Zierer - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 11 Apr 2022 09:28:23 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Zierer - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Effektiv unterrichten – von Klaus Zierer https://condorcet.ch/2022/04/effektiv-unterrichten-von-klaus-zierer/ https://condorcet.ch/2022/04/effektiv-unterrichten-von-klaus-zierer/#respond Mon, 11 Apr 2022 09:18:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=10769

Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, gilt im deutschsprachigen Raum als der führende Hattie-Experte. Zudem bringt er sich regelmässig in bildungspolitische Debatten ein und gilt als einer der einflussreichsten Schulpädagogen in Deutschland. In diesem Vortrag fordert er eine bildungsphilosophischen Fundierung des Diskurses und deren Absicherung durch Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung. Er räumt auch mit vielen Mythen in der gegenwärtigen Bildungsdebatte auf, die namentlich von PH-Kreisen munter kolportiert werden.

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Was sich aus Unterricht im Coronamodus lernen lässt https://condorcet.ch/2021/04/was-sich-aus-unterricht-im-coronamodus-lernen-laesst/ https://condorcet.ch/2021/04/was-sich-aus-unterricht-im-coronamodus-lernen-laesst/#respond Sun, 04 Apr 2021 18:11:32 +0000 https://condorcet.ch/?p=8214

Professor Ralf Lankau ist im Condorcet-Blog kein Unbekannter. Der Experte für Informatik und digitalen Unterricht warnt kontinuierlich vor dem ungezügelten Einsatz digialer Unterrichtsprogramme im Unterricht. Lesen Sie hier seine aktuelle Zusammenfassung der eingegangenen Studien.

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau
Bild: Lankau

Seit über 30 Jahren wird kontrovers über Digitaltechnik in Schulen diskutiert. Nutzen und Mehrwert sind bis heute nicht zweifelsfrei belegt. Daher kommen Vertretern der Digitalfraktion die durch Covid-19 erzwungenen Schulschließungen und der Wechsel zu Fernunterricht gerade recht. In dieser Ausnahmesituation konnten sie, ohne Diskussion, weitreichende Strukturen schaffen und Techniken etablieren. Schließlich musste der Unterricht weitergehen und Digitaltechnik in der Praxis geprüft werden. Es gibt ja gute Gründe, warum Unterricht weltweit in Präsenz stattfindet. Es sei hier nur auf eine Aktualisierung der Hattie-Studie verwiesen, die mit aller Klarheit formuliert, dass Medien und Technik immer nur Hilfsmittel im Unterricht sein können, kein Selbstzweck:

„Strukturen, Methoden und Medien alleine bewirken für effektives Lernen wenig. Entscheidend bleibt die Qualität des Unterrichts. Kooperation, soziale Interaktion und Teamarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden stehen damit im Zentrum. Es sind letztlich die Menschen, die Strukturen, Methoden und Medien zum Leben erwecken. (Zierer, 2020, 2)

Digital- und Netzwerktechniken mit Internetdiensten, Schulcloud und Avataren als „Lernpartner“ seien nicht nur zeitgemäß, die Bereitstellung medialer Inhalte im Sinne einer digitalen und multimedialen Bibliothek sei vielmehr alternativlos.

Das sehen Protagonisten des Digitalunterrichts selbstredend anders. Begeistert verkünden sie die zunehmend vollständige Automatisierung von Unterrichten und Prüfen als Ziel. Digital- und Netzwerktechniken mit Internetdiensten, Schulcloud und Avataren als „Lernpartner“ seien nicht nur zeitgemäß, die Bereitstellung medialer Inhalte im Sinne einer digitalen und multimedialen Bibliothek sei vielmehr alternativlos. Aus “Lernbegleitern” werden Sozialcoaches, weil Software selbst zum “Lernbegleiter” wird, so jedenfalls Achim Lebert in einem Beitrag im Heft Schulverwaltung spezial 2/2021.

Olaf Köller, Psychologe, Direktor des Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel: “Der Rubikon ist überschritten.”

