18. November 2024
Porträt von Andreas Aebi

Von Langnau nach Spiez: Lehrer Aebi teilt aus – und zieht weiter

Irgendwie passt es zu ihm, dem Reformkritiker, der vor zwanzig Jahren kantonsweit in Erscheinung trat. Kurz vor Schluss nochmals ein bisschen Action. Nochmals ein bisschen Wirbel. Statt den 37 Jahren als Sekundarlehrer in Langnau noch eine gemütliche Ehrenrunde folgen zu lassen, wechselt Andreas Aebi, Condorcet-Autor, ein Jahr vor der Pensionierung an die Schule in Spiez. Dreimal pro Woche wird er ab nächstem Schuljahr mit dem Zug von der Ilfis an den Thunersee pendeln. Ein Bericht von Tamedia-Journalist Dölf Barben.

Mit der Art und Weise, wie das neue, durchlässige Oberstufenmodell umgesetzt wird, habe er sich nicht anfreunden können: So wird sein vorzeitiger Abgang in der Langnauer Dorfzeitung begründet. Daneben wird Aebi gepriesen für seinen Ideenreichtum, sein Engagement, seinen begeisternden Unterrichtsstil. “Andreas, wir danken dir für alles, was du für die Schulen Langnau geleistet hast”, schreibt der zuständige Gemeinderat.

Das war offensichtlich nicht wenig: Aebi war Klassenlehrer, Schulleiter und zuletzt Fachlehrer. Er hat Theaterstücke aufgeführt, die er selbst geschrieben hat. Er verfasste ein Buch über die Schule, eine regelrechte Liebeserklärung an den Beruf. Er werde vermutlich bis zum letzten Schultag mit einem Kribbeln im Bauch zum Schulhaus radeln, stellte Aebi einmal fest und verriet, wie das Unterrichten ihm Seelenglück beschert.

    “Ich war nicht nur Opfer, sondern auch Täter.”

Andreas Aebi über die jüngste Vergangenheit in Langnau

 

Sich vorzeitig von der Langnauer Schule zu verabschieden, war nicht einfach. Daraus macht er kein Geheimnis. Er verschweigt auch nicht, dass es Streit gegeben hat und es zu Verletzungen kam. Er ist aber nicht der Typ, der nun alles richtigstellen und recht haben will. “Ich war nicht nur Opfer, sondern auch Täter.”

Bis zum letzten Schultag ein Kribbeln im Bauch

Er bestätigt lediglich, was in der Dorfzeitung stand: Dass es die Umsetzung war, die ihm nicht passte, nicht das neue Oberstufenzentrum an und für sich. Langnau habe mit dem Wechsel auf ein durchlässiges Modell in erster Linie sparen wollen – “man wollte eine Änderung zum Lidl-Tarif –, das ist das Problem”.

Ohne die ganze Geschichte aufrollen zu wollen: Was sagt Gesamtschulleiter Markus Brandenberger zu diesem einen Punkt? Er widerspricht. Selbstverständlich dürfe man ökonomische Überlegungen nie ausser Acht lassen, sagt er, aber bei diesem Modellwechsel “stand sehr schnell die Durchlässigkeit zwischen den Klassen im Zentrum”.

“Man wollte eine Änderung zum Lidl-Tarif -, das ist das Problem.”

Diese jüngste Episode allein böte Stoff genug für einen Zeitungsartikel. Der Grund, über Andreas Aebi zu schreiben, ist aber ein anderer. Es ist seine Bekanntheit, die er vor Jahren schon als sogenannter Reformkritiker erlangte. Und seine besondere Persönlichkeit.

Leute, die ihn kennen, bezeichnen ihn als “Bilderbuchlehrer”, als spannenden, witzigen Gesprächspartner, aber auch als “absolutes Alphatier”. Wenn ihm etwas nicht passe, könne es schon einmal “chrisasten”, also laut werden. Handkehrum sei er nicht nachtragend.

Freistösse aus 18 Metern

Aebi ist zudem mit dem ausgeprägten Bedürfnis ausgestattet, seine Gedanken zu teilen; er tut es auf originelle Weise und nicht ohne Selbstironie. Auf seiner reich bestückten Website schreibt er beispielsweise unter dem Stichwort Begabung Folgendes: Vor 35 Jahren sei er als Fussballer spezialisiert darauf gewesen, Freistösse aus 18 Metern mit dem linken Fuss ins Lattenkreuz zu schiessen.

Die Freude am Fussball hat ihm übrigens zu einem weiteren Standbein verholfen: Er war Fussballtrainer von Frauenteams – zunächst in Langnau, später bei den Young Boys. Und schliesslich war er Ressortleiter Frauenfussball beim Fussballverband Bern-Jura.

Diese Geschichte wird erst vollständig verständlich, wenn man weiss, dass eine seiner beiden Töchter Fussballerin ist. Und zwar nicht irgendeine: Lia Wälti – sie trägt den Nachnamen von Aebis Ehefrau Monika Wälti – ist eine der bekanntesten Profispielerinnen der Schweiz. Sie ist Kapitänin der Nationalmannschaft und steht beim englischen FC Arsenal unter Vertrag. Die ersten Dribblings machte sie in einem von ihrem Vater trainierten Juniorinnenteam.

Lia Wälti hat erreicht, wovon ihr Vater womöglich träumte: Tore schiessen für das Fussball-Nationalteam. Foto: Christian Merz (Keystone)

In der Bildungsszene ging sein Stern als Reformkritiker vor zwanzig Jahren auf. Andreas Aebi war Initiant und Koordinator der Aktion “SchüBe Halt”. SchüBe stand für Schülerbeurteilung Bern. Für ihn war es “nicht normal”, wie mit diesem System Schulkinder ausgemessen werden sollten. Viele andere Lehrerinnen und Lehrer dachten gleich. Das Vorhaben wurde gebodigt. Damit habe er sich bei der damaligen Erziehungsdirektion einen gewissen Respekt verschafft, sagt Aebi heute.

