Datenschutz - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sat, 15 Jul 2023 15:17:33 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Datenschutz - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Wie kann man ChatGPT nur in der Schule einsetzen? https://condorcet.ch/2023/07/wie-kann-man-chatgpt-nur-in-der-schule-einsetzen/ https://condorcet.ch/2023/07/wie-kann-man-chatgpt-nur-in-der-schule-einsetzen/#respond Sat, 15 Jul 2023 13:38:54 +0000 https://condorcet.ch/?p=14558

Die Lehrer Bob Blume und Patrick Bronner nutzen KI im Unterricht. Die Bildungsexperten Gottfried Böhme und Ralf Lankau, Condorcet-Autor, kritisieren das. Die Kontrahenden wurden von der FAZ zum Streitgespräch gebeten. Moderiert wurde das Gespräch vom Journalisten Uwe Ebbinghaus.

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Eine Frage an alle: Wie und in welchem Umfang sollte ChatGPT in der Schule verwendet werden – und wird es derzeit falsch eingesetzt?

Uwe Ebbinghaus, FAZ-Journalist

Bob Blume: ChatGPT und digitale Medien sollte man in dem Masse in der Schule einsetzen – und zwar reflektiert –, in dem sie in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Damit sie nicht außerhalb der Schule in einer Weise genutzt werden, die schädlich ist.

Gottfried Böhme: Ich weiss nicht, ob es die Aufgabe von Schule ist, alles, was technisch neu herauskommt, auf Teufel komm raus im Unterricht unterzubringen, auch wenn ich überzeugt bin, dass die beiden hier anwesenden unterrichtenden Kollegen gute Ideen haben, wie sie ChatGPT im Unterricht einsetzen. Die Aufgabe von Schule ist es ja, Schüler dazu zu bringen, mit den Problemen, die sie später im Leben haben werden und die unserer Welt auf den Nägeln brennen, zurechtzukommen. Davon leitet sich ab, ob ChatGPT einen Beitrag leisten kann oder möglicherweise Strukturen zerstört, die dafür notwendig wären.

Patrick Bronner: Wenn ich meine Schüler frage, wie viele von ihnen ChatGPT privat nutzen, kommt heraus, dass es 75 Prozent einer zehnten Klassenstufe tun, für Hausaufgaben und Referate – aber bisher eben meist ohne Anleitung und ohne pädagogische Unterstützung. Vor diesem Hintergrund müssen wir ChatGPT aktiv im Unterricht thematisieren. Die Schüler sollen lernen, kritisch, reflektiert und sinnvoll damit umzugehen. KI darf aber immer nur einen kleinen Teil von Unterricht ausmachen. Ich selbst setze das Tool im Unterricht vielleicht einmal für zehn Minuten ein und gehe dann zur nächsten Methode über. In meiner nächsten Physik-Klassenarbeit soll in einer von fünf Aufgaben KI angewandt werden. Die Schüler sollen das Programm befragen und reflektieren, ob die Antwort sinnvoll ist oder ob bestimmte Aspekte fehlen. ChatGPT ist ein Teil von gutem Unterricht, mehr nicht.

Streitgespräch zum Thema ChatGPT per Videoschaltung

Ralf Lankau: Ich möchte gerne etwas grundsätzlicher werden. Meine Grundfrage ist, warum wir es uns von IT-Unternehmen vorgeben lassen, mit welchen Techniken und Werkzeugen wir im Unterricht zu arbeiten haben? Warum haben wir im Fall von ChatGPT seit November des letzten Jahres diesen großen Hype, warum wird dieses Tool derzeit von den Medien derart in den Mittelpunkt gestellt – die Technik ist ja nicht neu? Es ist wichtig für Schulen zu vermitteln, dass wir es bei ChatGPT mit einer Instanz zu tun haben, die ganz klar wirtschaftliche Interessen verfolgt. Ähnlich wie bei den Social-Media-Kanälen werden wir auch jetzt wieder dazu verführt, Dinge zu verwenden, die vor allem anderen einen Nutzen bringen, in diesem Fall eine beträchtliche Datenlieferung. Jeder, der mit ChatGPT arbeitet, ist ja Teil der Community, die dieses Tool mit optimiert oder die Datenbestände generiert.

Bob Blume: Aber Herr Lankau, es gibt doch längst datenschutzkompatible Versionen von ChatGPT.

Patrick Bronner: Und selbst beim normalen ChatGPT können sie in den Einstellungen festlegen, dass keine Daten gespeichert werden, und auch, dass keine Daten zum Training verwendet werden. Ich weise die Schüler sogar gezielt darauf hin: Bitte, wenn ihr es privat verwendet, nehmt diese Datenschutzeinstellungen vor.

Warum arbeiten wir überhaupt mit Werkzeugen, die uns letztlich in eine Position bringen, in der nur noch Abfragen, Prompts, formuliert werden und nicht mehr die Notwendigkeit besteht, sich in ein Thema einzuarbeiten?

Ralf Lankau

 

Ralf Lankau: Sie haben aber keine Möglichkeiten, zu kontrollieren, ob wirklich keine Daten abgezogen werden. Ich arbeite an einer Technischen Hochschule. Wir haben an unserem Kollegium 12 Informatiker, davon sind sechs aus der Forensik. Und diese Forensiker, die echte Profis sind, sagen, sie haben keine Möglichkeit, die Systeme so zu justieren, dass sie wirklich datenschutzkonform sind. Der Schritt davor ist aber viel entscheidender, die Frage: Warum arbeiten wir überhaupt mit Werkzeugen, die uns letztlich in eine Position bringen, in der nur noch Abfragen, Prompts, formuliert werden und nicht mehr die Notwendigkeit besteht, sich in ein Thema einzuarbeiten? Unterricht heisst, Materialien zu verwenden, die valide sind. Bei ChatGPT weiß ich nicht, wie das Tool funktioniert, ich kenne seine Algorithmen nicht, ich kenne den Datenbestand nicht. Ich weiß nur, dass Antworten generiert werden, die zum Teil korrekt sind, zum Teil falsch, zum Teil konfabuliert. Warum soll ich in der Schule damit arbeiten?

Patrick Bronner: Weil ChatGPT längst in der Schule angekommen ist, nur ohne Lenkung. Ausserdem finde ich die Tatsache, dass ChatGPT momentan noch nicht perfekt ist, fürs Lernen großartig. Jetzt muss ich den Schülern beibringen, wie man es reflektiert einsetzt.

Gottfried Böhme: Die Schüler verwenden ChatGPT im Moment ja vor allem, wenn sie keine Lust haben, Hausaufgaben zu machen. Sie sparen sich Arbeit und können trotzdem gute Noten erzielen. Auf diese Art und Weise lernen sie aber nicht, wie man einen Gedankengang, eine Konzeption entwickelt oder eine These sauber belegt – alles, was sie später einmal brauchen, um auch wirklich kreativ zu sein. Das finde ich verheerend. Der junge Mensch wird dadurch geködert, dass er sich Mühen ersparen kann. Aber er wird nicht mehr in der Lage sein, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.

Bob Blume (Bild: Thomas Clemens)

Bob Blume: Ich möchte Herrn Lankau und Herrn Böhme gerne zustimmen. Ja, genau diese Gefahren bestehen – und deshalb müssen wir uns damit befassen. Was Herr Lankau über den Hype sagt, das stimmt ja. Experten im KI-Bereich wie Raskin und Harris sagen: Wir haben Social Media schon nicht in den Griff bekommen, jetzt vervielfältigt die KI die Probleme noch. Herr Lankau, Sie haben gefragt, ob wir uns von den KI-Unternehmen vorgeben lassen wollen, was wir im Unterricht einsetzen. Ich frage zurück: Sollen wir uns von den zahlreichen Autos vorgeben lassen, wie wir über die Strasse zu gehen haben? Ja, denn sonst werden wir überfahren. Wenn wir in der Schule nicht damit umgehen, wird ChatGPT so benutzt, wie Herr Böhme es beschreibt. Für mich ist die grössere Frage: Wie kann Lernen zu einem Prozess werden, der als so sinnstiftend wahrgenommen wird, dass er in seiner individuellen und dialogischen Vertiefung eine Weiterentwicklung junger Menschen im Hinblick auf ihre kognitiven, psychischen, persönlichen und professionellen Fähigkeiten ergibt. Ich glaube, Schulen sind momentan gerade deshalb so am Kämpfen, weil sie die Antwort noch nicht gegeben haben und weil sie gleichzeitig merken, dass die digitale Transformation es ihnen nicht erlaubt, so weiterzumachen wie bisher.

Ralf Lankau: Um das Beispiel „Auto“ aufzunehmen: Für den Strassenverkehr haben wir feste Regeln, und Kinder dürfen zum Beispiel bis zum zwölften Lebensjahr auf dem Bürgersteig fahren, weil sie die Gefahren nicht richtig einschätzen können. Das heißt, wir brauchen für den Einsatz dieser Tools ganz klare Regeln.

Bob Blume: Aber wer sieht das denn nicht so?

Ralf Lankau: Der zweite Schritt ist ja entscheidend: Wenn man bestimmte Techniken einsetzen will, muss man sie nach den eigenen pädagogischen und demokratischen Parametern verwenden. So muss aus meiner Sicht beim Einsatz von KI der Rückkanal der Daten gekappt, die Tools müssen am besten lokal installiert werden. Bei ChatGPT wird das schwierig, aber das Open-Source-Tool Stable Diffusion zum Beispiel ermöglicht dies alles. Wir haben es an meiner Hochschule ausprobiert: Wir konnten sehen, was bei der Eingabe am Prompt passiert und so weiter. Mir geht es darum, dass wir uns im Unterricht auf das Prinzip von KI konzentrieren: Wie funktioniert solch ein Generator? So verlieren wir unsere Abhängigkeit, unsere Unmündigkeit.

Mir macht das irrsinnige Tempo Sorgen, mit dem wir auf neue Techniken reagieren müssen, über die man eigentlich ganz lange und in Ruhe reden müsste.

Gottfried Böhme

 

Patrick Bronner: Ich verwende ChatGPT wie gesagt DSGVO-konform. Wir können auch Produkte aus dem deutschen Raum einsetzen, DeepL etwa oder Aleph Alpha oder PEER von der TU München. Die entscheidende Frage bleibt: Wie schaffen wir es, dass die Schüler etwas lernen, was die Maschine besser kann? Ich möchte, dass die Schüler im Unterricht ein Kompetenzerleben haben, das ihnen Freude macht.

Gottfried Böhme (Bild: privat)

Gottfried Böhme: Ich bin sicher, dass Herr Blume und Herr Bronner ChatGPT sehr reflektiert einsetzen. Ich glaube aber nicht, dass sie stellvertretend für „die Schule“ stehen. Ich denke, wir müssen darauf schauen, was ChatGPT in der Breite anrichtet – und das ist das eigentlich Bedenkliche. Mir macht das irrsinnige Tempo Sorgen, mit dem wir auf neue Techniken reagieren müssen, über die man eigentlich ganz lange und in Ruhe reden müsste. Ich denke, es ist wirklich schwierig, damit sinnvoll umzugehen. Ich selbst bin jedenfalls ziemlich ratlos. Und ich denke, dass es im digitalen Zeitalter wichtigere Aufgaben gibt, als ChatGPT richtig einzusetzen. So sollte man mindestens ebenso intensiv darüber nachdenken, wie man mit Schülern ins Gespräch darüber kommt, was ihnen viele Science-Fiction-Filme vorgaukeln: dass der Mensch letztlich eine Art Bioroboter ist und als solcher natürlich gesteuert werden kann, von wem auch immer. Das sind philosophische Fragen, die plötzlich eine grosse Rolle spielen. In den letzten Jahren ging es in der Didaktik weitgehend nur noch um die Einübung von Kompetenzen, da ist völlig aus dem Blick geraten, dass man bestimmte Inhaltskomplexe für die Schule neu aufarbeiten muss. Darum hat sich seit vielen Jahren kein Kultusminister und kein Didaktik-Institut ernsthaft gekümmert.

Bob Blume: Ich möchte auf einen Punkt kommen, den ich in dem Beitrag von Herrn Böhme kürzlich auf FAZ.NET gelesen habe. Sie haben geschrieben, dass das Motivationsgefüge im Klassenzimmer durch ChatGPT zerstört wird. Ich würde dem entgegenhalten: In vielen Klassen und sogar Schulen ist es schon längst zerstört. Wenn Herr Lankau sagt, Lernen sei Aneignen, wenn Sie, Herr Böhme sagen, die Gelackmeierten sind angesichts von ChatGPT die, die sich anstrengen, sage ich: Genau, denn warum sollte ein Schüler angesichts der perfekten KI-Ergebnisse zum Beispiel im Fach Englisch ChatGPT nicht verwenden? Hier stellen sich tatsächlich philosophische Fragen, solche, die mit Menschenbild und Erziehung zu tun haben – all diesen Dingen, für die wir in der Schule keine Zeit haben, weil es immer etwas abzuprüfen oder die nächsten Inhalte durchzubringen gilt. Ich sage schon länger: Hausaufgaben sind tot, spätestens, seit es Whatsapp gibt, das ja auch jeder nutzen kann, um mal eben abzuschreiben. Deshalb weise ich immer eigens darauf hin, wenn mir eine Hausaufgabe besonders wichtig ist und sie allein gemacht werden sollte. Auch bei Referaten haben Eltern seit jeher geholfen. Der Bildungsbereich als Ganzes steht gerade vor dem Problem, dass die Vertiefungsprozesse des Lernens, die ja eigentlich das Wichtigste sind, nach Hause verlagert wurden, das sieht man auch an der milliardenschweren Nachhilfeindustrie. Wir müssen darüber nachdenken, was das für das schulische Lernen bedeutet.

Patrick Bronner (Bild: Richard Kiefer)

Patrick Bronner: Wir müssen die Lernkultur verändern. Ein Beispiel ist das benotete Referat, in Baden-Württemberg GFS (Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen) genannt: Mittlerweile können sich Schülerinnen und Schüler zum Beispiel über die KI-Tools SlidesGPT.com oder Tome.app komplette Powerpoint-Präsentationen mit lizenzfreien Bildern und Vortragstext generieren lassen. Anschliessend kann die Präsentation in das KI-Tool ChatPDF.com eingefügt werden, um ein schriftliches Handout für die Mitschüler zu generieren. Und jetzt soll ich diese von KI-Tools generierte GFS benoten? Nein! Zum Wandel der Lernkultur gehört, dass ich den Schülern sage: Vergesst das schriftliche Handout, macht eure Präsentation, und danach gibt es eine ausführliche Fragerunde, zu der wir alle digitalen Medien komplett ausschalten. Es gibt eine Verschiebung hin zur Mündlichkeit. In den Fragerunden prüfe ich genau, ob der Schüler das Thema wirklich verstanden hat. Auch der Projektunterricht wird für mich immer wichtiger: Ein Erklärvideo, einen Podcast, eine Website zu erstellen – all das gibt den Schülern die Möglichkeit, sich selbständig Wissen zu einem Thema zu erarbeiten und dieses kreativ und kommunikativ in ein Lernprodukt zu integrieren.

