Lernerfolg - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sat, 13 Jan 2024 11:18:25 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Lernerfolg - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Liebe Musliminnen, liebe Muslime https://condorcet.ch/2024/01/liebe-musliminnen-liebe-muslime/ https://condorcet.ch/2024/01/liebe-musliminnen-liebe-muslime/#respond Fri, 12 Jan 2024 14:41:12 +0000 https://condorcet.ch/?p=15507

Condorcet-Autor Alain Pichard bezeichnet sich als Anwalt der Migrantenkinder. Aber, so betonte er stets, Integration sei keine Einbahnstrasse. In diesem Text verbeugt er sich aber vor der grossen Anpassungsleistung der Muslime in unserem Land. Sie bringen ihrer Heimat viel und sie sind die Mehrheit.

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Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Eine starke Gründungsmentalität.

Ich komme schon bei dieser Anrede ins Straucheln. Denn angenommen, ich lebte in einer muslimisch geprägten Umgebung und würde in einem Artikel mit «liebe Christen» angesprochen werden, würde ich mich als Konfessionsloser gar nicht erst angesprochen fühlen. So musste ich zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, dass gemäss einer Studie, der Anteil der Konfessionslosen bei Ihnen höher liegt als bei den Christen. Wer hätte das gedacht?

Über 5000 Mitbürgerinnen und Mitbürger, die als Muslime bezeichnet werden, leben derzeit in Biel. Das sind 10%. Die Zusammensetzung dieser Population unterscheidet sich stark von der in Frankreich. Während unser westliches Nachbarland über 7 Millionen Menschen vorwiegend mit maghrebinischen Wurzeln aufweist, zählen wir in unserer Stadt wesentlich mehr Leute aus dem Balkan und der Türkei. Dieses Zusammenleben ist nicht spannungsfrei, aber weit von den Zuständen in den französischen Banlieues entfernt.

Die Beziehung zwischen uns beiden war nicht immer spannungsfrei. 2006 veröffentlichte ich mit drei Kollegen einen Artikel, in dem ich Sie daran erinnerte, dass die Integration keine Einbahnstrasse sei und den mangelnden Lernwillen zahlreicher Migrantenkinder beklagte. Anders als bei den Leuten, die sich Sorge um eine allfällige Überfremdung unseres Landes machen, ging es mir immer um die mir anvertrauten Kinder. Und ich sagte Ihren Kindern immer, dass sie mehr arbeiten müssten als ihre Schweizer Kameraden, das Los jeder Migration. Ein paar Jahre später deckte ich die Machenschaften des Islamrats auf, der Jugendliche aus Biel indoktrinierte und sie in sogenannte Koranschulen schickte, wo einige von ihnen für den Dschihad rekrutiert wurden. Im linken Milieu warf man mir eine Islamophobie vor. Die Informationen zu diesen Vorgängen erhielt ich aber von muslimischen Eltern von Betroffenen, die völlig verzweifelt waren. Und viele von Ihnen kamen später auf mich zu, um sich bei mir zu bedanken.

Anders als bei den Leuten, die sich Sorge um eine allfällige Überfremdung unseres Landes machen, ging es mir immer um die mir anvertrauten Kinder.

Egal ob Bosnier, Albaner, Pakistaner, Türken oder Kurden, die meisten Kinder und Eltern, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, haben meine Anliegen verstanden. Während die Integrationsbehörden Ihnen die Umkehr aller Werte predigten, wonach bei einem Scheitern nicht Sie

Junge Muslime, die in der von unserem Autor gegründeten “Theaterzone Biel” mitwirkten.

sondern unser fremdenfeindlicher Staat die Verantwortung trägt, haben Sie erkannt, dass der Weg der Eigenverantwortung vielversprechender war. Sie haben mich an Ihre Feste und Hauseinweihungen eingeladen, Ihre Kinder haben in meinem Lehrlings- und Migrantentheater mitgewirkt und sind heute stolze Berufsleute.

Hüseyn stellte zum Beispiel sein Kebabrestaurant ohne zu zögern einer Orpunder Klasse zur Verfügung
Pajtime, die zusammen mit einer Jüdin die BESA-Ausstellung in Biel moderierte.

