Biel - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 31 Jan 2024 08:15:29 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Biel - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Es braucht Lehrer und Lehrerinnen, die eine Leidenschaft fürs Lesen haben https://condorcet.ch/2024/01/es-braucht-lehrer-und-lehrerinnen-die-eine-leidenschaft-fuers-lesen-haben/ https://condorcet.ch/2024/01/es-braucht-lehrer-und-lehrerinnen-die-eine-leidenschaft-fuers-lesen-haben/#comments Tue, 30 Jan 2024 16:39:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=15832

Die Veröffentlichung der PISA-Resultate, die – wieder einmal – offengelegt hat, dass rund ein Viertel unserer Schülerinnen und Schüler nach der obligatorischen Schulzeit einfachste Texte nicht verstehen kann, also als Illetristen die Schule verlassen, hat eine Flut von Artikeln und Kommentaren ausgelöst. Gefragt sind dabei vor allem Einschätzungen von Bildungsforschern, Journalistinnen, PH-Dozenten oder Verbandsfunktionären. Höchste Zeit, einmal eine Person aus der Praxis zu Worte kommen zu lassen. Yasemin Dinekli, Redaktionsmitglied und Präsidentin des Condorcet-Trägervereins, hat sich mit der ehemaligen Schulleiterin aus Biel, Ruth Wiederkehr, unterhalten. Ruth Wiederkehr arbeitete bis letzten Sommer im Oberstufenzentrum Mett-Bözingen in Biel. In dieser Schule sitzen Real- und Sekundarschüler und Schülerinnen ausser in den Niveau-Fächern in derselben Klasse. Im Deutschunterricht bleiben sie zusammen.

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Yasemin Dinekli, Mittelschullehrerin, Präsidentin des Trägervereins des Condorcet-Blogs, stellte die Fragen.
Ruth Wiederkehr, Schulleiterin bis letzten Sommer 2023: Es ist ein Knochenjob.

Condorcet

Frau Wiederkehr, wie interpretieren Sie die letzten PISA-Resultate?

Ich denke, sie bilden die Realität ab. Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler ist nach 8 Schuljahren nicht in der Lage einen einfachen Text zu verstehen, darunter auch  Sekundarschüler oder Schülerinnen.

Und was ist Ihrer Meinung nach die Ursache?

Es gibt nicht die Ursache. Die Situation ist komplex. Bereits die erste Pisa Studie von 2001 zeigte, dass die Schulen in Sachen Leseverstehen etwas ändern müssen.

Und wie habt ihr als Schule darauf reagiert?

Wir begannen kurz nach der ersten Pisa-Studie mit der Unterstützung von zwei Lese-Spezialistinnen, die ich anlässlich einer Weiterbildung kennengelernt hatte, am Thema Leseverstehen zu arbeiten. Zu Beginn waren das einzelne Projekte, die wir mit der ganzen Schule durchführten. Dazu gehörten auch Diskussionsrunden über gelesene Jugendbücher innerhalb des Kollegiums. Die zwei Lese-Spezialistinnen führten mehrere Fortbildungen mit dem ganzen Kollegium durch, also nicht nur mit den Deutschlehrpersonen. Später stellten wir sie dann im Rahmen der Lektionen im Angebot der Schule für einige Lektionen fest an. Sie erarbeiteten unser Lese-Konzept, das wir im Laufe der Jahre immer weiterentwickelten.

Gibt es neben der Weiterbildung und der Erarbeitung eines Lesekonzeptes weitere wichtige Voraussetzungen, die eine Verbesserung der Lesekompetenzen der Jugendlichen fördern?

Zunächst einmal braucht es Deutschlehrpersonen, die Leser und Leserinnen sind, also eine Leidenschaft fürs Lesen haben, so dass sie ihre Begeisterung weitergeben können. Sie müssen auch bereit sein, immer wieder neue Jugendbücher zu lesen, so dass sie selber auf dem neusten Stand sind, was Kinder- und Jugendbücher angeht.

Und die hattet ihr?

Ich denke ja. Die gemeinsame Arbeit mit den zwei Lese-Spezialistinnen half sicher viel. Wir suchten immer wieder nach spannenden, interessanten Texten, Kurzgeschichten, Büchern, Gedichten, die die jungen Leute packen, mit denen sie sich identifizieren können. Dabei haben uns die zwei Lese-Spezialistinnen während vieler Jahre sehr unterstützt, indem sie uns informierten, uns auf gute und geeignete Bücher hinwiesen, für uns Projekte entwickelten.

Es muss den Lehrpersonen der Oberstufe bewusst sein, dass es in jeder Klasse solche Jugendlichen hat und dass sie im Laufe der ersten 6 Schuljahre gelernt haben, ihr Problem zu kaschieren.

Das leuchtet mir ein, ist aber meiner Meinung nach noch keine Garantie, dass am Ende der Schulzeit 25% der Schülerinnen und Schüler immer noch nicht richtig lesen und schreiben können.

Das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Vor 20 Jahren war es der Schulleitung und den Lehrpersonen noch nicht bewusst, dass wir in der 7. Klasse mehrere Schülerinnen und Schüler haben, die zu dieser Gruppe gehören. Oft entdeckten wir das Problem, wenn überhaupt, erst Mitte der 8. oder sogar erst in der 9. Klasse. Es muss den Lehrpersonen der Oberstufe bewusst sein, dass es in jeder Klasse solche Jugendlichen hat und dass sie im Laufe der ersten 6 Schuljahre gelernt haben, ihr Problem zu kaschieren. Wir begannen mit Hilfe von Lesescreenings, Antolin oder anderen offiziellen Tests, uns einen Überblick über die Lesefertigkeit, d.h. das Leseverstehen der Schülerinnen und Schüler zu verschaffen. Nur so kann gezielt mit den Leseschwachen gearbeitet werden.

Aber dann muss sich ja eine Lehrperson auf genau diese Jugendlichen konzentrieren, wie soll sie das mit einer Klasse von 20 und mehr schaffen?

Stimmt, das geht nicht. Um gezielt mit den Leseschwachen an ihren Defiziten arbeiten zu können, ist es unabdingbar, dass zwei Lehrpersonen während des Deutschunterrichts in der Klasse sind. Sie müssen beide die Schülerinnen und Schüler und ihre Stärken und Schwächen kennen.

Mit Vorteil befasst sich eine der Lehrpersonen regelmässig während zwei Wochenlektionen mit den leseschwachen SuS und arbeitet in kleinen Gruppen am Leseverstehen.

Also Teamteaching?

Ja, ein Teamteaching, in dem beide Lehrpersonen eingebunden sind, sich mit ihrer Arbeit identifizieren und sich zu gleichen Teilen einsetzen!

Mit Vorteil befasst sich eine der Lehrpersonen regelmässig während zwei Wochenlektionen mit den Leseschwachen und arbeitet in kleinen Gruppen am Leseverstehen. Die Lehrperson muss wissen, dass Vorlesen und Leseverstehen zwei unterschiedliche Kompetenzen sind. Diese Gruppe arbeitet mit Texten und Büchern, die ihren Lesefähigkeiten und ihrem Alter entsprechen. Der Weg geht von einfachen zu anspruchsvolleren Texten. Die andere Lehrperson kann in dieser Zeit z.B. mit dem Rest der Klasse an einer Klassenlektüre arbeiten. Sie muss ein für diese Klasse passendes Jugendbuch zur Hand haben.

Gibt es noch etwas, was Sie als wichtig erachten?

Es hilft sehr, wenn die Schülerinen und Schüler regelmässig, am besten wöchentlich, kurze Texte schreiben, Tagebucheinträge, Texte zu vorgegebenen Themen etc. Die Texte müssen sofort von den Lehrpersonen korrigiert und zurückgegeben werden. Auch das schafft eine einzelne Lehrperson nicht. Die Jugendlichen müssen ihre Texte korrigiert und überarbeitet ins Reine schreiben und zusammen mit dem neuen Text wiederum abgeben. Damit dies funktioniert, ist es von Vorteil, dass vor dem Abgabetermin eine Aufgaben- oder SOL-Lektion stattfindet, so dass die Lehrpersonen immer alle Texte zum vorgegebenen Termin erhalten. So wird nicht nur das Schreiben, Festhalten von eigenen Gedanken etc. verbessert, sondern nebenbei auch die Rechtschreibung.

Das ist ein enormer Aufwand

In der Tat, es ist Knochenarbeit, aber sie bringt etwas. Nichts ist so wirksam wie der Erfolg.

Das Lesekonzept muss sich über den gesamten Zyklus erstrecken und die Termine müssen für alle verbindlich sein.

Und noch eine Frage: Verfügt Ihre Schule über eine eigene Bibliothek?

Ja, und zwar über eine, die auf dem neusten Stand ist. Wir kaufen ungefähr dreimal pro Jahr neue Jugendbücher und es finden regelmässig Lektionen in der Bibliothek statt. Die Lernenden können selbständig Bücher auswählen, d.h., sie wissen, wie sie Bücher, die sie persönlich interessieren, in der Bibliothek finden: Cover, Klappentexte lesen, Rückseite lesen, Seite 99 lesen. Gefällt ein Buch nicht, wird es sofort zurückgebracht und ein neues ausgewählt. Die Lehrperson muss die Schülerinnen und Schüler beraten können. Ferienlektüren sind Pflicht. Klassen- oder Gruppengespräche zu Büchern und Texten finden immer wieder in der Bibliothek statt.

Wir kaufen ungefähr dreimal pro Jahr neue Jugendbücher und es finden regelmässig Lektionen in der Bibliothek statt.

Und da machen wirklich alle Deutschlehrpersonen engagiert mit?

Es braucht immer wieder Überzeugungsarbeit und jährlich mindestens eine gemeinsame Sitzung mit jedem Jahrgangsteam Deutsch, die die oder der Verantwortliche für das Lesekonzept leitet. Hier geht es auch um Anpassungen, Mitsprache, Rückmeldungen, Einbinden der neuen Lehrpersonen. Die Schulleitung muss voll hinter dem Konzept stehen und dafür sorgen, dass es weitergeführt wird, sonst funktioniert es nicht. Am besten ist es natürlich, wenn ein Schulleitungsmitglied selber Deutschlehrperson ist und auch noch unterrichtet. Und noch etwas Wichtiges: Das Lesekonzept muss sich über den gesamten Zyklus erstrecken und die Termine müssen für alle verbindlich sein.

Wie bei den Schülerinnen und Schülern ist es auch bei den Lehrpersonen, es sind nicht immer alle gleich gut drauf oder haben manchmal andere Prioritäten.

Gab oder gibt es keinen Widerstand aus dem Kollegium?

Nicht so direkt. Natürlich hat es Lehrpersonen, die nicht immer alles ganz genau so wie vorgesehen durchführen. Aber das gehört dazu, da muss man manchmal auch wegsehen können. Wie bei den Schülerinnen und Schülern ist es auch bei den Lehrpersonen, es sind nicht immer alle gleich gut drauf oder haben manchmal andere Prioritäten. Sie müssen aber schon wissen, was sie mindestens erfüllen müssen.

Gibt es weitere Kernpunkte in eurem Konzept?

Wir führen jedes Jahr mit der ganzen Schule einen Lesewettbewerb durch, den man als Klasse bestehen muss. In der 8. und in der 9. Klasse finden literarische Gespräche statt, die Jugendlichen führen ab der 7. Klasse ein Lesejournal, wir lesen ihnen auch Bücher vor etc. Ab und zu organisieren wir Dichterlesungen oder Literaturnächte oder es lasen zu bestimmten Zeitpunkten alle Lehrpersonen während ihres Unterrichts einen Abschnitt aus ihrem gegenwärtigen Lieblingsbuch vor, was auch zu interessanten Diskussionen und Gesprächen mit den Klassen führte. Das zeigte auch allen, dass die Lehrpersonen selber Lesende sind.

Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Ob wir mit unserem Lesekonzept Erfolg haben? Mindestens die Zahlen sagen ja. Aus den 63% schwachen oder unterdurchschnittlichen Leseleistungen wurden Ende der 9. Klasse noch 28,7%, jedoch nur noch 4.5% davon waren schwach.

Und? Habt ihr Erfolg? Überprüft ihr das?

Ende des 9. Schuljahres führen wir nochmals mit allen ein Lesescreening durch. Und da sieht man jeweils die Fortschritte. Ich erhielt von den Lehrpersonen die Resultate ihrer Klasse und hielt das Ganze in einer Tabelle fest. Da sieht man übrigens auch, dass sich in den letzten Jahren die Lesekompetenz der neuen Siebtklässler kontinuierlich verschlechtert hat, d.h. Schülerinnen und Schüler mit schwachen und unterdurchschnittlichen Leistungen nahmen von Jahr zu Jahr zu. So waren im Jahr 2020 63.5 % aller Schülerinnen und Schüler der neuen siebten Klassen schwach oder unterdurchschnittlich und drei Jahre später waren es bereits 72 %.

Ob wir mit unserem Lesekonzept Erfolg haben? Mindestens die Zahlen sagen ja. Aus den 63% schwachen oder unterdurchschnittlichen Leseleistungen wurden Ende der 9. Klasse noch 28,7%, jedoch nur noch 4.5% davon waren schwach.

Wie steht es übrigens mit der «verpönten» Grammatik und der Rechtschreibung? Wie sehen Sie deren Bedeutung?

Die Arbeit daran darf nicht vergessen werden. Solide grammatikalische Kenntnisse helfen den Schülerinnen und Schülern, vor allem den fremdsprachigen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Auch Diktate ergeben gegenwärtig wieder Sinn. Und noch etwas: Das vielkritisierte «Wörter Lernen» in den Fremdsprachen hilft, und zwar nicht nur den fremdsprachigen Kindern, den Wortschatz zu erweitern.

Was erachten Sie eher als nicht wirkungsvoll?

Texte schreiben hilft. Aber sie müssen sofort korrigiert und ins Reine geschrieben werden.

Ich beobachtete immer wieder, wie Lehrpersonen in ihren Klassen vorfabrizierte Lese-Verstehen-Tests durchführten. Ich denke, dass man damit vor allem das Vorwissen der Einzelnen überprüft, doch dass damit keine Verbesserung der Lesekompetenz stattfindet.

Gibt es noch etwas, was Sie an dieser Stelle sagen möchten?

Ja, dass es sehr wichtig ist, dass sich Lehrpersonen für ihre Schüler und Schülerinnen interessieren, bei den vorherigen Lehrpersonen nachfragen, den Problemen wirklich auf den Grund gehen. Je mehr Erfolg die Jugendlichen haben, desto mehr Freude entwickeln sie. Es ist zum Teil wirklich wie bei Knospen, die aufgehen. Einer von meinen ehemalig sehr schwachen Lesern hat letzthin das Anwalt Patent bestanden.

Die umfangreiche Beschreibung unseres Lesekonzepts für die Oberstufe finden Sie übrigens auf der Homepage des OSZ Mett-Bözingen in Biel (www.OSZMB.ch) unter der Rubrik «Leseförderung», dann «Lesekick». Hier finden Sie alle Unterlagen und können sich bei Fragen an die Schulleitung wenden.

Ich danke Ihnen für das Gespräch

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Die 8B und die Liebe zum Kebab https://condorcet.ch/2023/08/die-8b-und-die-liebe-zum-kebab/ https://condorcet.ch/2023/08/die-8b-und-die-liebe-zum-kebab/#comments Thu, 31 Aug 2023 10:40:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=14877

Die Junglehrerin Rebecca Schär – sie wurde auf diesem Blog bereits einmal als PH-Studentin interviewt (https://condorcet.ch/2020/12/interview-mit-einer-ph-studentin-habe-mir-den-beruf-nicht-so-cool-vorgestellt/) - startet zum Beginn der Berufswahlkunde mit ihrer Klasse ein mutiges und spektakuläres Projekt. Ihre 8.-Klässler übernahmen kurzerhand eine grössere Kebabbude im Bahnhofquartier von Biel. Ihr ehemaliger Mentor, Condorcet-Autor Alain Pichard, liess sich mit Freunden von den Kids bewirten.

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«Am Mittag war viel Betrieb, die Mittagsgruppe hat das aber gut hingekriegt», sagte die leicht nervöse Klassenlehrerin Rebecca Schär, welche den Schulunterricht für eine Woche in ein Kebab-Imbiss verlagerte. Sie wohnt gerade um die Ecke. In ihrer Wohnung sitzen derzeit vier Schülerinnen – es handelt sich um die Bürogruppe – und kalkulieren die Einnahmen, berechnen Bestellungen und machen natürlich eifrig Werbung für ihr Projekt. Rebecca Schär ist eine Art Stammkundin dieses Restaurants. Die Vegetarierin schätzt die Qualität des berühmten Haloumi-Dürüms und der Falafels sowie die Freundlichkeit des Besitzers. Die aktive Eishockey-Spielerin kommt des Öfteren spät nach dem Training nach Hause und da sei ein kleiner Imbiss Abstecher im «City-Food» ab und zu im Programm. Doch wie kam sie auf die Idee, diesen Laden mit ihren Schülerinnen und Schülern zu übernehmen?  «Im OSZ-Orpund, (ihre Schule) haben die Schülerinnen und Schüler bereits einmal vor Corona das Hostel «Lago Lodge» für eine ganze Woche übernommen mit grossem Lerneffekt und viel Freude. Da sagte ich mir, dass wir das doch auch machen könnten!»

