Sekundarschule - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 11 Dec 2023 10:00:40 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Sekundarschule - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Zivis sollen “in schwierigen Situationen” eingesetzt werden https://condorcet.ch/2023/12/zivis-sollen-in-schwierigen-situationen-eingesetzt-werden/ https://condorcet.ch/2023/12/zivis-sollen-in-schwierigen-situationen-eingesetzt-werden/#comments Mon, 11 Dec 2023 10:00:40 +0000 https://condorcet.ch/?p=15455

Zivildienstleistende sollen die Lehrerinnen und Lehrer an den Baselbieter Sekundarschulen bei anspruchsvollen Aufgaben unterstützen. Der Lehrerverein zeigt sich skeptisch. Wir bringen ein Beitrag, des Journalisten Leif Simonsen, der in der Basler Zeitung erschienen ist.

The post Zivis sollen “in schwierigen Situationen” eingesetzt werden first appeared on Condorcet.

]]>

Verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler, anstrengende Eltern, mehr und mehr Bürokratie. Über 90 Prozent der Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer beklagen sich darüber, dass sie nicht mehr genügend Zeit für den eigentlichen Unterricht finden. Die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) will deshalb ab kommenden Januar Zivildienstleistende im Rahmen eines Pilotprojekts auch auf der Sekundarstufe einsetzen.

Leif Simonsen, Journalist bei der Basler Zeitung

Der Aufgabenbereich umfasse unter anderem “Assistenzaufgaben im Unterricht, Aufgabenhilfe, Mithilfe in Sportlagern, in der Pausenaufsicht oder im Hausdienst”, wie BKSD-Sprecherin Fabienne Romanens auf Anfrage sagt. Zwar werden die Zivis nicht selbst unterrichten. Erwartet wird aber, dass sie pädagogisch anspruchsvollere Aufgaben meistern. Sie sollen auch “gezielte Unterstützung” für Schülerinnen und Schüler bieten, die eine intensivere Betreuung benötigen.

Bisher eher einfache Aufgaben

Bisher konnten die Zivis im Baselbiet ihren Dienst lediglich an den Primarschulen absolvieren. Sie unterstützen die Kinder bei den Hausaufgaben, machen Pausenaufsicht, helfen ihnen beim Anziehen. Vergleichsweise einfache Aufgaben. Nun also traut man ihnen die Unterstützung von Sekundarlehrern in “schwierigen Situationen” zu, wie es in der Antwort auf einen Vorstoss von SP-Landrat Jan Kirchmayr heisst.

Der Lehrerverein Baselland (LVB) zieht ein positives Fazit von den Zivi-Einsätzen auf Primarstufe. LVB-Präsident Philipp Loretz sagt, bei den 1.- bis 6.-Klässlern könnten die Zivildienstleistenden reine Unterstützungsaufgaben wahrnehmen, etwa “indem sie hier und da mal Schuhe schnüren, die Kinder auf dem Schulweg begleiten oder sie am Mittagstisch betreuen”. Skeptisch beurteilt er die Idee, wonach sie künftig auf Sekundarstufe auch in schwierigen Situationen eingesetzt werden sollen.

Wenn es heikel wird, braucht es Profis

Wenn es beispielsweise um disziplinarische Probleme, psychische Gewalt etwa in Form von Cybermobbing, respektloses Verhalten der Schüler oder Arbeitsverweigerung gehe, brauche es Profis. “Hier braucht es in der Regel den Einsatz von ausgebildetem Fachpersonal, zum Beispiel Heilpädagoginnen, Lehrpersonen der Speziellen Förderung und Sozialpädagogen”, sagt Loretz.

SP-Landrat Jan Kirchmayr, der selbst auf Sekundarstufe unterrichtet, sagt, er könne sich gut vorstellen, dass Zivis auch auf Sekundarstufe eingesetzt werden könnten. “Denkbar ist, dass sie administrative Arbeiten übernehmen und Lehrpersonen in gewissen integrativen und separativen Settings unterstützen können, ihnen im Leistungszug A zur Seite stehen oder etwa im Sportunterricht mithelfen.”

Aber auch er hebt den Mahnfinger: “Die Zivis dürfen nicht zur Belastung und quasi zu zusätzlichen Schülern werden, die ebenfalls betreut werden müssen.” Auch merkt er an, dass der Einsatz von Zivildienstleistenden das grundsätzliche Problem des Lehrermangels nicht beheben könne.

“Notfallmässig” auch Lehrer ohne Ausbildung

Allein in den kommenden zehn Jahren werden nur schon im Kanton Baselland rund 1100 Lehrerinnen und Lehrer pensioniert. Bekannt ist, dass bereits heute viele Stellen von Lehrerinnen und Lehrern ohne entsprechendes Diplom besetzt sind – auch wenn keine Zahlen darüber verfügbar sind.