Bob Blume: Ich habe meine Hausaufgabenpraxis gar nicht gross verändert. Für mich bestand und besteht der Sinn von Hausaufgabe darin, dass man etwas in der Schule frei erklären kann, natürlich ohne „aufstehen und abfragen“. Wenn Schüler Inhalte vernünftig erklären können, ist mir herzlich egal, womit sie sich das Thema angeeignet haben. Ja, es wird im Unterricht mehr in Richtung Mündlichkeit gehen.

Nachdenken, was das für das schulische Lernen bedeutet.

Ralf Lankau: Ich fürchte, durch die Verwendung der neuen Tools schleicht sich etwas ein, was dem Lernen schadet. Wir liefern uns den Systemen aus – Medien, auf die man sich nicht verlassen kann. Dagegen ist Wikipedia noch einigermaßen valide, da gibt es wenigstens noch eine Prüfung von Inhalten. Die ganzen Chatbots hingegen sind eine komplette Blackbox, der Datenstand ändert sich permanent.

Wir sind uns, glaube ich, alle darin einig, dass ChatGPT in der Schule ausprobiert und kritisch reflektiert werden muss. Aber besteht der Unterschied zwischen den Positionen nicht darin, ob man es für möglich hält, dass ChatGPT in Bereiche des Lernens vorstösst, die der herkömmliche Unterricht nicht eröffnet? In welchen Bereichen kommt ChatGPT Schülern beim Lernen entgegen, ohne schädlich zu sein?

Patrick Bronner: Ich möchte gerne einen Blick in die nähere Zukunft werfen. Welche Situation haben wir in zwei, drei Jahren? Was kann ein Lehrer mit dreissig Schülern im Klassenzimmer nicht leisten? Da sind wir bei der formativen Diagnose und dem personalisierten Lernen, für die man KI gut einsetzen kann, es gibt auch schon die ersten datenschutzkonformen Lernplattformen, die beides für den Mathematikunterricht anbieten. Auf dieser Basis können Schüler gezielt auf ihrem Lernstand gefördert werden. Auch interessant sind KI-Lernhelfer wie Khanmigo, die einem nicht die fertige Lösung anbieten, sondern bei den Lösungsschritten helfen. Das ist die Zukunft. Es wäre toll, wenn wir so etwas mit einem datenschutzkonformen deutschen System hinbekämen, auf das Zugriff hätten. Das wäre Chancen- und Bildungsgerechtigkeit.

Ralf Lankau (Bild: privat)

Gottfried Böhme: In Sachsen wird für die Benotung des Deutsch-Abituraufsatzes eine Abiturmatrix eingesetzt, bei der der korrigierende Lehrer für die Notenfindung den Aufsatz unter neun Kriterien – äußere Form, Analyse, Wertung und so weiter – nur noch mit einer Zahl zwischen 0 und 15 bewerten muss, die KI errechnet dann die Gesamtnote und schreibt auch gleich das Worturteil. So etwas halte ich für eine Katastrophe, denn gerade die kreativen Schüler formulieren manchmal auf eine Weise, die im digitalen Raum gar nicht abgedeckt wird und die der KI deshalb als fehlerhaft erscheinen muss. Ich sehe dahinter eine Standardisierung des Unterrichts, die nicht das Ziel sein kann.

Patrick Bronner: Ich habe von formativer Diagnose gesprochen, also dem notenfreien Raum. Am Schluss gebe ich als Lehrer die Note, nicht das Diagnoseinstrument.

Ralf Lankau: Die Tendenz geht schon leider dahin, dass die Vermessung zum Wesentlichen wird. In der Mathematik oder der Biologie mag das ja noch funktionieren, aber bei fünf Aufsätzen erwarte ich fünf völlig unterschiedliche Ergebnisse. Ich möchte Offenheit und Vielfalt. Es sollen sich doch Persönlichkeiten entwickeln.

Bob Blume: Alles, was Sie sagen, ist richtig, entspricht aber nicht der Realität in der Schule. Das Ideal einer persönlichkeitsbildenden Schule wird doch jetzt schon nicht umgesetzt. Ich finde es witzig, dass uns ChatGPT gerade mit der Nase auf diesen fundamentalen Punkt stößt. Das Traurige an ChatGPT ist eine große Möglichkeit für die Schulen, darüber nachzudenken, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Und dies noch zu KI-Assistenten wie Khanmigo: Ich glaube auch, dass KI als adaptiver Lernassistent künftig eine grosse Rolle spielen wird. Es gibt für das Fach Deutsch zum Beispiel jetzt schon ein Programm namens Orthographietrainer. Nach einer Diagnose von Schülerarbeiten werden bestimmte Aufgaben empfohlen. Für diese Diagnosearbeit bräuchte ich als Lehrer bei 30 Schülern eine ganze Woche, und wahrscheinlich wäre ich selbst dann nicht präzise genug. So etwas hat unglaubliches Potential. Aber wir müssten schon genau analysieren, wo KI hilfreich sein kann – und wo nicht.

Das Ideal einer persönlichkeitsbildenden Schule wird doch jetzt schon nicht umgesetzt. Ich finde es witzig, dass uns ChatGPT gerade mit der Nase auf diesen fundamentalen Punkt stösst.

Bob Blume

 

Ralf Lankau: Es gibt Werkzeuge, die hilfreich sind für Orthographie, es gibt gute Vokabeltrainer, der Punkt ist aber wieder: Wie steht es mit dem Rückkanal? Und was die KI-Assistenten angeht: Wir wissen nicht, wo sie uns hinführen wollen, welches ist ihr Ziel? Bei einem Vokabeltrainer weiss ich das.

Bob Blume: Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft, wir haben jetzt gelernt: Ein Viertel der Kinder am Übergang zur höheren Schule kann nicht richtig lesen. Wenn sie durch KI gefördert werden können, weil man sie individuell in ihrem Lernprozess unterstützen kann, wüsste ich nicht, wo das Problem daran ist. Natürlich möchte ich nicht, dass die Kinder einen undurchsichtigen Avatar vorgesetzt bekommen, es geht dabei immer um funktionalen Umgang.

Eine abschließende Frage an alle: Welche Vorgaben für den Umgang mit KI in der Schule würden Sie von den Kultusministerien erwarten?

Gottfried Böhme: Ich habe es im Grunde schon gesagt: Ich glaube, es gibt bestimmte philosophische Fragen, die nicht trivial, die kompliziert sind und beantwortet werden sollten. Didaktiker sollten sich darüber Gedanken machen, wie sie Schülern vermittelt werden können. Das bedeutet aber, dass Inhaltsfragen eine Renaissance erfahren müssten – was angesichts der herrschenden Didaktik ziemlich aussichtslos erscheint.

Patrick Bronner: Ich finde, dass die Kultusministerien beim Thema KI vorbildlich sind. Das baden-württembergische zum Beispiel hat schon im Februar 2023 gefordert, dass Künstliche Intelligenz aktiv im Schulunterricht behandelt wird, da die Schüler lernen müssten, mit dieser neuen Technologie umzugehen. Auch Fortbildungen zum Thema werden gefördert und bereits angeboten. Diese offensive Herangehensweise hat mich positiv überrascht. Was noch fehlt, ist ein datenschutzkonformer Zugang des Landes zu den KI-Tools über eine API-Anbindung für alle Lehrenden und Lernenden. Erste Ansätze hierzu werden vom Land Baden-Württemberg sogar bereits erprobt.

Ralf Lankau: Ich würde viel radikaler argumentieren. Man muss KI im Unterricht thematisieren und klarmachen, welche wirtschaftlichen Interessen dahinterstehen und dass es sich um Entmündigungswerkzeuge handelt. Lernformen müssen in den Vordergrund gestellt werden, die dazu befähigen, etwas selbst zu machen, etwas selbst zu können.

Das baden-württembergische zum Beispiel hat schon im Februar 2023 gefordert, dass Künstliche Intelligenz aktiv im Schulunterricht behandelt wird, da die Schüler lernen müssten, mit dieser neuen Technologie umzugehen.

Patrick Bronner

 

Bob Blume: Mir ist das zu einfach. Wir leben in einer Kultur der Digitalität, und wir können Schüler nicht auf eine ja im Grunde willkürliche Grenze zurückwerfen. Wir schreiben momentan beim Abitur Sechs-Stunden-Klausuren mit einem Füller – warum, wer schreibt denn heute noch so? Ich finde, die Kultusministerien müssten sich mal bei einem tatsächlichen Bildungsgipfel darüber Gedanken machen, was Bildung im 21. Jahrhundert eigentlich bedeuten soll. Auch in unserem Gespräch sind wir immer wieder bei Fundamentalfragen gelandet: Wie können wir das Lernen wieder in den Vordergrund stellen? Worüber wir heute nicht gesprochen haben, ist: Wie soll ich meine Unterrichtseinheit und die Prüfungen durchbringen, wie komme ich zu meinen Noten? Diese Fragen prägen den schulischen Alltag, und es wird Zeit, dass sie wieder verschwinden.

Ralf Lankau: Es gibt einen schönen Beitrag von dem Schweizer Philosophen Peter Bieri zu dieser Frage: „Wie es wäre, gebildet zu sein?“. Er macht deutlich: Andere können uns ausbilden, aber wir müssen uns selbst bilden. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir möglicherweise mit den Bildungseinrichtungen in die falsche Richtung laufen, die sich auf das Prüfbare konzentrieren.

Bob Blume: Diesen Beitrag finde ich auch wunderbar. Aber wenn wir feststellen, dass die Bildungseinrichtungen nicht für die Bildung da sind, haben wir ein echtes Problem. Dann müssen die nämlich unbedingt wieder dahin.

Ralf Lankau: Die Bildungseinrichtungen müssen einen Raum für Bildung schaffen, und dieser Raum ist der Dialog. Diesem Auftrag werden die Schulen und Hochschulen derzeit nicht gerecht.

 

Das im Videokonferenzformat geführte Gespräch moderierte Uwe Ebbinghaus.

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Die Frage, ob sich Microsoft-Produkte in Bildungseinrichtungen datenschutzkonform einsetzen lassen, diskutieren die Datenschutzbeauftragten der Länder kontrovers. Mit einer interessanten Argumentation versucht Microsoft Deutschland jetzt, die Zweifel zu entkräften – und bestätigt damit einmal mehr, dass und warum US-Software in Schulen nicht eingesetzt werden darf. Condorcet-Autor Lankau über eine «Never-ending-Story».

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau: US-Recht bricht EU-Recht.

Der datenschutzkonforme Einsatz von US-Software in Europa ist laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH; Schrems II) nicht möglich. Der Grund dafür ist, „dass das von der EU-Kommission mit den USA ausgehandelte Privacy Shield-Abkommen EU-Bürger nicht wirksam davor schützt, dass US-Geheimdienste anlasslos, zeitlich unbegrenzt und ohne wirksame Zweckbindung Daten von Europäern bei als Dienstleistern fungierenden US-Unternehmen abgreifen können“ (LfDI 2022a). Dagegen wehrt sich Microsoft mit einer Stellungnahme, die allerdings von falschen Voraussetzungen ausgeht (Datenschützer würden besonders Microsoft kritisieren) und letztlich als Polemik (die EU-DSGVO sei technologiefeindlich) endet (Microsoft 2022).
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs richtet sich nicht gegen einzelne Unternehmen, sondern adressiert alle US-Unternehmen, die Software und/oder z.B. Clouddienste anbieten. Das betrifft Amazon Web Services (AWS) genauso wie Google- oder Microsoft-Clouddienste oder jede andere Software von US-Unternehmen. Denn sobald eine US-Behörde Daten von einem US-Unternehmen anfordert, muss diese personenbezogene Daten herausgeben, auch wenn die Daten in Europa gespeichert sind und durch dort geltende Verträge die Herausgabe von Daten „an sich“ untersagt ist. US-Recht bricht EU-Recht. Da Unternehmen und/oder Behörden in Deutschland oder Europa „Dienstleister wie Microsoft, Zoom und Co. nicht dazu bringen [können; rl], die Daten auf Servern in den EU-Mitgliedstaaten wirksam vor dem Zugriff der US-Behörden zu schützen, dürften sie diese Dienstleister nicht mehr nutzen“ (LfDI 2022a).

Richtig und falsch
Das bestreitet Microsoft auch gar nicht, sondern argumentiert informatisch binär mit „Richtig“ (Seite 1) und „Falsch“ (Seite 2 und 3) sowie mit Marketing-Phrasen, wenn es z.B. heißt „Microsoft bietet zukunftsweisende Technologien mit branchenführendem Sicherheitsstandard“ (1.1), „Microsoft ist ein zuverlässiger und verantwortungsbewusster Partner. Unser Unternehmensziel ist es, jede Person und jede Organisation zu befähigen, mehr zu erreichen.“ (1.2) oder “Microsoft ist im Bereich der Cybersecurity führend und hat eine Vielzahl technischer Maßnahmen implementiert, um Kundendaten vor Cyberattacken zu schützen.” (1.6). Das bestreitet niemand, ist aber nicht das Thema. (Die Zahlen nennen die Seite und den jeweiligen Unterpunkt.)

Das EuGH-Urteil bestätigt, dass Microsoft die Anforderungen des geltenden Datenschutzrechts nicht sicherstellen kann, weil jedes US-Unternehmen dem US-Recht unterworfen ist und Daten auf Anfrage herausgeben muss.

Entscheidend ist anderes. Unter Punkt 1.3 etwa steht bei Microsoft als “Richtig”, ist aber laut EuGH-Urteil falsch: “Alle Microsoft Produkte und Dienste können in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor (z.B. an Schulen) datenschutzkonform eingesetzt werden und sind auch selbst datenschutzkonform. Microsoft hält die Anforderungen des geltenden Datenschutzrechts ein.” Das EuGH-Urteil bestätigt, dass Microsoft genau das nicht sicherstellen kann, weil jedes US-Unternehmen dem US-Recht unterworfen ist und Daten auf Anfrage herausgeben muss. Es ist zwar richtig, dass Microsoft mehrmals dagegen geklagt und die Kunden nachträglich informiert hat (2.2). Aber die Daten wurden und werden an US-Behörden weitergereicht.

Europäische Dienstleister müssen sich überlegen, wie sie sich den US-Behörden und dem US-Recht entziehen können.

Spannend ist die Argumentation im nächsten Punkt (2.2), wenn es heißt: „Die pauschale Empfehlung seitens einzelner Behörden, nur Anbieter aus der EU zu nutzen, verkennt im Übrigen, dass auch Anbieter mit Stammsitz innerhalb der EU US-Überwachungsgesetzen unterliegen können, z.B. durch eine Präsenz in oder minimalen Kontakt mit den USA.“ Es stimmt, dass europäische Unternehmen mit Niederlassungen und/oder Kontakten mit den USA aus Sicht der US-Regierung ebenfalls dem US-Recht unterliegen und laut US-Jurisdiktion europäisches Recht nicht gilt. Das dürfte sehr viele EU-Unternehmen betreffen. Nur leuchtet die Logik von Microsoft nicht ein, als Lösung das Speichern von Daten „weitgehend regional in Rechenzentren in der EU“ anzubieten, „obwohl es keine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt“. (1.5) Das nützt doch gar nichts, da US-Behörden überall Zugriff auf Daten haben. Europäische Dienstleister müssen sich überlegen, wie sie sich den US-Behörden und dem US-Recht entziehen können.