Wir sprechen viel über Integration, aber viel zu wenig über Selbstständigkeit. Ein Fehler, denn punkto Gründungsmentalität können wir viel von Ihnen lernen. Sie tragen erheblich zum Gründungsgeschehen in unserem Land bei. Hüseyn stellte zum Beispiel sein Kebabrestaurant ohne zu zögern einer Orpunder Klasse zur Verfügung, die eine Woche lang die harte Berufserfahrung im Gastronomiegewerbe kennenlernen durfte. Der Gemüseladen, den Akif und seine Familie betreiben und der natürlich auch an einem Sonntag geöffnet ist, bietet nicht nur spezielle Waren und eine überaus freundliche Bedienung, er ist ein Symbol Ihrer Schaffenskraft. An einer kürzlichen Klassenzusammenkunft erzählte mir Erdan, dass er jetzt endlich für seine Familie ein Haus kaufen konnte. Er kaufte es nicht hier, sondern in Kloten, wo der Fluglärm die Häuser billiger und die Steuern niedriger macht. Gleichzeitig gründete er eine Computerfirma. Nehat, der mir als Schüler den letzten Nerv ausgerissen hatte, ist nach einer Automechanikerlehre heute ein stolzer Carrosseriebesitzer. Wir fuhren oft zusammen an die Fussballmatches des FCB, in schicken Autos, die er mir mit Augenzwinkern präsentierte. Birsen, die stolze Kurdin, die nach einer Pflegefachlehre weiterstudierte und eine eindrückliche Karriere absolviert hat, vertraute mir an, dass sie dieses Dschihadgeschwätz nicht mehr ertragen könne. Ich erinnere mich an die Mazedonierin Pajtime, die zusammen mit einer Jüdin die BESA-Ausstellung in Biel moderierte. Die BESA-Ausstellung, welche die Rettung der Juden im 2. Weltkrieg durch die Albaner würdigte, hat mir das ganze Ausmass Ihres Erfolgs aufgezeigt.

Kurz, Sie wurden in unseren Arbeitsmarkt integriert, meistens durch eine Lehre. Nicht auszudenken, wie der Fachkräftemangel sich ausgewirkt hätte, wenn Sie und Ihre Kinder nicht wären.

Ich lernte Architekten, Ärzte, Juristinnen und Ingenieure kennen, Leute, die das Aufstiegsversprechen unseres Landes eingelöst haben, und natürlich immer wieder solide Handwerker. Während unsere Generation Z mit Teilzeitarbeit und Worklife-Balance durchs Leben schreitet und staunt, dass sie mit 30 kein Eigentum erwerben kann, arbeiten Sie in Schichten und mithilfe der ganzen Familie, um sich mit diesem Netz ein Haus leisten zu können. Als ich bei einer Hauseinweihung eingeladen war, schwärmte der frischgebackene Hausbesitzer, dass er schon wenige Wochen nach der Unterschrift im Grundbuchamt eingetragen war. In seinem Herkunftsland wäre dies, so sagte er mir, nicht ohne Schmiergeld gegangen und hätte mehr als ein Jahr gedauert. Kurz, Sie wurden in unseren Arbeitsmarkt integriert, meistens durch eine Lehre. Nicht auszudenken, wie der Fachkräftemangel sich ausgewirkt hätte, wenn Sie und Ihre Kinder nicht wären. Viele von Ihnen sind immer noch sehr israelkritisch. Sie akzeptieren aber, dass der Autor dieser Zeilen, der ehemalige Lehrer Ihrer Kinder, für dieses Land einsteht. Damit haben Sie auch ein wesentliches Prinzip unseres erfolgreichen Staates verstanden. Der Respekt vor anderen Meinungen. Es ist nicht der Islam, der zu uns gehört, es sind Sie, mit Ihrer grossen Anpassungsleistung und dem Willen, die Chance, die Ihnen unsere Gesellschaft bietet, zu ergreifen. Das ging nicht immer reibungslos und erforderte oft harte Arbeit. Und vor dieser kann man nur den Hut ziehen!

 

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Einfache Frage – einfache Antwort: Wozu sind wir in der Schule? https://condorcet.ch/2023/11/einfache-frage-einfache-antwort-wozu-sind-wir-in-der-schule/ https://condorcet.ch/2023/11/einfache-frage-einfache-antwort-wozu-sind-wir-in-der-schule/#comments Mon, 20 Nov 2023 12:23:27 +0000 https://condorcet.ch/?p=15330

Condorcet-Autor Urs Kalberer stellt mit seinem Beitrag eine einfache, aber existentielle Frage an unsere Institution. Und er gibt die Antwort.

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Urs Kalberer, Sekundarlehrer: Lernen, viel lernen

Die erste Frage des Katechismus lautet: «Wozu sind wir auf Erden?» Den Pensionierten unter uns dürfte die auswendig gelernte Antwort noch immer geläufig sein: «Wir leben auf Erden, um Gott zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen.» Das ist Klartext. Bezogen auf die Schule fällt uns die Antwort nicht mehr so leicht. Zu viel ist in den letzten Jahrzehnten geschehen. Die Schule, dieser Riesentanker auf offener See, geriet in dichten Nebel. Die Navigation wurde schwieriger, das Schiff kam vom Kurs ab, die Kapitäne zuckten mit den Achseln und blickten hilfesuchend durch ihre Ferngläser. Die Frage nach dem Ziel und Zweck der Schule wird je nach Situation anders gesehen. Eine Umfrage («Was macht eine gute Schule aus?») anlässlich eines Weiterbildungskurses an meiner Schule brachte die folgenden Antworten:

