Schleicher - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Tue, 23 Apr 2024 07:08:27 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Schleicher - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Tue Gutes, rede laut darüber und profitiere davon https://condorcet.ch/2024/04/16542/ https://condorcet.ch/2024/04/16542/#respond Sun, 21 Apr 2024 09:43:51 +0000 https://condorcet.ch/?p=16542

In seinem traditionellen Sonntagseinspruch - wie immer hintersinnig und garstig - setzt sich Mathematikprofessor Wolfgang Kühnel aus Stuttgart mit den Versprechungen der Digitalisierungsprotagonisten auseinander und erkennt - was für eine Überraschung sehr viele Eigeninteressen und wenig Konkretes.

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Überall wird heute die Digitalisierung von allem und jedem gepriesen, auch im Bildungsbereich. Alle sollen daran glauben, dass das ein großer Fortschritt ist und dass allein die “Digitalität” uns im 21. Jahrhundert ankommen lässt, es ist vollmundig von “digitaler Transformation” die Rede usw. Wohlgemerkt, nicht im Hinblick auf industrielle Herstellungsverfahren oder die Raumfahrt, sondern in Bezug auf Kinder schon im Kindergarten,  in der Grundschule und später erst recht. Angeblich ist das die neue pädagogische Wunderwaffe und fördert spürbar die Chancengerechtigkeit und die optimale Schulentwicklung. Einerseits sollen die Kinder selbst mit digitalen Geräten hantieren, andererseits sollen mehr Daten digital verwaltet und ggfs. von den Schulen direkt an die höhere Schulverwaltung weitergeleitet werden. Die beurteilt damit dann die Qualität der Arbeit an dieser Schule.

Prof. Wolfgang Kühnel, Stuttgart: Leere  Versprechungen

Wenn man allerdings wissen möchte, was nachweislich über den Nutzen der Digitalisierung in der Bildung bekannt ist, dann findet man kaum etwas. Unabhängige wissenschaftliche Studien, die die ganze Euphorie rechtfertigen, scheint es nicht zu geben. Mancher spricht schon von einem “digitalen Rausch”. Vor 5 Jahren bereits zitierte die Süddeutsche Zeitung

https://www.sueddeutsche.de/bildung/digitalisierung-schule-table-1.4275720

den Augsburger Pädagogik-Professor Klaus Zierer mit den Worten:

“Den Glauben, die digitale Technik werde das Lernen revolutionieren, müssen wir zurückweisen.”

Auch die Thesen von Hattie vermögen das nicht zu entkräften. Auch sonst entsteht nicht der Eindruck, diese Art von Digitalisierung sei ein Anliegen der Pädagogen, der Didaktiker oder anderer Wissenschaftler, die mit dem schulischen Lernen zu tun haben.

Gelegentlich wird auch von Schulpädagogen behauptet, mit mehr Digitalisierung (auch der Schulverwaltung) könne man mehr Chancengerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit herstellen, wer kann da widersprechen? Aber nachgewiesen ist das nicht.

Um so energischer aber ertönt der Ruf nach mehr Digitalisierung von denjenigen, die finanziell davon profitieren, der IT-Industrie, der Bildungsindustrie, der Medienindustrie und einer neu entstandenen EdTech-Industrie und auch jener Professoren, die sich hauptamtlich mit dieser Digitalisierung beschäftigen. Diese treten nun nicht etwa durch Presseerklärungen vom Typ “eine profitable IT-Industrie ist im Interesse des ganzen Volkes” hervor, sondern sie verstecken sich hinter angeblich “gemeinnützigen” Vereinen mit klangvollen Namen wie “Bündnis für Bildung”, “Forum Bildung Digitalisierung”, “Didacta Verband” und ähnlichem. Halbwegs ehrlich scheint nur noch die Bezeichnung “Daniel Jung Media GmbH” zu sein, die sich der neue Star der mathematischen Kurz-Videos (und Studien-Abbrecher) zugelegt hat.

Bertelmann-Stiftung Standort Berlin: Digitalisierung absolut alternativlos

Hier wollen wir mal etwas genauer verfolgen, mit welchen Methoden die Leute mit den wirtschaftlichen Interessen so vorgehen. Zum einen gibt es seit längerem angeblich wissenschaftliche Studien im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die die Versorgung von Kitas und Schulen mit mehr digitalen Geräten als absolut alternativlos nachweisen. Sogar die wissenschaftliche Beratungskommission SWK der Deutschen Kultusministerkonferenz hat das vollkommen distanzlos in ihre Empfehlungen vom 19.9.2022 übernommen. Da wird gleich noch gefordert, das Kita-Personal müsse künftig mehr mit Elementarinformatik und den digitalen Geräten vertraut gemacht werden. Vielleicht bekommen wir noch den Kita-Bachelor mit 60 Leistungspunkten aus diesem Computer-nahen Bereich. Zum anderen fördern die Stiftungen, die den IT-Unternehmen nahestehen, die Weiterbildung der Lehrer genau in diesem Punkt. Bei der Bertelsmann-Stiftung sieht das dann so aus:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/in-vielfalt-besser-lernen/projektnachrichten/fortbildungen-fuer-lehrpersonen-wirksam-gestalten

Die digitale Transformation wird in einem Atemzug mit der Inklusion sowie den Ganztagsschulen genannt. Die Weiterbildung hat natürlich nur das Ziel, “positive Wirkungen auf unterrichtsbezogene Kompetenzen der Lehrkräfte und den Unterricht” zu erzielen. Die Unternehmen präsentieren sich dabei fast so wie eine Art von “Mutter Teresa mit anderen Mitteln”, nur auf das Wohl von Schule und Bildung ausgerichtet.

Die Telekom Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Dieter Schwarz Stiftung, die Dieter von Holtzbrinck Stiftung, die Heraeus-Stiftung, die Joachim Herz Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Siemens Stiftung, die Vodafone Stiftung und die Wübben Stiftung. Alles Stiftungen von Grossunternehmen, die direkt vom Verkauf digitaler Geräte oder dazu passender Software profitieren. Man kann ohne Übertreibung sagen: das Ziel dieser Tagung ist die Ankurbelung des Geschäfts.

Und dann gibt es noch Tagungen im großen Stil mit prominenten Gästen. Das “Forum Bildung Digitalisierung” veranstaltet jährlich solche, die nächste ist in der kommenden Woche. Nach außen möchte man ganz harmlos wirken als karitativer Verein der Zivilgesellschaft, der sich um die Chancengerechtigkeit in der Schule sorgt:

https://www.forumbd.de/blog/konferenz-bildung-digitalisierung-2024-setzt-impulse-zur-sicherstellung-von-chancengerechtigkeit/

Es geht um “IMPULSE zur SICHERSTELLUNG von CHANCENGERECHTIGKEIT”, so der

Titel.

Weiter unten auf dieser Seite steht dann, wer sich hinter dem Forum

verbirgt:

Die Telekom Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Dieter Schwarz Stiftung, die Dieter von Holtzbrinck Stiftung, die Heraeus-Stiftung, die Joachim Herz Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Siemens Stiftung, die Vodafone Stiftung und die Wübben Stiftung.

Alles Stiftungen bekannter Großunternehmen, großenteils von jener Industrie, die direkt vom Verkauf digitaler Geräte oder dazu passender Software profitiert. Man kann ohne Übertreibung sagen: das Ziel dieser Tagung ist die Ankurbelung des Geschäfts für die genannten Unternehmen.