Ein Interesse von US-Behörden z.B. an Daten aus einem Schulunterricht in Deutschland kann nicht ernsthaft behauptet werden.

Welche Daten fliessen überhaupt ab, wer hat Zugriff darauf und wofür werden diese Daten genutzt?

Kein Interesse an Nutzerdaten?
Die Behörden hätten doch gar kein Interesse, heißt es im MS-Papier weiter. “Ein Interesse von US-Behörden z.B. an Daten aus einem Schulunterricht in Deutschland kann nicht ernsthaft behauptet werden.” (2.2) Eines der führenden IT-Unternehmen für Betriebssysteme und Office-Programme, behauptet, dass US-Behörden gar kein Interesse an Nutzerdaten hätten? Als bestünde nicht das gesamte Fundament der Daten-Ökonomie aus Nutzerdaten. In der US-Version von MS-Office sind z.B. Tools zur Workplace Surveillance (Arbeitsplatzüberwachung) integriert, die alle Aktionen der Mitarbeiter aufzeichnen. Für wen und zu welchem Zweck? (In Europa ist diese Funktion aus Rechtsgrün-
den deaktiviert.) Arbeitet Microsoft als Unternehmen, das Software gezielt an Schulen vertreibt, nicht mit Learning Analytics, einer Technik, um personalisierte Daten erfassen und für individualisierte Angebote auswerten zu können? Das ist weltweit die Basis der Global Education Industrie (GEI), eines milliardenschweren Bildungs-Marktes, in dem Microsoft mit MS365, Teams und Clouddiensten aktiv ist. Der Einsatz dieser Software wurde in einigen Bundesländern untersagt, da bei Pilotinstallationen nicht geklärt werden konnte, welche Daten überhaupt abfließen, wer Zugriff darauf hat und wofür diese Daten genutzt werden (LfDI 2022b; Pagalski 2022; rnd 2022).

Die Aussage, dass es “keinen Anhaltspunkt dafür [gebe; rl], dass die US-Regierung §702 FISA nutzt, um (i) Industriespionage zu betreiben oder US-amerikanische wirtschaftliche Interessen zu verfolgen oder (ii) Regierungen im Europäischen Wirtschaftsraum ins Visier zu nehmen“ widerspricht sowohl der Aufgabenbeschreibung der US-Dienste wie der Praxis, wenn man sich an die Abhörskandale „unter Freunden“ erinnert.

Mit Hilfe von Section 215 Patriot Act bzw. Section 501, 502 FISA könne “die Herausgabe jeglicher Unterlagen, inklusive Daten auf Servern, verlangt werden.”

Patriot act: Der Staat kennt keine Grenzen mehr.

Man auch kann behaupten, dass die US-Regierung §702 FISA „im Wesentlichen zur Sammlung von Informationen für Ermittlungen zu schwerwiegenden Bedrohungen der nationalen Sicherheit, wie Terrorismus, Cybersecurity-Angriffe und Waffenproliferation“ nutzt. (2.2) Man sollte dann aber ergänzen, was der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu USA Patriot Act, USA Freedom Act, Cloud Act und Section FISA 207 schreibt. „Durch die weitreichenden Änderungen an FISA durch den Patriot Act wurden die zuvor ohnehin nach FISA bestehenden Eingriffsmöglichkeiten stark ausgeweitet. (WD 2020, 1) Section 702 FISA diene „der Überwachung von Nicht-US-Bürgern, die sich außerhalb des US-Territoriums aufhalten. Danach dürfte alle elektronische Kommunikation von und zu der Zielperson sowie über die Zielperson abgefangen werden.“
Mit Hilfe von Section 215 Patriot Act bzw. Section 501, 502 FISA könne “die Herausgabe jeglicher Unterlagen, inklusive Daten auf Servern, verlangt werden.” (ebda S. 6) Wie üblich bei Geheimdiensten weiß man nicht, was davon bereits praktiziert wird. Alles nur zu wessen Bestem? Interessant ist auch die Aussage, dass Diagnosedaten notwendig seien, um Produkte und Dienste sicher und stabil zu betreiben, um die Anfälligkeit für Fehler und die Wahrscheinlichkeit von Sicherheitsrisiken zu verringern. (3.4)

Es ist höchste Zeit, dass die europäischen Länder eine eigene Infrastruktur aufbauen und digital souverän werden.

Das mag man so sehen, aber warum sind dann Umfang und Inhalt dieser Diagnosedaten intransparent statt öffentlich? Auch die Aussage „Die technische Verbindung zwischen Nutzer und Microsoft (z.B. über Server und Rechenzentren) ist in vielen Fällen zwingende Voraussetzung für die vertraglich geschuldete Diensterbringung. Nichts davon kann als ein Ausspähen von Kunden angesehen werden.“ (5.3) träfe nur zu, wenn klar belegt wäre, welche Daten für welche Zweck übertragen, gespeichert, ausgewertet und nach dem Einsatz auch wieder gelöscht werden. Zu fragen ist zudem, nicht nur für Bildungseinrichtungen, welche Dienste überhaupt in der Cloud gespeichert werden sollten und was man – schon als Schutz vor immer umfangreicheren Angriffen aus dem Netz – besser lokal installiert und verwaltet. Cloud-Computing ist zwar ein profitables Geschäftsfeld der IT, schafft aber mindestens so viele Probleme wie es Lösungen anbietet, wenn man die Jahresberichte des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BIS) studiert.

Dann bleibt es immer noch schwierig genug, sich gegen die massiven Angriffe aus dem Netz zur Wehr zu setzen, aber anders als von Microsoft behauptet, sind die dafür notwendigen Strukturen nicht Zentralisierung, sondern Datensparsamkeit, Dezentralisierung, Transparenz der Algorithmen und Separierung der Nutzer in geschützte und geschlossene Teil- und Unternetze (Edge-Computing).

Zum Ende wird das Microsoft-Papier polemisch. „Eine Analyse jedes einzelnen Prozesses eines Diensts durch den Verantwortlichen/Nutzer ist datenschutzrechtlich weder erforderlich noch geboten und geht weit über die Rechenschaftspflichten unter Art. 5 DSGVO hinaus“, heißt es zum Schluss, das „Errichten solcher Hürden“ sei „unrealistisch und technologiefeindlich“. Hier wird versucht, technischen Fortschritt, der als positiv nur behauptet wird, gegen demokratische Strukturen und Grundrechte der Menschen (informationelles Selbstbestimmungsrecht, Privatsphäre) auszuspielen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Demokratische Rechtsstaaten und z.B. die EU legen juristisch fest, welche Daten erhoben und ausgewertet werden dürfen, Unternehmen haben sich danach zu richten. Grundrechte sind wichtiger als technische Möglichkeiten und Geschäftsmodelle. Wenn US-Unternehmen die Einhaltung dieser Rechtsgrundlagen nicht gewährleisten können, weil die US-Regierung EU-Recht außer Kraft setzt, dürfen US-Dienste in der EU nicht genutzt werden. Das ist die Logik von Rechtsstaatlichkeit. Daher ist es höchste Zeit, dass die europäischen Länder eine eigene Infrastruktur aufbauen und digital souverän werden.

Intelligent und ehrlich wäre, wenn Unternehmen wie Microsoft deutlich machen würden, dass auch sie der Paranoia der US-Regierung nach 9/11 unterliegen, nach der die mehr als 30 US-Dienste auf alle nur erdenklichen Daten zugreifen, wie es Edward Snowden öffentlich gemacht hat.

Dann bleibt es immer noch schwierig genug, sich gegen die massiven Angriffe aus dem Netz zur Wehr zu setzen, aber anders als von Microsoft behauptet, sind die dafür notwendigen Strukturen nicht Zentralisierung, sondern Datensparsamkeit, Dezentralisierung, Transparenz der Algorithmen und Separierung der Nutzer in geschützte und geschlossene Teil- und Unternetze (Edge-Computing). Die digital vernetzte technische Infrastruktur ist schon heute, neben, Land, Wasser und Luft das vierte Schlachtfeld für Konflikte, angegriffen wird die Zivilbevölkerung.

Intelligent und ehrlich wäre, wenn Unternehmen wie Microsoft deutlich machen würden, dass auch sie der Paranoia der US-Regierung nach 9/11 unterliegen, nach der die mehr als 30 US-Dienste auf alle nur erdenklichen Daten zugreifen, wie es Edward Snowden öffentlich gemacht hat (Snowden 2019). Die Frage, die auch Microsoft&Co. beantworten sollten, ist, wie man überhaupt weiter mit Informationstechnik und Netzwerken arbeiten kann, wenn schon heute wenigstens 10% der Investitionskosten in Unternehmen für IT-Security aufgewendet werden müssen und es immer mehr, zudem automatisierte Angriffe aus dem Netz gibt. Google etwa hat am 19. August 2022 erfolgreich einen DDOS-Angriff abgewehrt, bei dem mit bislang nicht vorstellbaren 46 Millionen https-Anfragen in einer Sekunde versuchte wurde, eine Serveranwendung zu blockieren (Sokolov 2022). Je vernetzter die Geräte des Internet of Things (IoT) werden, desto höher sind Aufwand und Kosten, diese Infrastruktur zu schützen.

Statt die Wege der Vernetzung immer weiter zu gehen, wäre es intelligenter zu fragen, was überhaupt im Netz erreichbar sein muss und welche Anwendungen lokal laufen können. Intelligent wäre, sich neue Strukturen für eine digitale Souveränität in Europa zu überlegen, um Datensicherung und Datenschutz nach dem EU-Rechtssystem gewährleisten zu können statt zu behaupten, dass die bisherigen Systeme die Bedingungen doch erfüllen würden – was laut EuGH-Urteil definitiv nicht stimmt. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind.“, hat Albert Einstein formuliert, und das bedeutet, dass man Lösungen eher nicht von Anbietern erwarten darf, deren Geschäftsmodell auf den bisherigen Strukturen basieren.

 

Quellen
LfDI (2022a) Verunsicherung nach Schrems II-Urteil: LfDI Baden-Württemberg bietet Hilfestellung an
(24.8.2020); https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/verunsicherung-nach-schrems-ii-urteil-lfdi-baden-wuerttemberg-bietet-hilfestellung-an/ (16.8.2022)

LfDI (2022b) Nutzung von MS 365 an Schulen. Ab dem kommenden Schuljahr ist die Nutzung von MS 365 an Schulen zu beenden oder deren datenschutzkonformer Betrieb ist von den verantwortlichen Schulen eindeutig nachzuweisen. https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/nutzung-von-ms-365-an-schulen/ (16.8.2022)

Microsoft (2022) Stellungnahme von Microsoft Deutschland zur Datenschutzkonformität von Microsoft
365 und Microsoft Teams; https://news.microsoft.com/wp-content/uploads/prod/sites/40/2022/08/ Microsoft-Statement_Datenschutzkonformitaet-von-Microsoft-365-und-Microsoft-Teams.pdf
(16.8.2022)

Pakalski, Ingo (2022) Bedenken beim Datenschutz: Schulen dürfen Teams bald nicht mehr nutzen, in:

https://www.golem.de/news/bedenken-um-datenschutz-schulen-duerfen-teams-bald-nicht-mehr-nutzen-2206-166424.html (16.8.2022)

Pressemitteilung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder vom 28.07.2020;https://datenschutzkonferenz-online.de/medi/pm/ 20200616_pm_schrems2.pdf  (16.8.2022)

Snowden, Edward (2019) Permanent record. Meine Geschichte.


Sokolov, Daniel AJ (2022) Rekord-Angriff mit DDoS auf Layer 7 scheitert an Google;

https://www.heise.de/news/Rekord-DDoS-auf-Layer-7-Google-wehrt-ab-7235554.html (20.8.2022)

rnd (2022) Redaktionsnetzwerk Deutschland: Strengerer Datenschutz bei Kindern. Microsoft Teams ist
an Schulen in Rheinland-Pfalz bald nicht mehr erlaubt; https://www.rnd.de/digital/microsoft-teams-ist-an-schulen-in-rheinland-pfalz-bald-nicht-mehr-erlaubt-FSFYEY4K7UEMEFWMER2LA7DJU4.html (16.8.2022)

MD (2020) US-Datenrecht: Zugriff US-amerikanischer Behörden auf Daten,
https://www.bundestag.de/resource/blob/796102/ea53ffe8e08a9ab11e270719263d8c53/WD-3-181-20-pdf-data.pdf (16.8.2022)

MD (2019) Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Datenübermittlung an US-Ermittlungsbehörden auf Grundlage des CLOUS Acts im Geltungsbereich des EU-Datenschutzrechts, AD
3 – 3000 – 205/19 vom 20. August 2019;
https://www.bundestag.de/resource/blob/662608/67dbc571f4d96be9adddcac99f016eb6/WD-3-205-19-pdf-data.pdf (16.8.2022)

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Umgang mit sensiblen Daten wird im Landrat behandelt https://condorcet.ch/2022/09/umgang-mit-sensiblen-daten-wird-im-landrat-behandelt/ https://condorcet.ch/2022/09/umgang-mit-sensiblen-daten-wird-im-landrat-behandelt/#respond Sun, 04 Sep 2022 15:19:09 +0000 https://condorcet.ch/?p=11405

Nach dem Versenden eines Massenmails eines Schulleitungsmitgliedes der Sekundarschule Aesch mit sensiblen Daten von Schüler/-innen an alle Lehrpersonen hagelte heftige Kritik aus Elternkreisen, die daraufhin diverse brisante Unterlagen der Starken Schule beider Basel (SSbB) zuspielten, welche den Fall publik machte. Sowohl der Datenschutzbeauftrage als auch die Bildungsdirektion reagierten rasch. Die Schulleitung hingegen ging auf Tauchstation und ignorierte sämtliche Anfragen der Medien und der SSbB. Nun wird sich auch das Baselbieter Parlament mit dem Fall beschäftigen. Im Landrat ist der folgende Vorstoss eingereicht worden. Condorcet-Autorin Alina Isler berichtet.

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Alina Isler, Vorstand Starke Schule beider Basel: Die ermittelten Daten unterstehen einer besonderen Vertraulichkeit.

«Der Schulpsychologische Dienst (SPD) und die Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland (KJP BL) leisten eine wichtige Arbeit zur Unterstützung von Schüler/-innen, welche eine «Spezielle Förderung» benötigen. Die Arbeit beinhaltet u.a. auch das Erstellen von testpsychologischen Berichten mit Ergebnissen und Empfehlungen. Die ermittelten Daten unterstehen einer besonderen Vertraulichkeit. Insbesondere dürfen solche Daten nur Lehrpersonen erhalten, welche diese zur Erfüllung des Berufsauftrages benötigen. Bereits mehrfach ist eine Sekundarschule im Umgang mit sensiblen Daten von Schüler/-innen aufgefallen:

Im Juni 2022 publizierte diese Sekundarschule im Internet einen virtuellen Rundgang durch das Schulhaus. Zu sehen waren auf den hochaufgelösten Bildern beispielsweise Fotos von Schulkindern mit Adressen und Telefonnummern oder Listen mit Namen von Lernenden, die noch keine Lehrstelle gefunden haben. Nach der Intervention des Datenschutzbeauftragten sowie des Amts für Volksschulen (AVS) entfernte die Schulleitung den virtuellen Rundgang wieder aus dem Netz.