Haltungsbewusstsein – Reflexionsfähigkeit – Gelebter Respekt – Ressourcenorientierung – Tolle LP und SuS – Gute Infrastruktur – Beziehungskultur – Teamentscheide – Infrastruktur – Beziehung zur Klasse – Nicht stressige Atmosphäre – Guter Support von Schulleitung – Offenheit – Empathie – Diskussionskultur – Positive Grundhaltung – Teamarbeit – Jede Person wird akzeptiert, wie sie ist – Einhaltung von Regeln – Lebensweltbezug – Vielfältigkeit – Offen für Neues – Abwechslung – Kreativität – Unterrichtsqualität – Sicherheit – Gutes Arbeitsklima – Angenehmer Stundenplan – Gutes Material – Ehrlichkeit – Am gleichen Strick ziehen – Entwickelt sich gemäss den Ansprüchen der Gesellschaft – Auf Lehr- und Lernbedürfnisse ausgerichtet

Deshalb nun die Frage: Was ist denn die hauptsächlichste Aufgabe der Volksschule? Weshalb ist sie obligatorisch für alle Kinder? Ganz einfach: Die Schule ist fürs Lernen da. Eine gute Schule ist eine Schule, in der die Kinder viel lernen!

Schreiben lernen – eine anspruchsvolle Aufgabe (Bild: KEYSTONE)

Die Frage, was eine gute Schule ausmacht, hängt direkt mit dem Sinn und Zweck dieser Institution zusammen. Eine gute Schule ist demnach eine Schule, die ihren Zweck erfüllt. Doch machen die obgenannten, allesamt lobenswerten, Antworten wirklich eine gute Schule aus? Ist der Zweck der Schule wirklich, dass man im Team arbeitet oder ein vielseitiges Angebot bereitstellt? Geht es wirklich prioritär darum, Offenheit oder Empathie zu fördern? Mir scheint, das wichtigste Kriterium einer guten Schule sei vielen Lehrerinnen und Lehrern (und auch den Schulleitungen!) nicht mehr bewusst.

Deshalb nun die Frage: Was ist denn die hauptsächlichste Aufgabe der Volksschule? Weshalb ist sie obligatorisch für alle Kinder? Ganz einfach: Die Schule ist fürs Lernen da. Eine gute Schule ist eine Schule, in der die Kinder viel lernen! Was müssen sie denn alle wirklich können? Lesen, Schreiben und Rechnen. Und noch viel mehr, wenn man dem Lehrplan 21 gehorcht. Doch wir wissen, dass längst nicht alle Schüler nach neun Schuljahren lesen, schreiben und rechnen können. Vom Rest des im Lehrplan erwähnen Katalogs wollen wir gar nicht sprechen.

Entscheidend ist, was dank diesen Voraussetzungen erreicht wird.

Eine gute Schule ist also eine, in der die Schüler viel lernen. Eine schlechte Schule ist eine, in der die Schüler wenig lernen. So simpel kann es sein. Wenn eine Schule eine gute Infrastruktur bietet, alle gut miteinander auskommen und sich sicher fühlen, dann sind das gute Voraussetzungen fürs Lernen, aber dies reicht noch lange nicht, um als gute Schule bezeichnet werden zu können. Die vom Lehrerteam gegebenen Antworten sind demnach keine Indikatoren für eine gute Schule, sie sind bloss Voraussetzungen fürs Lernen. Entscheidend ist, was dank diesen Voraussetzungen erreicht wird. Was die Jugendlichen am Ende der obligatorischen Schulzeit nicht wissen oder können, das bleibt den meisten von ihnen auch später im Leben verschlossen. Weil dies so entscheidend für die Zukunft ist, muss man es auch mit Nachdruck einfordern: Lehrerinnen und Lehrer können noch so empathisch und mit einem grossen didaktischen Werkzeugkasten ausgerüstet sein – sie erfüllen ihren Auftrag nur, wenn die Kinder bei ihnen auch etwas lernen. Am besten Rechnen, Lesen und Schreiben.

Zugegeben: Hartnäckiges Fordern und Fördern ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Aber auf dem Weg in die pädagogische Meisterklasse führt nichts daran vorbei.

 

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Ein Drittel weniger Lernfortschritt, und es trifft die Schwächsten https://condorcet.ch/2023/02/ein-drittel-weniger-lernfortschritt-und-es-trifft-die-schwaechsten/ https://condorcet.ch/2023/02/ein-drittel-weniger-lernfortschritt-und-es-trifft-die-schwaechsten/#comments Thu, 02 Feb 2023 10:49:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=13036

Während der Pandemie haben Schüler mehr als ein Drittel des normalen Lernzuwachses pro Schuljahr weniger erreicht. Das zeigt eine aufwendige Analyse aus 15 Ländern. Ohnehin schwache soziale Gruppen sind besonders davon betroffen. Wir bringen einen Beitrag der WELT-Journalistin Sonja Kastilan.

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Sonja Kastilan, Journalistin DIE WELT

Wer hilft seinen Kindern schon gerne bei Mathe? Oder Physik? Lesen, ja, das geht oft einfacher, sofern man die Sprache selbst gut spricht. Deshalb mag es manche kaum überraschen, wenn jetzt eine Studie im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ feststellt, dass die Schulschließungen in den Anfängen der Covid-19-Pandemie sich vor allem auf die Rechenfähigkeiten auswirkten.

