Üben - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sun, 21 Apr 2024 16:31:20 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Üben - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Swjatoslaw Teofilowitsch Richter über das Üben https://condorcet.ch/2024/04/swjatoslaw-teofilowitsch-richter-ueber-das-ueben/ https://condorcet.ch/2024/04/swjatoslaw-teofilowitsch-richter-ueber-das-ueben/#comments Sun, 21 Apr 2024 16:13:05 +0000 https://condorcet.ch/?p=16554

Mit Svatoslav Richter möchten wir der Intrinsic-Expertin und Musikpädagogin Regula Schwarzenbach antworten. Sie meinte kürzlich (https://condorcet.ch/2024/03/intrinsic-eine-wahre-fundgrube/) ihre Schüler entwickeln ihr Können mit intrinsischer Motivation, Partizipation und Improvisation.

The post Swjatoslaw Teofilowitsch Richter über das Üben first appeared on Condorcet.

]]>
Swjatoslaw Teofilowitsch Richter, russischer Klavierspieler 1915 – 1997: Ich muss jeden Tag üben

Swjatoslaw Teofilowitsch Richter (1915 – 1997) war ein begnadeter russischer Pianist und ab 1960 ein Weltstar. Über seine Magie des Klavierspiels sagte er:

“Ich muss jeden Tag üben. Wenn ich es einen Tag lang nicht tue, merke ich es. Wenn ich es zwei Tage lang nicht tue, merken es meine Orchestermusiker und wenn ich es eine Woche lang nicht tue, laufen mir die Zuhörer davon.”

The post Swjatoslaw Teofilowitsch Richter über das Üben first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2024/04/swjatoslaw-teofilowitsch-richter-ueber-das-ueben/feed/ 3
Das Unbehagen am Lesen steigt. Schule muss aktiv werden https://condorcet.ch/2024/04/das-unbehagen-am-lesen-steigt-schule-muss-aktiv-werden/ https://condorcet.ch/2024/04/das-unbehagen-am-lesen-steigt-schule-muss-aktiv-werden/#comments Sat, 06 Apr 2024 15:28:43 +0000 https://condorcet.ch/?p=16431 Ein Viertel aller 15-Jährigen kann nur ungenügend lesen. Nicht dass die Jugendlichen Analphabeten wären: Das Kernproblem mangelnder Lesekompetenz liegt beim Verstehen.

The post Das Unbehagen am Lesen steigt. Schule muss aktiv werden first appeared on Condorcet.

]]>
25 Prozent der 15-Jährigen in der Schweiz können nur ungenügend lesen, das diagnostiziert die Pisa-Studie 2022. Jeder vierte Schulabsolvent ist nach neun Schuljahren nicht imstande, einem einfachen Text alltagsrelevante Informationen zu entnehmen. Konkret: Er vermag das Geschriebene zwar zu entziffern, versteht aber das Gelesene im Gesamtkontext nicht. Das ist besorgniserregend. Lesen bleibt der Schlüssel fürs Lernen und für die Teilhabe an der Welt – und an unserer Demokratie.

Condorcet-Autor Carl Bossard: Gefordert ist ein intensives, kontinuierliches Training

Neue Sprachbarrieren

Das Kernproblem mangelnder Lesekompetenz liegt beim Verstehen. Warum? Konzentrierte Lektüre wird seltener, das intensive Lesen nimmt ab. Usanz ist heute das Lesen von Whatsapp-Nachrichten und das flüchtige Scannen von Kurztexten. Das gehört zum Leben junger Leute, ebenso Social-Media-Kanäle wie Tiktok. Der Lesemodus liegt im Überfliegen von Texten und im Gebrauch von Tablets oder Smartphones. Dabei können Alerts die Lektüre jederzeit unterbrechen.

Dass vieles so leicht zu haben ist, zeitigt Folgen. Wer kurze Wege gewohnt ist, reagiert unwirsch auf längere, oder anders gesagt: Die Welt der nicht alltäglichen Sprache, des differenzierenden Diskurses ist für manche Schülerinnen und Schüler darum eine unvertraute Gegend geworden. Nicht alltägliche Texte lesen und den Sinn verstehen wird für sie zur Schwerarbeit, die Aufgabe einer nuancierten Versprachlichung zur subjektiven Zumutung. So öffnen sich neue Sprachbarrieren. Das Unbehagen am Lesen steigt.

Umso mehr müsste die Schule hier Gegensteuer geben und die jungen Menschen aus ihren Eigenwelten mit den Fast-Food-Informationen herausholen. Sie müsste ihnen als Brückenbauerin andere (Lese-)Welten einsichtig machen und sie darin trainieren. Mit bewusst gewähltem Anspruch. Gefordert ist ein intensives, kontinuierliches Training in wohldosierten sprachlichen Fremdheiten – die Lehrerin als Fremdenführerin! Die Freude am Lesen kommt mit dem Können. Es ist eine Überbrückungsarbeit zwischen den Schülerhorizonten und dem elementaren Bildungsauftrag der Schule. Hier liegt eine ihrer ganz wichtigen Aufgaben. Auch demokratiepolitisch. Lesekompetenzen und Formen des Lesens sind keine Relikte eines analogen Zeitalters.

Das bedeutet für Lehrpersonen einen spürbaren Zuwachs an Anstrengung, bleibt aber als Aufgabe und didaktische Pflicht.

Nicht Zusätzliches an Inhalten wäre gefordert, sondern Kontrastives, eine Art Gegenhalten im Verhältnis der Schülerinnen und Schüler zu formaler Sprache und Diskursivität. Das bedeutet für Lehrpersonen einen spürbaren Zuwachs an Anstrengung, bleibt aber als Aufgabe und didaktische Pflicht. Sie geht weit über das reine Entziffern von Texten hinaus. Es ist ein bewusstes Hinführen zum Erkennen und Verstehen.

Es ist eine einfache Proportionenrechnung: Wenn die Aufgabenfülle steigt und die Inhalte zunehmen, reduziert sich die Übungszeit. Beides lässt sich nicht gleichzeitig maximieren.

Es fehlt die Zeit

Dieser Auftrag braucht Zeit. Doch sie fehlt. An der Schule muss zu vieles gleichzeitig erarbeitet werden: Deutsch, Frühenglisch, Frühfranzösisch, die ganze Integration und anderes mehr. Es ist eine einfache Proportionenrechnung: Wenn die Aufgabenfülle steigt und die Inhalte zunehmen, reduziert sich die Übungszeit. Beides lässt sich nicht gleichzeitig maximieren. Die Lehrpersonen kommen mit den Schülerinnen und Schülern deutlich weniger zum Üben. Auch flüssiges und verstehendes Lesen will automatisiert sein. Aus der Gedächtnispsychologie wissen wir: Je stärker wir eine Grundfertigkeit im täglichen Leben brauchen, desto intensiver müssen wir sie trainieren. Das gilt auch für die grundlegende Kulturtechnik des Lesens.

Konzentriertes Lesen oder «Deep Reading», wie es die Leseforschung nennt, muss geduldig gelehrt, intensiv und auch gemeinsam geübt und reflektiert werden.

Konzentriertes Lesen oder «Deep Reading», wie es die Leseforschung nennt, muss geduldig gelehrt, intensiv und auch gemeinsam geübt und reflektiert werden. Aus Sicht der Wissenschaft zuerst mit analogen und erst dann mit digitalen Medien. Dazu schreibt Klaus Zierer, Erziehungswissenschafter und Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg: «Wir brauchen eine Renaissance der Lektüre, eine Renaissance des Leseunterrichts, und zwar im Kern des Curriculums, mit Lektürestunden in jeder Schulart und in jedem Schulfach.» Es ist das alte Postulat: «Get the fundamentals right, the rest will follow.» Auf die guten Grundlagen kommt es an.

Carl Bossard ist ehemaliger Direktor der Kantonsschule Luzern und Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug.

In: NZZ 05. April 2024, S. 18.

 

The post Das Unbehagen am Lesen steigt. Schule muss aktiv werden first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2024/04/das-unbehagen-am-lesen-steigt-schule-muss-aktiv-werden/feed/ 3
Funktioniert «Kognitive Aktivierung» bei uns? https://condorcet.ch/2024/01/funktioniert-kognitive-aktivierung-bei-uns/ https://condorcet.ch/2024/01/funktioniert-kognitive-aktivierung-bei-uns/#comments Fri, 26 Jan 2024 09:14:41 +0000 https://condorcet.ch/?p=15773

Condorcet-Autor Felix Schmutz reagiert auf den Artikel "Von Japan lernen" (https://condorcet.ch/2024/01/von-japan-lernen-matheunterricht-der-zum-denken-anregt/#comment-1344) und erklärt uns, was es mit dem neuen Zauberbegriff "Kognitive Aktivierung" auf sich hat.

The post Funktioniert «Kognitive Aktivierung» bei uns? first appeared on Condorcet.

]]>

Der Artikel «Von Japan lernen» weist zu Recht darauf hin, dass organisatorische Formen wie gemeinschaftlicher Unterricht (als Frontalunterricht verunglimpft) oder SOL (als schülerzentrierter Unterricht vergoldet) an und für sich nichts über die kognitive Lerntätigkeit der Klasse aussagen. Allerdings wird dann die Hoffnung geschürt, die Kognition könne durch ein paar Tricks angeregt werden: Anregende Fragestellung, Lösungsansätze diskutieren, Vorwissen einbeziehen, Zusammenhänge herstellen, zu Kooperation anregen, etc. Das ist alles nicht neu und nicht falsch, sondern wird in der Fachdidaktik seit je gelehrt. Z.B hat sich das Math.buch einen solchen Ansatz auf die Fahne geschrieben. Neu ist lediglich der aus der psychologischen Lernforschung stammende Begriff «kognitive Aktivierung», unter dem die längst bekannten methodischen Verfahren nunmehr präsentiert werden. Ein Fall von «altem Wein in neuen Schläuchen».