Dass der Lehrermangel ein Problem ist, räumt die Bildungsdirektion aber ein. Unter anderem will sie deshalb künftig vermehrt “notfallmässig” auf den Einsatz von pensionierten Lehrerinnen und Lehrern zurückgreifen. Auch ist geplant, ein Mentoring-Programm für unausgebildete Lehrerinnen und Lehrer sowie Berufseinsteiger auf die Beine stellen. Für Kirchmayr geht es nicht schnell genug. “Ich hätte mir das schon ab diesem Sommer gewünscht”, sagt er.

Der Baselbieter Landrat hat am Donnerstag ein Postulat von Marc Scherrer (Mitte) überwiesen, wonach die Zulassungsbedingungen für die Pädagogische Hochschule (PH) gelockert werden sollen. Heute braucht es die gymnasiale Matura oder eine Fachmaturität Pädagogik, um die Lehrerausbildung in Angriff zu nehmen. Ausnahmen gibt es nur für jene, die Berufserfahrung haben und über 27 Jahre alt sind. “In Zeiten von Lehrermangel ist das jedoch zu wenig”, schreibt Scherrer in seinem Vorstoss. Eine Mehrheit des Parlaments spricht sich für sein Anliegen aus, wonach der Regierungsrat prüfen soll, sämtliche Berufs- und Fachmaturanden zuzulassen.

The post Zivis sollen “in schwierigen Situationen” eingesetzt werden first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/12/zivis-sollen-in-schwierigen-situationen-eingesetzt-werden/feed/ 4
Rund 90 Prozent aus Familien ausländischer Herkunft – alle schaffen den Abschluss https://condorcet.ch/2023/09/rund-90-prozent-aus-familien-auslaendischer-herkunft-alle-schaffen-den-abschluss/ https://condorcet.ch/2023/09/rund-90-prozent-aus-familien-auslaendischer-herkunft-alle-schaffen-den-abschluss/#comments Sat, 30 Sep 2023 09:56:07 +0000 https://condorcet.ch/?p=15048

Einer privaten Sekundarschule in Berlin-Wedding gelingt das, woran die staatlichen Nachbarschulen scheitern: Sie bringt alle Jugendlichen zu einem Abschluss – egal, wie wenig Deutsch sie anfangs können oder wie wenig sie in der Grundschule gelernt haben. Was ist ihr Erfolgsrezept? Ein Bericht der Journalistin Freia Peters, der in der WELT erschienen ist.

The post Rund 90 Prozent aus Familien ausländischer Herkunft – alle schaffen den Abschluss first appeared on Condorcet.

]]>

Die Jugendlichen, die an diesem Morgen in das unscheinbare Schulgebäude in Berlin-Wedding schlendern, sind nicht anders als die in der Nachbarschule ein paar Straßen weiter: Rund 90 Prozent der Schüler stammen aus Familien nicht-deutscher Herkunft. Ebenso viele sind lernmittelbefreit, sie müssen also keine Zuzahlung für Schulbücher leisten, weil ihre Eltern Arbeitslosengeld, Wohngeld oder weitere Sozialtransfers beziehen.

Gastautorin Freia Peters

Und doch blicken die Schüler der Privatschule im Gewerbegebiet gegenüber der Senffabrik einer etwas rosigeren Zukunft entgegen: Sie haben eine bessere Chance auf einen anerkannten Schulabschluss.

Alle Zehntklässler haben im vergangenen Sommer unsere Schule mit einem Abschluss verlassen“, sagt Schulleiter und Quereinsteiger Pantelis Pavlakidis, 37 Jahre alt. Seit fünf Jahren leitet er die freie Quinoa-Schule, die mehr Chancengleichheit bieten will und damit sehr erfolgreich ist.

An den anderen Sekundarschulen in Berlin-Mitte verfehlten im vergangenen Jahr neun Prozent den untersten Abschluss Berufsbildungsreife. Weit mehr als die Hälfte der Schüler hingegen schaffte sogar den mittleren Schulabschluss auf der Quinoa-Schule. Die ist benannt nach der Pflanze, die auch auf kargem Boden gedeiht.