Dass Kinder jedoch im internationalen Durchschnitt mehr als ein Drittel weniger lernten als in normalen Schuljahren, ist dennoch ein bemerkenswert hoher Wert. Und dass dieser Verlust bis 2022 noch nicht wieder aufgeholt werden konnte, auch wenn es gelang, die Vergrößerung der bestehenden Lücken zu verhindern, sollte zu denken geben – und zu entsprechenden Fördermaßnahmen führen.

Die aktuell veröffentlichte Analyse der Lerndefizite umfasst 42 vergleichbare Studien aus 15 Ländern. Die Daten stammen vor allem aus Großbritannien und den USA; aber auch aus Deutschland sind vier Studien darunter. Neben den Defiziten in verschiedenen Schulfächern und Stufen wurden der soziodemografische Status und das Durchschnittseinkommen im jeweiligen Land erfasst.

Wie die Corona-Schulmisere Kindern das Lesenlernen erschwert

Wie sich zeigte, haben sich die Lernfortschritte während der Covid-19-Pandemie zunächst erheblich verlangsamt: Schülerinnen und Schüler lagen im Mittel 35 Prozent hinter dem üblichen Pensum zurück. Die größten Lücken wiesen Kinder mit einem niedrigen sozioökonomischen Status auf; zwischen den Klassenstufen – Grundschüler im Vergleich zu Kindern in der nächsten Stufe – ließen sich keine signifikanten Unterschiede erkennen.

Im Rahmen einer Pressekonferenz betonte der Bildungsforscher Bastian Betthäuser, Erstautor der Studie und derzeit am Centre for Research on Social Inequalities in Paris sowie an der Universität in Oxford beschäftigt, dass die Lernkrise durchaus eine Armutskrise sei. Durch die Schulschließungen wurden Kinder aus ärmeren Verhältnissen, denen zu Hause kein Computer zur Verfügung stand, mehr benachteiligt. Und die auch keine Möglichkeit hatten, sich zum Lernen in ein ruhiges Zimmer zurückzuziehen. Die größeren Defizite in Mathematik als im Lesen erklärt sich Betthäuser damit, dass die Eltern wohl an ihre Grenzen stießen, und es den meisten leichter falle vorzulesen.

Grundschüler haben im Wechselunterricht Luftballons mit Wünschen 2021 vor allem gegen die Corona-Einschränkungen beim Schulunterricht gestaltet, hier in einer Grundschule in Haar bei München. (Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Auf globaler Ebene betrachtet, lägen Länder mit geringerem Bruttoeinkommen wie etwa Mexiko oder Brasilien hinter wohlhabenden Nationen zurück, was die Kluft vergrößere; aus Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen konnten keine Untersuchungen berücksichtigt werden. Manchmal genügten allerdings schlichte Mittel, etwa SMS-Botschaften, um Kinder entweder mit Mathe-Aufgaben zu versorgen oder sie zu motivieren – erfolgreich, wie Daten aus in Botsuana und Brasilien belegen.

„Diese Studie ist methodisch sehr gut angelegt. Wichtig ist bei solchen Meta-Analysen, dass die Qualität der Einzelstudien, die in die Auswertung einfließen, ganz genau geprüft wird. Das ist hier offenbar sehr akribisch erfolgt“, erklärt Benjamin Fauth, Leiter der Abteilung Empirische Bildungsforschung am Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg, gegenüber dem deutschen „Science Media Center“. Bei der Interpretation der Befunde müsse berücksichtigt werden, dass hier Studien aus unterschiedlichen Ländern eingeflossen sind, deren Ergebnisse zum Teil nicht auf die deutschen Bildungssysteme übertragen werden können.

Ungleiche Verteilung von Lernrückständen

„Aber insgesamt sehen wir auch hierzulande Lernrückstände, und wir sehen vor allem auch deren ungleiche Verteilung: Schülerinnen und Schüler, die es vor der Pandemie schon schwerer hatten, sind sehr viel stärker betroffen“, sagt Fauth, der mit Kollegen erforscht, wie sich die Schulschließungen hierzulande auswirken. Ihre Studien flossen auch in die aktuelle Meta-Analyse mit ein. „Unsere Ergebnisse zeigen die ungleiche Verteilung ebenfalls“, wie Fauth im Gespräch mit WELT bestätigt.

„Nicht nur sind die Lernrückstände an sich sozial ungleich verteilt, sondern auch deren Folgen werden vermutlich sehr unterschiedlich sein: Viele Schülerinnen und Schüler mit dem entsprechenden sozialen Hintergrund werden das ohne Weiteres wieder aufholen können“, sagt Fauth. Er befürchtet, dass die Folgen bei den Leistungsschwächeren und Kindern aus eher bildungsfernen Elternhäusern gravierender seien.

Deshalb müsse man auch darauf achten, wie die Ressourcen verteilt werden, wolle man den ohnehin benachteiligten und nun stärker betroffenen Kindern helfen.

Lehrer Joschka Dusil und Schüler der Klassen 1, 2 und 4 der Liebenauschule bei einer Nachmittagsunterrichtseinheit im Rahmen des Programms „Lernen mit Rückenwind“. Mit dem auf zwei Jahre angelegten Programm soll Kindern und Jugendlichen geholfen werden, Corona-Folgen und Lernlücken zu bewältigen.