Hier

https://www.forumbd.de/verein/

wird dann klar gesagt, dass der ganze Verein nur aus diesen Stiftungen besteht. Und es wird klar gesagt, was der Zweck ist, nämlich nicht Chancengerechtigkeit, sondern nur noch digitaler Wandel:

“Das Forum Bildung Digitalisierung setzt sich für systemische Veränderungen  und eine nachhaltige digitale Transformation im Bildungsbereich ein. Im Zentrum unserer Arbeit stehen die Potenziale digitaler Medien für die Schul- und Unterrichtsentwicklung. In Projekten, Publikationen und  Veranstaltungen identifizieren wir Gelingensbedingungen für den digitalen  Wandel an Schulen und navigieren durch die notwendigen Veränderungsprozesse.”

Und weiter unten:

“Der digitale Kulturwandel erfordert von allen Beteiligten im System Offenheit und ein anderes Mindset.”

So wird heute Lobbyistenarbeit formuliert, dieses “Forum” schreibt allen das richtige “Mindset” vor, das “Change Management” gegen Leute mit dem falschen “Mindset” ist gewiss auch nicht weit.

Andreas Schleicher, OECD, immer dabei

Speziell bei dieser Tagung schmückt man sich mit prominenten Rednern, die mehrheitlich von digitaler Bildung im einzelnen wohl kaum etwas wissen, aber ganz gewiss die Sache unterstützen, allein schon dadurch, dass sie mitmachen. Da finden sich dann prominente Politikerinnen (je eine von CDU, SPD, FDP), ein österreichischer Minister, die Soziologin Frau Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung; sie diskutiert zum Auftakt mit Frau Esken über “Chancengerechtigkeit im Zeichen des Digital Divide”), Herr Maaz (Direktor des DIPF) und natürlich Herr Schleicher, der offenbar jedes Jahr dabei ist. Er betätigt sich mittlerweile als Top-Lobbyist für die Interessen der Digitalisierungs-Industrie und diskutiert kurz vor Schluss der Veranstaltung mit anderen über die “Vision eines zeitgemäßen Bildung”.

Was sagte doch Helmut Schmidt über Leute, die Visionen haben? Alle prominenten Redner bekommen bestimmt fürstliche Honorare, an Geld mangelt es in der Branche ja nicht.

Da kultiviert man also den alten Traum von der Nivellierung aller Ungleichheiten, aber das soll selbstverständlich gleichzeitig Gewinne in die Kassen der genannten Unternehmen spülen. Motto: “Tue Gutes, rede laut darüber und profitiere davon”.

Auch Herr Pant (Abteilungsleiter am IPN in Kiel) hält übrigens einen Vortrag mit “Bildungsgerechtigkeit” im Titel. Direkt nach dem Auftakt gibt es gleich zwei Veranstaltungen mit “Chancengerechtigkeit” im Titel und eine zu “KI in der Schule: Vom  Verstärker sozialer Ungleichheit zum Nivellierer”. Für die letztere sind gleich sechs Redner aufgeboten, darunter ein Professor Thomas Süße von der FH Bielefeld, Standort Gütersloh:

Studie der Vodafone Stiftung: Prof. Dr. Thomas Süße im Interview zur Integration von KI ins Bildungssystem und Lehrerkompetenzen

Er versteht was von KI-Systemen in Unternehmen, insbesondere Mensch-KI-Kollaboration, seine Expertise für schulische Fragen dürfte wohl eher gering sein. Aber das ist ja auch zweitrangig. Neckischerweise wird in diesem Interview auch die Frage nach der Vermeidung von Technostress (!!) gestellt und beantwortet. Dieses Wort sollte man sich vielleicht merken. Lehrer haben leicht den Technostress, wenn das digitale Whiteboard einfach nicht funktionieren will. Auf etlichen Tagungen habe ich schon Technostress für Vortragende und Verzögerungen erlebt, nur weil der Beamer nicht so wollte wie er sollte.

Da kultiviert man also den alten Traum von der Nivellierung aller Ungleichheiten, aber das soll selbstverständlich gleichzeitig Gewinne in die Kassen der genannten Unternehmen spülen. Motto: “Tue Gutes, rede laut darüber und profitiere davon”. Bei Wikipedia steht, dass der

Bertelsmann-Konzern während des 2. Weltkriegs erheblich davon profitierte, dass er im Auftrag der Regierung ein bestimmtes Buch herstellte, das allen deutschen Soldaten mitgegeben wurde.

Übrigens hatte man schon vor fast 20 Jahren angefangen, eine digitale Schulevaluation einzuführen. Im Land NRW war damals ein System “SEIS” zumindest ernsthaft im Gespräch, und das stammt von Bertelsmann:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/GP_SEIS_macht_Schule.pdf

https://www.bildung.koeln.de/imperia/md/content/selbst_schule/seis/seis_info_workshop_12052006.pdf

Das gleich am Anfang des zweiten Links postulierte “gemeinsame Qualitätsverständnis” wird in dem ersten Link unter der Überschrift “Qualitätszyklus” so beschrieben:

“Grundlage für den Qualitätsentwicklungsprozess einer Schule ist ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten von guter Schule. Sechs zentrale Qualitätsbereiche, die ihnen zugeordneten Kriterien und ein vereinbarter Fragenkatalog sind das Ergebnis eines internationalen und nationalen Konsensbildungsprozesses. Mit diesen wichtigsten Bereichen schulischer Qualität lässt sich das Bild einer Schule darstellen, das ihrer Vielfalt und Komplexität gerecht wird.”

Da haben wir doch gleich den Haken bei der Sache:

Natürlich gibt es kein “gemeinsames Verständnis”, was “gute Schule” sein soll. Genau darin liegt ja das Hauptproblem. Der eine sieht das so, der andere anders, auch Lehrerverbände und Elternverbände diskutieren das kontrovers, politische Parteien auch. Man denke nur an den Streit über das G8- oder G9-Gymnasium mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen oder die Diskussion um die Leistungsorientierung bzw. deren allmähliche Abschaffung. Die einzige Möglichkeit wäre dann, dass Parteipolitiker gemeinsam mit Bertelsmann auch noch die Richtlinien vorgeben, was gute Schule sein soll, und das über die Schulleitungen durchsetzen. Der “internationale Konsensbildungsprozess” kann sich eigentlich nur auf die OECD beziehen, etwa den OECD Lernkompass 2030. Ein internationaler Konsens soll damit herbeigeredet werden.

Schulleiter Rudolph empfängt die Schülerinnen: An dieser Schule herrschen klare Regeln.

Ganz ähnliche Evaluationsverfahren sind jedenfalls in Berlin im Gebrauch, das führte zu dem Skandal um den Schulleiter Michael Rudolph, dessen Schule (eine im “Brennpunkt”) gute Leistungen zeigte, aber ohne die “richtige” Ideologie bei den Methoden. Vermutlich hätte da auch Bertelsmann abgewinkt, so wie der Herr Rudolph das machte, war das nicht der richtige digital gesteuerte “Qualitätsentwicklungsprozess”.

Mit dem Stichwort “Schulportrait” kann man übrigens Inspektionsberichte für jede Berliner Schule auf deren Homepage einsehen, das ist durchaus interessant. Bei einer Ganztagsschule (Heinrich-Böll-Schule) stand in einem Bericht z.B., dass viele Schüler den Ganztag nicht mögen und sich deshalb lieber absetzen. Und man erhebt unzählige Daten in farbigen Tabellen, deren Nutzen alles andere als klar ist. Eine Pflichtübung.