Alain Pichard: Die Schüler haben etwas gelernt
Rebecca Schär, Klassenlehrerin: Am Schluss dieser Woche bin ich ein Kebab.

Rebecca Schär fragte zuerst den Besitzer, Huseyn Sar, ob dieser sich vorstellen könnte, seinen Betrieb einer 8. Klasse für eine Woche zu übergeben. Huseyn Sar, kurdischer Türke, war von Anfang an begeistert und sagte zu. Danach galt es die Einwilligung der Schulleitung einzuholen, sowie das Klassenteam um Unterstützung zu bitten. Die Schulleitung war ohne Problem dabei. Und auch das Klassenteam half tatkräftig bei den Vorbereitungen mit. Die Werklehrerin betreute die Jugendlichen beim Bedrucken der T-Shirts mit Namen und Logo und eine weitere Lehrperson half beim Bauen der Holz-Schilder für den Eingangsbereich. Eine Mutter half, die leckeren Baclavas, welche die Schülerinnen den Gästen nach erfolgter Konsumation auftischen konnten, zu backen.

Viele Eltern sagten zu, dass sie mit ihren Freunden und Verwandten vorbeikommen würden. Huseyn Sar, der die Kids in einem Schnellkurs schulte, ist des Lobes voll: «Die Jungen haben schnell gelernt. Natürlich fehlt ihnen noch das Tempo und die Routine.  Aber die Dürüms werden sehr gut präpariert und eingepackt. Für mich ist das eine «win-win-Situation». Es kommen viele Gäste, die sonst nie das City-Food betreten würden. Und wer weiss, vielleicht kommen sie ja wieder.»

 

City Food befindet sich an zentraler Lage

Huseyin Sar, Besitzer des City Food: Ich arbeite gern mit diesen jungen Menschen.

Ein besonderer Umstand beschert Huseyn Sar noch weitere Kundschaft. Sein Restaurant befindet sich in der Nähe des Bahnhofs und vor der Bushaltestelle der Meinisberger-Linie. Genau dieser Bus bringt viele Ex-Schülerinnen und -Schüler – inzwischen Lehrlinge oder Gymnasiastinnen – nach Ende der Schule in ihre Gemeinden. Sie sehen ihre ehemaligen jüngeren Mitschülerinnen und kommen spontan in das Restaurant.

Die Schüler arbeiten in Schichten, die immer 4 Stunden dauern. Es gibt eine Servicegruppe, eine Kochgruppe, Medienarbeitende, eine Einkaufs- und Finanzabteilung und eine Putzequipe. «Das Putzen machen sie wirklich sehr gut», freut sich Huseyn Sar, «und es ist wirklich streng, denn mein Restaurant wird natürlich vom Lebensmittelinspektorat kontrolliert.»

Wie steht es mit dem Lohn, wollte ich wissen. Rebecca Schär: «Wir haben andere Ziele. Die Schüler erfahren konkret, was es heisst, in einem Restaurationsbetrieb zu arbeiten. Sie arbeiten als Team zusammen, werden gefordert und müssen auch unter Stress cool bleiben. Wir stellen ein kleines Klassenkässeli auf, da können die Besucher, wenn sie wollen und zufrieden sind, uns einen kleinen Zustupf geben. Ansonsten sind wir hier, um herauszufinden, wo unsere Stärken und Schwächen sind und was wir für Ansprüche an unseren künftigen Beruf haben».

Der Stress zu den Stosszeiten machte uns Mühe

Die Schülerinnen und Schüler haben sichtlich Spass an dieser Woche. Neel, der für den Service verantwortlich ist, bedient die Gäste wie ein Profi, aufmerksam, freundlich und immer fragend, ob man noch etwas möchte. Philippa entpuppt sich als wahrer Putzteufel. Levy und Mila kommen aus dem Büro mit den neusten Flyern. Es herrscht ein Kommen und Gehen. «Wenn die Leute am Mittag kommen, wird es streng»,

Philippa erwies sich als wahrer Putzteufel.

Elowan: Zu Hause putze ich nicht so gerne.

meint Elodie, welche an der Theke arbeitet und die Dürüms und Co. vorbereiten muss. Der Stress in den Rushhours sei denn auch die grösste Herausforderung, meint Tonja. Da gäbe es Momente, die ihr nicht gefallen, aber das sei ja wohl auch ein Teil des Projekts, fügte sie hinzu. Elouan hilft im Service und wäscht das Geschirr ab. Zu Hause tue er das nicht gerne, hier gefällt es ihm. Überhaupt hat er ein Auge für anstehende Aufgaben und hilft aus, wenn Not am Mann ist. Ahmed, der im Service arbeitet, ist offensichtlich für die gute Laune zuständig. Seine Fröhlichkeit weht durch alle Ecken des Restaurants. Elodie meint, dass die 4 Stunden gut seien. Am Mittag könnte sie ohne Weiteres länger arbeiten, am Abend sei sie froh, wenn sie nach Hause gehen könne.

Die Schulleiterin Nadine Streit liess es sich nicht nehmen mit ihrer Familie im City Food Mittag zu essen. Für einmal etwas ganz Neues, meinte sie verschmitzt. Sie gab die Bewilligung, ohne zu zögern. Einziger Wermutstropfen: das Tempo bei der Zubereitung der Waren. Während den Stosszeiten bildeten sich Schlangen, was einzelne Kunden dazu bewog, zu einem anderen Kebab-Imbiss zu gehen. «Ich habe am Mittag einfach nicht so viel Zeit», meinte eine Verkäuferin, welche sich jeweils am Mittag ein Sandwich holt. Aber schon am 3. Tag gelangen die Handgriffe geschickter, wurde die Zubereitung geübter, lief die Ausgabe flinker.

Am dritten Tag wurden die Handgriffe flinker.

Ich verlasse das Restaurant mit einem etwas wehmütigen Gefühl. Die Schülerinnen und Schüler der 8b werden am Schluss der Woche viel gelernt haben. Und Junglehrerinnen wie Rebecca Schär bestätigen mit ihren innovativen Ideen eine Weisheit des verstorbenen Buchautors Remo Largo: «Wo Schule schön ist, ist sie ein Geschenk an das Leben.»

Reportage des Lokalradios canal3

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Schulleitungen kontrollieren die Lehrkräfte, wer kontrolliert die Schulleitungen? https://condorcet.ch/2022/08/schulleitungen-kontrollieren-die-lehrkraefte-wer-kontrolliert-die-schulleitungen/ https://condorcet.ch/2022/08/schulleitungen-kontrollieren-die-lehrkraefte-wer-kontrolliert-die-schulleitungen/#comments Tue, 30 Aug 2022 09:26:05 +0000 https://condorcet.ch/?p=11274

Das Berufsbildungszentrum in Biel (Berufsschule) war seit anderthalb Jahren ein Ort wüster Auseinandersetzungen zwischen einer neugewählten Direktorin und dem ihr unterstellten Personal. Am 11. August beendete die Amtsleiterin, Frau Gisin, das Arbeitsverhältnis mit Frau Mertens, nachdem man monatelang alle Klagen, Warnungen und Fehlentscheidungen nicht hatte wahrnehmen wollen. Das zuständige Amt, dem eigentlich die Aufsicht über das Führungspersonal obliegt, möchte nicht zurück, sondern vorwärtsschauen. Das stösst auf Kritik. Unser Condorcet-Autor Alain Pichard hat den Fall bis in die tiefesten Abgründe studiert und verfügt über viel Insiderwissen. Er bezeichnet die Vorgänge als unglaublich und fordert mit den Lehrkräften dieser Schule eine Aufklärung über das Verhalten der Aufsichtsbehörde.

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Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Warum ist das Burnout mit nachträglicher grosszügiger Abfindung immer die Lösung?
Barbara Gisi, Amtsleiterin MBA: ” Wir haben die Anliegen ernst genommen.”

Am 11. August 2022 beendete die Amtsleiterin des MBA (Mittelschul- und Berufsbildungsamt), Frau Gisi,  vorläufig einen anderthalb Jahre schwelenden Konflikt zwischen der Direktorin des BBZ (Berufsbildungszentrum) und der Belegschaft. Nach der Entlassung von Frau Mertens mahnte die sichtlich angespannte Chefbeamtin, man wolle jetzt vorwärtsschauen. Nicht wenige der anwesenden Frauen und Männer sahen sich verdutzt an. Aus der Perplexität wurde schliesslich Ärger und bei nicht wenigen machte sich ein regelrechter Zorn breit. Hatte man nicht vor den Sommerferien runde Tische erzwungen, in denen sämtliche Verfehlungen der Direktorin auf den Tisch kamen? Hatte man nicht versprochen, die angefertigten Protokolle, welche das ganze Ausmass dieser Fehlbesetzung offenbarten, den Beteiligten zuzusenden? Amtsleiterin Gisi meinte: «Wir haben es zwar versprochen, aber jetzt verzichten wir darauf. Wir wollen vorwärtsschauen.»

Wurde vor anderthalb Jahren nicht eine Frau als Direktorin angestellt, die kurz zuvor nach einem halben Jahr Leitung der PH-Fribourg ihres Postens enthoben wurde und nach einem weiteren halben Jahr Burnout die Hochschule verliess? Egal, wir müssen vorwärtsschauen.

Haben die Aufsichtsbehörden nicht schon sehr früh Dutzende von Briefen, Beschwerden und Anklagen erhalten, welche die Amtsführung der Direktorin kritisierten? Und gab es nicht schon zu Beginn Kündigungen im Kader und bei den Lehrkräften? Und haben die Behörden nicht auf eine parlamentarische Anfrage mit dem Satz: «Die Personalfluktuation ist mit dem Führungswechsel leicht erhöht, wie es bei Führungswechseln oft der Fall ist», reagiert?  Schwamm drüber, wir müssen jetzt vorwärtsschauen.

Und wurde nicht ein ganzer ICT-Bereich unter horrenden Kosten in den Sand gesetzt? Ist natürlich unschön, aber wir müssen jetzt vorwärtsschauen.

Wurde nicht ein Treuhandbüro eingesetzt, um Personaldossiers zu bearbeiten, obwohl ein kompetenter Mann im BBZ das gemacht hätte, der aber vorzeitig von der Direktorin vergrault wurde? Und hat dieses Treuhandbüro nach einem halben Jahr nicht erst einen Bruchteil der Dossiers bearbeitet? Mag sein, aber jetzt muss man vorwärtsschauen.

Wurde nicht eine Retraite angesetzt mit dem Ziel der Teambildung, obwohl es sich offensichtlich um ein Führungsproblem handelte? Und wurde nicht ein ganzer ICT-Bereich unter horrenden Kosten in den Sand gesetzt? Ist natürlich unschön, aber wir müssen jetzt vorwärtsschauen

Reto Lindegger, als Troubleshooter in der Direktion, obwohl ja eigentlich eine Vizedirektorin da gewesen wäre.

Hat diese Direktorin nicht eine stellvertretende Direktorin eingesetzt, die weder über eine Lehrbefähigung noch über geeignete Papiere verfügte, so dass diese jetzt nach der Entlassung nicht einspringen kann? Und musste deshalb nicht mit der Person von Herrn Lindegger ein externer Troubleshooter eingesetzt werden? Schon möglich, aber jetzt müssen wir vorwärtsschauen.

Und wozu gibt es diese stattliche Anzahl von Schulinspektoren und Juristen, die sich dieses Amt leistet? Wieso werden hier ständig externe Stellen mit Abklärungen beauftragt, Mediationen angeordnet, Coaches rekrutiert, die an teuren Wochenenden in Hotels Teambildungen einüben, wo es ja um Führungsversagen geht?

Und als einzelne Lehrkräfte sich in ihrer Verzweiflung an die Öffentlichkeit wandten und die ersten Presseberichte erschienen, wurde diesen dann nicht ein Maulkorb verpasst, mit personellen Konsequenzen gedroht und von Amtsgeheimnisverletztungen fabuliert? Ja, schon, aber das sind halt Vorgänge, an die man sich halten muss, und jetzt müsse man halt vorwärtsschauen.

Die Amtsleiterin, Frau Gisi, sprach davon, dass man es gut hätte machen wollen und man könne nicht eine Person einfach entlassen. Man staunt. In Fribourg ging es ein halbes Jahr, bis man sich von Frau Mertens trennte, im Kanton Bern anderthalb Jahre. Aber egal, wir müssen vorwärtsschauen.

Für die gebeutelten Lehrkräfte ist der Fall klar. Hier soll das kolossale Versagen der Aufsichtsbehörden vertuscht werden. Wenn eine Behörde, die selbst stets Professionalität einfordert, sich derart unprofessionell verhält, muss man sich grundsätzliche Fragen stellen. Was ist eigentlich die Aufgabe einer Amtsleiterin, die immerhin ein Salär von über 170’000 Fr im Jahr erhält? Und wozu gibt es diese stattliche Anzahl von Schulinspektoren und Juristen, die sich dieses Amt leistet? Wieso werden hier ständig externe Stellen mit Abklärungen beauftragt, Mediationen angeordnet, Coaches rekrutiert, die an teuren Wochenenden in Hotels Teambildungen einüben, wo es ja um Führungsversagen geht? Und schliesslich darf sich der normale Arbeitnehmer durchaus fragen, warum in den oberen Chargen immer das Burnout mit anschliessend grosszügiger Abfindung den Konflikt beendet. Ist das nicht auch ein Affront gegenüber Menschen, die unverschuldet in schwierige Depressionen geraten? Der dänische Philosoph Kierkegaard meinte einmal: „Man muss das Leben vorwärts leben und rückwärts verstehen.“

Unter uns: Ich verstehe rückwärts gar nichts.

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Eine Bieler Erfolgsgeschichte – von kaum jemandem wahrgenommen https://condorcet.ch/2022/01/eine-bieler-erfolgsgeschichte-von-kaum-jemandem-wahrgenommen/ https://condorcet.ch/2022/01/eine-bieler-erfolgsgeschichte-von-kaum-jemandem-wahrgenommen/#comments Sat, 22 Jan 2022 15:28:50 +0000 https://condorcet.ch/?p=10381

Condorcet-Autor Alain Pichard stellt einen Ex-Schüler vor, der sich für eine Lehre entschieden hat und heute ein erfolgreicher Unternehmer ist. Seine Geschichte zeigt, dass der Königsweg in den Diskursen über Chancengerechtigkeit nicht immer das Gymnasium und die Universität sein müssen.

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Alain Pichard: Neben dem gymnasialen Weg noch viele Möglichkeiten, seine Lebensziele zu erreichen.
Oliver Muttscheller: 2006 machte er sich selbständig.

Oliver Muttscheller verliess die Schule, die damals noch Primarschule Sahligut hiess, im Jahre 1996 und machte eine Lehre als Metallbauschlosser. Er gehörte zum letzten Jahrgang, bevor das Berner Schulsystem auf das Modell 6/3 umgestellt wurde. Die älteren Semester werden sich wohl noch erinnern, dass die Schüler, welche es nicht in die Sekundarschule schafften, weiterhin in der Primaroberstufe unterrichtet wurden. Das waren damals rund 60 % aller Schüler.  Keine Frage – im heutigen 6/3 Modell wäre er sein Sekundarschüler gewesen, wie heute 70 % aller Schüler.

Nach der Lehre bei der Firma Hartmann, die es heute nicht mehr gibt, arbeitete er in verschiedenen kleineren Schlossereien, um sich den einen oder anderen speziellen Handwerkergriff anzueignen und seine Ausbildung zu komplettieren. 2006 machte er sich selbständig. Über mangelnde Aufträge konnte sich mein Ex-Schüler nicht beklagen. Die Auftragsbücher waren prall gefüllt und das kleine Atelier in Bözingen litt bald einmal unter Platznot. 2012 tat sich Oliver Mutscheller mit  seinem Jugendfreund und gelerntem Elektroniker Daniel Bickel zusammen. Sie beiden wurden zu einem Dreamteam. 2013 wurde die Metallbaufirma Mutscheller GmbH gegründet. Die Jungunternehmer suchten zunächst Bauland im Industriegebiet Bözingenmoos. Sie blitzten aber bei den Behörden ab, die sich vor allem für die grossen renommierten Betriebe der Uhrenwirtschaft interessierten.

So mieteten sie sich in einem Atelier von rund 200m2 hinter dem Hirschensaal ein. Die Firma war äusserst erfolgreich und stellte bald einmal die ersten Mitarbeiter ein. Die Platzprobleme aber blieben, an eine vernünftige Produktion war kaum noch zu denken.