Gute Beziehung zum Lehrer schafft Lernmotivation

Damit die Leistung der Schüler wächst, so der Leitgedanke der Schule, brauchen sie vor allem eine gute Beziehung zum Lehrer. „Je besser diese ist, desto stärker steigt die Leistung. Denn Bindung schafft Lernmotivation“, erklärt Pavlakidis. „Und die Tragfähigkeit der Beziehung verpflichtet auch dazu, sein Bestes zu geben.“ Also hat jeder der 170 Schüler einen Tutor aus dem pädagogischen Team aus Lehrern, Sonderpädagogen und Lerntherapeuten. Die jeweilige Lehrkraft nimmt sich mindestens alle zwei Wochen Zeit und spricht mit seinem Mentor-Schüler: Wie läuft es?

Schulleiter Pantelis Pavlakidis (Bild: Martin U.K. Lengemann/WELT)

Den Lehrern ist das möglich, weil der Bindungsaufbau als Arbeitszeit anerkannt wird – dafür müssen sie weniger unterrichten, bekommen aber auch weniger Gehalt. „Zudem haben wir hier flache Hierarchien und ein sehr kollegiales Klima.“ Das scheint vielen Lehrern wichtiger zu sein als das Gehalt: Wenn Pavlakidis eine freie Stelle zu besetzen hat, kann er sich den besten Kollegen aus mehreren Bewerbungen herausfischen – und das, obwohl für das Schulbudget ständig aufs Neue geworben werden muss: 75 Prozent deckt der Berliner Senat; für den Rest müssen Spenden akquiriert werden.

„Was aber allen gemein ist: Sie wollen, dass ihre Kinder einen Schulabschluss machen.“

Lerntherapeutin Stefanie Böjty-Ohler nimmt all das gerne in Kauf. „Ich habe in den vergangenen Jahren einen guten Einblick in die türkische und arabische Kultur bekommen“, sagt sie. Lange habe sie in einem gut situierten Viertel gearbeitet, viel mit Eltern zu tun gehabt, die ihrem Kind trotz Lese-Rechtschreib-Schwäche unbedingt die dritte Fremdsprache beibringen wollten. An der neuen Schule ergebe ihre Arbeit mehr Sinn. Sie lerne die Familien kennen, besuche ihre Schüler zu Hause. „Die Eltern reagieren sehr unterschiedlich auf mich und unsere Gespräche“, erzählt sie. „Was aber allen gemein ist: Sie wollen, dass ihre Kinder einen Schulabschluss machen.“

Dahin zu kommen sei keine einfache Aufgabe. „Wenn die Schüler in der siebten Klasse zu uns kommen, sind bei einem Großteil der Schüler – circa 80 Prozent – die Rechtschreibleistung und Lesekompetenz unterdurchschnittlich“, sagt Böjty-Ohler, „und was wir dann oft zu hören bekommen ist: ‚Ich kann das eh nicht, ich bin dumm‘. Meine Aufgabe ist es dann erst mal, das Selbstwertgefühl der Schüler zu stärken und zu bekräftigen: Du schaffst das! Wir schaffen das!“

Erst mal flüssig lesen – auch mit Lücken

Böjty-Ohler steigt die Treppe hinauf, hinein in den Klassenraum, in dem der Grundkurs Deutsch der neunten Klasse stattfindet. Die Jugendlichen sind 14, 15 Jahre alt. An den Tischen sitzen vier Mädchen und acht Jungen – halt, sieben Jungen, der achte ist der Lehrer: Tamer Cinar ist Referendar – sehr jung, schwarzes Jackett, Silberkette, die Haare am Hinterkopf abrasiert.

Gemeinsam lesen sie das Buch „Sonne und Beton“ über Jugendliche in Berlin-Neukölln, die abhängen, kiffen und in ihrer Schule die neuen Computer klauen wollen.

Referendar Tamer Cinar (M.) – Bild: Martin U. K. Lengemann/WELT

Die Schüler (Namen im Folgenden geändert) lesen nacheinander laut ein Kapitel des Buches vor. Kemal spricht leise, während er seinen Kopf in der Schulter vergräbt. Laila liest stockend weiter. Referendar Cinar unterbricht nicht, wenn sie einen Artikel oder das Verb weglässt; oder wenn sie „Computers“ sagt statt „Computer“.

Später wird Cinar erklären, dass er die Schüler nicht korrigiere, weil das primäre Ziel sei, mit ihnen das flüssige Lesen zu üben – was nicht möglich wäre, wenn er dauernd unterbrechen würde. Die „Sprachbooster“ kommen später im Schuljahr.

