Gymnasium - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sun, 10 Mar 2024 15:45:39 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Gymnasium - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Vom Elend der historischen Bildung https://condorcet.ch/2024/03/vom-elend-der-historischen-bildung/ https://condorcet.ch/2024/03/vom-elend-der-historischen-bildung/#respond Sun, 10 Mar 2024 15:45:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=16130

Rainer Werner unterrichtete an einem Berliner Gymnasium Deutsch und Geschichte. Er stellt im Cicero fest, dass die Schüler große historische Wissenslücken offenbaren. Weitere Vorwürfe: Politiker verbiegen die Geschichte, wenn es ihnen opportun erscheint. Seine Forderung: Geschichtsunterricht sollte der Wahrhaftigkeit verpflichtet sein und auch die demokratische Identität der Nation stärken.

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Am einem 31. Oktober fragte ich die Schüler meines Geschichtskurses in der Gymnasialen Oberstufe eines Berliner Gymnasiums, ob sie wüssten, welchen Tag wir heute feierten. “Halloween” schallte es mir vielstimmig entgegen. An meiner Miene, die sich verfinsterte, sahen die Schüler, dass ihre Antwort nicht optimal ausgefallen war. Nach einigem Hin und Her fand schliesslich eine Schülerin, die in einer evangelischen Gemeinde aktiv ist, die richtige Antwort: Es war der Reformationstag. Was Luther damals wollte und worin seine bleibende geschichtliche Leistung besteht, wussten die Schüler spontan nicht zu sagen. Im Geschichtsunterricht war das sicher irgendwann einmal “dran gewesen”. Nur hängengeblieben ist nichts.

Gastautor Rainer Werner

So sieht es auch mit anderen wichtigen historischen Ereignissen aus. Kaum ein Schüler weiss etwas über die wichtigsten römischen Kaiser der Deutschen im Mittelalter zu sagen, die Fragen nach den demokratischen Bestrebungen im 19. Jahrhundert, nach Wartburgfest, Hambacher Fest und Paulskirche, bleiben ohne Antwort. Selbst Ereignisse, die ihre Eltern oder Grosseltern noch selbst erlebt haben, wie der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR oder der Mauerfall 1989, sind im Gedächtnis der Schüler nicht präsent.

Turnvater Jahn entsorgt

Szenenwechsel: Im Frühjahr 2015 wurde die Turnvater-Jahn-Grundschule in Berlin-Prenzlauer Berg umgetauft. Der Name des Begründers des Massensports in Deutschland, Friedrich Ludwig Jahn, war als Namenspatron nicht mehr gefragt. Stattdessen erhielt die Grundschule den Namen des Bierbrauers Bötzow. Was war passiert? Einige Eltern und Lehrer hatten an Jahns Gesinnung Anstoss genommen. Der Turnvater sei als Namenspatron in der heutigen Zeit nur noch “schwer vermittelbar”, weil er “nationalistisch” gewesen sei und “gegen die ethnische Vermischung des Volkes” agitiert habe.

Es ist ein geistiges Armutszeugnis, wenn gebildete Menschen historische Persönlichkeiten nicht mehr aus ihrer Zeit heraus verstehen können, sondern unhistorisch aus heutiger Sicht die Messlatte der politischen Korrektheit anlegen.

 

Solche Haltungen findet man bei so gut wie allen Geistesgrössen vergangener Jahrhunderte. Wer erinnert sich nicht an den fanatischen Judenhass von Martin Luther? Friedrich Ludwig Jahn “Nationalismus” vorzuwerfen, ist Ausdruck eines erschreckenden Unwissens über die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Für die einheitliche deutsche Nation einzutreten, war im Deutschen Bund mit seinen 39 Einzelstaaten durchaus fortschrittlich, man könnte sogar sagen, ein linkes Projekt, zumal das nationale Streben mit der Forderung nach einer demokratischen Verfassung einherging.

Mit derselben Berechtigung könnte man die Heinrich-Heine-Schulen umtaufen, weil Heine ebenfalls ein glühender Verfechter der nationalen Einheit Deutschlands war. Jahns Kampf um Freiheitsrechte brachte ihm immerhin sechs Jahre Kerkerhaft ein und danach 15 Jahre Polizeiaufsicht. Es ist ein geistiges Armutszeugnis, wenn gebildete Menschen historische Persönlichkeiten nicht mehr aus ihrer Zeit heraus verstehen können, sondern unhistorisch aus heutiger Sicht die Messlatte der politischen Korrektheit anlegen.

Sozialdemokratischer Altkanzler im Putin-Sprech

Im Mai 2014 bestritt der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in einem Zeitungsinterview, “dass es ein Volk der Ukrainer, eine nationale Identität” gebe. Drei Monate zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim militärisch besetzt und später durch ein Scheinreferendum der Russischen Föderation einverleibt. Historiker mit osteuropäischer Expertise warfen dem Altkanzler Unkenntnis der ukrainischen Geschichte vor.

In den Turbulenzen der Oktoberrevolution 1917 wurde die Ukrainische Volksrepublik aus den ukrainischen Gebieten, die bis dahin zum Russischen Kaiserreich gehört hatten, gegründet. Im russischen Bürgerkrieg eroberten die Bolschewiki Kiew und lösten den selbständigen ukrainischen Staat auf. Er wurde als Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik der Sowjetunion eingegliedert. Weil Lenin nationalistische Aufstände befürchtete, gab er der Ukraine den Status einer eigenen Sowjetrepublik. Bei der Gründung der Vereinten Nationen 1946 wurde die Ukraine auf Betreiben Stalins sogar als eigener Staat aufgenommen.

Schmidts Leugnung historischer Fakten ist ein gutes Beispiel dafür, wie selbst demokratische Politiker versucht sind, wegen aktueller Opportunitäten die Geschichte zu verfälschen.

 

Als die Sowjetunion 1990 zerfiel, erklärte die Ukraine ihre Selbständigkeit. 1991 bestätigten 90 Prozent der Ukrainer bei einer Volksabstimmung den Status als unabhängige Nation. Schmidts Leugnung historischer Fakten ist ein gutes Beispiel dafür, wie selbst demokratische Politiker versucht sind, wegen aktueller Opportunitäten die Geschichte zu verfälschen. Schmidt wollte die Ostpolitik Willy Brandts verteidigen, der bei seinen Verhandlungen mit der Sowjetunion auch keine Rücksicht auf die Interessen der kleinen Staaten an der östlichen Peripherie Europas genommen hatte. Die Ukraine und Belarus kamen im Weltbild der Sozialdemokratie nicht vor, weil sie sich bei ihrer Ostpolitik immer nur mit Sowjet-Russland ins Benehmen setzte.

Die Sowjetunion und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs

Seit der Entspannungspolitik von Willy Brandt in den 1970er Jahren gilt die SPD als die deutsche Partei mit einem besonderen Verhältnis zu Russland. Manche Historiker sprechen von einer irrationalen Russlandliebe. In den zahlreichen Reden, die deutsche Sozialdemokraten – allen voran Frank-Walter Steinmeier – auf die deutsch-russische Freundschaft hielten, liessen sie ein Faktum stets ausser Acht, das man in den Geschichtsbüchern leicht finden kann: Die Sowjetunion war über den Hitler-Stalin-Pakt von August 1939 an der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs militärisch beteiligt.

Das geheime Zusatzprotokoll des Vertrags sah nämlich vor, dass die kleineren Staaten zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich in Einflusszonen aufgeteilt werden. Als Hitler am 1. September 1939 Polen überfiel, wartete Stalin noch 17 Tage, bis er seinerseits mit der Roten Armee von Osten her in Polen einmarschierte. An der Demarkationslinie der eroberten Gebiete feierten Wehrmacht und Rote Armee den gemeinsam errungenen Sieg.

Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen

Dieses Faktum wird in der russischen Geschichtsschreibung bis heute schamhaft verschwiegen. Wenn es westliche Historiker zur Sprache bringen, wird es von Russland bestritten. Das ist zwar töricht, weil die Dokumente jederzeit einsehbar sind. Die Geschichtslüge ist aber notwendig, um die Legende von der Friedensmacht Sowjetunion aufrechterhalten zu können. Als indirektes Eingeständnis der Beteiligung am Kriegsausbruch kann man deuten, dass in der russischen Geschichtsschreibung der Grosse Vaterländische Krieg erst mit dem Jahr 1941 beginnt.

Aussöhnungspolitik nicht beschädigen

Die SPD hat in Bezug auf die Verstrickung der SU in den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine merkwürdige Haltung eingenommen. Als gäbe es ein Schweigegebot, wird der 17. September 1939, ein Datum, das in Polen jedes Schulkind kennt, in Reden niemals erwähnt. Der Grund ist einfach. Die ganze Aussöhnungspolitik der SPD gegenüber Russland wäre beschädigt, wenn sie auch einem Aggressor gelten würde.

Es rächt sich, dass die SPD ihre Russlandpolitik bis heute nicht schonungslos aufgearbeitet hat. Dass in der Mitte Berlins am sowjetischen Ehrenmal zwei russische Panzer vom Typ T-34/76 stehen, hat, wenn man die Aggressionsgeschichte Russlands kennt, einen makabren Beigeschmack. Mit solchen Panzern hat die Rote Armee Polen und Finnland überfallen, sie werden heute auch noch im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt. Im sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park gibt es die Inschrift: “Im Juni 1941 überfiel Hitlerdeutschland wortbrüchig unser Land in brutaler und niederträchtiger Weise”. Historisch getreu müsste in den sowjetischen Gedenkstätten zugleich daran erinnert werden, dass sich Stalins Sowjetunion an der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs beteiligte: Am 17. September 1939 überfiel die Rote Armee Polen, am 30. November 1939 überfiel sie Finnland.

Christliches Kreuz abgehängt

Beim Aussenministertreffen der G7-Staaten im November 2022 in Münster hängten die Beamten der grünen Aussenministerin Annalena Baerbock im Friedenssaal des Rathauses das Ratskreuz ab, weil sie den Teilnehmern, die sich nicht zum christlichen Glauben bekennen, nicht zumuten wollten, unter dem Kreuz zu tagen. Im Friedenssaal wurde 1648 der Friedensvertrag unterzeichnet, der dem 30-jährigen Gemetzel des Glaubenskrieges ein Ende setzte. Historiker bewerten den Westfälischen Frieden als historischen Beitrag zu einer europäischen Friedensordnung gleichberechtigter Staaten.

Der Vertrag habe eine Entwicklung in Gang gesetzt, die zur Herausbildung des modernen Völkerrechts geführt habe. Der ausgerufene Religionsfriede sah zudem vor, dass die christlichen Stände beider Konfessionen künftig auf die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele verzichten. Die Trennung von Staat und Religion, die zu unserer heutigen Staatsverfassung gehört, wurde damals auf den Weg gebracht.

Es ist geschichtsvergessen, zu leugnen, dass der Westfälische Frieden unter dem christlichen Kreuz geschlossen wurde. Es gemahnt die Nachfahren bis heute, den kostbaren Frieden zu bewahren. “Das christliche Kreuz ist ein Zeichen der Versöhnung”, unterstrich der Münsteraner Oberbürgermeister Marcus Lewe, der damals auf die Entfernung des Kreuzes mit Unverständnis reagierte.