Solche Daten müssten eine besondere Vertraulichkeit geniessen.

Nur wenige Tage nach diesem Vorkommnis verschickte ein Schulleitungsmitglied ein Massenmail an alle Lehrpersonen mit einer Liste mit 67 Schüler/-innen, welche in diesem Schuljahr eine «Spezielle Förderung» erhalten. Im Anhang verschickte die Schulleitung rund zwei Dutzend Berichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland (KJP BL) mit Ergebnissen und Empfehlungen an rund 100 Personen. In den Berichten wird unter Nennung des Namens des Kindes erwähnt, wenn beispielsweise eine «Rechenschwäche», «Lese- & Rechtschreibstörung», «hirnorganische Unreife», «Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADHS)» vorliegt. Solche Daten müssten eine besondere Vertraulichkeit geniessen. Die Schulleitung darf nicht davon ausgehen, dass Daten dieser Art nicht an die Öffentlichkeit gelangen respektive Massenmails mit heiklen Informationen geheim bleiben.

Ich bitte die Regierung um Beantwortung der folgenden Fragen:

  1. Welche Möglichkeiten sieht die Bildungsdirektion, um einen derartigen Umgang mit sensiblen Daten künftig zu vermeiden?
  2. Mit welchen Konsequenzen muss eine Schulleitung in Bezug auf Vorfälle, wie oben beschrieben, rechnen?
  3. Handelt sich beim vorgenannten Massenmail um einen Einzelfall?
  4. Sind seitens Sekundarschulleitungen weitere Datenübermittlungen solcher Art bekannt?» (Quelle: Interpellation 2022/483)

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Aescher Schulleitung verschickt sensible Daten in einem Massenmail https://condorcet.ch/2022/07/aescher-schulleitung-verschickt-sensible-daten-in-einem-massenmail/ https://condorcet.ch/2022/07/aescher-schulleitung-verschickt-sensible-daten-in-einem-massenmail/#comments Sun, 24 Jul 2022 09:15:33 +0000 https://condorcet.ch/?p=11099

Namen, Geburtsdaten und Ergebnisse von testpsychologischen Abklärungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland (KJP BL) gehören zu den sensiblen Daten, die eine spezielle Vertraulichkeit geniessen. Die Schulleitung der Sekundarschule Aesch sieht das offensichtlich nicht so eng: In einem Mail an alle Lehrpersonen verschickt ein Schulleitungsmitglied knapp zwei Dutzend Dokumente mit hochsensiblen Daten von Schüler/-innen. Jürg Wiedemann von der Starken Schule beider Basel beschreibt den Vorgang.

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Jürg Wiedemann, Starke Schule beider Basel: Ein Fall für den Datenschutz.

Die Dokumente, welche eine Gruppe von Eltern der Starken Schule beider Basel (SSbB) via Briefkasten anonym zustellte, sind brisant: In einer Tabelle sind Klassen, Vornamen, Namen sowie Bemerkungen von 67 Schüler/-innen der Sekundarschule Aesch aufgelistet, welche im kommenden Schuljahr eine «Spezielle Förderung» erhalten, wie beispielsweise Nachteilsausgleich, pädagogische Unterstützung oder Lerncoaching. Ergänzt wird die Liste mit mehreren testpsychologischen Ergebnissen und Empfehlungen der KJP BL. In den Berichten wird unter Nennung des Namens des Kindes erwähnt, wenn beispielsweise eine «Rechenschwäche», «Lese- & Rechtschreibstörung», «hirnorganische Unreife», «Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADHS)», «kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten» vorliegen oder wenn ein Schulkind nur «reduzierte Lernziele» erreichen kann.

Eltern sind schockiert und bitten die SSbB um Unterstützung

«Sicher haben Sie in der Sendung Schweiz aktuell vom 1.7.22 den virtuellen Rundgang an der Sekundarschule Aesch gesehen oder davon gelesen. Wir als betroffene Eltern waren schockiert. Die Aescher Schulleitung entschuldigte sich für diesen Fehler und versprach daraus zu lernen. Nur ein paar Tage später verschickte» ein Schulleitungsmitglied «die beigefügte Mail an alle Lehrer und Lehrerinnen mit Diagnosen der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland zu einzeln namentlich genannten Schülern und Schülerinnen (ebenfalls als Anlagen beigefügt). Da ist also schon wieder gegen den Datenschutz verstossen worden. Unserer Ansicht nach hätten diese sensiblen Daten (wenn überhaupt) nur an das jeweilige Unterrichtsteam weitergeleitet werden dürfen.»

Sekundarschule Aesch BL: Zwei Wochen nach dem umstrittenen virtuellen Rundgang nun der zweite Datenschutzfall!

Die Aussagen der Elterngruppe sind gemäss unseren Abklärungen korrekt: Aus rechtlicher Sicht ist das Weiterleiten von sensiblen, den Datenschutzrichtlinien unterliegenden Daten nur an Personen zulässig, welche diese zur Erfüllung des Berufsauftrages benötigen. Jede einzelne Lehrperson hätte also höchstens von denjenigen Lernenden die sensiblen Daten bekommen dürfen, die sie unterrichtet. Und dies auch nur dann, wenn die Daten zur Erfüllung des Berufsauftrages notwendig sind.

Weiter schreiben die Eltern besorgt: «Aus Rücksicht auf unsere Kinder haben wir uns nicht beim Schulrat gemeldet, sondern bei Ihnen. Auch wenn wir anonym bleiben, hoffen wir, dass Sie in dieser Sache etwas unternehmen. Bitte unterstützen Sie uns, damit die Aescher Schulleitung in Zukunft verantwortungsvoller handelt.»

Beweggründe der Schulleitung sind unklar

Weshalb die Schulleitung diese hochsensiblen Daten des heiklen Bereichs «Spezielle Förderung» an alle Lehrpersonen sowie weitere Personen verschickte, ist unklar. Im Massenmail begründet die Schulleitung das Versenden der sensiblen Dokumente lapidar mit «Zur Ergänzung der Planung Sonderpädagogik (…)». Vermutlich war jedoch der Aufwand zu gross, 67 einzelne Mails an die Lehrpersonen der betroffenen Schüler/-innen mit den entsprechenden Dokumenten zu verfassen.

Die obere Abbildung zeigt das Massenmail mit den zahlreichen Anhängen, welches ein Schulleitungsmitglied am 5. Juli an rund 100 Personen verschickt hat. Auf der unteren Abbildung ist exemplarisch ein testpsychologisches Ergebnis der KJP BL vom 27. Juni dargestellt. Beide Abbildungen wurden durch die SSbB anonymisiert (rote Felder).

 


 

 

Der Schulleitung müsste hinlänglich bekannt sein, dass bei einem derart grossen Verteiler von gegen 100 Personen ein brisantes Massenmail mit erheblicher Wahrscheinlichkeit den Weg zu den Eltern findet und dort weiter verbreitet wird. Die Schulleitung, welche von der SSbB konfrontiert wurde, äusserte sich zu den Vorwürfen der besorgten Elterngruppe nicht.

Die SSbB erwartet, dass sowohl der Schulrat als auch der Datenschutzbeauftragte in dieser Sache aktiv werden.

Jürg Wiedemann
Vorstand Starke Schule beider Basel

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Deine Daten sind der Preis: Medienmündigkeit im Netz oder der Blick hinter das Display auf Big Data und Datenökonomie https://condorcet.ch/2021/11/deine-daten-sind-der-preis-medienmuendigkeit-im-netz-oder-der-blick-hinter-das-display-auf-big-data-und-datenoekonomie/ https://condorcet.ch/2021/11/deine-daten-sind-der-preis-medienmuendigkeit-im-netz-oder-der-blick-hinter-das-display-auf-big-data-und-datenoekonomie/#respond Mon, 29 Nov 2021 06:43:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=9942

Für Condorcet-Autor Ralph Lankau gehören Digitaltechnik, Netzwerke und Datenschutz notwendigerweise zusammen, da man Online- und Webtechnologien nur dann verantwortungsvoll nutzen kann, wenn man über ein Grundverständnis über Funktionsweisen der Digitaltools verfügt. Der Begriff dafür ist Medienmündigkeit statt Medien(bedien)kompetenz und bedeutet, dass man einschätzen und entscheiden kann, ob und ggf. welche Medien man nutzt und was man besser nicht im Netz macht. Das zugrundeliegende Ziel ist, sich den Datensammlern der IT-Monopole und der Daten-Ökonomie zu widersetzen, ohne auf sinnvolle Dienste zu verzichten.

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Social Media-Aktivitäten als Spiegel der Persönlichkeit

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau: Wir müssen uns stattdessen überlegen, für was wir wirklich online sein müssen.
Bild: Lankau

Das Mediennutzungsverhalten hat sich durch Digital- und Webtechnologien in den letzten 20 Jahren stark verändert. Internetdienste wie Amazon und Google (mit YouTube) oder Social Media-Plattformen wie Facebook (mit WhatsApp und Instagram) haben heute Reichweiten, die weit über Printpublikationen oder TV-Kanäle hinausgehen. Mit Smartphones (ab 2007) und Tablets (ab 2010) wurden mobile Geräte und Dienste ständige Begleiter. Der entscheidende Unterschied zu bisherigen Medienkanälen ist der permanente Rückkanal für personenbezogene (personalisierte) Daten. Gerätehersteller und Diensteanbieter wissen, wer wir sind und was wir im Netz tun. „Mit jedem Klick im Netz hinterlassen Menschen digitale Spuren. Aber auch wer das Handy unbenutzt in der Tasche mit sich herumträgt, verrät viel über sich selbst. Denn die Bewegungen des Benutzers, die ein Smartphone mit seinen Inertialsensoren erfasst, ermöglichen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Nutzer.“ (Siegle, 2019)

Eine aktuelle Studie bestätigt, dass sich aus Aktivitäten in sozialen Medien weitreichende Schüsse auf den Charakter der Nutzerinnen und Nutzer schließen lassen. Eine Forschergruppe um Clemens Stachl warnt im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) vor möglichen Einschränkungen der Privatsphäre, da personenscharfe Profile die gezielte Beeinflussung ermöglichen. (Stachl, 2020)

Eine aktuelle Studie bestätigt, dass sich aus Aktivitäten in sozialen Medien weitreichende Schüsse auf den Charakter der Nutzerinnen und Nutzer schließen lassen.

Allein über die Bewegungen mit Smartphones verraten Nutzer ihre alltäglichen Gewohnheiten.

Denn Smartphones zeichnen Nutzerdaten auf, aus denen sich die fünf Dimensionen des “Big Five”-Modells der Persönlichkeitspsychologie (Ocean-Methode; Tab. 1) vorhersagen lassen. Das sind die Persönlichkeitsmerkmale Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extrovertiertheit, Verträglichkeit und emotionale Stabilität sowie deren Ausprägung. Das ergibt, zusammen mit Bewegungs- und Kommunikationsprofilen, sehr präzise Abbilder der Persönlichkeitsstruktur, der mentalen und psychischen Belastbarkeit (z.B. Stressresistenz) und des emotionalen wie sozialen Verhaltens. Allein über die Bewegungen mit Smartphones verraten Nutzer ihre alltäglichen Gewohnheiten, den Aktionsradius und direkte Kontakte. Das lässt zuverlässige Rückschlüsse auf die Persönlichkeit und erwartbares Verhalten zu (Prognostik). Das Sammeln von Nutzerdaten hat als Ziel ja die Voraussage des wahrscheinlichen Verhaltens, um entsprechende Angebote zu machen und/oder passende Werbung zu schalten. Das ist schließlich die Geschäftsgrundlage der digitalen Plattform-Ökonomie: „Kostenlose“ Angebote gegen Nutzerdaten, Werbung und auch (politische) Propaganda.

Tab. 1: Die Big Five der Persönlichkeitspsychologie (dt.: Fünf-Faktoren-Modell, FFM)

Kürzel/Faktor schwach ausgeprägt stark ausgeprägt
O / openness to experience

(Offenheit für Erfahrungen)

konservativ, vorsichtig erfinderisch, neugierig
C / conscientiousness

(Gewissenhaftigkeit)

unbekümmert, nachlässig effektiv, organisiert
E / extraversion

(Extraversion)

zurückhaltend, reserviert gesellig
A / agreeableness

(Verträglichkeit)

wettbewerbsorientiert, antagonistisch kooperativ, freundlich, mitfühlend
N / neuroticism

(Neurotizismus)

selbstsicher, ruhig emotional, verletzlich

 

Trump und das Beispiel TikTok

Der erste, der diese Persönlichkeitsprofile für personalisierte Wahlwerbung erfolgreich eingesetzt hat, war Barack Obama mit seiner „Yes, we can“-Kampagne, mit der er vor allem junge Wählergruppen aktivieren konnte. Manipulationstechniken der medialen Kommunikation sind allerdings für beliebige Ziele einsetzbar, wie es Edward Bernays bereits in seinem Buch „Propaganda oder die Kunst der Public Relations“ von 1928 publizierte. Ob man Wahlkampf für Auto- oder Demokraten macht, ist auf der analytischen und (werbe)psychologischen Ebene egal, nur Botschaften und Bildsprachen variieren, die Methoden sind identisch. Die Basis dafür sind Psychotechniken, die William Stern u.a. um 1900 entwickelt hatten. (Gelhard, 2011, 100f) Der Brexit wie der letzte amerikanische Präsidentenwahlkampf dürften unter starkem Einfluss von personalisierten Social Media-Aktionen gestanden haben, wie es Christopher Wylie, ehemaliger Mitarbeiter von Cambridge Analytica (CA), in seinem Buch „Mind F*ck“ beschreibt.

Shoshana Zuboff, US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin und emeritierte Professorin für Betriebswirtschaftslehre der Harvard Business School in Cambridge, Massachusetts, spricht von Überwachungskapitalismus.

Das Grundprinzip der Plattform-Ökonomie sind international identisch. Unternehmen wie Facebook oder Google bzw. ihre chinesischen oder russischen Pendants stellen die technische Infrastruktur zur Verfügung. Die Nutzer entwickeln unentgeltlich die Inhalte (Content) und laden sie auf diese Plattformen hoch, um sich zu präsentieren. Die Plattformbetreiber verkaufen die Werbeplätze und sichern den Werbetreibenden zu, passende Anzeigen zum jeweiligen Nutzerprofil zu schalten. Zeitalter des Überwachungskapitalismus nennt Shoshana Zuboff dieses Prinzip, bei dem Nutzerinnen und Nutzer als Datenspender sich selbst als Konsumenten profilieren. (Zuboff 2018)

Bislang waren die Big Five der IT: Amazon, Alphabet (Google), Apple, Facebook und Microsoft auch in Europa führend. (Europa ist diesbezüglich eine digitale Kolonie des US-Marktes). Mit Android und Mac OS stellten zwei US-Firmen sogar die Betriebssysteme und App-Stores für annähernd alle Smartphones. Dummerweise hat China mittlerweile nicht nur das chinesische (staatlich zensierte) Netz gegen Konkurrenz aus dem Westen abgeschottet und für alle digitalen Dienste eigene Alternativen entwickelt (WeChat, Weibo, Baidu, AliBaba usw.). Mit Apps wie TikTok haben chinesisches Unternehmen auch zunehmend Erfolg auf dem amerikanischen Markt.

