Kanton Zürich - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Tue, 09 Apr 2024 05:42:20 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Kanton Zürich - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Integration Ja, aber wie? Braucht es Förderklassen? https://condorcet.ch/2024/04/integration-ja-aber-wie-braucht-es-foerderklassen/ https://condorcet.ch/2024/04/integration-ja-aber-wie-braucht-es-foerderklassen/#comments Mon, 08 Apr 2024 17:31:29 +0000 https://condorcet.ch/?p=16438 Einen Anlass möchten wir Ihnen gerne ans Herz legen, nicht nur, weil zwei Condorcet-Autoren auf dem Podium stehen. Das Podium ist kontradiktorisch konzipert, was natürlich ganz im Sinn des Condorcet-Blogs ist.

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Governance – ein grosser Schritt in die falsche Richtung https://condorcet.ch/2023/07/governance-ein-grosser-schritt-in-die-falsche-richtung/ https://condorcet.ch/2023/07/governance-ein-grosser-schritt-in-die-falsche-richtung/#respond Wed, 05 Jul 2023 11:01:52 +0000 https://condorcet.ch/?p=14214

Das Gespenst von Governance geht schon lange um im Kanton Zürich. Das Wenige, was man zwischendurch hat vernehmen können, liess nicht viel Gutes erwarten. Was nun seit einigen Wochen auf dem Tisch liegt (siehe dazu: https://condorcet.ch/2023/07/projekt-governan…er-mittelschulen/), ist dennoch ein Schock. Die Vorlage bietet für unseren Gastautor Peter Küng, Vertreter der Mittelschullehrpersonen im Zürcher Bildungsrat, eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, was eigentlich die Qualität der Zürcher Gymnasien auf Organisationsebene ausmacht. Seines Erachtens werden nämlich gerade diese Stärken durch die Governance gefährdet. Der Artikel erschien zuerst im QI 2/23, den Quartalsinformationen des Mittelschullehrpersonenverbandes Zürich.

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Unsere Gymnasien sind partizipative und demokratisch geprägte Schulen

Es beginnt bei der wichtigen Person der Rektorin. Sie trägt bereits heute die Gesamtverantwortung für die Schule. Dennoch ist sie für die Lehrpersonen eine Kollegin, mit der man auf Augenhöhe diskutieren kann: Sie ist eine Lehrerin, die – wie alle Kolleginnen – an der Schule unterrichtet und deren Berufsalltag kennt und teilt. Sie ist vom Konvent vorgeschlagen und wird vom selben Konvent alle vier Jahre wieder bestätigt.

Peter Küng, Gymnasiallehrer und Bildungsrat im Kanton Zürich: Wer sollte die Qualitäten einer Rektorin besser beurteilen können als das Kollegium vor Ort?

Eine Rektorin, die vom Konvent vorgeschlagen wird, weiss, dass sie vom Kollegium getragen ist. Und wo der Konvent nach vier oder acht Jahren diese Unterstützung verweigert, weiss er, warum er dies tut. Wer sollte die Qualitäten einer Rektorin besser beurteilen können als das Kollegium vor Ort? Diese Regelungen mit ihren positiven Implikationen sind vom Gesetzgeber so gewollt – und werden in der Praxis von den Lehrpersonen enorm geschätzt.

Die Vorlage möchte nun das Mitspracherecht des Konvents beseitigen – mit der Begründung, das im Datenschutz geltende Prinzip des Persönlichkeitsschutzes würde dadurch verletzt. Der Datenschutz verhindert aber den zwingenden Einbezug des Konvents in die Wahl der Mitglieder der Schulleitung keineswegs. Selbst der kantonale Datenschützer, auf den sich die Vorlage beruft, moniert einzig mit einiger Klarheit, dass die Konvente die Bewerbungsunterlagen der Bewerberinnen erhalten. Einer demokratischen Mitsprache der Konvente bei der Anstellung und vor allem der regelmässigen Bestätigung der Schulleitungsmitglieder steht nichts im Wege. Ohne Not sollte diese Errungenschaft keinesfalls geopfert werden.

An unseren Gymnasien sind die Prorektorinnen ein wichtiger Teil der Schulleitung

Und noch etwas anderes hat der Gesetzgeber sich gut überlegt: Dass die Amtszeit eines Mitglieds der Schulleitung beschränkt sein soll. Dies stellt ein zentrales Element der Qualitätssicherung dar. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit; Kontinuität kann in diesen drei Amtsperioden ohne Weiteres gewährleistet werden, und eine Rektorin kann in dieser Zeit ihre Schule gestalten und prägen. Das ist gut so.

Dies verstärkt die Hierarchie innerhalb der Schulleitung und führt erneut zu einem Machtzuwachs an der Spitze.

Gut ist sicher auch, dass die Schulen nicht auf Jahrzehnte hinaus von ein und derselben Person geprägt werden. Wir besitzen ja sehr wohl qualifizierte Rektorinnen. Aber wir verfügen auch über ausgezeichnete Prorektorinnen, deren neue Ideen und Ansätze als Chefinnen einer Schule brach liegen, wenn die Vorgängerin nie Platz machen muss. Ein System sollte nicht nur Kontinuität ermöglichen (das tut das bestehende System), sondern ebenfalls Entwicklungsmöglichkeiten bieten und Wandel erlauben.

Nicht genug, dass Prorektorinnen künftig weniger Chancen auf das Amt als Rektorin haben: Sie sollen in Zukunft auch noch aus der Schulleiterkonferenz (SLK) ausgeschlossen werden. In der SLK werden Themen besprochen, die direkt die Geschäftsbereiche der Prorektorinnen betreffen. Diese ohne Not von der Beratung und dem Informationsaustausch auszuschliessen, schwächt das Gremium als Ganzes – und zeigt auf, dass die Prorektorinnen künftig nicht mehr viel zu melden hätten.

Die Rektorin wird es zudem sein, welche die Prorektorinnen (ihre Prorektorinnen, wie man wohl künftig sagen müsste) anstellt und auch beurteilt. Dies verstärkt die Hierarchie innerhalb der Schulleitung und führt erneut zu einem Machtzuwachs an der Spitze. Wo jetzt der Konvent und die Schulkommission dafür schauen können, dass eine Schulleitung divers aufgestellt ist – auch mit Prorektorinnen, die sich die Rektorin nicht aussuchen würde – besteht künftig die Gefahr, dass sich Rektorinnen ihre Echokammern bauen. Dazu braucht es keineswegs bösen Willen – es ist die Tendenz eines Systems mit mangelnder Gewaltenteilung.

 

Das Rektorat steht künftig auf der Linie des Amtes.

Unsere Schulen sind teilautonom

Der vielleicht gefährlichste Passus ist aber ein anderer: Den grössten Machtzuwachs geniesst die Verwaltung. Ich habe nie zu den Verächtern der Verwaltung gehört, habe mich schon als Mitglied der GPK im zürcherischen Gemeinderat grün geärgert, wenn die Verwaltung als ineffizient oder als geschützte Werkstatt bezeichnet wurde: Weil ich tagtäglich erlebte, mit wie guten und engagierten Leuten wir es in der städtischen Verwaltung zu tun hatten. Und genau dasselbe habe ich als Bildungsrat wieder erlebt und schätze uns glücklich, dass wir im MBA – auf jeder Stufe – Leute haben, die mit Herzblut, Kompetenz und grossem Engagement für die Bildung im Kanton Zürich einstehen und arbeiten.

Dies ändert aber nichts daran, dass ich einem Ausbau der Macht der Verwaltung entschieden kritisch gegenüberstehe. Die Vorlage möchte nicht nur, dass die Verwaltung die Findungskommissionen für die Rektorinnen präsidiert; sie möchte, dass die Verwaltung künftig die Rektorinnen führt.

Von der Frage mal abgesehen, wer im Amt die Kompetenz haben soll, unsere Rektorinnen zu führen (nicht nur zu beaufsichtigen, sondern sie zu führen!) und wie stark die Verwaltung dadurch aufgebläht und verteuert würde: Diese Führung durch das Amt wäre ein Paradigmenwechsel, der noch weiter geht als die Abschaffung der demokratischen Mitsprache des Konvents: Die Rektorin stünde künftig in der Linie des Amtes. Es führte eine direkte Linie von der Regierung und der Verwaltung über die Rektorinnen und weiter zu den Lehrpersonen.

Gewaltenteilung schützt nicht nur die Lehrpersonen vor zu grosser Macht der Rektorinnen, sondern auch die Schulen (und nicht zuletzt die Schulleitungen!) vor der Übermacht der Verwaltung. Wieso sollten wir unsere Gymnasien noch teilautonom nennen dürfen, wenn die Verwaltung direkt den Rektorinnen vorgesetzt ist – und umgekehrt auch die Konvente nicht mehr viel zu melden haben?

 

Unsere Schulen leben Subsidiarität

Die Schulkommissionen sind Milizgremien – wie unsere Parlamente und die meisten Gemeindeexekutiven auch. Niemandem käme es in den Sinn, den Kantonsrätinnen und Gemeinderäten kleiner Gemeinden die Kompetenz abzusprechen und ihre Aufgaben der Verwaltung zu übergeben. Die Schulkommissionen sind Vertreterinnen der Zivilgesellschaft an unseren Schulen – sie bringen ihre Erfahrung und ihr Wissen aus verschiedenen Kreisen der Wirtschaft, der Kultur und der Wissenschaften ein. Auch wenn sie das oberste Gremium der Schulen sind, agieren sie auf partizipative Weise: An ihren Sitzungen sind die Schulleitungen und Vertreterinnen der Lehrerschaft anwesend.

Das heutige System erlaubt es, dass die Schulen die Themen, die sie bewegen, selbstständig angehen können. Ohne Umweg über die kantonale Verwaltung.

Wenn es überhaupt zutrifft, dass die Schulkommissionen Mühe haben, ihrer Aufgabe nachzukommen, gilt es doch, sie zu ertüchtigen und nicht zu entmachten. Sie sollen häufiger tagen und sich so in ihre Geschäfte vertiefen können; sie sollen besser entschädigt werden, damit sich ihr Aufwand lohnt (günstiger als die Governance-Lösung wird es noch lange bleiben!), und sie sollen sich weiterhin über die Präsidialkonferenz als Kompetenzzentrum austauschen können.

Es ist nicht so, dass die Vorlage gar keine positiven Aspekte mit sich bringt: Dass Schulleitungsmitglieder Teilzeit arbeiten können sollen, ist zu begrüssen. Dass sie entlastet werden sollen, ist einleuchtend – wenn auch nicht durch eine völlige Streichung der Unterrichtsverpflichtung, sondern durch eine Reduktion derselben; gerade die Adjunktinnen bieten eine wichtige und wertvolle Form der Entlastung. Diese Änderungen kann man begrüssen, ohne bestehende Qualitäten zu gefährden.

 

Schule als Ort der Identifikation

Lehrerinnen und Lehrer identifizieren sich stark mit ihrem Beruf; das ist bekannt, und genauso stark mit ihrer Schule als Institution. Beides reicht nicht aus, um einen guten Job zu machen, aber es sind gewichtige Gelingensbedingungen. Diese Identifikation mit der Schule ist kein Zufall. Sie ist die Folge davon, dass wir Lehrpersonen nicht nur in unserem Unterricht, sondern an unserer Schule mitreden und mitgestalten können. Dass wir aus unseren Reihen die fähigsten Personen in die schwierigsten Ämter entsenden können; dass wir sie, unsere Chefinnen, aber gleichzeitig nicht als Kolleginnen verlieren, sondern dass sie uns auf Augenhöhe erhalten bleiben. Dass wir Prorektorinnen haben, die von den Schulstufen, für die sie verantwortlich sind, sehr viel verstehen – auch weil sie auf diesen Stufen unterrichten. Dass wir Rektorinnen haben, welche die Sorgen und Anliegen der Schülerinnen und Lehrpersonen kennen – weil sie keine Schul-Manager sind, sondern Lehrpersonen in einer Führungsposition.

Es war mutig vom Gesetzgeber vor Jahrzehnten so viel Demokratie an den Zürcher Mittelschulen zuzulassen. Warum sollte heute dieser Mut fehlen?

Zum Autor
Peter Küng unterrichtet seit 2003 Deutsch und Geschichte an der Kantonsschule Wiedikon, an der er auch als Konventspräsident aktiv war. Aktuell ist er der Vertreter der Mittelschullehrpersonen im Bildungsrat. Peter Küng vertritt hier seine persönliche Meinung.

Ersterscheinung: Quartalsinformation des Mittelschullehrpersonenverbands Zürich, Qi 2/23, S. 10-15

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Stellungnahme Governance https://condorcet.ch/2023/07/stellungnahme-governance/ https://condorcet.ch/2023/07/stellungnahme-governance/#respond Wed, 05 Jul 2023 11:00:06 +0000 https://condorcet.ch/?p=14225

Die Schulleitungen und Schulkommissionen der Zürcher Mittelschulen sollen in Aufgaben, Zuständigkeiten und Anstellungsbedingungen einer tiefgreifenden Revision unterzogen werden. Das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) hat im Auftrag der Bildungsdirektion eine Vorlage erarbeitet mit dem sprechenden Namen Projekt "Governance", um das Mittelschulgesetz, das Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Berufsbildung sowie die entsprechenden Ausführungsverordnungen anzupassen. Im Kanton Zürich sind sich die Mittelschullehrpersonen einig in ihrer vehementen Ablehnung der Vorlage. Die zwei wichtigsten Gremien der Zürcher Mittelschullehrpersonen, LKM (Lehrpersonenkonferenz der Mittelschulen) und MVZ (Mittelschullehrpersonenverband Zürich), haben dazu eine gemeinsame Stellungnahme verabschiedet, die wir hier im Wortlaut abdrucken.

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Öffentliche Schulen müssen einer öffentlichen Kontrolle unterstehen!
Gymnasien schaffen Bildung und Lebenschancen und damit die Grundlagen für eine demokratische Gesellschaft. Sie stehen als öffentliche Schulen im besonderen Fokus der Öffentlichkeit. Die Schulkommissionen mit ihren Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Bildung aus dem Einzugsgebiet der Schulen geben wichtige Impulse und tragen insbesondere auch die Perspektive von Schülerinnen, Schülern und deren Eltern in die Schulen. Wer Schulen zu Verwaltungsfilialen machen will, entzieht sie der Öffentlichkeit.

Die Verwaltung nicht kostspielig aufblähen!
Die Schulkommissionen als Vertretungen aus dem Volk verlieren Gestaltungs- und Einflussmöglichkeit. Bei der Verwaltung wird hingegen Macht konzentriert: Mittelfristig werden bis zu 13 neue Stellen im MBA geschaffen. Zusammen mit der Aufhebung der Unterrichtsverpflichtung für Schulleitende kostet dies mehrere Millionen. Es ist mehr als fraglich, ob diese Personen beim MBA nahe genug an den Schulen dran sein können, um eine solche Führungsfunktion wahrzunehmen. Die Vorlage ersetzt Subsidiarität durch Zentralisation und bläht die Verwaltung unnötig auf.

Gymnasien brauchen eine partizipative, kollegiale Schul-Kultur!
Die in der Governance-Vorlage vorgesehene Konzentration der Macht- und Entscheidungsbefugnis auf die Rektorinnen und Rektoren wird die partizipative, kollegiale Kultur an den Gymnasien beeinträchtigen. An den Gymnasien arbeiten pädagogische Profis und fachwissenschaftliche Expertinnen und Experten mit einem universitären Masterabschluss gemeinsam mit den Schulleiterinnen und Schulleitern an der Bildung der zukünftigen Maturandinnen und Maturanden. Dieses Projekt braucht Teams, nicht Solospieler.

Keine Echokammern bauen!
Gemäss Vorlage erhalten Rektorinnen, Rektoren, das Recht, ihre Prorektorinnen und Prorektoren anzustellen und zu kündigen. Zudem sind sie massgeblich bei deren Beurteilung beteiligt. Gleiches gilt auch bezüglich der Lehrpersonen. Kritik, auch konstruktive, wird es in einem solchen System schwer haben. Wir sehen hier die Gefahr einer innerschulischen Echokammer, die von aussen weder von der Schulkommission noch vom Amt beeinflussbar sein wird.

