen den Unterschied, so die Forscher – und zwar egal, ob in Druckbuchstaben oder in Schreibschrift.

Die einfache Bewegung, mit demselben Finger wiederholt eine Taste zu drücken, wirkt dagegen weniger stimulierend auf das Gehirn. Das erkläre auch, warum Kinder, die das Schreiben und Lesen auf Tablets lernen, Schwierigkeiten haben können, spiegelbildliche Buchstaben wie “b” und “d” voneinander zu unterscheiden.

“Sie haben mit ihrem Körper buchstäblich nicht gespürt, wie es sich anfühlt, diese Buchstaben zu produzieren”, sagte van der Meer. All die Stunden mit Schönschrift, über die Kinder stöhnen, sind nicht vergebens (wo es sie noch gibt).

Forscher empfehlen Handschriftunterricht

Die meisten Erwachsenen kennen die Kraft des Handschriftlichen. Wer Vorträge, Vorlesungen, Telefonate oder Themenkonferenzen mit der Hand mitschreibt, erinnert sich besser und länger an die Inhalte. Frühere Studien konnten zeigen, dass sich schon bei Kindergartenkindern Handgeschriebenes tiefer ins Gedächtnis eingräbt.

Vor einigen Jahren ergaben Versuche mit Studenten, dass sie beim Protokollieren mit Stift und Papier eher Sinnbezüge herstellten; tippende Kommilitonen notierten mehr wörtliche Transkripte – und vergassen die Inhalte schneller.

Schulexperimente, die auf digitales Lernen setzen, bringen also Nachteile. Auch wenn das Schreiben per Tastatur leichter von der Hand geht. Schüler sollten deshalb ein Minimum an Handschriftunterricht erhalten, legen die Wissenschaftler aus Norwegen nahe. Zum Jahresbeginn wurde etwa in vielen US-Bundesstaaten das Kursiv-Schreibtraining wieder eingeführt.

“Es ist offensichtlich, dass Bildschirme grosse Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung.”

Lotta Edholm, Schwedische Bildungsministerin

 

Ähnlich in Schweden, dem einstigen Vorzeigeland in Sachen Schuldigitalisierung: Das Karolinska-Institut setzt sich inzwischen für eine “Analogisierung” des Unterrichts ein. Erst vor wenigen Monaten liess die Universität verlauten: Digitale Geräte würden “das Lernen der Schüler eher einschränken statt fördern”, es sprach von “klarer wissenschaftlicher Evidenz.” Die Bildungsministerin erklärte dazu: “Es ist offensichtlich, dass Bildschirme grosse Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung.”

Verwandte Artikel

Antisemitismus aus dem Lehrbuch

Der Condorcet-Blog ist ein Bildungsblog und äussert sich nicht zu politischen Alltagsfragen, die keinen Bezug zur Bildung haben. Die Trennlinie ist allerdings nicht immer einfach. Gerade der Terroranschlag vom 7. Oktober in Israel und die darauf folgenden Massnahmen der israelischen Armee laden zum Kommentieren und zu Positionsbezügen ein. Wie bei der Klimafrage oder den Coronamassnahmen äussern wir uns aber nur, wenn die Bildungsinstitutionen direkt involviert sind. Unterrichtsinhalte, oft durch Schulbücher vorgegeben, müssen uns interessieren. Detaillierte Untersuchungen palästinensischer Schulbücher im Auftrag der EU sowie durch ein israelisches Institut zeigen, wie palästinensische Kinder zum Hass auf Juden und Israel erzogen werden. Terror wird vielfach als legitimer “Widerstand” verherrlicht, Juden werden dehumanisiert, Israelis als brutale Aggressoren und als Feinde des Islams dämonisiert. Die Palästinensische Autonomiebehörde weigert sich jedoch, das Unterrichtsmaterial entscheidend zu verändern. Nennenswerte Konsequenzen zieht die EU trotzdem nicht. Das sind die Erkenntnisse unseres Gastautors Alex Feuerherdt. Wir möchten aber ausrücklich darauf hinweisen, dass wir bezüglich des politischen Konflikts keinen Positionsbezug vornehmen.

2 Kommentare

  1. Mit der Hand zu schreiben, war bei mir im Mathematikunterricht auf der Sekundarstufe 1 eine wichtige Grundlage. Die Schülerinnen und Schüler schrieben in vier bzw. nachher drei Jahren ihr eigenes Lehrmittel, das für eine Schülerin z. B. sehr wichtig wurde für die Vorbereitungen von Tests während ihrer anschliessenden Berufslehre als Elektronikerin EFZ.
    Was heutzutage abgeht mit PC, Laptop und Tablet ist m. E. krank!

  2. Diese Erkenntnis ist nicht neu – ev. ist es nun die erste Untersuchung, die dies neurologisch bestätigt.

    Nun aber zu einer Stelle im Bericht der “Welt”, die mir zwei-, wenn nicht dreideutig scheint. Zitat: “Die Forschung hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und kann die Verluste belegen. Nicht nur die Rechtschreibung erleidet Schiffbruch– wie leidgeprüfte Eltern im Chat-Austausch mit Kindern bemerken –, auch das Erinnerungsvermögen ist schwächer ausgeprägt.”
    Ist hier gemeint:
    1. Eltern mit Kindern tauschen sich im Chat aus? oder
    2. Eltern tauschen sich mit Kindern im Chat aus? oder
    3. ???

    Manchmal ist nicht nur die Setzung eines Kommas wichtig, siehe Beispiele unten, manchmal kann eben auch die Stellung der Wörter im Satz zu Verwirrung oder Falschaussagen führen.

    Bekannt ist das Beispiel: “Hängen, nicht laufenlassen.” vs. “Hängen nicht, laufenlassen.”
    Lustig ist: “Komm, wir essen Opa.” vs. Komm wir essen, Opa.”
    Hier zutreffend ist: “Leidgeprüfte, Eltern und ihre Kinder stehen im Chat-Austausch.” vs.” Leidgeprüfte Eltern und ihre Kinder stehen im Chat-Austausch.”

Schreibe einen Kommentar zu Armin Tschenett Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert