Beurteilung - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sun, 28 Apr 2024 10:44:59 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Beurteilung - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Repost: Sind Noten in der Schule notwendig? https://condorcet.ch/2024/04/repost-sind-noten-in-der-schule-notwendig/ https://condorcet.ch/2024/04/repost-sind-noten-in-der-schule-notwendig/#comments Fri, 26 Apr 2024 09:31:37 +0000 https://condorcet.ch/2024/04/sind-noten-in-der-schule-notwendig-copy/

Die Notendebatte scheint die Deutschschweiz zu bewegen. Nicht der grassierende Lehrkräftemangel, nicht die PISA-Leistungen, nicht die Probleme, die sich durch eine undurchdachte Inklusion ergeben, nein, offensichtlich scheinen die Schulnoten nun das fundamentale Problem unseres Bildungssystems darzustellen. In dieser erregten Debatte haben wir uns dazu entschlossen, einen älteren Artikel aus dem Jahr 2022 noch einmal zu veröffentlichen. Kein Geringener als der emer. Professor Juergen Oelkers legt in seinem Beitrag den aktuellen Forschungsstand dar und erklärt die Vor- und Nachteile der "Ziffernbeurteilung". Sein Fazit: Noten werden weiterhin eine zentrale Rolle spielen, können aber verbessert werden.

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Juergen Oelkers, em. Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich: Unter den Schülerinnen und Schülern sind vergleichend benotete Leistungsunterschiede meist gar nicht strittig.

Zeugnisse und Noten stehen in der Kritik und mehr noch, sie gelten als gefährlich und werden als überflüssig hingestellt. Sie werden sozusagen benotet, meistens mit folgenden Argumenten: Noten sind unpräzise, ihr Zustandekommen ist intransparent, sie wirken als eine Art Schicksal, sind vor allem ein Machtfaktor und sicher kein Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit.

Das „starre Ziffernotensystem” ist der Lieblingsfeind vieler Schulreformer. „Motivieren ohne Noten” war schon vor 25 Jahren ein immer wieder vorgebrachtes Stichwort der Schulkritik (Olechowski/Rieder 1990). Unterstellt wurde, dass die Schülerinnen und Schüler besser lernen, wenn sie nicht durch Noten geleitet werden und den eigenen Lernweg bestimmen können.

Motivieren mit Noten ist die vermutlich meist verbreitete Motivationspraxis in der Schulwirklichkeit, aber die wird als anrüchig hingestellt, da sie dem Ideal des „intrinsischen” Lernens widerspricht. Aber man lernt auch, wenn man motivationale Widerstände überwinden muss und man stelle sich vor, wohin man käme, wenn alles Lernen in der Schule von der Zustimmung intrinsischer Motivation abhängig wäre.

Noten als positive Anreize sind auch deswegen suspekt, weil sie eine Hierarchie voraussetzen. Nur wenige Schüler können Bestnoten erreichen und das, so die Kritik, fordert die anderen nicht etwa heraus, sondern schreckt sie ab und hindert sie am Lernen. Es soll, mit anderen Worten, keinen Wettbewerb geben und niemand soll mit anderen verglichen werden. Das bekanntlich schon Jean-​Jacques Rousseau 1762 in seinem Erziehungsroman Emile ou de l’éducation postuliert.

Schüler können damit umgehen.

Es ist danach immer wieder versucht worden, Alternativen zu der Notenskala zu entwickeln. Radikale Entwürfe gehen davon aus, dass nur die Lernfortschritte des einzelnen Schülers beschrieben werden können und sich ein Vergleich in der Lerngruppe verbietet, weil der ohnehin nicht objektiv sein kann und zudem die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden ignoriert.

Zudem zeigt die Forschung, dass die Urteile der Lehrpersonen im Blick auf ihre Klasse im Allgemeinen verlässlich sind (Weinert 2001).

Noten setzen die Klassennorm voraus und basieren so auf einem Vergleich der Leistungen mit anderen. Diese Beschreibung hat sich bewährt, sie ist ökonomisch und vergleichsweise leicht zu handhaben. Zudem zeigt die Forschung, dass die Urteile der Lehrpersonen im Blick auf ihre Klasse im Allgemeinen verlässlich sind (Weinert 2001). Die Kritik bemängelt allerdings die fehlenden Bezugsnormen (Fischer 2012, S. 50).

Ein Bewertung ist willkürlich, wenn sie die Aufgaben und Leistungen mit verschiedenen Massstäben interpretiert, einzelne Schüler gegenüber anderen bevorzugt, ohne Kriterien erfolgt oder unfaire Massstäbe anwendet, also mehr oder anderes erwartet, als gelernt werden konnte.

Aber ist die gestufte und vergleichende Beurteilung ungerecht? Die Antwort lautet ja, wenn die Bewertungen willkürlich erfolgen würden. Ein Bewertung ist willkürlich, wenn sie die Aufgaben und Leistungen mit verschiedenen Massstäben interpretiert, einzelne Schüler gegenüber anderen bevorzugt, ohne Kriterien erfolgt oder unfaire Massstäbe anwendet, also mehr oder anderes erwartet, als gelernt werden konnte.

Der Grundsatz ist, dass nur das geprüft werden darf, was unterrichtet worden ist und so gelernt werden konnte. Wenn dieser Grundsatz verletzt wird, ist das ungerecht. Wenn ein Schüler schlecht beurteilt wird oder nicht die Note erreicht, die er erreichen wollte, ist das nicht ungerecht, sofern die Kriterien der Benotung klar waren und keine Bevorzugung erkennbar ist.

Dieses Verfahren ist leicht handhabbar und nicht so schlecht, wie die Kritik häufig annimmt.

Noten erfassen Leistungen im Blick auf bestimmte Aufgabenstellungen, die von Lehrkräften im Blick auf eine bestimmte Gruppe bewertet werden. Endnoten nach einem bestimmten Unterrichtsabschnitt, meistens am Ende eines Schulhalbjahres, werden gebildet, indem verschiedene Einzelnoten addiert und ein (gewichteter) Durchschnitt errechnet wird.

Motivieren mit Noten ist die vermutlich meist verbreitete Motivationspraxis in der Schulwirklichkeit, aber die wird als anrüchig hingestellt.

Dieses Verfahren ist leicht handhabbar und nicht so schlecht, wie die Kritik häufig annimmt. Die Lehrpersonen stellen Aufgaben und bewerten Leistungen aufgrund langjähriger Erfahrungen und handeln vermutlich in den wenigsten Fällen wirklich „willkürlich” in dem genannten Sinne. Insofern muss man fragen, wieso sich die Notenkritik so hartnäckig immer wieder bemerkbar zu machen versteht. Wenn Medien die bessere Schule propagieren, dann sind die immer notenfrei. Freilich, oft sind diese Alternativen kleine Privatschulen und nie Gymnasien.

Vermeidet man die Karikaturen, dann lässt sich im Blick auf die schulische Notenpraxis festhalten: Schulnoten bewerten Leistungen und können nur begrenzt eine Aussage darüber machen, was die tatsächlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sind. Vieles, was für das Zustandekommen der Leistung mitverantwortlich ist, wird mit einer Ziffernote auch gar nicht erfasst, etwa die allgemeine Leistungsfähigkeit, schulisches Engagement, Vor- und Nachteile der sozialen Herkunft oder das Interesse für bestimmte Unterrichtsfächer.

Niemand stört sich daran, dass Fussballprofis jede Woche Noten erhalten, Filmkritiker vergeben Noten ebenso wie Restaurantkritiker, ein Hotel ohne Noten würde man kaum buchen. Screenshot aus der BAZ.

Aber jede Bewertung hat Grenzen und keine umfasst alles. Noten haben den Vorteil, dass sie einfach sind, leicht zu kommunizieren und keinen übermässigen Aufwand verlangen. Sie passen ins Arbeitsfeld der Schule, gelten als bewährt und werden als Beschreibungsform auch ausserhalb der Schule breit angewendet. Niemand stört sich daran, dass Fussballprofis jede Woche Noten erhalten, Filmkritiker vergeben Noten ebenso wie Restaurantkritiker, ein Hotel ohne Noten würde man kaum buchen und saldo könnte ohne Noten den Betrieb einstellen.

Unter den Schülerinnen und Schülern sind vergleichend benotete Leistungsunterschiede meist gar nicht strittig, zumal sie ja wissen, wie die Leistungen zustande kommen.

Unter den Schülerinnen und Schülern sind vergleichend benotete Leistungsunterschiede meist gar nicht strittig, zumal sie ja wissen, wie die Leistungen zustande kommen. Sie wissen auch, dass die Anstrengungen je nach Lage verschieden sind, zwischen Jungen und Mädchen Unterschiede bestehen und nicht erreichte Leistungen durchaus hätten erreicht werden können, wenn die Anstrengung grösser gewesen wäre. Die Zuschreibung „Streber” ist leicht einmal ein Indikator für eigenen Minimalismus.

Inzwischen liegen zahlreiche empirische Studien vor, die die gute prognostische Validität der Schulnoten für den späteren Studienerfolg belegen. Die Durchschnittsnote im Maturitätszeugnis gilt als der valideste Einzelprädiktor für den Erfolg im anschliessenden Studium.

Noch etwas ist auffällig: Die Notenkritik richtet sich primär auf das Zustandekommen der Noten und die Beschreibung in Form von Ziffern. Wenig gefragt ist der prognostische Wert von Schulnoten. Inzwischen liegen zahlreiche empirische Studien vor, die die gute prognostische Validität der Schulnoten für den späteren Studienerfolg belegen. Die Durchschnittsnote im Maturitätszeugnis gilt als der valideste Einzelprädiktor für den Erfolg im anschliessenden Studium. Die Notenkritik übersieht gerne diesen Zusammenhang.

In einer deutschen Metastudie aus dem Jahre 2007wird die Validität der Schulnoten zur Vorhersage des Studienerfolgs nochmals detailliert beschrieben (Trapmann-​Hell/Weigand/Schuler 2007). Dabei wirkt sich gerade die Breite des Notensystems positiv aus. Je höher der Durchschnitt in den Fachnoten liegt, desto besser kann der Studienerfolg vorhergesagt werden

Eine der zentralen Begründungen für die Notenkritik bezieht sich auf die Folgen von schlechten Bewertungen, die blockierte Motivation und Schulunlust nach sich ziehen würden. Gute Noten werden akzeptiert, schlechte lösen Krisen aus. Das Prinzip der vergleichenden Graduierung in der Beschreibung des Leistungsverhaltens setzt wie gesagt voraus, dass nicht jeder gute Noten erhält und man so einen Diskriminierungseffekt auffangen muss, wenn man auf ein Ziffernotensystem setzt.

Die Anstrengungsbereitschaft verteilt sich nicht einfach nur mit dem Interesse, wie oft angenommen wird, sondern reagiert auch auf Notlagen, etwa auf die Folgen der Nichterreichung von Lernzielen oder die drohenden Selektionen an den Schnittstellen. Probleme wie diese werden in der didaktischen Literatur gemieden oder normativ bestritten, obwohl sie nicht verschwinden werden und das Lernen massiv beeinflussen.

Eine jüngere Studie über den Zusammenhang von Schulangst, Schulunlust, Anstrengungsvermeidung und Schulnoten in den Fächern Mathematik und Deutsch sieht zwischen diesen Konzepten signifikante geringe bis mittlere Interkorrelationen. Am stärksten hängen Prüfungsangst und die schulbezogene Anstrengungsvermeidung mit den Schulnoten zusammen (Weber/Petermann 2016, S. 562). Das ist eigentlich trivial: Wer Angst vor Prüfungen hat, vermeidet Anstrengungen, weil die Vorstellung vorherrscht, die Prüfung sei ohnehin nicht zu bestehen. Anderseits minimiert die Anstrengungsvermeidung die Chancen des Bestehens, wenn die Prüfung nicht vermieden werden kann.

Schülerinnen und Schüler lernen oft subversiv.

Die Schülerinnen und Schüler lernen auch subversiv, nämlich wie die Anforderungen des Unterrichts umgangen werden können, oder strategisch, nämlich wie sich mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Ertrag erreichen lässt. Sie kalkulieren im Blick auf die Ziele den notwendigen Ressourceneinsatz und gehen keineswegs immer „intrinsisch motiviert” vor, schon weil kaum eine Schülerin und kaum ein Schüler sich für das gesamte Angebot der Schule gleich interessiert. Die Schüler machen immer einen Unterschied, was sie gerne lernen und was nicht.

Die Anstrengungsbereitschaft verteilt sich nicht einfach nur mit dem Interesse, wie oft angenommen wird, sondern reagiert auch auf Notlagen, etwa auf die Folgen der Nichterreichung von Lernzielen oder die drohenden Selektionen an den Schnittstellen. Probleme wie diese werden in der didaktischen Literatur gemieden oder normativ bestritten, obwohl sie nicht verschwinden werden und das Lernen massiv beeinflussen. Auch im Falle der Lernstrategien überwiegen die Modellannahmen, die unabhängig vom tatsächlichen Erfahrungsraum „Schule” gedacht werden.

Jahrzehntelange Erfahrungen mit Lernberichten und Ähnlichem zeigen die Steigerung der Komplexität und damit einhergehend der drohenden Unverständlichkeit (Bos et al. 2010). Noten müssen klar und verständlich sein, die Abstände im Leistungsverhalten wiedergeben und hohe und tiefe Grade kennen. An dieser Anforderung sind die Alternativen zu messen und so lange keine besseren Alternativen zum Ziffernsystem vorliegen, wird dieses auch weiterhin die Praxis bestimmen. Umgekehrt gesagt, Noten sind überflüssig, wenn sie keine Abstände erfassen.

Trotz einer Vielzahl von scheinbaren oder tatsächlichen Alternativen ist die Notenskala das bei weitem gebräuchlichste Instrument der Leistungsbeurteilung.

In der Prüfungspraxis sind bis heute Noten zentral, also die Einschätzung der Leistungen von Schülerinnen und Schüler auf einer für alle Lehrkräfte verbindlichen Skala, die die Unterschiede von Fähigkeiten in Sachgebieten erfassen soll. Trotz einer Vielzahl von scheinbaren oder tatsächlichen Alternativen ist die Notenskala das bei weitem gebräuchlichste Instrument der Leistungsbeurteilung.

Für dieses Instrument spricht, dass Leistungen in Schulklassen tatsächlich immer mit Niveauunterschieden zustande kommen. Wer sie abbilden will, muss daher ein gestuftes Schema verwenden, wobei das Problem nur ist, welche Stufen zur Anwendung kommen und wie die tatsächlichen Leistungsunterschiede in der Beurteilung abgebildet werden. Die realistische Perspektive ist die Beibehaltung des Ziffernsystems unter der Voraussetzung, dass die Notengebung fair und transparent ist. Dafür müssen die einzelnen Schulen Kriterien festlegen, die für die Lehrerinnen und Lehrer verbindlich sind. Diese Kriterien beeinträchtigen nicht das Urteil der Lehrpersonen, sondern machen es für Schüler, Eltern und andere Lehrer transparent.

Die Notengebung kann verbessert werden

Bei der Bewertung von Leistungen in der Schule werden Noten und Zeugnisse als Formen des verbindlichen Feedbacks weiterhin eine zentrale Rolle spielen, die Instrumente sind bewährt und begrenzen den Aufwand. Aber die Notengebung kann verbessert werden. Zentrale Aufgaben sind neben der Klarheit der Kriterien die Präzisierung der Stufung, die zur Bewertung passende Aufgabenkultur und die schulischen Lernziele als Bezugsnorm. Die bessere Berücksichtigung des Lernwegs kann fünftens durch Portfolios erreicht werden. Insgesamt handelt es sich also um eine lösbare Aufgabe. 

* Prof. em. Dr. Jürgen Oelkers war u. a. seit 1999 bis zu seiner Emeritierung 2012 ordentlicher Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkte: Historische Bildungsforschung, vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts, Reformpädagogik im internationalen Vergleich, Analytische Erziehungsphilosophie, Inhaltsanalysen öffentlicher Bildung, Bildungspolitik.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zuger Schulinfo und ist hier mit freundlicher Genehmigung des Autors aufgeschaltet.

Literatur

Bos, W./Beutel, S.-I./ Berkemeyer,N./Schenk, S.: LUZI. Leistungsbeurteilung ohne Ziffernzeugnisse. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung. Dortmund: IFS 2010.
Fischer, Chr. (Hrsg.): Diagnose und Förderung statt Notengebung? Problemfelder schulischer Leistungsbeurteilung. Münster/New York/München/Berlin: Waxmann 2012.
Olechowski, R./Rieder, K. (Hrsg.): Motivieren ohne Noten. Wien u.a.: Verlag Jugend und Volk 1990. (= Schule, Wissenschaft und Politik, Band 3)
Trapmann, S./Hell, B./Weigand, S./Schuler, H.: Die Validität von Schulnoten zur Vorhersage des Studienerfolgs – Eine Metaanalyse. In: Zeitschrift für pädagogische Psychologie Band 2, Heft 1 (2007), S. 11-27.
Weber, H.M./Petermann, F.: Der Zusammenhang zwischen Schulangst, Schulunlust, Anstrengungsvermeidung und den Schulnoten in den Fächern Mathematik und Deutsch. In: Zeitschrift für Pädagogik Band 62, Heft 4 (Juli/August 2016), S. 551-570.
Weinert, F.E. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim/Basel: Beltz Verlag 2001.

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Die Kompetenzraster der Wunschprosa-Phantasten: Lernziel – Engel https://condorcet.ch/2024/03/die-kompetenzraster-der-wunschprosa-phantasten-lernziel-engel/ https://condorcet.ch/2024/03/die-kompetenzraster-der-wunschprosa-phantasten-lernziel-engel/#comments Tue, 05 Mar 2024 17:17:03 +0000 https://condorcet.ch/?p=16081

Die Notendebatte hat uns im Griff. Den Anfang machte das Eltern-Magazin "Fritz und Fränzi", dann kam die Vereinigung der Schulleiterinnen und Schulleiter, gefolgt von der Mercator-Stiftung und schliesslich noch die famose Rahel Tschopp, eine Mischung aus Mutter Theresa der Pädagogik und Trudi Gerster. Sie alle wollen die Noten ersetzen. Mit was? Condorcet-Autor Alain Pichard hat es herausgefunden.

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Schon während den Lehrplandiskussionen vor 10 Jahren machten die ersten Kompetenzraster die Runde. Den Anfang machte ein 7-seitiger Beobachtungsbogen,  mit dem Kindergartenkinder in St. Gallen vermessen werden sollten. Unvergessen das Beobachtungsmerkmal: “Kann Papier schneiden, ohne die Zunge herauszustrecken”. Das hatte meine Kinder zu einem Lachanfall veranlasst, weil  ihrem Vater dieses Behinderungsmerkmal gelegentlich immer noch unterlief.

Alain Pichard, Condorcet-Redaktion, Grossrat, Mitglied der Bildungskommission im Kanton Bern.

Dann folgte die Sache mit den überfachlichen Kompetenzen. Auf einer Skala von 1 – 10 sollten in Zeugnissen plötzlich Verhalten und Charakterfragen beurteilt werden, wie “kann sich situationsgemäss ausdrücken” oder “kann mit Vielfalt umgehen”. Ein Ansinnen, das aufgrund eines medialen Shitstorms in der Schublade der Freiwilligkeit verschwand.

Seit einigen Wochen hat nun eine Notendebatte eingesetzt. Losgelöst wurde sie vom Verband der Schulleiter und Schulleiterinnen der Schweiz und dankbar von einer Vielzahl von eifrigen Bildungsreformern aufgenommen, die unsere Schule von Grund auf erneuern wollen. Sie sprechen den Noten jegliche Signifikanz ab. Sie seien ungerecht, ungenau, diskriminierend, willkürlich, unpädagogisch, unwissenschaftlich, fremdenfeindlich. Gefragt sei eine umfassende und nicht eine diskriminierende, sondern eine fördernde Beurteilung. Auf die Frage, was denn die Alternative sei, kommt von den Notenverächtern selten etwas Klares. Tortenkleberli und Rüebli können es ja auch nicht richten. Von der Mercator-Stiftung, ein ganz eifriger Alternativbeurteiler, sind uns aber ausgeklügelte Beurteilungsunterlagen zugänglich gemacht worden [1]. Und damit wären wir wieder bei den guten alten Kompetenzrastern. Als Beispiel sei hier ein Bogen aufgeschaltet, der sich mit einem Lernziel zusammenfassen lässt: Wie werde ich ein Engel.