Da steht dann z.B.:

“Das Qualitätsprofil beinhaltet verpflichtende Qualitätsmerkmale (blau hinterlegt) und Wahlmodule. Hinter diesem Qualitätsprofil verbergen sich ca. 200 Indikatoren.” Diese “Datensammelwut” wird zu einer Wissenschaft, an der FU Berlin gibt es schon eine Professur für Schulevaluation. Wer sich das antun möchte, kann der eingangs genannten Tagung am 24.4.

und 25.4.2024 elektronisch folgen (mit “Live-Chat”), jedenfalls auf der sog. “Hauptbühne”, wo auch Herr Schleicher auftreten wird.

Dass all die Qualitätsentwicklungsprozesse bislang noch nicht zu einer Verbesserung schulischer Leistungen geführt haben (weder nach dem Kriterium der standardisierten Tests noch nach dem der “kleinen Empirie” der glaubwürdigen Berichte zuverlässiger Leute), bleibt ein unauflösbarer Widerspruch. Kulturpessimisten sehen uns schon auf einem Weg immer tiefer hinein in die Sackgasse. Die Optimisten müssten uns einen Ausweg aufzeigen. aber ob es den noch gibt?

In diesem Sinne wünscht einen schönen Sonntag

Wolfgang Kühnel

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Hans Brügelmann will förderorientierte Rückmeldungen – Eine Replik https://condorcet.ch/2024/02/hans-bruegelmann-will-foerderorientierte-rueckmeldungen-eine-replik/ https://condorcet.ch/2024/02/hans-bruegelmann-will-foerderorientierte-rueckmeldungen-eine-replik/#comments Wed, 07 Feb 2024 19:51:42 +0000 https://condorcet.ch/?p=15913

Felix Hoffmann, Sekundarlehrer in Baselland und Condorcet-Autor, greift den Beitrag von Professor Brügelmann, in welchem dieser eine grundsätzlich andere Benotung fordert, noch einmal auf und befasst sich darauf mit den unausgereiften Modeforderungen von Bildungsfunktionären.

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Wunschprosa

Die letzten fünf Kommentare zum Artikel sind um einiges aussagekräftiger als die Brügelmannschen Auslassungen. Es handelt sich bei diesen, wie mehrmals kommentiert, um naive Wunschprosa aus dem Elfenbeinturm, welche Brügelmanns Fehlen persönlicher Berührungspunkte mit dem Schulbetrieb gnadenlos offenbart.

Felix Hoffmann, BL, Sekundarlehrer, Condorcet-Autor: Im Vergleich praktikabel.

«Erziehungswissenschaften»- Erziehungs- bitte was?!?

Aufschlussreich ist Armin Tschenetts Recherche zur Biographie Brügelmanns. Letzterer ist «Erziehungswissenschaftler» und somit Vertreter einer Disziplin mit völlig nebulösem Inhalt. Mathematiker verfügen über Wissen und Fähigkeiten, die sich ausserhalb ihrer Domäne Stehenden völlig verschliesst. Das gleiche gilt beispielsweise für Physiker, Romanistinnen, Pharmazeutinnen, Biologen, Juristinnen, Ethnologen usw. Wie steht es diesbezüglich mit der «Erziehungswissenschaft»? Immerhin haben die bisher in etwa 10’000 bis 15’000 Generationen des Homo sapiens erfolgreich Kinder erzogen, ansonsten wir mittlerweile vermutlich ausgestorben wären. Ist das ein Zufall, dass die völlig unbedarften, ja geradezu zerstörerischen Schulreformen der letzten 30 Jahre ausgerechnet und nicht zuletzt in der Ecke der «Erziehungswissenschaften» losgetreten wurden?

Zuerst bitte die Gelingensbedingungen!

Und noch ein Wort zu Jürg Leuenberger, dem ersten Kommentatoren: Er unterliegt dem gleichen Fehler wie Beat Zemp, dem ehemaligen Präsidenten des LCH. Zemp begrüsste jegliche Reformen – und waren sie noch so durchgeknallt wie Passepartout oder die Kompetenzorientierung als Ganzes – unter der lediglich nachgestellten Bedingung der gewährleisteten Gelingensbedingungen, von denen er genau wusste, dass sie jeweils nicht gegeben waren. Die Erstplatzierung der Gelingensbedingungen, der notwendigen Ressourcen also, innerhalb Leuenbergers Kommentars, macht seine Forderung nach «förderorientierten Rückmeldungen statt der verbreiteten Fixierung auf Selektion» zwar nicht vernünftiger, denn sie ist es nicht, aber immerhin konsequent. Mit der Unterstützung dieser Forderung durch den Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, zeigt dieser auf, dass die an sich kleine Distanz zwischen Schulleitungsbüro und Schulzimmern so mancher Schulleitung offenbar nicht klein genug ist, um sich die Nähe zum Schulbetrieb zu bewahren. Und damit zu nächsten Punkt.

Hans Brügelmann (77), war von 1980 bis 2012 Professor für Erziehungswissenschaft an den deutschen Universitäten Bremen und Siegen.

Zemp begrüsste jegliche Reformen – und waren sie noch so durchgeknallt wie Passepartout oder die Kompetenzorientierung als Ganzes – unter der lediglich nachgestellten Bedingung der gewährleisteten Gelingensbedingungen, von denen er genau wusste, dass sie jeweils nicht gegeben waren.

Praktikabilität anstatt realitätsferner Idealismus

Bei den Schulnoten verhält es sich wie bei der Demokratie gemäss Winston Churchill: «Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen von allen anderen.» Selbstverständlich sind Noten keine perfekte Leistungsbeurteilung, aber sie sind bei aller berechtigten Kritik im Vergleich mit anderen Beurteilungsmethoden praktikabel, und das ist es nun mal, worauf es letztlich ankommt. Man stelle sich doch bitte mal die von Brügelmann und Leuenberger propagierten «förderorientierten Rückmeldungen» genau vor: Lehrkräfte sollen also neben dem Unterricht, der Vor- und Nachbereitung desselben, der rund wöchentlichen Prüfungsentwürfe und -korrekturen, der Gespräche mit Lernenden, Klassen und Eltern, dem ständigen interkollegialen Austausch, der jährlichen schriftlichen Kommentierung der Lernenden, der sich wiederholenden Stufen- und Kantonalkonferenzen, der regelmässigen Gesamtkonvente, der periodischen Fachschaftstreffen und Teamsitzungen, der kontinuierlichen Absprachen mit dem Förder- und Heilpersonal, der jährlichen Standortgespräche mit Lernenden und Eltern, der wiederkehrenden Organisation von Lager- und Projektwochen, der Vorbereitung von Ausflügen und Exkursionen, der administrativ aufwändigen Dokumentation bzw. Abrechnung der meisten dieser Anlässe nun also auch noch regelmässige «förderorientierte Rückmeldungen» durchfühlen?!? Zur Erinnerung: Eine einzelne Lehrkraft hat schnell über 100 SchüllerInnen und von zeitaufwendigen disziplinarischen Problemen war hier noch gar nicht die Rede. Wie der von seiner eigenen Gilde als «schlampig» bezichtigte Fernsehphilosoph und Hobbyschulreformer, Richard David Precht[1], muss wohl auch Brügelmann unter einem unaufgearbeiteten Schultrauma leiden, weswegen sie nun beide dem Schulbetrieb, der schon jetzt nicht zuletzt wegen Überlastung unter massivem Personalmangel leidet, mit einem weiteren unausgegorenen Konzept den Todesstoss versetzen wollen.

David Precht, Fernsehphilosoph: Relativ schlampige Argumentation.