Felix Schmutz, Baselland: Aufbau des Grundwissens und das beharrliche Üben der Grundfertigkeiten.

Entscheidend für Lehrpersonen ist das, was im Vergleich zu asiatischen Ländern in unseren Schulen anders ist. Der Artikel erwähnt wohl den Aufbau des Grundwissens und das beharrliche Üben der Grundfertigkeiten, das bei uns seit einiger Zeit verpönt ist, z.B das Einüben der Grundrechenarten (Warum, wenn man es am Handy ablesen kann?) oder das Vokabellernen (Warum, wenn man sich im mehrsprachigen Bad irgendwie sonst verständlich machen kann?) oder Sachwissen (Warum, wenn man alles googeln kann und das Wissen ohnehin schnell veraltet?). Kognitive Aktivierung würde Grundwissen und Grundfertigkeiten voraussetzen.

Nicht eingegangen wird auf einen entscheidenden kulturellen Unterschied. Im Band 2 zum Thema «Wirksamer Unterricht» findet sich ein Forschungsbericht von Benjamin Fauth und Timo Leuders unter dem Titel «Kognitive Aktivierung im Unterricht».

Seite 5 enthält einen Abschnitt mit einem entscheidenden «ABER», das die Wirksamkeit der oben erwähnten methodischen Verfahren ebenso einschränkt wie das fehlende Üben und das mangelhafte Sachwissen:

 

«Lehrkräfte können Lernenden Unterricht anbieten, der kognitive Aktivität anregt. Ob dieses Angebot von den Lernenden genutzt wird und sie kognitiv aktiv werden, hängt jedoch von diversen Faktoren ab. Unterricht kann also immer nur ‘Potenzial zur kognitiven Aktivierung’ bieten.»

Genau da liegt die Krux: Unterricht kann auf vielfältige Weise kognitiv anregend sein, die Lernenden müssen jedoch auch bereit und willens sein, sich darauf einzulassen. Sie müssen «Anstrengungsbereitschaft» zeigen, auch wenn es angenehmer wäre, auf Tik Tok zu surfen oder im Internet zu gamen oder während der schulischen Projektwoche für ein Stündchen hinter dem nächsten Hauseingang zu verschwinden und einen Glimmstängel zur Brust zu nehmen. Dazu müsste in der Gesellschaft eine entsprechende Einstellung vorherrschen, die den Verzicht auf ständige Gratifikation durch oberflächlichen Konsum als wünschenswerte Eigenschaft propagiert. Diese Voraussetzung ist aber momentan in unserer Gesellschaft nicht erfüllt.

Benjamin Fauth • Timo Leuders, Kognitive Aktivierung im Unterricht, S.5

file:///C:/Users/7984.190/Downloads/Wirksamer%20Unterricht%20-%20Band%202_Kognitive%20Aktivierung.pdf,

 

The post Funktioniert «Kognitive Aktivierung» bei uns? first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2024/01/funktioniert-kognitive-aktivierung-bei-uns/feed/ 1
Von Japan lernen: Matheunterricht, der zum Denken anregt https://condorcet.ch/2024/01/von-japan-lernen-matheunterricht-der-zum-denken-anregt/ https://condorcet.ch/2024/01/von-japan-lernen-matheunterricht-der-zum-denken-anregt/#comments Wed, 24 Jan 2024 08:18:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=15760

Im Dezember hat die neue PISA-Studie bestätigt, was viele schon haben kommen sehen: die schlechtesten Ergebnisse aller Zeiten für Deutschland, ein dramatischer Absturz seit 2018 – wie in vielen anderen Ländern auch. Nicht so in Japan; dort sind die Leistungen in Mathematik gestiegen. Seit Jahren belegt das Land Spitzenplätze in den Rankings. Das Schulportal hat sich den Matheunterricht in Japan genauer angesehen – mit überraschenden Befunden. Alexander Brand berichtet.

The post Von Japan lernen: Matheunterricht, der zum Denken anregt first appeared on Condorcet.

]]>

Betritt man zum ersten Mal ein japanisches Klassenzimmer, scheinen sich alle Vorurteile über Unterricht in Asien zu bestätigen. Die Schülerinnen und Schüler sitzen getrennt an Einzeltischen und blicken nach vorne. Alle tragen die gleiche Uniform: ein weißes Hemd mit Krawatte, dunkelblauen Blazer und graue Hose oder Rock. Die Haare sind bei den Jungen kurz, bei den Mädchen stets im Pferdeschwanz gebunden. Der Mathelehrer steht vorn an der langen Kreidetafel und referiert.

Alexander Brand, Redakteur Schulportal

Drill, Druck und Nachhilfe – so erklären sich hierzulande viele den PISA-Erfolg von Ländern wie Japan. Diese Klischees kommen nicht von ungefähr. Ein Großteil der japanischen Schülerinnen und Schüler nimmt private Nachhilfe, um sich auf die Aufnahmeprüfung für die Universität vorzubereiten. Diese stressige Zeit beginnt meist im letzten Jahr der Junior High School, also in der neunten Klasse.

Doch die Schuljahre bis dahin sind von deutlich weniger Prüfungsdruck und Nachhilfe geprägt. Die Kinder lernen gemeinsam und ohne frühe Selektion wie in Deutschland. Die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler, die an PISA teilnehmen, haben damit den größten Teil ihrer Schulzeit in einem System ohne besagten Druck und außerschulische Nachhilfe verbracht. Diese Faktoren allein können das gute Abschneiden also nicht erklären.

Entscheidend ist der zweite Blick: Nach zehn Minuten hat der Lehrer seine Einführung zur Wahrscheinlichkeitsberechnung beendet, die Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe sollen mehrstufige Baumdiagramme zeichnen. Zuerst versuchen sie sich allein an den Aufgaben. Und dann, ohne dass der Lehrer ein Zeichen gibt, stehen die Jugendlichen allmählich auf und suchen sich eine Kleingruppe, um ihre Ideen zu besprechen. Es wirkt wuselig, es wird gelacht. Später stellen verschiedene Schülergruppen ihre Lösungswege an der Tafel vor. Der Mathelehrer moderiert die Diskussion.

Japanische Mittelstufenschüler knobeln an einer Matheaufgabe (Bild:
© Alexander Brand)

Greifen die gängigen Stereotypen zu asiatischem Matheunterricht vielleicht doch zu kurz?

Anderer Unterricht, bessere PISA-Ergebnisse?

Was viele nicht wissen: Neben den Leistungen von 15-Jährigen erfasst die PISA-Studie auch bestimmte Unterrichtsmerkmale. Als PISA im Jahr 2012 das letzte Mal einen Schwerpunkt auf Mathematik legte, sollten die teilnehmenden Jugendlichen auch angeben, welche Unterrichtsstrategien sie erlebt hatten.

Mit mehreren Items fragte die Studie ab, wie oft die Jugendlichen einen lehrergesteuerten Unterricht, einen schülerorientierten Unterricht oder einen kognitiv aktivierenden Unterricht wahrgenommen haben. Welche Unterrichtsstrategien erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine Mathematikaufgabe richtig zu lösen? Wo besteht ein negativer Zusammenhang? Ein Forschungsteam der OECD hat diese statistischen Zusammenhänge für jedes Land untersucht und zusammengefasst. Untersucht wurde auch, ob bestimmte Unterrichtsansätze bei schweren oder leichten Matheaufgaben besser funktionieren.

Wie PISA diese Unterrichtsstrategien definiert

Lehrergesteuerter Unterricht

Die Lehrkraft …

  • gibt vor, was gelernt werden soll,
  • setzt klare Ziele,
  • fasst die letzte Unterrichtsstunde kurz zusammen,
  • stellt Fragen, um zu überprüfen, ob das Gelernte verstanden wurde.
Schülerorientierter Unterricht

Die Lehrkraft …

  • stellt unterschiedliche Aufgaben für Lernende mit unterschiedlichem Leistungsniveau,
  • sieht Projekte vor, die mindestens eine Woche dauern,
  • lässt die Lernenden in kleinen Gruppen arbeiten,
  • fordert Lernende auf, sich an der Planung des Unterrichts zu beteiligen.
Kognitive Aktivierung

Die Lehrkraft …

  • stellt Aufgaben, die auf verschiedene Weise gelöst werden können,
  • stellt Aufgaben, bei denen die Lernenden das Gelernte in neuen Situationen anwenden müssen,
  • fordert die Lernenden auf, über ihre eigenen Lösungswege zu entscheiden,
  • fordert die Lernenden auf zu erklären, wie sie ein Problem gelöst haben,
  • stellt Fragen, die zum Nachdenken über ein Problem anregen.

 

Die Ergebnisse überraschen. Auf allen Schwierigkeitsstufen besteht ein negativer Zusammenhang zwischen schülerorientiertem Unterricht und dem erfolgreichen Lösen von Mathematikaufgaben. Je schülerorientierter der Unterricht war – zumindest im Sinne der PISA-Definition –, desto schlechter waren die Leistungen. Bei lehrergesteuertem Unterricht sind die Ergebnisse gemischt: Bei einfachen Aufgaben ist der Zusammenhang leicht positiv, bei mittelschweren und schweren Aufgaben wird er leicht negativ. Nur bei der kognitiven Aktivierung besteht unabhängig vom Schwierigkeitsgrad ein positiver Zusammenhang.

 

 

Dass lehrergesteuerter Unterricht den PISA-Erfolg besser vorhersagt als schülerorientierter Unterricht, bezeichnet PISA-Studienleiter Andreas Schleicher als „eines der am meisten diskutierten Ergebnisse von PISA“. Manche würden es für einen statistischen Zufall halten, so Schleicher, es sei aber ein stabiles Ergebnis. Es liege auch nicht daran, dass lehrergesteuerter Unterricht häufiger in den ostasiatischen Ländern anzutreffen sei, die aus anderen Gründen bei PISA gut abschneiden; das Muster gebe es in Ost und West.