Jetzt aber “zeige ich Mitgfühl und Verständnis” und schliesse diesen Beitrag.

[1] https://www.zebis.ch/unterrichtsmaterial/kriterienraster-ueberfachliche-kompetenzen

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Zur inneren Logik mündlicher Prüfungen im Fach Mathematik: Teil 2 https://condorcet.ch/2022/09/zur-inneren-logik-muendlicher-pruefungen-im-fach-mathematik-teil-2/ https://condorcet.ch/2022/09/zur-inneren-logik-muendlicher-pruefungen-im-fach-mathematik-teil-2/#comments Tue, 13 Sep 2022 18:05:36 +0000 https://condorcet.ch/?p=11540

Sie lesen hier den 2. Teil des Beitrags des Basler Gymnasiallehrers Dr. Mario Gerwig, der sich mit dem Sinn und Unsinn der mündlichen Mathematikprüfung beschäftigt. Während es im 1. Teil um die Analyse der rechtlichen und pädagogischen Rahmenbedingungen der mündlichen Maturprüfung ging, schildert Mario Gerwig heute Beispiele aus der Praxis und zieht daraus seine Schlussfolgerungen.

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Dr. Mario Gerwig, Jg. 1984, ist seit 2011 Lehrer für Mathematik und Chemie am Gymnasium Leonhard Basel. Er ist Schulbuchautor und Länderberater ( Mathematik Neue Wege, Westermann Schweiz) sowie Experte für Maturprüfungen in Mathematik (Kantone BS und BL) und Diplomprüfungen in den Bildungs- und Sozialwissenschaften (PH Luzern). 2021 erschien das Buch Der Satz des Pythagoras in 365 Beweisen (Springer Spektrum, Berlin).

Drei Erfahrungsberichte aus der schweizerischen Praxis

„Acht Tennisbälle, drei Schubladen. Wie viele Verteilungen sind möglich?“

Die Maturprüfung beginnt um 8 Uhr, sie dauert 15 Minuten. Es werden zwei Themen im etwa gleichen zeitlichen Umfang geprüft. Der Schüler hat keine Vorbereitungszeit. Er betritt den Raum, wird von Prüfer und Experte knapp begrüsst, erblickt den ihm angedachten Platz, zieht seine Jacke aus und möchte sich setzen. Noch während ein Arm in der Jacke hängt, erhält er die erste, nur mündlich formulierte Aufgabenstellung: „Acht Tennisbälle werden auf drei Schubladen verteilt. Auf wie viele Arten geht das?“ Der Schüler, sichtlich erstaunt über den unvermittelten Beginn der Prüfung, befreit seinen Arm aus der Jacke und setzt sich, während er murmelnd nachdenkt: „Tennisbälle – wie viele? Und wie viele Schubladen?“ – „Acht und drei“, antwortet der Prüfer kurz und knapp, um nach nur einer Sekunde Wartezeit nachzuhaken: „In welchem Gebiet sind wir denn hier?“ – „Ich denke, es geht um Kombinatorik“, antwortet der Schüler, schafft es aber nicht, in der gegebenen Zeit von wenigen Sekunden die anfangs gestellte Frage zu beantworten.

Der Prüfling hat sich dem Fragenbombardement tapfer gestellt, aber konnte er auch zeigen, was er beherrscht?

So geht es weiter, 15 Minuten lang. Der Prüfer stellt eine Frage nach der nächsten, Zeit zum Nachdenken bleibt kaum – die Prüfungszeit sei schliesslich knapp und es solle doch so viel wie möglich abgeprüft werden, so die später vorgebrachte Begründung des Prüfers für die schnelle Abfolge der vielen Fragen. Für den Prüfling, der mit jeder Frage nervöser zu werden schien, gibt es am Ende eine knapp genügende Note. Er hat sich dem Fragenbombardement tapfer gestellt, aber konnte er auch zeigen, was er beherrschte?

Im Rückblick erscheint die Prüfung als eine gewaltige Stresssituation für alle: Der Prüfer formulierte, getrieben von der tickenden Uhr, eine Frage nach der anderen, in der Überzeugung, nur so das Wissen des Prüflings angemessen einschätzen und bewerten zu können. Der Prüfling versuchte, so gut es ging, auf die Flut an Fragen und Aufgaben zu reagieren. Zeit zum Nachdenken und Argumentieren blieb kaum. Er musste, so schnell es geht, reagieren und wurde ebenso schnell unterbrochen, wenn seine Antwort nicht genau dem entsprach, was vom Prüfer intendiert war. Schliesslich war die Situation auch für den Experten überaus anspruchsvoll: Er kannte die Fragen nicht, hörte sie im selben Moment wie der Prüfling, musste Frage und Antwort angemessen protokollieren und gleichzeitig einschätzen, inwieweit die gegebene, teils unfertige Antwort korrekt war. Das Tempo der gestellten Fragen und Aufgaben war indes so hoch, dass ein angemessenes Protokollieren nahezu ausgeschlossen war.

Das Urnenmodell in der Kombinatorik: Es gibt zahlreiche Stellen, an denen man falsch abbiegen kann.

Was ist in dieser Prüfung nun tatsächlich geprüft worden? Betrachten wir die Einstiegsfrage zunächst fachlich. Die Frage, auf wie viele Arten acht (nicht unterscheidbare) Tennisbälle auf drei (unterscheidbare) Schubladen verteilt werden können, zielt auf das Urnenmodell in der Kombinatorik. Bei diesem Modell handelt es sich um ein wirksames Instrument zur Lösung von Zählproblemen, die – wie in diesem Fall – durch Enumeration, d.h. durch Abzählen und Auflisten, nicht oder nur sehr aufwendig zu lösen sind. Die Grundidee ist, das jeweilige Problem in ein Modell zu übersetzen, bei welchem aus einem Gefäss (einer Urne), das n (unterscheidbare) Kugeln enthält, k Kugeln gezogen werden. Eine mögliche Übersetzung für den hier gegeben Fall wäre die folgende: Aus einer Urne mit drei unterscheidbaren, d.h. bspw. nummerierten Kugeln, welche den drei Schubladen entsprechen, wird achtmal eine Kugel gezogen. Nach jedem Zug wird die Nummer der Kugel notiert, bevor sie zurück in die Urne gelegt und ein weiteres Mal eine Kugel gezogen wird. So erhält man schliesslich eine achtstellige Zahl, etwa 11322312, welche einer möglichen Verteilung der Kugeln entspricht – in diesem Fall lägen in der ersten Schublade drei, in der zweiten ebenfalls drei und in der dritten Schublade zwei Tennisbälle, was einer möglichen Verteilung der Bälle entspricht. Von den vier möglichen Fällen, die das Urnenmodell umfasst, handelt es sich also um eine „Kombination mit Wiederholung“ („Kombination“, da die Reihenfolge der gezogenen Kugeln nicht relevant ist, „mit Wiederholung“, da eine Kugel mehrfach gezogen bzw. eine Schublade mehr als einen Ball aufnehmen kann). Mit der entsprechenden Berechnungsformel lässt sich nun ermitteln, dass insgesamt 45 solcher Verteilungen möglich sind.

Die im ersten Moment harmlos klingende Frage beinhaltet zahlreiche zu bewältigende Schwierigkeiten.

Diese Überlegungen hätte der Prüfling wohl so oder so ähnlich in der Prüfung verbalisieren sollen. Dazu braucht es Ruhe und Zeit. Zunächst muss erkannt werden, in welchem Teilgebiet der Mathematik man sich befindet (Kombinatorik). Dann müssen die für die Fragestellung relevanten Inhalte dieses Teilgebiets identifiziert werden (vier Fälle des Urnenmodells), schliesslich müssen die gegebenen Informationen analysiert werden, um den entsprechenden Fall auswählen (Kombination mit Wiederholung) und die Berechnung durchführen zu können (45 Verteilungen). Es gibt zahlreiche Stellen, an denen man falsch abbiegen kann. So ist bspw. eine entscheidende Information, dass nämlich die Bälle nicht, die Schubladen aber sehr wohl unterscheidbar sind, vom Prüfer gar nicht genannt worden – eine zusätzliche Schwierigkeit. Dann wäre es naheliegend, nicht die Schubladen, sondern die Bälle in die Urne zu legen und diese nacheinander zu ziehen. Erst wenn man das Urnenmodell für diesen Fall durchdenkt, erkennt man, dass auf diese Weise jedoch nicht entschieden werden kann, welcher Ball in welche Schublade gelegt werden soll. Der Fehler liegt also nicht auf der Hand, ihn zu erkennen braucht wiederum Zeit. Schliesslich muss für die Berechnung auch noch die entsprechende Berechnungsformel, die nicht ohne weiteres herzuleiten ist, angewendet werden. Da die vier Formeln des Urnenmodells recht ähnlich sind, besteht hier die Gefahr, diese im Prüfungsstress durcheinander zu bringen. Kurzum: Die im ersten Moment harmlos klingende Frage beinhaltet zahlreiche zu bewältigende Schwierigkeiten.

Die Frage ist als Einstieg in eine Prüfung, zu der es keinerlei Vorbereitungszeit gab, schlichtweg ungeeignet.

Es kann keine Ruhe einkehren, der hektische Einstig zerstört schon zu Beginn eine angemessene Prüfungsatmosphäre.

Unter welchen Rahmenbedingungen wäre es für einen Prüfling möglich, den oben skizzierten Gedankengang in einer mündlichen Prüfung zu entwickeln, und welche alternativen Einstiege in die Prüfung sind denkbar, wenn kombinatorisches Wissen geprüft werden soll? Zum ersten beginnt die Prüfung völlig unvermittelt. Die Prüfungssituation ist noch gar nicht hergestellt, der Prüfling richtet sich noch ein, sitzt noch nicht am Tisch, als die erste Frage gestellt wird. Ein solcher Beginn vermindert die Objektivität der Prüfung, was auch für die Tatsache gilt, dass ein angemessenes Erstellen des Prüfungsprotokolls bei einer so hohen Fragedichte kaum möglich ist. Es kann keine Ruhe einkehren, der hektische Einstig zerstört schon zu Beginn eine angemessene Prüfungsatmosphäre. „Eile verdirbt alles“ (Wagenschein 1976, S. 106). Zum zweiten ist die Einstiegshürde fachlich gesehen sehr hoch: Bei dem Fall „Kombinatorik mit Wiederholung“ handelt es sich erfahrungsgemäss um den schwierigsten der vier Fälle des Urnenmodells. Möglicherweise, weil die Herleitung der entsprechenden Berechnungsformel im Gegensatz zu den übrigen drei Formeln einen schwer nachvollziehbaren, nur hier anwendbaren Trick beinhaltet,[1] vielleicht, weil es zunächst nicht naheliegend zu sein scheint, Schubladen statt Tennisbälle aus der Urne zu ziehen. Kurzum: Die Frage ist als Einstieg in eine Prüfung, zu der es keinerlei Vorbereitungszeit gab, schlichtweg ungeeignet.

Ist keine Vorbereitungszeit vorhanden, muss die Prüfung mit einer möglichst kleinen Hürde beginnen.

Kann der Prüfling die Frage beantworten, zeugt das nicht zwangsläufig von einem hohen Kenntnisstand, schlimmer: Kann sie oder er sie nicht beantworten, kann keineswegs gefolgert werden, dass die Kenntnisse im Bereich der Kombinatorik mangelhaft sind. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist daher mindestens dieser Teil der Prüfung, möglicherweise sogar die Prüfung in toto nicht valide. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, im Laufe der Prüfung – nicht zu Beginn – zu einer Frage wie der genannten zu kommen. Die erste Möglichkeit besteht in der Einrichtung einer ausreichenden Vorbereitungszeit, in welcher der Prüfling den oben skizzierten Lösungsweg entwickeln und mit mehr Ruhe durchdenken kann. Ist keine Vorbereitungszeit vorhanden, muss die Prüfung mit einer möglichst kleinen Hürde beginnen, etwa: „Mit welcher Art von Problemen beschäftigt sich die Kombinatorik?“ – „Ein wichtiges Modell in der Kombinatorik ist das Urnenmodell. Erläutern Sie dessen Grundidee.“ Oder: „Wählen Sie einen Fall des Urnenmodells aus und erläutern Sie diesen an einem selbstgewählten Beispiel“. Von diesen Fragen ausgehend kann, anschliessend an die Antworten des Prüflings, ein Gespräch entwickelt werden, bei welchem auch die Frage nach den Tennisbällen und den Schubladen angesprochen werden könnte, bei dem aber vor allem das Gebiet der Kombinatorik so durchstreift wird, dass am Ende das Wissen des Prüflings (und nicht dessen Nicht-Wissen) sichtbar werden kann, was sowohl der Validität als auch der Fairness zuträglich wäre.

 

„Es hat zwei Aufgaben. Lesen Sie mal und fangen Sie dann einfach an.“

Geprüft wird eine Abschlussklasse der FMS (Fachmaturitätsschule, die Abschlussprüfungen finden am Ende der 10. Klasse statt, der Abschluss entspricht in Deutschland der Mittleren Reife). Das Prüfungsarrangement sieht vor, dass die Prüflinge zu Beginn einer Prüfung zwei voneinander unabhängige Aufgaben – bei mindestens einer Aufgabe handelt es sich um eine reine Rechenaufgabe – erhalten, die sie vorher nicht kannten und auf die sie spontan reagieren müssen, da es keine Vorbereitungszeit gibt. Als Hilfsmittel zur Verfügung stehen eine Formelsammlung und ein Taschenrechner. Die Themen, die geprüft werden, sind per Zufallsprinzip auf die Prüflinge verteilt. Es geht ums lineare Gleichungssystem, um Prozentrechnung, den Satz des Pythagoras, Proportionalität, Kreisberechnung, lineare Funktionen sowie einfache Exponentialfunktionen. Jede Prüfung beginnt mit der Aushändigung des Prüfungsblatts, welches beide Aufgaben enthält. Der Prüfer kommentiert dies stets mit demselben Satz: „Es hat zwei Aufgaben. Lesen Sie beide mal durch und fangen Sie dann einfach an.“

Der Prüfer kommentiert: „Bis jetzt höre ich nur die Vögel zwitschern.“

Es folgt Stille. Für jede Prüfung ist eine Dauer von 15 Minuten vorgesehen. Mindestens die ersten zwei Minuten werden jedoch vom Prüfling dazu benötigt, beide Aufgaben zu lesen, Text und etwaige Graphiken zu verstehen, die Thematik einzuordnen, Lösungsansätze zu entwickeln. Dieser Prozess nimmt selbstredend einige Zeit in Anspruch, was der etwas ungeduldige Prüfer bisweilen mit Sätzen wie diesem kommentiert: „Bis jetzt höre ich nur die Vögel zwitschern.“ Nach einer ersten Orientierungsphase beginnen die Prüflinge damit, die Aufgabe zu lösen. Versuchen sie dies schweigend, werden sie vom Prüfer aufgefordert, „laut zu denken“. Meist versuchen die Prüflinge direkt, die Angaben aus der Aufgabe in eine Gleichung zu übersetzen. Dies ist sinnvoll, gelingt aber nicht immer problemfrei, so dass sich der Prüfer dazu angehalten sieht, auch jeden noch so kleinen Fehler, bspw. ein im Prüfungsstress vergessenes Vorzeichen, in einem sehr kleinschrittigen Gespräch vom Prüfling selbst entdecken und korrigieren zu lassen. Eine fehlerfreie und vom Prüfling korrekt notierte Rechnung am Ende der 15 Minuten scheint oberstes Ziel zu sein. Dazu verlangt der Prüfer sogar, Ausdrücke mit dem Taschenrechner auszurechnen („Tippen Sie es mal ein“) und auf zwei Nachkommastellen runden zu lassen. Dass die ungerundeten Ausdrücke das Resultat viel genauer angeben als die Dezimalzahlen, scheint für den Prüfer weniger Gewicht zu haben als die vermeintliche Kompetenz aufseiten des Prüflings, den Taschenrechner korrekt bedienen zu können.

Vorbereitungszeit würde dazu führen, dass die Prüfungszeit deutlich effizienter genutzt werden könnte.

Der Ablauf einer solchen Prüfung wirft eine Reihe von Fragen auf. So ist es bspw. unklar, warum es zu Beginn wichtig sein soll, dass die Prüflinge zwei Aufgaben direkt erhalten, wo doch nur mit einer begonnen werden kann. Es scheint, als solle dem Prüfling die Auswahl überlassen werden und die Reihenfolge der Bearbeitung nicht vom Prüfer selbst festgelegt werden. Dies entspricht dem Sachverhalt bei einer schriftlichen Prüfung, in welcher die Aufgaben prinzipiell in jeder beliebigen Reihenfolge bearbeitet werden können. Auch in einer mündlichen Prüfung kann dies aus psychologischen Gründen sinnvoll sein, sofern für eine angemessene Sichtung und Abwägung ausreichend Zeit zur Verfügung stünde. Dies ist jedoch nicht der Fall, was die nächste Frage aufwirft: Warum haben die Prüflinge keine Zeit, sich auf die Prüfung vorzubereiten? Es ist unklar, warum nicht jeder Prüfling zunächst 15 Minuten Zeit erhält, um die Aufgaben zu sichten, Lösungsansätze zu entwickeln, sich die geprüfte Thematik in Erinnerung zu rufen. Natürlich würde dies dazu führen,

Warum haben die Prüflinge keine Zeit, sich auf die Prüfung vorzubereiten?

dass die Prüfungszeit deutlich effizienter genutzt werden könnte: Die stillen Minuten zu Beginn würden entfallen, ein Lösungsansatz wäre schon entwickelt und könnte unmittelbar diskutiert werden, Zeit zum Nachschlagen von Formeln und dem Berechnen von Lösungen mit dem Taschenrechner entfiele, so dass insgesamt ein Teilgebiet geprüft werden könnte, das für das gesamte Gebiet oder gar die gesamte unterrichtete Mathematik deutlich repräsentativer wäre, als es in einem Arrangement ohne Vorbereitungszeit der Fall ist. Die Validität der Prüfung, deren Berücksichtigung primäres Ziel sein sollte, würde enorm steigen. Denn insgesamt stellt sich natürlich die grundlegende Frage, was ein Prüfling in einer Prüfung, die wie oben geschildert abläuft, eigentlich zeigen konnte, was er hätte zeigen können und was genau geprüft worden ist. Wie ist es bspw. zu bewerten, wenn ein Schüler es schafft, im gesamten ersten, fast zehn Minuten dauernden Teil der Prüfung nur den Umfang eines Halbkreises mit dem Radius  zu berechnen? Sollte die Tatsache, dass am Ende eine korrekte, auf zwei Nachkommastellen gerundete Lösung auf dem Blatt steht, nicht in Relation gesetzt

werden mit dem Sachverhalt, dass das Entwickeln dieser sehr simplen Rechnung rund zehn Minuten in Anspruch genommen hat? Die Grundfragen der Thematik wurden damit nicht berührt, stattdessen wurde ein so kleiner, noch dazu recht unbedeutender Ausschnitt des Themas Kreisberechnung behandelt, dass eine Aussage darüber, ob und wenn ja, inwieweit der Schüler sich in dieser Thematik bewegen kann, eigentlich nicht getroffen werden kann. Die Validität der Prüfung steht damit massiv infrage und die Bewertung einer solchen Prüfung wird zu einem gewaltigen Problem.

 

„Ich habe für Sie das Thema X ausgesucht. Wollen Sie mal starten?“

Die zu prüfende Maturklasse besteht aus 22 Schülerinnen und Schülern. Sie haben keine Vorbereitungszeit, haben keinerlei Schwerpunkte für die Prüfung wählen können, „sie müssen alles können und mit allem rechnen“, kommentiert der Prüfer vor Beginn der ersten 15-minütigen Prüfung das Arrangement lakonisch. Ich fühle mich erinnert an einen meiner alten Chemie-Professoren aus dem Studium, der vor einer Prüfung auf die Bitte nach einer etwas konkreteren Angabe der Lernziele folgendermassen reagierte: „Lernen Sie alles, vergessen Sie nichts.“

Die Unterbrechung ist nur dann logisch, wenn der Prüfer eine ganz konkrete Sache im Kopf hat, auf die er hinaus möchte.

Die erste Prüfung startet nach einer kurzen Begrüssung, als alle Platz genommen haben. Sie wird eröffnet mit der Frage: „Ich habe für Sie das Thema Integralrechnung ausgesucht. Wollen Sie mal starten?“ Die Schülerin beginnt: „In der Integralrechnung geht es um Flächen –“, kann den Satz aber nicht vervollständigen, da sie vom Prüfer unterbrochen wird: „Um was für Flächen? Etwas genauer bitte.“ Sie kontert: „Um Flächen unter Kurven.“ – „Jetzt aber mal konkret“, fordert der Prüfer auf, als sei bisher schon sehr viel Unkonkretes geäussert worden. Unklar bleibt daher, an welcher Stelle der von der Schülerin geäusserte Halbsatz nun konkretisiert werden soll. Der spontane Antwortversuch der Schülerin wird nach nur wenigen Worten vom Prüfer unterbrochen – wie hätte sie antworten sollen, um nicht unterbrochen zu werden? Die Unterbrechung ist nur dann logisch, wenn der Prüfer eine ganz konkrete Sache im Kopf hat, auf die er hinaus möchte, einen bestimmten Teilbereich, ein Stichwort, und er schon nach nur sieben Wörtern bemerkt, dass dieses Ziel nicht erreichbar ist. Das Thema Integralrechnung ist allerdings so gross, dass es als äusserst unwahrscheinlich erscheint, als dass der Prüfling hier auf Anhieb das richtige Stichwort liefern wird. In jedem Fall ist die Unterbrechung zu einem derart frühen Zeitpunkt psychologisch äusserst ungeschickt, und sie ist auch fachlich nicht zu rechtfertigen, der Antwortversuch der Schülerin war nämlich durchaus vielversprechend. Zudem: Wenn die Prüfung doch in Wahrheit gar nicht so offen ablaufen wird, wie die Eröffnungsfrage suggeriert, und stattdessen auf einen ganz bestimmten Sachverhalt hinauslaufen soll, warum beginnt die Prüfung dann nicht gleich mit diesem?

Die Reliabilität der Einstiegsfrage steht massiv infrage, da eine unüberblickbare Vielzahl an Antworten möglich ist – wie soll man das bewerten?

Kein Prüfling kann auch nur einen vollständigen Gedanken formulieren, ohne unterbrochen zu werden.

Die erwähnte Eröffnungsfrage gehört an diesem Tag zum festen Ritual einer jeden Prüfung. Immer ist dies der erste Satz: „Ich habe für Sie das Thema X [Integralrechnung, Kombinatorik, Folgen und Reihen, Trigonometrie usf.] ausgesucht. Wollen Sie mal starten?“ Benevolent könnte man konstatieren, dass diese Art der Eröffnung eine völlige Offenheit signalisiert. Das Gebiet, über das nun gesprochen werden soll, möge vom Prüfling doch erst einmal oberflächlich beschritten werden. Es wäre aber auch möglich, sofort eine Besonderheit oder eine Verbindung zu einer anderen Thematik zu erwähnen und über diese zu sprechen, ebenso könnte ein eigenes Beispiel konstruiert werden, welches etwas Wesentliches des entsprechenden Themas illustriert – die Formulierung „wollen Sie mal starten“ würde wörtlich verstanden gar eine Verneinung samt Bitte zulassen, das Themengebiet zu wechseln: „Nein, lieber nicht dieses Thema, ich würde lieber über Y reden.“ In jedem Fall wird augenscheinlich die Steuerung der Prüfung in die Hände des Prüflings gelegt. Das ist sicherlich gut gemeint, doch der Volksmund weiss, dass „gut gemeint“ in der Regel das Gegenteil von „gut“ ist. Die Reliabilität der Einstiegsfrage steht massiv infrage, da eine unüberblickbare Vielzahl an Antworten möglich ist – wie soll man das bewerten? In diesem konkreten Fall kann der Prüfer zudem das anfängliche Versprechen eines offenen Einstiegs in die Prüfung kein einziges Mal einhalten. Denn er hat bei dieser Frage immer schon einen konkreten Sachverhalt im Kopf, über den er gerne sprechen möchte. Dies führt dazu, dass der erste Teil eines Antwortversuchs unmittelbar unterbrochen wird, wenn dieser nicht in die gewünschte aber vom Prüfling nicht vorhersehbare Richtung geht. Das gelingt eigentlich nie, so dass jeder Prüfling nach meist nur einem halben Satz mit weiteren Fragen konfrontiert wird. Kein Prüfling kann auch nur einen vollständigen Gedanken formulieren, ohne unterbrochen zu werden. Es ist eine bekannte Faustregel für Interviews jeglicher Art: Je konkreter die Frage, desto konkreter die Antwort. Umgekehrt heisst dies, dass eine offene Frage immer nur unkonkret beantwortet werden kann, da man sich für eine Antwort entscheiden muss und immer unendlich viele andere Dinge nicht gesagt werden können. Gerade dieser Umstand macht das Beantworten einer offenen Frage auch zu einer anspruchsvollen Aufgabe, insb. dann, wenn seitens des Prüfers ohnehin eine spezielle Antwort gewollt ist und eigentlich kein echtes Interesse an der Antwort besteht. Die Chance, dass die gegebene Antwort die Prüfung in die vom Prüfer intendierte Richtung lenkt, ist verschwindend gering.

Natürlich kann eine Prüfung durchaus mit einer offenen Frage beginnen. Dies setzt allerdings zwei Dinge voraus: erstens ein ehrliches Interesse an der gegebenen Antwort, auf der das weitere Prüfungsgespräch aufbauen soll, und zweitens das Vorhandensein von weniger Prüfungsdruck und ausreichend Zeit.

Abermals fragen wir nach möglichen alternativen Prüfungsarrangements: In einer Pause konfrontiere ich den Prüfer mit meiner Beobachtung und bringe die Option ein, die erste, offene Frage auszulassen und stattdessen mit einer sehr viel konkreteren Frage zu beginnen, immerhin wisse er doch schon, auf welchen konkreten Sachverhalt die Prüfung hinauslaufen solle. Der Kern der Prüfung stehe doch bereits fest, warum diesen also nicht gleich zu Beginn offenlegen? Der Prüfer ist nicht überzeugt und bleibt bei seiner Art, die Prüfungen zu beginnen. Und natürlich kann eine Prüfung durchaus mit einer offenen Frage beginnen. Dies setzt allerdings zwei Dinge voraus: erstens ein ehrliches Interesse an der gegebenen Antwort, auf der das weitere Prüfungsgespräch aufbauen soll, und zweitens das Vorhandensein von weniger Prüfungsdruck und ausreichend Zeit. D.h. dass auch in diesem Fall das Einrichten einer Vorbereitungszeit die Validität der Prüfung steigern könnte, was darüber hinaus auch aus pädagogischen und psychologischen Gründen sinnvoll wäre. Denn eine Frage wie die folgende unvorbereitet und zufriedenstellend zu beantworten, dürfte auch für viele Mathematik-Lehrpersonen eine Herausforderung sein: „Erläutern Sie den Kern der Integralrechnung an einem geeigneten Beispiel.“

Kernprobleme

  • Fehlende Übung der Prüfenden

Die gesetzlichen und schulischen Vorgaben zur Abnahme mündlicher Prüfungen legen die vor allem juristisch relevanten Rahmenbedingungen fest. Werden diese eingehalten, wird die Chance eines etwaigen Rekurses seitens des Prüflings minimiert. Dieser Fakt ist daher insb. für die Prüfenden und die Prüfungsleiter, d.h. in der Regel die Schulleiter, ein entscheidendes Kriterium, es ist aber kein pädagogisches. Denn das Ziel einer fairen und gerechten Prüfung ist damit bei weitem noch nicht erreicht, wie die drei Beispiele im vorhergehenden Abschnitt zeigen: Alle drei haben die jeweils gegebenen Rahmenbedingungen berücksichtigt.

Es ist nichts anderes als eine Zumutung, dass eine Schülerin, ein Schüler, nur ein einziges Mal in ihrem bzw. seinem Schulleben eine mündliche Mathematikprüfung ablegen muss, bei der es sich auch noch um die Abschlussprüfung handelt.

Insb. in den Sprachfächern ist das Durchführen mündlicher Prüfungen eine Selbstverständlichkeit. Lehrpersonen, die regelmässig mündliche Prüfungen abnehmen, befassen sich praktisch ununterbrochen mit den Schwierigkeiten und Chancen dieser Prüfungsart. Gleichzeitig ist eine mündliche Matur- bzw. Abiturprüfung für die Prüflinge in diesen Fächern schlichtweg eine weitere mündliche Prüfung, wenngleich ihre Bedeutung im Vergleich zu einer regulären Prüfung im laufenden Schuljahr natürlich höher einzuschätzen ist. In Mathematik verhält es sich jedoch völlig anders: Mündliche Prüfungen stellen hier eine grosse Ausnahme dar. Es ist nichts anderes als eine Zumutung, dass eine Schülerin, ein Schüler, nur ein einziges Mal in ihrem bzw. seinem Schulleben eine mündliche Mathematikprüfung ablegen muss, bei der es sich auch noch um die Abschlussprüfung handelt. Dies zu betonen scheint redundant, aber es ist der bedauerliche Normalfall.

Dabei ist es Mathematiklehrpersonen nicht untersagt, auch im regulären Unterricht gewisse Themengebiete mündlich zu prüfen. Auch besteht die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler wählen zu lassen, ob sie zu einem bestimmten Thema entweder mündlich oder schriftlich geprüft werden möchten. Beides geschieht allerdings höchst selten. Die klassische schriftliche Prüfung am Ende eines Themas ist nach wie vor der Normalfall. Daher ist es auch nur folgerichtig, dass sich Lehrpersonen, die – sofern sie eine Abschlussklasse unterrichten – nur einmal im Schuljahr eine mündliche Prüfung abnehmen, mit den Gütekriterien mündlicher Prüfungen kaum auseinandersetzen. Der Bedarf fehlt. Dies generiert nun aber offenkundig einen entsprechenden Weiterbildungsbedarf.

  • Fehlende Vorbereitungszeit für die Geprüften

Ausgehend von der Annahme, dass Fairness das anzustrebende Ideal einer jeden Leistungsüberprüfung ist, dass diese eine gerechte Beurteilung von Lernerfolgen zum Ziel hat und dass auch eine mündliche Prüfung die Leistung der Geprüften gültig, zuverlässig und objektiv abbilden muss, stellt sich die Frage, ob die Einrichtung einer Vorbereitungszeit auch bei einer mündlichen Maturprüfung hilfreich sein könnte. Dass dies im Fach Mathematik in der Schweiz nicht der Normalfall ist – in anderen Fächern ist die Vorbereitungszeit sakrosankt, in Deutschland auch in Mathematik sogar gesetzlich vorgeschrieben – ist oben bereits angesprochen worden. Doch gibt es auch inhaltliche Argumente?

Die Note ist nicht Kern der Prüfung, sie ist deren numerisches Resultat, das am Ende ermittelt werden muss, ob man will oder nicht. Eigentlich geht es um etwas anderes: Gültigkeit, Zuverlässigkeit, Objektivität und damit zusammenhängend Fairness, Gerechtigkeit, Gleichbehandlung.

Wenn sich ein Prüfling 15 oder 20 Minuten lang auf eine mündliche Prüfung vorbereiten kann, minimiert dies den Prüfungsstress, sofern die ihm gestellten Aufgaben klar formuliert sind, deren Anzahl insgesamt nicht zu hoch ist und mindestens die Einstiegsaufgabe ein niedriges bis mittleres Schwierigkeitsniveau hat. Der Prüfling hat Zeit, sich auf das Fach und das entsprechende Teilgebiet einzulassen, kann in der Formelsammlung blättern und gewisse Schwerpunkte rekapitulieren. Die Prüfung kann mit der Darlegung seiner Überlegungen beginnen, er kann, sofern die Aufgabenstellung dies zulässt, die Schwerpunkte selbst setzen, indem er bspw. mit eigenen Beispielen einen Sachverhalt erläutert, die ihrerseits anschlussfähig sind für das weitere Prüfungsgespräch. Die Validität der Prüfung steigt. Natürlich bleibt die Leitung der Prüfung in den Händen der prüfenden Lehrperson, wenngleich das Führen eines solchen Prüfungsgesprächs anspruchsvoller sein dürfte als die Durchführung einer Prüfung mit mehrheitlich abfragendem Charakter. Ein häufiges Gegenargument ist, dass im Gegenteil die Vorbereitungszeit den Prüfungsstress erhöhen könnte, wenn bspw. die Aufgabenstellung vom Prüfling nicht oder nur unzureichend verstanden wird. Diese Gefahr besteht zweifelsfrei, jedoch wäre in einem solchen Fall auch die Aufgabenstellung nicht unschuldig, da möglicherweise die Einstiegshürde zu hoch ist. Ein Auftrag wie „beschreiben Sie das Diagramm“ – nicht: „interpretieren Sie“ – darf einen Maturanden, eine Maturandin nicht überfordern. Die Einstiegsaufgabe muss immer so formuliert sein, dass sie von jedem Prüfling in der Vorbereitungszeit verstanden und bearbeitet werden kann. Ein weiteres Gegenargument könnte sein, dass es keine Evidenz dafür gibt, dass die Prüfungen durch die Einrichtung einer Vorbereitungszeit besser würden. Das könnte tatsächlich sein, doch geht dieses Argument am Kern der Sache vorbei. Denn die Beurteilung steht nicht im Zentrum. Die Note ist nicht Kern der Prüfung, sie ist deren numerisches Resultat, das am Ende ermittelt werden muss, ob man will oder nicht. Eigentlich geht es um etwas anderes: Gültigkeit, Zuverlässigkeit, Objektivität und damit zusammenhängend Fairness, Gerechtigkeit, Gleichbehandlung. Diese Dinge werden durch den Verzicht auf eine Vorbereitungszeit praktisch ignoriert, der Fokus liegt dann vor allem auf dem Resultat sowie der scheinbar bequemeren Prüfungsvorbereitung und -durchführung. Das Ideal Fairness rückt in weite Ferne.

Ausblick

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass der Schreibende in den rund 250 Maturprüfungen, die er als Experte begleiten durfte, sowie in den rund 120 Diplomprüfungen, auch sehr gelungene Prüfungen beobachten konnte: Eine Lehrerin etwa, welche die wichtigsten Fragestellungen wie in einem Leitfadeninterview notiert hatte und diese dem Prüfling im Verlauf des Prüfungsgesprächs vorlegte, so dass sich auf Basis dieser Fragen ein angenehmes, fast schon lockeres und doch ernstes Gespräch entwickeln konnte. Der Prüfling konnte zeigen, was er wusste, die Lehrerin reagierte behutsam auf die Äusserungen, korrigierte nur, wo es unbedingt nötig war und brachte von Zeit zu Zeit einen neuen Aspekt in das Thema ein. Diese Art der Prüfung gelang sowohl bei den starken als auch bei den eher schwachen Prüflingen, weil das Niveau der Prüfungen diesen entsprach und bei Bedarf im Verlauf des Gesprächs angepasst wurde, was pädagogisch und psychologisch in hohem Masse sinnvoll ist. Bei der Bewertung orientierte sie sich an einem Raster der erwartbaren Antworten, welches sie für jede Prüfung vorbereitet hatte. Es gibt alles in allem keine Gründe daran zu zweifeln, dass diese Prüfungen gültig, zuverlässig und objektiv durchgeführt wurden.

Hoffnung macht das Projekt „Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität“ (WEGM).

Sicherlich gibt es weitere gelingende Prüfungskonzepte, die an der ein oder anderen Schule von diversen Lehrpersonen im Fach Mathematik durchgeführt werden. Das mit grossem Abstand am häufigsten anzutreffende Konzept ist hingegen das oben beschriebene, welches nicht selten zu Entwicklungen führt, die in den drei Erfahrungsberichten angesprochen wurden und in höchstem Masse zu kritisieren sind. Eine Abkehr von dieser Art der Maturprüfungen im Fach Mathematik scheint aus vielerlei Gründen angezeigt.

Hoffnung macht das Projekt „Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität“ (WEGM), welches in der Schweiz 2018 angelaufen ist und sich bis Ende September 2022 in der Vernehmlassung befindet. Gegenstand der Vernehmlassung ist der Revisionsentwurf der Verordnung über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen (Maturitäts-Anerkennungsverordnung, MAV) vom 15. Februar 1995 und der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) über die Anerkennung von Maturitätszeugnissen vom 16. Januar/15. Februar 1995. Die existierenden Vorlagen sehen eine Reihe von teils radikalen Reformen vor, sie betreffen u.a. eine Erweiterung des Fächerkatalogs, eine Erweiterung der Maturprüfungsfächer, eine mögliche Anpassung der Bestehensnorm, die Einführung einer Prüfung zur „Zulassung zur Maturität“ – insgesamt erscheinen die Vorschläge eine noch stärkere Atomisierung der Bildung zu begünstigen.[2] Eine zukunftsweisende Weiterentwicklung dürfte anders aussehen. Die Prüfungsform etwa wird nicht angesprochen. Weder wird die Möglichkeit diskutiert, bestimmte Fächer schriftlich oder mündlich zu prüfen, noch gibt es Überlegungen bzgl. der Rahmenbedingungen zur Durchführung mündlicher Prüfungen an sich. Vielleicht sollen Entscheidungen wie diese ja auch in die Hoheit der Kantone gelegt werden. Die Hoffnung stirbt bekanntermassen zuletzt – aber sie stirbt.

 

 

[1] „An idea which can be used only once is a trick. If you can use it more than once it becomes a method.” (Polyà/Szegö 1972, viii)

[2] Bei der genauen Lektüre der vorgeschlagenen Änderungen fühlt man sich erinnert an eine Passage aus dem Bericht „A Nation at Risk“ (ANAR; 1989), der in den USA als Antwort auf die Ende der 1980er Jahre immer lauter werdenden Rufe nach einer umfassenden Schulreform geschrieben worden ist. Er fasst die damalige Situation knapp, prägnant und gut verständlich zusammen und gilt heute als Beginn der standardbasierten Schulreform (vgl. Gerwig 2017). Die in dem Bericht vorgeschlagenen Massnahmen waren allerdings vor allem pädagogischer Natur, die mit den später tatsächlich umgesetzten und in dem Gesetz „No Child Left Behind“ (2001) festgeschriebenen Massnahmen, die auch die Schulentwicklungen in Deutschland und der Schweiz massiv beeinflussten, nur noch wenig zu tun haben. In ANAR heisst es: „Secondary school curricula have been homogenized, diluted, and diffused to the point, that they no longer have a central purpose. In effect, we have a cafeteria-style curriculum in which the appetizers and desserts can easily be mistaken for the main courses.“ (NCEE 1983, S. 18)

 

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Der Basler Gymnasiallehrer Dr. Mario Gerwig hat 250 mündliche Mathematikprüfungen abgenommen, eine nicht unerhebliche Stichprobengrösse. Seinen Erfahrungen als Prüfungsexperte fliessen in den Beitrag, der für Gültigkeit, Zuverlässigkeit, Objektivität und damit zusammenhängend Fairness, Gerechtigkeit, Gleichbehandlung plädiert. Und er zeigt einige Schwachstellen der gegenwärtigen Praxis auf. Aufgrund der Länge des Beitrags veröffentlichen wir ihn in zwei Teilen. In diesem ersten Teil geht es um die Analyse der rechtlichen und pädagogischen Rahmenbedingungen der mündlichen Maturprüfung.