Eine Pointe des Kreuz-Streites von Münster liegt darin, dass die beiden christlichen Konfessionen mit ihrem Gewaltverzicht schon im 17. Jahrhundert einen Schritt getan haben, auf den wir beim Islam immer noch warten. In den meisten islamischen Staaten gilt der Islam als Staatsreligion, was eine Trennung von Staat und Gesellschaft unmöglich macht.

Bismarck gecancelt

Im Aussenministerium ließ Baerbock das Bismarck-Zimmer in “Saal der Deutschen Einheit” umbenennen. Auch das Portrait des Kanzlers des (zweiten) Deutschen Reiches wurde abgehängt. Die Umbenennung trage “der Tatsache Rechnung, dass das Auswärtige Amt seine Traditionslinie massgeblich in der demokratischen Geschichte Deutschlands verankert sieht”. Ohne Geschichtsvergessenheit geht es bei der grünen Aussenministerin nicht ab. Bismarck hat nicht nur die deutsche Einheit 1870/71 bewirkt. Er ist auch der Schöpfer der modernen Sozialgesetzgebung. Durch seine Bündnispolitik hat er Deutschland in Europa so verortet, dass es maximal abgesichert war. Eine so einseitige Abhängigkeit von einer Macht, wie es die BRD vom Energielieferanten Russland war, hätte er nie zugelassen.

Die Apologeten der Cancel Culture legen an Herrscher vergangener Zeiten die Messlatte heutiger Moral an, womit sie mit dem zentralen Axiom der Geschichtswissenschaft brechen, wonach man historische Ereignisse und Persönlichkeiten nur aus ihrer Zeit heraus verstehen kann.

 

Das Deutsche Reich geriet erst auf die schiefe Bahn, als Bismarck von Kaiser Wilhelm II. entlassen wurde. Danach bestimmten Imponiergehabe und die Fahrlässigkeit eines Dilettanten die Aussenpolitik. Vielleicht liegt Baerbocks Aversion gegenüber Bismarck darin, dass seine Aussenpolitik strikte Interessenpolitik war, während die grüne Aussenministerin einer “feministischen Außenpolitik” den Vorzug gibt.

Identitätspolitik verhindert historische Einsichten

Woher kommen solche Anflüge von Geschichtsvergessenheit? Die Parteien des linken Spektrums sind beeinflusst von der Identitätspolitik, die in den letzten Jahren den Weg aus dem angelsächsischen Raum nach Deutschland gefunden hat. Deren zentrale These besagt, dass es in den Gesellschaften der demokratischen Staaten einen “strukturellen Rassismus” gebe, der dazu diene, die kulturelle Hegemonie der weissen, patriarchalen Eliten aufrechtzuerhalten. Um die weisse Dominanz zu brechen, sei es legitim, die Opfergruppen gegenüber dem Mainstream der Gesellschaft zu bevorzugen.

Die Identitätspolitik macht auch vor historischen Persönlichkeiten nicht halt. Sie sollen aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt, ihre Denkmale aus dem öffentlichen Raum entfernt werden. Die Apologeten der Cancel Culture legen an Herrscher vergangener Zeiten die Messlatte heutiger Moral an, womit sie mit dem zentralen Axiom der Geschichtswissenschaft brechen, wonach man historische Ereignisse und Persönlichkeiten nur aus ihrer Zeit heraus verstehen kann.

Gefährdung unserer Erinnerungskultur

Rechtsextremisten bekämpften immer schon das in Deutschland gepflegte Erinnern an die Verbrechen der Nationalsozialisten, vor allem an die Millionen Juden, die im Holocaust fabrikmässig ermordet wurden. Sie sprechen von einem “irren Schuld-Kult”, dem die Deutschen in masochistischer Manier verfallen seien. Sie möchten stattdessen die Glanztaten der Deutschen, gerne auch die Heldengeschichten aus ihren Kriegen, ins Zentrum rücken, um den Heranwachsenden Stolz auf ihr Deutschsein einzuimpfen.

Die Turbulenzen nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, die sich in Deutschland entluden, haben gezeigt, dass es in unserem Land noch weitere Gegner unserer Erinnerungskultur gibt: radikale Muslime und Linksextremisten.

Islamisten bekämpfen das Holocaust-Gedenken, weil der Holocaust für die Deutschen eine wichtige Begründung für die Existenz des Staates Israel darstellt. Linksextremisten demonstrieren mit der Parole “Free Palestine from German Guilt”. Die Palästinenser sollen – so die Logik der Losung – nicht durch die deutsche Schuld am Holocaust in ihrem “gerechten Befreiungskampf” behindert werden. Untermauert wird diese Forderung durch die Theorie des Postkolonialismus, derzufolge Israel mit seiner Staatsgründung den Status als Opfer verloren habe und als “Kolonialstaat” selbst zum Unterdrücker geworden sei. Der Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023 wird zum Widerstandsakt einer unterdrückten Gesellschaft gegen eine weisse Kolonialmacht verklärt.

Diese Täter-Opfer-Umkehr ist bei jungen Menschen, die sich dem linken politischen Spektrum zuordnen, beliebt, weil sie psychische Entlastung bietet für die Verstrickung der Grosseltern in das Menschheitsverbrechen der Schoa. Dass AfD-Politiker ähnliche Parolen verkünden (“Schluss mit dem Schuld-Kult”), stört die linken Intellektuellen nicht.

Antisemitismus resultiert auch aus Unwissen

Der Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat in Deutschland viele Muslime zu Freudenbekundungen veranlasst. Im Politik- und Geschichtsunterricht sahen sich Lehrkräfte einer massiven Stimmungsmache arabischer und türkischer Schüler gegenüber, die das Massaker an Zivilisten als “Notwehr” bezeichneten und Israel als “Kindermörderland” verunglimpften.

In keinem Geschichtsbuch wird unmissverständlich dargestellt, dass die Palästinenser ihr Schicksal selbst verschuldet haben, indem sie den ihnen 1947 von den Vereinten Nationen zugestandenen Staat abgelehnt haben.

 

Dass Lehrer bei der Besprechung des Nahostkonflikts so sehr in die Defensive geraten sind, hat auch etwas damit zu tun, dass in der öffentlichen Meinung und in Schulbüchern eine merkwürdige Äquidistanz zu Israel und den Palästinensern herrscht, die sich um die historischen Tatsachen herumdrückt. In keinem Geschichtsbuch wird unmissverständlich dargestellt, dass die Palästinenser ihr Schicksal selbst verschuldet haben, indem sie den ihnen 1947 von den Vereinten Nationen zugestandenen Staat abgelehnt haben. Stattdessen überfielen die Armeen Jordaniens, Syriens, des Irak, Ägyptens und Jordaniens den frisch gegründeten Staat Israel, um ihn – wie die arabischen Herrscher offen zugaben – von der Landkarte zu tilgen.

Da Israel den Unabhängigkeitskrieg gewann, versuchten es die arabischen Staaten noch weitere Male: im Suezkrieg 1956, im Sechstagekrieg 1967 und im Jom-Kippur-Krieg 1973. Bis heute haben die palästinensischen Führer das Existenzrecht Israels nicht anerkannt, bis heute träumen sie davon, “alle Juden ins Meer zu treiben”, wie es der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser 1967 formulierte. Wenn Deutschland immer wieder betont, Israels Existenzrecht gehöre zur deutschen Staatsräson, muss sich dieses Bekenntnis auch darin niederschlagen, dass wir in den Schulen und Hochschulen viel entschiedener als bisher über die historischen Tatsachen aufklären. Nur so können wir den Geschichtslügen der palästinensischen Führer, die alle keine Demokraten sind, entgegentreten.

Geschichtsunterricht in der Krise

Dass der Geschichtsunterricht in der Krise ist, lässt sich an den vielen Reformversuchen ablesen, die dieses wichtige Schulfach in den letzten Jahren hat über sich ergehen lassen müssen. Als zu Beginn der 2000er Jahre die Kompetenzorientierung des Fachunterrichts eingeführt wurde, zeigte sich bald, dass dieses Fach, das wie kein anderes auf die Vermittlung von Faktenwissen angewiesen ist, unter dem Vorrang der Kompetenzen besonders litt. Viele Geschichtslehrer hielten die didaktischen Vorgaben für verfehlt und unterliefen sie in der Praxis.

Fragwürdig ist auch die Mode, in der Unterstufe der weiterführenden Schulen Geschichte nur noch im Verbund mit den benachbarten Fächern Sozialkunde (Politik) und Geografie zu unterrichten. Das neue Label heisst “Gesellschaftswissenschaften”. Eine Folge ist, dass Geschichte als das schwierigste der drei Fächer unter dem Zusammenschluss besonders leidet, zumal es oft von fachfremden Lehrkräften unterrichtet wird.

Einen Sturm der Entrüstung unter den Geschichtslehrern rief die Entscheidung der Berliner Schulverwaltung hervor, im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I das chronologisch-genetische Strukturierungsprinzip zugunsten von thematischen Längsschnitten aufzugeben. Die Längsschnitte sollten von heutigen, lebensweltlich wichtigen Fragestellungen ausgehen. Kritiker sahen die Gefahr darin, dass bei einem solchen Ansatz erst gar nicht versucht werde, geschichtliche Epochen aus sich selbst heraus zu verstehen.

Mittelalterliche Lebensformen kann man nur verstehen, wenn man sich auf eine intensive Beschäftigung mit der damaligen Gesellschaft einlässt. Der Unterricht in Längsschnitten lässt eine solche Intensität gar nicht zu.

 

Ich habe nach diesem Prinzip die Themen “Migration” und “Armut und Reichtum” unterrichtet und feststellen müssen, dass das von den Schulbuchverlagen angebotene Material dem Übel Vorschub leistet, historische Ereignisse mit der Elle heutiger Moral zu messen, was zu absurden Kurzschlüssen führt. Aber natürlich waren Bettelmönche nicht deshalb arm, weil es im Mittelalter das Bürgergeld noch nicht gab, sondern weil sie diese Lebensform freiwillig gewählt hatten, um frei von weltlichen Gütern Gott näher zu sein. Mittelalterliche Lebensformen kann man nur verstehen, wenn man sich auf eine intensive Beschäftigung mit der damaligen Gesellschaft einlässt. Der Unterricht in Längsschnitten lässt eine solche Intensität gar nicht zu.

Nötig ist eine nationale Geschichtserzählung

Alle aktuellen Lehrpläne vermeiden die Entscheidung, ob der Geschichtsunterricht einen Kanon von Wissensbeständen vermitteln soll, der für Heranwachsende unverzichtbar ist. Die politischen Eliten unseres Landes schrecken davor zurück, eine nationale Geschichtserzählung zu etablieren, wie sie in anderen Ländern selbstverständlich ist. Zu gross ist die Angst, das Narrativ könnte ins Nationalistische abgleiten und die bösen Geister der Vergangenheit heraufbeschwören. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung hält sich hier vornehm zurück, obwohl die Vermittlung historischen Wissens zu ihrem Bildungsauftrag gehört, der vor allem darin besteht, das demokratische Bewusstsein zu festigen.

Eine patriotische Einstellung der Deutschen ist auch 79 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, nach Holocaust und Krieg, noch keinesfalls selbstverständlich. Nur im Sport gönnen wir uns eine kurzfristige patriotische Aufwallung, die nach dem Ende des Ereignisses schnell wieder verfliegt und einer affektiven Nüchternheit Platz macht. Schwarz-rot-goldene Perücken und Fähnchen am Auto statt patriotischer Haltung.