Vom Diplomatenkind bis zu syrischen Geflüchteten

Cinar ist Referendar kurz vor seinem zweiten Staatsexamen. Einen Teil seiner Ausbildung macht er an der Quinoa-Schule in Berlin-Wedding, einen anderen am altsprachlichen Canisius-Kolleg in freier Trägerschaft des Jesuitenordens. So begegnet er der vollen Bandbreite der Berliner Schüler – vom Diplomatenkind bis zu syrischen Geflüchteten. Ein Mädchen aus der Klasse habe nach der Flucht aus Aleppo drei Jahre lang nicht gesprochen. Seit Kurzem antworte sie, wenn Cinar ihr eine Frage stelle, erzählt er. „Solche Erfolgsmomente geben mir einen großen Motivationsschub.“

Anschließend sollen die Schüler einen Lückentext ausfüllen. Die Schüler sollen die Rolle des Anstifters unter den Schülern in der Geschichte herausarbeiten, er heißt Sanchez. „War es Sanchez‘ Idee, die Computer zu klauen?“, hakt Böjty-Ohler nach. „Ich hab das nicht verstanden“, sagt Larissa. „Wer ist Sanchez noch mal?“

Böjty-Ohler: „Ein Korrigieren der Groß- und Kleinschreibung würde den Rahmen sprengen“

Auch hier sollen die Anforderungen nicht hoch gehängt werden. Es reicht, wenn die Schüler auf die Frage nach dem Standpunkt von Sanchez „war dafür“ hinschreiben. Es muss kein ganzer Satz sein. In der Prüfung zur Berufsbildungsreife ist es vor allem wichtig, dass die Schüler den Text verstanden haben.

„Ein Korrigieren der Groß- und Kleinschreibung würde den Rahmen sprengen“, sagt Böjty-Ohler nach der Stunde. „Die Baustellen sind so riesig, da muss man priorisieren.“ Wenn man nur früher ansetzen könnte, nicht erst mit zwölf Jahren. „Es wäre besser, wir hätten sie schon ab Klasse fünf“, findet auch Schulleiter Pavlakidis.

Auch Eltern müssen an ihre Verantwortung erinnert werden

Berlin und Brandenburg sind die einzigen Bundesländer, in denen die Grundschule sechs Jahre dauert, daran hat sich seit der Nachkriegszeit nichts geändert. Vor allem grüne Bildungsexperten sind nach wie vor von der späten Trennung der Kinder überzeugt, sie vermindere die sozialen Ungleichheiten. Doch bei den Lesefähigkeiten der Grundschüler rangiert Berlin stets auf den hintersten Plätzen.

„Gezielte Förderung nach der fünften Klasse – vor allem im sprachlichen Bereich – würde vielen Schülern einen besseren Abschluss ermöglichen“, resümiert Pavlakidis.

Die Quinoa-Schule in Berlin-Wedding
(Bild:: Martin U. K. Lengemann/WELT)

Auch viele Eltern müssten eher an ihre Verantwortung erinnert werden. „Können Sie mal eine Regel machen, dass die Kinder mit Rucksack in die Schule gehen sollen?“, bat jüngst eine Mutter auf der Elternversammlung. „Meine geht immer nur mit einem kleinen Täschchen los.“ Eine andere Mutter erwiderte: „Aber das ist doch eigentlich Ihre Verantwortung.“

„Ich habe dank dieser Schule das Beste aus mir herausgeholt!“

„Da muss ich zustimmen“, sagte Pavlakidis, nachdem er diese Anekdote erzählt hat. Sie zeige, wie wichtig es sei, die Eltern in die Schularbeit einzubeziehen. „Wir versuchen, den Schüler nicht nur als jungen Menschen zu sehen, dem wir etwas beibringen wollen, sondern auch als Kind seiner Eltern, eben mit all dem, was seine Biografie ausmacht“, sagt Pavlakidis. Der Erfolg gibt ihm recht.

„Ich habe dank dieser Schule das Beste aus mir herausgeholt!“ Mit diesem Satz einer ehemaligen Schülerin wirbt die Schule auf ihrer Website. Sie macht demnach gerade ihr Abitur. Ihr Berufswunsch: Neurochirurgin.

The post Rund 90 Prozent aus Familien ausländischer Herkunft – alle schaffen den Abschluss first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/09/rund-90-prozent-aus-familien-auslaendischer-herkunft-alle-schaffen-den-abschluss/feed/ 1
Von Langnau nach Spiez: Lehrer Aebi teilt aus – und zieht weiter https://condorcet.ch/2023/07/von-langnau-nach-spiez-lehrer-aebi-teilt-aus-und-zieht-weiter/ https://condorcet.ch/2023/07/von-langnau-nach-spiez-lehrer-aebi-teilt-aus-und-zieht-weiter/#respond Tue, 11 Jul 2023 12:57:38 +0000 https://condorcet.ch/?p=14531

Irgendwie passt es zu ihm, dem Reformkritiker, der vor zwanzig Jahren kantonsweit in Erscheinung trat. Kurz vor Schluss nochmals ein bisschen Action. Nochmals ein bisschen Wirbel. Statt den 37 Jahren als Sekundarlehrer in Langnau noch eine gemütliche Ehrenrunde folgen zu lassen, wechselt Andreas Aebi, Condorcet-Autor, ein Jahr vor der Pensionierung an die Schule in Spiez. Dreimal pro Woche wird er ab nächstem Schuljahr mit dem Zug von der Ilfis an den Thunersee pendeln. Ein Bericht von Tamedia-Journalist Dölf Barben.