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Einführung

Im folgenden Beitrag soll die innere Logik mündlicher Prüfungen im Fach Mathematik mit dem Fokus auf die schweizerische Maturprüfung untersucht werden. Meine Ausführungen gründen dabei auf einer vor allem anekdotischen und weniger empirischen Basis. Doch auch wenn bekanntermassen «Daten» nicht der Plural von Anekdote ist, so ist die Stichprobengrösse, die meiner Analyse zugrunde liegt, nicht unerheblich: Seit elf Jahren unterrichte ich an einem Balser Gymnasium Mathematik und – in einem erheblich geringeren Umfang – Chemie. In dieser Zeit habe ich rund 250 Maturprüfungen (alle in Mathematik) abgenommen. Daneben bin ich seit sieben Jahren als Experte[1] für Mathematik an verschiedenen Gymnasien und Fachmaturitätsschulen (FMS) in unterschiedlichen Schweizer Kantonen im Einsatz und habe damit etwa ebenso viele Prüfungen bei über einem Dutzend verschiedener Prüferinnen und Prüfer begleiten und protokollieren können. Hinzu kommt meine Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Luzern, wo ich als Experte für Allgemeine Didaktik und Pädagogische Psychologie bei den Diplomprüfungen in den Bildungs- und Sozialwissenschaften in den letzten sechs Jahren rund 120 Prüfungen begleitet habe.

Es wird sich zeigen, dass ein solcher Versuch äusserst notwendig ist.

Zweifelsfrei gibt es Lehrpersonen und Experten bzw. Expertinnen, die in ihrer Berufskarriere mehr Prüfungen abgenommen bzw. begleitet haben. Gleichwohl scheinen mir 250 eigene und 250 beobachtete Maturitäts- und FMS-Prüfungen sowie 120 Diplomprüfungen eine ausreichende Basis für den Versuch zu sein, die innere Logik einer Abschlussprüfung im Fach Mathematik zu rekonstruieren und sie damit an den pädagogischen Ansprüchen, die an eine mündliche Prüfung gestellt werden, zu messen. Es wird sich zeigen, dass ein solcher Versuch äusserst notwendig ist.

 

Dr. Mario Gerwig, Jg. 1984, ist seit 2011 Lehrer für Mathematik und Chemie am Gymnasium Leonhard Basel. Er ist Schulbuchautor und Länderberater (Mathematik Neue Wege, Westermann Schweiz) sowie Experte für Maturprüfungen in Mathematik (Kantone BS und BL) und Diplomprüfungen in den Bildungs- und Sozialwissenschaften (PH Luzern). 2021 erschien das Buch Der Satz des Pythagoras in 365 Beweisen (Springer Spektrum, Berlin).

 

Pädagogische und rechtliche Voraussetzungen einer mündlichen (Matur-)Prüfung

  1. Gütekriterien mündlicher Prüfungen

Das anzustrebende Ideal einer jeden Leistungsüberprüfung sollte maximale Fairness sein, abzielen sollte sie auf die gerechte Beurteilung von Lernerfolgen. Das bedeutet, dass Prüfungen jeglicher Art die Leistung der Geprüften gültig, zuverlässig und objektiv abbilden sollten. Es geht also im Kern immer darum, Beurteilungsfehler zu vermeiden, was insbesondere bei mündlichen Prüfungen schwieriger umzusetzen ist, als es zunächst erscheinen mag. Denn Urteilsverzerrungen und Fehlschlüsse sind menschlich, der interaktive Echtzeitcharakter und der damit einhergehende Handlungsdruck sind eine besondere Herausforderung. Gleichzeitig liegt die Vermeidung mancher Fehler nicht in der Hand des Prüfers, was insb. individuelle Faktoren der Beurteilten wie den Einfluss der Tagesform oder mögliche externe Störfaktoren im Prüfungsumfeld betrifft. Andere Fehler hingegen sind vermeidbar.

Als Prüfer und Prüferin muss man sich der möglichen Fehlerquellen bewusst sein, um sie vermeiden zu können.

Von besonderer Bedeutung bei mündlichen Prüfungen sind (vgl. Bohl 2009) der Sozialgruppeneffekt (Sprache der Aufgabenstellung wird von bestimmten Personengruppen schlechter verstanden), der Nähe-Fehler (Prüfungen nach einer schwachen Prüfung werden tendenziell zu gut bewertet und andersherum), der Reihungsfehler (mehrere Prüfungen nacheinander dienen als Referenzpunkte, obwohl sie unabhängig voneinander beurteilt werden sollten) und der Wissen-um-die-Folgen-Fehler (wenn die möglichen Konsequenzen einer Bewertung bekannt sind, bspw. das Nichtbestehen der Maturität bzw. des Abiturs, wird eine Prüfung oft milder beurteilt). Als Prüfer und Prüferin muss man sich der möglichen Fehlerquellen bewusst sein, um sie vermeiden zu können. Dazu ist es hilfreich und sinnvoll, sich an den Gütekriterien der Validität, Reliabilität und Objektivität einer Leistungsbeurteilung zu orientieren, denn die Wahrscheinlichkeit sinkt, einen der genannten Fehler zu begehen, je besser diese eingehalten werden. Die Erfahrungsberichte im folgenden Kapitel zeigen, zu welchen Auswüchsen es in mündlichen Prüfungen kommen kann, wenn gegen eines oder mehrere der Gütekriterien in beträchtlichem Masse verstossen wird.

Prüfungen jeglicher Art sollten die Leistung der Geprüften gültig, zuverlässig und objektiv abbilden.

Die Validität einer Prüfung ist dann gegeben, wenn das, was überprüft werden soll, auch tatsächlich überprüft wird. Dies ist deshalb eine besondere Herausforderung, weil etwa eine bestimmte Fähigkeit meist nicht direkt zu beobachten ist. Soll bspw. überprüft werden, ob ein Schüler das Urnenmodell der Kombinatorik verstanden hat, müssen Annahmen darüber getroffen werden, woran sich dieses „Verstehen“ festmachen lässt. Das Anwenden einer der vier Fälle des Modells auf ein bestimmtes, vorgegebenes Beispiel (vgl. den ersten Erfahrungsbericht des folgenden Abschnitts), vermag eine solche Feststellung sicherlich noch nicht rechtfertigen. Gelingt es dem Schüler hingegen, das Konzept mit eigenen Worten zu erläutern und an einem Beispiel zu illustrieren, kann eher davon ausgegangen werden, dass das Konzept weitreichend verstanden ist. Entscheidend für die Validität sind daher gut begründete Annahmen, in diesem Fall läge der Bewertung die Annahme zugrunde, dass ein Sachverhalt nur dann mit eigenen Worten wiedergegeben werden kann, wenn er auch verstanden wurde. Wird hingegen eine einzige Beispielrechnung korrekt notiert, kann davon noch nicht zwangsläufig ausgegangen werden. Wir werden bei den im folgenden Abschnitt dargestellten Erfahrungsberichten sehen, dass insb. die Validität einer Prüfung häufig ein Problem darstellt.

Die Prüfung muss stets sorgfältig zusammengesetzt sein. Aufgaben mit einem mittleren Schwierigkeitsindex ergeben in der Regel eine höhere Reliabilität der Prüfung, daher empfiehlt es sich, nicht eine zu grosse Anzahl Aufgaben hoher Schwierigkeit einzubauen.

In einer mündlichen Prüfung sollte es vor allem darum gehen, im Prüfungsgespräch auf die Äusserungen des Prüflings einzugehen und einen bestimmten Sachverhalt zu diskutieren.

Die Reliabilität einer Prüfung ist dann gegeben, wenn ein Messinstrument, bspw. eine Aufgabe, bei wiederholter Anwendung dieselben Resultate liefert. Dieses Gütekriterium ist nicht ohne weiteres einzuhalten, denn dazu müssten eigentlich die eingesetzten Aufgaben im Vorfeld der Prüfung untersucht werden, was statistisch aufwendig und für eine Lehrperson im Rahmen einer mündlichen Abschlussprüfung schlichtweg nicht zu leisten ist. Aus theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen ergeben sich jedoch einige Heuristiken, mit deren Hilfe eine mündliche Prüfung möglichst reliabel erstellt und durchgeführt werden kann (vgl. Lienert/Raatz 1998): Die Prüfung muss stets sorgfältig zusammengesetzt sein. Aufgaben mit einem mittleren Schwierigkeitsindex ergeben in der Regel eine höhere Reliabilität der Prüfung, daher empfiehlt es sich, nicht eine zu grosse Anzahl Aufgaben hoher Schwierigkeit einzubauen. Zufallsabhängige Aufgaben, insb. Multiple-Choice-Aufgaben mit nur zwei Antwortalternativen, vermindern die Reliabilität. In einer mündlichen Prüfung sollte es nun aber vor allem darum gehen, im Prüfungsgespräch auf die Äusserungen des Prüflings einzugehen und einen bestimmten Sachverhalt zu diskutieren. Um die Reliabilität zu steigern ist es dennoch sinnvoll, zentrale Fragen, welche das Prüfungsgespräch leiten und strukturieren, schriftlich vorzubereiten. Am wirksamsten verbessert man die Reliabilität über die Länge einer Prüfung, denn durch das Hinzufügen von Fragen kann diese erhöht werden. Dabei kann im Sinne der Ökonomie einer Prüfung diese natürlich nicht unbegrenzt verlängert werden, zumal diesbzgl. strikte Rahmenbedingungen einzuhalten sind. Doch wenn bspw. eine Prüfung schon bei einer ersten, eher einfachen Einstiegsaufgabe stecken bleibt, sind grosse Zweifel bzgl. der Reliabilität (und damit auch bzgl. der Validität) angezeigt, auch wenn diese Anfangsaufgabe am Ende korrekt gelöst werden sollte (vgl. den zweiten Erfahrungsbericht im folgenden Kapitel).

Eine nicht-objektive Prüfung ist niemals reliabel oder valide, eine nicht-reliable Prüfung kann objektiv sein, ist aber niemals valide. Gleichzeitig ist eine objektive und reliable Prüfung nicht zwangsläufig valide.

Die Objektivität einer Prüfung ist dann gegeben, wenn verschiedene Massnahmen angewendet werden, um den Prüfungsprozess zu standardisieren und damit Ursachen für Messfehler zu reduzieren. Dazu gehört bspw. das Herstellen einer Atmosphäre, die eine konzentrierte und gleichzeitig entspannte Prüfung ermöglicht, das Einrichten einer Sitzordnung, bei der man nicht zu weit auseinander- aber auch nicht zu nah beieinandersitzt sowie eine ruhige und optimistische Ansprache, wenn man die Prüflinge begrüsst, sie in den Raum hineinbittet und das Prozedere der Prüfung erläutert. Die Objektivität leidet deutlich, wenn (vgl. den ersten Erfahrungsbericht im folgenden Kapitel) der Prüfling kaum begrüsst und stattdessen schon die erste Frage gestellt bekommt, wenn dieser noch nicht einmal seinen Platz eingenommen hat. Natürlich steht in einem solchen Fall auch die Validität infrage, da ein solcher Beginn zu Prüfungsstress führt und der Prüfling seine eigentliche Leistung möglicherweise nicht mehr abrufen kann. Zur Steigerung der Objektivität ist es zudem empfehlenswert, die Leistungsmessung von der Leistungsbeurteilung zu trennen. Nach einer Prüfung könnten dazu anhand eines Kriterienrasters zunächst Punkte vergeben werden, bevor darauf basierend eine Note ermittelt wird. Die Objektivität steigt zudem deutlich, wenn die Prüfung möglichst von einer externen Fachperson protokolliert wird, die ihrerseits ebenfalls die Prüfung beurteilt (in der Schweiz fällt diese Aufgabe dem Experten bzw. der Expertin zu). So können etwaige Unterschiede im Anschluss diskutiert und eine gemeinsame Bewertung unter Einbezug des Protokolls argumentativ ausgehandelt werden.

Die Gütekriterien der klassischen Testtheorie können ein sinnvolles Orientierungsraster sein, um eine Prüfung möglichst fair und gerecht zu gestalten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gütekriterien der klassischen Testtheorie ein sinnvolles Orientierungsraster sein können, um eine Prüfung möglichst fair und gerecht zu gestalten, d.h. um eine gültige, zuverlässige und objektive Leistungsmessung zu realisieren. Die Validität einer Prüfung ist dabei primäres Ziel. Für diese ist die Reliabilität der Beurteilung eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Objektivität schliesslich ist eine notwendige, aber ebenfalls nicht hinreichende Bedingung für eine reliable Prüfung. Mit anderen Worten: Eine nicht-objektive Prüfung ist niemals reliabel oder valide, eine nicht-reliable Prüfung kann objektiv sein, ist aber niemals valide. Gleichzeitig ist eine objektive und reliable Prüfung nicht zwangsläufig valide. Es ist daher entscheidend, das Zusammenspiel der Kriterien zu beachten und für die möglichst gute Einhaltung alle drei Gütekriterien zu sorgen.

 

2. EDK und KMK

Die rechtlichen Grundlagen für die schulischen Abschlussprüfungen in Deutschland und der Schweiz verweisen ihrerseits nicht auf die oben genannten Gütekriterien. Sie legen kaum inhaltliche Massstäbe fest, definieren dafür unterschiedlich streng die einzuhaltenden Rahmenbedingungen.

Die etwaige Einrichtung einer Vorbereitungszeit direkt vor der mündlichen Prüfung ist nicht einheitlich geregelt und kann zwischen den Kantonen, sogar zwischen einzelnen Schulen und Fächern und bisweilen sogar innerhalb einer Fachgruppe variieren.

In der Schweiz wird dies in der durch den schweizerischen Bundesrat in Kraft gesetzte „Verordnung über die schweizerische Maturitätsprüfung“ vom 7. Dezember 1998 geregelt. Sie legt u.a. die Zuständigkeiten fest (Art. 2), skizziert den Prüfungszweck (Art. 8), definiert Richtlinien (Art. 10) und bestimmt die Prüfungsfächer (Art. 14). Über die Prüfungsart informiert Art. 18, in dem es heisst: „In den Grundlagenfächern (…) und Mathematik (…) wird schriftlich und mündlich geprüft“ (EDK 1998, S. 1420). Mündliche Mathematikprüfungen im Rahmen der schweizerischen Maturität sind somit obligatorisch. Die konkrete Ausgestaltung wird jeweils von den Kantonen festgelegt, in der Regel dauern die schriftlichen Prüfungen zwischen drei und vier Stunden, die mündlichen Prüfungen mindestens 15 und höchstens 20 Minuten. Die etwaige Einrichtung einer Vorbereitungszeit direkt vor der mündlichen Prüfung ist nicht einheitlich geregelt und kann zwischen den Kantonen, sogar zwischen einzelnen Schulen und Fächern und bisweilen sogar innerhalb einer Fachgruppe variieren. Ist eine Vorbereitungszeit in aller Regel bei Prüfungsfächern wie Deutsch, Spanisch oder Französisch eine Selbstverständlichkeit, so ist es andersherum ebenso selbstverständlich, dass die mündlichen Maturprüfungen in Mathematik ohne eine solche abzulegen sind. Es sei angemerkt, dass es schwierig sein dürfte, eine pädagogische Begründung für diesen Umstand vorzubringen.

In Deutschland regelt die „Vereinbarung über die Abiturprüfung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ die Organisation der Abiturprüfungen. Auch hier wird u.a. ein Rahmen für die mündlichen (§7) und schriftlichen Prüfungen (§5) sowie deren Korrektur, Beurteilung und Bewertung definiert (§6), der von den einzelnen Bundesländern auszugestalten und von den Schulen umzusetzen ist. Interessant ist die Tatsache, dass für alle mündlichen Prüfungen, die im Rahmen der Abiturprüfung abgelegt werden müssen, eine Vorbereitungszeit fest vorgeschrieben wird. In §7.5 heisst es: „Die Aufgabenstellung einschliesslich der Texte wird dem Prüfling schriftlich vorgelegt. Während der Vorbereitung unter Aufsicht darf sich der Prüfling Aufzeichnungen machen. Die Vorbereitungszeit beträgt in der Regel 20 Minuten.“ (KMK 2008, S. 5)

[1] Ein externer Experte bzw. eine externe Expertin ist in der Schweiz für alle mündlichen Maturprüfungen vorgeschrieben. Er bzw. sie protokolliert die Prüfung, achtet auf ein angemessenes Niveau sowie eine Vergleichbarkeit der Bewertungen innerhalb einer Klasse. Die Expertentätigkeit wird im Art. 12.2 der „Verordnung über die schweizerische Maturitätsprüfung“ vom 7. Dezember 1998 (geändert am 22. April 2009) definiert: „Die Experten und Expertinnen nehmen an den mündlichen Prüfungen in den verschiedenen Fächern teil und nehmen Einsicht in die schriftlichen Arbeiten. Anhand der Leistungen in den schriftlichen und mündlichen Prüfungen nehmen sie eine Gesamtbeurteilung der Kandidaten und Kandidatinnen vor“ (EDK 1998, S. 1750).  Mit der zweiten Teilprüfung sind die Maturprüfungen in den fünf Prüfungsfächern gemeint, zur ersten Teilprüfung gehören die übrigen Fächer, welche ohne Maturprüfung abgeschlossen werden, deren Noten aber ebenfalls im Maturzeugnis aufgeführt werden.

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Die Schulnoten bewegen auch die Condorcet-Leserinnen und -Leser. Das zeigen die Kommentare und die vielen Aufrufe der bisherigen Beiträge. Der emer. Professor Juergen Oelkers legt in seinem Beitrag den aktuellen Forschungsstand dar und erklärt die Vor- und Nachteile der "Ziffernbeurteilung". Sein Fazit: Noten werden weiterhin eine zentrale Rolle spielen, können aber verbessert werden.

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Juergen Oelkers, em. Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich: Unter den Schülerinnen und Schülern sind vergleichend benotete Leistungsunterschiede meist gar nicht strittig.

Zeugnisse und Noten stehen in der Kritik und mehr noch, sie gelten als gefährlich und werden als überflüssig hingestellt. Sie werden sozusagen benotet, meistens mit folgenden Argumenten: Noten sind unpräzise, ihr Zustandekommen ist intransparent, sie wirken als eine Art Schicksal, sind vor allem ein Machtfaktor und sicher kein Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit.

Das „starre Ziffernotensystem” ist der Lieblingsfeind vieler Schulreformer. „Motivieren ohne Noten” war schon vor 25 Jahren ein immer wieder vorgebrachtes Stichwort der Schulkritik (Olechowski/Rieder 1990). Unterstellt wurde, dass die Schülerinnen und Schüler besser lernen, wenn sie nicht durch Noten geleitet werden und den eigenen Lernweg bestimmen können.

Motivieren mit Noten ist die vermutlich meist verbreitete Motivationspraxis in der Schulwirklichkeit, aber die wird als anrüchig hingestellt, da sie dem Ideal des „intrinsischen” Lernens widerspricht. Aber man lernt auch, wenn man motivationale Widerstände überwinden muss und man stelle sich vor, wohin man käme, wenn alles Lernen in der Schule von der Zustimmung intrinsischer Motivation abhängig wäre.

Noten als positive Anreize sind auch deswegen suspekt, weil sie eine Hierarchie voraussetzen. Nur wenige Schüler können Bestnoten erreichen und das, so die Kritik, fordert die anderen nicht etwa heraus, sondern schreckt sie ab und hindert sie am Lernen. Es soll, mit anderen Worten, keinen Wettbewerb geben und niemand soll mit anderen verglichen werden. Das bekanntlich schon Jean-​Jacques Rousseau 1762 in seinem Erziehungsroman Emile ou de l’éducation postuliert.

Schüler können damit umgehen.

Es ist danach immer wieder versucht worden, Alternativen zu der Notenskala zu entwickeln. Radikale Entwürfe gehen davon aus, dass nur die Lernfortschritte des einzelnen Schülers beschrieben werden können und sich ein Vergleich in der Lerngruppe verbietet, weil der ohnehin nicht objektiv sein kann und zudem die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden ignoriert.

Zudem zeigt die Forschung, dass die Urteile der Lehrpersonen im Blick auf ihre Klasse im Allgemeinen verlässlich sind (Weinert 2001).

Noten setzen die Klassennorm voraus und basieren so auf einem Vergleich der Leistungen mit anderen. Diese Beschreibung hat sich bewährt, sie ist ökonomisch und vergleichsweise leicht zu handhaben. Zudem zeigt die Forschung, dass die Urteile der Lehrpersonen im Blick auf ihre Klasse im Allgemeinen verlässlich sind (Weinert 2001). Die Kritik bemängelt allerdings die fehlenden Bezugsnormen (Fischer 2012, S. 50).

Ein Bewertung ist willkürlich, wenn sie die Aufgaben und Leistungen mit verschiedenen Massstäben interpretiert, einzelne Schüler gegenüber anderen bevorzugt, ohne Kriterien erfolgt oder unfaire Massstäbe anwendet, also mehr oder anderes erwartet, als gelernt werden konnte.