Das Paradox der fehlbaren Reformer als ungerufene Retter

Der Arbeitsmarkt ist nicht spezifisch Schulnoten gegenüber kritisch eingestellt, er verteilt sie ja selbst in seinen Evaluationen. Das Problem geht viel tiefer. Nach 30 Jahren verantwortungsloser und verfehlter Reformen mit der Folge gravierend schlechter Resultate anlässlich diverser Evaluationen wie PISA oder ÜGK, ist das Vertrauen der Privatwirtschaft in den Schulbetrieb grundsätzlich erschüttert, und das zurecht. Eine Antwort auf dieses Misstrauen sind u.a. die privatwirtschaftlichen Testverfahren wie beispielsweise der Multicheck. Paradox dabei ist, dass ausgerechnet diejenigen Protagonisten des privaten Sektors, die eine massgebliche Verantwortung für die Misere des öffentlichen Schulbetriebs tragen – wie zum Beispiel Andreas Schleicher, PISA-Papst der OECD -, nun die Lehrkräfte als Sündenböcke hinstellen[2] unter völliger Ausblendung der eigenen Verantwortung. Schleicher wirft den Lehrkräften absurderweise vor, sie verstünden sich allzu sehr als Befehlsempfänger, wo sie doch nicht zuletzt auch durch ihn genau dazu degradiert wurden mittels von oben aufoktroyierter Schulreformen. Zur Erinnerung: Verweigerte man sich als Lehrperson der unsäglichen Passepartoutfortbildung, wurde einem die Lehrberechtigung für Fremdsprachen entzogen. Und aus der Ecke der sogenannten «Erziehungswissenschaften» bzw. «Bildungsforschung» kommen laufend neue, unbedarfte Ideen, noch bevor deren Vertreter die Untauglichkeit ihrer alten erkannt hätten. Als schulferne Theoretiker bräuchten sie dafür Evaluationen. Die aber wollen sie nicht, denn sie könnten ihre Konzepte als untauglich blossstellen, noch bevor sie in der Praxis scheitern, wodurch sie nie lukrativ würden. Nach all diesem unbedarften Schmarren lob ich mir Erika Gisler: «Lasst uns zuerst mal sicherstellen, dass die Kinder besser lesen, schreiben, rechnen können.» Back to Basics also und weg von idealistisch ideologischem Firlefanz!

[1] Z.Bsp.: https://www.spiegel.de/kultur/richard-david-precht-und-svenja-flasspoehler-im-talk-lasst-die-philosophie-da-raus-kolumne-a-97a5d8bd-a261-4601-8ce3-c755cd7c0ce4; https://www.merkur.de/deutschland/buch-precht-welzer-frankfurter-buchmesse-kritik-analyse-fehler-methode-niggemeier-91868475.html; https://www.t-online.de/digital/aktuelles/id_100166082/das-precht-problem-nicole-diekmann-ueber-das-fragile-ego-des-welterklaerers.html;

[2] Z.Bsp.: https://www.focus.de/panorama/welt/andreas-schleicher-pisa-chef-rechnet-mit-deutschen-lehrern-ab-ich-habe-ganz-ehrlich-wenig-verstaendnis_id_259590343.html

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Nicht nur einflussreich, sondern auch sterbenslangweilig https://condorcet.ch/2024/01/nicht-nur-einflussreich-sondern-auch-sterbenslangweilig/ https://condorcet.ch/2024/01/nicht-nur-einflussreich-sondern-auch-sterbenslangweilig/#respond Wed, 03 Jan 2024 12:47:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=15611

Condorcet-Autor Bernhard Krötz, Mathematik-Professor in Paderborn, eröffnet das Jahr 2024 in unserem Bildungsblog mit einem Beitrag über den Bertelsmann-Konzern und erklärt uns den Einfluss der Bertelsmann-Stiftung auf die Bildungsreformen der vergangenen Jahre.

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Es herrschte zuerst Betroffenheit https://condorcet.ch/2023/12/es-herrschte-zuerst-betroffenheit/ https://condorcet.ch/2023/12/es-herrschte-zuerst-betroffenheit/#respond Wed, 13 Dec 2023 12:08:44 +0000 https://condorcet.ch/?p=15493

Die Erziehungsdirektorinnen und -direktoren der Kantone wurde von den PISA-Verantwortlichen bereits einige Tage vor der Bekanntgabe der PISA-Resultate informiert. Es herrschte eine Stimmung der Betroffenheit. Dann übernahmen die Kommunikationsspezialisten der EDK.

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Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Betroffenheit, dann kamen die Kommunikationsprofis.

Die Redaktion des Condorcet-Blogs vermutete bereits vor Wochen, dass die Resultate der PISA-Studie 22 nicht sehr berauschend ausfallen würden. Das Interview von Herrn Schleicher mit Richard David Precht im ZDF gab hierzu erste Hinweise. Mr. PISA verkündete dabei «Weisheiten», die man vormals von den PISA-Kritikern vernommen hatte, sprach plötzlich von der Bedeutung der Lehrperson und verstieg sich sogar zu einer atemberaubenden Aussage: «Man hat das Herz der Bildung vergessen!» (https://condorcet.ch/2023/11/der-brandstifter-als-feuerwehrmann/)

Schliesslich wurden uns erste Insider-Informationen von der Sitzung der Erziehungsdirektoren mit den PISA-Verantwortlichen und der EDK  zugetragen: «Es herrschte», so ein Anwesender, «eine betroffene Stimmung!» Die Bildungsverantwortlichen, welche die Mission der Vermessung und der Kompetenzorientierung während all der Jahre in die Schulzimmer hineinbeorderten, schwiegen.

Andreas Schleicher, OECD-Verantwortlicher für die PISA-Studien: Man hat das Herz der Bildung vergessen.

Dann wurde plötzlich auch Kritik laut. Es könne doch nicht sein, dass wir mit all den Lehrplanvorgaben, des Lektionenausbaus und vor allem den massiven Mehrausgaben im Bildungssystem nicht vom Fleck kämen und sogar noch Rückschritte machten, meinten diverse Bildungsdirektoren. Andere forderten jetzt Sofortmassnahmen, um endlich die skandalös hohe Zahl der Illetristen zu senken.

Die EDK-Spitze liess am Schluss verlauten, dass man die Voten zur Kenntnis nehme, sich aber um eine «einheitliche Kommunikation» bemühe. Der Fortgang ist bekannt: Die Kommunikationsprofis übernahmen und heraus kam die bekannte Medienmitteilung mit der Glücksbotschaft: Im internationalen Vergleich schneiden die 15-jährigen Jugendlichen in der Schweiz in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften gut bis sehr gut ab. In allen drei getesteten Kompetenzbereichen liegt die Schweiz über dem OECD-Durchschnitt.

Das erinnert den Schreiber dieser Zeilen an einen Witz aus der ehemaligen Sowjetunion: Ein US-Amerikaner und ein Russe traten gegeneinander im 10’000 m-Lauf an. Der US-Amerikaner gewann. Die russische Prawda berichtete anschliessend: «Im einen international besetzten Leichtathletikwettkampf über 10’000 m wurde der Russe Kiril Leonow hervorragender Zweiter, während der favorisierte US-Amerikaner Will Henderson den enttäuschenden vorletzten Platz belegte.

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Dialogisches vor Digitalem! https://condorcet.ch/2020/05/dialogisches-vor-digitalem/ https://condorcet.ch/2020/05/dialogisches-vor-digitalem/#respond Thu, 07 May 2020 16:07:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=4876

Digitales Lernen erweist sich in der Corona-Quarantäne als wichtiges Werkzeug. Manche wollen es nun ins Zentrum des Schulalltags rücken. Gefordert wird Lernen 4.0. Was dabei nicht vergessen gehen darf, darauf verweist Condorcet Autor Carl Bossard.