Schleicher widerspricht auch dem Argument, dass lehrergesteuerter Unterricht nur gut auf Tests vorbereite, in denen es um das Abrufen von auswendig Gelerntem gehe. Bei PISA müssten die Schülerinnen und Schüler über Fächergrenzen hinweg denken und ihr Wissen kreativ in neuen Situationen anwenden. Er schreibt: „Vielleicht ist es an der Zeit, damit aufzuhören, den lehrergesteuerten und schülerorientierten Unterricht gegeneinander auszuspielen und zu behaupten, der eine sei altmodisch und erdrückend, der andere zukunftsorientiert und förderlich.“ Beide Ansätze hätten eindeutig ihre Berechtigung.

Vielleicht ist es an der Zeit, damit aufzuhören, den lehrergesteuerten und schülerorientierten Unterricht gegeneinander auszuspielen und zu behaupten, der eine sei altmodisch und erdrückend, der andere zukunftsorientiert und förderlich.

Andreas Schleicher (aus dem Englischen übersetzt)

Die kognitive Aktivierung im Unterricht ist entscheidend

Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt aber auch: Wenn es darum geht, bei den mittelschweren und schweren Mathematikaufgaben zu punkten, reicht weder ein lehrergesteuerter noch ein schülerorientierter Unterricht aus. In der Bildungsforschung werden diese Strategien den sogenannten Oberflächenstrukturen von Unterricht zugeordnet – sie sind leicht zu beobachten, aber kaum wirksam für den Lernerfolg. Viel wichtiger sind die Tiefenstrukturen: Was passiert in den Köpfen der Kinder? Unterstützt die Lehrkraft ausreichend? Gibt es ein förderliches Lernklima? Gerade der Punkt der kognitiven Aktivierung scheint zentral zu sein. Sie ist umso wichtiger, je anspruchsvoller die PISA-Aufgabe ist.

Werden im Mathematikunterricht also Aufgaben behandelt, die zum Nachdenken anregen und nicht nach Schema F gelöst werden können? Um solche Fragen zu untersuchen, wurden für die 2020 erschienene TALIS-Videostudie zahlreiche Mathestunden der achten Klasse gefilmt und ausgewertet. Neben Deutschland waren Japan, China, England, Spanien, Chile, Kolumbien und Mexiko beteiligt.

Wie misst die TALIS-Videostudie kognitive Aktivierung im Unterricht?

Die Videostudie beurteilt die kognitive Aktivierung im Unterricht nach sechs Kriterien.

  • Denkweise der Schülerinnen und Schüler ergründen: Vielzahl an Schülerbeiträgen ist sichtbar, Lehrkraft regt zu detaillierten Antworten an
  • Anspruchsvolle Fragen: Fragen zielen auf Begründungen, Zusammenführungen, Analysen oder Vermutungen ab
  • Explizite Verknüpfungen: Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aspekten der Mathematik werden hergestellt
  • Mehrere Lösungswege: Lernende nutzen mehrere Lösungsstrategien und Begründungen
  • Mathematisches Verständnis: Lernende erklären, warum ein Verfahren funktioniert oder was dessen Ziele oder Merkmale sind
  • Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Inhalten: Aufgaben erfordern ein tieferes analytisches, beurteilendes oder kreatives Denken

 

Für Deutschland sind die Ergebnisse ernüchternd. Japan hingegen liegt bei der kognitiven Aktivierung auch im internationalen Vergleich an der Spitze.

  • In Deutschland wurden nur 12 Prozent der Klassen im Unterricht häufig mit herausfordernden Aufgaben konfrontiert. In Japan war es fast jede zweite Klasse (46 Prozent).
  • Knapp jede vierte Klasse in Deutschland (24 Prozent) wurde überhaupt nicht mit herausfordernden Aufgaben konfrontiert. In Japan war dies in nahezu keiner Klasse der Fall.
  • In Japan ging jede zweite Erklärung der Lehrkraft auf tiefere mathematische Inhalte ein (55 Prozent), in Deutschland nur knapp jede fünfte Erklärung (18 Prozent).

Da es sich bei der deutschen Stichprobe überwiegend um Gymnasien handelt, ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse für Deutschland sogar nach oben verzerrt sind.

Strukturiertes Problemlösen

Solche Befunde sind nicht neu. Bereits in den 90er-Jahren, als im Rahmen der TIMSS-Studie die erste internationale Videostudie zum Mathematikunterricht veröffentlicht wurde, zeichnete sich ein ähnliches Bild ab. Während in Japan in 42 Prozent der Mathestunden verschiedene Lösungswege der Schülerinnen und Schüler diskutiert wurden, waren es in Deutschland nur 14 Prozent.

Die Bildungsforscher James Stigler und James Hiebert analysierten damals die gefilmten Unterrichtsszenen. Dabei fiel ihnen ein typisches Muster für den kognitiv aktivierenden Unterricht in Japan auf: Zuerst fasst die Lehrkraft das Ergebnis der letzten Stunde zusammen. Dann stellt sie ein Problem vor, das die Grundlage der Stunde bildet. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten zunächst allein, dann in Kleingruppen an einer Lösung. Die verschiedenen Lösungen werden anschließend im Plenum vorgestellt und diskutiert. Dabei kommentiert und verknüpft die Lehrkraft die Ideen und fasst am Ende die wichtigsten Punkte zusammen. Stigler und Hiebert bezeichnen diesen Unterrichtsansatz als „strukturiertes Problemlösen“.

Kooperatives Lernen statt Individualisierung

Solche Ansätze sind auch knapp 30 Jahre nach der ersten Videostudie präsent, so beschreibt es ein Mathelehrer für die Oberstufe. „Natürlich haben die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Leistungsniveaus“, sagt er. „Aber ein und dieselbe Frage kann einen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad haben.“ In der Fachdidaktik nennt man solche Aufgaben selbstdifferenzierend. Und nicht jedes Kind müsse alle vorgestellten Lösungswege nachvollziehen können, so der Oberstufenlehrer.

Dieses Prinzip erkannten Stigler und Hiebert auch in den Unterrichtsvideos: Während im Westen die Lehrkräfte den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern einfache Aufgaben stellten, würden die japanischen Lehrkräfte die Heterogenität in der Klasse als Ressource sehen. Denn gerade die Vielfalt an Lösungsansätzen, die man in einer heterogenen Klasse erhält, ermögliche es den Lernenden, diese zu vergleichen und Verbindungen zwischen ihnen herzustellen. Mit anderen Worten: Lehrkräfte in Japan begegneten der Heterogenität im Klassenzimmer mit kooperativem statt individualisiertem Lernen. 

Natürlich haben die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Leistungsniveaus, aber ein und dieselbe Frage kann einen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad haben.

Mathematiklehrer aus Japan

 

Drill und Problemlösen – wie passt das zusammen?

Wie passt das zu der landläufigen Meinung, Unterricht in Asien bestehe aus Drill und Auswendiglernen? Die Antwort des Mathelehrers: Das Problemlösen ist immer erst der zweite Schritt. Zuerst müssten die Grundlagen erklärt und eingeübt werden – und ja, das bedeute auch, dass die Schülerinnen und Schüler viele Formeln verinnerlicht haben müssen. Auch das konnten Stigler und Hiebert in den Videos von damals beobachten.

Aber diese Formeln seien wie Werkzeuge, sagt der Lehrer. Sie würden kombiniert, um neue Formeln abzuleiten und neue, anspruchsvolle Probleme zu lösen. Erst dann beginne die Mathematik. Das sei ein bisschen wie Vokabeln in einer Fremdsprache. Man muss sie auswendig können, aber dann auch richtig kombinieren.

Jeden Tag ein zehnminütiges Zeitfenster für einen “Rechen-Drill”

Auch ein solides Vorwissen ist wichtig. In der Grundschule gibt es jeden Tag ein zehnminütiges Zeitfenster für einen „Rechen-Drill“. Alle Klassen bekommen ein DIN-A3-Blatt mit 100 einfachen Rechenaufgaben – plus, minus, mal, geteilt. Die Lehrerin steht vorne und stoppt die Zeit, während die Kinder eifrig ihre Antworten aufschreiben. Nach fünf Minuten sind alle fertig, dann wird fünf Minuten lang im Chor korrigiert. Die Idee dahinter: Wenn diese Grundlagen automatisiert werden, schafft das im Gehirn Kapazität für komplexere Aufgaben.

Es fällt schwer, den japanischen Mathematikunterricht in eine Schublade zu stecken. Obwohl die Lehrkraft den Unterricht steuert, dominieren die Denkprozesse der Lernenden. Trotz geringer Individualisierung fordert der Unterricht die Schülerinnen und Schüler auf ihrem jeweiligen Niveau heraus. Formeln müssen zwar auswendig gelernt werden, aber mehr als in Deutschland steht die Kreativität im Vordergrund.

The post Von Japan lernen: Matheunterricht, der zum Denken anregt first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2024/01/von-japan-lernen-matheunterricht-der-zum-denken-anregt/feed/ 1
Wenn private Lernstudios boomen https://condorcet.ch/2023/09/wenn-private-lernstudios-boomen/ https://condorcet.ch/2023/09/wenn-private-lernstudios-boomen/#comments Tue, 26 Sep 2023 08:17:53 +0000 https://condorcet.ch/?p=15029

Die Bildungspolitik will es nicht wahrhaben: Die öffentliche Schule hat sich zu viel zugemutet. Für manche Kinder kommt sie ihrer ureigenen Aufgabe nicht nach; sie wird ihnen schlicht nicht gerecht. Die Folge: Private springen in die Lücke. Das gefährdet die Chancengleichheit, schreibt Condorcet-Autor Carl Bossard.