Aber ist die gestufte und vergleichende Beurteilung ungerecht? Die Antwort lautet ja, wenn die Bewertungen willkürlich erfolgen würden. Ein Bewertung ist willkürlich, wenn sie die Aufgaben und Leistungen mit verschiedenen Massstäben interpretiert, einzelne Schüler gegenüber anderen bevorzugt, ohne Kriterien erfolgt oder unfaire Massstäbe anwendet, also mehr oder anderes erwartet, als gelernt werden konnte.

Der Grundsatz ist, dass nur das geprüft werden darf, was unterrichtet worden ist und so gelernt werden konnte. Wenn dieser Grundsatz verletzt wird, ist das ungerecht. Wenn ein Schüler schlecht beurteilt wird oder nicht die Note erreicht, die er erreichen wollte, ist das nicht ungerecht, sofern die Kriterien der Benotung klar waren und keine Bevorzugung erkennbar ist.

Dieses Verfahren ist leicht handhabbar und nicht so schlecht, wie die Kritik häufig annimmt.

Noten erfassen Leistungen im Blick auf bestimmte Aufgabenstellungen, die von Lehrkräften im Blick auf eine bestimmte Gruppe bewertet werden. Endnoten nach einem bestimmten Unterrichtsabschnitt, meistens am Ende eines Schulhalbjahres, werden gebildet, indem verschiedene Einzelnoten addiert und ein (gewichteter) Durchschnitt errechnet wird.

Motivieren mit Noten ist die vermutlich meist verbreitete Motivationspraxis in der Schulwirklichkeit, aber die wird als anrüchig hingestellt.

Dieses Verfahren ist leicht handhabbar und nicht so schlecht, wie die Kritik häufig annimmt. Die Lehrpersonen stellen Aufgaben und bewerten Leistungen aufgrund langjähriger Erfahrungen und handeln vermutlich in den wenigsten Fällen wirklich „willkürlich” in dem genannten Sinne. Insofern muss man fragen, wieso sich die Notenkritik so hartnäckig immer wieder bemerkbar zu machen versteht. Wenn Medien die bessere Schule propagieren, dann sind die immer notenfrei. Freilich, oft sind diese Alternativen kleine Privatschulen und nie Gymnasien.

Vermeidet man die Karikaturen, dann lässt sich im Blick auf die schulische Notenpraxis festhalten: Schulnoten bewerten Leistungen und können nur begrenzt eine Aussage darüber machen, was die tatsächlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sind. Vieles, was für das Zustandekommen der Leistung mitverantwortlich ist, wird mit einer Ziffernote auch gar nicht erfasst, etwa die allgemeine Leistungsfähigkeit, schulisches Engagement, Vor- und Nachteile der sozialen Herkunft oder das Interesse für bestimmte Unterrichtsfächer.

Niemand stört sich daran, dass Fussballprofis jede Woche Noten erhalten, Filmkritiker vergeben Noten ebenso wie Restaurantkritiker, ein Hotel ohne Noten würde man kaum buchen. Screenshot aus der BAZ.

Aber jede Bewertung hat Grenzen und keine umfasst alles. Noten haben den Vorteil, dass sie einfach sind, leicht zu kommunizieren und keinen übermässigen Aufwand verlangen. Sie passen ins Arbeitsfeld der Schule, gelten als bewährt und werden als Beschreibungsform auch ausserhalb der Schule breit angewendet. Niemand stört sich daran, dass Fussballprofis jede Woche Noten erhalten, Filmkritiker vergeben Noten ebenso wie Restaurantkritiker, ein Hotel ohne Noten würde man kaum buchen und saldo könnte ohne Noten den Betrieb einstellen.

Unter den Schülerinnen und Schülern sind vergleichend benotete Leistungsunterschiede meist gar nicht strittig, zumal sie ja wissen, wie die Leistungen zustande kommen.

Unter den Schülerinnen und Schülern sind vergleichend benotete Leistungsunterschiede meist gar nicht strittig, zumal sie ja wissen, wie die Leistungen zustande kommen. Sie wissen auch, dass die Anstrengungen je nach Lage verschieden sind, zwischen Jungen und Mädchen Unterschiede bestehen und nicht erreichte Leistungen durchaus hätten erreicht werden können, wenn die Anstrengung grösser gewesen wäre. Die Zuschreibung „Streber” ist leicht einmal ein Indikator für eigenen Minimalismus.

Inzwischen liegen zahlreiche empirische Studien vor, die die gute prognostische Validität der Schulnoten für den späteren Studienerfolg belegen. Die Durchschnittsnote im Maturitätszeugnis gilt als der valideste Einzelprädiktor für den Erfolg im anschliessenden Studium.

Noch etwas ist auffällig: Die Notenkritik richtet sich primär auf das Zustandekommen der Noten und die Beschreibung in Form von Ziffern. Wenig gefragt ist der prognostische Wert von Schulnoten. Inzwischen liegen zahlreiche empirische Studien vor, die die gute prognostische Validität der Schulnoten für den späteren Studienerfolg belegen. Die Durchschnittsnote im Maturitätszeugnis gilt als der valideste Einzelprädiktor für den Erfolg im anschliessenden Studium. Die Notenkritik übersieht gerne diesen Zusammenhang.

In einer deutschen Metastudie aus dem Jahre 2007wird die Validität der Schulnoten zur Vorhersage des Studienerfolgs nochmals detailliert beschrieben (Trapmann-​Hell/Weigand/Schuler 2007). Dabei wirkt sich gerade die Breite des Notensystems positiv aus. Je höher der Durchschnitt in den Fachnoten liegt, desto besser kann der Studienerfolg vorhergesagt werden

Eine der zentralen Begründungen für die Notenkritik bezieht sich auf die Folgen von schlechten Bewertungen, die blockierte Motivation und Schulunlust nach sich ziehen würden. Gute Noten werden akzeptiert, schlechte lösen Krisen aus. Das Prinzip der vergleichenden Graduierung in der Beschreibung des Leistungsverhaltens setzt wie gesagt voraus, dass nicht jeder gute Noten erhält und man so einen Diskriminierungseffekt auffangen muss, wenn man auf ein Ziffernotensystem setzt.

Die Anstrengungsbereitschaft verteilt sich nicht einfach nur mit dem Interesse, wie oft angenommen wird, sondern reagiert auch auf Notlagen, etwa auf die Folgen der Nichterreichung von Lernzielen oder die drohenden Selektionen an den Schnittstellen. Probleme wie diese werden in der didaktischen Literatur gemieden oder normativ bestritten, obwohl sie nicht verschwinden werden und das Lernen massiv beeinflussen.

Eine jüngere Studie über den Zusammenhang von Schulangst, Schulunlust, Anstrengungsvermeidung und Schulnoten in den Fächern Mathematik und Deutsch sieht zwischen diesen Konzepten signifikante geringe bis mittlere Interkorrelationen. Am stärksten hängen Prüfungsangst und die schulbezogene Anstrengungsvermeidung mit den Schulnoten zusammen (Weber/Petermann 2016, S. 562). Das ist eigentlich trivial: Wer Angst vor Prüfungen hat, vermeidet Anstrengungen, weil die Vorstellung vorherrscht, die Prüfung sei ohnehin nicht zu bestehen. Anderseits minimiert die Anstrengungsvermeidung die Chancen des Bestehens, wenn die Prüfung nicht vermieden werden kann.

Schülerinnen und Schüler lernen oft subversiv.

Die Schülerinnen und Schüler lernen auch subversiv, nämlich wie die Anforderungen des Unterrichts umgangen werden können, oder strategisch, nämlich wie sich mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Ertrag erreichen lässt. Sie kalkulieren im Blick auf die Ziele den notwendigen Ressourceneinsatz und gehen keineswegs immer „intrinsisch motiviert” vor, schon weil kaum eine Schülerin und kaum ein Schüler sich für das gesamte Angebot der Schule gleich interessiert. Die Schüler machen immer einen Unterschied, was sie gerne lernen und was nicht.

Die Anstrengungsbereitschaft verteilt sich nicht einfach nur mit dem Interesse, wie oft angenommen wird, sondern reagiert auch auf Notlagen, etwa auf die Folgen der Nichterreichung von Lernzielen oder die drohenden Selektionen an den Schnittstellen. Probleme wie diese werden in der didaktischen Literatur gemieden oder normativ bestritten, obwohl sie nicht verschwinden werden und das Lernen massiv beeinflussen. Auch im Falle der Lernstrategien überwiegen die Modellannahmen, die unabhängig vom tatsächlichen Erfahrungsraum „Schule” gedacht werden.

Jahrzehntelange Erfahrungen mit Lernberichten und Ähnlichem zeigen die Steigerung der Komplexität und damit einhergehend der drohenden Unverständlichkeit (Bos et al. 2010). Noten müssen klar und verständlich sein, die Abstände im Leistungsverhalten wiedergeben und hohe und tiefe Grade kennen. An dieser Anforderung sind die Alternativen zu messen und so lange keine besseren Alternativen zum Ziffernsystem vorliegen, wird dieses auch weiterhin die Praxis bestimmen. Umgekehrt gesagt, Noten sind überflüssig, wenn sie keine Abstände erfassen.

Trotz einer Vielzahl von scheinbaren oder tatsächlichen Alternativen ist die Notenskala das bei weitem gebräuchlichste Instrument der Leistungsbeurteilung.

In der Prüfungspraxis sind bis heute Noten zentral, also die Einschätzung der Leistungen von Schülerinnen und Schüler auf einer für alle Lehrkräfte verbindlichen Skala, die die Unterschiede von Fähigkeiten in Sachgebieten erfassen soll. Trotz einer Vielzahl von scheinbaren oder tatsächlichen Alternativen ist die Notenskala das bei weitem gebräuchlichste Instrument der Leistungsbeurteilung.

Für dieses Instrument spricht, dass Leistungen in Schulklassen tatsächlich immer mit Niveauunterschieden zustande kommen. Wer sie abbilden will, muss daher ein gestuftes Schema verwenden, wobei das Problem nur ist, welche Stufen zur Anwendung kommen und wie die tatsächlichen Leistungsunterschiede in der Beurteilung abgebildet werden. Die realistische Perspektive ist die Beibehaltung des Ziffernsystems unter der Voraussetzung, dass die Notengebung fair und transparent ist. Dafür müssen die einzelnen Schulen Kriterien festlegen, die für die Lehrerinnen und Lehrer verbindlich sind. Diese Kriterien beeinträchtigen nicht das Urteil der Lehrpersonen, sondern machen es für Schüler, Eltern und andere Lehrer transparent.

Die Notengebung kann verbessert werden

Bei der Bewertung von Leistungen in der Schule werden Noten und Zeugnisse als Formen des verbindlichen Feedbacks weiterhin eine zentrale Rolle spielen, die Instrumente sind bewährt und begrenzen den Aufwand. Aber die Notengebung kann verbessert werden. Zentrale Aufgaben sind neben der Klarheit der Kriterien die Präzisierung der Stufung, die zur Bewertung passende Aufgabenkultur und die schulischen Lernziele als Bezugsnorm. Die bessere Berücksichtigung des Lernwegs kann fünftens durch Portfolios erreicht werden. Insgesamt handelt es sich also um eine lösbare Aufgabe. 

* Prof. em. Dr. Jürgen Oelkers war u. a. seit 1999 bis zu seiner Emeritierung 2012 ordentlicher Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkte: Historische Bildungsforschung, vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts, Reformpädagogik im internationalen Vergleich, Analytische Erziehungsphilosophie, Inhaltsanalysen öffentlicher Bildung, Bildungspolitik.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zuger Schulinfo und ist hier mit freundlicher Genehmigug des Autors aufgeschaltet.

Literatur

Bos, W./Beutel, S.-I./ Berkemeyer,N./Schenk, S.: LUZI. Leistungsbeurteilung ohne Ziffernzeugnisse. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung. Dortmund: IFS 2010.
Fischer, Chr. (Hrsg.): Diagnose und Förderung statt Notengebung? Problemfelder schulischer Leistungsbeurteilung. Münster/New York/München/Berlin: Waxmann 2012.
Olechowski, R./Rieder, K. (Hrsg.): Motivieren ohne Noten. Wien u.a.: Verlag Jugend und Volk 1990. (= Schule, Wissenschaft und Politik, Band 3)
Trapmann, S./Hell, B./Weigand, S./Schuler, H.: Die Validität von Schulnoten zur Vorhersage des Studienerfolgs – Eine Metaanalyse. In: Zeitschrift für pädagogische Psychologie Band 2, Heft 1 (2007), S. 11-27.
Weber, H.M./Petermann, F.: Der Zusammenhang zwischen Schulangst, Schulunlust, Anstrengungsvermeidung und den Schulnoten in den Fächern Mathematik und Deutsch. In: Zeitschrift für Pädagogik Band 62, Heft 4 (Juli/August 2016), S. 551-570.
Weinert, F.E. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim/Basel: Beltz Verlag 2001.

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Vorbild Schule oder der Selbstorganisierte Fussball https://condorcet.ch/2021/12/vorbild-schule-oder-der-selbstorganisierte-fussball/ https://condorcet.ch/2021/12/vorbild-schule-oder-der-selbstorganisierte-fussball/#respond Sun, 12 Dec 2021 11:57:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=10113

Alain Pichard und seine Kollegin liegen natürlich falsch. Es ist umgekehrt: Die Schule darf sich nicht vom Fussball anregen lassen, sondern der Fussball soll sich den Reformen der Schule öffnen und sich diese zu eigen machen. Felix Schmutz stellt uns mit dem Selbstorganisierten Fussball (SOF) eine wahrhaft revolutionäre Idee vor, mit der sich dieser Sport von seinem latenten Gewaltpotenzial befreien kann.

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Felix Schmutz, Baselland: Wichtig ist die Soziakompetenz, nicht das Resultat.

Immer wieder kommt es vor, dass Teams wie der FC Basel schmerzliche Niederlagen einstecken müssen. Das ausschliessliche Leistungsdenken, das ganz auf die Anzahl der erzielten Tore ausgerichtet ist, verfälscht den Sinn des Fussballspiels. Die Spielqualitäten der einzelnen Spieler*innen (ihre Sachkompetenz), der Team- oder Gemeinschaftsgeist (die Sozialkompetenz), Initiative und Entscheidungsfreude (die Selbstkompetenz) werden völlig unzureichend an der Anzahl Tore gemessen. Was heisst schon 2:1? Sind Spieler*innen, die in einem Match nur 1 Tor erzielt haben, tatsächlich unfähiger als die gegnerische Mannschaft mit 2 Toren? Hängt das Resultat nicht oft von Zufällen ab?

Und doch entscheiden diese lächerlichen Zahlen über Auf- und Abstieg der Clubs. Die undifferenzierte Torschussrechnerei beeinflusst letztlich auch die Zuschauerzahlen, die Finanzen, ja sogar die Gewinne beim Sport-Toto. Die unzulängliche Leistungsbeurteilung bestimmt die Chancen der Clubs und die Laufbahn der Spieler*innen. Die Ungerechtigkeit dieses Systems ist es, welche die SpielerInnen entmutigt und zu Misserfolgen führt.

SOF ist eine der Voraussetzungen für den Guten Fussball.

An dieser Stelle setzen die Reformen an: Das Projekt arbeitet mit SOF, dem selbstorganisierten Fussball. SOF erlaubt den Spieler*innen, ihren individuellen Fähigkeiten und ihrem eigenen Tempo gemäss zu spielen. Die dadurch gewonnene Selbständigkeit wirkt wieder auf das Team zurück. SOF ist eine der Voraussetzungen für den Guten Fussball.

Ein Besuch beim SOF-Club Basel führt uns den neuen Fussball praktisch vor: Hier rennen nicht mehr elf Männer oder Frauen stur und verbissen einem Ball nach. Nein, Männer und Frauen bewegen sich gemeinsam, frei und leicht auf dem Spielfeld. Selbstverständlich stehen mehrere Bälle zur Verfügung, welche die Spieler*innen einander gleichzeitig zuspielen. Die ganze Hektik der früheren Spielweise ist einem ruhigen, gelösten Spielbetrieb gewichen. Es kommt auch vor, dass sich eine Spielerin oder ein Spieler allein mit dem Ball abgibt und sich selbstvergessen der schönen Ballakrobatik widmet. Auch das gehört zur neuen Spielkultur!

Die bisherige Praxis, dass Spieler*innen in unterschiedliche Ligen eingeteilt werden, widerspricht dem Gleichheitsprinzip der Allgemeinen Menschenrechte.

Je nach Neigung und Befindlichkeit können sich Spielerinnen und Spieler aus dem Spielfeld zurückziehen und auf den gemütlichen Sesseln am Rande (der Club hat sie zur Verfügung gestellt!) unterhalten oder sich ganz einfach am Spiel der Kolleg*innen erfreuen. So sind denn bald acht oder neun, manchmal aber auch vierzehn oder fünfzehn SpielerInnen auf dem Feld.

Frauen und Männer spielen im selben Team.

Die bisherige Praxis, dass Spieler*innen in unterschiedliche Ligen eingeteilt werden, widerspricht dem Gleichheitsprinzip der Allgemeinen Menschenrechte. Wer nicht in der Superleague oder Challenge League spielen darf, wird nämlich schlicht diskriminiert. Inklusion ist das Gebot der Stunde. Spielende aller Qualitätsstufen dürfen in der Mannschaft ihrer Wahl mitspielen. Es hat sich auch gezeigt, dass schwächere Spieler*innen von den stärkeren lernen können und mehr über sich hinauswachsen, als wenn ein fluchender Trainer sie drangsaliert und erniedrigt. Die Stärkeren profitieren ihrerseits, da sie lernen, auf die Schwächeren Rücksicht zu nehmen.

Auch die Zuschauer profitieren von SOF! Vorbei die Eintönigkeit, sich einem einzigen Ball und einer einzigen Spielperson zuwenden zu müssen. Stattdessen gibt es eine Vielfalt von Spielsituationen gleichzeitig zu beobachten. Auch Zuschaupersonen haben die Wahl, welchem Geschehen sie individuell ihre Aufmerksamkeit schenken wollen.

Auf einer speziellen Befindlichkeitsapp vermerkt er oder sie jeweils auch noch, wie er oder sie sich während der einzelnen Spielphasen fühlt.

Das Fussballfeld muss verkleinert werden!

Die Verkleinerung des Spielfeldes auf einen Viertel der früheren Fläche ist ein weiterer Gewinn! Die Wege vom Standort jedes Spielers und jeder Spielerin zu den Toren wird erheblich verkürzt. Dies führt nicht, wie Kritiker der Reform meinen, zu Bequemlichkeit. Im Gegenteil! Die kürzere Distanz motiviert dazu, die Wege immer öfter zurückzulegen.

Selbstverständlich zählt auch beim SOF die Leistung, allerdings nicht allein! Dadurch, dass jede Spielperson nach ihrem individuellen Tagesplan spielt, wächst der Anreiz, bessere Leistungen zu erzielen. Hier zeigt sich auch der grosse Gewinn, den die Digitalisierung dem Fussball bringen kann. Jede Spielerin/jeder Spieler trägt am Handgelenk ein Minitablet, auf dem er oder sie in eigener Verantwortung festhält, was er oder sie geleistet hat. Mit einem Fingerdruck markiert er oder sie die Anzahl Gegnertore, Eigentore, Cornerschüsse, Off-Sides, geglückte Ballabnahmen und Ballabgaben etc. Auf einer speziellen Befindlichkeitsapp vermerkt er oder sie jeweils auch noch, wie er oder sie sich während der einzelnen Spielphasen gefühlt hat.

Auf einer grossen Tafel am Rand des Spielfeldes erscheinen die Daten zeitgleich und sind für alle stets einsehbar. Jedes Mal, wenn ein Spieler/eine Spielerin in einem Fähigkeitsbereich die von den Clubs vorgegebenen Standards erfüllt, ertönt ein aufmunterndes akustisches Signal. Den Spielenden zeigt es an, dass sie eine bestimmte Kompetenzstufe gemeistert haben und sich nun einer schwierigen Spielsituation widmen dürfen, das Publikum seinerseits weiss, dass es jetzt applaudieren sollte.