Die Reform überlastet das System Schule!
Im Rahmen des nationalen Projekts WEGM werden die Zürcher Gymnasien bis 2028 mit einer pädagogischen und strukturellen Grossreform beschäftigt sein. In diesem durchaus stürmischen Zeitraum zusätzlich einen disruptiven Umbau der Macht- und Führungsstrukturen der Gymnasien anzustreben ist falsch, zumal der Widerstand aus den Schulkommissionen und den Konventen gegen Governance massiv ist und die einvernehmliche Kooperation aller Player im Schulfeld von grösster Wichtigkeit wäre. Deshalb: das Bestehende stärken, statt bestehende Stärken abbauen!

Feuer dort löschen, wo es brennt!
Jedes System kommt zuweilen an den Anschlag; es muss Stresstests überstehen! Die TBZ und andere Schulen sind Einzelprobleme, für die es Einzellösungen braucht – keinen Systemumbau.

Führungsnachwuchs braucht Entwicklungschancen, keine Innovations-Sackgassen!
Der Wegfall der Amtszeitbeschränkung wird dazu führen, dass Schulleitende über Jahrzehnte auf ihren Positionen sitzen bleiben. Mit Governance wird eine Führungselite geschaffen, die sowohl fähigen Lehrpersonen wie fähigen Prorektorinnen und Prorektoren auf Jahrzehnte hinaus Karrierechancen verbaut – und alles andere als ein Garant für Innovation und Agilität sein wird.

Inhaltliche Verbesserungen statt Strukturreform!
Die Anstellungsbedingungen der Schulleitungen müssen verbessert werden, das ist unbestritten; die Ansätze hierzu befinden sich in der Vorlage. Der vorgeschlagene Umbau der gesamten Führungsstruktur ist jedoch nicht nur unverständlich, sondern auch kontraproduktiv. Die Vorlage muss unter Einbezug aller Stakeholder, insbesondere auch der Lehrpersonen, überarbeitet werden!

Vorstand LKM und MVZ-Arbeitsgruppe Governance im April 2023

Postion des MVZ zu Governance, siehe: mvz.ch/unsere_positionen

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Anfang vom Ende gelebter Partizipation https://condorcet.ch/2023/07/anfang-vom-ende-gelebter-partizipation/ https://condorcet.ch/2023/07/anfang-vom-ende-gelebter-partizipation/#comments Wed, 05 Jul 2023 10:58:27 +0000 https://condorcet.ch/?p=14474

Governance – ein Begriff aus der Institutionenökonomie und dem New Public Management hat nach der Volksschule nun die Zürcher Mittelschulen erreicht und stösst bei den betroffenen Lehrerinnen und Lehrern nahezu geschlossen auf Ablehnung. Gastautor Michael Bleicherbacher stellt die zentralen Änderungen dar und weist auf den Abbau partizipativer Mitwirkung hin, wenn die Konzentration von Macht und Entscheidungsbefugnissen auf Amt und Schulleitung übergehen. Der gelebten Zusammenarbeit zwischen Schulkommissionen, Schulleitungen und Lehrerschaft werde der organisatorische Boden entzogen. Lesen Sie dazu auch die gemeinsame Stellungnahme der Lehrpersonenkonferenz der Zürcher Mittelschulen (LKM) und des Mittelschullehrpersonenverbandes Zürich (MVZ) (https://condorcet.ch/2023/07/stellungnahme-governance/) sowie die Analyse von Ist-Zustand und geplanten Änderungen von Bildungsrat Peter Küng (https://condorcet.ch/2023/07/governance-ein-g…falsche-richtung/).

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Im Kanton Zürich geniessen die Mittelschulen eine «Teilautonomie». Im Rahmen des Budgets kann in die Infrastruktur und Entwicklung der Schule investiert werden. Eine Facette der Teilautonomie, wie sie aus Sicht der Schulen auch verstanden werden kann, ist eine gewisse organisatorische Unabhängigkeit von der Bildungsverwaltung und eine Mitverantwortung der Lehrpersonen in der Schulorganisation, z. B. bei der Besetzung von Schulleitungsposten oder den Lehrplänen. Zur Teilautonomie gehört auch, dass den Schulen ein Milizgremium vorsteht, die Schulkommission, welche die Schulleitenden zur Wahl vorschlägt oder für die Qualifikation der Lehrpersonen zuständig ist.

Das Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Zürich hat nun unter dem Titel «Projekt Governance» ohne Not und ohne fundierte Analyse allfälliger Probleme einen Vorentwurf mit Änderungen an den gesetzlichen Grundlagen in die Vernehmlassung gegeben, welche drastische Änderungen an der Organisationsstruktur der Mittel- und Berufsschulen zur Folge hätten.

Die Vernehmlassungsvorlage

Die Vernehmlassungsvorlage enthält 5 Punkte, von denen hier die problematischsten Änderungen kurz dargestellt werden:

  1. Eine Stärkung der Schulleitung soll erreicht werden, indem nicht mehr die Schulkommission (SK), sondern der Rektor/die Rektorin für die Anstellung und Entlassung der Lehrpersonen sowie für die Leistungsbeurteilung zuständig sein soll. Der SK kommt nur noch eine unterstützende Rolle zu. Strategische Entscheidungen sollen nun allein bei der Schulleitung liegen, Konvent und SK dürften lediglich Stellung nehmen.
  2. Die Anstellungsbedingungen aller Schulleitungsmitglieder sollen dahingehend geändert werden, dass Rektor oder Rektorin nicht mehr von der SK, sondern vom Mittelschulbildungsamt, also allein von der Verwaltung, unbefristet und ohne Unterrichtsverpflichtung ernannt werden. Prorektorinnen und Prorektoren würden neu allein vom Rektor angestellt werden, ebenfalls ohne Befristung und ohne Unterrichtsverpflichtungen. (Bislang waren maximal drei Amtszeiten à vier Jahre für Schulleitungsmitglieder möglich.) SK und Lehrerschaft dürften lediglich in einer Findungskommission einsitzen; die Zustimmung des Konventes muss damit nicht mehr eingeholt werden.
  3. Das Mittelschul- und Berufsbildungsamt soll statt der Schulkommission die Rektorin/den Rektor führen und für ihre Leistungsbeurteilung zuständig sein.
  4. Die Schulkommissionen sind nicht mehr als Aufsichtsorgane vorgesehen, sondern werden auf die Rolle der Beratung und Unterstützung beschränkt. Daher sollen auch die regelmässigen Konferenzen der SK-Präsidenten als Organ der Zusammenarbeit aufgehoben werden.
  5. Verwaltungs- und Betriebspersonal soll neu dem Gesamtkonvent angehören können und damit auch über pädagogische Fragen mitentscheiden. Die Schulleitung entscheidet über deren Konventszugehörigkeit.

Die Änderungen wurden nicht mit den betroffenen Gremien erarbeitet. So erstaunt es nicht, dass die oben aufgeführten Anpassungen sehr kritisch gesehen oder rundweg abgelehnt werden. Im Fokus stehen der radikale Abbau der Möglichkeiten zur Partizipation der Lehrerschaft und die Verlagerung der Entscheidkompetenzen von der Schulkommission weg hauptsächlich hin zum Rektor/zur Rektorin.

Entmachtung der Schulkommission als aufsichtsführendes Gremium der Zivilgesellschaft

Die Schulkommission ist ein Gremium, das sich aus interessierten Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft rekrutiert, häufig aus Vertreterinnen und Vertretern zuführender oder abnehmender Bildungsinstitutionen, aus Politikerinnen und Politikern, aus dem Gewerbe des Einzugsgebietes oder aus der Kultur. Die Wahl erfolgt durch die Bildungsdirektion. Noch ist die Schulkommission zuständig für strategische Entscheide, für die unbefristete Anstellung, die Entlassung und die Qualifikation der Lehrpersonen und den Wahlvorschlag für Schulleitende. Das Gremium ist aufgrund seiner Stellung in der Organisation unabhängig von Amt und Schulleitung. Es übernimmt die Rolle der Öffentlichkeit, die über das Geschehen an den Mittelschulen wacht. Es entwickelt gerade durch die besondere Mischung ihrer Vertreter eine gesunde Aussensicht auf Schule und Bildung und trägt zur Öffnung der Institution bei. Und damit sind eben auch die Mittelschulen selbst dieser Öffentlichkeit verpflichtet und nicht einer Behörde, wie nun vorgesehen. In Zukunft soll dieses Gremium, geht es nach dem Willen des Amtes, nur noch beratende Funktionen haben. Seine Kompetenzen gingen über an die Rektorin/den Rektor oder das Amt.