„Die Relevanz des festgestellten Lerndefizites ist immens, weil es auf den Unterricht einen unmittelbaren Einfluss hat“, sagt Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Je geringer die Lernleistungen seien, desto schwieriger werde es für die Kinder, die von den Curricula geforderten Standards zu erreichen. In der Folge geht Zierer davon aus, dass sich eine „Generation Corona“ bilde, „die besonders stark unter der Pandemie gelitten hat“. Das treffe insbesondere die Jüngsten im System mit einem bildungsfernen Hintergrund aus wirtschaftlich schwachen Ländern.

Soziales Miteinander wieder auf die Reihe bekommen

Was in der Meta-Analyse nicht beleuchtet wurde, laut Zierer aber andere Untersuchungen zeigen: Die Pandemie hat sich auch auf die psychosoziale Entwicklung und die körperliche Verfassung negativ ausgewirkt. Und Fauth berichtet: Wenn man Lehrkräfte befrage, so werde deutlich, dass neben den eigentlichen Lernrückständen noch ein anderes Problem im Vordergrund stehe, nämlich der gesamte psychosoziale Bereich. „Mein Eindruck ist, dass die Schulen zurzeit in diesem Bereich sehr viel Arbeit damit haben, bestimmte Lernroutinen wieder einzuüben und das ganze soziale Miteinander wieder auf die Reihe zu bekommen.“

„Es sollte alles unternommen werden, um die Lerndefizite aufzuholen. Leider haben viele Länder die ersten Möglichkeiten – Stichwort ,Sommerschulen‘ – verpennt oder absolut unreflektiert implementiert“, kritisiert Zierer. Damit sei noch mehr Zeit verloren gegangen: „Aus Forschungen wissen wir leider, dass sich Lerndefizite schnell kumulieren und daher immer größer werden.“ Je früher es gelinge, gegenzusteuern, desto besser.

Ein Grundschüler sitzt nach der Verlängerung des Lockdowns zuhause vor dem Bildschirm und nimmt mit einem Laptop am Onlineunterricht mit dem Lehrer teil. (Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

 

Dem würde Bastian Betthäuser vermutlich zustimmen, denn er riet dazu, die langen Sommerferien, wie sie in zahlreichen Ländern üblich sind, zu nutzen, um Kindern zusätzliche Angebote zu machen: Es genüge eben nicht, einfach wieder den Normalzustand herzustellen, sondern man müsse mehr tun, um die Lernverluste aufzuholen. Gleichzeitig sollte man im Blick behalten, dass die Aufnahmefähigkeit ihre Grenzen hat – was Nachmittags- oder Wochenendkurse einschränkt. Doch Sommer-Lernprogramme hätten sich schon mehrfach bewährt und könnten verhindern, dass die Ungleichheit weiter zunimmt.

„Das Problem ist sicherlich, dass angesichts eines Lehrermangels vor allem das Personal fehlt“, meint Zierer. Hinzu komme, dass die Konzepte nicht erarbeitet wurden und alle auf die Digitalisierung schielen, die sich aber nicht als Retter in der Pandemie bewährt hätte. Vielmehr stehe Digitalisierung als Treiber für Bildungsungerechtigkeit, weil je nach Bildungsniveau digitale Medien anders genutzt würden. Zierer sieht es deshalb als Herausforderung für die nächsten zwei, drei Jahre, hier vernünftige Konzepte anzubieten.

Kein hoffnungsloser Fall, wenn Förderprogramme greifen

Wie sich die Pandemie auf lange Sicht auf den Lernerfolg auswirkt, könne man heute nicht absehen, sagt Betthäuser; man sollte die Entwicklung aber im Blick behalten und evaluieren. Zumal sich an Erhebungen aus dem Frühsommer 2021 ablesen lässt, dass in Schweden und Dänemark offenbar nicht so große Probleme auftraten: Schweden verfolgte zwar einen eigenen Weg in der Pandemie, doch Dänemark ergriff ähnliche Maßnahmen wie andere europäische Länder, ohne dass dänische Kinder ähnlich stark mit dem Schulstoff hinterherhinkten. Warum, lohne sich genauer zu analysieren.

Bildung sei nachweislich ein, wenn nicht sogar „der“ Schlüsselfaktor für einen erfolgreichen Einstieg in den Arbeitsmarkt und entscheidend dafür, wie erfolgreich jemand seinen Lebensunterhalt bestreitet. Es bestehe das Risiko, dass die Generation, die jetzt von den langen Schulschließungen betroffen war, später ein ernsthaftes Problem damit hätte. Aber das bedeute nicht, dass sich nichts verbessern ließe. „Ich würde nicht sagen, dass wir es mit einem hoffnungslosen Fall zu tun haben“, betont Betthäuser. Es sei wichtig, dass jetzt entsprechende Förderprogramme zum Einsatz kommen.

In Deutschland laufen sehr unterschiedliche Programme, abhängig vom jeweiligen Bundesland. Es wurde auch eine länderübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht auf der aus Mitteln des DigitalPakts Schule finanzierten länderübergreifenden Plattform „MUNDO“ Instrumente veröffentlicht, die lizenzfrei genutzt werden können. „Das Problem muss allerdings in den Schulen gelöst werden“, sagt Fauth. Dementsprechend müsse auch geklärt werden, welche Schulen mehr Ressourcen als andere brauchen, um benachteiligte Kinder besonders zu unterstützen.