Die Selbständigkeit der SpielerInnen erlaubt es den Schiedsrichter*Innen, sich auf anderes zu konzentrieren. Anstatt wie ein aufgescheuchtes Huhn den Spieler*innen hinterherzurennen und den Spielverlauf einseitig mit der unangenehm schrillen Pfeife militärisch und repressiv zu dominieren, verzichten sie weitgehend auf ihre Befehlsrolle und widmen sich intensiv der Beratung einzelner Spielpersonen und Gruppen. Sie helfen einzelnen Spielpersonen beim Erstellen des Tagesplans, stellen die notwendigen Bälle zur Verfügung und halten sich sonst weitgehend im Hintergrund. Ganz unverkrampft nehmen sie auch immer wieder Anregungen aus den Reihen der Spieler*innen entgegen. Schiedsrichter*innen und Spielpersonen begegnen sich nicht im Gegeneinander oder Übereinander, sondern im gleichberechtigten Miteinander.

Ranglisten der Clubs gehören endgültig der Vergangenheit an. Jede Gruppe ist prinzipiell gleichrangig. Wesentlich ist der Spielprozess, in dem sich die Leistung in vielen Teilfertigkeiten manifestiert und nicht in irgendwelchen Resultaten.

Die Beurteilung wird mitnichten abgeschafft oder aufgeweicht, wie böse Zungen behaupten. Sie wird sogar erweitert! EFB nennt sich diese erweiterte Fussballbeurteilung, nach der Spielerinnen und Spieler differenziert als Einzelperson, aber auch als Teammitglied in mehrseitigen Berichten beurteilt werden. Ranglisten der Clubs gehören endgültig der Vergangenheit an. Jede Gruppe ist prinzipiell gleichrangig. Wesentlich ist der Spielprozess, in dem sich die Leistung in vielen Teilfertigkeiten manifestiert, und nicht in irgendwelchen Resultaten. Der Spielverlauf selbst ist das Ziel, nicht der Sieg. Damit ist dem Fussball endlich das echt Sportliche zurückgegeben, der Sport ist vom schädlichen Leistungsdenken befreit.

Friedliches Miteinander statt feindliches Gegeneinander.

Nicht vergessen werden darf, dass damit auch der immer wieder auftretenden Gewalt auf Fussballplätzen der Boden entzogen wird. Feindliches Gegeneinander weicht dem friedlichen Miteinander. Die Fans der beiden Clubs treffen sich schon vor dem Spiel zur freundschaftlichen Vorfeier. Nach dem Spiel kommt es zu herzlichen Verbrüder- und Verschwisterungen.

Selbstverständlich hängt das Gelingen des Neuen Fussballs wesentlich von der Clubleitung, den Coaches und den Schiedsrichter*innen ab. Der gute Fussball ist ein geleiteter Fussball. Die Clubverantwortlichen entwerfen ein Leitbild, nach dem sie ihre gesamte Tätigkeit ausrichten. Regelmässige gemeinsame Fortbildung sorgt für Qualität und ständige Erneuerung.

VOSCHNEFU heisst das zwölfwöchige Fortbildungsprogramm zum Einstieg, was so viel bedeutet wie Vorbereitung der SchiedsrichterInnen und TrainerInnen auf den Neuen Fussball. Die AbsolventInnen werden sorgfältig eingeführt in SOF, EFB und SE. SE heisst Spielentfaltung. Hier lernen Menschen, als Gruppe durch Kommunikation im Sitzkreis ein Fussballprojekt durchzuführen und sich dadurch weiterzuentwickeln. SE fusst auf den epochemachenden Lehren des Kommunikationsforschers Theobald Schnölz von Adelboden, niedergelegt in seinem Buch Miteinander Spielen. Die bekannte Sportdozentin Heide Gluckner führt die Kursteilnehmer*innen in die Geheimnisse des GEGEFU (sprich: Dschegefu), des gendergerechten Fussballs, ein.

In den Erneuerungsprozess sind alle Beteiligten des Clubs gleichermassen eingebunden. Clubleitung, Trainingsbeauftragte, Spielende und Platzpersonal stehen sich nicht mehr als Befehlshabende und Befehlsempfangende gegenüber. Vielmehr sind sie im neuen System die prinzipiell gleichrangigen Mitglieder einer Spielenden Organisation.

 

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Zitat der Woche: Arno Grütter zum Lehrplan 21 https://condorcet.ch/2021/07/zitat-der-woche-arno-gruetter-zum-lehrplan-21/ https://condorcet.ch/2021/07/zitat-der-woche-arno-gruetter-zum-lehrplan-21/#respond Mon, 12 Jul 2021 12:33:23 +0000 https://condorcet.ch/?p=8924

Unser heutiges Zitat stammt vom Schulpräsidenten der Zuger Gemeinde Cham, Arno Grütter.

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Schulpräsident von Cham (ZG) und Wirtschaftsdozent

Im Lehrplan und den kantonalen Beurteilungsmitteln finden sich unzählige Elemente, bei denen es um die Formung und leider auch um Normung des Menschen geht!

Schweizer Monat, Juli 2021

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Gruppenarbeit und Projekte: Schwere Last auf jungen Schultern https://condorcet.ch/2020/08/gruppenarbeit-und-projekte-schwere-last-auf-jungen-schultern/ https://condorcet.ch/2020/08/gruppenarbeit-und-projekte-schwere-last-auf-jungen-schultern/#respond Wed, 26 Aug 2020 18:00:13 +0000 https://condorcet.ch/?p=6166

Der Beitrag von Urs Kalberer wird sicher Reaktionen auslösen. Der Bündner Sekundarlehrer ist dabei, die heilige Kuh "Gruppenarbeit" und "Projektunterricht" zu "schlachten". Die Redaktion ist der Meinung, dass der Autor durchaus bedenkenswerte Einwände formuliert. Aber urteilen Sie selber, liebe Leserinnen und Leser.

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Gruppenarbeit gehört zum Standardinstrumentarium jedes Lehrers, sie hat in der Ausbildung ihren festen Platz.

Gruppenarbeit gehört zum Standardinstrumentarium jedes Lehrers, sie hat in der Ausbildung ihren festen Platz. Viele Schultheoretiker neigen dazu, die direkte lehrergesteuerte Instruktion (Frontalunterricht) zu verpönen, deshalb gehören kollaborative Arbeitsformen wie Gruppenarbeit und Projekte seit Jahrzehnten zum Standard in der Lehrerbildung. Das wird oft damit legitimiert, dass dabei nicht nur der fachliche, sondern auch der zwischenmenschliche Aspekt abgedeckt wird. Gruppenarbeit hat demzufolge verschiedene Vorteile, sie

– verbessert und vertieft das Lernen

– entwickelt die sozialen Fähigkeiten

– entwickelt komplexe Lernstrategien

– ermöglicht selbständiges Lernen

– steigert die Teamfähigkeit

Da scheint man es offenbar mit einem didaktischen Breitband-Heilmittel zu tun zu haben. Soweit die Theorie. In der Praxis sehe und erlebe ich seit Jahren bei mir und bei engagierten Lehrerkollegen ein grosses Bemühen, Gruppenarbeit lernwirksam einzusetzen. Doch ganz so einfach ist dies nicht, offenbar machen die Lehrkräfte etwas falsch, denn an der Methode kann es ja nicht liegen (siehe oben). Es zeigen sich nämlich immer wieder dieselben Muster:

  • Inaktivität kann ein grosses Problem werden.

    Inaktivität. Man kann sich unter dem Nebel des kollaborativen Arbeitens gut verstecken. Die meisten Schüler geben das auch offen zu und freuen sich auf die nächste Gruppenarbeit, ganz nach dem Motto TEAM (Toll, ein anderer macht’s).

  • Ungleiche Arbeitsverteilung. Es ist schwierig, jedem Schüler eine äquivalente Rolle innerhalb der Gruppe zuzuordnen.
  • Präsentation. Niemand reisst sich darum, die Resultate der Klasse vorzustellen. Das führt gruppenintern zu einem Wettbewerb, wer das Thema am wenigsten durchschaut. Diese Person fällt dann logischerweise aus dem Rennen. Ein Phänomen, das ich selbst an unzähligen Lehrerweiterbildungen erlebt habe.
  • Unfaire Bewertung. Alle Teilnehmer der Gruppe erhalten dieselbe Note. Das ist höchst fragwürdig angesichts der unterschiedlichen Beiträge der einzelnen Gruppenmitglieder.

Zu diesen praktischen Erfahrungen kommt noch ein eklatanter Mangel an soliden wissenschaftlichen Studien, welche die vielen vorgebrachten Vorteile belegen könnten. Sind wir also einem weiteren pädagogischen Trend auf den Leim gekrochen?

Grenzen des Konstruktivismus

Lesen und schreiben lernt man nicht selbstentdeckend

Gruppenarbeit basiert auf einem lernpsychologischen und einem ökonomischen Fundament. Die Theorie des Konstruktivismus geht davon aus, dass es lohnender sei, wenn sich Schüler den Stoff möglichst selbst erarbeiten. Der Schüler soll sich vom Lehrer emanzipieren, der in die Rolle eines Beobachters und Lernbegleiters gedrängt wird. In dieser Funktion kann er aber nicht immer zum Vorteil des Lernens wirken. Das Alphabet und die Ziffern beispielsweise sind komplexe und abstrakte Erfindungen unserer Zivilisation. Lesen und schreiben lernt man nicht selbstentdeckend – sie müssen vermittelt werden durch bewussten, expliziten Unterricht. Dasselbe gilt für den Wissensaufbau in den Realienfächern. Hier zeigen sich die Grenzen des Konstruktivismus, einer Theorie des Lernens, die nicht automatisch auf das Lehren angewendet werden kann. Jeder Versuch, die Schüler Stoff selbständig mit kollaborativen Lernformen erarbeiten zu lassen ist nichts anderes als eine enorme Zeitverschwendung.

Wann machen Gruppenarbeiten trotzdem Sinn? Es gibt Schulsituationen, die darauf angelegt sind, gemeinsam gemeistert zu werden, wie z.B. Teamsport oder Gesang und Musik. Gruppenarbeit als Überführung des industriellen Konzepts der Arbeitsteilung zeigt sich auch an gemeinschaftlichen Aktivitäten wie dem Papiersammeln, wo meist in Gruppen ein bestimmtes Revier bearbeitet wird. Ausserdem ist es nach einer Phase von längerer Einzelarbeit motivierend, zu einer kurzen gemeinschaftlichen Tätigkeit zu wechseln. Am Ende einer Lerneinheit können Schülergruppen den Stoff repetieren und andere Positionen anhören und diskutieren. Innerhalb der Kleingruppe getrauen sie sich eher, Fragen zu stellen. Gruppenarbeit hat also durchaus seine Berechtigung an der Schule. Sie macht jedoch nur dann Sinn, wenn die Schüler Verantwortung für ihr Lernen übernehmen können und durch das besondere Lernarrangement nicht verleitet werden, die gestellte Aufgabe aus den Augen zu verlieren. Besonders für jüngere Schüler ist dies eine hohe Hürde, die bei häufiger Anwendung zur Bürde und Last wird. Gruppenarbeit sollte nicht die direkte Instruktion durch den Lehrer ersetzen, denn wir wissen, dass geführter, lehrerzentrierter Unterricht sich am vorteilhaftesten für den Lernprozess auswirkt. Handelt es sich also darum, Faktenwissen zu vermitteln – und davon gibt es ausreichend – braucht es einen Lehrer, der dieses Wissen kompetent vermitteln kann.

Um entsprechende Aufgaben erfolgreich lösen zu können, brauchen die Schüler viel Wissen und Können, das ihnen aber im Projekt nicht vermittelt wird.

Wissen als Voraussetzung

Teamwork auch in der Arbeitswelt gefragt.

In der heutigen Arbeitswelt wird viel in Teamarbeit erledigt. Um die Schüler fit für «das wirkliche Leben» zu machen, werden Gruppenarbeiten und Projekte in der Schule geübt. Damit sollen die Kinder und Jugendlichen schon früh aus der künstlich geschaffenen Schulsituation herausgeholt werden, um sie mit Problemen und Fragestellungen aus der realen Welt zu konfrontieren. Das Argument ist wohlbekannt aus der Diskussion rund um die Digitalisierung der Schule. Stichworte dieser Unterrichtsphilosophie sind: Lernerautonomie, selbstbestimmtes Lernen, selbstentdeckendes Lernen, schülerzentriertes Lernen, aber auch altersdurchmischtes Lernen.

Um entsprechende Aufgaben erfolgreich lösen zu können, brauchen die Schüler viel Wissen und Können, das ihnen aber im Projekt nicht vermittelt wird. Schulprojekte sind deshalb zutiefst ungerecht, da Schüler, welche am wenigsten schwach abschliessen, das nötige Hintergrundwissen notgedrungen anderswo (z.B. im Elternhaus) erworben haben. Es ist ein nobles Ziel, Schülern kritisches Denken und Zusammenarbeit beibringen zu wollen, doch die dazu angewendeten Methoden passen nicht. Der Weg zur Eigenständigkeit führt nicht über möglichst frühes eigenständiges Lernen. Damit Schüler selbständige Problemlöser werden, brauchen sie einen vom Lehrer klar geführten und strukturierten Unterricht. Höchste Zeit also, unsere Erwartungen an Gruppenarbeiten und Projekte zu überdenken.

Literatur:

Tom Bennett “Group Work for the Good”, American Federation of Teachers, 2015 https://www.aft.org/ae/spring2015/bennett

Daisy Christodoulou, «Seven Myths about Education”, Routledge, 2014

Urs Kalberer, 18. August 2020

 

 

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Von diffusen Ängsten und mutiger Klarheit https://condorcet.ch/2019/07/von-diffusen-aengsten-und-mutiger-klarheit/ https://condorcet.ch/2019/07/von-diffusen-aengsten-und-mutiger-klarheit/#respond Sun, 28 Jul 2019 12:35:16 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1721

Dem Gegner diffuse Ängste vorzuwerfen, ist ein altes Muster der Diskursstrategie, wenn die eigenen Argumente nicht überzeugen. In den Auseinandersetzungen um den Lehrplan 21 ist dieser rhetorische Zweihänder oft angewendet worden. Ein Blick zurück und der Vergleich mit der heutigen Situation ist reizvoll. Condorcet-Autor Alain Pichard erinnert sich und dreht den Spiess um!

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Hans Hess, Präsident von Swissmem

Hans Hess, Präsident von Swissmem (Verband für KMU und Grossfirmen der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie) zog im Vorfeld der Lehrplan-Abstimmungen über die Lehrplangegner her: «Insgesamt ist die am Lehrplan 21 geäusserte Kritik schwer fassbar, wenig fundiert und ergibt in der Sache keinen roten Faden.» (18.5.2014) Und René Will, Ressortleiter Bildung von Swissmem, doppelte am 30.11.2016 nach: «Hier werden unbegründete und diffuse Ängste geschürt.»

Assistiert wurden diese Aussagen u. a. von linker Gewerkschaftsseite. Im Magazin VPOD-Bildungspolitik schrieb Thomas Ragni, VPOD- und Denknetz-Mitglied sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter im SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft): «Pichard /Kissling drücken an diversen Stellen ihr diffuses Unbehagen aus» und einige Zeilen weiter psychiatrisierte er die Gegner: «Entscheidend ist, dass die Angst selber real ist und sich ein Objekt Freudscher Rationalisierung suchen muss». (VPOD-Bildungspolitik, April 2015, S. 22).

Gestandene Wirtschaftsleute und Altmarxisten vereint

Es ist eine Konstellation, an die man sich mittlerweile gewöhnt hat. Gestandene Wirtschaftsleute und Altmarxisten im bildungsfernen Beamtenstatus loben die Kompetenzorientierung und diffamieren ihre Gegnerschaft mit den Worten: «Diffuse Angst»!

Wer hat hier eigentlich Angst?

Es ist im Vergleich durchaus interessant, die real existierenden Bedingungen der Leute zu beleuchten, welche zur Zielscheibe dieser bewährten Allianz geworden sind und von den eingangs erwähnten Herren mit dem Etikett «diffus» und «ängstlich» belegt werden. Hier ein paar Müsterchen aus den letzten Monaten:

Poster im Lehrerzimmer des OSZ-Orpund
Bild: api

Lehrer P. hängte im Lehrerzimmer seiner Schule in einer bernischen Gemeinde einen Artikel von mir am Wandbrett auf. Meine Kolumne wurde von seinem Schulleiter umgehend entfernt, P. wurde ins Büro zitiert. Es folgte ein dreistündiges Mitarbeitergespräch mit der freundlichen Empfehlung, dass man – wenn man mit dem Gang der Dinge nicht mehr einverstanden sei – ja auch einen anderen Arbeitsort suchen dürfe. Wie entscheidet sich ein 57-jähriger Familienvater, der in der Nachbargemeinde beheimatet ist und dort auch ein Haus erworben hat? In diesem Fall meldete er sich bei mir und drohte seinem Vorgesetzten, den Druckversuch an die Öffentlichkeit zu bringen. Bestraft wurde er mit einer unattraktiven Lektionenzuteilung und einem miserablen Stundenplan. Er unterrichtet heute noch an der Schule, achtet aber darauf, sich professionell nichts zu Schulden kommen zu lassen. Wer hat hier Angst? Lehrer P., der die Entwicklung mit der Kompetenzorientierung mit Sorge betrachtet, oder der Schulleiter, der eine schulinterne Diskussion mit dem Mittel der Repression unterbinden wollte?

Den Lehrkräften der Gemeinde Wigoltingen, die das Projekt «Lernlandschaften» nicht mittragen wollten, wurde unter Androhung personalrechtlicher Konsequenzen untersagt, mit dem Disput an die Öffentlichkeit zu gehen. Trotzdem entschieden sie sich zu einem offenen Brief und brachten den Konflikt an die Öffentlichkeit. Wer hat hier Angst? Die Lehrkräfte, die dem behördlichen Druck standhielten, oder die Schulpflege, die den öffentlichen Diskurs mit einem Redeverbot unterdrücken möchte?

In der Gemeinde Buttikon kündigten 15 Lehrkräfte, weil sie die von oben verordnete Vision 2025 (die ebenfalls Lernlandschaften vorsieht) nicht mittragen wollen. Auch hier ging ein rüder Rechtsstreit mit Redeverbot voraus. Wer hat in diesem Fall Angst? Die Lehrkräfte, welche sich eine andere Stelle suchen, – und dies im völligen Bewusstsein, fortan den Nimbus des «Neinsagers» im Portefeuille zu wissen – oder die Schulleitung, welche auch hier jeglichen Dialog ablehnte und auf ihre Steuerungskompetenz verwies?

Beurteilungsbogen der Kindergärten in St. Gallen, Seite 9 von insgesamt 12 Seiten

Die 12 Lehrerinnen, die sich in der Stadt Basel gegen die Vermessungsorgie ausgesprochen hatten und dies in einem öffentlichen Schreiben (BAZ) kundtaten, wurden vom Erziehungsdepartement ebenfalls zitiert. Es wurde ihnen klar gemacht, dass sie mit personalrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten, sollte sich dergleichen wiederholen. Wer hat hier Angst? Die Primarlehrerinnen, welche sich weigern wollten, diese fragwürdigen Kompetenzbögen auszufüllen, oder die Behörde, welche von ihren Untergebenen bedingungslose Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber einfordert!

Auffallend ist die völlige Absenz der Personalverbände

Auffällig bei diesen Mosaikteilchen des gegenwärtigen bildungspolitischen Sittenbildes ist die völlige Absenz der jeweiligen Gewerkschaften, deren Aufgabe es ja eigentlich wäre, ihre Mitglieder zu verteidigen. Aber auch aus den Personalverbänden hört man immer mehr den Tenor:  Angestellte einer Bildungsinstitution hätten gegenüber dem Arbeitgeber eine Loyalitätspflicht.

Die famose Vorladung des Erziehungsdirektors

Zum ersten Mal vernahm ich solche Voten im Jahr 2003. Ich war damals neben Res Aebi, dem Langnauer Sekundarlehrer, einer der bekanntesten Lehrkräfte, welche die neue Beurteilung (SCHÜBE) im Kanton Bern bekämpften. Ich tat dies auch in der Öffentlichkeit, was mir eine Vorladung des damaligen Erziehungsdirektors Annoni nach Bern einbrachte.