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Carl Bossard: Wirkwerte sind minim.

Wer in diesen Tagen mit jungen Menschen digital unterwegs ist, wer Fernunterricht praktiziert und mit Lernenden in virtuellen Räumen kommuniziert, der staunt über die technischen Zaubereien. Die digitale Vielfalt fasziniert. Beim Zoom-Meeting Arbeitsaufträge erteilen, die Teilnehmer in Gruppen schicken, mit ihnen chatten, ihnen Bilder zeigen und die Folien erklären und darüber diskutieren – das alles kann man, und vieles mehr. Verführerisch leicht kommt es daher. Doch wirkt das alles auch? Und was bewirkt der Unterricht aus dem Homeoffice? Das beschäftigte den Autor dieser Zeilen nach jeder Digitalsequenz.

Wie steht es um digitale Lerneffekte?

„What works best in school?“ Diese Frage steht für den renommierten empirischen Bildungsforscher John Hattie im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Er stellte sie auch für das virtuelle Klassenzimmer. Bringt die Digitalisierung des Unterrichts einen pädagogischen Mehrwert? Und wie wirkt sich das E-Learning auf die Lerneffekte aus?

John Hattie: „What works best in school?“

Die Frage ist bedeutsam, weil der Ruf nach der digitalen Schule laut und apodiktisch erschallt, ganz so als könnten alte (Lern-)Probleme mit neuen Medien neu oder überhaupt erst gelöst werden. So mindestens lauten die Versprechen der IT-Industrie, die mit enormen Investitionen in die Bildung drängt und sich auf einen milliardenschweren Zukunftsmarkt vorbereitet. Der Kampf ist längst lanciert.

Empirischen Daten dämpfen die IT-Euphorie

Die Technik revolutioniere das Lernen, heisst es fast mantramässig. Von den konkreten Lerneffekten des digitalen Unterrichts aber hört man wenig. Man muss in nüchterne wissenschaftliche Studien eintauchen; hier zeigt sich ihr wirklicher Wert. Doch die empirischen Daten dämpfen die Euphorie. Das „Webbasierte Lernen“ beispielsweise, die individuelle Arbeit mit dem Internet und dem propagierten selbstwirksamen Lernen, erhält bei John Hattie eine sehr geringe Effektstärke.[1]

Auch die sogenannte „Programmierte Instruktion“ hält nicht, was sie verspricht.

Das Gleiche gilt für das Online-Lernen, für die Laptop-Einzelnutzung oder für den Einsatz von Powerpoint. Ihre Wirkwerte sind minim; sie tendieren gegen null. Dem digitalisierten Fernunterricht geht es nicht besser. Auch die sogenannte „Programmierte Instruktion“ hält nicht, was sie verspricht. Den angepriesenen Potenzialen hinkt sie weit hinterher. Bessere Resultate erzielen die Computerunterstützung im Unterricht und interaktive Lernvideos.

Die OECD als fleissiger Bildungsmodernisierer musste einräumen, dass Schulen mit wachsenden Investitionen in ihre digitale Infrastruktur eher schlechter wurden.

Ernüchternde Befunde der technikaffinen OECD

Steve Jobs: Schickte seine Kinder in die Waldorf-Schule

Diese Befunde decken sich mit der Aussage von Andreas Schleicher, dem OECD-Bildungsdirektor. Er stellte schon vor länger Zeit ernüchtert fest: „Wo Computer in Klassenzimmern genutzt werden, sind ihre Auswirkungen auf die Leistung von Schülern bestenfalls gemischt.“ Die OECD als fleissiger Bildungsmodernisierer musste einräumen, dass Schulen mit wachsenden Investitionen in ihre digitale Infrastruktur eher schlechter wurden.[2] Die Realität bleibt hinter den Versprechen der Technologie zurück. So kam die amerikanische Westpoint Academy zum Ergebnis, dass Studenten ohne Laptop und Tablet um zwanzig Prozent bessere Leistungen erzielen.[3]

Es ist wohl kein Zufall, dass der ehemalige Apple-CEO Steve Jobs und der Microsoft-Gründer Bill Gates ihre Kinder in digitalfreie Waldorf-Schulen schickten. Sie sind auffallend ‚low-tech‘ ausgerüstet und arbeiten noch mit Kreidetafel und Bleistift.

Nicht selten bleibt die Digitalisierung auf einer Ersatzebene für bisherige Medien stecken: Der PC als Lexikonersatz, das Tablet als Arbeitsblattersatz, das Smartboard als Tafelersatz.

Vorzüge von Computern und Tablets im Unterricht (noch) nicht belegt

Warum erzielt die Digitalisierung keinen grösseren Effektwert auf die schulischen Leistungen der Lernenden? Das Aufrüsten der Schulen mit Computern, Tablets und Smartphones allein revolutioniert Lernen nicht.[4] Programme, die in die Schulklassen kommen, sind häufig überfrachtet – akustisch wie optisch. Das Blinken hier und Ploppen dort führt zu einem „cognitive overload“ und damit zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses. Nicht selten bleibt die Digitalisierung auf einer Ersatzebene für bisherige Medien stecken: Der PC als Lexikonersatz, das Tablet als Arbeitsblattersatz, das Smartboard als Tafelersatz. Die neuen Medien bleiben Informationsträger.

Kinder brauchen ein inspirierendes und korrigierendes und damit vital präsentes Gegenüber.

Kognitive Prozesse anregen und damit nachhaltige und positive Effekte auf das Lernen ausüben – das bleibt das Ziel. Das ist anspruchsvoll. Auch beim Programmieren von Programmen. Entscheidend ist und bleibt neben dem systematischen Wissens- und Könnensaufbau das konstruktive persönliche Feedback. Darum brauchen die meisten Lernenden auch beim raffiniertesten Digitalprogramm und bei der modernsten Technik ein analoges Du – ein inspirierendes und korrigierendes und damit vital präsentes Gegenüber.

Lernen bleibt Arbeit und ist anstrengend

Und dieses spürbare Vis-à-Vis muss den Schülerinnen und Schülern eines klar machen: Denk- und Lernprozesse sind für den Einzelnen selten etwas Leichtes. Das suggerieren nur gewisse Technikkonzerne und zeittrendige Bildungsexperten. Lernen ist immer anstrengend. Wer lernt, muss an seine Grenzen gehen und sie überwinden. Das gehört zu den menschlichen Konstanten. Seit Generationen!

Aus der Lernforschung wissen wir: Jugendliche und junge Menschen brauchen fürs Lernen klare Ziele. Sie benötigen strukturierte Lernumgebungen, Phasen des bewussten und gezielten Übens. Sie sind zudem auf ein regelmässiges und sprachlich differenziertes Feedback angewiesen sowie auf eine intensive und positive Lehrer-Schüler-Beziehung. Das alles erzielt hohe Effektwerte, aber es tönt banal. Darum geht es in der digitalen Welt vielfach vergessen.

Der Ort schulischer Bildung ist die Interaktion zwischen Menschen

E-Learning ergänzt den Unterricht; doch E-Learning revolutioniert das Lernen nicht, wie viele IT-Protagonisten behaupten. Die empirischen Daten sprechen eine andere Sprache. Vermutlich waren gute und pädagogisch engagierte Lehrpersonen darum nicht perfekt auf den ruckartig erfolgten Wechsel vom analogen Unterricht ins virtuelle Klassenzimmer vorbereitet. Als Praktiker stehen sie den hehren Heilsversprechen der Digitalkonzerne und der Bertelsmann-Stiftung schon länger skeptisch gegenüber.