Verfassungspatriotismus als identifikatorische Magerkost

Gerne wird darauf verwiesen, dass das von Dolf Sternberger und Jürgen Habermas entwickelte Konzept des Verfassungspatriotismus ausreiche, um Deutsche und Zuwanderer mit unserem Gemeinwesen zu versöhnen. Der erste Artikel des Grundgesetzes ist zwar eine Perle, vor allem auch in seiner sprachlichen Prägnanz (“Die Würde des Menschen ist unantastbar”), zur Identifikation mit einem Staatswesen tragen jedoch vor allem Narrative bei, die man emotional besetzen kann.

Nur im Sport gönnen wir uns eine kurzfristige patriotische Aufwallung, die nach dem Ende des Ereignisses schnell wieder verfliegt und einer affektiven Nüchternheit Platz macht. Schwarz-rot-goldene Perücken und Fähnchen am Auto statt patriotischer Haltung.

 

Autoritäre Staaten dieser Welt wissen um die Wirkung “nationaler Erzählungen” und nutzen sie intensiv zur Indoktrination ihrer Völker. Sie scheuen auch vor Geschichtsklitterung oder vor offenem Revisionismus nicht zurück, wie das Beispiel Russlands lehrt. Einer Demokratie wäre ein solches Verfahren natürlich unwürdig. Einen aufgeklärten Patriotismus hingegen könnte unser Land gerade dann, wenn es in seiner Zusammensetzung immer heterogener wird, gut vertragen.

Angesichts der vielen Fremden, die in unser Land kommen, weil sie es schätzen, könnten wir uns guten Gewissens von der bei vielen kritischen Geistern verbreiteten “negativen Identifikation” mit Deutschland, die der Philosoph Hermann Lübbe “Sündenstolz” genannt hat, verabschieden und zu einer positiven Identifikation finden. Abiturientinnen, die als Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe tätig waren, erzählten mir, dass sie während der Willkommenskultur zum ersten Mal erlebt hätten, wie es sich anfühlt, “stolz auf unser Land zu sein”.

Echter Patriotismus verträgt sich immer mit einer weltbürgerlichen Gesinnung. Goethe schuf das Wort “Weltliteratur”. Als Kosmopolit war er stets offen für andere Kulturen, er lernte mehrere Sprachen und öffnete sich in seinem Lyrik-Zyklus “West-östlicher Divan” der damals fremden orientalischen Kultur. Gleichzeitig war er tief verwurzelt in der Geschichte deutscher Sprache und Kultur.

Stationen der demokratischen Entwicklung als Orientierung

Welche Geschichtserzählung wäre in unseren Schulen angebracht? In einer Zeit, in der die Demokratie immer aggressiver von autokratischen Herrschern und diktatorischen Staaten herausgefordert wird, böte es sich an, die Ereignisse unserer Geschichte in den Mittelpunkt zu rücken, die die demokratische Identität unserer Nation begründeten. Jeder Schüler, der die Schule verlässt, sollte wissen, was sich 1813, 1817, 1832, 1848, 1918, 1944, 1948, 1953 und 1989 ereignet hat. Ein Geschichtsunterricht der Beliebigkeit und der vordergründigen Aktualisierung wird dazu führen, dass das geschichtliche Bewusstsein der Schüler noch weiter verkümmert. Ein guter Geschichtsunterricht ist aber ein wichtiger Beitrag zur Festigung unserer Demokratie.

In Zukunft werden Schüler die Schule verlassen, denen ein fragwürdiges Unterrichtskonzept den historischen Kompass für ihr Leben vorenthält. Man kann nur hoffen, dass ihnen ähnlich schmerzliche Lernprozesse wie den Generationen vor uns erspart bleiben.

 

Von dem amerikanischen Philosophen spanischer Herkunft George Santayana (1863–1952) stammt der Satz “Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen”. In Zukunft werden Schüler die Schule verlassen, denen ein fragwürdiges Unterrichtskonzept den historischen Kompass für ihr Leben vorenthält. Man kann nur hoffen, dass ihnen ähnlich schmerzliche Lernprozesse wie den Generationen vor uns erspart bleiben.

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St. Galler Gymnasiasten werden künftig im Denken-Denken beübt https://condorcet.ch/2024/02/st-galler-gymnasiasten-werden-kuenftig-im-denken-denken-beuebt/ https://condorcet.ch/2024/02/st-galler-gymnasiasten-werden-kuenftig-im-denken-denken-beuebt/#comments Fri, 16 Feb 2024 06:45:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=15958

Der Nebelspalter-Journalist, Daniel Wahl berichtet über ein neues Fach in den Gymnasien des Kantons St.Gallen, das - nicht zur Freude einiger Lehrkräfte - ab August 24 eingeführt werden soll.

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Die Fakten: Die Gymnasien in St. Gallen müssen gegen den Willen der Mehrheit der Mittelschullehrer das Fach mit dem Namen «Grundlagen für reflektiertes Denken» einführen.

Daniel Wahl, Journalist des Nebelspalters: Das neue Fach raubt Ressourcen.

Warum das wichtig ist: Der Stundenplan der Gymnasien, der im Zuge der Maturitätsreform mit neuen Fächern wie «Bildung für nachhaltige Entwicklung», «Informatik, Wirtschaft und Recht» ausgebaut wird, erfährt in St. Gallen mit dem neuen Fach «Grundlagen für reflektiertes Denken» eine zusätzliche Erweiterung.

  • Die Ausrichtung des neuen Fachs wird von Worthülsen, beziehungsweise von Begriffen mit wenig konkreten Inhalten, begleitet: Man will die «allgemeine Studierfähigkeit verbessern», die «Gesellschaftsreife vertiefen», die «Fähigkeiten zum logischen, abstrahierenden und analogen Denken fördern».
  • Weil keine zusätzlichen Ressourcen vorhanden sind, führen die Zusatzlektionen für «reflektiertes Denken» zu einem Stundenabbau bei den Grundlagenfächern Deutsch, Mathematik und der zweiten Landessprache sowie in den Fächern Englisch, Biologie, Chemie und Physik.
  • Der Lehrplan für das Fach, das ab August 2026 auf dem Stundenplan stehen wird, ist zurzeit in Ausarbeitung.
  • Auch die Kantone Bern, Luzern und Solothurn sind bestrebt, «Reflektiertes Denken» als eigenständiges Fach an ihren Gymnasien einzuführen.

Der St. Galler Bildungsrat begründete seinen Entscheid:

O-Ton: «Wer in der heutigen und künftigen Welt ein selbstbestimmtes Leben führen will, seine Meinungen an der Wahrheit und seine Überzeugungen und Handlungen an reflektierten Werten ausrichten will, wer sich kompetent informieren, am aktuellen Stand der Wissenschaft orientieren und auf dieser Grundlage verantwortungsbewusst, demokratisch teilnehmen möchte, muss kritisch oder reflektiert denken können.»

Widerstand der Lehrer

Die Mehrheit der Mittelschullehrer hätte das Fach «Grundlagen für reflektiertes Denken» nie eingeführt. Eigentlich hatten die Mittelschullehrer das Totschlagargument auf ihrer Seite, als ihnen das St. Galler Bildungsdepartement die Idee unterbreitete: «Das machen wir alle. Schon lange.»

Die Germanisten schrieben in ihrer Vernehmlassung sogar:

«Wir lehnen das Fach ‹Critical Thinking› [so hiess das Fach in der ursprünglichen Konzeption] ab, verweisen darauf, dass das Fach Deutsch Wesentliches zum kritischen Denken beiträgt und fordern die Lektionen für uns zurück.»

Ohnehin sind die Bildungsziele seit 1995 im Gesetz über die Anerkennung der Maturitätsabschlüsse (Art. 5) festgelegt.
  • Die Gymnasien fördern die Schüler im Hinblick auf «selbstständiges Urteilen».
  • Die Gymnasien bringen die Schüler zu jener persönlichen Reife, die Voraussetzung für ein Hochschulstudium ist und die sie auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft vorbereitet.
  • Die Schulen fördern die Intelligenz, die Willenskraft, die Sensibilität in ethischen und musischen Belangen sowie die physischen Fähigkeiten.

Wer streitet ab, dass die Gymnasien dies nicht schon seit Jahrzehnten tun?

Philosoph weibelt für «sein» Fach

Dominique Kuenzle, Philosph und Lehrer: Fähigkeit zur Selbstreflexion gehört zu den Zielen der Bildung.

Promotor des Fachs «Reflektiertes Denken» ist der Gymnasiallehrer für Philosophie, Dominique Kuenzle, der an der Kantonsschule in Wil (SG) unterrichtet. Kuenzle ist auch Privatdozent an der Universität Zürich und macht sich dort unter anderem in den Arbeitsgebieten Feministische Philosophie, Erkenntnistheorie und «Critical Thinking» stark.In seiner letzten wissenschaftlichen Publikation, die 20 Seiten umfasst, schreibt er:

O-Ton Kuenzle: «Die Fähigkeit und Motivation zur kritischen Selbstreflexion und vernünftigen Meinungsbildung gehört unbestritten zu den Hauptzielen schulischer Bildung.»

  • Mit seinen Beziehungen zum Bildungsrat hat Kuenzle seine Leidenschaft zu einem gymnasialen Fach ausbauen können.
  • Kuenzle hat sich eine neue Einnahmequelle gesichert: Unter anderen wird er künftig die Lehrer in «Reflektiertes Denken» aus- und weiterbilden dürfen, wie der St. Galler Bildungsrat Klaus Rüdiger bestätigt.

Der Germanist, Professor Mario Andreotti, steht der Einführung des Fachs sehr kritisch gegenüber. Dass er die Initianten des Fachs auf gymnasialer Ebene schon mehrfach darauf hingewiesen hat, es handle sich beim Namen «Reflektiertes Denken» linguistischer Sicht um eine Tautologie, ist für ihn noch das geringste Übel.

«Gibt es Reflexion ohne Denken, oder was soll Denken ohne Reflexion – haben die Bildungsräte nicht über diesen sprachlichen Unsinn nachgedacht», spottet er. Aber zur Sache argumentiert er:

  • Reflektiertes Denken sei eng an das angelsächsische Fach «Critical Thinking» angelehnt. Man habe mit der Umbenennung zu «Reflektiertem Denken» bloss Abstand vom ideologischen Hintergrund dokumentieren wollen, der die Disziplin «Critical Thinking» begleitet. Es handle sich also um eine Tarnung.
  • Jedes Fach müsse zum Denken führen, das gehöre zum Wesen des Unterrichts.
  • Das neue Fach raubt dort die meisten Ressourcen, wo es die Schüler am nötigsten hätten: in Deutsch – im Lese- und Textverständnis, das heisst in der Sprachkompetenz.
  • Das Fach werde bereits im zweiten Schuljahr am Gymnasium eingeführt, gemäss Andreotti eindeutig zu früh.
  • Das Fach signalisiere ein völlig einseitiges Menschenbild. Man glaubt, der Erfolg und die Probleme könnten nur mit der Ratio gelöst werden und man berücksichtige nicht, dass Entscheide meist auch emotional gefällt werden. Andreotti sagt: «Die emotionalen Momente des Menschen sind ausgeklammert. Die Ziele des Fachs sind rein abstrakt, sie erfassen nicht den ganzen Menschen, der auch ein Wesen mit Seele und Herz ist.» Das Fach «Reflektiertes Denken geht von einer Idealvorstellung vom Schüler aus, die mit der schulischen Realität wenig zu tun hat.