The post Wenn private Lernstudios boomen first appeared on Condorcet.

]]>

Die Stimmen häufen sich: Lehrerinnen und Lehrer wie Eltern klagen über den aktuellen Zustand der Volksschule. Wie und wo der Schuh drückt – und zwar intensiv –, das zeigte sich bei einem öffentlichen Podium «Lehrerinnen- und Lehrermangel» in Schwyz.[1] Das Interesse war gross und die Debatte intensiv. In der engagierten Diskussion fielen deutliche und klare Voten: zu wenig Zeit für die elementaren Basisfächer Deutsch und Rechnen, kaum mehr Raum zum Üben und Korrigieren, zu viel Unruhe im Schulzimmer als Folge der verstärkten Integration.[2] Dazu kommen zeitraubende Koordinationsaufgaben für die Zusatzkräfte im Unterricht und viel zu viel Bürokratie wegen der vielen Vorgaben und Vorschriften. Ob Schwyz überall ist, lässt sich nicht sagen. Aber eines wurde deutlich: Muss die Schule alles tun, tut sie nichts mehr richtig: Sie entgrenzt sich inhaltlich. Der Basler Bildungsdirektor Conradin Cramer drückt es so aus: «Wenn Lehrer nicht mehr wirksam unterrichten können, ist das ein Alarmzeichen.»[3] Und die Menetekel mehren sich.

Carl Bossard,ehem. Direktor der PH-Innerschweiz: Die Schule hat sich zuviel zugemutet.

Boomende private Lerninstitute

Wer als Eltern diesen Risiken ausweichen will, sucht für seine Kinder heute nicht selten einen externen Lerncoach. Aufgabenhilfe und Zusatzunterricht boomen – vor allem in den städtischen Gebieten.[4] Auch in ländlichen Regionen wachsen die Angebote, zeitlich allerdings etwas verzögert. Das Lern- und Coachingcenter «fit4school» beispielsweise bietet schulergänzende Lernunterstützung und Nachhilfe an 27 Orten der Schweiz an. Die Nachfrage ist gross. In der Stadt Bern verdoppelten sich die Anmeldezahlen seit dem Start im April dieses Jahres im Monatstakt.

Warum dieser Boom? Lernforscherinnen und Bildungsfachleute diagnostizieren, dass selbst intelligente Kinder am Ende der Primarschule in den Grundfertigkeiten des Rechnens und Schreibens oft grosse Lücken aufweisen. Hier liegt mit ein Grund für diesen exponentiellen Anstieg schulexterner Anbieter. Und noch etwas zeigt sich: Wenn Schülerinnen und Schüler diese Grundlagen beherrschen, stehen nicht selten engagierte Eltern oder private Nachhilfeinstitute dahinter. Eine Google-Recherche zu den Stichworten «Nachhilfe, Gymi-Vorbereitung, Zürich» ergibt eine lange Liste von Angeboten – vom Schwarz- und Graumarkt für Zusatzlektionen nicht zu reden. Die Nachfrage muss gross sein, sonst gäbe es diesen Markt nicht.

Die Chancengleichheit ist gefährdet

Diese Zahlen sind öffentlich: Doch niemand aus der Bildungspolitik und der Bildungsverwaltung hält dagegen. So etwas verwundert und ärgert zugleich. Das verstösst gegen ein elementares Prinzip unserer Gesellschaft: die Chancengleichheit! Hier liegt das Problem. Es ist ein systemisches Problem. Eine solche Situation dürfte es eigentlich gar nicht geben. Die Fakten aber sprechen eine andere Sprache.

Manches ist dazu gekommen – weggenommen wurde kaum etwas. Die Folgen sind spürbar: Druck und Hektik steigen, Verweilen und Vertiefen nehmen ab; beides aber braucht es fürs Verstehen einer «Sache».

Die Schule hat sich inhaltlich entgrenzt

Manches ist dazu gekommen – weggenommen wurde kaum etwas. Die Folgen sind spürbar: Druck und Hektik steigen, Verweilen und Vertiefen nehmen ab; beides aber braucht es fürs Verstehen einer «Sache». Viele Dinge werden nur noch flüchtig gestreift. Inhalte lösen einander schnell ab. Sie prägen sich nicht tief ein, werden kaum Erfahrung und bleiben Bruchstück. Fürs notwendige Üben und Automatisieren bleibt kaum Zeit. Unfertiges wird so zum Dauerzustand.

Mit andern Worten: Zu vieles muss heute in zu kurzer Zeit erarbeitet werden – und zwar von den Kindern selber. Eigenverantwortet und selbstgesteuert. Lernschwächere und mittelmässige Schüler sind benachteiligt. Das wissen wir aus der Forschung. Das Viele reduziert die systematische Übungszeit. Um etwas ins Langzeitgedächtnis zu bringen und zu automatisieren, braucht der Mensch sechs bis acht Wiederholungen. Der Moment des Vergessens beginnt im Moment des Merkens. Wiederholen, Vertiefen und Anwenden sind für einen lernwirksamen Unterricht unabdingbar. Das gilt – so antiquiert es klingt – besonders für die Grundfertigkeiten Rechnen, Lesen und fehlerfreies, kohärentes Schreiben: Je mehr wir etwas im täglichen Leben und unter Druck brauchen, desto intensiver müssen wir es trainieren. Diese Zeit fehlt oft.

Eltern wollen nicht als Bildungsverlierer dastehen

Darum haben viele Eltern das Gefühl: Mein Kind kommt nicht voran. Es wird wohl aktiviert, doch es lernt zu wenig und das Erarbeitete bleibt an der Oberfläche. Abends müssen wir mit Nachhilfe vertiefen. Die Eltern wollen nicht als Verlierer der Bildungsreformen dastehen. Im Gegenteil: Die Kinder sollen die sozioökonomische Position ihrer Herkunft zumindest halten. Statusängste sind in erster Linie Zukunftsängste.[5] Darum erwarten sie für ihr Kind eine solide Schulbildung. Diese Erwartungssicherheit schmilzt.

Das trägt mit zum Boom privater Lerninstitute bei. Gratis sind diese Zusatzkurse und Nachhilfestunden nicht. Eltern greifen zum Teil tief in die Taschen. Doch dieses Zusätzliche können sich nicht alle leisten. Das widerspricht der Idee der gemeinsamen Volksschule und gefährdet die Chancengleichheit nicht nur unter Schülerinnen und Schülern, sondern auch unter den verschiedenen Familien.

Dazu zählt eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre des Lernens, dazu gehört intensives Üben, das setzt eine systematisch genutzte Lernzeit voraus – alles Kennzeichen einer Schule mit hoher Lernwirksamkeit.

Private Bildung als lukratives Geschäftsmodell

Das öffentliche Bildungssystem muss lernleistungsfähig bleiben. Nur das verhindert den leisen Exodus von Kindern in die Privatschule und den weiteren Anstieg schulexterner Lernhilfen. Not tut eine Rückkehr zum Eigentlichen und Wesentlichen, eine Besinnung auf den Kernauftrag der Schule. Dazu zählt eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre des Lernens, dazu gehört intensives Üben, das setzt eine systematisch genutzte Lernzeit voraus – alles Kennzeichen einer Schule mit hoher Lernwirksamkeit. Mit genau diesen Attributen aber werben private Anbieter. Und sie stossen bei vielen Eltern auf offene Ohren. Private Bildung wird heute zu einem interessanten Investitionsfeld und darum auch zu einem lukrativen Geschäftsmodell.

Die Signale ernst nehmen

Bildungspolitik und Bildungsverwaltung stehen in der Pflicht. Lange, allzu lange haben sie über die Sorgen und Nöte der Lehrpersonen im pädagogischen Alltag hinweggesehen. Boomende Lerninstitute sind ein deutliches Warnsignal. Das Portemonnaie darf nicht über die Bildung der Kinder entscheiden. Zu hoffen ist, dass die Bildungskarawane nicht einfach weiterzieht und die Stimmen der Basis negiert. Leidtragende sind die Kinder.

 

[1] «Der Zustand der Volksschule wurde stark kritisiert», in: Bote der Urschweiz, 08.09.2023, S. 8.

[2] Vgl. den aufrüttelnden Bericht: https://www.srf.ch/play/tv/reporter/video/integrative-schule—lehrpersonen-stossen-an-ihre-grenzen?urn=urn:srf:video:5c09dab8-dbfa-4ca4-ad94-23406ab704e4

[3] Sebastian Briellmann, Conradin Cramer zur integrativen Schule: «Wir müssen handeln. Und zwar schnell», in: Basler Zeitung, 19.09.2023

[4] Mirjam Comtesse, Überforderte Jugendliche. Eltern schicken ihre Kids zum Lerncoach, in: Berner Zeitung, 20.09.2023.

[5] Heinz Bude (2011), Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet. München: Carl Hanser Verlag, S. 97.

 

The post Wenn private Lernstudios boomen first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/09/wenn-private-lernstudios-boomen/feed/ 3
Eine alljährlich wiederkehrende Diskussion neben der Spur https://condorcet.ch/2023/04/eine-alljaehrlich-wiederkehrende-diskussion-neben-der-spur/ https://condorcet.ch/2023/04/eine-alljaehrlich-wiederkehrende-diskussion-neben-der-spur/#comments Tue, 11 Apr 2023 05:31:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=13668

Ähnlich wie die Forderung, doch jetzt endlich die Noten in der Schule abzuschaffen, gelingt es dem Begehren nach Abschaffung der Hausaufgaben regelmässig, in die Medienlandschaft zu gelangen. Auffallend dabei, mit wie wenig Kenntnis über dieses Thema gestritten wird. Condorcet-Autor Alain Pichard über ein Ritual, das an Öde kaum zu überbieten ist.

The post Eine alljährlich wiederkehrende Diskussion neben der Spur first appeared on Condorcet.

]]>
Nicht der Weisheit letzter Schluss.