Dazu wissen sie anerkannte Bildungsforscher wie John Hattie, Andreas Helmke[5] oder Klaus Zierer auf ihrer Seite: Nach ihnen gehen Lerneffekte von Lehrpersonen und ihrem Unterricht aus. Der Ort schulischer Bildung ist eben nie die Struktur allein, nie die Methode allein und auch nie das (digitale) Medium allein. Der Ort schulischer Bildung ist die Interaktion zwischen Menschen. Dieses „Dazwischen“ macht das Konstitutive des Unterrichts aus. Und dieses Dazwischen droht im Moment vergessen zu gehen: Es fehlt die zwischenmenschliche Energie, es fehlt das Augenzwinkernde und Spontane, es fehlt das Pulsierende des Klassenraums. Es ist das Dialogisch-Sokratische. Genau das vermisst der Autor im einsamen Homeoffice.

 

[1] Vgl. Zierer Klaus (2018), Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 49.

[2] In: OECD (2015), Students, Computers and Learning: Making the Connection, PISA. Paris: OECD Publishing, S. 3f.

[3] Thomas Thiel, Lernen im Chatroom, in: FAZ, 13.10.2018.

[4] John Hattie & Klaus Zierer (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 65.

[5] Andreas Helmke (2015). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer.

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Bildungspolitische Plauderstunde beim ECHO der Zeit – Ein Protokoll https://condorcet.ch/2020/04/bildungspolitische-plauderstunde-beim-echo-der-zeit-ein-protokoll/ https://condorcet.ch/2020/04/bildungspolitische-plauderstunde-beim-echo-der-zeit-ein-protokoll/#comments Tue, 14 Apr 2020 10:40:58 +0000 https://condorcet.ch/?p=4686

Gestern noch Kontrahenten spannen Felix Schmutz und Alain Pichard bei der Analyse des ECHO-Interviews "Chinesen kommen am besten durch die Krise" zusammen. Dabei entlarven die beiden Condorcet-Autoren die Substanzlosigkeit und die völlige Absenz kritischer Nachfragen. Der intelligente, aber keineswegs neutrale Bildungsexperte und PISA-Verantwortliche Andreas Schleicher wird in diesem Interview kaum gefordert und setzt sein "Framing" souverän um. Lesen Sie den Kommentar zu dieser bildungspolitischen Plauderei.

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Selbstporträt

«Echo der Zeit» ist die weltoffene, politische Abendsendung von Radio SRF. Wir vertiefen täglich die wichtigsten Ereignisse im In- und Ausland. Wir bringen globales Geschehen zu Ohren mit Reportagen, Interviews und Analysen – klug und pointiert.

Sehr geehrte Echo-Macherinnen und -macher,

Ihr Kaminfeuergespräch mit Andreas Schleicher im Echo der Zeit hat unsere Herzen erwärmt. Und auch seine fundierte Erklärung, an wem wir uns bezüglich Homeschooling zu orientieren haben, haben wir notiert.
Gestatten Sie uns, Ihnen noch einige Fragen nachzusenden, pointiert und so klug wie möglich.

OECD-Bildungsexperte und oberster PISA-Verantwortlicher Andreas Schleicher: Es hapert bei den Fähigkeiten der Lehrkräfte.

Interview mit Andreas Schleicher zum Fernunterricht während der Corona-Krise

(6. April, Echo der Zeit, Radio SRF 1)

Zur Erinnerung: Die Sendung Kulturplatz Schweiz vom 13. März 2019 (Digitaler Unterricht auf dem Vormarsch) bestach durch Falschinformationen, Weglassungen und Verkürzungen. Sie wurde so zu einem propagandistischen Dokument für den Digitalunterricht. In einem Brief an die Macher kritisierte ich diese Sendung in 7 Punkten und lieferte die entsprechenden Quellen nach. Dies hatte eine Einladung der Redaktion zur Folge, an der auch Professor Ralf Lankau teilnahm. Die zwei Redakteure hörten uns zu und versprachen, das Thema beizeiten gezielt und unter Berücksichtigung unserer Argumente weiterzubearbeiten.

 

Roger Brändlin, Journalist. ECHO der Zeit. Keine kritischen Nachfragen.
Copyright: SRF/Oscar Alessio

Das Interview des Journalisten Brändlin im Echo der Zeit fällt in eine andere Kategorie. Hier geht es um fehlende Substanz, einen vermutlich schlecht vorbereiteten Interviewer und ein falsches Format.

 

In der Folge versuche ich, die Lücken dieses Interviews aufzuzeigen, die offenen Fragen zu stellen und die Widersprüche aufzudecken. Ich beende es mit einem Fazit. (Die Transkription des Interviews erstellte Condorcet-Autor Felix Schmutz)

 

Brändlin, SRF: Wo steht die Schweiz im digitalen Fernunterricht?

Schleicher: Technologisch sind die Schulen in der Schweiz gut ausgestattet. Noch mehr zu tun ist bei den Lehrkräften. Zumindest nach Aussagen der Schulleiter fehlen ihnen noch die technischen und pädagogischen Fähigkeiten, um die Technologie auch wirklich in innovative Unterrichtskonzepte zu integrieren.

Was ist nach Schleicher genau «innovativ»? Der Gebrauch der Tools oder die transportierten Lerninhalte?

Kommentar Condorcet:

Schleichers Aussage enthält zwei Elemente, über die man gerne mehr erfahren hätte:

  1. Gibt es eine validierte Umfrage unter Schweizer SchulleiterInnen, welche die Apodiktik dieser pauschalisierenden Aussage unterstreichen? (Immerhin lieferte sie den ersten Titel dieses Beitrags).
  2. Was versteht Herr Schleicher unter «Technologie, die es in innovative Unterrichtskonzepte» zu integrieren gelte!
  3. Was sind nach Schleicher «innovative Unterrichtskonzepte»?
  4. Welche Fähigkeiten fehlen den Schweizer Lehrkräften im Digitalen Unterricht (Gebrauch von Zoom, Facetime, WhatsApp, Google Brain – Deep-Learning-Projects, YouTube-Kenntnisse, Videos produzieren?)?
  5. Was ist nach Schleicher genau «innovativ»? Der Gebrauch der Tools oder die transportierten Lerninhalte?

 

Brändlin: Mit Fernunterricht ist nicht nur die Videokonferenz gemeint?

Schleicher: Es ist auch wichtig, dass die Schüler die Motivation und die Fähigkeiten haben, selbstwirksam zu lernen, eigene Lernprozesse auch zu begleiten, Lernziele selbst zu setzen, über längere Zeiträume unabhängig zu arbeiten, das erfordert eine wirklich neue Pädagogik.

Kommentar Condorcet

Sehr interessant. Was genau heisst «eigene Lernprozesse auch zu begleiten»? Und, welche Lernziele sollen sich Schüler selber setzen? Sollen sie die Menge der Wörtli im Französischunterricht, die sie in einer Unterrichtseinheit lernen sollten, selber bestimmen? Sollen sie selber bestimmen zu lernen, wie die Chemie den Aufbau der Materie erklärt? Dass SchülerInnen eine Motivation haben sollen, selbstwirksam zu lernen, ist ja eine Binsenwahrheit, die wir auch im Normalunterricht einüben wollen. Die Frage ist, kann man Motivation mit E-Learning lernen?

Brändlin: Gibt es Länder, die das besser können?

China als Vorbild?