The post Von Langnau nach Spiez: Lehrer Aebi teilt aus – und zieht weiter first appeared on Condorcet.

]]>

Mit der Art und Weise, wie das neue, durchlässige Oberstufenmodell umgesetzt wird, habe er sich nicht anfreunden können: So wird sein vorzeitiger Abgang in der Langnauer Dorfzeitung begründet. Daneben wird Aebi gepriesen für seinen Ideenreichtum, sein Engagement, seinen begeisternden Unterrichtsstil. “Andreas, wir danken dir für alles, was du für die Schulen Langnau geleistet hast”, schreibt der zuständige Gemeinderat.

Das war offensichtlich nicht wenig: Aebi war Klassenlehrer, Schulleiter und zuletzt Fachlehrer. Er hat Theaterstücke aufgeführt, die er selbst geschrieben hat. Er verfasste ein Buch über die Schule, eine regelrechte Liebeserklärung an den Beruf. Er werde vermutlich bis zum letzten Schultag mit einem Kribbeln im Bauch zum Schulhaus radeln, stellte Aebi einmal fest und verriet, wie das Unterrichten ihm Seelenglück beschert.

    “Ich war nicht nur Opfer, sondern auch Täter.”

Andreas Aebi über die jüngste Vergangenheit in Langnau

 

Sich vorzeitig von der Langnauer Schule zu verabschieden, war nicht einfach. Daraus macht er kein Geheimnis. Er verschweigt auch nicht, dass es Streit gegeben hat und es zu Verletzungen kam. Er ist aber nicht der Typ, der nun alles richtigstellen und recht haben will. “Ich war nicht nur Opfer, sondern auch Täter.”

Bis zum letzten Schultag ein Kribbeln im Bauch

Er bestätigt lediglich, was in der Dorfzeitung stand: Dass es die Umsetzung war, die ihm nicht passte, nicht das neue Oberstufenzentrum an und für sich. Langnau habe mit dem Wechsel auf ein durchlässiges Modell in erster Linie sparen wollen – “man wollte eine Änderung zum Lidl-Tarif –, das ist das Problem”.

Ohne die ganze Geschichte aufrollen zu wollen: Was sagt Gesamtschulleiter Markus Brandenberger zu diesem einen Punkt? Er widerspricht. Selbstverständlich dürfe man ökonomische Überlegungen nie ausser Acht lassen, sagt er, aber bei diesem Modellwechsel “stand sehr schnell die Durchlässigkeit zwischen den Klassen im Zentrum”.

“Man wollte eine Änderung zum Lidl-Tarif -, das ist das Problem.”

Diese jüngste Episode allein böte Stoff genug für einen Zeitungsartikel. Der Grund, über Andreas Aebi zu schreiben, ist aber ein anderer. Es ist seine Bekanntheit, die er vor Jahren schon als sogenannter Reformkritiker erlangte. Und seine besondere Persönlichkeit.

Leute, die ihn kennen, bezeichnen ihn als “Bilderbuchlehrer”, als spannenden, witzigen Gesprächspartner, aber auch als “absolutes Alphatier”. Wenn ihm etwas nicht passe, könne es schon einmal “chrisasten”, also laut werden. Handkehrum sei er nicht nachtragend.

Freistösse aus 18 Metern

Aebi ist zudem mit dem ausgeprägten Bedürfnis ausgestattet, seine Gedanken zu teilen; er tut es auf originelle Weise und nicht ohne Selbstironie. Auf seiner reich bestückten Website schreibt er beispielsweise unter dem Stichwort Begabung Folgendes: Vor 35 Jahren sei er als Fussballer spezialisiert darauf gewesen, Freistösse aus 18 Metern mit dem linken Fuss ins Lattenkreuz zu schiessen.

Die Freude am Fussball hat ihm übrigens zu einem weiteren Standbein verholfen: Er war Fussballtrainer von Frauenteams – zunächst in Langnau, später bei den Young Boys. Und schliesslich war er Ressortleiter Frauenfussball beim Fussballverband Bern-Jura.