Den diesjährigen Reigen zur Abschaffung der Hausaufgaben eröffnete Andreas Niklaus, Rektor der Kantonsschule Zürich Nord – mit 2200 Schülerinnen und Schülern eines der grössten Schweizer Gymnasien. Er mache sich Sorgen, der Stoffdruck, die Erwartungen der Eltern, der Lehrer, ja auch die der Jugendlichen erzeuge Stress. Er fordere deshalb, die Hausaufgaben abzuschaffen. In unserem nördlichen Nachbarland doppelte die Linke-Vorsitzende Janine Wissler nach und verlangte fast zeitgleich die Abschaffung der Hausaufgaben. Sie argumentiert vor allem mit der fehlenden Chancengleichheit und der Tatsache, dass viele Eltern aus bildungsfernen Schichten mit den Hausaufgaben überfordert seien. Und prompt ist damit eine Diskussion lanciert, die auch die Gegner auf den Plan ruft. Dort sieht man eine Leistungskultur am Zerfallen und warnt vor der immer weiter sinkenden Bildungsqualität.

Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission

Erstaunlich an der ganzen Debatte ist, dass sich niemand fragt, was denn eigentlich Hausaufgaben sind.

Hierzu eine kleine Übersicht: 80% der Hausaufgaben sind Übungsaufgaben. In der Kette eines Lernprozesses ist das Glied des Übens ein entscheidendes Kettenglied. Findet das Üben nicht oder unter ungünstigen Bedingungen statt, dann ist der Lernerfolg gefährdet. Und weil die Lernverhältnisse in den Elternhäusern sehr verschieden sind, ist die Wirkung von Hausaufgaben diesbezüglich problematisch. Das haben wir aber an den Schulen längst erkannt. Deshalb gibt es in vielen Schulen sogenannte SOL-Lektionen, (SOL = Selbstorganisiertes Lernen), ILF (individuelle Lernförderung) oder betreute Mittagstische, in welchen die Schüler im Beisein einer Lehrkraft u. a. genau solche Übungsaufgaben lösen können. Die Lehrkräfte an unserer Schule müssen zwei solche Lektionen übernehmen, werden aber nur für eine bezahlt, weil dieser «Hütedienst» keine Vor- und Nachbereitung abverlangt.

Neben den Übungsaufgaben gibt es die sogenannten Lernaufträge. Der Französischlehrer kündigt einen Test an, in welchem die Passé composé-Formen abgefragt werden. Hier helfen die neuen Medien mit einfachen Apps, welche die Schüler auf ihrem Handy abrufen können (Quizlet). Aber auch Physikproben oder Geschichtsteste wollen gelernt sein. Interessant ist, dass genau diese Art Hausaufgaben in den Reglementen wohlweislich von allen Regulierungen ausgenommen sind. Der Grund liegt  auf der Hand. Die Grundkompetenzen im Fach Mathematik verlangen die Beherrschung der vier Grundoperationen im Bruchrechnen. Nicht alle Schüler schaffen dies ohne Weiteres. Einige müssen mehr lernen als ihre Kameraden, welche die Regeln schneller erfassen. Eine der vielen Kränkungen, die uns das Leben beschert. Ich musste im Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium stundenlang den Kosinussatz lernen, bis ich ihn begriff. Mein Freund und Mathegenie David hatte dies jeweils in Sekundenschnelle im Griff. Nicht selten kommen Schüler zu mir und bitten um sogenannte Zusatzaufgaben, mit denen sie für den bevorstehenden Test lernen können. Auch hier stehen uns gute Übungsaufgaben sowohl in Digitalform oder auf Papier zur Verfügung.

Projektaufträge können auch zu einer Bereicherung der Freizeitgestaltung führen.

Und schliesslich gibt es noch die Projektaufträge, wie zum Beispiel die Präsentation eines Buches, das Porträt eines Landes, die Planung und Durchführung eines Chemieexperiments. Sie sind bei den Schülerinnen durchaus beliebt, weil sie stark auf dem Erkunden ausgerichtet sind. Ich wage zu behaupten, dass diese Art «Hausaufgaben» durchaus zu einer Bereicherung der Freizeitgestaltung führen können.

Als Lehrer mit 44-jähriger Unterrichtspraxis weiss ich natürlich, dass es auch blödsinnige Aufgaben gibt.

Als Lehrer mit 44-jähriger Unterrichtspraxis weiss ich natürlich, dass es auch blödsinnige Aufgaben gibt. Es ist belegt, dass leider immer noch die meisten Hausaufgaben in den letzten paar Minuten einer Lektion erteilt werden, also schlecht in den Unterricht integriert sind. Es handelt sich dabei oft um «Fertigstellungsaufgaben». Und eine Tatsache ist auch, dass die Ergebnisse der Hausaufgaben in der Regel eher unzulänglich im Unterricht behandelt werden. Hausaufgaben als Strafe soll es immer noch geben.

Aber sind diese Mängel ein Grund, Hausaufgaben abzuschaffen? Sicher nicht! Und sind Hausaufgaben mit der Chancengleichheit unvereinbar? Das ist ein ausgekochter Blödsinn. Gerade die Hausaufgaben erlauben es den weniger talentierten Schülern, die Grundkompetenzen in einem Fach zu erfüllen und die Ziele mit Fleiss zu erreichen.

Es gab und gibt immer wieder Versuche, die Hausaufgaben zu regulieren. So wollte man der drohenden Überforderung der Schüler beispielsweise mit einem Zeitrahmen beikommen. Maximal 2 Stunden an der Primarschule, maximal 3 Stunden an der Oberstufe. Und manchmal fragen auch Eltern während eines Elterngesprächs, ob ihr Kind nicht zu viel Hausaufgaben hätte. Grundsätzlich aber wollen über 75% der Eltern, dass ihre Kinder Hausaufgaben erhalten, wie eine Umfrage des Nachrichtenmagazins FOCUS ergab.

In meiner Praxis setze ich Hausaufgaben massvoll ein, will heissen, die Schüler müssen auch ihre Freizeit haben. Vor allem aber kontrolliere ich die Hausaufgaben und evaluiere sie, indem ich meine Schüler frage, wie sie diese Aufgaben gelöst haben, wo sie Probleme hatten. Nicht gemachte Hausaufgaben werden nicht sanktioniert, sind aber Teil des Elterngesprächs.

Eltern sollen die Hausaufgabe kontrollieren, aber nicht als Hausaufgabenhilfe missbraucht werden. Das sage ich den Eltern jeweils immer zu Beginn eines Zyklus.

Ich achte darauf, dass die Hausaufgaben von den Lernenden selbständig erledigt werden können. Eltern sollen die Hausaufgabe kontrollieren, aber nicht als Hausaufgabenhilfe missbraucht werden. Das sage ich den Eltern jeweils immer zu Beginn eines Zyklus. Hausaufgaben sollten sinnvoll, das heisst, sie sollten in den Unterricht eingebettet sein. Projektaufträge sollen attraktiv gestaltet werden.

Letzte Woche hat der Schülerrat an unserer Schule eine Eingabe gemacht: Man solle die Anzahl der SOL-Lektionen von drei auf zwei senken. Grund: Vielen Schülern sei es während den SOL-Lektionen zu laut, einige von ihnen lernten grundsätzlich lieber zu Hause als in der Schule.

Was den Stress betrifft, den Hausaufgaben auslösen sollen, so darf ich feststellen: Die Schule ist eher die Institution, welche versucht, die Erwartungen der Eltern – und die sind das eigentliche Problem – in realistische Bahnen zu lenken. Wir wollen glückliche Schüler. Aber es muss möglich sein, dass auch weniger talentierte Schüler mit Fleiss und Einsatz ihre Ziele erreichen können. Viele tun dies von sich aus, einige leider auch unter dem permanenten Erwartungsdruck der Eltern. Brisantes Detail: Letzte Woche hat der Schülerrat an unserer Schule eine Eingabe gemacht: Man solle die Anzahl der SOL-Lektionen von drei auf zwei senken. Grund: Vielen Schülern sei es während den SOL-Lektionen zu laut, einige von ihnen lernten grundsätzlich lieber zu Hause als in der Schule.

Wir Lehrkräfte halten uns an die im Lehrplan formulierten Grundkompetenzen. Sie sollten von allen Lernenden erreicht werden. Wenn eine immer grösser werdende Zahl unserer Schüler diese Grundkompetenzen nicht erreicht, liegt es weder an den zu vielen noch an den zu wenigen Hausaufgaben.

Das Gebot der Stunde wäre ein markanter Lektionenabbau, aber sicher nicht die Abschaffung der Hausaufgaben.

Die völlige Überfrachtung der Lehrpläne, das «Immer mehr», gekoppelt an die vielen überfachlichen Kompetenzen, haben aus der Schule ein Gemischtwarenhandel gemacht, der kaum mehr Prioritäten kennt. Profunde Lernziele sind durch einen beliebigen Kompetenzquark ersetzt worden. Das hat zu Folge, dass die Schule Ziele zu erreichen versucht, die ausserhalb der Möglichkeit von Unterricht liegen. Die Konsequenz ist, dass Vieles  gemacht und abgehakt, aber kaum mehr gründlich durchgenommen wird. Die Schüler gehen so viel in die Schule, wie noch nie, es herrscht eine beispiellose Hektik. Die Lösung wäre hier ein «Back to the roots» oder wie es die Amerikaner ausdrücken ein «Reduce to the Max». Das Gebot der Stunde wäre ein markanter Lektionenabbau, aber sicher nicht die Abschaffung der Hausaufgaben. Gerade mit diesen

Eine Gesellschaft, die will, dass nichts grossartig ist, weil wo was gross ist, es rundherum klein aussieht, beschneidet in erster Linie die Gestaltungskraft der Kinder.