Trumps Wahlauftritt in Tulsa: leere Ränge.

Hier überkreuzen sich zwei Ereignisse. Zum einen haben TikTok-Nutzer die Auftakt-Wahlveranstaltung von Donald Trump in Tulsa boykottiert, in dem sie sich massenhaft angemeldet haben, aber nicht erschienen sind. Den großspurigen Ankündigungen des Trump-Teams über hohe Teilnehmerzahlen standen Fernsehbilder von leeren Rängen gegenüber. (Tulsa, 2020). Der Zorn des Narzissten war erwartbar. Zu Recht weist die amerikanische Regierung allerdings darauf hin, dass Daten, die ein chinesisches Unternehmen über amerikanische Nutzer sammelt, dem chinesischen Staat zur Verfügung stehen. Ein staatstotalitäres System wie in China schottet ja nicht nur das eigene Netz gegen Externe ab, sondern hat Zugriff auf alle Daten chinesischer Unternehmen.

Ein staatstotalitäres System wie in China schottet ja nicht nur das eigene Netz gegen Externe ab, sondern hat Zugriff auf alle Daten chinesischer Unternehmen.

Ein staatstotalitäres System

Fairerweise müsste die US-Regierung aber dazu sagen, dass sie selbst so agiert, wie es die Enthüllungen von Edward Snowden 2013 gezeigt haben und er es in seinem Buch „Permanent Record“ beschreibt. Die amerikanische Gesetzgebung nach dem Anschlag von 9/11 führt dazu, dass von Datenschutz und Datensicherheit auch in Europa nicht mehr gesprochen werden kann. Laut US Cloud Act haben amerikanische (Geheim)Dienste auf alle Daten von europäischen Kunden auf Antrag Zugriff, selbst wenn diese in Europa gespeichert sind und EU-Recht unterliegen. US-Recht bricht EU-Recht, egal, welche Verträge man mit amerikanischen Unternehmen abschließt. Das hat der europäische Gerichtshof (EuGH) sowohl mit dem Safe Harbour-Urteil von 2015 wie mit dem aktuellen Urteil zum Privacy Shield von 2020 bestätigt. (Lijnden, 2020, 4)

Datenschutz schützt keine Daten, sondern Grundrechte wie das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf Privatsphäre oder das Recht, eine Zustimmungen zum Datensammeln zu widerrufen und das Löschen der Daten einzufordern.

Umso wichtiger ist die im Mai 2016 beschlossene und im Mai 2018 in Kraft getretenen EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO). Sie regelt das Speichern und Verarbeiten personenbezogener Daten für alle (!) Unternehmen, die innerhalb der EU aktiv werden wollen. Wer personenbezogen Daten speichern und auswerten will, muss vorher von den betroffenen Personen ein schriftliches Einverständnis einholen. Hier ist nicht der Ort, juristische Details oder mögliche Verbesserungen zu erörtern, sondern deutlich zu machen: Datenschutz schützt keine Daten, sondern Grundrechte wie das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf Privatsphäre oder das Recht, eine Zustimmungen zum Datensammeln zu widerrufen und das Löschen der Daten einzufordern. Die EU-DSGVO gibt Nutzern ihre Rechte an eigenen Daten zurück.

Die Pflicht, vor dem Speichern um Erlaubnis zum Speichern personenbezogener Daten zu bitten, gilt selbstredend auch für Software, die in Schulen eingesetzt wird.

Learning Analytics an Schulen

Peter Hense, Rechtsanwalt aus Sachsen (D): Man scheut sich vor der konsequenten Anwendung geltenden Rechts.

Die Pflicht, vor dem Speichern um Erlaubnis zum Speichern personenbezogener Daten zu bitten, gilt selbstredend auch für Software, die in Schulen eingesetzt wird. Daher werden Eltern von Minderjährigen unter 16 Jahren derzeit bundesweit aufgefordert, entsprechende Nutzungsvereinbarungen zu unterschreiben. Tun Sie es nicht. Auf die Frage, ob die Kultusministerien in Baden-Württemberg und Bayern ihr vorläufiges Okay für Microsoft-Produkte an Schulen zurückziehen sollten, antwortet der Jurist Peter Hense im Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Sollten? Sie müssen. Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet. Ohne eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Datentransfer in die USA und andere Drittstaaten, denen ein angemessenes Schutzniveau fehlt, sind diese Produkte nicht genehmigungsfähig.“ (Füller, 2020a)

Gezwungen, entsprechende Nutzungsvereinbarungen zu unterschreiben.

Dieser Datenschutz als Grundrechteschutz gilt auch für Lernmamagement Systeme (MS), die semantisch korrekt besser Lern-Steuerungs-Systeme (LAS) heißen sollten und bei denen exakt angegeben werden muss, welche Daten für welche Zweck wie lange gespeichert werden, wer darauf Zugriff hat und wie man sie wieder löschen kann. Denn personalisierte Lernsoftware basiert notwendig auf möglichst umfangreichen Lern-, Verhaltens und Persönlichkeitsprofilen. Dazu wird das Lernverhalten der Schülersinnen und Schülerin möglichst kleinteilig aufgezeichnet und ausgewertet.Der Begriff dafür ist Learning Analytics. ( Ifenthaler, Schuhmacher, 2016; Moodle, 2020) Aus Lernprozessen wird ein permanentes Vermessen von digital abprüfbaren Lernleistungen.

Der Leiter des Hasso-Plattner-Instituts, das die vom BMBF finanzierte Schulcloud mitentwickelt, führt dazu aus: „Viele dieser interaktiven Systeme funktionieren nur, wenn sie den Nutzer kennen. Das bedeutet, dass Daten protokolliert werden: Was hat der Betreffende gestern gemacht? Welche Frage konnte er nicht beantworten? Wo müssen wir wieder ansetzen?“ (Meinel, 2020) Auch andere Software-Anbieter werben mit der Vermessung und Steuerung von Lernprozessen: “Wir richten Ihr Moodle so ein, dass Sie von den Analytik-Funktionen optimal profitieren. Moodle-Analytics wird damit nicht zur Glaskugel – aber fast” steht auf der Website eines offiziellen Moodle-Partners für Deutschland. (Moodle, 2020). Ein weiterer Open-Source-Anbieter verspricht „Pädagogische Funktionen und einfach bedienbare Benutzeroberflächen für den IT-gesteuerten Unterricht“. (Open Source, 2020).

Wer daran glaubt, braucht in der Tat immer mehr und immer bessere Daten. Und immer mehr Informatiker und Datenmanager statt Lehrkräfte…

Demnach ist der IT-gesteuerte Unterricht das Ziel? Der übergeordnete Begriff dafür ist datengestützte Schulentwicklung, ein Modell der empirischen Bildungsforschung. Ausgangspunkt ist die Vorstellung, Lernprozesse messen und wie einen Produktionsprozess steuern zu können (kybernetische Pädagogik) – als gäbe es Qualitätsmanagement-Parameter für die individuelle und kognitive Entwicklung von Kinder und Jugendlichen. Wer daran glaubt, braucht in der Tat immer mehr und immer bessere Daten, wie es die Kollegin Hartong am Beispiel Hamburg kritisch aufzeigt. Und immer mehr Informatiker und Datenmanager statt Lehrkräfte… (Hartong 2018; 20219)

Was ist das Ziel von Unterricht?

An dieser Stelle muss man eine Grundsatzfrage stellen. Was ist das Ziel von Unterricht und was das Ziel beim Einsatz von Digitaltechnik in Schulen? Geht es um das Optimieren des standardisierten Beschulens und um automatisiertes Testen auf „Richtig oder Falsch“? Dafür sind Digital- als Binärsysteme und Lernsoftware geeignet. Oder geht es um mehr als Auswendiglernen von Repetitionswissen? Zum Denken lernen als Ziel von Lehre und Unterricht brauchen wir ein menschliches Gegenüber, den direkten Dialog. So jedenfalls Immanuel Kant im Text “Was heißt: sich im Denken orientieren?” (1786). Sonst bekämen wir nur leere Köpfe, die zwar das Repetieren (heute: Bulimie-Lernen) trainieren, aber nicht selbständig denken lernen und Fragen stellen könnten. Auch der ehemalige Leiter des Massachusetts Institute of Technology (MIT), Rafael Reif, weiß um die Bedeutung von Präsenz und direktem Diskurs: „Die Ausbildung bei uns besteht aus drei Komponenten. Erstens: das Lernen von bestehendem Wissen. Zweitens: das Verbessern von bestehendem Wissen. Drittens: die Anwendung des Wissens, um etwas Neues zu schaffen. Den letzten Punkt nennt man Innovation. Digitales Lernen können wir nur für den ersten Teil nutzen. Aber wir gewinnen damit mehr Zeit für die beiden anderen Komponenten.“ Punkt Zwei ist das gemeinsame Arbeiten im Präsenzunterricht und Seminar.

IT muss dezentral und datensparsam organisiert werden. Schulen richten sich dafür z.B. eigene LMS-Instanzen ohne Analysefunktionen ein, damit Lehrkräfte und Schülerinnen bzw. Schüler Dokumente und Dateien austauschen können.

Alternativen zur Verdatung von Schülerbiografien

An dieser Stelle kann auch der Einsatz von IT im Unterricht und an Schulen konkretisiert werden. Was ist das genaue Ziel beim Einsatz von IT in Schulen? Automatisiertes Beschulung als Ersatz für Lehrkräfte? Oder nutzt man digitale Dienste ohne Personalisierung und Profilierung als Werkzeug? Der Autor arbeitet z.B. selbst mit Moodle, deaktiviert aber alle Analyse-PlugIns und reduziert das Speichern von Nutzerdaten auf das technisch notwendige (Nutzerkennung, Passwort, Berechtigungen nach dem LogIn). Als Betriebssystem dient Linux (Fedora, Mint, Ubuntu statt Windows), die Anwendungssoftware ist durchgängig Open Source, z.B. Libre Office für Büroanwendungen und Präsentationen. Auch für Grafik, Desktop-Publishing, Audio-/Videoschnitt oder Webpublishing gibt es entsprechende Tools.

Eine valable Alternative

Noch wichtiger ist Umdenken: IT muss dezentral und datensparsam organisiert werden. Schulen richten sich dafür z.B. eigene LMS-Instanzen ohne Analysefunktionen ein, damit Lehrkräfte und Schülerinnen bzw. Schüler Dokumente und Dateien austauschen können. Das LMS wird benutzt wie eine (digitale) Bibliothek oder eine Materialsammlung ohne Benutzungsprotokolle und ohne Profilierung. Der Server steht in der Schule oder bei einem Provider und ist über VPN (Virtual Private Network) mit Nutzerkennung und Passwort per Netz erreichbar. In dieses LMS kann man bei Bedarf (Stichwort Fernunterricht) Open Source-Videokonferenz-Software wie BigBlueButton oder Jitsi einbinden. Auf diesem Server liegt das für den Unterricht notwendige Material, so muss man im Unterricht nicht ins Internet, sondern kann im Intranet arbeiten. Diese lokale Aufgaben- und Materialsammlung wird ergänzt um den Zugriff auf den Bildungsserver des jeweiligen Bundeslandes. Für die Kommunikation außerhalb von Unterricht und Schule nutzt man DSGVO-konforme Messneger wie Threema oder Signal.

Der entscheidende Punkt ist, dass man „echte“ Rechner oder Laptops einsetzt, die Betriebssystem und Anwendungssoftware lokal installiert und diese offline vollständig funktionsfähig sind. Alles, was im Unterricht mit Rechner gelernt werden soll, kann man offline tun – mit Ausnahme von Netzrecherchen. Nur bei Bedarf schaltet man den Netzzugang ein – idealiter kabelgebunden über einen Router, um die Strahlenbelastung zu minimieren. Dadurch ist es möglich, klar zwischen Off- und Onlinemodus zu trennen.

Wir haben uns daran gewöhnt, immer online zu sein, „mal schnell“ dies und das zu suchen oder anzuklicken – und möglichst viel mit einem Gerät zu machen. Das ist bequem, hat aber Folgen. Die Einzigen, die dieses permanente Onlinesein notwendig brauchen, sind die Vertreter der Daten- und Plattformökonomie. Nur so können sie in Echtzeit Nutzerdaten sammeln und auswerten. Wir müssen uns stattdessen überlegen, für was wir wirklich online sein müssen und in der Grundeinstellung der Arbeitsrechner das Netz ausgeschaltet lassen bzw. für die (Netz-)Kommunikation besser ein zweites Laptop mit Tor-Browser (zum Verbergen der eigenen Netztadresse zu nutzen. Das mag etwas umständlich sein, aber das größte Privileg im 21, Jahrhundert wird sein, selbst entscheiden zu können, für was man online geht, welche Daten man preisgibt und sich ansonsten eine Privatsphäre leisten zu können. Denn die „Gretchenfrage 4.0“ heißt schlicht: Wie hältst Du es mit den Daten? So Armin Grunwald, Professor für Technikphilosophie und Technikethik und Leitet des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.

„Aufklärung meint heute eine digitale Mündigkeit, in der kritische und unangenehme Fragen gestellt werden. Das vermeintlich Spielerische der Technikdebatten, das Verschieben des existenziellen Antagonismus zwischen Paradies und Untergang in die ferne Zukunft, ist in keiner Weise spielerisch: Vielmehr verschleiert es den Ernst der zentralen Frage, wer zur KI und ihrer Nutzung etwas zu sagen hat und von wem nur noch simple Anpassung erwartet wird. Es ist eine Machtfrage.” (Grunwald, 2020, 9)

Anpassung an IT-Systeme vs. Autonomie des Menschen: Der deutsche Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier fragte auf dem Kirchentag 2019 in Dortmund: “Was bleibt vom Menschen, wenn neue Technologien immer tiefer in unsere Entscheidungen eingreifen, unser Denken lenken, unsere Wünsche formen?“ und formuliert als Auftrag an uns alle: „Nicht um die Digitalisierung der Demokratie müssen wir uns zuallererst kümmern, sondern um die Demokratisierung des Digitalen!“ Schulen sind einer der wichtigsten Orte, um Lehrkräfte wie Schülerinnen und Schüler für diese Fragen zu sensibilisieren und notwendige Diskussionen mit nachfolgenden Generationen zu führen.

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Alain Pichard im Kulturplatz – Das vollständige Interview: Der Mensch lernt durch den Menschen https://condorcet.ch/2020/08/alain-pichard-im-kulturplatz-das-vollstaendige-interview-der-mensch-lernt-durch-den-menschen/ https://condorcet.ch/2020/08/alain-pichard-im-kulturplatz-das-vollstaendige-interview-der-mensch-lernt-durch-den-menschen/#comments Sun, 23 Aug 2020 15:03:40 +0000 https://condorcet.ch/?p=6149

Es gab viele Vorgespräche und grosse Vorbereitungen, bis der SRF-Journalist Richard Herold mit seinem Kameramann einen insgesamt fünfstündigen Arbeitseinsatz am OSZ-Orpund absolvieren konnte. Im Vorfeld beantwortete Condorcet-Autor Alain Pichard schriftlich einige Fragen und gab auch bei den Filmaufnahmen ein 20-minüitges Interview. Heraus kam ein 10-Minutenbeitrag, der die wichtigen Punkte streifte und auf Zuspitzung bedacht war. Dass Alain Pichard die digitalen Medien intensiv nutzt, beweist er nicht nur mit seiner Arbeit an unserem Bildungsblog, sondern auch in seinen ausführlichen Antworten, die er hier unserer LeserInnenschaft vorstellt.