Diese Geschichte wird erst vollständig verständlich, wenn man weiss, dass eine seiner beiden Töchter Fussballerin ist. Und zwar nicht irgendeine: Lia Wälti – sie trägt den Nachnamen von Aebis Ehefrau Monika Wälti – ist eine der bekanntesten Profispielerinnen der Schweiz. Sie ist Kapitänin der Nationalmannschaft und steht beim englischen FC Arsenal unter Vertrag. Die ersten Dribblings machte sie in einem von ihrem Vater trainierten Juniorinnenteam.

Lia Wälti hat erreicht, wovon ihr Vater womöglich träumte: Tore schiessen für das Fussball-Nationalteam. Foto: Christian Merz (Keystone)

In der Bildungsszene ging sein Stern als Reformkritiker vor zwanzig Jahren auf. Andreas Aebi war Initiant und Koordinator der Aktion “SchüBe Halt”. SchüBe stand für Schülerbeurteilung Bern. Für ihn war es “nicht normal”, wie mit diesem System Schulkinder ausgemessen werden sollten. Viele andere Lehrerinnen und Lehrer dachten gleich. Das Vorhaben wurde gebodigt. Damit habe er sich bei der damaligen Erziehungsdirektion einen gewissen Respekt verschafft, sagt Aebi heute.

“Beim Lehrplan 21 waren wir da ziemlich extrem.”

Zehn Jahre später war er wieder an vorderster Front dabei, um “die Protestkeule zu schwingen” – diesmal gegen den neuen Lehrplan. Die Gruppe, die sich formierte, trug den einprägsamen Namen “550 gegen 550”. Was so viel bedeutete wie 550 Lehrerinnen und Lehrer gegen einen Lehrplan, den Aebi mit seinen 550 Seiten als viel zu dick empfand. Schliesslich waren es über 1400 Lehrkräfte, die das Anliegen unterstützten und eine “umfassende Überarbeitung” des “monumentalen Regelwerks der Bildungsbürokratie” forderten.

Die Aktion entwickelte zwar nicht die gleiche Durchschlagskraft wie bei “SchüBe”. Aebi aber wurde von der Bildungsdirektion als Praktiker eingeladen, wurde angehört und konnte bei der Überarbeitung direkt Einfluss nehmen.

Emmentaler Pendant zu Alain Pichard

Da war Aebi längst zum Emmentaler Pendant des Bieler Lehrers und Schulkritikers Alain Pichard geworden. Die beiden haben öfters zusammengearbeitet. Beide sind Spezialisten darin, sich pointiert zu äussern, gar zu provozieren – so sehr, dass sie für manche Berufskolleginnen und -kollegen zuweilen bloss noch hochdrehende Nervensägen sind. Selbst wenn sie in der Sache recht haben.

Das Spiel mit der Sprache hat System. Früh habe er gelernt, sagt Aebi, dass man bei einer Diskussion “hineinfahren” müsse. “Wenn du es nicht tust, hört dich niemand.” Und die leichte Übertreibung gehöre ebenso in den Werkzeugkasten eines Kritikers. “Beim Lehrplan 21 waren wir da ziemlich extrem”, erzählt er.

Aebis Freude am Formulieren ist unverkennbar: Wäre bei anderen die Rede von Bildungsexperten, die sich bitteschön etwas mehr mit der Praxis befassen sollten, spricht er von “Kompetenz-Gurus auf fliegenden Teppichen, die man auf den Boden der Realität zurückholen muss”. Mit solchen Sätzen liess er sich vor zehn Jahren im “Bund” zitieren.

Auf den Teppich der Praxis herunterholen

Und weil es so schön war, variierte er solche Sätze und liess im nächsten Text “Missionarinnen des Lehrplans 21 vom siebten Himmel auf den Teppich der Praxis herunter holen” – zum Beispiel vom damaligen Bildungsdirektor Bernhard Pulver, den er zuweilen hemmungslos lobte, etwa “als Meister des Machbaren” oder als “Fahnenträger der pädagogischen Freiheit”.

Mit dem Theaterstück “Life is a Magic Cube”, das er mit seiner letzten Deutschklasse aufführte, hat sich Andreas Aebi als Lehrer von Langnau verabschiedet. Foto: Nicole Philipp

Die Zusammenarbeit mit Alain Pichard hatte für Aebi jedoch Grenzen. Als der Bieler vermehrt in der rechtsbürgerlichen “Weltwoche” Präsenz markieren konnte, schreckte Aebi zurück. Eine Koalition mit der SVP, die beim Lehrplan 21 den “Übungsabbruch” anstrebte, kam für ihn als Linken nicht infrage. Ein Linker war er zweifellos; in den 1990er-Jahren sass er im Langnauer Gemeindeparlament – als Parteiloser zwar, aber als Mitglied der SP-Fraktion.