Der «Governance»-Vorentwurf beschneidet die Partizipationsmöglichkeiten der Konvente der Lehrerschaft.

Was bedeutet der Abbau von Partizipation für die Schulkultur an unseren Gymnasien?

Der «Governance»-Vorentwurf beschneidet die Partizipationsmöglichkeiten der Konvente der Lehrerschaft. So müssten z.B. Diskussionen und Vorschläge zur Änderung der Stundentafel bei der Einführung neuer Fächer oder einer Neugewichtung der vorhandenen nicht mehr im Konvent geführt werden. Ebenfalls würde die Stimme der Lehrerschaft fehlen, wenn es um die Besetzung resp. Wiederwahl von Schulleitungsposten geht. Bisher konnte der Konvent beides der Schulkommission vorschlagen und diese wiederum übergeordneten Gremien zum Entscheid unterbreiten. Nun soll also allein die Rektorin/der Rektor die Stundentafel (im Rahmen der MAR-Vorgaben) beschliessen und das Amt selbst die Rektorin/den Rektor wählen. Diese(r) wiederum würde die Prorektorinnen und Prorektoren anstellen. Dieser Ab- statt Ausbau der Partizipationsmöglichkeiten der Lehrerschaft wirkt angesichts der Forderung aus dem laufenden Verfahren zur Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität nach mehr politischer Bildung aus der Zeit gefallen. Die Aufhebung von Amtszeitbeschränkung und Unterrichtsverpflichtung für Schulleitende sind weitere Elemente des Vorentwurfes, welche den angestrebten Systemwechsel verdeutlichen. Damit würden die Schulen Gefahr laufen, dass die Lehrpersonen sich deutlich weniger mit ihrer Schule identifizieren und die Mentalität des «Dienstes nach Vorschrift» die Schulentwicklung ausbremst. Denn wie der Bericht des IfE UZH zeigt, setzt die Weiterentwicklung des Gymnasiums «ein hohes Engagement aller Beteiligter voraus». (Link: https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/bildung/schulen/maturitaetsschulen/projekt-gymi-2022/zuercher-vorprojekt/brianza_criblez_haymoz_petko_2023_gymnasien_entwickeln_sich_weiter.pdf)

Worin liegt der qualitative Mehrwert?

Es kann natürlich argumentiert werden, dass es so oder ähnlich in anderen Kantonen schon praktiziert wird. Belege dafür, dass dies der Qualität der Schulen zuträglich ist, fehlen allerdings. Die Nachteile, die bei einer Umsetzung der Vorschläge befürchtet werden müssen, hat Bildungsrat Peter Küng in seinem Artikel «Governance – ein grosser Schritt in die falsche Richtung» erörtert, der im Qi, der Verbandszeitschrift des Mittelschullehrerverbandes des Kantons Zürichs, abgedruckt wurde. (Link: https://mvz.ch/qi_unsere_zeitschrift/detailview/article/106853/eyJlIjoiMTQxMTg1IiwiaSI6bnVsbH0=)

Guter Unterricht, gute Bildung lässt sich nicht befehlen. Guter Unterricht lebt von talentierten Lehrpersonen, die meist weit über das erforderliche Mass in den Unterricht und in die Betreuung der Schülerinnen und Schüler investieren.

Jammern auf hohem Niveau? Mitnichten!

Der Unterricht lebt von talentierten Lehrkräften

Von aussen betrachtet dürfte es kaum nachvollziehbar sein, wo das grosse Problem der vorgeschlagenen Änderungen liegt. Weshalb soll das Amt nicht eine Hierarchie von der Regierungsrätin bis hinunter zur Lehrperson etablieren und so die bestehende Weisungsbefugnis durchsetzbarer machen? Damit könnte dann den Schulen befohlen werden, wie sie aufgestellt sein und entwickelt werden sollten. Die Antwort ist einfach. Guter Unterricht, gute Bildung lässt sich nicht befehlen. Guter Unterricht lebt von talentierten Lehrpersonen, die meist weit über das erforderliche Mass in den Unterricht und in die Betreuung der Schülerinnen und Schüler investieren. Die Lehrpersonen tun das aus Überzeugung, da sie sich in hohem Masse mit «ihrer» Schule identifizieren. Sind sie mit ihrer Arbeit aufgrund des Umfeldes nicht mehr zufrieden, schauen sie sich nicht gleich nach einer anderen Stelle um. Viel eher droht dann der innere Rückzug. Im Klassenzimmer ist jede Lehrperson allein verantwortlich, und was da geleistet wird, ist kaum messbar oder wird erst nach langer Zeit deutlich. Eine Bevormundung durch Personen, die weder qualifizierter sind noch über eine höhere akademische Bildung verfügen, ist da sicher nicht hilfreich. Weit wertvoller wäre es, für talentierte Personen den Lehrberuf wieder attraktiver zu machen, sodass aus einem grösseren Reservoir die Besten für den Beruf gewonnen werden könnten. Das wiederum führte zu einer echten Entlastung der Schulleitungen und würde damit eines der im Vorwort des Vorentwurfes aufgeführten Ziele tatsächlich erreichen.

Michael Bleichenbacher

 

Zum Autor: Dr. sc. nat. ETH Michael Bleichenbacher unterrichtet an der Kantonsschule Zürich Nord das Fach Chemie, war Rektor a.i. an der Vorgängerschule KSOE und ist langjähriger Delegierter der Lehrpersonenkonferenz Mittelschulen (LKM).

 

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Silvia Steiner, pumpen Sie immer mehr Geld in die Schulen hinein? https://condorcet.ch/2022/12/silvia-steiner-pumpen-sie-immer-mehr-geld-in-die-schulen-hinein/ https://condorcet.ch/2022/12/silvia-steiner-pumpen-sie-immer-mehr-geld-in-die-schulen-hinein/#comments Sun, 18 Dec 2022 19:57:23 +0000 https://condorcet.ch/?p=12663

Daniel Wahl, Nebelspalterjournalist interviewt die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner, dabei geht es um die Integration, die Lesekompetenz, den Lehrkräftemangel und – wie immer – um das liebe Geld.

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Daniel Wahl, Journalist Nebelspalter

Die Baustellen der Volksschule sind gross: Landesweit steht die Integration von Kindern mit heilpädagogischen Diagnosen und von Verhaltensauffälligen in die Regelklasse in der Kritik; die Integrative Schule führe zur Überlastung des Schulystems, heisst es. Zudem kämpfen die Volksschulen mit dem Lehrermangel, während gleichzeitig die Tagesschule mit pädagogischer Betreuung ausgebaut wird. Die Züricher Bildungsdirektorin Silvia Steiner, Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz und Mutter von zwei erwachsenen Kindern, will aber am System nicht rütteln. Höchstens ein paar Stellschrauben anziehen, wie sie im Interview mit dem «Nebelspalter» sagt.

Silvia Steiner, Sie haben zwei erwachsene Kinder, die die Volksschule durchlaufen haben, eines über die Berufsbildung mit Berufsmatur, eines mit gymnasialer Matur. Waren Sie zu allen Zeiten mit den Schulen zufrieden?

Die Laufbahnen, die meine Kinder eingeschlagen haben, zeigen, dass das schweizerische duale Bildungssystem funktioniert. Die Durchlässigkeit ist gegeben. Bei meinem Enkelkind beobachte ich, wie wichtig die frühe Förderung ist, die mir ein grosses Anliegen ist.

Sie scheinen – auch wenn man Ihre Aussagen in der Vergangenheit liest – extrem zufrieden mit unserem Schulsystem zu sein. Wir haben aber die teuerste Volksschule der Welt, die mittlerweile 20 Prozent der Schulabgänger produziert, welche die Mindestanforderungen nicht erreichen. Warum können Sie so zufrieden sein?