Erwerb des Fabrikgebäudes nur mit Übernahme der Giesserei Benoit

Schliesslich meldete sich ein gewisser Herr Benoit bei den beiden. Er lud sie in seine Metallgiesserei ein, die in die Jahre gekommen war. Herr Benoit machte Muttscheller ein Angebot.  Er bot ihm das Gebäude zum Verkauf an, unter der Bedingung, dass die Firma Muttscheller auch die Giesserei mitsamt den 8 Angestellten übernähme. 2018 kam der Deal zustande und die Firma Benoit GmbH wurde von Muttscheller und seinem Geschäftspartner Bickel gegründet. Was jetzt folgte, war eine äusserst erstaunliche Erfolgsstory inmitten von Biel. Die Firma Mutscheller GmbH erwarb das riesige Gebäude am Ausgang der Mattenstrasse kurz vor Unterführung in die Mettstrasse. Die beiden Startupper sanierten mit dem Gewinn ihrer erfolgreichen Metallbaufirma das Gebäude und vermieteten die freien Lokalitäten an Kulturschaffende, einem Crossfit-Zentrum, zwei kleineren Schlossereien, dem Kinderzirkus, dem Loco-Club, einem Physioatelier und einem Kryptostartup. Den eben erst umgebauten obersten Stock haben jetzt vier Künstlerinnen und Künstler aus Zürich gemietet. In deren Metroole sind solche Räume zu diesen Preisen reines Wunschdenken. Die vier werden im Frühjahr nach Biel ziehen. Ein Gang durch das riesige Gebäude offenbart die unglaubliche Kreativtät, Vielfältigkeit und Schaffenskraft der Menschen, die hier arbeiten. Viele Kredite konnten mittlerweile zurückbezahlt werden. Und die Auftragsbücher bleiben prall gefüllt.

Oliver Muttscheller zeigt, dass es neben dem gymnasialen Weg noch viele Möglichkeiten gibt, seine Lebensziele zu erreichen und ein glückliches Leben zu führen.

Ein Fabrikgebäude voller Kreativität

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, nächstens einmal einen der neuen Aufzüge im Insel-Spital benutzen, werfen sie einen Blick auf die wunderbare Verschalung, made in Biel by Mutscheller Metallbau GmbH.

Mittlerweile ist der 42-jährige Familienvater Besitzer eines Einfamilienhauses in Orpund, bezahlt pünktlich seine Steuern und hat insgesamt 38 Angestellte.

Finden keine Lehrlinge!

In intellektuellen Kreisen wird oft über die Chancengleichheit bzw. unser ungerechtes Bildungssystem geplaudert. Der Königsweg in diesen Diskursen ist dabei immer das Gymnasium und die Universität. Oliver Muttscheller zeigt, dass es neben dem gymnasialen Weg noch viele Möglichkeiten gibt, seine Lebensziele zu erreichen und ein glückliches Leben zu führen. Was fehlt Muttscheller noch zu seinem Glück? «Lehrlinge. Wir finden keine Lehrlinge mehr», meint der Unternehmer, «wir haben einige Lehrstellen anzubieten, doch niemand will sie. Ein Metallbauer kann heute fast alles machen und überall arbeiten. Und auch die Löhne stimmen.»

Oliver Mutscheller wäre für mich ein Kandidat für den Bieler des Jahres, der jedes Jahr von der zweisprachigen Zeitung Biel-Bienne vergeben wird.

 

 

 

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Die Bieler Schulen: Kulturelle Unterschiede und gemeinsame Probleme https://condorcet.ch/2021/02/die-bieler-schulen-kulturelle-unterschiede-und-gemeinsame-probleme/ https://condorcet.ch/2021/02/die-bieler-schulen-kulturelle-unterschiede-und-gemeinsame-probleme/#comments Wed, 24 Feb 2021 02:13:05 +0000 https://condorcet.ch/?p=7812

34 Jahre lang unterrichtete Condorcet-Autor Alain Pichard (selber von Geburt an Waadtländer) in den Brennpunktschulen der Stadt Biel. Dabei unterrichtete er bisweilen in welschen Schulklassen und führte gemeinsame Projekte mit den Romands durch. In seinem Beitrag erklärt er unserer LeserInnenschaft die kulturellen Unterschiede dieser beiden Sprachkulturen im Schulbereich und benennt ein gemeinsames Problem.

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Alain Pichard. Lehrer Sekundarstufe 1, Orpund (BE): Die Lockerheit nicht falsch interpretieren

Die Stadt Biel hat bekannterweise französisch- und deutschsprachige Schulen. Seit gut 10 Jahren existiert noch im Zentrum Biels ein spezieller Schulzug, die sogenannte «Filière Bilingue». Als ich in den 80er Jahren auf die Bieler Schulen angesprochen wurde, herrschte bei vielen Leuten in der Schweiz die Idee vor, dass alle Schulen zweisprachig funktionieren würden. Meine Basler Freunde reagierten meistens sehr erstaunt, wenn ich ihnen erklärte, dass dies bei Weitem nicht der Fall sei, dass die Bieler Schulen sogar gerade aufgrund ihrer sprachlichen Orientierung stark getrennt werden – bis hin zu unterschiedlichen Ferienplänen, den freien Samstagen oder dem Schuljahresbeginn.

2020 besuchten rund 6019 Kinder bzw. 2769 französischsprachige und 3250 deutschsprachige Schülerinnen und Schüler unsere Schulen. Das ist fast eine «Fifty-fifty-Konstellation».

Die linke VPOD-LehrerInnengruppe war zweisprachig

Die französischsprachigen Schulen in Biel orientieren sich an der Westschweiz, die wiederum eine starke Beeinflussung durch das Nachbarland Frankreich erfährt. Der Autor dieser Zeilen unterrichtete selber ein Jahr lang in einer französischsprechenden Klasse. Weitere Erfahrungen mit der welschen Lehrerschaft sammelte ich, als wir in den späten 70er Jahren die VPOD-Lehrergruppe gründeten, eine linke Lehrergewerkschaft, die strikt zweisprachig war. Ich fühlte mich immer wohl unter den welschen Kolleginnen und Kollegen. Ich empfand sie im privaten Umgang tatsächlich lockerer, und gemeinsame Schulanlässe mit ihnen waren sehr belebend. Dennoch darf man diese äussere Lockerheit nicht mit der Mentalität, die an französischsprachigen Schulen herrscht, verwechseln.

Je suis leur prof, et puis fini!

Der Unterricht in den französischen Schulen, vor allem an der Unterstufe war immer resolut schulisch aufgebaut. Klar strukturierte Lektionen, viel Auswendiglernen und vor allem sehr viele Hausaufgaben prägten den Schulalltag der Schuleinsteiger. Während eines gemeinsamen Projekts mit einer 9. Klasse aus dem Waadtland lernte ich den Lehrer A. kennen. So sehr wir uns auch schätzten, so sehr gingen unsere Ansichten über die Führung einer Klasse auseinander. Als wir einmal über unsere Beziehung zu den Schülern sprachen, sagte er mir: «Je refuse d’avoir une relation avec mes élèves! Je suis leur prof. Et puis fini!»

Kein Interesse an solchen Reformen

Die in den Deutschschweizer Schulen abwechselnd in Mode gekommenen Reformen eines schülerzentrierten Unterrichts oder die Lesemethode «Lesen durch Schreiben» oder gar eine notenfreie Unterstufe schienen unsere welschen Kolleginnen und Kollegen nie richtig zu interessieren. Das war übrigens nicht nur zu ihrem Nachteil. Zudem sind die Romands sehr viel hierarchischer ausgerichtet als wir. «Je dois demander au directeur» war ein oft gehörter Satz, wenn wir unsere welschen Arbeitskollegen zu einem gemeinsamen Projekt überreden wollten.

Bei den Romands kommen mehr Schülerinnen und Schüler aus dem lateinischen Sprachraum

Die Integration stellte die Romands lange Zeit vor weniger grosse Probleme als ihre Deutschschweizer KollegInnen, da sie eher Kinder lateinischer Sprachfamilien integrieren mussten (Italiener, Portugiesen, Spanier). Das hat sich mittlerweile durch den Zuzug der Kinder aus Afrika, vor allem aus den maghrebinischen Staaten verändert. Trotzdem ist die Situation in den deutschsprachigen Schulen immer noch schwieriger, beträgt doch die Zahl der Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, vermutlich bereits über 50%.

Das duale Prinzip ist in den Deutschschweizer Schulen bei Weitem stärker verankert als in der Westschweiz, wo die Lehre eher als Angebot für die «Unterschicht» gilt. Im Gegensatz zum Schulkreis Orpund, wo über 60% der Schülerinnen und Schüler nach Ende der obligatorischen Schulzeit eine Lehre antreten, sind es in Biel lediglich um die 30%.