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Bilanz der Corona-Wochen im Lockdown – was hat die Schule gelernt in dieser ausserordentlichen Zeit? Wie erlebten Sie diese Zeit?

Für mich war es eine spannende, intensive und hochinteressante Zeit, in der ich viel gelernt habe. Und die Schule hat getan, was sie konnte. Manchmal besser, manchmal weniger gut. Im Großen und Ganzen ziemlich unaufgeregt und mehrheitlich professionell. Die wichtigste Erkenntnis aus der Corona-Zeit ist eine an sich bekannte: dass Erziehen und Bilden, Schule und Unterricht immer in Beziehungen stattfindet, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer ganzen Persönlichkeit, mit ihrer Betreuung und den persönlichen Rückmeldungen entscheidend für das Gelingen von Lernprozessen sind. Der Mensch ist des Menschen Lehrer oder Lehrerin. Medien können Vermittlungsprozesse unterstützen und begleiten, vor- oder nachbereiten, aber es braucht immer den Dialog.

Ausserdem bin ich zur Überzeugung gekommen, dass für Phasen des Fernunterrichts mehr, nicht weniger qualifizierte Lehrkräfte gebraucht werden. Die Gruppen müssen kleiner sein, es braucht viel mehr Kleingruppengespräche bis hin zur Einzelbetreuung. Fernunterricht ist personalintensiv und gewiß nicht geeignet, um (Personal-)Kosten zu sparen. Was man aus der Erwachsenenbildung weiß – Fernunterricht gelingt durch klare Ziele, feste organisatorische und zeitliche Strukturen und eine Bindung durch persönliche Betreuung – gilt in noch viel stärkerem Maße für den Fernunterricht mit Kindern.

Und als drittes: Für die Primarschulen ist Fernunterricht eine extreme Belastung und Zumutung für alle Beteiligten und von Grund auf ungeeignet.

Wie erlebten Sie diese Zeit? Was hat gut funktioniert – was nicht so? 

Digitalunterricht ist automatisiertes Lernen

Im Grunde zeigt sich, was auch im Präsenzunterricht gilt: Schülerinnen und Schüler, die sich und ihre Zeit gut organisieren können, kommen bei klaren Aufgabenstellungen und regelmäßigem Feedback halbwegs gut zurecht. Das Soziale fehlt, alles Menschliche, aber wer familiär gut eingebunden ist, übersteht solche Auszeiten ordentlich. Wer mehr Unterstützung und Führung braucht, fällt im Fernunterricht schneller und noch stärker zurück. Fehlt die Unterstützung zu Hause, wird es schnell kritisch.

Unterschiedliche Lerntypen und -geschwindigkeiten hat man in jeder Klasse, jeder Unterricht ist binnendifferenziert, das Zwischenschalten von Lernmedien und digitaler Kommunikation wirkt im Prinzip nur als Verstärker bekannter Phänomene.

Technisch vermittelte Hilfe ist immer distanziert, unpersönlich, weniger ganzheitlich, weil niemand körperlich präsent ist. Körperliche Präsenz ist aber elementar, um direkt aufeinander reagieren zu können.

Was gar nicht funktioniert, ist die tatsächliche Interaktion, bei der man jemandem über die Schulter und ins Gesicht schaut, auf einem Übungsblatt etwas vorrechnet oder zeichnet oder kurz gesagt: die direkte und ganz persönliche Ansprache und Hilfestellung am Sitzplatz. Technisch vermittelte Hilfe ist immer distanziert, unpersönlich, weniger ganzheitlich, weil niemand körperlich präsent ist. Körperliche Präsenz ist aber elementar, um direkt aufeinander reagieren zu können.

Was sind für Sie die wichtigsten Learnings – was nehmen Sie mit? 

Arbeitsplatz einer Schülerin während der Fernschulung

Die wichtigste Erkenntnis ist, dass auch eine gute technische Ausstattung wie an den meisten Schweizer Schulen nur ein Hilfsmittel in Pandemie-Zeiten sein kann, manches erleichtert, etwa den Dokumentenaustausch, aber dass Lernprozesse immer ein persönliches Gegenüber brauchen. Die Anfangseuphorie des „Schule vom Sofa aus“ verebbt schnell. Eine Videokonferenz nach der anderen führt fast automatisch zum Abschalten, nicht nur der Kamera. Auch Diskussionen in Kleingruppen wirken zunehmend steril, da Kamera und Mikrofon nur akustische und visuelle Signale übertragen, aber kein echtes Miteinander ermöglichen. Alles bleibt zweidimensional und technisch vermittelt.

Zum Denken-Lernen als Ziel von Lehre und Unterricht brauchen wir aber ein menschliches Gegenüber, den direkten Dialog. So jedenfalls Immanuel Kant im Text „Was heißt: sich im Denken orientieren?” (1786). Sonst bekämen wir nur leere Köpfe, die zwar das Repetieren (heute: Bulimie-Lernen) trainieren, aber nicht selbständig denken und Fragen stellen könnten. Anderes formuliert: Schulen sind nur als Präsenzschulen echte Schulen. Alles andere sind Hilfskonstruktionen für den Notfall.

Und für die Schülerinnen und Schüler wage ich zu behaupten: Viele von ihnen haben entdeckt, dass man auch zu Hause für die Schule arbeiten kann. Sie haben Arbeitsplätze eingerichtet und lange Zeit an Aufträgen gearbeitet. Das ist sicher ein positiver Aspekt.

Und für die Schülerinnen und Schüler wage ich zu behaupten: Viele von ihnen haben entdeckt, dass man auch zu Hause für die Schule arbeiten kann. Sie haben Arbeitsplätze eingerichtet und lange Zeit an Aufträgen gearbeitet. Das ist sicher ein positiver Aspekt.

Eine Studie besagt, dass ein Drittel der Schüler besser, ein Drittel gleich gut und ein Drittel während der Fernschulung weniger gelernt hätten. Wie stehen Sie dazu? 

Eine umfassende Studie der OECD aus dem Jahre 2012 zeigt ernüchternde Resultate

Ich staune immer wieder, wie schnell solche Studien auf den Markt kommen und wie unkritisch sie von den Journalisten kolportiert werden. Bei solchen Studien gilt doch immer nachzufragen: Was heisst „mehr gelernt“? Handelt es sich um eine Befragung oder eine Output-Auswertung?  Für welche Schüler gilt dies? Oder besser: Wer hat an dieser Umfrage teilgenommen? Gab es Kontrollgruppen? Wer hat die Studie in Auftrag gegeben? und so weiter. Ich kann Ihnen aber eine OECD-Studie empfehlen, in der alle Methoden transparent sind. Die Daten wurden 2012 erhoben und 2015 veröffentlicht. Diese Studie wurde von der FAZ als „zweiter PISA-Schock“ kommentiert, weil sie ergab, dass Schülerinnen und Schüler, die intensiv mit den digitalen Medien lernten, wesentlich schlechtere Ergebnisse erreichten als ihre Kontrollgruppe.

Inwiefern hat sich Ihre Position gegenüber digitalen Mitteln verändert? 

Digitale Medien sind seit über 30 Jahren in Schulen im Einsatz, es wurde vieles ausprobiert und jetzt in der Covid-19-Zeit vieles aus dem Berufsleben und der Erwachsenenbildung übernommen. Dabei hat sich ganz klar gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler weder Erwachsene noch Arbeitnehmer sind – und es ja auch (noch) nicht werden sollen, solange man Bildungseinrichtungen als solche begreift – und nicht nur als Zurichte-Anstalten für den Beruf.

Es gibt durchaus Gebiete und Themen, in denen digitale Medien dem klassischen Unterricht überlegen sind. Darauf sollte man zurückzugreifen oder in die konstruktive Medienproduktion einsteigen (Videos produzieren, PP herstellen, webbasierte Produkte kreieren). Zum Wörtchen-Lernen, Wortarten-Üben, Umrechnungen-Üben oder Texte-Verfassen sind die digitalen Tools echt nutzbringend. Aber das wussten wir schon vor dem Homeschooling.

Das heißt, dass digitale Medien, die im Kern nichts anderes sind als Automatisierungstechniken, gezielt eingesetzt werden, dagegen alle Automatisierungstendenzen beim Lernen und Prüfen vermieden werden sollen: ein Widerspruch schlechthin.

Bezüglich Pädagogik und Didaktik sind aber viele Angebote in den Lernportalen trotz ihrer zum Teil beeindruckenden Technik ausserordentlich bieder, wenn nicht sogar reaktionär.

Es gibt durchaus Gebiete und Themen, in denen digitale Medien dem klassischen Unterricht überlegen sind. Darauf sollte man zurückzugreifen oder in die konstruktive Medienproduktion einsteigen (Videos produzieren, PP herstellen, webbasierte Produkte kreieren). Zum Wörtchen-Lernen, Wortarten-Üben, Umrechnungen-Üben oder Texte-Verfassen sind die digitalen Tools echt nutzbringend. Aber das wussten wir schon vor dem Homeschooling. Bezüglich Pädagogik und Didaktik sind aber viele Angebote in den Lernportalen trotz ihrer zum Teil beeindruckenden Technik ausserordentlich bieder, wenn nicht sogar reaktionär. Pädagogische Konzepte für den Einsatz von – analogen wie digitalen – Medien im Unterricht haben immer den Menschen und seine Lernprozesse im Blick, nicht Mess- und Prüfbarkeit.

Grundsätzlich sehen Sie die Rolle des Pädagogen in Gefahr – nur noch „Coach”, „Controller” – können Sie das etwas näher ausführen.

Die Frage ist auch hier: Welche Aufgabe hat ein Pädagoge, eine Pädagogin? Die traditionelle Antwort: Junge Menschen zur Freiheit zu führen, das geht nur über Lernen und Verstehen. Das wiederum geht nur über Beziehung und Dialog. Das funktioniert nur im Miteinander.

Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft besser damit fährt, die Unterrichtsprozesse nicht an Algorithmen zu delegieren.

Was technisch abgebildet werden kann, ist nur das Auswendiglernen von Repetitionswissen, das dann auch automatisiert abgeprüft werden kann. Der ehemalige Leiter des MIT, Rafael Reif, formulierte im NZZ-Interview (2015): „Die Ausbildung bei uns besteht aus drei Komponenten. Erstens: das Lernen von bestehendem Wissen. Zweitens: das Verbessern von bestehendem Wissen. Drittens: die Anwendung des Wissens, um etwas Neues zu schaffen. Den letzten Punkt nennt man Innovation. Digitales Lernen können wir nur für den ersten Teil nutzen.

Online-Aufträge – verkappte Arbeitsblattitis

Aber wir gewinnen damit mehr Zeit für die beiden anderen Komponenten.“ Punkt Zwei ist das Arbeiten im Seminar oder im Klassenzimmer. Auch hier stellt sich wieder die Frage: Welche Aufgabe, welche Funktion hat Schule? Wer sich nur als Lernbegleiter oder Lerncoach begreift, sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche an ihre Lernstationen gehen und dort ihr Pensum abarbeiten, greift nur ein, wenn etwas nicht funktioniert. Die Metapher dazu ist: Produktion von Wissen wie in einer Fabrik Waren produziert werden; der Nürnberger Trichter in digitaler Version. So funktioniert vielleicht das Bulimie-Lernen, aber daraus werden weder Verstehen noch Persönlichkeitsentwicklung. Fazit: Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft besser damit fährt, die Unterrichtsprozesse nicht an Algorithmen zu delegieren.

Es kann aber doch auch durchaus ein Vorteil sein, wenn man es mit der Lehrperson einfach nicht kann?

Schlechte Lehrer sind eine Zumutung

Keine Frage: Schlechte Lehrer sind eine Zumutung. Aber schlechte Lehrkräfte machen auch keinen guten Fernunterricht. In den letzten Jahren ist viel geschehen, damit sich Schülerinnen und Schüler sowie Eltern auch wehren können. Ihre Frage suggeriert, dass neutrale Algorithmen den Unterricht übernehmen können und damit die Qualitätsunterschiede vermieden werden. Wie langweilig wäre Schule, wenn alle Lehrkräfte gleich wären? Manchmal sind auch die, an denen wir uns reiben, besonders wichtig für die eigene Entwicklung. Außerdem: Wir lernen auch von den Lehrkräften, mit denen wir gar nicht zurechtkommen, sehr viel – und sei es nur, wie man mit Menschen auskommt, mit denen man an sich nicht auskommt, aber auskommen muss. Das haben wir in der Familie, in der Klassen oder Nachbarschaft, in der Gemeinde oder am Arbeitsplatz. Wir müssen lernen, mit ganz unterschiedlichen Menschen und Charakteren und selbst mit halben Psychopathen auszukommen, weil es diese überall gibt. Die digitalen Medien sind sicher kein Ausweg.

Für mich ist klar: Wir haben während der Zeit des Homeschoolings Dinge gemacht, die in Bezug auf den Datenschutz illegal sind. Wenn man das alles in Zukunft machen will, soll man die Gesetze ändern. Sie einfach administrativ auszuhöhlen ist eines Rechtsstaats unwürdig.

Datenschutz ist ja auch immer ein Thema im digitalen Unterricht – wo sehen Sie die grössten Probleme? 

Vieles ist absolut illegal

Die größten Probleme sind:

  1. die US-Monopolstrukturen, weil US-Unternehmen auf Anfrage amerikanischer Behörden alle Daten herausgeben müssen (US Cloud Act). US-Recht bricht EU-Recht und jede kantonale Datenbestimmung; es gibt keinen Datenschutz mit US-Unternehmen;
  2. die völlige Intransparenz der Datensammlung und -auswertung, obwohl die Nutzer durch die zurückgespielten Antworten in ihrem Verhalten gesteuert werden;
  3. das lebenslange Speichern der Daten und damit die fehlende Option des Vergessens; gerade für Schülerinnen und Schüler ist es eminent wichtig, dass sie sich, z.B. nach einem Scheitern, „neu erfinden können“ und sie z.B. nach einem Schulwechsel nicht schon vorab durch ein Profil identifiziert werden, sondern sich als Person in neue Sozialstrukturen einfinden können;
  4. die ganzen unterschwelligen Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten, die mit den ganzen Psychotechniken der Benutzerführung (affective Computing, persuasive Technologies usw.) eingesetzt werden. Für diese Systeme ist man keine Person, sondern nur ein zu optimierender Datensatz, der für ein extern vorgegebenes Ziel optimiert wird (Teilziele sind z.B. möglichst lange Bildschirmzeiten, um Werbung schalten zu können, Maximierung des Konsumverhaltens usw.).

Für mich ist klar: Wir haben während der Zeit des Homeschoolings Dinge gemacht, die in Bezug auf den Datenschutz illegal sind. Wenn man das alles in Zukunft machen will, soll man die Gesetze ändern. Sie einfach administrativ auszuhöhlen, ist eines Rechtsstaats unwürdig.