Die Namensgebung des neuen Fachs hält Bildungsrat Klaus Rüdiger auch nicht ganz geglückt, stellt sich aber hinter die Einführung und unterstützt aber die inhaltliche Ausrichtung des neuen Fachs:

O-Ton Rüdiger: «Wir sind der Meinung, dass kritisches und reflektiertes Denken systematisiert unterrichtet werden muss.»

Laut Rüdiger müsse die Einführung des Fachs im Gesamtkontext der Maturitätsreform betrachtet werden. Es sei eingebettet im St. Galler Reformprogramm «Gymnasiums der Zukunft», welches auch die Stärkung der Deutsch- und Mathematikkompetenzen zum Ziel habe.

  • Um das Deutsch-Manko zu verbessern, habe der Kanton St. Gallen das digitale Lerntool «Lernnavi» entwickelt.
  • Man wolle vom 45-Minuten-Unterricht wegkommen und vermehrt grössere Lerneinheiten (flexible Lernformate) einführen. Dort könnten die Kompetenzen aus den Grundlagenfächern konzentriert vermittelt werden.

Für Andreotti ist die Einführung des Fachs «reflektiertes Denken» letztlich ein Ausdruck eines heimlichen, aber nicht zugestandenen Misstrauens gegenüber den Gymnasien, das den Bildungsrat bei der Evaluation begleitet habe – das Misstrauen, dass die Maturanden in Bezug auf die überfachlichen Kompetenzen, wie etwa kritisches Denken, ungenügend für das Hochschulstudium vorbereitet seien.

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Das führt das Land geradewegs in die nächste Bildungskatastrophe https://condorcet.ch/2024/02/das-fuehrt-das-land-geradewegs-in-die-naechste-bildungskatastrophe/ https://condorcet.ch/2024/02/das-fuehrt-das-land-geradewegs-in-die-naechste-bildungskatastrophe/#respond Wed, 07 Feb 2024 07:01:41 +0000 https://condorcet.ch/?p=15867

Die Welt-Journalistin Hannah Bethke reagiert auf die Lehrerschelte von Andreas Schleicher. Der Pisa-Chef zeigte bekanntlich kein Verständnis für deren Überlastung (Der Condorcet-Blog berichtete darüber: https://condorcet.ch/2024/01/pisa-chef-rechnet-knallhart-mit-lehrern-ab-und-hat-dann-einen-wichtigen-appel/) Und der Philologenverband möchte die Pisa-Erhebungen in Deutschland deswegen gleich aussetzen. Beides aber löst das eigentliche Problem nicht.

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Während tagein, tagaus von den großen Umbrüchen dieser Welt die Rede ist und deutsche Politiker – bisher einigermassen erfolglos – die Bürger auf grundlegende “Transformationen” vorbereiten wollen, bleibt eines unverrückbar bestehen: die deutsche Bildungsmisere.

Gastautorin Hanna Bethke

Selbst wenn die Grundschulen schon bald auf ein Ende des Lehrermangels hoffen können, ist das eigentliche Problem damit nicht gelöst: Wissen, Fertigkeiten und Leistungen der Schüler sind rapide gesunken, sie verlassen schlecht ausgebildet die Schule, selbst bei Abiturienten gibt es keine Garantie, dass sie wenigstens die Rechtschreibung beherrschen und ordentlich rechnen können. Wem zu diesem ganzen Elend nichts mehr einfällt, der greift gern zu einem probaten Mittel: der Lehrerschelte.

Derzeit übt sich Pisa-Chef Andreas Schleicher in dieser wenig rühmlichen Praxis der einseitigen Schuldzuweisung. Er habe wenig Verständnis für Lehrer, die sich als blosse “Befehlsempfänger” sähen und “nur darauf pochen, dass sie überlastet seien”, sagte er in einem Interview der “Stuttgarter Zeitung”.

Es braucht keine weiteren Statistiken

Starker Tobak für einen Bildungsdirektor der OECD. Das findet auch der Deutsche Philologenverband, der vor lauter Ärger nun gefordert hat, die Pisa-Erhebungen in Deutschland auszusetzen. Verständlich, wenn auch wenig wirkungsvoll: Es braucht keine weitere Statistik, um festzustellen, wie wenig deutsche Schulen heutzutage taugen.

Eigentlich passt Schleichers negative Zuschreibung ja wunderbar in unsere Zeit. Denn wer beklagt sich gerade eigentlich nicht über sein gesellschaftliches Dasein? Die Bauern jammern, die Handwerker stöhnen, die Klimakleber heulen, die Künstler beschweren sich, die Lokführer maulen, die Kinder plärren, und die Eltern klagen sowieso in einem fort.

Wen kann es da noch überraschen, dass auch die Lehrer – von Putin-Freund Gerhard Schröder einst bei wohl nicht ganz klarem Verstand als “faule Säcke” beschimpft – in den allgemeinen Jammer-Chor der Deutschen einstimmen?

Lehrer als “Lernbegleiter”

Die Grenze der Resignation ist allerdings überschritten, wenn besagter Pisa-Chef selbst mit Floskeln hantiert, die bloss ein leeres Bildungsversprechen sind. Im Sammelsurium geistloser Didaktik ist besonders beliebt: der Lehrer als “Coach”. Manche sagen auch: “Lernbegleiter”.

Da kann man sich nur fragen: Wo lebt der Mann?

 

Auch Schleicher findet das eine prima Idee und glaubt im Ernst, so könne man Schülern “bei ihren individuellen Lernprozessen helfen”, ebenso auf dem vielbeschworenen Weg des gemeinsamen Lernens.

Da kann man sich nur fragen: Wo lebt der Mann? Diese erschütternde Praxis der inhaltlichen Aushöhlung von Bildung, die mit der humanistischen Bildungstradition nichts mehr gemein hat, ist bereits seit Jahrzehnten im Gange.

Lernen bleibt auf der Strecke

Noch immer von anti-autoritärer Ideologie getrieben, scheuen viele Lehrer klare Anleitung, degradieren sich selbst als Wohlfühlcoach, und vor lauter Individualisierung bei gleichzeitigem Gesamtschulfanatismus bleibt das Lernen auf der Strecke.

Eine so verstandene “Kompetenzorientierung” ist eben nicht das Wunderheilmittel, sondern ein massloser Etikettenschwindel, der das Land geradewegs in die nächste Bildungskatastrophe führt.

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Würden Sie die chinesische Gymiprüfung bestehen? https://condorcet.ch/2023/07/wuerden-sie-die-chinesische-gymipruefung-bestehen/ https://condorcet.ch/2023/07/wuerden-sie-die-chinesische-gymipruefung-bestehen/#comments Mon, 31 Jul 2023 06:25:54 +0000 https://condorcet.ch/?p=14699

In unserem Blog berichten wir immer wieder über die asiatischen Schulsysteme. Hier veröffentlichen wir einen Artikel von Katrin Büchenbacher, der in der NZZ erschienen ist. Katrin Büchenbacher ist Auslandskorrespondentin der NZZ. Ihre Erkenntnisse sind zwar nicht ganz neu, was den Druck und den Stress betrifft, dem die chinesischen Schüler ausgesetzt sind: Knallharte Quoten, grosse Konkurrenz und die Hälfte fällt durch. Spannend sind allerdings die Aussagen über die unterschiedliche Qualität der Berufsschulen und der Gymnasien.

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Die Zukunft von Qi Lians Sohn entscheidet sich an drei Tagen im Juni, in einem Prüfungssaal mitten in Peking. Die letzten zwei Monate ist Qi Lian, die in der Bauplanung arbeitet, vor 6 Uhr aufgestanden. Sie hat für ihren Sohn gekocht, hat ihn zur Schule gefahren und ist abends mit ihm zwei Stunden den Lernstoff durchgegangen. “Manchmal wollte er nicht, dass ich ihn fahre, manchmal brachte er nichts runter, wenn ich für ihn gekocht hatte”, erzählt Qi Lian per Videotelefon. “Ich habe mir solche Sorgen gemacht.”

Gastautorin Katrin Büchenbacher

In China haben im Juni und Juli 15 Millionen 15-Jährige die Gymiprüfung geschrieben. Sie wurden während zweieinhalb Tagen in zehn Fächern wie Chinesisch, Mathematik oder Englisch geprüft. Das Examen ist für Mittelschüler die einzige Chance, es ins Gymnasium und danach an eine Universität zu schaffen. Die Prüfung darf nicht wiederholt werden, und die Kinder müssen dafür nicht nur gut, sondern besser als ihre Mitschüler sein. Denn das Bildungsministerium hat eine fixe Quote festgelegt: Ungefähr die Hälfte erhält einen Platz am Gymnasium, die übrigen besuchen eine Berufsschule oder gehen nicht mehr zur Schule.

Frau Yan ist eine junge Kunstlehrerin an einer renommierten Mittelschule im Westen von Peking. Sie spricht nur mit der NZZ, wenn sie anonym bleiben darf, denn sie fürchtet um ihre Stelle. Frau Yan erzählt, in der Zeit vor der Gymiprüfung habe sie einer ihrer Schüler vor versammelter Klasse beleidigt, als sie ihn zum wiederholten Male aufgefordert habe, still zu sein – das sei vorher noch nie vorgekommen. Frau Yan erklärt sich das Verhalten ihres Schülers mit dem hohen Stress, den die bevorstehende Prüfung für die Schüler bedeute. Dabei seien es vor allem die Eltern, die ihre Kinder stark unter Druck setzten. Sie fürchteten sich davor, dass ihr Kind scheitere.

Die Berufsschulen fallen hinsichtlich Qualität massiv ab.

Scheitern würde bedeuten, dass das Kind auf eine Berufsschule müsste. Das Problem: Diese Berufsschulen fallen hinsichtlich der Qualität massiv ab. “In vielen der Berufsschulen lernen die Schüler quasi gar nichts. Viele brechen die Schule ab. Im besten Fall erwerben sie eng definierte berufliche Fertigkeiten, die sie jedoch nicht auf die Zukunft vorbereiten”, schreibt der Entwicklungsökonom Scott Rozelle in seinem Buch “Invisible China”. Eine Zukunft, in der vor allem die Fähigkeit, zu lernen und sich Veränderungen anzupassen, gefragt sei. Rozelle hat jahrzehntelang in China geforscht und etliche Berufsschulen besucht.

Die Zustände, die er dort antraf, waren teilweise schockierend: Schüler, die im Unterricht rauchten, auf dem Handy spielten oder gar nicht erst erschienen. In China haben die Berufsschulen deshalb auch oft den Ruf des “schlechten Umgangs”.

Die chinesische Gymiprüfung: hart, aber fair?