Schleicher: China ist am besten durchgekommen. Da waren nach einem Monat 50 Millionen Kinder online, und dort ist es vor allem gelungen, wirklich auch die sozialen Bedingungen gut zu erhalten zwischen Schülern und Lehrkräften. In China haben natürlich Kräfte wie die künstliche Intelligenz eine ganz andere Bedeutung. In Europa ist Estland sehr weit in der technologischen Ausstattung, Unterrichtskonzepte sind dort sehr stark digitalisiert. Aber insgesamt stehen wir am Anfang.

Chinas Unterrichtskonzepte: Frontalunterricht, eine Unmenge an Lernstoff, knallhartes Üben, harte Selektion. Ist das innovativ?

Kommentar Condorcet

Um welche Art sozialer Betreuung handelt es sich in China?

Welchen Unterricht meint Schleicher, wenn er von China spricht? Schleicher ist ein kluger Mann, der viele Bildungssysteme kennt. Er weiss bestimmt, dass in China ein stark lehrerzentrierter Frontalunterricht gepflegt wird. Natürlich lernen die chinesischen SchülerInnen wesentlich früher und auch umfassender an digitalen Geräten. Ist dies bereits «innovativ»? Die darin enthaltenen Unterrichtskonzepte und die Lernprogramme sind bei uns arg in Misskredit geraten. Stichwort: Frontalunterricht, eine Unmenge an Lernstoff, härteste Selektion und knallhartes Üben. Was ist hier «innovativ»? Die Tatsache, dass alle Kinder einen Laptop zu Hause haben und Lernprogramme abarbeiten? Und wie machen es die chinesischen Lehrkräfte mit Kindern, die da nicht mithalten? Rufen sie diese an? Reden sie ihnen ins Gewissen? Machen sie ihnen Mut? Zumindest würde ich das unter «die sozialen Bedingungen gut erhalten» verstehen. Oder geschieht dies mittels PUSH-Nachrichten. Der Lehrer schickt ein zu bearbeitendes PDF-Dokument, das nach einer gewissen Zeit sofort verschwindet. Wer es verpasst, hat keine Chance mehr. Auch totale Überwachung ist soziale Betreuung.

Brändlin: Besteht nicht die Gefahr, dass Kinder aus weniger begüterten Familien benachteiligt werden?

Schleicher: Doch, die Schere zwischen Kindern der gut verdienenden Eltern und der ärmeren öffnet sich weiter. Lernen ist ein sozialer Vorgang. Diejenigen, denen die Eltern nicht helfen können, sind im Nachteil.

Brändlin: Wie kann die Schule in der Schweiz dem entgegenwirken?

Schleicher: Die technologische Voraussetzung sind gegeben. Wo es mehr hapert, ist wirklich die Vorbereitung der Lehrkräfte, die Integration in die Pädagogik, da hat die Schweiz noch mehr zu tun.

Kommentar Condorcet

Auch hier: Was meint Schleicher mit dem Satz «die Integration in die Pädagogik»? Welche Pädagogik schwebt ihm vor?

Brändlin: Was muss die Schule tun, um den Kindern trotz Corona möglichst viel Chancengleichheit mitzugeben?

Schleicher: Zunächst geht es darum Online-Plattformen gut zu nutzen, dass einfach die besten Instrumente überall zur Verfügung stehen, die Lehrkräfte zu unterstützen, mehr Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften zu schaffen. Das Thema ist oft, dass Lehrkräfte sehr als Einzelkämpfer arbeiten, die sind jetzt ganz auf sich allein gestellt. Da für mehr Austausch und Zusammenarbeit zu sorgen, wird allen helfen.

Kommentar Condorcet

Online-Plattform für den Deutschunterricht: Toll verpackte Herkömmlichkeit.

Von welchen Online-Plattformen spricht Schleicher? Weiss er, wie viele Schulen Online-Plattformen nutzen? Und wie sieht er es bei den 1. KlässlerInnen? Dort gibt es ja auch Online-Plattformen … Kennt der Journalist diese? Er sollte sie sich doch einmal anschauen und uns anschliessend das Innovative an dieser Pädagogik erklären! Und schliesslich noch der Griff in die Mottenkiste der Lehrervorwurfsskala: die Lehrkräfte als Einzelkämpfer! Herr Schleicher weiss genau, wovon er spricht. Er vermittelt dem Zuhörer das Bild der 60er-70er-Jahre. Er unterschlägt die strukturellen Änderungen in den Schweizer Schulhäusern: Geleitete Schulen, pädagogische Konferenzen, gemeinsame Vorbereitungen während der Ferien, Mitarbeitergespräche usw. Warum? Und wie evident ist die Aussage? Worauf basiert sie?

Brändlin: Das ist mittelfristig gedacht. Manche sagen, man solle das laufende Schuljahr abschreiben. Was halten Sie von der Idee, dass man das ganze Schuljahr wiederholt oder ein Semester anhängt?

Schleicher: Schüler sind resilienter als wir das oft glauben. Ich denke, von dem, was die Schüler auch online lernen, bleibt sehr viel hängen, und ich denke, alles einfach nochmal machen, das wird dann wirklich ein verlorenes Jahr. Die Frage ist, wie lange das jetzt weitergeht. Wenn es bei ein paar Monaten bleibt, ist das zu bewältigen.

Kommentar Condorcet

Ich habe meinen SchülerInnen folgenden Rechenauftrag gegeben. Wie viel Prozent des regulären Unterrichts würden in einer 11-jährigen Schulkarriere in der Volksschule ausfallen, wenn die Schulschliessungen bis Juni dauerten? Es sind knapp 4%!

Brändlin: Was überwiegt bei Ihnen: die Sorge um die Bildung der Schülerschaft oder die Freude über die Fortschritte im digitalen Unterricht?

Schleicher: Sicherlich die Sorge um die Schülerschaft, denn nicht alle Lehrer sind darauf vorbereitet, nicht alle Schüler haben zu Hause das entsprechende Umfeld, um wirklich selbstwirksam, selbstständig zu lernen, da habe ich sehr grosse Sorge. Anderseits finden grosse Veränderungen in Zeiten tiefgreifender Krisen statt. Vieles, was wir heute entwickeln, dass Schüler einfach mehr Raum bekommen, innovativ zu lernen, dass Lehrkräfte mehr Verantwortung für die Gestaltung von innovativen Unterrichtskonzepten haben und übernehmen. Ich hoffe, davon wird einiges hängen bleiben. Das schlimmste Szenario ist, dass alles nach der Krise wieder so ist wie vor der Krise.

Diese Aussage suggeriert, dass die Schulen vor dem Lockdown in einem «schlimmen» Zustand sein mussten.

Kommentar Condorcet

Das ist interessant! Am schlimmsten wäre es, wenn die Schule wieder so wäre, wie sie vor der Corona-Krise war. Ja, wie war sie denn vor der Corona-Krise? Diese Aussage suggeriert, dass die Schulen vor dem Lockdown in einem «schlimmen» Zustand sein mussten. Vermutlich ist der digitale Unterricht gemeint. Und wiederum muss der Staunende sich angesichts solcher Rhetorik fragen: Was ist ein digitaler Unterricht? Ist da die Verwendung der digitalen Geräte als Tool gemeint oder ist es die Übergabe eines Unterrichts der direkten Instruktion durch die Lehrkraft an Softwarepakete von Google, die Verwaltung eines G Suite for Education-Kontos für jede Schülerin und jeden Schüler, die Beschulung unserer Kinder durch von Konzernen vorgefertigte Unterrichtsprogramme mit allen datentechnischen Problemen? Man erhält keine Antwort!