Hausaufgaben, wird auch die Autonomie und Mündigkeit der Lernenden unterstützt. Die Hausaufgaben bilden – wirksam eingesetzt – eine wertvolle Ergänzung zum Unterricht. Und sie erfüllen darüber hinaus, die von der Bildungsnomenklatura immer wieder betonte Prämisse: Individualisierung.

Und denjenigen, die sich durch die Abschaffung der Hausaufgaben eine markante Vergrösserung der Chancengerechtigkeit erhoffen, kann man nur zurufen: «Na, dann versucht es mal!»

Meine Tochter hat ganze Mittwochnachmittage an Schulaufträgen gearbeitet, mit Hingabe und sehr oft mit Freude. Als sie eines Abends um 22.00 Uhr immer noch am Plakat für ihren Vortrag malte, forderte ich sie auf, ins Bett zu gehen. Sie tat es, stellt den Wecker und stand um 05.00 Uhr auf der Matte. Das Plakat wurde fertig. Meine Tochter war mächtig stolz. Eine Gesellschaft, die will, dass nichts grossartig ist, weil wo was gross ist, es rundherum klein aussieht, beschneidet in erster Linie die Gestaltungskraft der Kinder.

Dieser Artikel ist zuerst im Nebelspalter erschienen.

 

 

The post Eine alljährlich wiederkehrende Diskussion neben der Spur first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/04/eine-alljaehrlich-wiederkehrende-diskussion-neben-der-spur/feed/ 1
Vom notwendigen „Nid nahla!“ https://condorcet.ch/2021/01/vom-notwendigen-nid-nahla/ https://condorcet.ch/2021/01/vom-notwendigen-nid-nahla/#respond Sun, 03 Jan 2021 08:26:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=7421

Krisenzeiten à la Corona sind Durststrecken. Gefordert ist Durchhalten. Davon ist im Moment üppig die Rede. Die Devise gilt auch für gutes Lernen. Daran erinnert Condorcet-Autor Carl Bossard.

The post Vom notwendigen „Nid nahla!“ first appeared on Condorcet.

]]>
Carl Bossard: Fehler in einem fehlerfreundlichen Milieu

Vom Turm des Berner Münsters verkündet eine robuste Brustfigur ihre Botschaft ins weite Land hinaus. Aktueller könnte sie nicht sein: „nid nahla!“ steht eingemeisselt auf dem Schriftband. Die steinerne Skulptur hält es in ihrer linken Hand. Mit der Rechten fixiert sie das Kassenbuch. Es ist die Porträtkonsole von Karl Howald, dem beharrlichen Baukassier.[i] Seiner Energie und seiner Ausdauer ist es zu verdanken, dass das Berner Münster zwischen 1889 bis 1893 zur endgültigen Höhe von gut 100 Metern ausgebaut wird – und damit zum höchsten Sakralgebäude der Schweiz. Der zähe Kassenwart lässt nicht locker, bis das Werk vollendet ist.

Nicht nachlassen!

„Halten Sie durch!“ zählt wohl zu den meistgehörten Parolen dieser Shutdown-Zeiten – und beigefügt der Satz: „Die ganze Situation geht auch wieder vorbei und zurückkehrt die Normalität.“ Dann könne man in den Anstrengungen wieder nachlassen, heisst es von offizieller Seite besänftigend.

Dieser Nachklang wirkt befreiend; auf ihn hoffen und freuen sich unzählige. Endlich nachlassen und dem maskierten Dasein nach langem Warten Ade sagen. Zurück ins normale, unbeschwerte Leben. Wer möchte das nicht?

Lernen ist keineswegs etwas Leichtes

Lernen herausfordernd gestalten

Doch vorläufig zählt nur eines: „Nid nahla!“ und „Nid lugg lo!“ Das gilt ja auch fürs Lernen, und zwar generell. Lernprozesse erfordern Einsatz; verlangt ist Ausdauer, gefragt Fleiss. Während langer Zeit gab es im Schulzeugnis darum sogenannte Fleissnoten. Ihre versteckte Botschaft: Ohne Fleiss kein Preis. Das weiss jede junge Geigerin, das hat jeder Junioren-Fussballer verinnerlicht. Nur so wird aus dem nerventötenden Gekratze dereinst virtuose Musik, aus dem ungelenken Gekicke hohe Ballkunst. Üben heisst das Zauberwort; „nid nahla!“ wird zum ehernen Grundsatz.

Genau das Gegenteil aber versprechen IT-Konzerne und ihre computerbasierten Medien: mit digitalen Programmen und Produkten spielerisch leicht und ohne Anstrengung zu Lernerfolgen kommen.

 Der Wert des Übens ging vergessen 

Genau das Gegenteil aber versprechen IT-Konzerne und ihre computerbasierten Medien: mit digitalen Programmen und Produkten spielerisch leicht und ohne Anstrengung zu Lernerfolgen kommen. So schön die These klingt, so verführerisch falsch ist sie. Die Schalmeienklänge bringen der Digitalindustrie zwar viel Geld ein, verdrängen aber die Grammatik des Lernens: Bildung im Allgemeinen und Lernen im Besonderen seien nichts Leichtes, betont der Erziehungswissenschafter Klaus Zierer.[ii] Da heisse es üben und automatisieren. Da gilt wohl Karl Howalds Prinzip des „Nid nahla!“

Heinz Rhyn, Direktor der PHZ: Sechs bis acht Wiederholungen

Vergessen ging leider „in der modernen Unterrichtskultur der Wert des Übens“, bedauert der Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich, Heinz Rhyn.[iii] Um beispielsweise eine Information aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis zu bringen, braucht der Mensch sechs bis acht Wiederholungen. Das weiss man aus zahlreichen psychologischen Studien.

Der Unterricht muss herausfordernd sein

Zum Lernen, so Zierer, gehören auch Irrwege und Umwege; da gibt es Unterholz und Dickicht. Da stellen sich Misserfolg und Scheitern ein – und Fehler. Fehler in einem fehlerfreundlichen Klima führen weiter. „Failure is the mother of success“, heisst es. Darum darf es im Bildungsbereich nicht primär darum gehen, Lernen möglichst leicht zu machen. Es muss darum gehen, Lernen möglichst anspruchsvoll zu gestalten – und herausfordernd.[iv]

Die gute Lehrerin wirkt schüleraktivierend und ist mehr als nur Lernbegleiterin, mehr als lediglich Lernpartnerin.

„Nid nahla!“ gilt für Lernende wie für Unterrichtende. Der erfolgreiche Lehrer lenkt kontinuierlich und schülerzentriert die Lernprozesse, eine gute Lehrerin gestaltet als Regisseurin den Unterricht. Sie wirkt schüleraktivierend und ist mehr als nur Lernbegleiterin, mehr als lediglich Lernpartnerin, betont der profilierte Bildungsforscher Andreas Helmke.[v] Kinder und Jugendliche brauchen für ihr Lernen nicht einen „Guide at the Side“, sie bräuchten einen „Change Agent“, einen Lehrer, der sie weiterbringen will, der ermutigt und kognitive Ansprüche stellt, eine Lehrerin, die ihnen den Spiegel vorhält und lernprozessbezogenes Feedback gibt. Es sind Lehrpersonen, die intensives Lernen in einem förderlichen Klima ermöglichen, verbunden mit hohen Erwartungen und vielfacher Schüleraktivierung. Es sind Pädagogen, welche die Kinder und Jugendlichen in ihrer Möglichkeitsform sehen und sie darum so „nehmen“, wie sie sein könnten. Unermüdlich.

Die beharrliche Energie des „Nid nahla!“

DJ Ötzi: War in der Schule zu träge.

„In der Schule war ich zu träge, um all das zu lernen, was ich heute gelernt haben wollte“, bekennt einer der erfolgreichsten Musiker im deutschsprachigen Raum, der österreichische Entertainer und Popsänger DJ Ötzi.[vi] Und er fügt bei: „Mein Traum war es, Theologie zu studieren; das ging nicht ohne Abitur.“ Hätte er nur nicht nachgelassen! Und wäre er vielleicht zu Lehrerinnen und Lehrern in die Schule gegangen, die nicht nachgegeben oder gar aufgegeben hätten. Wer weiss!?

Aufgegeben haben die Berner den Ausbau ihres Münsters. 1521 wird der Turmbau unterbrochen. Erst 1893 erreicht der Turm seine heutige Höhe. Es brauchte den unerschütterlichen Glauben und das beharrliche Feu sacré eines Karl Howald. Sein fester Vorsatz: „Nid nahla!“

Carl Bossard

 

[i] Paul Schenk (1963), Die Porträtkonsolen am Berner Münster. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 25, S. 83.

[ii] Klaus Zierer (2018), Die Grammatik des Lernens, in: FAZ, 04.10.2018, S. 7.

[iii] Alexandra Kedves, „Die Ablehnung des Drills war unheilvoll“, in: Tages Anzeiger, 07.12.2019, S. 7.

[iv] John Hattie & Klaus Zierer (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 60.

[v] Vgl. Andreas Helmke (2015), Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Friedrich Verlag, S. 205f.

[vi] In: DIE ZEIT, 23.12.2020, S. 13.

The post Vom notwendigen „Nid nahla!“ first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2021/01/vom-notwendigen-nid-nahla/feed/ 0
Wenn Wissenschaft und Praxis auseinanderdriften https://condorcet.ch/2020/06/wenn-wissenschaft-und-praxis-auseinanderdriften/ https://condorcet.ch/2020/06/wenn-wissenschaft-und-praxis-auseinanderdriften/#respond Wed, 17 Jun 2020 17:49:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=5431

Bestimmen pädagogische Glaubenssätze und Dogmen der Didaktik den Schulalltag? Das fragt man sich nach einer Analyse des Neuropsychologen Lutz Jäncke. Ein Zwischenruf mit drei Punkten von Condorcet-Autor Carl Bossard

The post Wenn Wissenschaft und Praxis auseinanderdriften first appeared on Condorcet.