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Einspruch, Kollege Kalberer: Projektunterricht ist eine Königsdisziplin https://condorcet.ch/2020/09/einspruch-kollege-kalberer-projektunterricht-ist-eine-koenigsdisziplin/ https://condorcet.ch/2020/09/einspruch-kollege-kalberer-projektunterricht-ist-eine-koenigsdisziplin/#comments Fri, 04 Sep 2020 04:25:23 +0000 https://condorcet.ch/?p=6259

In seinem Beitrag «Gruppenarbeit und Projekte: Schwere Last auf jungen Schultern» mahnt Condorcet-Autor Urs Kalberer, die überzogenen Erwartungen an diese Unterrichtsmethode zu überdenken. Dem widerspricht nun Condorcet-Autor Alain Pichard energisch.

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Alain Pichard. Lehrer Sekundarstufe 1, Orpund (BE): sich auch an den guten Dingen freuen

Es war in den Achtzigern. Der Besuch des Schulinspektors stand an und ich wollte dem knorrigen Sozialdemokraten etwas Besonderes bieten: Eine in Gruppenarbeit stattfindende Französischlektion, eine intensive Aktivierung grundsätzlich motivierter 8.-Klässler im Fremdsprachenunterricht. Die Lektion wurde ein Desaster, die Mimik des Inspektors verdunkelte sich zunehmend.

Es begann mit einem Desaster

In der Schlussbesprechung war Herr Krebs gnädig gestimmt. Er fragte mich: «Herr Pichard, war das jetzt eine Lektion, in der alle Schüler motiviert und zielstrebig Französisch gelernt haben?»

Natürlich nicht, antwortete ich. Er schmunzelte und gab dem Junglehrer folgende Worte mit: «Es gibt hervorragenden Projektunterricht und miserablen Frontalunterricht. Es gibt aber auch hervorragenden Frontalunterricht und miserablen Projektunterricht.»

Bei der Lektüre von Urs Kalberers Beitrag kam mir diese Aussage dieses Schulinspektors in den Sinn. Vermutlich hat er eine grosse Dosis schlechten Projektunterrichts und unzulänglich konzipierten Gruppenunterrichts eingenommen und empfiehlt nun die Werte des lehrerzentrierten Klassenunterrichts. Das ist natürlich pauschal und auch zu kurz gedacht.

Die Bedenken von Urs Kalberer sind berechtigt

Keine Frage: Einige Einwände von Urs Kalberer sind gerechtfertigt. Es gibt tatsächlich wenige Studien, welche die Wirksamkeit von Projektunterricht belegen. Und die Mängel, die er im Einzelnen auflistet, ähneln genau jenen Vorkommnissen, die mich in meiner «Desaster-Lektion» vor 35 Jahren blamierten.

 Das selbstorganisierte Lernen ist keine Unterrichtsmethode, sondern ein Lernziel.

Aber was heisst hier wirksam, auf was bezieht sich das Wort «wirksam»? Zunächst einmal gilt es, mit einem Missverständnis aufzuräumen: Projektunterricht ist nicht in erster Linie dazu angelegt, dass sich die Schüler mehr Wissen aneignen. Projektunterricht stärkt das selbstorganisierte Lernen. Und das selbstorganisierte Lernen ist keine Unterrichtsmethode, sondern ein Lernziel. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, «ihr Lernen zunehmend selbstständig zu bewältigen [und] an der eigenen Lernfähigkeit zu arbeiten». Sie sollen in der Fähigkeit gefördert werden, «ihr Lernen selbstständig zu gestalten und dafür zunehmend Verantwortung zu übernehmen». Und sie sollen angeleitet werden, zu planen, mit anderen zusammenzuarbeiten und über ihr Lernen und ihr Arbeiten nachzudenken.

Und wie soll man mit den Schülern diese Lernziele erreichen?

Sollen wir diese Lernziele negieren und nur Wissen und Werte vermitteln? Das kann es ja nicht sein, denn die oben genannten Lernziele waren ja auch schon vor dem Lehrplan 21 Bestandteil unseres Curriculums. Und wie soll man mit den Schülern diese Lernziele erreichen? Antwort: Indem man genau diesen Projektunterricht zulässt, ihn plant und gezielt einsetzt.

Diese Lernziele kann der Projektunterricht und auch die Individualisierung sicher besser erreichen, als eine dozierende, sprich theoretische Variante.

Aber Urs Kalberer empfindet den Projektunterricht vor allem dann als Unterrichtsmethode ineffizient, wenn es darum geht, sich Wissen und Kenntnisse zu erwerben.