Wenn ich Zufriedenheit ausstrahle, dann darum, weil ich der Überzeugung bin, dass wir ein funktionierendes Schulsystem haben; dafür bin ich als Bildungsdirektorin auch verantwortlich. Viele unserer Lehrpersonen machen einen extrem guten Job, knien sich in die Arbeit und haben Freude daran. Das gibt mir Vertrauen ins System. Selbstverständlich sind mir Fälle bekannt, die nicht optimal laufen und die man systemisch verbessern kann. Es gibt da einiges, was ich noch optimieren möchte, und ich befinde mich damit in einem Spannungsfeld zwischen dem, was wünschbar und was politisch umsetzbar ist.

Die Frage ist doch, was es zu korrigieren gibt.

Dass das System Volksschule funktioniert, wie Sie sagen, sehen mittlerweile viele Kräfte im Land nicht mehr so. Von der Waadt über Bern bis nach Basel steht die Integrative Schule in der Kritik (Der «Nebelspalter» berichtete). Umfragen zeigen, dass das der wahre Grund für die Überlastung der Lehrer ist. Sehen Sie keinen Korrekturbedarf?

Die Frage ist doch, was es zu korrigieren gilt. Sollen wir das Pendel der Integration wieder völlig zurückschlagen lassen und die Schüler wieder separiert unterrichten? Sollen wir Kindern mit besonderen Bedürfnissen wieder einen Stempel aufdrücken? So würde man die Behindertenrechtskonvention und die Verfassung missachten, die den Anspruch auf gleichwertige und gemeinsame Ausbildung festlegt. Die Integrative Schule ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft, die ich nicht einfach rückgängig machen will. Eine Reintegration von separierten Kindern, das zeigen viele Untersuchungen, ist später kaum mehr möglich. Zudem muss ich in Erinnerung rufen, dass wir eine integrative und keine inklusive Schule haben: Zwei Prozent der Kinder werden nach wie vor über separative Wege wie Sonderschulen gefördert, zwei Prozent integriert. Ich glaube, es geht darum, die Mittel so zu verteilen, dass die Integrative Schule tragbar wird. Auch das ist ein Spannungsfeld.

«Sollen wir das Pendel der Integration wieder völlig zurückschlagen lassen und die Schüler wieder separiert unterrichten?»

Silvia Steiner, Bildungsdirektorin des Kantons Zürich

In der UN-Konvention von Salamanca aus dem Jahr 1994 stehen nicht organisatorische Fragen im Mittelpunkt der Bemühungen um Integration, sondern die Erfüllung der Bedürfnisse aller Lernenden. Das kann auf separativem Weg vermehrt geschehen, gerade, wenn unser System überlastet ist.

Sie reden von Entlastung und nicht von Integration. Das sind für mich zwei verschiedene Dinge. Wir müssen es doch schaffen, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen – darunter zähle ich Hochbegabte wie auch körperlich oder geistig Beeinträchtige – in der Volksschule adäquat beschult werden können. Es gibt Schulen, wo das wunderbar klappt, und andere, wo das weniger gut klappt. Für mich stellt sich die Frage, wie stark korrigiert werden muss.

Ja, wie stark?

Genau so viel, wie es braucht, und nicht mehr.

Wo setzen Sie an?

Korrigieren können an der Basis die Gemeinden und die Schulleitungen. Diese müssen die Instrumente haben und nutzen: Zum Beispiel die Klassen so zusammensetzen, dass es nicht zur Überlastung der Lehrkräfte kommt. Ich wünsche mir, dass die Schulen den Mut aufbringen, auch ausserordentliche Lösungen zu finden; unser Gesetz lässt dafür viel Spielraum. Zudem bietet der Kanton für sehr schwierige Fälle separative Lösungen. Ich bin aber dagegen, dass man diese exzessiv und flächendeckend anwendet, weil es für ein Kind etwas Endgültiges hat.

Wenn ich Sie richtig verstanden haben, dann delegieren Sie das Problem an die Gemeinden und der Kanton muss keine Korrektiv-Impulse geben?

Nein, der Kanton steht im konstanten Austausch mit den Gemeinden und führt ein Monitoring bezüglich Sonderschulung und den heilpädagogischen Bedürfnissen. Der Kanton kann bei Bedarf mehr finanzielle Mittel sprechen. Damit können beispielsweise die Stellenprozente erhöht werden, wenn die Belastung in einzelnen Orten nachgewiesenermassen zu gross wird. Dann haben wir das Programm Quims. Es steht für «Qualität in multikulturellen Schulen» und  spricht Schulen mit ausgeprägter multikultureller Zusammensetzung mehr Mittel zu. Und schliesslich prüfen wir immer, ob wir die Entscheidungswege beschleunigen können. Mich stört zum Beispiel, dass eine Lehrkraft zu lange auf Entlastung warten muss, wenn sie zu viele sehr anspruchsvolle Kinder in ihrer Klasse betreuen muss.

Zusammenfassend halten Sie am System fest, und räumen ein, an gewissen Positionen schrauben zu müssen. Tatsache ist doch, dass Eltern zunehmend mit der Integrativen Schule unzufrieden sind, weil sie das Klassenniveau nach unten zieht. Ist es nicht auch das Recht eines Kindes, in einem niveaugerechten Umfeld unterrichtet zu werden?

Diesen Gedanken kann ich auch nachvollziehen. Im Rahmen der Behindertenrechtskonvention wurden Forderungen aufgestellt, dass selbst Schwerstbehinderte in einer Regelklasse unterrichtet werden müssten. Dort sehe ich Grenzen. Auch für die Betroffenen kann es unangenehm sein, nicht im adäquaten Umfeld betreut und ständig damit konfrontiert zu werden, dass alle anderen völlig uneingeschränkt zur Schule gehen können.

«Mich stört, dass eine Lehrperson zu lange auf Entlastung warten muss, wenn sie zu viele sehr anspruchsvolle Kinder in ihrer Klasse betreuen muss.»

Silvia Steiner, Bildungsdirektorin des Kantons Zürich

In einer Integrativen Schulen sind selbst die Verhaltensauffälligen ausgestellt.

Diese Fragestellungen müssen aus einer ethischen Perspektive und dem Blickwinkel der Betroffenen betrachtet werden, und zwar individuell unterschiedlich. Es gibt nicht einfach Schwarz und Weiss.

Themawechsel: Nach der Annahme der Tagesschule muss die Stadt Zürich 174 Millionen Franken in die Infrastruktur investieren und die pädagogische Betreuung mit jährlich 126 Millionen Franken finanzieren. Jetzt stehen Sie unter Druck, die Tagesschule für den ganzen Kanton zu ermöglichen. Zwei Vorstösse liegen vor. Wie umfangreich wollen Sie die Tagesschule ausbauen?

Im Jahr 2017 habe ich die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, damit die Gemeinden Tagesschulen gründen können. Für die Schülerinnen und Schüler ist der Besuch freiwillig.  Die Stadt Zürich hat Ende September die Vorlage für den Ausbau angenommen, muss dies aber selber finanzieren. Wie es die Gemeinden im Kanton machen, ist eine grosse Streitfrage. Wir haben ländliche und urbane Gebiete mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Letztlich steht es den Gemeinden frei, eine Tagesschule zu errichten.

Es ist nicht vorgesehen, dass ausgebildete Lehrpersonen die pädagogische Betreuung übernehmen.

Die Freiwilligkeit ist infrage gestellt, wenn die Tagesschule wie in der Stadt Zürich mit ein pädagogisches Konzept ausgebaut wird. Das führt dazu, dass Kinder in Tagesschulen mehr Unterricht haben und Aufgaben dort erledigt werden, während die Kinder immer weniger Hausaufgaben mit nach Hause bringen. Längerfristig benachteiligt dies das traditionelle Familienmodell. Unterstützen Sie das wirklich als Mitte-Politikerin?

Ich glaube nicht, dass Kinder im traditionellen Familienmodell etwas verpassen. Der Lehrplan 21 gibt ja vor, was vermittelt werden muss. Ich frage mich, wie viel pädagogische Unterstützung einem Kind überhaupt über Mittag mitgegeben werden kann…

Genau deswegen möchte die Linke möglichst qualifizierte Pädagogen in den Tagesschulen installieren.

Es ist nicht vorgesehen, dass ausgebildete Lehrpersonen die pädagogische Betreuung übernehmen. Das wäre auch viel zu teuer. Das pädagogische Konzept bezieht sich auf überfachliche Bereiche: Kinder lernen in der Tagesschule, wie man zusammen isst oder wie man miteinander umgeht. Letztlich müssen sich die Gemeinden selber die Frage stellen, welche Bedürfnisse und Anforderungen sie an eine Tagesschule stellen.