“Eifach Schuel gä!”

Doch worum geht es Andreas Aebi in der Schule? Liest man seine Texte, scheint alles auf einen Punkt zuzulaufen. Den Lehrerinnen und Lehrern soll genug Raum bleiben fürs Eigentliche: für das Unterrichten. “Eifach Schuel gä!”, nennt Aebi das.

Als “alter Fuchs” möchte er junge Berufsleute ermutigen und stark machen: Damit sie sich vom “immer noch viel zu dicken Lehrplan” und all den administrativen Pflichten nicht erdrücken lassen.

Klage über notorische Verweigerung von gründlichen Debatten

Erstaunlich aber bleibt, dass es ihm selbst letztlich nicht gelingen wollte, mit den Veränderungen an der eigenen Schule zurechtzukommen – sodass der Abgang unvermeidlich wurde.

Vielleicht ist es das Schicksal von Menschen, die gern Kritik üben und dies auch noch lustvoll und in geschmeidigen Sätzen tun: Wenn die Leute, von denen sie Antworten erwarten, stumm bleiben, kann es schnell still werden um sie.

Womöglich geht es genau darum: In seiner letzten Kolumne im Parteiblatt der Langnauer SP beklagte sich Aebi über das “notorische Verweigern von gründlichen Debatten” in der Lokalpolitik. Dabei sei es stets sein Ziel gewesen, mit seinen Texten zumindest “Gegenattacken” auszulösen, sagt er. “Aber die kamen nicht.”

The post Von Langnau nach Spiez: Lehrer Aebi teilt aus – und zieht weiter first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/07/von-langnau-nach-spiez-lehrer-aebi-teilt-aus-und-zieht-weiter/feed/ 0
Hausaufgaben – Selbständig oder gar nicht https://condorcet.ch/2023/05/hausaufgaben-selbstaendig-oder-gar-nicht/ https://condorcet.ch/2023/05/hausaufgaben-selbstaendig-oder-gar-nicht/#comments Tue, 02 May 2023 15:10:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=13801

Die Hausaufgabenforschung stellt Erkenntnisse zur Verfügung, welche Lehrerinnen und Lehrer praktisch anwenden können. Eine solche Handhabung der Hausaufgaben ist für alle Beteiligten ein Gewinn und eine Entlastung. Ein Beitrag von Gastautor Lukas Fürrer.

The post Hausaufgaben – Selbständig oder gar nicht first appeared on Condorcet.

]]>

Mit Blick auf einige Ergebnisse der Hausaufgabenforschung lassen sich vorab drei Aussagen machen. Erstens ist der Gegenstand in seiner Untersuchung nicht einfach, gerade wenn beispielsweise die Auswirkungen von Hausaufgaben auf die Schulleistung nachgewiesen werden sollen. Die Hausaufgabenforschung kommt aber durchaus zu konsistenten Befunden. Zweitens lassen sich einige Erkenntnisse aus der Forschung ziehen, welche jede Lehrperson praktisch in ihren Unterricht integrieren kann. Drittens sind Hausaufgaben ein emotionales Thema. Der Gegenstand eignet sich deshalb nicht für Revolutionen (Abschaffung), sondern für Evolutionen — ganz im Sinne der hier diskutierten Ergebnisse.

Lukas Fürrer, Generalsekretär Direktion für Bildung und Kultur Kanton Zug
Lukas Fürrer, Generalsekretär der Direktion Bildung und Kultur des Kantons Zug

Oberstufe: Positive Wirkung

In einer Studie von Ulrich Trautwein et al. von 2001 zum Thema «Hausaufgaben und die Entwicklung von Leistung und Interesse im Mathematik-​Unterricht der 7. Jahrgangsstufe» kommen die Autoren zum Schluss, dass regelmässige Hausaufgaben einen förderlichen Einfluss, lange Hausaufgaben allerdings einen gegenteiligen Effekt hätten. Dass lange Hausaufgaben zu einer beobachtbaren Reduktion der Leistungsunterschiede innerhalb einer Klasse führen würden, sei zwar ersichtlich, doch sei dies dem Umstand geschuldet, dass eine Leistungshomogenisierung mehrheitlich zu Lasten der starken Schüler ginge, die von langen Hausaufgaben nicht profitierten. Sprich: Lange Hausaufgaben führten zu einer Nivellierung nach unten. Und eine weitere Erkenntnis: Würden die Eltern oder andere Familienangehörige die Hausaufgaben beaufsichtigen, hätte dies ebenfalls einen nachteiligen Effekt auf den Lernfortschritt.

Lange Hausaufgaben führten zu einer Nivellierung nach unten.