Die Veröffentlichung dieser Karikatur des Autors brachte das Fass zum Überlaufen

Mein Schulkommissionspräsident, so hörte ich später, hätte mich am liebsten entlassen. Meine damalige Schulleitung befürwortete zwar die neue Beurteilung, wandte sich aber entschieden gegen eine Entlassung. Der Kommissionspräsident war aber an jener Sitzung ebenfalls anwesend. Und so sass ich einer breiten Allianz von Politik, Wissenschaft und Bildungsverwaltung gegenüber (insgesamt 8 Personen). Damals war ich noch VPOD-Mitglied, und so sicherte ich mir die Begleitung von Nico Lutz, der an meiner Seite sass, und mich verteidigen sollte.

Nico Lutz, heute Gewerkschaftssekretär der Unia Bild Unia

Er hatte eine delikate Situation zu lösen, denn der Vorstand der VPOD-Lehrergruppe unterstützte die behördliche Vermessungsorgie ohne vorherige Absprache mit der Basis. Der heutige UNIA-Sekretär löste seine Aufgabe mit Bravour. Ich ging erhobenen Hauptes aus der Auseinandersetzung hervor, zumal eine von Res Aebi organisierte Unterschriftensammlung ein vernichtendes Urteil zeitigte und die ganze Sache noch einmal überarbeitet werden musste. Doch muss ich zugeben, dass ich vor dieser Verhandlung eine schlaflose Nacht hatte. Als Organisator eines Lehrerstreiks und aktiver Gewerkschafter im linken VPOD wäre eine Anstellung in einer anderen Gemeinde kein leichtes Unterfangen gewesen. Für einen dreifachen Familienvater keine einfache Situation.

Staatsschule versus öffentlich-rechtliche Anstellung

15 Jahre nach dieser Auseinandersetzung scheint sich der Loyalitätszwang und damit die Staatsschule durchgesetzt zu haben. Das Anstellungsverhältnis an einer Staatsschule (wie auch an einer Privatschule) verlangt eine Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Doch die öffentlich-rechtliche Anstellung verpflichtet Lehrerinnen und Lehrer gleichzeitig zu einer Loyalität gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Daraus entstehen Dilemmata, früher wie heute. Diesen Grauzonen pädagogischen Wirkens möchte die Allianz von Politik, Verwaltung und Wissenschaft mit der Implementierung neuer Führungsstrukturen entgegenwirken. Ziele sind mehr Steuerung, mehr Kontrolle und eine leichtere Vollzugsgewalt.

Rinks und lechts – was soll’s?

Dass die Wirtschaftsleute Hess und Will eine solche Hierarchisierung begrüssen, ja diese sogar propagieren, ist nicht weiter erstaunlich, entspricht sie doch dem Selbstverständnis des Unternehmers. Nicht ganz überraschend findet man aber auch Sympathien für solche Zentralkomitee-artige Verfügungsgewalt und Zentralismusbestrebungen bei den Linken.

Und damit wären wir wieder bei unserem eingangs erwähnten rhetorischen Kampfbegriff. Genau die Implementierung dieser Führungsstrukturen war eine jener «diffusen Ängste», welche mich und meine MitstreiterInnen damals umtrieb. Womit wir beim zweiten «Totschlagargument» der Lehrplanbefürworter angelangt wären.

Wer ist hier eigentlich «diffus»?

Dass die Herren Hess und Will unsere Kritik am Lehrplan 21 als konfus empfanden, kann man durchaus nachvollziehen. Ihr Bildungsideal orientiert sich an der Berufsbildung. Klar formulierte Kompetenzen, auf Anwendbarkeit ausgerichtete Bildung, effizient geplant, möglichst standardisiert, outputorientiert, Bildung nach dem Prinzip der Produktion von Kühlschränken in einer modernen Produktionsstätte. Diesen Leuten das Humboldt’sche Bildungsideal entgegenzuhalten, ist natürlich vermessen.

Ob allerdings die im Lehrplan enthaltenen Kompetenzziele immer den Wunsch nach Verständlichkeit und Klarheit erfüllen, darf bezweifelt werden. So hat auch das Kompetenzziel im Fach Musik: «… kann seinen Körper sensomotorisch wahrnehmen und musikbezogen reagieren …»  durchaus ein gewisses «Diffusitätspotential».

Beat Kissling und die Autoren in der lehrplankritischen Broschüre «Einspruch» können natürlich nicht für alle Lehrplangegner die Hand ins Feuer legen. Aber ihre Kritik an der Vermessung, am Ansinnen, mit den überfachlichen Kompetenzen Gesinnung zu erzeugen, ihre  Befürchtung, dass die Idee des selbstgesteuerten Lernens grossflächig in die Schulen unseres Landes implementiert werden soll (notabene mit fatalen Konsequenzen für die Kinder der unterprivilegierten Schichten), die Warnungen vor der neuen Top-down-Steuerungsphilosophie, vor dem Abzweigen beträchtlicher Summen im Bildungsbereich für den Überbau, vor der Einschränkung der Methoden- und Lehrfreiheit und die Behauptung, dass Bildung zu Ausbildung werden soll, sind eigentlich klar formuliert. Man muss sie nicht teilen, aber unverständlich oder diffus waren und sind diese Befürchtungen nicht.

Interessant war vielmehr, dass die Lehrplangegner, allen voran der Pädagogikprofessor Roland Reichenbach, immer wieder eine Prüfung für all die Behauptungen unserer Reformeiferer anmahnten. Das ist das Gegenteil von diffus, es ist nachvollziehbar.

Diffus sind hingegen viele der ausgeklügelten Kompetenzraster, diffus ist die neue Mehrsprachendidaktik, diffus die Begründung für das Frühfranzösisch, diffus sind die vielen personalen Kompetenzen im Kindergarten.

Diffus ist das bildungspolitische Standing der Linken

Richtig diffus wird es allerdings, wenn wir die linken intellektuellen Purzelbäume und Verrenkungen der vergangenen Jahre betrachten. Schrieb die SP in ihrer Bildungsoffensive 2007 noch: «Die SP-Schweiz fordert schweizweit verbindlich definierte Bildungsstandards. Mittels standardisierter Tests sollen transparente und messbare Leistungsziele und darauf aufbauend Zertifikate vergeben werden»! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die SP forderte damals nichts weniger als standardisierte Tests, welche sogar über Zugänge zu Bildungswegen entscheiden können (oder was um Gottes Willen bedeuten Zertifikate denn sonst?).

Heute, elf Jahre später, fordert der VPOD in seinem Bildungsmagazin (Nr. 207, Juli 2018, S. 29): «An der Schule wollen wir keine Leistungschecks.» (Beatrice Messerli, Grossrätin Basta).

Unsere Warnung vor einer Ökonomisierung der Schule bezeichnete eingangs zitierter Thomas Ragni noch als «Phantomschmerz der Linken» (VPOD-Bildungspolitik, 196, 2016, S. 20-22).

Zwei Jahre später schreibt Genosse Ragni: «Der selektive Erfolg des Mainstreams der Bildungsökonomik erklärt sich aus den strukturellen Investitions- und Finanzierungszwängen im Bildungsbereich, denen kapitalistische Gesellschaften unterworfen sind. Ihre Basisannahmen reflektieren entsprechend die Erfolgsbedingungen der Kreislauf- und Akkumulationsprozesse im Kapitalismus. Ausgangspunkt muss auf Investitionsseite die Mainstream-Theorie des ‹Humankapitals› sein, die Wissen und Können als ein in den Individuen verkörpertes Asset behandelt.» (VPOD-Bildungspolitik Nr. 207. 2018 S.20)

Abgesehen von diesem reichlich abgehobenen neumarxistischen Slang, den junge Lehrkräfte heute kaum noch verstehen, ist schwer nachzuvollziehen, weshalb führende Mitglieder des VPOD sich heute so leichtfertig ins Boot der Wirtschaft setzen, wenn es um die aktuellen Schulreformen geht. Wenn diffus heisst: unklar, konturlos, verschwommen (Duden), dann kann man den Begriff heute durchaus als Beschreibung linker Bildungspositionen anwenden.

Die Wirklichkeit ist viel profaner

Wahrscheinlich ist die Wirklichkeit viel profaner. Es sind damals wie heute zwei Welten, die da aufeinanderprallen. Hier eine bildungsbürokratische Wunschprosafabrik, die von Potentialen und Chancen spricht, die unbegrenzte Möglichkeiten sieht, welche ohne Belastungsfolgen thematisiert werden. Dort die Praktiker, welche gelernt haben, Rhetorik und Praxis zu unterscheiden. Und in der Tat sind auch Ängste im Spiel. Hüben wie drüben. Sorge um die Entwicklung der Schule und auch Angst vor der Veränderung auf der einen, Angst vor dem Gesichts- und Auftragsverlust auf der anderen Seite. Mut kann man nur haben, wenn man die Angst überwindet. Das zeigen uns die Lehrkräfte in Basel, Wigoltingen oder Buttikon. Das zeigt uns auch Diane Ravitsch mit Ihrem Buch «Reign of Error» mit der eindrücklichen Selbstkritik «Ich bekenne, ich habe mich geirrt»!

Wir haben eigentlich keine Wahl. Wir haben Angst und müssen mutig sein (Hans Dieter Hüsch). Die Schule hat Kämpfer nötig heute mehr denn je. Es ist wichtig, all diese Reformruinen, die uns eine ausser Rand und Band geratene Bildungsbürokratie in die Gegend stellt, gar nicht erst entstehen zu lassen, statt hinterher über sie zu weinen. Es braucht mehr Leute vom Format eines Herrn P. oder der Wigoltinger Lehrkräfte, denn Mut ist in dieser Anpassungsgesellschaft eine Tugend von grosser Sprengkraft geworden.

 

 

 

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Fetische des modernen Schulwesens: Im Prädikatenfieber https://condorcet.ch/2019/06/fetische-des-modernen-schulwesens-im-praedikatenfieber/ https://condorcet.ch/2019/06/fetische-des-modernen-schulwesens-im-praedikatenfieber/#respond Mon, 24 Jun 2019 19:32:41 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1469

Condorcet-Autor Philipp Loretz hat wieder einmal zugeschlagen. Analytisch, humorvoll und sprachvirtuos zugleich setzt er sich mit der Beurteilungsmanie an unseren Schulen auseinander. Ein Genuss!

Hinweis: Diese Artikel ist zuerst in der Zeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB) erschienen (Juni-Ausgabe 2019).

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Philipp Loretz, Mitglied der Condorcet-Redaktion, Sekundarlehrer, BL und Mitglied der Geschäftsleitung des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland LVB
Bild: fabü

Von Schwächen und Stärken

Im sehenswerten Film «About Time» wartet Regisseur Richard Curtis mit einer bemerkenswerten Szene auf: Am Strand von Cornwall wird Mary bei ihrer allerersten Begegnung mit der Familie ihres neuen Freundes mit einer unerwarteten Frage konfrontiert:

«Was sind deine Fehler … ich meine, deine kleinen Schwächen?», möchte ihre künftige Schwiegermutter wissen.

Sichtlich verdutzt sucht Mary nach einer passenden Antwort und sagt dann verlegen: «Also … ähm … ich bin sehr unsicher.»

«Sympathisch.»

«Okay … Ich kann manchmal ziemlich schlechte Laune haben.»

«Unerlässlich! Wie bringt man die Kerle sonst dazu, folgsam zu sein?»

Mary schmunzelt, denkt kurz nach und gesteht: «Und ich hab natürlich … ich hab eine Schwäche für Ihren Sohn.»

«Die hab ich auch.»[1]

Schwäche als Türöffner, Schwäche als Vertrauensbeweis, Schwäche als Stärke. Berührend ehrlich.

Hätte die künftige Schwiegermutter – ihres Zeichens wissenschaftliche Mitarbeiterin im Departement of Education, spezialisiert auf die statistische Verwertbarkeit von Persönlichkeitsprofilen – Marys personale und soziale Kompetenzen mit Hilfe eines standardisierten Prädikatenrasters zu be-urteil-en versucht, wäre der erste Gedankenaustausch zwischen den beiden Frauen wohl in diesem oder ähnlichem Fachjargon geführt worden:

Bild: api

«Was sind deine Stärken?

(Oha, jetzt muss ich zeigen, was ich kann.)
«Ich traue mir viel zu, bin zuversichtlich und mutig.»

«Kannst du dich spontan und offen äussern?»

(Wer A sagt, muss auch B sagen.)
«Selbstverständlich. Meine Auftrittskompetenz perfektioniere ich stetig. Mein Motto: attraktiv, wortgewandt, schlagfertig.»

«Kannst du deine Gefühle kontrollieren, auch wenn du betroffen bist? Direkt gefragt: Verfügst du über eine altergesmässe Frustrationstoleranz?»

(Upps, jetzt geht es ans Eingemachte. Da rühre ich besser mit der grossen Kelle an.)
«Unbeherrschtheit, Wut und Ärger liegen mir fern. Schwierigen Situationen pflege ich stets konstruktiv zu begegnen. In Konfliktsituationen achte ich konsequent darauf, faire Mittel einzusetzen.»

«Kannst du dich an Regeln und Abmachungen halten und so zu einem angenehmen Klima in der Beziehung beitragen?»

(Das hab ich nun davon … Doch es führt kein Weg mehr zurück: Ich setze noch einen obendrauf.)
«Geordnete Bahnen sind der Garant für eine erfolgreiche Partnerschaft.»

«Welche weiteren Talente zeichnen dich aus?»

(Höchste Zeit, dem neurotischen Verhör ein Ende zu bereiten.)
«Ich bin pünktlich, ehrgeizig, pflichtbewusst und zuverlässig. Ich kann gut planen und verfüge über einen ausgeprägten Ordnungssinn. Meine ausgeklügelten Strategien stellen sicher, dass ich das Leben im Griff habe und nicht umgekehrt. Und: Ich lasse meine Neugierde erkennen, indem ich Ihnen nun meinerseits zwei Fragen stelle. Erstens: Aufgrund welcher Prädikate haben Sie Ihren Ehemann ausgesucht? Und zweitens: Mit welchem Recht stellen Sie mir derart übergriffige Fragen?»

Stärke als Angeberei, Stärke als Phrasendreschflegel, Stärke als Schwäche. Abstossend künstlich.

Im Privatleben tabu – an der Volksschule die zielorientierte Norm

Zugegeben: Im Privatleben dürfte es wohl niemandem in den Sinn kommen, auf diese groteske Art und Weise die Zuneigung, geschweige denn das Vertrauen eines potenziellen Freundes, einer potenziellen Schwiegertochter (oder ganz generell seiner Mitmenschen) gewinnen zu wollen. Umgekehrt liesse sich hoffentlich auch kaum jemand derart penetrant über seine Charaktereigenschaften und Haltungen aushorchen, ohne Widerstand zu leisten.

Im Zeitalter von Kompetenzorientierung und Vermessungsindustrie jedoch findet sich die gesamte Schülerschaft mindestens einmal pro Jahr auf einem durchaus vergleichbaren Prüfstand wieder. An den flächendeckend verordneten Elterngesprächen, auf der Höhe der Zeit, neu «Standortbestimmungsgespräche» genannt, sind die Lehrpersonen dazu aufgerufen, die sozialen und personalen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler zu be-urteil-en und zu be-wert-en – und zwar ausgiebig. Mit Hilfe ausladender Kriterienlisten soll nicht nur das Lern- und Arbeitverhalten, sondern auch das Sozialverhalten in Sherlock-Holmes-Manier akribisch unter die Lupe genommen werden.

So erfahren Eltern etwa, ob ihr fünfjähriges Kind im Kindergarten zielorientiert spielen, seine Zeit einteilen und die Welt differenziert wahrnehmen kann. Damit nicht genug: Dem standardisierten Beurteilungsbogen können sie gar entnehmen, ob ihr Kind fähig ist, seine Stärken und Schwächen richtig (sic!) einzuschätzen, es also über eine Kompetenz verfügt, die der angeblichen Unfehlbarkeit des Papstes in nichts nachsteht.

Das ideale Lernwesen erscheint rechtzeitig in einer unterrichtstauglichen körperlichen Verfassung, arbeitet sorgfältig, zuverlässig, diszipliniert, konzentriert, eigenverantwortlich und zielorientiert.

Ein Blick in die verschiedenen Kriterienkataloge der Deutschschweizer Erziehungsdepartemente der letzten Jahre zeigt, wie sich das ideale Lernwesen, nennen wir es scholasticum idealis, nach dem Willen und der Vorstellung der pädagogischen Schreibtischelite zu verhalten und zu präsentieren habe. Die schiere Menge an bis ins Detail definierten Prädikaten, mit denen die Verhaltensmerkmale des schoalisticum idealis auf seitenlangen Kompetenzrastern bewertet wird, verschlägt einem Atem und Sprache gleichermassen:

Das ideale Lernwesen erscheint rechtzeitig in einer unterrichtstauglichen körperlichen Verfassung, arbeitet sorgfältig, zuverlässig, diszipliniert, konzentriert, eigenverantwortlich und zielorientiert.

Es beteiligt sich aktiv am Unterrichtsgeschehen, stellt themenorientierte Fragen, schaut kritisch auf seine Lernwege zurück, setzt die daraus gewonnenen Schlüsse mit Hilfe von fachspezifischen Lernstrategien um und plant die weiteren Arbeitsschritte zielorientiert.

Es beteiligt sich konstruktiv am Dialog, bringt seinem Gegenüber Achtung, Wärme und Toleranz entgegen, vertritt seine Standpunkte verständlich und glaubwürdig, kommuniziert sachlich und zielorientiert.

Des Weiteren lässt es sich nicht unter Druck setzen, kann Verfahren konstruktiver Konfliktbewältigung anwenden, den Konsens suchen und anerkennen, nutzt dazu die von der Schule bereitgestellten Instrumente zur gewaltfreien Konfliktlösung, und dies – Sie ahnen es – zielorientiert.

Dabei reflektiert es die Wirkung der Sprache, nimmt herabwürdigende verbale Ausdrucksformen nicht passiv hin und achtet seinerseits auf einen respektvollen, wertschätzenden Sprachgebrauch. Es verfügt über eine hohe Empathiefähigkeit, nimmt Rücksicht auf seine Kameradinnen und Kameraden mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, bietet von sich aus Hilfe an und zeigt sich kooperativ.

Schliesslich verfügt das scholasticum idealis über eine situationsadäquate und altersgerechte Frustrationstoleranz, kann sowohl gerechtfertigte als auch ungerechtfertigte Kritik annehmen und die eigene Position hinterfragen.

Quelle: lvb.inform 2018/19-04

Eine Chimäre als Richtschnur?

Angesichts dieser Auflistungen komme ich nicht umhin, den hartnäckig kolportierten Glauben an den Nutzen der omnipräsenten psychometrischen Vermessung unserer Kinder und Jugendlichen in Abrede zu stellen. Hand aufs Herz: Kennen Sie ein Kind, einen Jugendlichen, ja überhaupt irgendeinen Menschen, bei dem all die zuvor genannten sozialen und personalen Kompetenzen – es handelt sich dabei lediglich um einen Bruchteil real existierender Prädikate! – «gut erkennbar» sind beziehungsweise «sehr gut erfüllt» werden?

Könnten Sie sich ein Leben mit einer Partnerin oder einem Partner vorstellen, deren respektive dessen Verhalten auf dem solothurnischen Verhaltensmerkmalformular nicht nur der Norm, sondern sogar der «Grundnorm»[1] entsprechen würde?

Wie würden Sie reagieren, wenn Sie nach einem stressbedingten Arztbesuch gefragt würden, ob Sie ein zielorientiertes Leben führen: sozial kompetent oder asozial gesund?

Faire und objektive Bewertung von Soft Skills?

Soft Skills sind unheimlich schwierig zu bewerten: Sie hängen unter anderem ab vom Alter, der Situation, der Klasse, dem Unterrichtsfach und der Lehrperson. Trotzdem werden an vielen Schulen die Lehrpersonen dazu angehalten, alljährlich unzählige Kreuzchen zu setzen, sogar fachspezifisch. Bei einem Vollpensum auf der Sekundarstufe (9 Kurse, 4 Klassen, vergleichsweise wenige 10 Kriterien, Bewertung in jedem Fach) ergibt das mehr als 8100 Entscheidungen! Wenn jeder Schüler nur «einfach» beurteilt wird (also fachunabhängig), verbleiben noch immer mehr als 900 Entscheidungen.