Der Ausbau der Tagesschulen mit pädagogischem Konzept dürfte den Fachkräftemangel, beziehungsweise den Lehrermangel verschärfen.

Die Gemeinden und jetzt konkret die Stadt Zürich müssen das entsprechende Personal dafür zuerst finden und auch bezahlen. Die Befürchtung, dass bei den Tagesschulen viele pädagogische Fragestellungen einfliessen, teile ich nicht. Die Tagesschulen vermitteln aber wertvolle soziale Kompetenzen.

Heute werden vor allem die Last der Integrativen Schule und die Teilzeitarbeit als Gründe für den Lehrermangel angesehen. Seltsamerweise spricht niemand über die ungebrochene Zuwanderung, die das Schulsystem zum Kollaps führt …

Auf die Demografie kann die Bildungsdirektion keinen Einfluss nehmen. Tatsache ist, dass wir zwischen 2011 bis 2022 ein Wachstum der Anzahl Schülerinnen und Schüler von rund 16 Prozent verzeichneten. Ein Teil ist vermutlich auf die Migration zurückzuführen, ein grosser Teil auf die Binnenmigration – und damit auf die Anziehungskraft des Kantons Zürich. So oder so: Wir erhalten eine Anzahl Kinder, und damit muss unser Schulsystem umgehen können.

Wird sich der Lehrermangel weiter verschärfen?

Wir haben im Kanton Zürich sei acht Jahren eine angespannte Situation. Jedes Jahr wurde es knapper, die Stellen mussten immer kurzfristiger besetzt werden. Aber wir haben es immer geschafft. In den letzten fünf Jahren eröffneten wir jährlich 100 bis 150 neue Klassen. Dafür benötigen wir jährlich zusätzlich rund 200 Lehrkräfte. Während der Pandemie verzeichneten wir weniger Stellenwechsel, jetzt scheint ein Nachholbedarf vorhanden zu sein. Die Fluktuation ist gestiegen, was die Situation in diesem Jahr verschärft hat. Doch wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Der Lehrkörper ist verjüngt worden, sodass wir nicht mit einer Pensionierungswelle rechnen müssen. Wir konnten alle Stellen besetzen, unser System ist recht belastbar. Wer gute Bedingungen bieten kann, ist im Vorteil.

In dieser angespannten Situation fordert der Züricher Lehrerverband, der sogenannte Lektionenfaktor sei zu erhöhen. Mit anderen Worten: Es seien statt 100 Stunden neu 200 für die Vorbereitung des Unterrichts zu entgelten. Da Lehrer nicht mehr als 100 Prozent arbeiten dürfen, werden Sie demzufolge noch mehr Lehrer für den Unterricht anstellen müssen. Warum bieten sie dafür Hand?

«Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen.»

Silvia Steiner, Bildungsdirektorin des Kantons Zürich

Ich sage dazu weder Ja noch Nein. Ich habe die Vorstösse aus dem Kantonsrat entgegengenommen, weil ich der Meinung bin, dass sie geprüft werden müssen. Der Regierungsrat wird ein Paket mit Vorschlägen bringen und es in die Vernehmlassung geben. Welche Lösung gewählt wird, wird dann der politische Prozess zeigen. Aber dass man das anschaut und moderate, aber gute Verbesserungen für die Lehrpersonen entwickelt, da bin ich immer dafür. Besonders, wenn es zu einer Entlastung der Lehrkräfte führt. Wir haben aber auch noch ein ganz anderes Problem: Die gesellschaftlichen Ansprüche an die Schule haben sich gewandelt. Wir aber hinken diesen hintendrein. Die bedeutendste Reform war nicht etwa der Lehrplan 21, sondern der Weg hin zur individuellen Beschulung der Schülerinnen und Schüler. Das ist aufwändig. Wir stehen da an einem ganz anderen Ort als vor 25 Jahren, haben das aber in der Schulorganisation noch nicht richtig nachvollzogen.

Ich interpretiere dies als Fortsetzung Ihres politischen Weges: Sie pumpen immer mehr Finanzmittel in die Schulen hinein, um die Probleme zu lösen, ändern aber nicht das System. Wo ist das Ende der Fahnenstange?

Wir sind sehr sparsam unterwegs. Aber wo ich nicht sparen kann, ist bei der Anzahl der Lehrpersonen. Die werden durch die Zahl der Schuleintritte bestimmt. Ich räume hier gerne ein, dass unsere Direktion gesetzlich bedingt das grösste Stellenwachstum verzeichnet. Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen. Das Kostenwachstum in der Bildung ist im Wesentlichen auf die steigende Anzahl Schülerinnen und Schüler zurückzuführen.

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Meine Fragen bleiben unbeantwortet https://condorcet.ch/2020/04/meine-fragen-bleiben-unbeantwortet/ https://condorcet.ch/2020/04/meine-fragen-bleiben-unbeantwortet/#respond Sun, 26 Apr 2020 08:42:41 +0000 https://condorcet.ch/?p=4762

Hans-Peter Köhli schrieb der Zürcher Bildungsdirektorin, Frau Silvia Steiner, am 12. März einen offenen Brief, der auch auf dem Condorcet-Blog zu lesen war. Frau Steiner antwortete ihm am 12. April. Auch ihr Antwortschreiben haben wir in unserem Blog veröffentlicht.. Mit dieser Antwort war Herr Köhli allerdings gar nicht einverstanden. Lesen Sie seine Replik.

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Sehr geehrte Frau Bildungsdirektorin

Besten Dank für Ihren Brief vom 8. April, der offenbar trotz Corona-Wirren doch auch noch zustande kam. Ich schreibe bewusst nicht “Ihre Antwort”, denn meine Fragen bleiben unbeantwortet. Ihr Text ist etwa so gehalten, wie man bei Amtsstellen unliebsame Interpellanten abzuspeisen pflegt.

Sie erwähnen gesetzliche Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene, die sich auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen würden. Erstens sind solche Erlasse oft unklar formuliert und keineswegs überall befolgte Richtlinie, und zweitens werden von vielen Fachleuten diese Untersuchungsresultate als völlig falsch bezeichnet. Meist tönen die Theorien schön, aber in der Praxis erweisen sie sich als absolut untauglich.

Silvia Steiner, Regierungsrätin des Kantons Zürich: Ein Beispiel an der Stadt Basel nehmen.

Sie erklären mir, es würden nicht alle Kinder in Normalklassen eingeteilt, sondern jene mit erheblichem Förderbedarf besuchten eine Sonderschule. Das weiss ich auch, und gerade dieser Punkt ist heftig umstritten. Im “Condorcet”-Bildungsblog z.B. hat eben gerade kürzlich der erfahrene Heilpädagoge Dr. R. Bonfranchi anhand eines praktischen Beispiels aufgezeigt, dass das Fehlen einer Stufe zwischen Normalklasse und Sonderschule zu absurden Situationen führt, indem Kinder, die intellektuell zwar normalbegabt, aber in Regelklassen untragbar sind, ins gleiche Sonderschulzimmer versetzt werden wie geistig und körperlich extrem behinderte, was dort zu unmöglichen Szenarien führt. Darauf gehen Sie überhaupt nicht ein. Das Fehlen von Kleinklassen wird von vielen Lehrpersonen aller Stufen und zahlreichen Fachleuten in sämtlichen Landesteilen als grosser Mangel im heutigen Schulsystem bezeichnet, und es wird nicht verstanden, dass sich der Bildungsrat immer noch quer stellt und einer illusionären Theorie glaubt, welche in der Praxis längst gescheitert ist.

Viele Kinder mit irgendwelchem Förderbedarf, welche heute zwangsweise Regelklassen besuchen müssen, sind dort unglücklich und leiden darunter.

Viele Kinder mit irgendwelchem Förderbedarf, welche heute zwangsweise Regelklassen besuchen müssen, sind dort unglücklich und leiden darunter. Ich habe Ihnen ein solches Beispiel geschildert. Dazu äussern Sie sich mit keinem Wort. Ein Vater, welcher von meinem “offenen Brief an den Bildungsrat” erfuhr, meldete sich spontan bei mir und erklärte, sein Bub sei genau in einer solchen unhaltbaren Situation, und auch er rege sich auf, dass diese Fälle offenbar der obersten Bildungsbehörde schlicht egal sind.