Neun Schuljahre sind in China obligatorisch. Dennoch geht ein Grossteil der Jugendlichen nach der Mittelschule weiter zur Schule, denn die Regierung hat in den letzten zwei Jahrzehnten den Zugang zur Bildung für 16- bis 18-Jährige stark erleichtert – nach dem Vorbild des dualen Bildungssystems, wie es in Deutschland oder der Schweiz üblich ist. Die Berufsbildung in China dauert in der Regel drei Jahre, mit einem halben Jahr Praktikum. Arbeiten kann man danach bestenfalls in der Pflege, im Gastgewerbe oder in technischen Berufen.

In China werden die Weichen in der Schule für das Leben eines jungen Menschen schon sehr früh gestellt.

Doch anders als in Deutschland oder der Schweiz hat China wenig in den beruflichen Bildungsweg investiert. Zudem findet an den Berufsschulen keine ausreichende Qualitätskontrolle statt. Zwar ist die Jobsicherheit mit einer beruflichen Ausbildung höher, doch die Löhne sind gering, Karriere- und Aufstiegschancen gibt es kaum. Durchlässigkeit ist nicht gegeben. An einer Universität studieren darf nur, wer ein Gymnasium besucht und die Universitätseintrittsprüfung bestanden hat – erst seit letztem Jahr gibt es erste Experimente, die auch Berufsschülern erlauben, die Universitätseintrittsprüfung zu absolvieren.

Die Schüler jagen jedem einzelnen Punkt nach.

An der Gymiprüfung entscheidet sich also, ob jemand sozial aufsteigen kann oder nicht. So werden die Weichen für das Leben eines jungen Menschen schon sehr früh gestellt. Damit nicht genug: je höher die Punktzahl, desto höher die Chance auf einen Platz in einem Top-Gymnasium, das wiederum die Chance auf einen Platz an einer von Chinas Eliteuniversitäten erhöht. Die Schüler jagen jedem einzelnen Punkt nach. Das zeigt das Beispiel des Fachs Sport, das nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtpunktzahl ausmacht. Trotzdem kann man in Chinas Sportstadien vor der Gymiprüfung immer wieder junge Schüler beobachten, die einen privaten Trainer angeheuert haben, damit sie im 100o-Meter-Lauf noch ein wenig schneller sind.

Lange Tage für einen 15-Jährigen

In China gibt es immer wieder Stimmen, die fordern, die gymnasiale Bildung allen zugänglich zu machen. So wurden die Quoten für die Gymiprüfung im vergangenen Jahr auch etwas gelockert, und seit 2019 bemüht sich das Bildungsministerium, die Qualität der Berufsschulen zu verbessern. Für den Entwicklungsökonomen Rozelle geht das noch zu wenig weit. Der Fokus müsse nicht auf spezifischen technischen oder handwerklichen Fähigkeiten liegen, die Jahre später schon wieder überholt sein könnten, sondern auf der Allgemeinbildung.

“Es besteht wenig Hoffnung, dass er an das Gymnasium kommt, das wir angepeilt hatten.”

Qi Lians Sohn ist vor der Prüfung jeweils um 6 Uhr aufgestanden, um 7 Uhr startete der Unterricht, Schulschluss war um 18 Uhr. Am Abend setzte er sich nochmals zwei Stunden hin, um zu lernen. Am Wochenende belegte er Zusatzkurse. Qi Lian hat das alles organisiert für ihn. Hat sich der ganze Stress gelohnt? 14 Tage nach der Prüfung erfährt sie das Resultat.

Ihr Sohn hat es ans Gymnasium geschafft. “Nicht ideal” findet Qi Lian seine Punktzahl. “Es besteht wenig Hoffnung, dass er an das Gymnasium kommt, das wir angepeilt hatten.”

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Ein Palast für die Bildung https://condorcet.ch/2023/07/ein-palast-fuer-die-bildung/ https://condorcet.ch/2023/07/ein-palast-fuer-die-bildung/#respond Thu, 13 Jul 2023 13:42:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=14549

Wer ein Auge für Schweizer Schulhäuser aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat, staunt über die architektonische Pracht dieser Bauten. Viele weisen Residenzcharakter auf. Sie signalisieren Aufbruch und Fortschritt. Ein Blick in die damalige Kleinstadt Zug von Condorcet-Autor Carl Bossard.

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Carl Bossard, 74, ist Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug. Davor war er als Rektor der kantonalen Mittelschule Nidwalden und Direktor der Kantonsschule Luzern tätig. Heute begleitet er Schulen und leitet Weiterbildungskurse. Er beschäftigt sich mit schulgeschichtlichen und bildungspolitischen Fragen.

Bis weit ins 19. Jahrhunderts hinein haben es Schule und Unterricht schwer: Einen regelmässigen Schulbesuch gibt es nicht. In einer bäuerlich-gewerblichen Gesellschaft besitzt Bildung einen bescheidenen Stellenwert. Sie bleibt das Vorrecht weniger. Die Bevölkerung ist arm, das Leben vieler kärglich, der Unterricht darum schmal. Man braucht die Kinder als Hilfskräfte auf Feld und Hof. Der Stall ist notgedrungen stärker als die Schiefertafel, das Brot wichtiger als ein Buch. Der obligatorische Schulbesuch, wie ihn die Helvetik von 1800 postuliert und der liberale Bundesstaat von 1848 vorsieht, ist darum schwierig zu konkretisieren.

Von der schmalen Schulstube zum majestätischen Bildungstempel

Mit der Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) von 1874 müssen alle Kantone die Primarschulpflicht durchsetzen: Die neue BV verordnet die allgemeine Schulpflicht. Der Primarunterricht wird für alle Kinder obligatorisch und unentgeltlich. Der Weg dahin aber ist steil und steinig. Bildung muss mühsam aus dem Wirrwarr des Zufallslernens befreit und zeitgerecht institutionalisiert werden. Doch es geht vorwärts.

Das Burgbachschulhaus in der Stadt Zug von 1875 (Bild: Stadtarchiv Zug)

Die Bildungsexpansion nach 1850 ruft nach Raum. Die Stadt Zug beispielsweise errichtet auf den Kellergewölben des alten Spittels ein repräsentatives Schulgebäude – aus Natursandstein und gehalten ganz im Stil der zeitgenössischen Neugotik: das Burgbachschulhaus. Der Bau wird 1875 eingeweiht und zum zentralen Schulhaus der Stadt Zug – allerdings nur für Knaben.[1] Die oft stickige Enge des Zimmers weicht nun der Weite eines Gebäudes. Der Wechsel aus der muffig-maroden Schulstube früherer Zeiten ins geräumig-grosse Burgbach-Schulhaus gleicht einem Siebenmeilenschritt. Es umfasst sechs luftige und helle Unterrichtsräume, dazu einen Musiksaal und auch Fachräume. Das Neue wird fassbar und konkret.

Die Schulhausuhr signalisiert eine neue Epoche

Jede Gemeinde baut ihr Schulhaus, oft mit klassizistischen Säulen, meist mit klar gegliederter Fassade, weiten Fenstern und einem grossen Treppenaufgang: Die Kinder steigen nun zur Bildung empor – und durchschreiten für den Unterricht die grosse Eingangspforte. Symbol und Auftrag zugleich. Auch beim Burgbachschulhaus.

Eindrücklich kommt das beim imposanten Stadtzuger Neustadtschulhaus (heute Musikschule) zum Ausdruck: die breite Stiege und die markante Türe mit dem Rundbogen und den allegorischen Figuren. Sie steht auch Mädchen offen – allerdings erst nach hartem politischem Ringen.

Das Stadtzuger Neustadtschulhaus von 1909 mit dem Aufgang und Eingang zur Bildung (Foto: Stadt Zug/zVg)

Neben der Kirche erhält vielfach auch das Schulhaus eine Uhr. Sie signalisiert die neue Epoche: Das Schulleben geht im Takt – die Zeit der Uhr als standardisierte Normalität. Zeiten der Schule sind Zeiten des Lernens. 

Ein neoklassizistischer Schulpalast

Wer die beiden Stadtzuger Schulhäuser betrachtet, wundert sich über die architektonische Eleganz dieser Bauten. Beide weisen Residenzcharakter auf. Sie gelten – wie viele Schulhäuser aus dieser Zeit – als Tempel des bildungspolitischen Aufbruchs und Fortschritts. Der Bau signalisiert die neue Ära: Das Land realisiert ideell und dann auch materiell-organisatorisch, was bereits die Helvetische Republik (1798–1803) unter ihrem Bildungsminister Philipp Albert Stapfer erreichen wollte: eine umfassende und für alle Kinder obligatorische Bildung und Erziehung als Fundament des demokratischen Staates.

1870 entsteht etwas ausserhalb der Stadt Zug eine private Knabenschule. Errichtet wird ein eindrücklicher Schulpalast im neoklassizistischen Stil. Dazu gehört auch eine Turnhalle – die erste im Kanton Zug; dazu zählen Spielplätze, eine Allee und ein weiter Park mit Springbrunnen, Grotten und einem Weiher. Das Areal reicht bis zum See. Die Gotthardbahn existiert noch nicht. Erst 1897 durchschneiden ihre Geleise die weitläufige Grünfläche dieser herrschaftlichen Schulanlage.

«Minerva» bei Zug, Erziehungs- und Unterrichts-Anstalt für Knaben – um 1880 (Bild: Stadtarchiv Zug)

Zeitzeuge und Erinnerungsort vieler Gymnasialjahrgänge

Die Schule trägt den Namen Minerva, nach der römischen Göttin der Weisheit. 1906 entsteht auf dem Campus ein privates «Mädchengymnasium und eine internationale höhere Töchterschule»; Namensträgerin wird Athene, die griechische Göttin der Wissenschaft. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss die Schule schliessen.

1920 zieht die Kantonsschule Zug ins imposante Schulgebäude der Athene ein – mit rund 100 Schülern und einigen wenigen Schülerinnen. Der Name Athene ist Programm und Auftrag: humanistische Bildung, orientiert an der griechisch-​römischen Klassik – für unzählige Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. 50 Jahre später zählt die Schule über 700 Personen. Das Bauwerk ist zu klein geworden. 1975 zieht das Zuger Gymnasium an einen neuen Standort – nach einem rauschenden Abschiedsfest und einer «wilden Nacht mit Athene».[2]

Der alte Schulpalast von 1870 soll einem Neubau weichen. Doch eine Volksinitiative rettet diesen Zeitzeugen und Erinnerungsort vieler Gymnasialjahrgänge vor dem Abriss. Das Gebäude wird sorgfältig renoviert.[3] Heute beherbergt die Athene die kantonale Fachmittelschule FMS und die Berufsvorbereitungsschule BVS.

Bildung als Bergaufprozess

Das «Volk im Zwilch», die einfachen Leute, aus seiner Not herausführen und emporführen – und es dem «Volk in Seide» über Bildung gleichstellen, das ist Johann Heinrich Pestalozzis Idee, davon träumen die Repräsentanten der Helvetik, das realisiert der neue Bundesstaat von 1848. Doch Bildung ist anstrengend und anspruchsvoll, lernen und sich bilden ein steter Bergaufprozess und kein linearer Schnellpfad – das weiss die Gründergeneration der Schweizer Volksschule. Die Treppe zum Schulhaus symbolisiert es. Keine Spur von der aktuellen Leichtigkeitsillusion! Viele alte Schulhäuser erinnern an diesen Aufbruch – und den Aufstieg zur Bildung.