Man begann, diese unterschiedlichen Schulkulturen als Teil von Biel zu akzeptieren und erkannte sie als Bereicherung, die den Ésprit biennois ausmacht.

Glenda Gonzales, Schuldirektorin, parti socialiste, seit zwei Monaten im Amt

Die Bieler Schulpolitik wird übrigens über seit 36 Jahren von französischsprechenden Sozialdemokraten gesteuert. Gerade eben übernahm die welsche Glenda Gonzales die Nachfolge von Cédric Némitz. Seit einiger Zeit herrscht in der Schweiz eine Art «Vereinheitlichungswahn». So versuchte man auch in Biel die beiden Schulkulturen einander anzugleichen. Schweizweit fabulierten Bildungsexperten bereits von einem nationalen, sprachenübergreifenden einheitlichen Lehrplan. In Biel klappte das – glücklicherweise – nicht. Man begann, diese unterschiedlichen Schulkulturen als Teil von Biel zu akzeptieren und erkannte sie als Bereicherung, die den Ésprit biennois ausmacht. In Biel gibt es übrigens neuerdings drei Lehrpläne: den welschen, den Deutschschweizer und den der Filière Bilingue, eine Art «Mélange».

Illetrismus als gemeinsames Problem

Gemeinsam ist beiden Sprachgemeinschaften allerdings der skandalöse Prozentsatz von fast einem Fünftel der SchülerInnen, die unsere Schule als Illetristen verlassen, das heisst, dass sie kaum einen Text lesen oder schreiben können. Das sollte die neue Schuldirektorin Gonzales stärker beunruhigen als der schleppende Ausbau der Filière Bilingue.

 

 

 

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Zwei Städte mit Bildungsproblemen, zwei Wahlkämpfe ohne Bildungsthemen https://condorcet.ch/2020/09/zwei-staedte-mit-bildungsproblemen-zwei-wahlkaempfe-ohne-bildungsthemen/ https://condorcet.ch/2020/09/zwei-staedte-mit-bildungsproblemen-zwei-wahlkaempfe-ohne-bildungsthemen/#comments Fri, 25 Sep 2020 05:27:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=6466

Unser Condorcet-Autor Alain Pichard ist in Basel aufgewachsen und lebt seit über 40 Jahren in Biel. Condorcet-Autor Roland Stark, gebürtiger Appenzeller, wirkt seit Jahrzehnten in Basel. In beiden Städten finden derzeit Wahlen statt. In beiden Städten gibt es Bildungsprobleme und beide werden links regiert. Roland Stark und Alain Pichard wundern sich über das Schweigen der linken Parteien zu Bildungsthemen.

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Alain Pichard. Lehrer Sekundarstufe 1, Orpund (BE): In Basel aufgewachsen, seit über 40 Jahren in Biel wohnhaft.
Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Grossratspräsident, Heilpädagoge

Gewaltige Unterschiede

Auf den ersten Blick könnten die Unterschiede nicht frappanter sein. Im Nordwesten eine reiche Chemiemetropole, in der 200’000 Menschen leben, am Jurasüdfuss eine einst stolze und heute verarmte Uhrenstadt mit 55’000 Einwohnern. Die Stadt am Rhein budgetiert sogar dieses Jahr einen Überschuss von 140 Millionen Franken und weiss nicht, was sie mit dem Geld anfangen soll, die Stadt am Bielersee hat mittlerweile 800’000 Fr. Schulden und prognostiziert einen Steuereinbruch von 40 %.

Die Stadt-Basel ist zugleich ein Kanton, während die Stadt Biel eine Gemeinde des grossen Kantons Bern ist.

Die Stadt Basel gibt pro Schülerin und Schüler 20’000 Fr. aus (was zusammen mit dem Stadtkanton Genf einsame Spitze bedeutet), der Kanton Bern, dem die Stadt Biel angehört, bringt es gerade einmal auf 12’000 Fr.

Die Gemeinsamkeiten

Miserable Schulleistungen bei den ÜGK 2019.

Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, welche die beiden Städte verbinden. Beide werden seit Jahren von einer links-grünen Mehrheit regiert, beide haben sie viele Migrantenkinder einzuschulen und beide sind auf ihre Art Spitzenreiter.

Die Stadt Basel führt seit Jahren die Tabelle der schlechtesten Schulleistungen in allen Checks, Tests und Kontrollen an und die Stadt Biel hält seit Jahren den Spitzenplatz bei den Sozialstatistiken. 11% seiner Einwohner sind von der Fürsorge abhängig, jeder 5. Jugendliche bezieht Unterstützungsleistungen. Beide Städte haben einen markant hohen Anteil von Lernenden in der schwächsten Lesegruppe und diese werden nach neun Schuljahren unsere Schule vermutlich als Illetristen verlassen. In beiden Städten machen nur 30% nach der 9-jährigen Volksschule eine Lehre. In beiden Städten werden Eltern und Schüler mit der verkorksten Mehrsprachendidaktik à la Passepartout gequält und in beiden Städten loben die Bildungsdirektoren ihre Lehrpersonen in höchsten Tönen als die besten im Lande.

Biel: Seit Jahren an der Spitze

In beiden Städten traut man aber den Lehrkräften nicht besonders, vor allem, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wenden. In Biel versuchte man es mit einem Kommunikationskonzept (das allerdings inzwischen schubladisiert wurde), in Basel werden unbotmässige Lehrkräfte des Öfteren und unter peinlichem Schweigen der Lehrerorganisationen zitiert und zu demontieren versucht.

In beiden Städten finden derzeit Wahlen statt. In Biel kommenden Sonntag, in Basel im Oktober und in beiden Städten scheinen die oben erwähnten Bildungsprobleme keine Rolle zu spielen, vor allem nicht bei den Parteien des rot-grünen Spektrums. Obgleich in der Öffentlichkeit, vor allem von den betroffenen Eltern, schulische Probleme und bildungspolitische Anliegen häufig kontrovers diskutiert werden, spielen diese Themen im Basler Wahlkampf keine Rolle.

Mit den geleiteten Schulen entstand eine neue Korporalelite, welche den Auftrag hatte, quasi als Scharnier die reibungslose Umsetzung von Reformen zu garantieren. Firmen wie Price Water Cooper entwickelten sogenannte Change Management-Konzepte.

Bildung war einmal ein Kernanliegen der linken Parteien

Linke Lehrer schlossen sich den VPOD-Lehrergruppen an.

Angesichts der Historie überrascht dies. In den 70er Jahren waren Bildungsfragen en vogue. Die SP hatte mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit Chancengleichheit, Noten, Selektion und Demokratisierung des Unterrichts beschäftigten. Junge, linke Lehrkräfte organisierten sich nicht mehr in den altehrwürdigen Standesorganisationen, sondern zogen die aufmüpfigen neu gegründeten VPOD-Lehrergruppen oder die POCH-nahe Gewerkschaft Erziehung vor. Markante linke Persönlichkeiten prägten die Bildungsdebatte (Felix Mattmüller in Basel, Arthur Villard in Biel), Initiativen wurden gestartet, Schulsysteme durchlässiger gemacht.

Harmos veränderte fast alles

In den 90er Jahren veränderte sich die Stimmung markant. Sinnigerweise ging diese Entwicklung einher mit der massiven Ausweitung der Bildungsausgaben. Es wurden Fachstellen à gogo gegründet, die Lehrerbildung wurde universitär umgebaut, viele neue Lehrerkategorien entstanden (individuelle Förderung, Assistenzlehrer, DaZ-Lehrkräfte), vor allem aber entstanden in den kantonalen Erziehungsdirektionen neue Planungsstellen mit dem Auftrag, Konzepte für ein umfassendes Bildungsmonitoring zu entwickeln. Die OECD-Ideologie der Vergleichbarkeit und des Outputs schlich sich allmählich in den schulischen Alltag. PISA-Tests führten zu aberwitzigen Interpretationen und lösten eine Reformhektik aus, welche die Lehrkräfte vor Ort regelrecht durchrüttelten. Mit den geleiteten Schulen entstand eine neue Korporalelite, welche den Auftrag hatte, quasi als Scharnier die reibungslose Umsetzung von Reformen zu garantieren. Firmen wie Price Water Cooper entwickelten sogenannte Change Management-Konzepte. HarmoS schliesslich brach den einst wilden Reformeifer der linken Parteien vollends. Zahlreiche Lehrkräfte und linke Bildungswissenschaftler wechselten die Seiten, tauschten das harte Geschäft des Unterrichts mit Bürojobs in der Verwaltung. Es entstand die berüchtigte Allianz von Politik, Verwaltung und Wissenschaft, deren Ziele Kontrolle und Auftragssicherheit waren. Das einstmalige Kernthema Bildung und Erziehung verschwand innerhalb der SP fast vollständig von der Bildfläche.