Und was den späteren Berufszugang anbelangt, erlebte ich bei einer früheren Kleinklasse D mit einer sehr engagierten Lehrerin ausgezeichnete Resultate, die in einer Regelklasse nicht hätten besser ausfallen können.

Weiter bestreite ich Ihre Behauptung, wonach Integrierte keine negativen Auswirkungen auf die Kinder einer Normalklasse hätten. Das mag, wie ich schon in meinem offenen Brief erwähnte, bei geistigen Behinderungen vielleicht, aber auch nicht immer, angehen. Verhaltensauffällige Schüler aber, die laufend nur stören, beeinflussen den Schulbetrieb klar negativ und bremsen auch die leistungsstärkeren Kinder. Und was den späteren Berufszugang anbelangt, erlebte ich bei einer früheren Kleinklasse D mit einer sehr engagierten Lehrerin ausgezeichnete Resultate, die in einer Regelklasse nicht hätten besser ausfallen können.

Zum Hauptpunkt meines Schreibens, nämlich zur Regelung in Basel-Stadt, nehmen Sie auch keine Stellung.

Dort ist man bekanntlich wieder zu kleineren Abteilungen mit der Bezeichnung “SpA” zurückgekehrt. In der Tat sind Sie da in einer verzwickten Lage. Würden Sie zugeben, dass die Basler richtig handelten, dann wäre ja nicht einzusehen, warum man diese Lösung nicht auch im Kt. Zürich einführen könnte. Umgekehrt würde mich interessieren, warum Sie denn als Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz nicht einschreiten, wenn Kantone entgegen der von Ihnen zitierten “gesetzlichen Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene und wissenschaftlichen Untersuchungen” gleichwohl quasi illegal Kleinklassen einführen, wie dies z.B. BS tat?

Die Basler sind über ihren eigenen Schatten gesprungen, haben das durch den Wegfall der Kleinklassen entstandene Fiasko erkannt, gaben Fehler zu und installierten wieder die bewährten, kleinen Abteilungen unter Führung von sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrpersonen.

Wenn der Kanton Basel-Stadt offiziell Kleinklassen führen darf, muss dies auch im Kanton Zürich möglich sein. Alles andere wäre eine klare Ungleichbehandlung. Man kann nicht von nationalen Regelungen sprechen, wenn sich dann die einen daran halten und die anderen nicht.

Es braucht in Zürich ebenfalls eine klare kantonale Regelung, damit nicht Gemeinden, die Kleinklassen einführen wollen, den Mehraufwand irgendwie aus eigenen Mitteln mittels Einschränkungen an anderen Posten begleichen müssen.

In dieser Sache ist das letzte Wort noch keinesfalls gesprochen.

Mit freundlichen Grüssen

Hans-Peter Köhli

 

 

 

 

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Offener Brief: Endlich die Fakten anerkennen und handeln https://condorcet.ch/2020/03/offener-brief-endlich-die-fakten-anerkennen-und-handeln/ https://condorcet.ch/2020/03/offener-brief-endlich-die-fakten-anerkennen-und-handeln/#respond Wed, 18 Mar 2020 18:04:32 +0000 https://condorcet.ch/?p=4313

Der ehemalige Fahrdienstleiter und Lehrlingsausbildner der SBB und pensionierte Mittelstufenlehrer Hans-Peter Köhli ist im Kanton Zürich kein Unbekannter. In einem leidenschaftlichen Brief an die Bildungsverantwortlichen seines Kantons fordert er die Rückkehr der ausgebildeten HeilpädagogInnen und ihrer Sonderklassen. Wenn es der Gesichtswahrung dient, auch verbunden mit einem Namenswechsel.

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Offener Brief                                                  1

an die Mitglieder des Bildungsrates Kt. Zürich

Eingeschrieben zugestellt per Post am 12.3.2020

Integrativer Unterricht

Sehr geehrte Frau Bildungsdirektorin

Sehr geehrte Damen und Herren

Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen eine Angelegenheit unterbreite, welche in unserem Kanton nicht nur für Gesprächsstoff, sondern zunehmend auch für Ärger und Missstimmung sorgt. Es geht um die Integration in den Volksschulen. Bekanntlich sollen gemäss Theorie sämtliche Kinder in Normalklassen eingeteilt werden, auch wenn sie zum Teil erheblichen Förderbedarf infolge Beeinträchtigungen aller Art aufweisen. Dieses System wurde von Fachleuten von allem Anfang an als untauglich beurteilt; trotzdem setzten es seine Befürworter aus ideologischen Gründen in Kraft und halten auch heute noch krampfhaft daran fest, obwohl die Mängel immer offenkundiger und die Proteste zusehends lauter werden.

Grosses Engagement der Kindergärtnerinnen

Nur: unter dem Wort „Mängel“ können sich die wenigsten Leute etwas vorstellen. Deshalb erlaube ich mir, nachstehend eine Situation zu beschreiben, welche in manchen Schulzimmern der verschiedenen Stufen leider momentan häufig vorkommt, ohne dass dies den massgebenden Leuten in Politik und Behörden bewusst ist. Als Freiwilliger der Pro Senectute besuche ich seit Jahren Kindergärten, was mir viel Spass und Freude bereitet. Ich bewundere auch das Wirken der Kindergärtnerinnen, welche ihre Aufgabe hervorragend versehen, obwohl die Anforderungen mit fremdsprachigen, zugezogenen Kindern aus anderen Kulturkreisen einerseits und den obgenannten „Integrierten“  immer anspruchsvoller werden.

So einem Kindergarten mit 20 Kindern wurde vor einiger Zeit ein Knabe zugeteilt, weil es offenbar an einem andern Ort zu „Schwierigkeiten“ mit ihm gekommen war. Das verwundert nicht. Beim meinem Eintreffen an einem Vormittag sass er lächelnd in einer Ecke, eng „bewacht“ von einer Klassenassistentin. Lässt man ihn frei, bewegt er sich im Zimmer nach Lust und Laune, macht, was er will und fügt sich in keiner Weise den Anordnungen der Kindergärtnerin. Sollten die Kinder ruhig im Kreis sitzen, rennt er umher oder wälzt sich am Boden, sollte es leise sein, kräht er laut hinaus, neckt und plagt die andern oder wirft Gegenstände herum. Sollten die Kinder nach dem Spielen im Freien nach einem Signal zurück zum Besammlungsort, kann man meist vergessen, dass dieser Bub auch kommt. Er muss z.B. irgendwo hinter einem Gebüsch persönlich mit Gewalt abgeholt werden, und es ist nicht ausgeschlossen, dass beim Vorbeigehen an den Kameraden ein anderer noch mit einem Fusstritt in den Hintern bedient wird.  Sanktionsmöglichkeiten gibt es praktisch keine oder sie beeindrucken überhaupt nicht. Die Assistentin kann höchstens mit ihm in den Korridor dislozieren und ihn dort unter vier Augen irgendwie unterhalten oder eben gar festhalten; ein normales Eingliedern in den Klassenverband ist unmöglich.

Unwürdige Situation

Sehr geehrte Frau Bildungsdirektorin, sehr geehrte Damen und Herren! Das kann es ja wohl nicht sein. Solche Szenen sind einer normalen Klasse unserer Volksschule schlicht und einfach unwürdig, und es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Eine gezielte, regelmässige Therapie durch eine heilpädagogisch ausgebildete Person fehlt. Es ist reiner Irrwitz: Irgendeine Hilfskraft wird quasi nur deshalb als Assistentin eingestellt, um einen einzigen Buben zu beaufsichtigen! Schulleitung und Schulpflege sind informiert. Von dort heisse es nur, man könne nichts machen. Das Volk habe abgestimmt und diese Integration gewollt.

Dabei war schon vor Einführung klar, dass niemals genügend Therapeutinnen zur Verfügung stehen würden, um die Versprechungen einzuhalten und dass viele Fachleute auch aus andern Gründen ein Fiasko kommen sahen.