Die repräsentativen Schulgebäude von damals zeigen zugleich, welche eindrückliche Form man der Formatio, der Bildung, gegeben hat: Der Weg führte aus der engen, stickigen Schulstube hinaus zum majestätischen Bildungstempel. Bildung als Befreiung. Ganz im Sinne des Philosophen Immanuel Kant. Das erstaunt nicht. Die frühen Promotoren einer besseren Bildung waren vielfach am Denker aus Königsberg geschult. Das galt für Stapfer wie für Pestalozzi.

 

[1] Die Mädchen gehen weiterhin zu den Lehrschwestern von Maria Opferung oberhalb der Stadt Zug zur Schule.

[2] Andreas Grosz, ATHENE oder: Aus der Schule plaudern, in: NZZ, 25./26.02.1989, S. 86-88

[3] Renato Morosoli, Göttin am Zugersee, in: Personalziitig 86/2018, S. 14f.

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Bundesland erwägt, Mathe-Prüfung zu streichen https://condorcet.ch/2023/06/bundesland-erwaegt-mathe-pruefung-zu-streichen/ https://condorcet.ch/2023/06/bundesland-erwaegt-mathe-pruefung-zu-streichen/#respond Wed, 28 Jun 2023 21:03:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=14406

Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) will das Leistungsniveau im Abitur im Land stärker an die anderen Bundesländer angleichen – nach unten. "In elf Ländern ist eine verpflichtende Prüfung im Grundkurs Mathematik nicht vorgesehen", sagte sie hierzu in Schwerin. Aufgrund dieses Unterschieds seien die Prüfungsergebnisse in Deutschland nicht vergleichbar. Diese skurrile Meldung entnehmen wir der Plattform news4teacher.

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Oldenburg bezog sich auf eine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz und erklärte: “Mathematik gehört zu den Fächern, die in der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe als Grundkurs oder als Leistungskurs zu belegen sind. In Mecklenburg–Vorpommern ist darüber hinaus eine Abiturprüfung im Fach Mathematik verbindlich”.

Ob die verpflichtende Matheprüfung im Nordosten zukünftig entfällt, darüber soll eine Lenkungsgruppe entscheiden. Dieses aus Praktikerinnen und Praktikern bestehende Gremium berate seit mehr als einem Jahr “ergebnisoffen” über die Weiterentwicklung des Abiturs. Ziel ist demnach, die Vergleichbarkeit zu stärken und eine Benachteiligung der Schülerinnen und Schüler in Mecklenburg–Vorpommern zu vermeiden.

Vergleich des Abiturs bundesweit verbessern

“Dazu gehört auch, welche Veränderungen in der Anwahl von Prüfungsfächern oder der Prüfungspflicht von Fächern notwendig sind, um die Vergleichbarkeit des Abiturs bundesweit zu verbessern und damit eine Benachteiligung der Schülerinnen und Schüler in Mecklenburg–Vorpommern zu vermeiden”, erklärte Oldenburgs Sprecher.

Die CDU-Fraktion vermisst Klarheit: Die Bildungsministerin “möchte lieber ein Abitur ohne Matheprüfung und wahrscheinlich eine Schule, an der Leistung nicht das ausschlagende Kriterium für Erfolg ist”, sagte der bildungspolitische Sprecher Torsten Renz. Er vermutete jedoch, dass der Koalitionspartner SPD hier anderer Meinung sei, weswegen Oldenburg jetzt zurückrudere. Am Wochenende hatte die “Ostsee-Zeitung” berichtet, Oldenburg plane eine Abschaffung der Prüfungspflicht im Fach Mathematik.

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Den Dax-Konzernen ist die Abiturnote fast egal https://condorcet.ch/2023/03/den-dax-konzernen-ist-die-abiturnote-fast-egal/ https://condorcet.ch/2023/03/den-dax-konzernen-ist-die-abiturnote-fast-egal/#respond Tue, 07 Mar 2023 15:15:12 +0000 https://condorcet.ch/?p=13365

Vor kurzem publizierten wir einen Bericht über die zunehmenden Einser-Abiturnoten in Deutschland. Jürgen Salz, Journalist der "Wirtschaftswoche", startete daraufhin eine Umfrage bei den DAX-Unternehmen und erhielt Rückmeldungen, wie wir sie auch aus der Schweiz kennen.

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Der Rektor der Uni Münster klagt über eine Zunahme von Einser-Abiturnoten. Für große Arbeitgeber spielen Noten kaum noch eine Rolle. Wie eine Umfrage unter Dax-Konzernen zeigt, kommt es auf andere Kriterien an.

Wirtschaftswoche-Journalist Jürgen Salz

Noten werden überbewertet – das sagen jetzt auch Deutschlands Dax-Konzerne. Etwa der Halbleiterhersteller Infineon: „Für die Einstellungsentscheidung spielt die Abschlussnote eine eher untergeordnete Rolle.“ Viel wichtiger seien persönliche und soziale Kompetenzen. Eine „nebensächliche Rolle“ hätten die Schul- oder Uninoten bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, erklärt auch der Klebstoff- und Waschmittelproduzent Henkel in einer Umfrage der WirtschaftsWoche. Zu den wenigen Unternehmen, die auf gute Noten Wert legen, zählt der Medizintechnik-Hersteller Siemens Healthineers. Dort sind „Abiturnoten ein wichtiger Baustein im Bewerbungsprozess“, wie der Konzern mitteilt.

Seine Zeugnisnoten interessieren die meisten grossen Arbeitgeber nur mässig.

Um die Kandidatinnen und Kandidaten zu checken, setzen Dax-Konzerne wie Fresenius, Bayer, Merck oder Continental lieber auf eigene Tests. Bayer habe seinen Online-Test „mehrfach evaluiert“, erklärt Ralf Rademann, Leiter der Berufsausbildung: „Das Ergebnis des Online-Tests ist eine gute Indikation, ob die sich bewerbende Person das Ziel der Ausbildung erreichen wird.“ Das Zeugnis würde lediglich als „Themengeber“ bei den Einstellungsgesprächen, nicht als Entscheidungsmerkmal genutzt.

Ausbildungsreife lässt nach

Insbesondere achten die Unternehmen auf Teamfähigkeit, Motivation und fachliche Eignung. „Ein guter Mechatroniker zum Beispiel braucht nicht unbedingt ein Einserzeugnis“, heißt es bei Continental. Adidas achtet etwa auf „Anschreiben, Arbeitszeugnisse oder auch kreative Bewerbungsformate wie Videos“. Außerschulische Aktivitäten sowie soziales Engagement können bei der Bewerbung dort ebenfalls Pluspunkte bringen. Der Energiekonzern Eon betont die Diversität: „Denn wir sind davon überzeugt, dass diverse, inklusive Teams, in denen verschiedene Erfahrungen und Sichtweisen zum Tragen kommen, erfolgreicher sind. Einzelne Fähigkeiten, Weiterbildungen oder Abschlussnoten spielen dann eher eine nachgelagerte Rolle.“

“Ein guter Mechatroniker zum Beispiel braucht nicht unbedingt ein Einserzeugnis.”

Manche Äußerungen aus den Dax-Konzernen lassen allerdings erahnen, dass es durch die Corona-Pandemie für die Unternehmen schwieriger geworden ist, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden. So erklärt etwa BMW: „Generell haben wir bundeslandübergreifend und schulartenübergreifend die Erfahrung gemacht, dass die Aussage- und Differenzierungskraft von Schulnoten insbesondere in den Pandemie-Jahren deutlich zurückgegangen sind.“

Noch deutlicher wird Bayer-Manager Rademann: „Prinzipiell stellen aber auch wir fest, dass die Ausbildungsreife sowohl im kognitiven Bereich als auch im Bereich des Verhaltens zunehmend nachlässt. Das gilt für Absolventen aller Schulformen und in allen Regionen. Neu ist auch, dass die aktuellen Bewerber immer weniger über das Berufsbild wissen, für das sie sich bewerben. Vermutlich kommt dies durch die Pandemie und die dadurch fehlenden Schülerpraktika und Berufsfelderkundungen zustande.“

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Verabschiedet euch von der Kompetenz! https://condorcet.ch/2023/03/verabschiedet-euch-von-der-kompetenz/ https://condorcet.ch/2023/03/verabschiedet-euch-von-der-kompetenz/#comments Mon, 06 Mar 2023 13:06:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=13328

Der Diskurs, den der emeretierte Professor Franz Eberle mit seinem Beitrag über die Ideologisierung der Kompetenzorientierung (https://condorcet.ch/2023/02/wissens-versus-kompetenzorientierung-eine-unselige-polarisierung/ ) ausgelöst hat, geht weiter. Condorcet-Autor Felix Schmutz ruft Herrn Eberle die Herkunft des Begriffs in Erinnerung und mahnt einen Verzicht auf diesen an.

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Felix Schmutz, Baselland: Es geht um Messbarkeit.

Franz Eberle rechtfertigt seinen Kompetenzbegriff, fühlt sich missverstanden von Herrn Ladenthins Replik. Dabei vernebelt er die Herkunft des umstrittenen Konzepts und widerspricht sich auch selbst. Der Bildungsdiskurs sollte sich von diesem Schlagwort langsam trennen, denn es zeigt sich wieder einmal, wie beliebig es von verschiedenen Bildungsfachleuten interpretiert wird.

Franz Eberle ist emeritierter Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Zürich: keinen Gegensatz zur Wissens- und Fachorientierung.

Der Philosoph Anton Hügli hat in seiner fundamentalen Analyse Was ist Kompetenz? darauf hingewiesen, dass der Begriff in der heutigen Bedeutung aus der Psychologie stammt. Der amerikanische Psychologe McClelland entwickelte ihn zu Beginn der Siebzigerjahre, um die Eignung von stellenbewerbenden Leuten für bestimmte Berufe zu eruieren, da das relevante Können mit dem bisher üblichen Intelligenztest zu wenig klar antizipiert werden konnte. Dabei ging es wie beim Intelligenztest immer auch um Messbarkeit. Aufgrund des Problemlösetests sollten Menschen berufliche Fähigkeit und Tauglichkeit zugeschrieben werden können. Nicht so sehr die Fähigkeit, eine einzelne Aufgabe zu lösen, als die Erfahrung, mit ähnlich gelagerten Aufgaben in geeigneter Weise umzugehen, was als Disposition bezeichnet wurde. Wichtig: Kompetenz ist ein Konstrukt, eine Qualitätszuschreibung, die von Autoritäten (Psychologen, Testinstituten) mehr oder weniger opportunistisch vergeben wird.

In der Bildungspolitik entstand nun aufgrund der PISA-Resultate eine Panik: Weil die Kompetenzen enttäuschend waren, musste das Bildungsprogramm umgestellt werden.

Einzug in den Bildungsdiskurs hielt der Begriff erst im Zusammenhang mit PISA. Die Vergleichbarkeit der Schulqualität musste mit einem wissenschaftlichen Messverfahren vollzogen werden. Die Stunde von Weinert, Klieme und andern pädagogischen Psychologen war gekommen, also von Leuten, die mehr von psychologischen Tests, aber weniger von Schule und Unterricht verstehen. Ihre Forschungen und Programme zielen deshalb hauptsächlich auf das, was im Unterricht herauskommen soll und wie dieses zuverlässig gemessen werden kann, anders gesagt auf den «Output».