Mit vielen digitalen Anwendungen sind weitgehende Formen der Überwachung möglich – nutzen Sie diese? 

Nein, was für eine Haltung steckt denn hinter dieser Frage? Die Basis für die pädagogische Arbeit ist Vertrauen. Man kann kein Vertrauen entwickeln, keine vertrauensvolle Beziehung und keine Bindung aufbauen, wenn man Lehren und Lernen über Kontrollsysteme organisiert. Man muss sich entscheiden: Arbeitet man als Pädagoge oder als Aufseher?

In den USA werden die öffentlichen Kindergärten und Schulen immer stärker digitalisiert, während die privaten die Computer aus den Klassenzimmern verbannen und Kinder für viel Geld den „Luxus der menschlichen Interaktion“ erleben dürfen, wie der Unterricht durch echte Menschen dort heißt.

Mit den Digitaltechniken ist ohne Probleme ein Benthamsches Panoptikum zu realisieren, die kleinteilige, vollständige Überwachung aller Aktivitäten aller Nutzerinnen und Nutzer. Die Instrumente dafür sind das Speichern in Big Data-Datenbanken und die algorithmisch gesteuerte Auswertung der Persönlichkeiten samt Leistungsfähigkeit, Stärken und Schwächen, eine vollständige psychometrische Vermessung usw. Das ist technisch alles machbar. Das ist die Grundlage für die sogenannte „datengestützte Schulentwicklung“ Der Begriff dafür ist Learning Analytics und bedeutet: digital gesteuerter Unterricht. Wollen wir das? Wer will das? Auch für die eigenen Kinder? (In den USA werden die öffentlichen Kindergärten und Schulen immer stärker digitalisiert, während die privaten die Computer aus den Klassenzimmern verbannen und Kinder für viel Geld den „Luxus der menschlichen Interaktion“ erleben dürfen, wie der Unterricht durch echte Menschen dort heißt; so jedenfalls die NYT).

Sind Sie nie versucht, da etwas mehr rauszuholen? 

Nicht das Messen ist das Ziel

Keine Frage, ich will mich als Lehrer ständig verbessern, aber pädagogisches Arbeiten ist kein wirtschaftlich geprägter  Optimierungsprozess, wie es mit dem „mehr Herausholen“ anklingt, weil man dafür vordefinierte Skalen und Ziele bräuchte wie im Sport. Beim Weitwurf sind 15 Meter mehr als zehn. Wir arbeiten aber mit jungen Menschen, da gibt es dieses „Mehr oder Besser als“ nur bedingt. Das klassische Unterrichten vor dem Siegeszug der empirischen Bildungsforschung hatte denn auch nicht das Messen zum Ziel, sondern das Verstehen und die Persönlichkeitsentwicklung. Das aber lässt sich weder automatisiert prüfen noch generieren, sondern dialogisch erfragen und fördern und entwickeln wie in Platons Akademie.

 

Es gibt das nationale Projekt „Edulog” – Anlauf ab August Zugang/Login zu vereinheitlichen und Schulen/Eltern Last abnehmen. Was halten Sie davon?  

Ich begrüsse alle digitalen Neuerungen, welche die Daten der Schüler respektieren. Und ich bin gespannt, welche Inhalte Edulog anbieten wird. Im Moment wird vor allem von biederen ProMotion-Filmchen „geschwärmt“.

Edulog – ein Versprechen, das eingehalten werden kann?

Das nationale Projekt „Edulog“ ist vermutlich ein typisches IT-Projekt, bei dem ganz am Anfang die Frage steht, wie man alle Aktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer personenscharf tracken kann. Ich zitiere exemplarisch aus dem Papier eines Anbieters für Schulsoftware, dass „schulische IT ohne eine Benutzerverwaltung nicht funktionieren kann und damit ohne ein Identity- und Acess-Managment (IAM) keine Fortschritte bei der Digitalisierung im schulischen Bildungsbereich erzielt werden. Eine Vielzahl von relevanten Fragen werden mit einem IAM beantwortet: So kann damit beispielsweise ein altersgerechter Zugang ins schulische WLAN gesteuert, ein auf jede Schülerin, jeden Schüler individueller und zielgenauer Zugang zu Lerninhalten (Zuordnung von Lizenzen, Dokumentation des quantitativen und qualitativen Lernfortschritts, definierte Distributionsmöglichkeiten etc.) geregelt sowie jedwede mit Rollen und Rechten verbundene Freigabe oder der Zugang zu Inhalten, Medien und Internetseiten sichergestellt werden.“ (Univention, Handlungsempfehlungen, S. 7.) Das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was in einem IAM und später der Lernmanagementsoftware (LMS) alles zur Person gespeichert ist und wie der Zugang gesteuert werden kann.

Wenn Sie einen IT-Dienstleister damit beauftragen, IT in Schulen zu etablieren, kommt als erstes so ein Tool zur eindeutigen Identifikation heraus. Damit kann man dann alle Aktivitäten an allen Geräten und übergreifend über alle Anwendungen verfolgen und so ein immer genaueres Profil erstellen.

Das ist bequem: Einmal einloggen und alles steht zur Verfügung, was man machen darf und/oder soll. Aber in diesem Profil steht eben auch, wer man ist und was man gemacht hat und machen darf. Aus pädagogischer Sicht sollte man aber immer nur und ausschließlich die (Schüler-)Daten speichern, die zur Nutzung des Systems absolut notwendig sind, ohne Profil- und Leistungsdaten. Das ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Und gehört nicht der Respekt vor der Person und den Rechtsgrundlagen einer demokratischen Gemeinschaft zu den Bildungszielen von Schule und Unterricht?

Die technisch affinen „Digitalisierer“ sind oft viel altmodischer als die als altmodisch diffamierten Digitalisierungskritiker.

Was müsste Ihrer Meinung nach in Sachen Digitalisierung jetzt geschehen?

In die Pädagogik investieren

Wir müssen klar zwischen Produktivitätszuwachs (digitale Möglichkeiten) und pädagogischen Zielen unterscheiden. Dort, wo die Schülerinnen und Schüler besser lernen, repetieren und üben können, soll man die digitalen Medien nutzen. Sonst sollte man vor allem in das Verstehen und das Lernen investieren, will heissen: besserer Unterricht, bessere Lehrerinnen und Lehrer, mehr inhaltliche, didaktische Weiterbildung. Ich hatte mich in den sechs Wochen der Fernschulung intensiv in den digitalen Angeboten umgesehen: technisch verlockend, grafisch teilweise eindrucksvoll, aber pädagogische Steinzeit, Frontalunterricht zum Davonlaufen, null Problemstellungen, komplett rezeptorientiert. Innovativ ist das alles nicht. Die technisch affinen „Digitalisierer“ sind oft viel altmodischer als die als altmodisch diffamierten Digitalisierungskritiker.

 

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Die versuchte Wiedergutmachung der Sendung “Kulturplatz” auf SRF in Sachen “Digitalisierter Unterricht” https://condorcet.ch/2020/08/die-versuchte-wiedergutmachung-der-sendung-kulturplatz-auf-srf-in-sachen-digitalisierter-unterricht/ https://condorcet.ch/2020/08/die-versuchte-wiedergutmachung-der-sendung-kulturplatz-auf-srf-in-sachen-digitalisierter-unterricht/#respond Sun, 23 Aug 2020 14:01:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=6145

Was haben die Schulen und die Schülerinnen aus der Corona-Zeit gelernt? Was nehmen sie mit ins neue Schuljahr? Diese Fragen versuchte die Kulturplatz-Sendung vom Mittwoch, den 19. August zu beantworten.

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Viele unserer Leserinnen und Leser mögen sich noch an die Propaganda-Sendung von Kulturplatz aus dem letzten Jahr erinnern. Es handelte sich um eine Ansammlung von Fake-News und völlig einseitiger Jubelrhetorik. Die Condorcet-Redaktion intervenierte (https://condorcet.ch/2020/06/liebe-frau-wannenmacher/), es kam zu einem Gespräch mit den Verantwortlichen und dem Versprechen, sich der Sache noch einmal kritischer anzunehmen. Am Mittwoch, den 18. August war es soweit.

Die Sendung war auf Zuspitzung bedacht und ein 10-minütiger Beitrag ist wenig geeignet, den komplexen Zusammenhängen der Digitalisierungsstrategie gerecht zu werden. Trotzdem, dieses Mal bemühte man sich immerhin um Ausgeglichenheit und sprach im Eiltempo einige wichtige Streitpunkte an.

In einem folgenden Beitrag stellt unser Condorcet-Autor Alain Pichard, der in diesem Beitrag prominent als Skeptiker zu Worte kam,  sein vollumfängliches Interview, das er den SRF-urnalisten gab, auf den Blog.

https://www.srf.ch/play/tv/kulturplatz/video/digitale-schule—segen-oder-fluch?id=0fc93633-e021-4bc9-8199-59d0698984da

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Digitales Lernen:” Man schickt überforderte Schulen in einen Papierkrieg mit besorgten Eltern” https://condorcet.ch/2020/07/digitales-lernen-man-schickt-ueberforderte-schulen-in-einen-papierkrieg-mit-besorgten-eltern/ https://condorcet.ch/2020/07/digitales-lernen-man-schickt-ueberforderte-schulen-in-einen-papierkrieg-mit-besorgten-eltern/#respond Fri, 31 Jul 2020 11:36:27 +0000 https://condorcet.ch/?p=5977

Am 28. Juli 2020 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung ein bemerkenswertes Interview mit dem Rechtsanwalt Peter Hense. Seine brisanten Aussagen dürften auch die Leserinnen und Leser des Condorcet-Blogs in der Schweiz interessieren. Denn die prekäre Nutzung digitaler Portale von US-Konzernen hat auch hier stattgefunden. Können Aufsätze von deutschen Schülern bei US-Sicherheitsbehörden landen? Der Jurist Peter Hense stellt dem Datenschutz an den Schulen ein miserables Zeugnis aus. Das Interview führte Christian Füller.

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Peter Hense, Rechtsanwalt aus Sachsen (D): Man scheut sich vor der konsequenten Anwendung geltenden Rechts.

Baden-Württemberg und Bayern haben den Schulen erlaubt, das Videokonferenzsystem Microsoft Teams zu nutzen – für den Fernunterricht in Zeiten von Corona. Das Problem: Microsoft müsste Kundendaten herausgeben, wenn US-Sicherheitsdienste es verlangen. Auch die von Schülern und Lehrern. Dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 16. Juli das “Privacy Shield” kippte, weil es davor nur vermeintlich schützt, hat also auch für Schulen Folgen. Der Leipziger Anwalt Peter Hense fordert ein Umdenken.

SZ: Herr Hense, hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs Auswirkungen auf Lernplattformen an deutschen Schulen?

Peter Hense: Ja, das hat ganz klar Folgen für den Umgang mit dem digitalen Leben unserer Kinder. Der EuGH hat mit dem Privacy Shield das letzte Feigenblatt niedergerissen, mit dem die Europäische Kommission einen schweren Mangel im transatlantischen Datenverkehr kaschieren wollte.

Es ist keine Fantasie, dass ein kritischer Aufsatz oder persönlicher Chat von Neuntklässlern auf der Lernplattform von US-Anbietern dem vollen Zugriff von US-Behörden unterliegt – mit allen Konsequenzen.

Müssen Eltern in Baden-Württemberg und Bayern Angst vor einer Datenüberwachung in den USA haben?

Es ist keine Fantasie, dass ein kritischer Aufsatz oder persönlicher Chat von Neuntklässlern auf der Lernplattform von US-Anbietern dem vollen Zugriff von US-Behörden unterliegt – mit allen Konsequenzen.

Warum geben die Landesdatenschutzbeauftragten über den Datenschutz bei Microsoft eigentlich keine klare Auskunft?

Weil sie dafür zu schwach sind. Die Datenschutzbehörden sind unterfinanziert, unterbesetzt, unterkompetent. Sie nehmen oft politische Rücksichten und verteilen ihren Sanktionsdruck mitunter unfair: inländische und kleine Unternehmen werden gebissen, sehr große Anbieter geschont.

Wer Datenschutz nicht will, mag ihn demokratisch abschaffen – aber nicht bürokratisch aushöhlen.

Sie wollen sagen, auf dem Gebiet der IT funktioniert der Rechtsstaat nicht?

Man scheut sich vor der konsequenten Anwendung geltenden Rechts. Wer Datenschutz nicht will, mag ihn demokratisch abschaffen – aber nicht bürokratisch aushöhlen.

Vieles ist absolut illegal

Wäre es denn so kompliziert, die Rechtslage im Fall Microsoft zu klären?

Trivial ist es nicht. Die Analyse einer Software wie Office365, wovon MS Teams ja Bestandteil ist, gestaltet sich technisch hochaufwendig. Sie erfordert Expertise von spezialisierten Technikern und Juristen. Und eine ernsthafte Prüfung hätte auch gravierende Auswirkungen. Sie könnte Teile der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung zum Erliegen bringen…

… weil die fast ausschließlich mit Microsoft-Produkten arbeitet?

Ja, wenn das Ergebnis “rechtswidrig” lautet, müsste man das abschalten und ersetzen. Das ist auf die Schnelle nicht machbar – wegen des Quasi-Monopols von Microsoft in den Amtsstuben.

Bayerns Kultusminister lässt eine Erklärung verteilen, die Eltern unterzeichnen können – um das Videokonferenzsystem “MS Teams” so in die Schulen zu bringen.

Die Einwilligungserklärung, die Michael Piazolo Eltern und Schülern in Bayern vorlegen lässt, ist eine Zumutung.

Sie nennen das Papier des Kultusministers eine Zumutung?

Dieses Dokument ist rechtlich ohne Wert. Ich frage mich, wie ein Minister so etwas empfehlen kann. Das Kultusministerium war nicht mal in der Lage, die klarsten Kriterien des Gesetzes zu Informationspflichten Schritt für Schritt zu erfüllen.

Man könnte E-Learning auch gesetzlich regeln und legalisieren. Stattdessen schickt man überforderte Schulen in einen Papierkrieg mit besorgten Eltern. Rechtswidrige Einwilligungserklärungen sind gleich doppelt problematisch.

Zum Beispiel?

Da müsste ein Verantwortlicher von Microsoft aufgeführt sein, außerdem fehlen die Hinweise auf Widerrufsmöglichkeit und zum Drittstaatentransfer. Lassen Sie es mich so sagen: Bei einer Einwilligungserklärung gilt, wenn sie zu 95 Prozent korrekt formuliert ist, dann ist sie immer noch zu 100 Prozent rechtswidrig. Wir aber reden hier von einem Fall, in dem nicht mal fünf Prozent korrekt sind.

Warum greift der Staat beim Datenschutz auf solche Hilfskonstrukte zurück?

Weil es an der behördlichen Kompetenz und Zusammenarbeit mangelt. Man könnte E-Learning auch gesetzlich regeln und legalisieren. Stattdessen schickt man überforderte Schulen in einen Papierkrieg mit besorgten Eltern. Rechtswidrige Einwilligungserklärungen sind gleich doppelt problematisch.

Warum?