Schweigen und Ersatzreligion

Katja Christ, GLP, eine Ausnahme.

So erstaunt es nicht, dass gerade in den linken Parteien bezüglich Bildung keine frischen Ideen mehr entstehen, um die real existierenden Probleme zu lösen. Irgendwie macht sich ein Fatalismus breit.

In der Stadt Basel kämpft neben den ehemaligen SP-Präsidenten Daniel Goepfert und Roland Stark einzig noch die grünliberale Katja Christ gegen diese Entwicklungen an und bot etwa dem damaligen Bildungsdirektor Christoph Eymann die Stirn im Kampf gegen das Lehrmittel Passepartout. Sie wurde mit der Wahl in den Nationalrat belohnt, ein Zeichen dafür, dass Bildungsthemen durchaus auf ein Interesse stossen. Denn wenn Eltern das Gefühl haben, dass ihre Kinder in der Schule nichts mehr lernen, werden sie nervös.

In Biel hat man derweil eine bildungspolitische Ersatzreligion gefunden. Alle Parteien setzen sich für den Bilinguismus ein. Man will, dass die Schüler der zweisprachigen Seelandmetropole auch zweisprachig unterrichtet werden. Das führt mitunter zu grotesken Überschneidungen in den Wahlprospekten.

Die Grüne Partei hat neben dem Bilinguismus überhaupt keine Bildungspositionen.

So lässt sich in den FDP- und SP-Traktaten unabhängig voneinander der Satz finden: «Bilinguismus ist die DNA der Stadt Biel».

Bilinguismus als Ideologie

Die Grüne Partei hat neben dem Bilinguismus überhaupt keine Bildungspositionen. Bei der GLP findet man immerhin noch der Satz: «Bildungsinvestitionen müssen direkt im Unterricht ankommen und nicht in neue Fachstellen investiert werden».

 

Lehrmittelfreiheit, Ausstieg aus dem Passepartout-Konzept, Investitionen in das Teamteaching, Rückfahren der Testmanie, Eindämmung der zahlreichen Beratungsstellen und Umschichtung der Geldmittel, Methodenfreiheit usw. Bildungsthemen gäbe es genug.

Der Sündenfall

So wurde in Biel unter einer linken Regierung sogar eine staatliche finanzierte Privatschule im Mittelstandquartier Beaumont eingerichtet, mit Zulassungsbeschränkung, während die Aussen- quartiere die gesamte Wucht der Migration zu schultern haben. Einen krasseren Verrat an den ureigenen Prinzipien linker Bildungspolitik kann man sich kaum mehr vorstellen.

Lehrmittelfreiheit, Ausstieg aus dem Passepartout-Konzept, Investitionen in das Teamteaching, Rückfahren der Testmanie, Eindämmung der zahlreichen Beratungsstellen und Umschichtung der Geldmittel, Methodenfreiheit usw. Bildungsthemen gäbe es genug.

Die Karawane der linken Parteien und ihrer Repräsentanten zieht in neue Gefilde. Klimapolitik, Kampf für das Velo, Verkehrspolitik, Baupolitik, Mieten, Energiepolitik sind die aktuellen «Schlachtfelder».

Basel: Dunkle Wolken trotz unermesslicher Geldquellen.

In der Stadt Basel mit ihren zurzeit unermesslichen Geldquellen kann dies noch einige Zeit gut gehen. Man rekrutiert seine Lehrlinge eben aus den Nachbarkantonen und stellt das Heer der unzureichend ausgebildeten Schulabgänger mit zahlreichen Integrationsschlaufen ruhig.

In Biel hingegen könnte sich diese Politik früher rächen. Dann nämlich, wenn man merkt, dass der Arbeitsmarkt, gute Leser und Mathematiker verlangt und als erste Fremdsprache Englisch als unabdingbar erachtet. Und das Geld für die Ruhigstellung der noch zu intergierenden jungen Menschen ist in Biel ohnehin kaum vorhanden.

In beiden Städten geht es aber um die Chancengerechtigkeit und den essentiell wichtigen Bildungserfolg vieler Kinder aus der unterprivilegierten Schicht, vor allem aus den Migrantenkreisen. Sie ständig zu den Sündenböcken einer verfehlten Bildungspolitik zu machen, ist keine Option. Diese Kinder sind willig, bildungshungrig und entwicklungsfähig. Man darf sie nicht mit billigen Pseudoparolen oder Sonntagspredigten abspeisen.

Alain Pichard und Roland Stark

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Wenn der Bilinguismus zum Selbstzweck wird https://condorcet.ch/2020/02/wenn-der-bilinguismus-zum-selbstzweck-wird/ https://condorcet.ch/2020/02/wenn-der-bilinguismus-zum-selbstzweck-wird/#respond Tue, 04 Feb 2020 10:44:20 +0000 https://condorcet.ch/?p=3781

Der Bilinguismus scheint zu einem Marketingartikel und einem Tummelfeld für Subventionsjäger zu verkommen. Das jedenfalls ist die Meinung unseres Condorcet-Autors Alain Pichard, der hier über seine Erfahrungen in Biel schreibt.

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Alain Pichard, Lehrer Sek1: Bilinguismus darf nicht zum Selbstzweck werden.

Ich bin in einem klassischen “Mehrsprachenhaushalt” aufgewachsen. Mit meinem Vater, einem Waadtländer, sprach ich französisch, mit meiner Mutter, einer Berlinerin, hochdeutsch, und wenn wir alle beisammen waren, unterhielten wir uns auf Englisch. In der Schule hat mir die heute so viel gepriesene Mehrsprachigkeit allerdings nicht viel genutzt. Ich hatte passable, aber nicht überragende Noten. Der Grund war natürlich einfach: Ich lernte nicht und verliess mich auf meine in der Familie erworbenen Kenntnisse (heute nennen wir das Sprachbad).

Charles Mottet: Sprache ist Kultur

1975 traf ich im Staatlichen Lehrerseminar in Biel auf den gefürchteten Charles Mottet, einen Französischlehrer alter Schule. Ich erinnere mich noch genau, wie er mir die Beurteilung des ersten schriftlichen Tests zurückgab. Es war eine 2! «Das, Pichard», raunzte er, «war nichts, gar nichts! Merken Sie sich, Sprache heisst nicht quatschen, Sprache ist viel mehr. Sprache ist eine Kultur, Sprache ist Analyse, Sprache ist Liebe!» Ich verinnerlichte seine Mahnung und begann zum ersten Mal in meinem Leben, Französisch richtig zu lernen, Vokabeln zu büffeln, Texte gründlich zu analysieren. Und mir eröffnete sich eine andere Welt, die Welt der Frankophilie!

«Wissen Sie», fragte mich Monsieur Mottet einmal in einem persönlichen Gespräch, «warum wir Bieler so gut Französisch sprechen?» Und er gab die Antwort gleich selbst: «Weil wir hier eine Minderheit sind. Wir grenzen uns ab und pflegen unsere Sprache!»

Leidenschaftlicher Französischlehrer, unbegabter Didaktiker

Charles Mottet war ein leidenschaftlicher Französischlehrer, aber ein schrecklich unbegabter Didaktiker. Wer seinem Ideal der Sprache nicht entsprach, den konnte er regelrecht zertrümmern.

Was mag sich wohl dieser Mann, der letztes Jahr im hohen Alter von 90 Jahren gestorben ist, gedacht haben, wenn er mit dem grassierenden Kult um den Bieler Bilinguismus konfrontiert wurde?

Die Filière Bilingue, eine staatlich finanzierte Privatschule für den Mittelstand. Bild: Bernerzeitung

Die Filière Bilingue, ein Marketingprojekt

Mit Bilinguismus kann man in Biel heute alles erreichen und alles rechtfertigen. Mittelmässige Bühnenproduktionen erhalten mit dem Markenzeichen «bilingue» zusätzliche Subventionen. In Biel wurde unter Leitung einer mehrheitlich linken Stadtregierung eine staatlich subventionierte Privatschule im Mittelstands-Quartier Beaumont eingerichtet: Die Filière Bilingue! Dass gleichzeitig in den Aussenquartieren die Realklassen mit bis zu 100% Kindern besetzt sind, die zu Hause weder deutsch noch französisch sprechen, kümmert den Mittelstand kaum.