Es entstand Panik

In der Bildungspolitik entstand nun aufgrund der PISA-Resultate eine Panik: Weil die Kompetenzen enttäuschend waren, musste das Bildungsprogramm umgestellt werden, nämlich derart, dass der Fokus in den Schulen von Anfang an auf Eignung und Tauglichkeit für bestimmte Zwecke gelegt werden sollte: die «Outputorientierung» war geboren. Daher der Auftrag, die Lehrpläne nicht mehr auf Inhalte und Lernziele auszurichten, sondern auf die Fähigkeit, Aufgaben zu lösen.

Eberle nimmt Bezug auf die Lernziele (Mager, Bloom) und die entsprechenden Taxonomien in den Lehrplänen der Siebziger- und Achtzigerjahre. Allerdings sind Lernziele und Kompetenzen nicht dasselbe: Lernziele beschreiben das Können, das ein inhaltliches Ziel erfordert, und zwar von der Sache her gedacht. Kompetenzen beschreiben die Dispositionen, personalen Fähigkeiten und Einstellungen, welche zur Lösung einer bestimmten Aufgabe nötig sind. Der Unterschied liegt in der Perspektive: Lernziele sind didaktische Schritte, die zum Ziel führen. Kompetenzen sind mentale, psychisch-soziale und physische Möglichkeiten des Individuums, die als Grundlage für eine Leistung vorhanden sein müssen.

Es liegt deshalb schon in der Anlage des Konstrukts Kompetenz, dass Inhalte in dieser Betrachtungsweise zweitrangig sind. Kompetenzen sollen immer Bündel von Inhalten abdecken. Neben Ladenthin hat auch Konrad Paul Liessmann immer wieder auf diesen Umstand hingewiesen.

Kompetenzen kürzen ab, indem sie nur auf Resultate, Anwendung zielen und die Entwicklung, die diesen «skills» vorangeht, glauben überspringen zu können.

Der Unterschied zwischen Lernzielen und Kompetenzen ist pädagogisch bedeutsam: Inhalte und Lernziele fokussieren in erster Linie auf fachliche Auseinandersetzungen, Problemstellungen, Lernprozesse, Gedächtnis, Verarbeitung und erst in zweiter Linie auf Anwendung. Kompetenzen kürzen ab, indem sie nur auf Resultate, Anwendung zielen und die Entwicklung, die diesen «skills» vorangeht, glauben überspringen zu können.

Die genannten Zusammenhänge lassen sich nicht mit Eberles Argumentation aus der Welt schaffen. Kompetenzen führen zu einer Verengung des Bildungsbegriffs, man mag es biegen und wenden, wie man will.

 

Anton Hügli, Was ist Kompetenz? Begriffsgeschichtliche Perspektiven eines pädagogischen Schlagworts, lvb.inform 2016/2017-03

 Rober F. Mager, Lernziele und Unterricht, Weinheim, Basel, 1978

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Kompetenzen sind nicht inhaltsneutral https://condorcet.ch/2023/03/kompetenzen-sind-nicht-inhaltsneutral/ https://condorcet.ch/2023/03/kompetenzen-sind-nicht-inhaltsneutral/#comments Wed, 01 Mar 2023 17:41:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=13318

Franz Eberle hat den Beginn gemacht. Er analysierte den gegenwärtigen Streit um die Kompetenzorientierung, mahnte zum verbalen Abbau und forderte eine Ende der "unseligen ideologisierten Debatte". Condorcet-Autor Volker Ladenthin widersprach ihm und hielt ihm das Bild von "Generalisten, die zwar „überfachliche“ Kompetenzen vorweisen können, aber von der Sache nichts verstehen", entggegen. Wir bringen eine Dublik des kritisierten Franz Eberle und freuen uns auf einen respektvollen und gehaltvollen Diskurs.

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Franz Eberle ist emeritierter Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Zürich: keinen Gegensatz zur Wissens- und Fachorientierung.
Professor Volker Ladenthin: Lernen bereitet auf Wissenschaft vor.

Leider ist meine Intention, die «unselige Polarisierung zu beenden», erfolglos geblieben, und ich unternehme mittels einer Duplik zur Replik von Volker Ladenthin einen nächsten Versuch zur Entschärfung der Debatte. Volker Ladenthin argumentiert weiterhin auf der Grundlage von Annahmen über die «Kompetenztheorie», die bei Weitem nicht von allen Befürwortern kompetenzorientierter Bildung und auch nicht der empirischen Kompetenzforschung geteilt werden und deshalb zu Disputen führen, die sich vorwiegend wegen Differenzen im semantischen Verständnis von Begrifflichkeiten ergeben. Unter Weglassung der Verknüpfungen mit dem Begriff «Kompetenzen» teile ich viele der normativen Maximen und Grundannahmen von Kollege Ladenthin über Bildung, soweit sie in seiner Replik sichtbar werden, die Differenzen ergeben sich fast ausschliesslich aus Unterschieden im Verständnis des Begriffs «Kompetenzen». Im Folgenden gehe ich auf einige Einzelaussagen der Replik von Volker Ladenthin näher ein:

Leider finden sich in der Tat in kompetenzorientierten Lehrplänen viele schlecht gesetzte Kompetenzziele. Ungenügend formulierte Zielbeschreibungen finden sich aber ebenso in nicht kompetenzorientierten Lehrplänen.

– Selbstverständlich kommt es darauf an, «ob man die chemische Analyse an der Herstellung von militärischen Giftgasen oder an der Herstellung von künstlichem Dünger lernt». Abgesehen davon, dass es sich um zwei verschiedene Fachkompetenzen handelt, ist «Chemische Analyse» ohne weitere inhaltliche Bestimmung und den Einbezug normativer (Kompetenz-)Aspekte im Hinblick auf die Bildungsziele des Schweizer Gymnasium ein sehr mangelhaft formuliertes Kompetenzziel und damit ein Beispiel schlecht umgesetzter Kompetenzorientierung. Leider finden sich in der Tat in kompetenzorientierten Lehrplänen viele schlecht gesetzte Kompetenzziele. Ungenügend formulierte Zielbeschreibungen finden sich aber ebenso in nicht kompetenzorientierten Lehrplänen.

In der Schweiz ist gemäss Bildungszielartikel für das Gymnasium die angestrebte Studierfähigkeit eine Allgemeine Studierfähigkeit, und zwar eine solche, die tatsächlich ausreichende Grundlage für die erfolgreiche Aufnahme und Bewältigung irgendeines universitären Studiums ist und somit keine weiteren Eignungs- und Zulassungsprüfungen oder Numerus-clausus-Bestimmungen mehr notwendig macht.

Zielrichtung führt nicht zu Inhaltsbeliebigkeit entsprechender Kompetenzen.

– Natürlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das Gymnasium auf das Studium vorbereitet. Auf welche Studien die Vorbereitung erfolgen bzw. welche Art von Studierfähigkeit es sein soll und welcher Unterricht in welchen Fächern mit welchen Lehr-Lerninhalten diesem Ziel am besten dient, ist aber überhaupt nicht selbstverständlich. Zur besseren Klärung dieser Frage braucht es doch noch Einiges sowohl an systemgestaltenden bildungspolitischen Vorgaben und Absprachen zwischen dem Gymnasium und den Hochschulen als auch an empirischer Forschung zu den Konsequenzen solcher normativen Vorgaben für Curriculum und Unterricht. In der Schweiz ist gemäss Bildungszielartikel für das Gymnasium die angestrebte Studierfähigkeit eine Allgemeine Studierfähigkeit, und zwar eine solche, die tatsächlich ausreichende Grundlage für die erfolgreiche Aufnahme und Bewältigung irgendeines universitären Studiums ist und somit keine weiteren Eignungs- und Zulassungsprüfungen oder Numerus-clausus-Bestimmungen mehr notwendig macht. Welche Kompetenzziele und welcher Unterricht dem dienen, wird in der aktuellen Revision des Rahmenlehrplans untersucht. Das Schweizer Gymnasium kennt zudem gemäss seinem Bildungszielartikel, wie in meinem Blog-Beitrag beschrieben, ein zweites, in meiner normativen Überzeugung mindestens so wichtiges Ziel, nämlich die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft, damit sie später einen verantwortungsvollen Beitrag zu deren Lösung leisten können. Darüber, ob der von mir verwendete, zusammenfassende Begriff «vertiefte Gesellschaftsreife» diese Zielbeschreibung ausreichend trifft, lässt sich selbstverständlich streiten, ändert aber am Ziel nichts. Welche weiteren Lehr-Lerninhalte in welchen Fächern es für die Erreichung auch dieses Ziels braucht, muss ebenfalls sorgfältig in der laufenden Lehrplanarbeit geklärt werden. Jedenfalls führt auch diese Zielrichtung nicht zu Inhaltsbeliebigkeit entsprechender Kompetenzen.

Die Aussage von Volker Ladenthin, dass «die Kompetenztheorie … in neuen schönen Worten den uralten Traum einer Schulung zu inhaltsneutralen Fähigkeiten, die man auf alles und jedes anwenden kann», entspricht eben nicht meinem Verständnis von Kompetenzen, auch nicht jenem von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen, und natürlich auch nicht dem Kenntnisstand der empirischen Forschung sowohl der Kognitions- und der Neuropsychologie als auch weiterer Forschungstraditionen wie Transfer- und Problemlöseforschung.

– Auf einer allgemeineren Ebene: Die Aussage von Volker Ladenthin, dass «die Kompetenztheorie … in neuen schönen Worten den uralten Traum einer Schulung zu inhaltsneutralen Fähigkeiten, die man auf alles und jedes anwenden kann», entspricht eben nicht meinem Verständnis von Kompetenzen, auch nicht jenem von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen, und natürlich auch nicht dem Kenntnisstand der empirischen Forschung sowohl der Kognitions- und der Neuropsychologie als auch weiterer Forschungstraditionen wie Transfer- und Problemlöseforschung. Richtig an der Aussage von Volker Ladenthin ist, dass es nichtsdestotrotz die Illusion inhaltsneutraler Fähigkeiten in verschiedenen theoretischen Gewändern gab und gibt – von den früheren formalen Bildungstheorien bis hin zu den aktuellen Visionen von Schlüsselkompetenzen oder inhaltsunabhängigen Schlüsselqualifikationen, die sich aber bisher allesamt empirisch nicht belegen liessen. Dieser Mythos war schon Gegenstand sowohl meines Habilitationsvortrags 1996 an der Universität St. Gallen als auch insbesondere meiner Antrittsvorlesung an der Universität Zürich im Jahre 2000. Ich bin ihm in meinen Referaten und Schriften immer wieder entgegengetreten und habe die Wichtigkeit der sorgfältigen Auswahl von Fachinhalten auf allen Bildungsstufen immer betont. Die Aussage nun, dass «die Kompetenztheorie» unisono diesen Mythos vertrete, stimmt einfach nicht. Es sind nur Auswüchse und Irrwege einiger Exponenten, die aber keine empirische Basis für ihre Version der Kompetenztheorie vorweisen können. Die Kompetenztheorie, soweit ich sie kenne und ihr zustimme, vertritt auch nicht Interdisziplinarität ohne solides fachliches Fundament der zugrundeliegenden Fachdisziplinen.