Brändlin: Könnte das sein?

Bei den Schülern bin ich optimistisch. Wer einmal gemerkt hat, dass man selbstständig lernen kann, dass man nicht nur einem Lehrer zuhören muss, man sich die Lehrkräfte aussuchen kann, mit denen man digital arbeitet, wenn man in ein virtuelles Laboratorium geht, anstelle irgendwo in der Schule zuzuhören. Wer das einmal mitgemacht hat, der wird später ein anspruchsvollerer Schüler sein, der auch auf die Lehrer zugeht und sagt, wie man am besten selber lernt. Die Schüler werden das einfordern, hoffe ich.

Kommentar Condorcet

Innovative Tools oder fragwürdige Datensammlung?

Das sind ja grosse Ankündigungen. Man kann selbständig lernen, die Lehrkräfte aussuchen und das in einem virtuellen Laboratorium. Wie funktioniert ein solches «virtuelles Laboratorium»? Kann man sich das auch aussuchen? Und welche Lerninhalte werden dort vermittelt? Welche Unterrichtsprogramme kommen zum Zuge? Google? Google brain speichert aber auch Geräte- und Hardwareinformationen, Geräteerkennungen und Betriebssystemversionen, IP-Adressen und Standortinformationen, setzt akivitätsprotokollierende Cookies ein, nutzt Sensoren der Geräte und deren Daten. Ist das ein Problem? Herr Schleicher weiss natürlich, wovon er redet. Weiss es aber der fragende Journalist?

Soll dieser Beitrag von Echo der Zeit informieren, aufklären, eine bestimmte Sicht propagieren oder einfach nur werben?

Fazit Condorcet:

Alain Pichard
Das Format taugt nichts.

Um was für eine Art von Beitrag handelt es sich? Soll er informieren, aufklären, eine bestimmte Sicht der Dinge propagieren oder einfach nur werben? Welche Frames (Wissensrahmen) kommen hier vor? Welche Rolle spielen die so aufgerufenen Frames für die Schlussfolgerungen der Zuhörerschaft? Welche Mechanismen können identifiziert werden, die darauf abzielen, Bewusstseinszustände von Lesern zu verändern? Wie immunisieren sich die Aussagen gegen Widerlegung oder Widerstand?

Ich möchte dem fragenden Journalisten nicht zu nahe treten. Aber dieses Interview ist kein erkundender Dialog, es ist ein Kamingespräch, eine Thesenplattform. Der Journalist wird sagen, das Format lasse nicht mehr zu. Das mag stimmen. Warum führt er es dann so durch? Das Echo der Zeit rühmt sich, sorgfältig recherchierte Hintergrundberichte zu liefern, seriöse Informationen zusammenzustellen und faktenbasiert zu kommentieren.

Gespräche mit «Experten» können dabei ein Element sein. Herr Schleicher ist zweifellos ein Experte. Er weiss viel mehr, als er geäussert hat, und er hätte bei entsprechenden Nachfragen auch nachgeliefert. Er ist aber auch ein Vertreter einer Bildungspolitik, die eine Agenda verfolgt. Er ist kein neutraler Bildungsforscher. Auch das hätte ein seriös arbeitender Journalist feststellen müssen. Und Herr Schleicher weiss bestens mit dem gewählten Format

Herr Schleicher ist kein neutraler Bildungsforscher. Er ist ein intelligenter Vertreter einer Bildungspolititk, die eine Agenda verfolgt, die wir skeptisch beurteilen (müssen).

umzugehen. Er setzt souverän auf die Frames, benützt die Innovationsrhetorik, ohne diese zu präzisieren. Herr Brändlin verfällt in die Rolle des Stichwortgebers. Eine ketzerische Zwischenfrage: Hätte es sich um einen AFD-Bildungssprecher oder einen Trump-Sympathisanten gehandelt, wäre dann die Befragung auch so devot geblieben?

Für einen intelligenten Mann wie Schleicher stellt diese Form des Interviews eine Unterforderung dar. Für uns kritisch denkende Bildungsinteressierte ist es nutzlos. Für die Mehrheit der Zuhörerschaft vermutlich durchaus prägend,  ja propagandistisch.

Am Schluss noch der Treppenwitz der Titeländerung

Und am Schluss noch ein Treppenwitz der ganzen Geschichte: Auf Hinweis unseres Codorcet-Autors Carl Bossard wurde der pauschalisierende und von vielen als diffamierend empfundene Titel der Sendung «Fehlende digitale Fähigkeiten bei Schweizer Lehrkräften» zu «Chinesische Schulen kommen am besten durch die Krise». Wieder eine Behauptung von Andreas Schleicher; empirische Daten legt er keine vor. Und was heisst «am besten»? Ich jedenfalls weiss es: Am besten hört man sich solche Sendungen einfach nicht an.

 

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Chinesische Schüler kommen am besten durch die Krise https://condorcet.ch/2020/04/chinesische-schueler-kommen-am-besten-durch-die-krise/ https://condorcet.ch/2020/04/chinesische-schueler-kommen-am-besten-durch-die-krise/#respond Tue, 14 Apr 2020 08:44:16 +0000 https://condorcet.ch/?p=4682

Das für seine seriösen Hintegrundberichte gelobte Sendegefäss Echo der Zeit interviewte den PISA-Chef Andreas Schleicher. Eine spannende Lektion in Pauschalisierung, Framing, Lehrerbashing und Chinalob. Hören Sie die Sendung!

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OECD-Bildungsexperte und oberster PISA-Verantwortlicher Andreas Schleicher: Es hapert bei den Fähigkeiten der Lehrkräfte.

https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=2b5535fc-0f9c-4ad8-ae05-44ca957dc914&startTime=5.109

 

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Eine neue Rubrik im Condorcet Blog: Once upon a time! https://condorcet.ch/2019/12/eine-neue-rubrik-im-condorcet-blog-once-upon-the-time/ https://condorcet.ch/2019/12/eine-neue-rubrik-im-condorcet-blog-once-upon-the-time/#comments Sun, 08 Dec 2019 12:30:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=3179

Die Redaktion des Condorcet-Blogs hat heute für seine Leser eine neue Rubrik eingeführt. Sie heisst: Once upon a time! In diesem neuen Textformat wollen wir all die grossen Denkerinnen und Denker, die uns in der Vergangenheit mit Ankündigungen, Heilsversprechen, Prophezeihungen und Wunschprosa beschenkt haben, zu einem würdigen Platz in der jüngsten Bildungsgeschichte verhelfen. Vor allem aber wollen wir diesen Damen und Herren dabei behilflich sein, ihre plötzlichen Erinnerungslücken wieder zu schliessen, wenn sie unseren Alltag mit neuen Interpretationen und weiteren Versprechungen bereichern. Den Anfang macht Andreas Schleicher, Direktor für Bildung bei der OECD und seines Zeichens Mr. PISA.

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Bildungs”prophet” Andreas Schleicher: “Es hat sich viel getan!”

“Es hat sich enorm viel getan. […] Heute wird ganz
selbstverständlich auf der Grundlage dieser empirischen Daten
diskutiert. […] Als ich im Jahr 2001 für Standards plädiert habe,
deren Einhaltung überprüft wird, wurde ich auch kritisiert. Heute hat sogar Nordrhein-Westfalen ein Zentralabitur. Es gibt Bildungsstandards und regelmäßige Vergleichsarbeiten. Oder nehmen Sie die Schulstruktur, wo sich ein Zweisäulenmodell durchsetzt. Das sind Riesenfortschritte.”

In “Die Zeit” 4.12.2019

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