17. April 2024

Ja kein neues Schulfach mehr!

Nun schaltet sich auch Condorcet-Autor Alain Pichard in den Diskurs über die politische Bildung in der Schule ein. Er bezweifelt grundsätzlich, dass die Schule das Klima retten kann. Dafür zeigt er in einem zweiten Artikel auf, wie seine Schule die Partizipation vorantreibt.

Alain Pichard, Sekundarlehrer in Orpund: Wirksamkeit von Schule ist beschränkt.

Für die Historikerin Béatrice Ziegler ist die Sache klar: Politische Kompetenz werde nur wenig aufgebaut, «wenn die Lehrpersonen nicht selbst in der Didaktik der Politischen Bildung ausgebildet werden“. Sie fordert deshalb eine fachdidaktische Ausbildung für angehende Lehrkräfte und wohl auch ein dazugehöriges neues Fach: politische Bildung (vpod-bildungspolitik, Oktober 2019). Etwas Ähnliches verlangten vor ca. einem Jahr auch die Jungfreisinnigen im Blick (März 2019). Sie wollten mehr politische Bildung, um damit der tiefen Stimmbeteiligung entgegenzuwirken. Und mein geschätzter Condorcet-Kollege Georg Geiger will mithilfe eines interdisziplinären Fachs die ganze Welt retten. (Condorcet-Blog Januar 2020)

Die Kollegin und der Kollege sind in guter Gesellschaft. In der Sonntagszeitung verlangte vor einigen Jahren der stellvertretende Chefredaktor Simon Bärtschi ultimativ das Fach Medienerziehung. Das Rosarote Kreuz wollte zwingend die Homosexualität behandelt wissen und die Grüne Partei forderte zu Beginn der Lehrplandebatte die Einführung eines Faches «Glück». Seit langem werden in den Schulstuben unseres Landes auch Suchtprävention, Gewaltprävention, Sexualerziehung, Ernährungsberatung oder Gesundheitserziehung gelehrt.

An der Medienerziehung bin ich schon als Vater gescheitert.

Als Praktiker mit mittlerweile 42 Berufsjahren habe ich ehrlicherweise nicht viel Ahnung von Medienerziehung, daran bin ich auch schon als Vater gescheitert. Natürlich bin ich immer wieder gerührt, wenn ich feststelle, was man meinen Kolleginnen und Kollegen alles zutraut. Allerdings mischt sich in diese Ergriffenheit natürlich sofort auch eine gewisse Verlegenheit. Dann nämlich, wenn ich all diesen Erwartungen eine meiner grundlegenden Erkenntnisse über Schule entgegensetzen muss.

Wir können nicht einmal einen lebensrettenden Schwimmstil garantieren.

Wenn ein Fünftel unserer Schüler keine einfachen Texte mehr versteht, gerät etwas Grundsätzliches ins Erodieren.

Wirksamkeit von Schule ist beschränkt

Die Wirksamkeit von Schule ist beschränkt. An einigen Orten sogar sehr beschränkt. Die Schule überfordert sich, wenn sie Ziele verfolgen will, die ausserhalb der Reichweite von Unterricht liegen und die ausserdem noch von massiven Glaubenssätzen belegt sind. Wir können aus dicken Kindern keine dünnen machen, wir können auch die Welt nicht in eine gewaltfreie Zone verwandeln oder gar das Klima retten. Ganz unter uns, liebe Freunde, ich getraue mich gar nicht es zu sagen: Wir können heute nicht mehr die Erlernung eines lebensrettenden Schwimmstils garantieren.

Hingegen weiss ich, dass man, wenn man zu viele Hasen gleichzeitig jagen will, am Schluss ohne Beute nach Hause kommen wird. Die PISA-Studien belegen seit nun schon 20 Jahren, dass ein Fünftel unserer Kinder nach 9 Schuljahren in einem der teuersten Schulsysteme der Welt nicht richtig lesen und schreiben können.

Mit Analphabeten die Welt retten?

Hier gerät ein Kernelement von Schule ins Erodieren. Gewiss, Lesen, Schreiben und Rechnen ist nicht alles. Aber ohne Lesen, Schreiben und Rechnen ist alles nichts. Analphabeten retten keine Welt. Deshalb gilt auch hier: Die Schule muss wissen, was sie nicht kann, und sich darauf konzentrieren, was sie können muss, will sie ihre dominierende Stellung in der Bildung behalten.

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Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB) erschienen (Dezemberausgabe 2019).

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