Insgesamt belegt die Studie die positiven Wirkungen von häufigen Hausaufgaben und die negativen Wirkungen von umfangreichen Hausaufgaben. Das Ergebnis, so die Autoren, dass umfangreichere Hausaufgaben in den untersuchten Klassen mit weniger Lernfortschritt einhergingen, sei als Aufruf zu verstehen, die Art und Qualität von Hausaufgaben sowie die verfolgten Ziele genauer zu untersuchen. Und weiter: Wiederholt sei in diesem Kontext auch darauf hingewiesen worden, dass die beobachtbare Planung und Gestaltung der Hausaufgaben durch die Lehrpersonen wiederum eine Folge von Defiziten bei der Lehrerausbildung sein könnte.

Aufgrund dieser Studie – im Bericht dazu werden zahlreiche weitere Studienergebnisse zum Thema diskutiert – lassen sich vier praktische Schlüsse ziehen:

  • Regelmässige Hausaufgaben sind richtig.
  • Umfangreiche Hausaufgaben sind falsch.
  • Hausaufgaben, welche nicht selbständig gelöst werden können, sind falsch.
  • Die korrekte Handhabung der Hausaufgaben muss Gegenstand der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sein.

Primarschule: Wirkung beinahe null

In einem Interview mit BBC Radio 4 äusserte sich John Hattie zum Thema Hausaufgaben. Die Wirkung von Hausaufgaben in der Primarschule sei, so Hattie, beinahe null, auf der Sekundarstufe grösser. Es könne aufgrund dieser Erkenntnis aber nicht darum gehen, die Hausaufgaben in der Primarschule abzuschaffen. Viele Eltern würden die Qualität einer Schule nach wie vor mit dem Vorhandensein von Hausaufgaben verbinden. Aber es lohne sich, gerade im Bereich der Primarschule, die Frage nach der Wirkung von Hausaufgaben zu stellen. Hattie empfiehlt, die Null-​Wirkung als Anlass für eine Verbesserung der Situation und nicht für die Abschaffung zu nehmen. Er sei aber klar der Ansicht, dass wir es mit den Hausaufgaben übertreiben würden. Fünf bis zehn Minuten hätten die gleiche Wirkung wie eine oder zwei Stunden. Die schlechteste Lösung aus Sicht Hatties: den Kindern Projekte als Hausaufgaben geben. Die beste Lösung: Die Hausaufgaben sollen bei der Vertiefung von etwas bereits Gelerntem helfen.

Lieber oft als viel

Die Erkenntnisse von Trautwein et al. widersprechen den Erkenntnissen der Metastudie (Untersuchung zahlreicher Studien) von Hattie nicht. Richtig umgesetzt, beeinflussen Hausaufgaben die Schulleistungen auf der Oberstufe positiv. Beim Umfang ist allerdings auch auf der Oberstufe Zurückhaltung angezeigt. Trautwein et al. liefern dazu eine einprägsame Hausaufgabenformel: Lieber oft als viel. Müssen Eltern bei den Hausaufgaben helfen, verpufft der positive Effekt.

Das Einüben der selbständigen Tätigkeit muss das Ziel sein, nicht eine grosse Verarbeitungsmenge.

In der Primarschule ist Zurückhaltung bei der Hausaufgabenmenge Pflicht. Eine Abschaffung der Hausaufgaben auf dieser Stufe würde sich nicht negativ auf die Schulleistungen auswirken. Allerdings: Wenn Hausaufgaben auf der Oberstufe einen positiven Effekt haben, dann macht es durchaus Sinn, das selbständige Vertiefen zu Hause schon in der Primarschule einzuüben. Bei der Hausaufgabenmenge dürfen und sollen sich Primarlehrpersonen allerdings getrost zurückhalten. Das Einüben der selbständigen Tätigkeit muss das Ziel sein, nicht eine grosse Verarbeitungsmenge. Für alle Lehrpersonen gilt: Die Schülerinnen und Schüler müssen die Hausaufgaben zwingend selbständig lösen können.

 

Quellen:
Trautwein, Ulrich / Köller, Olaf / Baumert, Jürgen (2001): Lieber oft als viel: Hausaufgaben und die Entwicklung von Leistung und Interesse im Mathematik-​Unterricht der 7. Jahrgangsstufe. In: Zeitschrift für Pädagogik, 47, 5, S. 703-724. Online abgerufen am 24.03.2015.

John Hattie auf BBC Radio 4. Online abgerufen am 24.3.201

The post Hausaufgaben – Selbständig oder gar nicht first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/05/hausaufgaben-selbstaendig-oder-gar-nicht/feed/ 2