]]>
Carl Bossard: Halt und freundlichen Widerstand

In den Schulen setze sich manches „über die Erkenntnisse der Hirnforschung und Lernpsychologie hinweg“, beklagt der Zürcher Neurowissenschaftler Lutz Jäncke. Der bekannte Neuropsychologe erforscht das menschliche Lernverhalten. Seit 2002 lehrt er an der Universität Zürich. In einem Interview mit der SonntagsZeitung spricht Jäncke Klartext:[1] Vieles in der Schule sei von Bildungstheoretikern entworfen und manches Konzept nicht den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen angepasst, so sein Fazit.

Erstens: Junge Menschen brauchen ein pädagogisches Gegenüber

Lutz Jäncke benennt pädagogische Glaubenssätze. Dazu gehört die beliebte These, dass es nichts Besseres als „selbstorientiertes Lernen“ geben könne. Suggeriert wird ja, autonomes Lernen erlöse die Schüler vom gemeinsamen Unterricht und der „direkten Instruktion“ mit dem begleiteten Lernen, diffamierend stets als Frontalunterricht bezeichnet. Und dazu gehört der feste Glaube, nur Selbstlernen führe zum Ziel der Selbständigkeit. Darum der dezidierte Wechsel „from teaching to learning“. Die Lehrperson wird bei dieser Methode zum blossen „peer in the rear“, zum Kollegen im Heck, degradiert; allenfalls bleibt sie als „guide at the side“ noch Lernbegleiterin. Es ist, pointiert formuliert, so etwas wie das allmähliche Verschwinden des Pädagogen – verursacht durch die geradezu kantianisch klingende Errungenschaft des autonomen Lernens.

Prof. Dr. Lutz Jäncke, Neuropsychologe, Universität Zürich: Diesen Lehrplan versteht kaum jemand.

Das höre sich zwar toll an, sagt Jäncke. Und ganz nüchtern fügt er bei: „Aber es funktioniert oft nicht so, wie man sich das theoretisch vorstellt. Kinder und Teenager sind nicht so effizient in der Lage, sich selbst klare Ziele auszusuchen und sich mit einem Stoff auseinanderzusetzen, wenn sie nicht verstehen, warum sie diesen Stoff lernen sollen.“ Darum müssten das Lehren und der Lehrer rehabilitiert werden – auch und gerade dann, wenn man das Wort Pädagoge in seinem ursprünglichen Sinn ernst nimmt: paid-agogein, die Kinder zur Freiheit führen. Das wissen alle Lehrerinnen und Pädagogen, die sich für eine emanzipationsorientierte Bildungs- und Unterrichtsarbeit engagieren.

Nur das kann letztlich der Sinn der Pädagogik sein: den Kindern helfen, dass sie sich entwickeln können und denken lernen.

Zweitens: Junge Menschen brauchen Struktur und Stimulation

Eine solche Bildung will die Kinder und Jugendlichen aus ihrer aktuellen Form herausführen, will sie über ihre jeweilig begrenzte Subjektivität und Situiertheit hinausführen – hin zu ihren Möglichkeiten. Das meinte wohl Goethe, als er in „Wilhelm Meisters Lehrjahren“ Natalies Bildungsmaxime formulierte: „Wenn wir die Menschen […] behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“[2] Nur das kann letztlich der Sinn der Pädagogik sein: den Kindern helfen, dass sie sich entwickeln können und denken lernen. Damit sie täglich etwas mündiger werden, souveräner, freier – auf dem Weg zum Erwachsenwerden, auf dem Weg zum Subjekt-sein in einer Welt mit Anderen.

Der Frontalcortex ist erst spät ausgereift – das hat Folgen

Kinder müssen Autoren ihrer Lebensbiografie werden. Aber das kommt nicht von selbst.

Kinder müssen Autorinnen und Autoren ihrer Lebensbiografie werden. Doch diese Autonomie kommt nicht von selbst. Sie „brauchen Struktur und Stimulation“, sagt Lutz Jäncke. „Je jünger sie sind, desto mehr muss man ihnen davon bieten“, betont er. „Das hat einen neurophysiologischen Hintergrund: Der Frontalcortex ist bei Kindern und Jugendlichen noch nicht voll ausgereift. [Also] jener Bereich des Gehirns, der hilft, uns zu disziplinieren und gegen Ablenkung zu wehren. Er ist erst mit dem 18. Lebensjahr ausgereift. Darum ist die Gefahr bei Kindern gross, dass sie sich ablenken lassen.“

Daher sei es „einfach eine Tatsache, dass man Kindern eine Struktur geben muss“, unterstreicht Jäncke seine Aussage. Und das hat einen weiteren Grund. Manche Kinder sehen sich in ihrem Alltagsleben einer leidigen Schlüsselschwierigkeit gegenübergestellt: Sie leben in einer unterstrukturierten Mikrowelt. Regeln, Zeitstrukturen und Selbstkontrolle bereiten ihnen Mühe. Darum ist selbstorientiertes Lernen für viele so anspruchsvoll; die Freiheit überfordert und verwirrt sie. Sie benötigen in der Schule eine charmante Autorität, die sie führt und leitet. Sich selber in verantworteter Freiheit führen, das müssen Kinder und Jugendliche erst lernen. Sie „brauchen Halt und freundlichen Widerstand“, resümiert darum der Neurowissenschaftler und Arzt Joachim Bauer.[3]

Üben aber benötigt Zeit. Doch in der (Über-)Fülle heutiger Fächer und Themen fehlt diese Zeit.

Drittens: Junge Menschen brauchen konzentriertes Automatisieren

Lernen erfordert Anstrengung und Üben. Zahlreiche psychologische Studien belegen es: Der Mensch braucht an die sechs bis acht Wiederholungen, um eine Information vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis zu befördern. Fehlen diese Repetitionen und der damit verbundene Einsatz, so nimmt das Vergessen seinen Lauf. Der Moment des Vergessens beginnt im Moment des Merkens.[4] Und dies ist unabhängig davon, ob analog oder digital gelernt wird. Üben aber benötigt Zeit. Doch in der (Über-)Fülle heutiger Fächer und Themen fehlt diese Zeit. Regelmässiges Repetieren und Automatisieren kommen zu kurz.

„Was sie brauchen, haben sie in der Schule nicht gelernt“

Hart ins Gericht geht darum Jäncke mit dem Lehrplan 21. Dieses offizielle Dokument beschreibt in 363 Kompetenzen und mit über 2‘300 Kompetenzstufen, was die Schulkinder alles beherrschen sollen. „Dieses Konzept wurde offenbar von Theoretikern entworfen. So wie das formuliert ist, lässt es sich in der Praxis kaum umsetzen. Ich habe noch keinen Lehrer getroffen, der davon hellauf begeistert ist. Oft fühlen sie sich überfordert, was jeder versteht, der einmal in diesen Lehrplan reingeschaut hat.“ Er überquillt von kleingerasterten und messbaren Kompetenzzielen, welche die Kinder individuell und selbstorientiert erarbeiten sollen.

Die Folge davon: „Wenn die Kinder dann aufs Gymnasium wollen, müssen sie irgendwelche Weiterbildungskurse bei Privatanbietern aufsuchen, weil sie das, was sie brauchen, in der Schule nicht gelernt haben. Das ist doch ein völlig falsches Lehrmodell“, diagnostiziert Jäncke.

Das Wort des Wissenschaftlers – ob es gehört wird?

Walter Herzog, emer. Professor für Pädagogische Psychologie Bern: Junge Menschen zum Denken anleiten.

Hier driften Wissenschaft und pädagogische Praxis weit auseinander. Leidtragende sind die Schulkinder. Dabei plädiert eine verantwortungsbewusste Bildungswissenschaft schon längst für ein Wiederentdecken und Wiedererrichten des Lehrens, für ein „Re(dis)covery of Teaching“.[5]  Dazu gehört auch die „Rückgewinnung des Denkens“, wie es der emeritierte Berner Pädagogikprofessor Walter Herzog fordert: die jungen Menschen zum Denken anleiten – Denken als innerer Dialog zwischen mir und mir selbst. In der amerikanischen Pädagogischen Psychologie heisst es pragmatisch: „Teachers are leaders of learning and learners.“ Lehrer führen das Lernen und die Lernenden.

Dafür votiert auch Jäncke. Ob sein klares Wort in die erfahrungsverdünnte Luft der Bildungsstäbe dringt? Wünschenswert wäre es. Gerade für lernschwächere Kinder.

 

[1] Liebe Eltern, entspannt euch!“ Interview von Nadja Pastega mit Lutz Jäncke, in: SonntagsZeitung, 24.05.2020, S. 15f.

[2] Goethes Werke (1959), Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Bd. 7. Romane und Novellen (4. Aufl.). Hamburg: Christian Wegner, S. 531.

[3] Joachim Bauer (2019), Wie wir werden, wer wir sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz. München: Karl Blessing Verlag, S. 58.

[4] Klaus Zierer (2018), Die Grammatik des Lernens, in: FAZ, 04.10.2018, S. 7.

[5] Ewald Terhart (2018), Eine neo-existenzialistische Konzeption von Unterricht und Lehrerhandeln? Zu Gert Biestas Wiederentdeckung und Rehabilitation des Lehrens und des Lehrers, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 94 (2018) 3, S. 479.

 

The post Wenn Wissenschaft und Praxis auseinanderdriften first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2020/06/wenn-wissenschaft-und-praxis-auseinanderdriften/feed/ 0
Schule in Jordanien: Frontalangriff! https://condorcet.ch/2019/10/schule-in-jordanien-frontalangriff/ https://condorcet.ch/2019/10/schule-in-jordanien-frontalangriff/#comments Tue, 29 Oct 2019 16:31:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=2599

Wie schon im Beitrag "Condorcet-Autor besteht erfolgreich einen Arabisch-Kurs in Amman: Wir ziehen den Hut!" (26.9.2019) angekündigt, berichtet nun Daniel Goepfert über seine Erfahrungen in seinem Arabischkurs in Jordanien. Dabei stellt er sich die Frage, weshalb Lehrkräfte es so lieben, Stoff vermittelt zu bekommen. Und warum dies nicht auch für die Schüler gelten soll.