Ein polarisierendes, leider weit verbreitetes, aber eben sehr reduziertes Verständnis von Kompetenz

– Sowohl am Beispiel aus dem Chemieunterricht als auch in der Aussage von Volker Ladenthin zum angeblichen Traum der Kompetenzbefürworter zeigt sich das polarisierende, leider weit verbreitete, aber eben sehr reduzierte Verständnis von Kompetenz als überfachliche Kompetenzen. Zentral sind Sachkompetenzen, die eben an konkretes und keineswegs beliebiges Fachwissen gebunden sind. Aber auch Selbst- und Sozialkompetenzen sind überwiegend kontextspezifisch. Auch die überfachlichen Kompetenzen lassen sich nicht «inhaltsleer» erwerben. Der Weg führt über den Erwerb in den Fächern, deren Inhalte eben nicht beliebig sind. Wie weit es die überfachlichen Kompetenzen überhaupt gibt, ist zudem tatsächlich nicht abschliessend geklärt. Das ist aber kein Totschlagargument für die Sinnhaftigkeit der Kompetenzorientierung, sie bliebe auch ohne tragfähige überfachliche Kompetenzen ein geeignetes Konzept zur Erreichung von Bildungszielen.

Die genaue Messbarkeit ist keine zwingende Eigenschaft von Kompetenzen.

– Ich bestreite, dass die Kompetenzorientierung an die Bildungsideologie der OECD geknüpft ist. In meinem Blog-Beitrag habe ich die Definition von Kompetenzen leicht gekürzt wiedergegeben, was der Platzbeschränkung in der NZZ geschuldet war. Ich füge sie deshalb im Folgenden nochmals an, in der Originalversion (Hartig & Klieme, 2007, S. 21): «Kompetenzen sind Dispositionen, die im Verlaufe von Bildungs- und Erziehungsprozessen erworben (erlernt) werden und die Bewältigung von unterschiedlichen Aufgaben bzw. Lebenssituationen ermöglichen. Sie umfassen Wissen und kognitive Fähigkeiten, Komponenten der Selbstregulation und sozial-kommunikative Fähigkeiten wie auch motivationale Orientierungen.» Es handelt sich dabei gemäss Hartig & Klieme (2007, S. 21) um «zentrale Bestandteile des Begriffsverständnisses», die sowohl in der erziehungswissenschaftlichen als auch in der pädagogisch-psychologischen Forschung «immer wieder zu Tage treten». Die Definition ist insofern wertneutral formuliert, als es offenbleibt, welche «Aufgaben und Lebenssituation» mittels entsprechender Kompetenzen bewältigt werden können sollen. Für das Schweizer Gymnasium sind es natürlich jene, die im Bildungszielartikel des Schweizer Gymnasiums formuliert sind, nicht die OECD-Ziele. Die OECD hat den Begriff «Kompetenz» nicht für ihre spezifischen Ausbildungsabsichten gepachtet, er ist nicht an diese gebunden. Wenn im Weiteren Kompetenzen gemäss der angeführten Definition nur teilweise messbar sind, können trotzdem auch die schlecht oder nicht messbaren Teile als Leitlinien für Bildung und Unterricht dienen. Die genaue Messbarkeit ist keine zwingende Eigenschaft von Kompetenzen.

– Weshalb mir die Definition von Hartig und Klieme (2007) besser zusagt als jene von Weinert (2001, S. 27 f.): Sie ist erstens aus einer umfassenden Analyse verschiedener Ansätze zum Kompetenzbegriff hervorgegangen, von denen jene von Franz E. Weinert nur einer davon ist. Zweitens, während Weinerts Definition noch auf die Lösung «bestimmter Probleme» fokussiert und damit zu Recht einen Teil der Kritik hervorgerufen hat – Bildung sei mehr als die Ausbildung von Problemlösenden –, weiten Hartig und Klieme das Zielspektrum allgemein auf die «Bewältigung von unterschiedlichen Aufgaben bzw. Lebenssituationen» aus.

– Zu den «sentimentalen» nichtkognitiven Kompetenzen: Ich habe neben meiner Arbeit an Universitäten während rund 15 Jahren zu mindestens 50% am Gymnasium unterrichtet, unter anderem in den Fachbereichen Staatsrecht und politische Bildung. Eine Haltung, «Menschenrechte werden so zum diffusen Gefühl, das nicht weiter stört», war weit weg von dem, was ich unternommen habe, für die Wertebildung der jungen Leute beizutragen. Wenn in meinem Blogartikel «Werthaltungen» als Beispiel von «nichtkognitiven Kompetenzen» aufgeführt sind, verleitet das zwar tatsächlich zu einer solchen abwertenden Bewertung. Ich schreibe aber auch: «Diese Bestandteile des Kompetenzbegriffs überschneiden sich und stehen im Hinblick auf die Bewältigung von Aufgaben bzw. Lebenssituationen in einem komplexen wechselseitigen Verhältnis.» Damit ist auch die Selbstverständlichkeit gemeint, dass Wertebildung und Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und mit jenen Anderer mittels eines kognitiven Zugangs erfolgt und in der Schule erfolgen muss. Ich erinnere mich an viele intensive Wertediskussionen mit meinen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Letztlich bleibt aber bei den vorhandenen und resultierenden Werthaltungen und Überzeugungen eine Nichtrationalität. Zudem: auch Gefühle – Volker Ladenthin reduziert sie auf «Sentimentalität» – gehören zum Menschsein und das sich darin zurecht finden zur Bildung.

Bereits Lernziele haben teilweise die Eigenschaften von Kompetenzzielen

– Es stimmt, dass Vieles, was ich bezüglich Kompetenzkonzept nenne, nicht neu ist. Das behaupte ich auch nicht. Das sage ich ja schon lange in meinen Referaten und Schriften. Sowohl die von Volker Ladenthin genannten allgemeinen Bildungsziele der Aufklärung als auch die von mir eingebrachten spezifischen Bildungsziele des Schweizer Gymnasiums stehen über den daraus abzuleitenden Kompetenzen. Kompetenzen sind keine Selbstläufer. Auch im Hinblick auf übergeordnete Bildungsziele zu entwickelnde Lernziele ist die Kompetenzorientierung nicht neu. So haben beispielsweise bereits Lernziele, die nach den von Benjamin S. Bloom (Bloom, 1976) und seinen Kolleginnen und Kollegen in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffenen Taxonomien für Lernziele im kognitiven und affektiven Bereich entwickelt werden, teilweise die Eigenschaften von Kompetenzzielen; die zu Beginn dieses Jahrhunderts von Lorin Anderson, David Krathwohl und weiteren Mitarbeitenden (Anderson et al., 2001) weiter entwickelte bloom’sche kognitive Taxonomie ab der Kompetenzstufe «Anwendung». Ergänzend neu an der Kompetenzidee ist höchstens das explizite Erfordernis, Kompetenzziele inhaltlich in umfassenden Fach- oder Themenbereichen systematisch miteinander zu verbinden, damit daraus auch umfassend-ganzheitliche Kompetenzen entstehen.

Natürlich ist es richtig, nicht einlösbare Versprechungen einiger «Kompetenztheoretiker» anzuprangern und den Bildungszieldiskurs zu führen.

 Welches nun das richtige Verständnis von Kompetenzen ist, und ob man entsprechend dafür oder dagegen ist, wird leider wohl weiterhin Streitobjekt bleiben. Natürlich ist es richtig, nicht einlösbare Versprechungen einiger «Kompetenztheoretiker» anzuprangern und den Bildungszieldiskurs zu führen. Aber es ist einfach falsch, alle Befürworter kompetenzorientierter Bildung jenen «Träumern» zuzuordnen, die nur noch inhaltsleere Fähigkeiten oder Kompetenzen schulen wollen, oder sie gar in den gleichen kleinräumigen Topf kultur- und bildungsfeindlicher, ausschliesslich auf ökonomische Nützlichkeit ausgerichteter Interessen zu werfen. Eine solche Deutungshoheit können die «Kompetenzgegner» nicht beanspruchen.

Literatur

Anderson, L. W., Krathwohl, D. R., Airasian, P. W., Cruikshank, K. A., Mayer, R. E., Pintrich, P. R., Raths, J., & Wittrock, M. C. (2001). A taxonomy for learning, teaching and assessing. A revision of Bloom’s taxonomy of educational objectives. New York: Longman.

Bloom, B. S. (Hrsg.). (1976). Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich (5. Aufl.). Weinheim und Basel: Beltz

Klieme, E. & Hartig, J. (2007). Kompetenzkonzepte in den Sozialwissenschaften und im erziehungswissenschaftlichen Diskurs. In M. Prenzel, I. Gogolin & H.-H. Krüger (Hrsg.), Kompetenzdiagnostik [Sonderheft 8]. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10, 11–29

Weinert, F. E. (2001). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen. (S. 17–31). Weinheim und Basel: Beltz.

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Schüler haben während der Corona-Zeit außergewöhnlich gute Noten im Abi geschrieben: Jeder Vierte erreichte eine Note bis 1,9. In einigen Ländern lief es besonders gut: In Thüringen und Sachsen hatten sogar mehr als 40 Prozent der Schüler eine Eins vor dem Komma. Wir bringen einen Beitrag aus der Welt.

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Während der Corona-Pandemie hat es laut einem Zeitungsbericht in ganz Deutschland eine Zunahme der Spitzennoten beim Abitur gegeben. 2022 habe in jedem Bundesland mindestens jeder vierte Abiturient eine Durchschnittsnote zwischen 1,0 und 1,9 im Abschlusszeugnis erreicht, berichteten „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ am Donnerstag unter Berufung auf die Notenstatistik der Kultusministerkonferenz (KMK) über das vergangene Prüfungsjahr.

Die Corona-Zeiten waren für Abiturienten in Deutschland offenbar kein Nachteil

Die meisten Abiturienten mit der Note Eins vor dem Komma registrierte die KMK-Statistik laut dem Bericht mit Werten von mehr als vierzig Prozent in Thüringen und Sachsen. In Brandenburg, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern erreichten 35 Prozent oder mehr Prüflinge solche Abschlussergebnisse.

Doppelt so viele Spitzenschüler mit Note 1,0

Weiter schreiben die Zeitungen, im Vergleich zu 2019, dem letzten regulären Prüfungsjahr vor Beginn der Pandemie, habe es in manchen Regionen Deutschlands ein zweistelliges Wachstum des Anteils der Spitzenzeugnisse beim Abitur gegeben. In Baden-Württemberg gab es demnach ein Plus von elf, in Berlin von zehn Prozentpunkten.

Die deutschen Abiturienten hatten die Schlussprüfung zu Corona-Zeiten besser im Griff

Der Anteil der Abiturienten mit einer glatten Eins lag 2019 in allen Bundesländern noch zwischen 0,9 Prozent (in Schleswig-Holstein) und 2,9 Prozent (Thüringen).

2022 stieg er mit 2,0 Prozent (Schleswig-Holstein) bis 4,8 Prozent (Thüringen) auf fast das doppelte Niveau. In Baden-Württemberg waren vor der Pandemie 1,7 Prozent der Abiturienten Spitzenschüler mit glattem Einser – 2021 waren es mit 3,7 Prozent gut doppelt so viele.

In der Pandemie haben alle deutschen Kultusminister versprochen, dass den Schulabgängern aus den zusätzlichen Corona-Belastungen rund um ihre Abschlussprüfungen keine Nachteile entstehen sollen.

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