Untaugliche Lösung

Nein, behaupte ich mit aller Entschiedenheit. Das Stimmvolk wünscht ganz sicher keine solchen Zustände; es hörte leider im Abstimmungskampf auf all die Schalmeien, welche die Integration in höchsten Tönen anpriesen. Dabei war schon vor Einführung klar, dass niemals genügend Therapeutinnen zur Verfügung stehen würden, um die Versprechungen einzuhalten und dass viele Fachleute auch aus andern Gründen ein Fiasko kommen sahen. Wenn nun die Schulhäuser von der Bildungsdirektion mit Assistenzen geflutet werden, ist das eine völlig untaugliche Lösung. Diesen Zusatzkräften  verschiedenster Provenienz ist es ja gemäss Erlass explizit untersagt, therapeutische Handlungen vornehmen; sie können nur allgemein beschränkt etwas helfen, weil die pädagogische Ausbildung und meist auch die nötige Erfahrung fehlt. Niemandem ist mit derartigen Abläufen geholfen.

Am meisten zu bedauern ist dieser Knabe selber.

∎        Am meisten zu bedauern ist dieser Knabe selber. Er hat offensichtlich Probleme, ist vermutlich irgendwie traumatisiert und bedürfte einer klaren heilpädagogischen Behandlung. Könnte eine Therapeutin in einer seiner mitunter auch einmal vorkommenden ruhigeren Phasen gezielt mit ihm arbeiten, liessen sich vermutlich langfristig doch gewisse Fortschritte erzielen. Die Zwangseingliederung in einen normalen Kindergarten bringt ihm jedoch überhaupt nichts, vielmehr ist es ein total falsches Rezept und verschlimmert nur seine tragische Situation.

∎        Hut ab vor der Kindergärtnerin, die durchhält, auf die Zähne beisst und versucht, trotz allem den Betrieb noch aufrecht zu erhalten. Es ist jedoch eine Zumutung, der Lehrperson nebst den üblichen Herausforderungen (auch bei den andern Kinder sind längst nicht alles Engel!) noch einen derart harten Brocken aufzuladen. Vielerorts schwindet deshalb die Bereitschaft, solches noch länger mitzumachen, immer mehr.

∎        In höchstem Masse ungünstig ist das Geschehen für die übrigen Kinder. Die ganze Atmosphäre im Kindergarten ist beeinträchtigt. Ständig muss man mit irgendwelchen Eskapaden dieses Buben rechnen. Einige scheue Kinder bekunden Angst, während bei anderen die Gefahr besteht, dass sie sich beeinflussen lassen und auch ins Fahrwasser von Allotria und Befehlsverweigerung geraten.

∎        In grossem Masse betrogen kommen sich die Eltern vor, welche derartige Kinder mit Förderbedarf in die Regelklassen abgeben bzw. abgeben müssen. Wie oben erwähnt wurde vor den betr. Reformabstimmungen beteuert, besonders ausgebildete Heilpädagoginnen würden alles tun, um solchen Kindern im Rahmen einer Normalklasse grösstmögliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Oft ist man nun aber in keiner Weise in der Lage, dieses Versprechen einzuhalten. Und weil die Prognosen punkto Kinderzahl in den nächsten Jahren einen enormen Anstieg voraussagen, ist auch mit zunehmendem Bedarf an Heilpädagoginnen zu rechnen, die künftig trotz vermehrter Rekrutierung erst recht fehlen werden.

∎        Aber auch den Eltern der „normalen“ Kinder bleiben die Geschehnisse auf die Dauer nicht verborgen; gewisse Kinder rapportieren genau, was im Chindsgi läuft. Die einen Eltern dürften sich fragen, was denn da los ist, bei andern stellt sich schon rasch Empörung ein und manch ein Elternpaar findet wohl wie jeder aussenstehende Beobachter auch, dieser Aufwand für ein einziges Kind sprenge jeden Rahmen.

∎        Bewusst zuletzt sei auch auf die Finanzen hingewiesen. Wir sind uns wohl einig: bei der Bildung soll wenn möglich nicht gespart werden. Aber hier drängt es sich schon auf, etwas zu rechnen. Irgendeinmal wird dann auskommen, was all diese Klassenassistenzen kosten, obwohl sie die Misere überhaupt nicht beheben. Und man wird mit jenem Betrag vergleichen müssen, der die Wiedereinführung von Kleinklassen kosten würde, welche in der Sache dem Assistenzmodell weit überlegen sind. Ich wage zu behaupten, die Aufwendungen für Kleinklassen wären klar geringer, und ein Einschreiten würde sich auch in finanzieller Hinsicht lohnen.

Von mir aus mit Namenswechsel!

Man könne „nichts machen“, heisst es. Doch! Andere Behörden handelten und gaben zu, dass sich die Idee mit der Integration nicht bewährt hat. Es fiel ihnen deshalb kein

Zacken aus der Krone. Der Kanton Basel-Stadt hat in vorbildlicher Weise wieder heilpädagogische Kindergärten und heilpädagogische Klassen auf Primar- & Oberstufe eingeführt, die sogenannten „SpA“, „Klassen mit Spezialangeboten“. Abgesehen davon existieren auch im Kanton Zürich Gemeinden, welche auf eigene Faust bereits wieder mit gewissen Kleingruppen arbeiten und es wagen, sich dem unsinnigen Diktat von oben zu widersetzen.

Ängstliche Stimmen geben vielleicht zu bedenken, mit der Rückkehr zu Kleinklassen würde der Kanton Zürich einen Volksentscheid missachten. Erstens, wie oben erwähnt, wurde das Volk vor der Abstimmung in Sachen Therapeutinnen brandschwarz angelogen, und es will sicher kein Tohuwabohu in seinen Schulklassen. Zweitens nehmen es Bildungsdirektion und Pädagogische Hochschule mit der exakten Durchsetzung von Volksentscheiden und dem Respekt vor dem Stimmvolk auch nicht immer peinlich genau. Stichwort Grundstufe…

Als Stimmbürger unseres Kantons fordere ich deshalb den Bildungsrat des Kantons Zürich auf, endlich, aber nun rasch möglichst, wieder flächendeckend die früher bewährten Kleinklassen mit heilpädagogisch ausgebildetem Personal einzuführen. Es wäre unverantwortlich, noch lange zuzuwarten. Nicht nur für verhaltensgestörte Kinder sind solche Abteilungen vorzusehen, sondern je nach Bedarf auch für das ganze Spektrum der früheren Typen A, B, C, D und E. Dies allerdings darf keinesfalls auf Konto der Gemeinden erfolgen, sondern muss der früheren Finanzregelung im sonderpädagogischen Sektor entsprechen.

Was den Namen der neuen Einrichtung betrifft, wäre meines Erachtens durchaus vorstellbar, sich den Baslern anzuschliessen. Ältere Leute erinnern sich noch gut, dass die heilpädagogischen Klassen bei uns aus taktischen Gründen mehrmals den Namen wechselten, obwohl Aufgaben und Ziele nicht änderten: Hilfsklasse, Spezialklasse, Sonderklasse, Kleinklasse und jetzt – ja, die schlauen Basler haben Recht. Mit der freundlich wirkenden Bezeichnung „Klassen mit Spezialangeboten“ bzw. „Kindergärten mit Spezialangeboten“ und der Abkürzung „SpA“ hat man de facto die Sonderklassen wieder – aber das SPA tönt weit besser und weckt zudem positive Assoziationen, während gleichzeitig die Schulbehörden ihr Gesicht wahren können.

Noch ein letzter Hinweis: Es läuft einem kalt den Rücken hinunter, wenn man erfährt, wie gross der zunehmende Bedarf an Lehrpersonen aller Art in den nächsten Jahren sein wird. Der Bildungsrat täte gut daran, auch diesen Gesichtspunkt prioritär in seine Überlegungen einzuschliessen. Was in solchen Klassen wie der beschriebenen geschieht, spricht sich herum und ist alles andere denn Werbung für die sonst schöne und befriedigende Tätigkeit einer Lehrerin oder eines Lehrers. Der Beruf sollte aber unbedingt wieder eine positive Ausstrahlung bekommen; steigende gesellschaftliche Anerkennung würde garantiert ebenfalls mithelfen, den nötigen Nachwuchs problemlos zu gewinnen.

Mit freundlichen Grüssen

Hans-Peter Köhli, Arbentalstr. 256, 8045 Zürich

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