Der Lerneffekt

Die Frage des Lerneffekts stellt sich allerdings bei allen Unterrichtsmethoden. Gerade heute habe ich mit meiner Klasse das Atommodell durchgenommen. Es war eine – meiner Ansicht nach perfekt getimte Lektion, mit vielen Problemstellungen, klaren Inputs und Visualisierungen, gefolgt von einem intensiven Klassengespräch. Sicher ist die «Direkte Instruktion» (anstatt «Frontalunterricht» verwende ich den von John Hattie bevorzugten Ausdruck) in dieser Situation wesentlich effektiver, als wenn die Schüler sich dies selber hätten erarbeiten müssen.

Schülerinnen und Schüler sind oft auf erstaunliche Weise lernresistent.

Trotz des didaktisch aufwändigen Settings sah ich in einige desinteressierte Gesichter, und die Qualität mancher Antworten waren sehr ernüchternd.

Kinder sind manchmal lernresistent

«Schülerinnen und Schüler sind oft auf erstaunliche Weise lernresistent», stellte schon Professor Juergen Oelkers fest, «in dem Sinne, dass sie trotz aller neuen Methoden nicht das tun, was von ihnen erwartet wird.» (Jürgen Oelkers, Wie man Schule entwickelt, BELTZ, S. 55). Das gilt aber für jede Unterrichtsform, auch für die von Urs Kalberer und Hans-Peter Amstutz so gepriesene «Direkte Instruktion»

Deshalb gibt es beim Projektunterricht auch Abstürze, Fehlschläge und Schüler, die mit der ihnen zugestandenen Freiheit nicht umgehen können. Ist das weiter schlimm? Auch bei der «Direkten Instruktion» kommt es zu Abwesenheiten, Unkonzentriertheiten und innerlichem Abschalten.

Völlig unnötig finde ich den Grabenkrieg, der von den jeweiligen Anhängern einer Unterrichtsform apodiktisch vom Zaum gerissen wird.

Und natürlich wird in jedem Fall viel zu wenig gefragt, wann die Schüler nicht lernen.

Ein völlig unnötiger Grabenkrieg

Die Vertreter reformpädagogischen Modelle unterstellen verschüttete Lernfreude, die im Augenblick der Selbsttätigkeit sofort freigesetzt wird.  Die Vertreter der direkten Instruktion sprechen von viel effizienter genutzten Lernzeit, ohne zu berücksichtigen, was die Schüler interessiert, was ihre Interessen bindet, wie sie herausgefordert werden, was sie langweilt und wann sie wirklich nachhaltig lernen. Und natürlich wird in jedem Fall viel zu wenig gefragt, wann die Schüler nicht lernen.

Deswegen ist Unterricht, insbesondere auch der Projektunterricht, eine ständige Anpassungsleistung, die immer wieder reflektiert werden muss.

Eine sehr heterogene Abschlussklasse

Wie kann man Interesse und Motivation aufrecht erhalten?

Ich unterrichte zurzeit eine 9. Abschlussklasse. Wir arbeiten am OSZ-Orpund in einem integrierten Modell. Konkret heisst das, dass in meiner Klasse angehende Berufsmaturanden (die Gymnasiasten sind bereits weg), solide Sekundarschüler und Realschüler, Schüler mit besonderem Förderbedarf zusammen unterrichtet werden. Von dieser Klasse haben 4 bereits eine Lehrstelle. Drei werden grosse Mühe haben, eine zu finden, und ein Mädchen möchte versuchen, noch einmal den Übertritt ins Gymnasium zu schaffen. Wie soll ich diesen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden? Und vor allem: Wie kann die Motivation und Leistungsbereitschaft nach 9 Schuljahren bei 14 – 16-jährigen Teenies aufrechterhalten werden?

Das geht nur mit individualisierenden Unterrichtsmethoden und Projekten, bei denen die Schülerinnen auch ihre Interessen und vorhandenen Fertigkeiten einbringen können.

Ein Viertel des Unterrichts

Einsatz auf einer Alp: Projektunterricht ist vielfältig

In unserem 9. Schuljahr, dem Abschlussjahr meiner Schüler, ist der Anteil der Projektarbeit und des selbstorganisierten Lernens auf den ersten Blick relativ hoch. Von den rund 1200 Lektionen können rund 300 Lektionen (das sind 25%) dem Projektunterricht zugeordnet werden. Das entspricht in etwa einem Viertel der Unterrichtszeit. Ein persönliches, eigenständig gewähltes Unterrichtsprojekt, Nachtreportagen, das Führen eines Restaurants mit Hotelbetrieb während einer Woche, organisierte Diskussionspodien, vor allem aber die individuelle Vorbereitung auf die Berufslehre, das Schliessen schulischer Lücken und der ganze Bewerbungsprozess verlangt nach Zeitgefässen, in denen die direkte Instruktion zurückstehen muss. Dazu haben wir wöchentlich drei Lektionen IVE-Unterricht (Individuelle Vertiefung und Erweiterung). Ausserdem steht das Abschlusstheater an und die Organisation der Abschlussreise, wobei die Schülerinnen auch einbezogen werden.