Forum die Bilinguisme: eine Sprachpolizei?

Mit dem Büro für Zweisprachigkeit gibt es eine hübsche und gut alimentierte  Sprachpolizei, und neuerdings macht die wohl dämlichste Weisung die Runde, wonach Werbung in Biel nur noch zweisprachig erscheinen dürfe. Mit dem neuen

Passepartout: oberflächliche Mehrsprachendidaktik

Ein paar Ausdrücke in Englisch für den Sportplatz, in Französisch für die Küche, in Deutsch fürs Telefonieren. Sprachliche Kompetenzhäppchen als Bildungsziel, Fremdsprachenunterricht auf dem Niveau eines Reiseführers.

Lehrmittel Passepartout wird einer oberflächlichen Mehrsprachendidaktik gehuldigt, die verspricht: Nicht mehr lernen, keine Vokabeln büffeln, keine Grammatik, einfach rein ins Sprachbad. Das Gymnasium hat folgerichtig auch die schriftlichen Aufnahmeprüfungen im Fach Französisch abgeschafft und überprüft nur noch mündlich. Ein paar Ausdrücke in Englisch für den Sportplatz, in Französisch für die Küche, in Deutsch fürs Telefonieren. Sprachliche Kompetenzhäppchen als Bildungsziel, Fremdsprachenunterricht auf dem Niveau eines Reiseführers.

Auf der Strecke bleibt die Chancengerechtigkeit

Auf der Strecke bleiben die Chancengerechtigkeit, das gründliche Lernen einer der beiden «Mutter»sprachen, vielerorts ein kultureller Tiefgang, und mit dem Zweisprachenzwang für die Werbeindustrie eine gewisse Weltläufigkeit, die das multikulturelle Biel immer auszeichnete.  Die Ideologisierung eines ursprünglich sympathischen Anliegens droht uns direkt in die Provinzialität zu führen. Mein Vater übrigens, der ordentlich Deutsch sprach, sorgte dafür, dass ich in erster Linie die deutsche Muttersprache beherrschte. Er befahl mir schon früh, deutschsprachige Literatur zu lesen, und ich musste ihm regelmässig über das Gelesene rapportieren. Er war überzeugt, dass man in der Muttersprache sattelfest sein müsse, damit man auch andere Sprachen lernen könne.

Vor einiger Zeit besuchten meine Frau und ich ein rein französisches Kabarett im Nebia. Während der Vorstellung sahen wir uns entgeistert an. Während sich die französischsprachigen Besucher vor Lachen kugelten und die rasend schnell gesprochenen Pointen genossen, verstanden wir beide wohl nur die Hälfte des Gesagten. Das war selbst für mich eine Nummer zu gross. Und ich erinnerte mich an meinen ehemaligen Französischlehrer: «Sprache ist nicht quatschen, Sprache ist Kultur!»

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Endlich – wir sind digital! https://condorcet.ch/2019/09/endlich-wir-sind-digital/ https://condorcet.ch/2019/09/endlich-wir-sind-digital/#respond Sun, 15 Sep 2019 19:26:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=2213

Am Dienstag wird der vorzügliche Text von Condorcet-Autor Felix Hoffman (bereits erschienen in der Septemberausgabe des lvb-inform) zum Thema der Digitalisierung aufgeschaltet. Condorcet-Autor Alain Pichard hat ihn bereits gelesen, was ihn zu einer Kolumne inspiriert hat.

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Alain Pichard, Sekundarlehrer in Orpund, Mitglied der GLP, Mitherausgeber der Zeitschrift Einspruch, Mitinitiant der Aktion 550gege550.

Die Kinder unserer recht grossen Patchworkfamilie erlebten eine eigenartige Kindheit. Kein Handy, kaum mal ein Kinobesuch und bis 10 Jahre keinen Fernseher. Gerade mal der letzte unserer sechs Zöglinge hatte als Nachzügler das «Glück», mit einem Compi in Berührung zu kommen. Während Restaurantbesuchen zeichneten unsere Kinder mit Farbstiften in ihr Malheft und machten das «Henkerli-Spiel».

Wenn man der Rhetorik unserer Digitalisierungspropheten vertraut, dann müsste es sich bei unserem Familienumfeld um ein Katastrophengebiet gehandelt haben.

Digitalpakt in Deutschland

Glücklicherweise ist man jetzt daran, den heutigen Jugendlichen das traurige Schicksal unserer Kinder zu ersparen. Mit vielversprechenden Ergebnissen. Laut der grossangelegten internationalen Schülerbefragung «Health Behaviour in School-aged Children» (einsehbar auf «Sucht Schweiz») verbringen die 11- bis 15-Jährigen in der Schweiz heute im Schnitt unter der Woche 4,4 und am Wochenende 7,4 Stunden pro Tag vor dem Fernseher, Computer, Tablet oder Smartphone.»  Dabei handelt sich dabei ausschliesslich um die Zeit, die  ausserhalb der Schule vor dem Bildschirm verbracht wurde.

Keine Frage, dass hier auch die Schule unter Zugzwang gerät.  In Deutschland ist deshalb am 17. Mai 2019 der «Digitalpakt in Kraft getreten. An 40.000 öffentlichen Schulen bundesweit können nun Gelder aus dem Pakt abgerufen werden, um die Medienkonzepte umzusetzen, welche die Software-Industrie und deren Experten eigens für die Schule entwickelt haben.

… und in Biel

Und auch die BielerInnen haben am 19. Mai dieses Jahres einen 14.7 Mio-Kredit beschlossen, der es möglich macht, für die gut 6000 Schülerinnen und Schüler und ihre knapp 900 Lehrkräfte rund 4000 Endgeräte anzuschaffen. Ausserdem werden im Rahmen des Projekts DiAna alle Schulstandorte mit schnellem Internet ausgerüstet.  Damit erreicht die Stadt Biel zwar höchstens ein durchschnittliches Digitalisierungsniveau (andere Gemeinden sind da schon wesentlich weiter), aber es genügt, doch um eine gefährliche Lücke zu schliessen.

Ein vielversprechender Schüleralltag

Bild: Piero Masztalrez
Aus: Schlaue Bilder, Lappan

Die Digitalisierung des Unterrichts könnte nun folgenden atemberaubenden Tagesablauf nach sich ziehen, der Condorcet-Autor Felix Hoffmann in seinem Beitrag Digitalisierung skizzierte (Aufschaltung folgt am Dienstag):  «06.45: Der Handywecker läutet, erster Blick auf WhatsApp, Instagram oder Snapchat, eine erste Nachricht an den besten Freund; 07.20: Ankunft in der Schule, kurzer Austausch mit Kollegen der am Vortag auf YouTube neu entdeckten Clips; 07.30: Geometrie, Dreieckskonstruktionen am PC; 08.20: Französisch, einen digitalen Text lesen mit anschliessender Beantwortung von Fragen im Textverarbeitungsprogramm; 09.10: Deutschdoppelstunde, Aufsatz am Bildschirm; 11.05: Geschichtsprüfung online; 12.30: Mittagessen zuhause, der Fernseher läuft zur Unterhaltung im Hintergrund; Snapchat-, WhatsApp-, Instagram- News  werden ausgetauscht. 13.30: Englisch, Übungen zum Past Simple am Computer, YouTube-Clip als Hörverständnisübung; 14.15: Geographie, Filmvorführung zur Erdölförderung im Nahen Osten; 15.05: Musik  – Musik programmieren mit dem Musikprogramm «Garageband» 17.00: Wieder zu Hause: Treffen mit Kollegen, Call of Duty, Fortnite, Gamen. 19.00 Uhr Nachtessen. 19.30 Französischwörter lernen mit Quizlet, 19.45 – 22.00 Uhr: Netflix-Serie – Vampire Diaries, Riverdale, Walking Dead oder Ähnliches; 22.30: Nachrichtenaustausch am Handy.» [1]

Selbstredend wird die Digitalisierung auch dafür sorgen, dass die SchülerInnen endlich zukunftsweisende Berufe anstreben. Als der für meine Klasse zuständige Berufsberater die Kids letzte Woche fragte, wer von Ihnen einen handwerklichen Beruf erwäge, meldete sich niemand.

Schöne neue Zeiten!

 

[1] https://condorcet.ch/2019/09/die-gefahren-der-schulischen-digitalisierung-ein-plaedoyer-fuer-ein-umsichtiges-vorgehen/
https://www.lvb.ch/docs/magazin/2019-2020/01-September-2019/42_Gefahren-schulische-Digitalisierung-Plaedoyer-umsichtiges-Vorgehen_lvb-inform_1920-01.pdf

 

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