Nur schon aufgrund der fehlenden Zeit für spezifische Beobachtungen ist es schlicht unmöglich, die personalen und sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler halbwegs «korrekt» (beziehungsweise überhaupt) einzuschätzen.

Nur schon aufgrund der fehlenden Zeit für spezifische Beobachtungen ist es schlicht unmöglich, die personalen und sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler halbwegs «korrekt» (beziehungsweise überhaupt) einzuschätzen. Trotzdem feiern die Kompetenzraster landauf, landab Hochkonjunktur. Entweder weil Schulleitungen diese fragwürdige Art der Beurteilung verordnen oder weil die «Raster-Raserei» halt gerade en vogue ist und man nicht rückwärtsgewandt erscheinen möchte. So oder so: Wir machen uns bei dieser Form der Beurteilung etwas vor und produzieren (un)gewollt zig Fehlurteile, was sich anhand der folgenden Beispiele leicht veranschaulichen lässt:

Aufmerksam zuhören? Wer weiss!

Es gibt Schülerinnen und Schüler, denen innere Aha-Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes unmittelbar ins Gesicht geschrieben stehen. Andere hingegen wirken von aussen betrachtet unkonzentriert, ja geradezu abwesend, obwohl sie intensiv mitdenken und das Geschehen genau verfolgen.

Ich kann mich noch lebhaft an meinen Deutschlehrer an der Kanti Solothurn erinnern, der sich, als er mich noch nicht gut kannte, regelmässig darüber wunderte, dass ich seine Fragen im Klassengespräch durchaus «themenspezifisch» beantworten konnte, obwohl er meiner Mimik zu entnehmen geglaubt hatte, ich würde teilnahmslos im Klassenzimmer sitzen.

Als Lehrer erlebe ich selber immer wieder Schülerinnen und Schüler, die mir sagen, sie würden die im Unterricht sprechenden Personen bewusst nicht ansehen, um so den Ausführungen des «körpersprachlosen» Gegenübers besser folgen zu können. Gerade sie tauchen in solchen Momenten besonders tief in das Geschilderte ein, ernten aber beim Prädikat «aufmerksam zuhören» vorschnell die schlechteste Bewertung.

Fallgruben, so weit das Auge reicht

Ist eine Schülerin, die lieber ein dichtes Übungsblatt vervollständigt, statt einem aus ihrer Sicht irrelevanten, da abstrakten Sprachvergleich zwischen Französisch und Vietnamesisch zu lauschen, unaufmerksam? Das kann man auch gänzlich anders sehen und zum Schluss gelangen, dass sie ihre Lernzeit effizient nutzt sowie selbständig und zielorientiert arbeitet.

Ist ein Schüler, der in einer Gruppenarbeit feststellt, dass die Präsentation in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen wäre, wenn er seine vom Rest der Gruppe stark abweichende Meinung einbringen würde, ein schlechter Teamplayer? Im Gegenteil: Er reagiert situativ und intelligent – ganz im Interesse der Gruppe.

Löst eine Schülerin, die ihrer arroganten Klassenkameradin temperamentvoll die Meinung sagt, den Konflikt auf unfaire Art und Weise? Nein: Sie macht ihrem Ärger Luft, frisst die Emotionen nicht in sich hinein und verschafft sich damit Respekt. Ihre Botschaft: «Ich lasse mir nicht alles bieten, merk dir das!»

Fehlt es einem Schüler, der nicht bereit ist, dem ewig faulen Banknachbarn seine mit viel Aufwand erstellte Mindmap zur Verfügung zu stellen, an Hilfsbereitschaft oder ist er gar egoistisch? Mitnichten! Er lässt sich einfach nicht ausnutzen und teilt dem Kollegen so mit, dass er vom Unterricht profitieren würde, wenn er sich selbst die Mühe machte, aktiv mitzuschreiben.

Bild: Fotolia

Hält sich eine Schülerin, die sich getraut, den moralinverseuchten Monolog ihrer Klassenlehrerin zu unterbrechen, indem sie ihr vor der Klasse ins Wort fällt, nicht an die Gesprächsregeln? Ja, aber ohne ihr Votum würde die Lehrerin womöglich nie erfahren, worum es bei dem Konflikt wirklich geht.

Im Hörspiel «Der Vampir von Sussex» bringt es Sherlock Holmes auf den Punkt: «Mein lieber Ferguson, was man sieht und was das, was man sieht, bedeutet, können zwei sehr verschiedene Dinge sein.»[1]

«Was man sieht und was das, was man sieht, bedeutet, können zwei sehr verschiedene Dinge sein.»

Sherlock Holmes

Bevormundung und Abwertung

Besonders heikel wird es dann, wenn gemeinhin positiv konnotierte Prädikate auf den ersten Blick zwar relativ einfach beurteilbar scheinen, diese für den Lernerfolg aber irrelevant sind oder die Persönlichkeitsmerkmale der Lernenden gar ab-wert-en, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Ordnung halten

Ob ein Schüler seine Hefte regelmässig nachführt und seine Arbeitsblätter passend einordnet, ist schnell zu eruieren. Das Spektrum reicht von «Ordnung ist das halbe Leben» bis hin zu «Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen».

Natürlich bestreite ich nicht, dass ein «sinnvolles Ordnungskonzept» – wie es im Fachjargon genannt wird – das Leben in der Schule und zu Hause erleichtern kann. Selbstverständlich kann sich diese per definitionem positiv konnotierte «Eigenschaft» merklich auf die Zufriedenheit oder den Lernerfolg auswirken. Aber eben nicht zwangsläufig.

Provokativ gefragt: Schmeckt Ihnen das Abendessen am Geburtstag Ihres Freundes besser, wenn er beim Prädikat «kann Ordnung halten» mit einem «in hohem Masse erkennbar» punkten könnte? Oder wäre in diesem Setting ein «nicht erkennbar» der Geselligkeit, den lebhaften Diskussionen, der Ambiance oder dem gemütlichen Beisammensein nicht eher zuträglich?

Bild: Fotolia

 

«Ist meine im Werkunterricht gestrickte Kappe weniger schön, nur weil ich zu wenig ins Dossier geschrieben habe?», fragte mich kürzlich mein Sohn. – «Nein.» – «Warum habe ich dann nur eine 5.5 erhalten? Schau mal: Kappe 6, Dossier 5.» – «Weil, ähm, weil der neue Lehrplan von den Lehrpersonen verlangt, auch den Lernweg zu beurteilen.» – «Aha, dann hätte ich für meine Kappe also die gleiche Note bekommen, wenn ich weniger sorgfältig gestrickt und dafür mehr ins Dossier geschrieben hätte?» – «Ja.» – «Welche Kappe würdest du im Laden kaufen: die exakt verarbeitete oder die ungenaue?» – «Die exakte.» – «Eben!»

 

 

«If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, of what, then, is an empty desk a sign?» Albert Einstein Bild: Fotolia

Ich halte es deshalb mit Albert Einstein, dem das folgende Zitat zugeschrieben wird und hoffe, dass die unkorrigierten Klassenarbeiten, das zerlegte Kurzwellenfunkgerät und der zischende Lötkolben, welche bisweilen während der Entstehung dieses Artikels meinen Schreibtisch «zierten», die Qualität meiner Ausführungen nicht zu trüben vermochten: «If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, of what, then, is an empty desk a sign?» (Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen aus, der ihn benutzt?)

Auftrittskompetenz

In ihrem leidenschaftlichen TED Talk «The power of introverts» zeigt Susan Cain auf, wie schwierig, ja sogar beschämend es für introvertierte Menschen sein kann, sich in einer Kultur zurechtfinden zu müssen, in der soziale, kommunikative und kontaktfreudige Menschen als Mass aller Dinge gelten. Dabei, so Cain, seien es oft gerade stille, zurückhaltende, nach innen gerichtete Menschen, die über aussergewöhnliche Talente und Fähigkeiten verfügten, die sie aber nur entdecken, pflegen und ausschöpfen könnten, wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes in Ruhe gelassen werden. Stille und Einsamkeit seien für kontemplative Menschen «die Luft, die sie atmen»[2].

Kooperative Lernformen, verordnete Teamarbeit, Präsentationen oder laute Lernumgebungen hingegen wirken auf introvertierte Menschen bedrohlich, schmälern den Lern- und Arbeitserfolg und beeinträchtigen das Wohlbefinden markant. Wenn Lehrpersonen bei Prädikaten wie «beteiligt sich aktiv am Unterricht», «geht offen auf Neues zu» oder «bringt seine Ideen und Meinungen ein» das Kästchen «nicht erkennbar» ankreuzen, werden sie der Persönlichkeit der Betroffenen – laut Cain handelt es sich dabei um rund ein Drittel der Bevölkerung – nicht gerecht.

In behutsam geführten Gesprächen jenseits bevormundender Kriterienkataloge mag es bisweilen gelingen, den vor sich hinschlummernden extrovertierten Teil in manchen introvertierten Lernenden zu wecken. Dazu braucht es allerdings eine gehörige Portion Menschenkenntnis und Mut, um abschätzen zu können, ob ein leicht «forcierter» Auftritt vor der Menge das eventuell vorhandene extrovertierte Potenzial in einem Schüler zu wecken vermag.

Meine Kindergartenlehrerin ging damals so ein Wagnis ein, indem sie mir in einem Theaterstück kurzerhand die Rolle des Zirkusdirektors zuteilte, die ich zur grossen Verwunderung meiner Eltern mit Bravour meisterte. Dieser «Erfolg», diese angebliche «Stärkung der Persönlichkeit» änderte aber auf Dauer nichts an meinem eher stillen und zurückhaltenden Wesen während der Schulzeit. Das Erwecken meiner extrovertierten Seite verdankte ich vielmehr meiner ersten Freundin. Aus unerfindlichen Gründen liess ich mich von ihr zu einem Tanzkurs überreden. Kein Standortbestimmungsgespräch und kein Kompetenzraster der Welt jedoch hätten es geschafft, meine Passion für die Tanzfläche – ein exponierter Ort par excellence – zu wecken.

Kreative Ideen für den Unterricht oder spontane Einfälle für Artikel im «lvb.inform» fallen mir auch heute noch in der «Einsamkeit» ein: In der Stille des Waldes. Im Büro im Untergeschoss, um zwei Uhr nachts, wenn alle anderen schlafen. Laute Partys, Kennenlernspiele an schulinternen Fortbildungen, verordnetes WIR-Gefühl, die Überhöhung des sogenannten social proof[3] hingegen gehören nach wie vor nicht zu meinen Vorlieben – die pädagogische Kooperation, so sie als Ei des Kolumbus verkauft werden soll, inklusive.

Eigene Wege finden und gehen (lassen)

Im Film «Dead Poets Society» lässt Robin Williams alias Mister Keating ein paar seiner Internatsschüler im Innenhof im Kreis spazieren. Schon nach kurzer Zeit marschieren die Studenten im Gleichschritt, andere schauen zu. Die meisten klatschen im Rhythmus, als Keating den Marschierenden Kommandos erteilt. In der Folge macht der Lehrer die Studenten auf das Phänomen der Konformität aufmerksam: die Schwierigkeit, die eigenen Überzeugungen anderen gegenüber aufrechtzuerhalten: «Die Blicke von einigen hier verraten, dass Sie denken, Sie wären nicht mitmarschiert. Aber dann fragen Sie sich mal, warum Sie mitgeklatscht haben!»[4] Daraufhin stellt er ihnen die ungewöhnliche Aufgabe, nun individuell, auf ihre Art und Weise ein paar Schritte zu tun und ihren eigenen Rhythmus zu finden. Ein einziger Schüler bleibt lässig an einer Mauer angelehnt stehen. «Mister Dalton, wollen Sie nicht mitmachen?» – «Ich mache von meinem Recht Gebrauch, nicht teilzunehmen.» – «Danke, Mister Dalton, Sie bringen es auf den Punkt!»

«Two roads diverged in a wood,
and I, I took the one less traveled by,
and that has made all the difference

Robert Frost

Wir brauchen keine idealen Lernwesen, die den (zufälligen) Launen des Zeitgeists entsprechen, sondern Schülerinnen und Schüler wie Mister Dalton. Und Lehrpersonen wie Mister Keating, der die «überfachlichen Kompetenzen» seiner Schüler nicht mit einem standardisierten Kriterienraster «abfertigt», sondern seine Schützlinge in ihrer jeweiligen Persönlichkeit stärkt und sie dazu ermutigt, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.

Wir brauchen keine idealen Lernwesen, die den (zufälligen) Launen des Zeitgeists entsprechen, sondern Schülerinnen und Schüler wie Mister Dalton. Und Lehrpersonen wie Mister Keating, der die «überfachlichen Kompetenzen» seiner Schüler nicht mit einem standardisierten Kriterienraster «abfertigt», sondern seine Schützlinge in ihrer jeweiligen Persönlichkeit stärkt und sie dazu ermutigt, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.

Ich bin sehr dafür, wenn sich Lehrerinnen und Lehrer nicht von an (leeren?) Schreibtischen erdachten Rastern täuschen lassen, zumal die Verfasser der Raster mit hoher Wahrscheinlichkeit beim fiktiven Prädikat «Ich lasse mich rasch für Modeströmungen begeistern» mit einem «in hohem Masse erfüllt» glänzen würden.

Alternativen

Meine Sicht der Dinge ist diese: Ein kurzes Feedback unmittelbar nach einer gelungenen Präsentation unter vier Augen im Gang, eine individuelle Prüfungsbesprechung während einer Stillarbeit, ein spontanes Gespräch auf einer Wanderung, eine ungeplante Diskussion nach dem regulären Unterricht sind jedem standardisierten Raster haushoch überlegen. Man erfährt und teilt Unerwartetes und eben nur vermeintlich Nebensächliches quasi en passant.

Beispiele gefällig? Eine Schülerin erzählt begeistert vom neuen Bühnenstück, welches das Junge Theater Basel demnächst aufführt, und verrät mir, wie sie Schule und ihre anspruchsvolle Schauspielerei unter einen Hut bringt. Einem Schüler, der mich um eine individuelle Prüfungsbesprechung gebeten hat, kann ich ein paar spezifische Tricks aufzeigen. Ich erfahre, wie es um die aktuelle Klassendynamik bestellt ist. Es entsteht eine spannende Diskussion um die Frage, warum denn der Klassenschnitt im Fach Deutsch tiefer liegen könne als in Englisch, schliesslich sei Deutsch doch die Muttersprache. Zwei Schülerinnen schenken mir ihr Vertrauen, indem sie erzählen, dass sie von einem Jungen gehänselt werden, und möchten wissen, was ich von ihrem Plan halte, um dagegen etwas zu tun. Ein Schüler findet es grossartig, dass er seinen Englischlehrer mit seinem britischen Humor regelmässig zum Schmunzeln bringt. Und wieder ein anderer hat die Nase gerade voll und möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden.

Statt von meinen Kolleginnen und Kollegen zu verlangen, meine Schülerinnen und Schüler im Vorfeld eines Elterngesprächs «durchzukreuzeln», bitte ich sie, mir die Lernenden aus ihrer Perspektive zu schildern. An Austauschrunden, via Sprechnachricht etc. erhalte ich so innert Kürze eine Fülle an bedeutsamen Informationen und bin bestens gerüstet für facettenreiche und hoffentlich fruchtbare Gespräche. Das Führen solcher Eltern- oder Standortgepräche nach standardisierten Kriterien aber halte ich für eine Beleidigung der Mündigkeit aller Gesprächteilnehmenden.

Anhand von Situationen, welche das unmittelbare Geschehen betreffen, halte ich die Schülerinnen und Schüler regelmässig – aber dosiert (!) – dazu an, herauszufinden, welche Fähigkeiten und Vorgehensweisen ihnen das Leben an der Sekundarschule erleichtern und welche eher nicht. Mit handfesten und einfachen Fragestellungen finden Schülerinnen und Schüler schnell heraus, was rund läuft und wo es allenfalls klemmt. Habe ich neben der Schule noch Zeit für meine Freunde und mein Hobby? Könnte ich, wenn nötig, noch einen Gang höher schalten? Wie fühle ich mich in der neuen Klasse? Mit welchen Kolleginnen kann ich so lernen, dass es mir persönlich etwas bringt? Was hat mich in letzter Zeit geärgert, worüber habe ich mich gefreut?

Es ist mir dabei ein Anliegen, dass sich die Schülerinnen und Schüler zu ausgewählten Themen auch tatsächlich Gedanken machen. Noch viel wichtiger aber ist für mich, dass sie sich an den Standortgesprächen zu denjenigen Themen äussern, die für sie auch wirklich persönlich relevant sind.

«Mir ist aufgefallen, dass ich bessere Noten schreibe, wenn ich mein Deutschheft regelmässig nachführe. So repetiere ich den Stoff und muss gar nicht mehr viel lernen.» Oder: «Nun gut, mein Lesejournal ist nicht immer vollständig. An den Lektüreprüfungen habe ich aber stets eine 5 oder mehr. Ich profitiere vor allem im Unterricht, das ist spannender und ich habe erst noch mehr Zeit für die Schauspielerei.» Und eine Schülerin, der ich einst mitteilte, dass ihre Hefte zwar wahrhaftige Kunstwerke seien, sie ihre Zeit für die aufwändige Gestaltung doch sicher auch anderweitig einsetzen könnte, sagte mir: «Wissen Sie, ich bin gerne kreativ. Wenn ich ein Heft gestalte, vergesse ich die Zeit, ein tolles Gefühl.» Wer arbeitet denn nun «zielgerichtet», wer erreicht das Lernziel und wer hat recht? Die Antwort ist simpel: alle!

Wir sollten nie aus den Augen verlieren, dass Kinder und Jugendliche mehr (und komplexer) sind als die Summe von Kreuzchen in worthülsenverdächtigen, vorgefertigten Rastern.

Wir sollten nie aus den Augen verlieren, dass Kinder und Jugendliche mehr (und komplexer) sind als die Summe von Kreuzchen in worthülsenverdächtigen, vorgefertigten Rastern. Wenn wir daran nicht glauben würden, hätten wir dann den Lehrberuf ergriffen? Richtigerweise wird die Bedeutung der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden immer wieder hervorgehoben. Wie sollten wir diesem Paradigma gerecht werden können, wenn wir die uns Anvertrauten in ein letztendlich banalisierendes Schema pressen? Nein, auf rigide Kästchenpädagogik und aufgeblasene Prädikatenbalkendiagramme können wir getrost verzichten.

Das sieht im Übrigen auch die eingangs erwähnte Schwiegermutter so. Als sie die Türe öffnet und Mary zum ersten Mal erblickt, sagt sie überrascht:

«Mary! Good Lord you’re pretty!»

«Oh no, it’s just … I’ve got a lot of Mascara and lipstick on.»

“Let’s have a look. Ah, yes. Good!

Philipp Loretz

 

[1] «About time», Strandszene, https://www.youtube.com/watch?v=DNXGUn0Yrb8

[1] Verhaltensmerkmale Sekundarstufe I, AVK Solothurn

[1] Sherlock Holmes in «Die Originale – Fall 7: Der Vampir von Sussex» auf Spotify

[2] Susan Cain, TED Talk «The Power of Introverts», https://www.ted.com/talks/susan_cain_the_power_of_introverts

[3] Soziale Bewährtheit: Der Ausdruck «social proof» wurde ursprünglich von Robert Cialdini in seinem 1984 erschienenen Buch «Influence. The Psychology of Persuasion» geprägt (deutsche Ausgabe S. 163 ff.). Die deutschen Buchausgaben verwenden hier die etwas sperrige Übersetzung soziale Bewährtheit: «… die Menge besitzt Beweiskraft. Dieses Prinzip besagt, dass das Verhalten der Menschen weitgehend von dem Verhalten anderer um sie herum geprägt ist, insbesondere vom Verhalten derer, mit denen sie sich identifizieren.» (Martin, Goldstein, Cialdini S. 22), https://vernunftpraxis.de/was-ist-sozialer-beweis/

[4] Der Club der toten Dichter, 1989
https://www.youtube.com/watch?v=REtaUSQ0i1Q
https://www.youtube.com/watch?v=nJ_htuCMCqM

 

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