Projektunterricht ist eine Königsdisziplin, die der Lehrkraft und den Lernenden viel abverlangt. Die Lehrkraft muss den Prozess unter Kontrolle behalten, muss eingreifen, wenn etwas nicht klappt, muss Hilfestellungen geben und vor allem: Sie muss viel Zeit für die Rückmeldung aufwenden. Die Schüler werden mit ihrer eigenen Bequemlichkeit konfrontiert, müssen Disziplin beweisen, Zeitpläne aufstellen, Termine einhalten, Aufgabenteilungen vornehmen, Projektskizzen- und Projektbeschreibungen abgeben. Es gibt nicht wenige Schüler, welche diese Art Unterricht überhaupt nicht schätzen, gerade weil sie auf Fähigkeiten baut, die noch nicht genügend entwickelt oder herausgefordert wurden. Aber gerade aus Fehlern und Scheitern kann man lernen, wenn die Lehrkraft die richtigen Rückmeldungen gibt.

Beurteilung ist eine Herausforderung

Die Frage der Beurteilung ist in der Tat eine grosse Herausforderung. Eine Note für alle, egal, wer sich wie eingegeben hat, kann ja nicht logisch sein. Hier gibt es intelligente und vor allem differenzierte Beurteilungsvarianten. Am besten sind selbständige Schülerarbeiten immer dann, wenn es sich um Einzelarbeiten handelt. Bei Gruppenarbeiten ist das Feedback der Gruppe sehr wichtig und dient auch als Reflektion. Es kann durchaus sinnvoll sein, ab und zu starken SchülerInnen mit einer guten Arbeitsmoral einen schwachen Schüler zuzuteilen. Der schwache Schüler sieht, wie man auch arbeiten kann, die starke Schülerin übernimmt auch eine Coaching- und Vorbildfunktion. Natürlich darf so etwas nicht die Regel sein. Man kann auch SchülerInnen, welche die Voraussetzungen, über eine längere Zeit selbständig an einem Projekt zu arbeiten, nicht haben, von diesem befreien und ihnen eine «Light-Variante» mit engen Vorgaben zuteilen.

Eigenständig erworbene Erkenntnisse setzen sich nachhaltiger im Gehirn einer Schülerin fest, als wenn man ihnen die Lerninhalte einfach doziert.

Und – bei aller Kritik am «Konstruktivismus» und dem dazu gehörenden «Selbstendeckenden Lernen» – ist es unbestritten, dass eigenständig erworbene Erkenntnisse sich nachhaltiger im Gehirn einer Schülerin festsetzen, als wenn man ihnen die Lerninhalte einfach doziert.

Pädagogischer Kitsch

Philipp Loretz, Lehrer Sekundarstufe 1, Vorstandsmitglied des lvb: am besten mit einer breiten Methodenvielfalt

Der Umkehrschluss, nun alles auf selbstorganisiertes Lernen und Projektunterricht umzustellen und die Lehrkraft als Coach zu definieren, gehört natürlich zu diesem neuzeitlichen reformpädagogischen Duktus, der sich nicht um Wirklichkeiten kümmern muss. Ich nenne es pädagogischer Kitsch oder PH-Wunschprosa.

Philipp Loretz, Vorstandsmitglied des lvb und Redaktionsmitglied unseres Blogs formulierte es folgendermassen:

So banal es klingt: Die situationsgerechte Methodenvielfalt stellt letztlich sicher, dass alle Schülerinnen und Schüler auf ihre Rechnung kommen und vom Unterricht profitieren. Oder würden Sie sich von einem Arzt behandeln lassen, der lediglich über einen Hammer verfügt? Er würde Sie zwangsläufig für einen Nagel halten.

Und Michael Felten schrieb in der Zeit: «Der eine Lehrer macht zu viel langweiligen Frontalunterricht, der andere zu oft ineffektive Freiarbeit, ein dritter zu häufig Gruppenarbeit auf banalem Niveau. Ein angemessener Mix – mit jeweils hochwertigen Anteilen – bleibt eine beständige Aufgabe für uns Lehrer. » (Zeit 15.1.2015).

 

 

 

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Frage an die Wissenschaft https://condorcet.ch/2020/08/frage-an-die-wissenschaft/ https://condorcet.ch/2020/08/frage-an-die-wissenschaft/#respond Wed, 19 Aug 2020 04:12:49 +0000 https://condorcet.ch/?p=6113

Wieder einmal eine Frage an die Wissenschaft im Condorcet-Blog. Dieses Mal geht es um ein 100 Mio-Franken-Mysterium: den Lernerfolg im Französischunterricht, 8 Jahre nach Einführung von Passepartout und dessen Mehrsprachenkonzept.

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Wie ist es möglich, dass 5 Jahre nach der Einführung von Mille Feuilles und nach vier Jahren Französischunterricht  Schülerinnen und Schüler in der 7. Klasse immer noch nicht bis 20 zählen können, nicht wissen, was “heute”, “morgen” und “gestern” heisst und auch avoir nicht konjugieren können?

Ruth Wiederkehr, Schulleiterin OSZ-Mett-Bözingen

 

Antwort von Condorcet:

Es braucht Geduld. Das Lehrmittel ist ja erst seit 8 Jahren im Gebrauch. Vor allem aber, was heisst heute schon konjugieren? Schauen Sie in die leuchtenden Augen der Schülerinnen und Schüler, wenn sie aus dem Französischunterricht kommen!

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