Weil man niemanden faktisch dazu zwingen sollte, einer Handlung zuzustimmen, die gesetzeswidrig ist. Es gibt einen Kern an Rechten, der nicht verzichtbar ist, so wollen es das Bundesverfassungsgericht und nun wieder der EuGH. Für Schulen heißt das: Die Daten von Schülern gehören nicht in die Hände von Dienstleistern, deren Zuverlässigkeit nicht nachgewiesen ist. Dieses Problem heilt man nicht dadurch, dass man Eltern eine uninformierte Zustimmung abluchst.

Weil sie nur halbfreiwillig ist?

Ja, und weil sie ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann. Man muss sich vorstellen, was es für eine Schule bedeutet, wenn plötzlich in einer Klasse ein paar Eltern die Zustimmung zurücknehmen.

Das gemeinsame Lerninstrument – das Videokonferenzsystem – wäre nicht mehr für alle Schüler der Klasse nutzbar. Das untergräbt, nein zerstört die Idee der allgemeinen Schulpflicht, die ja alle zusammenbringen soll.

Dann wäre die Klasse keine Klasse mehr.

Das gemeinsame Lerninstrument – das Videokonferenzsystem – wäre nicht mehr für alle Schüler der Klasse nutzbar. Das untergräbt, nein zerstört die Idee der allgemeinen Schulpflicht, die ja alle zusammenbringen soll. Nur in wenigen Ausnahmefällen ist es gestattet, sich vom Unterricht zu absentieren. Bei der Digitalisierung erlaubt der Staat das plötzlich. Das sehen wir ja auch beim Corona-Homeschooling.

MS-Teams: Eine vollständige Datenschutzfolgeabschätzung wäre nötig.

Wie könnte man die Persönlichkeitsrechte der Schüler wahren?

Für von der Schule benutzte Systeme wie MS-Teams müsste eine vollständige Datenschutzfolgeabschätzung erfolgen. Die wäre schon deshalb zwingend nötig, weil es um große Datenmengen geht, darunter auch sensible Daten. Und: weil die Rechte von Kindern betroffen sind.

Was bedeutet es, darauf zu verzichten?

Dass es nicht geschieht ist ein schwerwiegender Rechtsverstoß. Es geht hier um elementare Rechte, nämlich die Frage, ob ich die Lernprofile, Chatverläufe und Gedanken einer ganzen Generation dem direkten Zugriff ausländischer Behörden aussetzen möchte. Kreidetafeln oder Sportgeräte genau auf Qualität zu prüfen, ist eine Selbstverständlichkeit. Nur bei Software sieht der Staat keinen Handlungsdruck – obwohl seine originäre Aufgabe ist, die Rechte von Kindern und Eltern zu wahren.

Was kritisieren Sie an Microsoft?

Es lässt sich nicht mal dazu herab, seine Datenschutzhinweise in gutem Deutsch bereitzustellen. Die Texte lesen sich, als hätte sich ein Siebtklässler an der Übersetzung versucht. Trotz dieser Nachlässigkeit glauben manche Bundesländer, Microsoft-Produkte wären der neue Goldstandard der Digitalisierung im Bildungswesen. Und viele Lehrer glauben das auch.

Wie reagieren die Aufsichtsbehörden?

Google, Amazon, Apple und Facebook können sich in Europa Dinge herausnehmen, für die sie in den USA längst unter staatliches Monitoring gestellt worden wären. In der EU ist oft die irische Datenschutzbehörde DPC zuständig, weil die großen IT-Konzerne dort aus steuerlichen Gründen ihren Sitz haben. Da die DPC jedes effektive Handeln gegen die weltgrößten Datensammler blockiert, hat sie den hübschen Namen “Untätigkeitsbehörde” erhalten. Zu Recht.

Warum passt sich Microsoft den europäischen Bedürfnissen nicht ungefragt an?

Microsoft bemüht sich zweifellos, seine Produkte zu verbessern. Aber vergessen wir nicht: IT-Konzerne stehen weltweit in einem harten Wettbewerb, und das europäische Recht hat sich ihnen gegenüber bislang als zahnlos erwiesen.

Das US-Recht ist stärker?

Ein Grundproblem für den schulischen Einsatz sind und bleiben US-Rechtakte wie Fisa oder der Cloud-Act. Microsoft ist danach verpflichtet, die Daten, gegebenenfalls auch die von Schülern, an die US-Regierung herauszugeben. Das ist, selbst wenn es womöglich nur wenige Fälle sind, nicht hinnehmbar.

In den Niederlanden hat die von Ihnen geforderte Abschätzung der Datenschutzfolgen stattgefunden. Wie ist das Resultat?

Dabei wurden bei Microsoft 365 eine Reihe von Datenabflüssen bemerkt, etwa über sogenannte Telemetrieabfragen, die Microsoft regelmäßig vornimmt.

Hat Microsoft diese Mängel abgestellt?

Manche ja. Aber selbst das war, wie so oft bei einem Konzern dieser Größenordnung, ein zähes Hin und Her. Einige Mängel wurden behoben, andere inzwischen entdeckt. Immerhin gibt es in den Niederlanden aus dieser Folgeabschätzung heraus konkrete Ratschläge, wie der Nutzer Office 365 einstellen sollte, damit möglichst keine Schülerdaten abfließen.

Solange in Deutschland die Datenschutzfragen für Microsoft-Produkte an Schulen ungeklärt sind: Sollten Baden-Württemberg und Bayern ihr vorläufiges Okay zurückziehen?

Sollten? Sie müssen. Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet. Ohne eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Datentransfer in die USA und andere Drittstaaten, denen ein angemessenes Schutzniveau fehlt, sind diese Produkte nicht genehmigungsfähig.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung (28.7.20)

 

 

 

The post Digitales Lernen:” Man schickt überforderte Schulen in einen Papierkrieg mit besorgten Eltern” first appeared on Condorcet.

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Algorithmen oder freier Wille? https://condorcet.ch/2020/01/algorithmen-oder-freier-wille/ https://condorcet.ch/2020/01/algorithmen-oder-freier-wille/#respond Fri, 17 Jan 2020 22:33:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=3647

Die Nutzung von Social Media führt uns in ein Dilemma. Felix Hoffmann beschreibt es.

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Felix Hoffmann, Sekundarlehrer, BL, Mitglied LVB, Starke Schule beider Basel

Datenschützer sorgen sich um die Datensicherheit an Schweizer Schulen. Anbieter wie Microsoft, Google oder Apple könnten im Rahmen der Digitalisierung Personendaten ohne Zustimmung der Lernenden verkaufen. Die Antwort der EDK auf diese Gefahr lautet Edulog. Abgesehen vom vereinfachten Zugang zu den Online-Diensten im Unterricht schützt Edulog “persönliche Daten, sichert die digitalen Zugänge und schafft Vertrauen für das Lernen im digitalen Kontext”. [1] Doch wie aussichtsreich sind solche Bemühungen beim Datenschutz?

Am stärksten untergraben werden sie von den Lernenden selbst. Die meisten unter ihnen benutzen Handys mit dem Google-Betriebssystem Android. Das Google-Geschäftsmodell basiert auf der Akquisition und dem Verkauf von Kundendaten zwecks Werbung. Diesem Geschäftszweck dienen sämtliche Dienstleistungen, also u.a. Googles Suchmaschine, Google Chrome, Google Maps, Google Earth, YouTube und sämtliche auf Google Play angebotenen Apps. Bezahlt werden diese Angebote also nicht mit Geld, sondern mit persönlichen Daten, dem sogenannten Rohstoff des 21. Jahrhunderts.

Ein Ausweichen auf Apple ist keine echte Alternative. Die Google-Suchmaschine ist nämlich als Standard-Einstellung auf iOS, dem Betriebssystem für das iPhone und iPad, und auf macOS, dem Betriebssystem für Laptop- und Desktop-Computer von Apple, vorinstalliert. [2] Dafür kassiert Apple jedes Jahr Milliardenbeträge. [3] Es braucht folglich einiges Geschick, die Voreinstellungen zu ändern. Gegen Apple wurde zudem Klage eingereicht wegen unrechtmässiger Weitergabe von Informationen über iTunes-Käufe von Nutzern sowie deren persönliche Daten. [4] Gibt es anderweitige Alternativen?

Kai Strittmatter: Vorsicht geboten

Auch China verfügt über hochentwickelte Computer- und Informationstechnologie. Dort sind u.a. die sechs der zehn weltweit grössten Handyhersteller ansässig. [5] Und auch bei der Entwicklung von 5G, dem neuen Mobilfunkstandard, spielen die Chinesen mit Huawei, ZTE und CATT ganz weit vorne mit. [6] Kai Strittmatter, ehemaliger SRF China-Korrespondent und Autor des preisgekrönten Werks, Die Neuerfindung der Diktatur, mahnt jedoch zur Vorsicht: “Wenn man sich das Land anschaut und wie es mit seinen Firmen umgeht, dann ist am Ende entscheidend, ob man der Kommunistischen Partei Chinas vertrauen kann. Jede chinesische Firma ist laut Gesetz dazu verpflichtet, alle ihre Daten und Geheimnisse im Interesse der nationalen Sicherheit der chinesischen Regierung und der Kommunistischen Partei auszuliefern. (…) Ich vertraue ihr nicht und ich würde allen demokratischen Regierungen dazu raten, mit diesem Vertrauen sparsam umzugehen.” [7]

Amerika und China stehen für unterschiedliche Ideologien, die eingesetzten Mittel zum eigenen Vorteil aber sind die gleichen.

Letzten Endes haben wir also die Wahl: Wir lassen uns von der kommunistischen Partei Chinas ausspionieren, u.a. auch über Alibaba, Lenovo, Haier, Vivo, Xiaomi, oder wir überlassen dies den amerikanischen Hightech- und Social Media-Konzernen. Amerika und China stehen für unterschiedliche Ideologien, die eingesetzten Mittel zum eigenen Vorteil aber sind die gleichen. Ergo liesse sich aus fatalistischer Perspektive argumentieren, der Staat könnte sich aus der Verantwortung nehmen, was den Datenschutz zugunsten der Schülerschaft betrifft. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Ein demokratisches Staatswesen hat die Grundrechte der Bürger zu schützen
Wir sind ein demokratisches Staatswesen, das im Wesentlichen die Aufgabe hat, dessen Bürger und deren Grundrechte zu schützen, also u.a. die Privatsphäre [8] und die persönliche Freiheit [9]. Letztere allerdings ist heutzutage gefährdet. Denn Freiheit, insbesondere Wahlfreiheit innerhalb eines demokratischen Rahmens, basiert auf der Verfügbarkeit möglichst ausgewogener Information. Diese jedoch wird untergraben durch die Filterblasen [10], denen wir uns u.a. auf den Social Media-Plattformen ausliefern. In der Folge verliert die vierte Gewalt, insbesondere die Printmedien, als Informationsdistributorin und Hüterin über die anderen drei Gewalten zunehmend ihre Leserschaft [11], wodurch ihr auch die Werbekunden abhandenkommen. [12] Die dadurch entstehenden Manipulationsmöglichkeiten mittels Datenauswertung auf Google, Facebook & Co. führen sodann unmittelbar zu Donald Trump [13] und Brexit. [14]

Wahl zwischen Sodom und Gomorrha

Ein Spannungsverhältnis

Trotz dieser Problematik steht der demokratische Staat, was den Datenschutz betrifft, also in der Verantwortung gegenüber den Schülerinnen und Schülern. Es geht ihn aber nichts an, was diese im Privaten tun, wem sie also freiwillig ihre persönlichen Daten überlassen unter Gefahr der Manipulation. Das sind persönliche Entscheide auf Grundlage individueller Freiheit innerhalb eines demokratischen Staatswesens. Der Rechtsstaat hingegen bzw. dessen Organisationen, wie die Volksschule, darf seine Bürger weder aktiv noch passiv über Dritte überwachen oder manipulieren. Ein Spannungsverhältnis besteht hier zwischen staatlicher Schutzpflicht und persönlicher Freiheit einerseits sowie zwischen staatlicher Schutzpflicht und diesbezüglich abnehmender staatlicher Fähigkeit andererseits.

Vor die Wahl gestellt zwischen Social Media bzw. Gratisapps einerseits und Schutz vor Datenklau andererseits würde sich die Mehrheit vermutlich für das Gratisspielzeug entscheiden.

Die Digitalisierung schreitet so rasch voran, dass ein demokratisch organisierter Staat gesetzgeberisch damit kaum Schritt halten kann. Dies ist mit ein Grund, warum Demokratien vermehrt unter Druck geraten. [15] Paradox dabei ist, dass Google, Facebook, Whatsapp & Co. die Demokratie genauso aushöhlen wie etwaige Versuche, diese Aushöhlung staatlicherseits zu unterbinden. Denn für dieses Unterfangen gäbe es voraussichtlich keine demokratische Legitimität: Vor die Wahl gestellt zwischen Social Media bzw. Gratisapps einerseits und Schutz vor Datenklau andererseits würde sich die Mehrheit vermutlich für das Gratisspielzeug entscheiden. Demokratie fusst letztlich auf freiem Willen, mit dem sie sich folglich aushebeln lässt. Die Algorithmen der Datenkraken kommen der menschlichen Natur anscheinend näher als die Idee des freien Willens. Haben die Neurologen somit Recht, die dessen Existenz mit weitreichenden Folgen in Frage stellen. [16]

 

[1] http://www.edk.ch/dyn/32636.php

[2] https://www.macwelt.de/a/apple-wir-verkaufen-keine-nutzer-daten-erst-ab-9-mrd-usd,3439674

[3] https://www.watson.ch/digital/analyse/445028003-datenschutz-als-killerfeature-und-was-apple-aendern-muss

[4] https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-05-24/apple-sued-for-selling-customers-itunes-information

[5] https://androidmag.de/news/branchen-news/die-10-groessten-smartphone-hersteller/

[6] https://www.produktion.de/wirtschaft/diese-10-unternehmen-haben-bei-5g-die-nase-vorn-101.html

[7] https://www.srf.ch/news/international/chinas-machtanspruch-xi-jingping-erfindet-die-diktatur-digital

[8] Schweizerische Bundesverfassung, Artikel 13, Absatz 2: “Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.” https://www.bv-art.ch/art-13-schutz-der-privatsphare.html

[9] https://www.bv-art.ch/art-10-recht-auf-leben-und-auf-personliche-freiheit.html

[10] Filterblasen entstehen, “weil Webseiten versuchen, algorithmisch vorauszusagen, welche Informationen der Benutzer auffinden möchte – dies basierend auf den verfügbaren Informationen über den Benutzer (beispielsweise Standort des Benutzers, Suchhistorie und Klickverhalten). Daraus resultiere eine Isolation gegenüber Informationen, die nicht dem Standpunkt des Benutzers entsprechen.” Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase

[11] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/printmedien-verlieren-ihre-leser

[12] https://mmm.verdi.de/medienwirtschaft/weniger-werbeeinnahmen-fuer-printmedien-43163

[13] https://www.arte.tv/de/videos/082806-000-A/fake-america-great-again/

[14] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/beeinflusste-cambridge-analytica-verbindung-den-brexit-entscheid

[15] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/strategiepapier-doping-fuer-diktaturen-auswaertiges-amt-warnt-vor-gefahren-durch-digitale-technologien/25195492.html

[16] https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/tid-13397/forschung-wieso-freier-wille-eine-illusion-ist_aid_370853.html

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