The post Schule in Jordanien: Frontalangriff! first appeared on Condorcet.

]]>
Einen Monat lang genoss Daniel Goepfert den Frontalunterricht

Diesen Herbst weilte ich in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, um einen Monat lang Arabisch zu lernen. Die Schule war ein umfunktioniertes Einfamilienhaus mit zwei Stockwerken. Im Garten wurde Tee ausgeschenkt und zur Mittagszeit ein günstiges Essen angeboten. Der Unterricht war traditionell. Erteilt wurde er mehrheitlich von Frauen. Es wurde praktisch nur frontal unterrichtet, zwischendurch gab es Arbeitsaufträge, die wir Lernenden in Einzelarbeit erledigten. Die Lehrerinnen hielten sich an ihr Programm und forderten auch einiges. Da konnte es auch mal ein ungeduldiges „I already told you five times“ (Das habe ich Ihnen schon fünfmal erklärt) absetzen. Ich besuchte einen Monat lang sechs Lektionen am Tag, mit dem Resultat, dass mir das Alphabet (wieder) geläufig war, ich einige grammatikalische Sachverhalte klären und am Schluss eine einfache Konversation führen konnte. Das Lernen war mit einem ziemlichen Aufwand verbunden, weil die arabische Sprache fast keine Gemeinsamkeiten mit den Sprachen hat, die wir hier in der Schweiz sprechen. Anschliessend an das Lernen brauchte es drei Dinge: üben, üben, üben. Am Anfang forderte mich das Ganze sehr, am Schluss war ich mit dem Resultat zufrieden.

Niemand von ihnen wünschte sich viel Gruppenarbeit oder gar Werkstattunterricht.

Nach und nach stellte sich mir eine Frage in Bezug auf unsere schweizerische Schule, an der ich vierzig Jahre lang als Lehrer tätig war. Alle hiesigen Lehrkräfte, mit denen ich über ihre Weiterbildungen sprach, liebten es, möglichst viele Informationen frontal vermittelt zu bekommen und sie dann praktisch anwenden zu können. Niemand von ihnen wünschte sich viel Gruppenarbeit oder gar Werkstattunterricht. Und alle wären enttäuscht gewesen, wenn sich die Unterrichtenden als reine Coaches verstanden hätten, die staunend zugesehen hätten, wie sich die Lernenden ihr Wissen einzeln oder in Gruppen selbständig angeeignet hätten.

Wie kann es aber sein, dass so viele Lehrkräfte einen ganz anderen Unterricht für sich selbst wünschen, als sie ihn zu erteilen müssen glauben?

Auch das soziale Lernen kam beim Frontalunterricht nicht zu kurz.
Bild: D. Goepfert

Wie kann es aber sein, dass so viele Lehrkräfte einen ganz anderen Unterricht für sich selbst wünschen, als sie ihn zu erteilen müssen glauben? Ich höre schon den Einwand, dass für Kinder und Jugendliche nicht dasselbe gelten muss wie für ausgebildete Erwachsene. In der Tat, bei Kindern und Heranwachsenden braucht es einen sanften Einstieg in die Materie, eine Unterteilung des Stoffes in kleine Schritte, viel Abwechslung, ein hohes Mass an Anschaulichkeit, und die gute Beziehung zur Lehrkraft ist noch wichtiger als bei Erwachsenen. Das alles ist aber auch bei Frontalunterricht möglich.

Wirksamste Lehrmethode?

Die arabische Sprache hat fast keine Gemeinsamkeiten mit den Sprachen, die wir hier in der Schweiz sprechen.
Bild: D. Goepfert

Das Rätsel bleibt. Warum lieben Lehrkräfte es so, möglichst viel Stoff frontal vermittelt zu bekommen? Die Antwort ist wohl, dass sie diese Form als die wirksamste erfahren. Warum „füttern“ sie dann aber nicht die Schülerinnen und Schüler zwischendurch mit ausgewähltem Wissen? Warum müssen sich diese so vieles selbständig oder in Gruppen aneignen? Und schliesslich, wenn wir beim Lernen einer Sprache die Erfahrung machen, dass wir üben, üben, üben müssen, warum sollte die Erkenntnis nicht für die Schülerinnen und Schüler gelten?

Ich kann diese Fragen nicht beantworten, habe aber den Eindruck, dass sich in den letzten Jahren ein Druck aufgebaut hat, ausgehend von den Pädagogischen Hochschulen über die Schulleitungen bis zu den Lehrkräften untereinander. Dieser Druck erschwert es der einzelnen Lehrkraft, selbständig zu überlegen, welches die geeignetste Art der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten sein könnte.

Man mag einwenden, dass es in der Schule nicht nur um Wissensvermittlung geht, sondern auch um das Einüben der sozialen Kompetenzen. Diese kamen während der vier Wochen in Jordanien nicht zu kurz. Unter dem Druck des dichten Programms hielten wir Lernende zusammen und halfen uns gegenseitig.

Am Ende konnte ich meine Arabischkenntnisse in Restaurants, Einkaufsläden und im Fitnessclub einsetzen. Zur Freude der Einheimischen ebenso wie zu meiner eigenen. Dank Frontalunterricht und etwas Drill.

The post Schule in Jordanien: Frontalangriff! first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/10/schule-in-jordanien-frontalangriff/feed/ 1
Ein hochspannendes Buch von Jürg Kaube https://condorcet.ch/2019/06/ein-hochspannendes-buch-von-juerg-kaube/ https://condorcet.ch/2019/06/ein-hochspannendes-buch-von-juerg-kaube/#comments Wed, 05 Jun 2019 10:32:56 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1294

Von überall her werden wir auf ein Buch aufmerksam gemacht, das kürzlich im Rowohlt-Verlag erschienen ist. "Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder" von Jürgen Kaube, Hrsg. der FAZ. Unser Gastautor, Ralf Wiechmann (D), schickt uns eine Leseprobe über das Thema "Üben". Eine vollständige Würdigung dieses Buches ist in Vorbereitung.

The post Ein hochspannendes Buch von Jürg Kaube first appeared on Condorcet.

]]>

Das neue Buch von Jürgen Kaube ist  keine leichte Kost. Es richtet sich gegen viele pädagogische Gegenwartsüberzeugungen. Eine „Phantasie“ nennt Kaube beispielsweise die Vorstellung, den Unterricht zu individualisieren und Kinder dazu bringen zu können, selbst zu lernen. Ich erlaube mir, den Leserinnen und Lesern des Condorcet-Blogs einen kleinen Ausschnitt vorzustellen. Der Autor schreibt über das “Üben”.

 

„Doch das Kopfrechnen und andere Routinen stehen bei Didaktikern in keinem guten Ruf. Ja, heißt es, das Kopfrechnen sei unentbehrlich, aber wie solle es denn gestaltet werden? Durch regelmäßiges, zu ‚Automatisierung‘ führendes Üben? Wie das schon klingt, ‚Automatisierung‘. Es schaudert den Didaktiker Günter Krauthausen: ‚Wenn Kinder gehäuft richtige Ergebnisse produzieren, mag man geneigt sein, zur Automatisierung überzugehen mit dem Ziel, verlässliche Reiz-Reaktionsketten aufzubauen. Diese muss es ab einer gewissen Stelle im Lernprozess und bzgl. gewisser Inhalte durchaus geben (zB. Einmaleins, Einpluseins), das Problem ist allerdings der verfrühte Übergang dorthin.‘ Man hört dem sich windenden Geständnis, dass verlässlich richtige Rechnungen ein ziemlich erwünschtes Resultat von elementarem Mathematikunterricht sind, deutlich an, wie ungern es gemacht wird. Man ‚mag geneigt sein‘, etwas an Routinen zu finden, wenn sie zu Ergebnissen führen, auch wenn damit die Freunde des ‚entdeckenden Lernens‘ eine narzisstische Kränkung erfahren. Immerhin, sagt der Didaktiker, ist noch nicht ausgemacht, was alles routinisiert werden soll und wann man zu Routinen übergehen sollte. Es bestehe ‚die Gefahr einer vorschnellen Ablösung von Anschauungs- und Einsichtsprozessen‘ durch Automatisierung. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Es besteht die Gefahr, dass den Schülern zu früh Einsicht, Reflexion und Forschen zugemutet wird. Sie sollen Zahlen verstehen, bevor sie rechnen können. Das war schon der Irrtum der Einführung der Mengenlehre als Vorschule aller Mathematik in den siebziger Jahren. Lernpsychologisch folgt die Routine nicht dem freien Sichaneignen und dem Reflektieren von Stoffen, sie geht ihnen voraus, sie ist eine Voraussetzung für entdeckendes Lernen. Wissen geht Denken voraus, was nicht heißt, dass Wissen ein Selbstzweck und der Sinn der Veranstaltung Schule ist. Aber es heißt: Ohne sichere Division fängt das Denken gar nicht an.“ (S. 143f)

Außer diejenigen, die sich begnügen, in einer „Wissenschafts“-Blase ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, kommt um dieses Buch kein denkender Mitbürger herum.

Ralf Wiechmann, Jahrgang 1972, Wohnort: Wolfratshausen – Deutschland, Beruf: Schulleiter und Lehrer für Mathematik, Physik und Philosophie, Mitgliedschaften: Gesellschaft für Bildung und Wissen; Verein für Begabungsförderung Mathematik

The post Ein hochspannendes Buch von Jürg Kaube first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/06/ein-hochspannendes-buch-von-juerg-kaube/feed/ 1