“Beim Lehrplan 21 waren wir da ziemlich extrem.”

Zehn Jahre später war er wieder an vorderster Front dabei, um “die Protestkeule zu schwingen” – diesmal gegen den neuen Lehrplan. Die Gruppe, die sich formierte, trug den einprägsamen Namen “550 gegen 550”. Was so viel bedeutete wie 550 Lehrerinnen und Lehrer gegen einen Lehrplan, den Aebi mit seinen 550 Seiten als viel zu dick empfand. Schliesslich waren es über 1400 Lehrkräfte, die das Anliegen unterstützten und eine “umfassende Überarbeitung” des “monumentalen Regelwerks der Bildungsbürokratie” forderten.

Die Aktion entwickelte zwar nicht die gleiche Durchschlagskraft wie bei “SchüBe”. Aebi aber wurde von der Bildungsdirektion als Praktiker eingeladen, wurde angehört und konnte bei der Überarbeitung direkt Einfluss nehmen.

Emmentaler Pendant zu Alain Pichard

Da war Aebi längst zum Emmentaler Pendant des Bieler Lehrers und Schulkritikers Alain Pichard geworden. Die beiden haben öfters zusammengearbeitet. Beide sind Spezialisten darin, sich pointiert zu äussern, gar zu provozieren – so sehr, dass sie für manche Berufskolleginnen und -kollegen zuweilen bloss noch hochdrehende Nervensägen sind. Selbst wenn sie in der Sache recht haben.

Das Spiel mit der Sprache hat System. Früh habe er gelernt, sagt Aebi, dass man bei einer Diskussion “hineinfahren” müsse. “Wenn du es nicht tust, hört dich niemand.” Und die leichte Übertreibung gehöre ebenso in den Werkzeugkasten eines Kritikers. “Beim Lehrplan 21 waren wir da ziemlich extrem”, erzählt er.

Aebis Freude am Formulieren ist unverkennbar: Wäre bei anderen die Rede von Bildungsexperten, die sich bitteschön etwas mehr mit der Praxis befassen sollten, spricht er von “Kompetenz-Gurus auf fliegenden Teppichen, die man auf den Boden der Realität zurückholen muss”. Mit solchen Sätzen liess er sich vor zehn Jahren im “Bund” zitieren.

Auf den Teppich der Praxis herunterholen

Und weil es so schön war, variierte er solche Sätze und liess im nächsten Text “Missionarinnen des Lehrplans 21 vom siebten Himmel auf den Teppich der Praxis herunter holen” – zum Beispiel vom damaligen Bildungsdirektor Bernhard Pulver, den er zuweilen hemmungslos lobte, etwa “als Meister des Machbaren” oder als “Fahnenträger der pädagogischen Freiheit”.

Mit dem Theaterstück “Life is a Magic Cube”, das er mit seiner letzten Deutschklasse aufführte, hat sich Andreas Aebi als Lehrer von Langnau verabschiedet. Foto: Nicole Philipp

Die Zusammenarbeit mit Alain Pichard hatte für Aebi jedoch Grenzen. Als der Bieler vermehrt in der rechtsbürgerlichen “Weltwoche” Präsenz markieren konnte, schreckte Aebi zurück. Eine Koalition mit der SVP, die beim Lehrplan 21 den “Übungsabbruch” anstrebte, kam für ihn als Linken nicht infrage. Ein Linker war er zweifellos; in den 1990er-Jahren sass er im Langnauer Gemeindeparlament – als Parteiloser zwar, aber als Mitglied der SP-Fraktion.

“Eifach Schuel gä!”

Doch worum geht es Andreas Aebi in der Schule? Liest man seine Texte, scheint alles auf einen Punkt zuzulaufen. Den Lehrerinnen und Lehrern soll genug Raum bleiben fürs Eigentliche: für das Unterrichten. “Eifach Schuel gä!”, nennt Aebi das.

Als “alter Fuchs” möchte er junge Berufsleute ermutigen und stark machen: Damit sie sich vom “immer noch viel zu dicken Lehrplan” und all den administrativen Pflichten nicht erdrücken lassen.

Klage über notorische Verweigerung von gründlichen Debatten

Erstaunlich aber bleibt, dass es ihm selbst letztlich nicht gelingen wollte, mit den Veränderungen an der eigenen Schule zurechtzukommen – sodass der Abgang unvermeidlich wurde.

Vielleicht ist es das Schicksal von Menschen, die gern Kritik üben und dies auch noch lustvoll und in geschmeidigen Sätzen tun: Wenn die Leute, von denen sie Antworten erwarten, stumm bleiben, kann es schnell still werden um sie.

Womöglich geht es genau darum: In seiner letzten Kolumne im Parteiblatt der Langnauer SP beklagte sich Aebi über das “notorische Verweigern von gründlichen Debatten” in der Lokalpolitik. Dabei sei es stets sein Ziel gewesen, mit seinen Texten zumindest “Gegenattacken” auszulösen, sagt er. “Aber die kamen nicht.”

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Dem Gegner diffuse Ängste vorzuwerfen, ist ein altes Muster der Diskursstrategie, wenn die eigenen Argumente nicht überzeugen. In den Auseinandersetzungen um den Lehrplan 21 ist dieser rhetorische Zweihänder oft angewendet worden. Ein Blick zurück und der Vergleich mit der heutigen Situation ist reizvoll. Condorcet-Autor Alain Pichard erinnert sich und dreht den Spiess um!

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