Das Unterrichten selbst und sogar das Prüfen würde zukünftig von Software übernommen. Ähnlich sieht es z.B. Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN, Kiel), der zwar für neue Inhalte noch auf Lehrkräfte und nicht nur IT-Systeme setzt, für das Üben, Hausaufgaben und eventuell erneuten Fernunterricht aber Software präferiert:

“Der Rubikon ist schon überschritten, es gibt kein Zurück mehr, was die Digitalisierung nach der Corona-Krise betrifft. Der Druck, über intelligente Software zu verfügen, wird immer größer, auch um die Lehrkräfte zu entlasten. In Kiel sitzen wir selbst an einem System, das den Lehrkräften die Korrektur von Aufsätzen abnimmt. Der Computer wertet automatisch aus, gibt Rückmeldung an Schüler und auch an die Lehrer, denen der Aufsatz mit vorgeschlagenen Lernhilfen zugeleitet wird.“ (Köller, zit. n. Ebbinghaus, FAZ 2020)

Köller reduziert Sprachvermögen und Textverständnis auf Mustererkennung, als wäre das Ziel des Schreibens von Aufsätzen das Repetieren stereotyper Phrasen.

Automatisierung wird sich durchsetzen
Karikatur

Köller reduziert Sprachvermögen und Textverständnis auf Mustererkennung, als wäre das Ziel des Schreibens von Aufsätzen das Repetieren stereotyper Phrasen. Standardtexte wie Börsen-, Sport- oder Wetterberichte können Computer mittlerweile ebenso schreiben wie Standardbriefe. Nur ist das gerade nicht das Ziel von Aufsätzen. Der Fehlglaube besteht darin anzunehmen, dass Sprache berechenbar sei wie eine mathematische Gleichung. Aber Köller glaubt daran, dass sich solche Automatisierungssysteme durchsetzen werden, da sich Situationen wie mit Covid-19 wiederholen könnten.

Diesen Technikpositivismus konterkarieren Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), das die Automatisierbarkeit von Berufen untersucht. Im Projekt „JobFuturomat“ (IAB, 2021) kann man in eine Suchmaske Berufe eingeben und bekommt angezeigt, ob und gegebenenfalls welche Bereiche automatisiert werden können. Bei Lehrkräften an Grundschulen sind 86% der Tätigkeiten nicht automatisierbar. Dazu gehören alle pädagogischen, fachlichen und zwischenmenschlichen Aufgaben (Didaktik, Pädagogik, Methodik, Pädagogische und Schulpsychologie, Unterricht im schulischen Bereich). Automatisierbar sei nur die Lernzielkontrolle (14%), das Köllersche Testen und Auswerten der Tests. Das Gleiche gilt für Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I. Hier hat die Lernzielkontrolle einen Anteil von 11%, während 89% der beruflichen Tätigkeiten an die Person und Persönlichkeit der Lehrkraft gebunden und nicht automatisierbar sind. Die Arbeit von allgemeinen Pädagoginnen und Pädagogen ist nach der IAB-Datenbank sogar gar nicht automatisierbar (0%). Das gilt insbesondere für die Vermittlung von Wissen und Können (Bildungsarbeit, Didaktik, Methodik, Unterricht u.a.).

Fernunterricht: Unbefriedigende Resultate

Eine Studie der Oxford Universität zu den Lernleistungen in niederländischen Schulen bestätigt, dass sich Fernunterricht schnell in Lerndefiziten zeigt. Dabei sind die niederländische Schulen technisch überdurchschnittlich gut mit IT und Endgeräten ausgestattet und der Einsatz im Präsenzunterricht ist üblich.

„Dennoch zeigen unsere Ergebnisse einen Lernverlust von etwa 3 Prozentpunkten oder 0,08 Standardabweichungen. Der Effekt entspricht einem Fünftel eines Schuljahres, also dem Zeitraum, in dem Schulen geschlossen blieben. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Schüler nur geringe oder gar keine Fortschritte machten, während sie von zu Hause aus lernten, und legen nahe, dass die Verluste in Ländern mit schwächerer Infrastruktur oder längeren Schulschließungen noch größer waren.“ (Engzell et.al. 2220)

Klaus Zierer, Erziehungswissenschaftler: Fernunterricht funktioniert vielerorts nicht.

Das Lernen alleine zu Hause am Bildschirm funktioniert offensichtlich bei vielen Kindern nicht. Deutlich größere Lerndefizite belegt eine Meta-Analyse, die Klaus Zierer (Augsburg) durchführte. Dabei wurden die Lernleistungen von 600.000 Lernenden aus den Niederlanden, der Schweiz und den USA ausgewertet. Bei aller Unterschiedlichkeit der Schulsysteme sei ein Vergleich durch ähnliche Pandemie-Maßnahmen möglich.

„Das Ergebnis ist eindeutig und nicht überraschend: In allen untersuchten Ländern haben die Schulschließungen mit Distanzunterricht zu einem negativen Effekt auf Seiten der Lernenden geführt. Der Rückgang der Lernleistungen entspricht durchschnittlich und hochgerechnet auf ein Schuljahr etwa dem Verlust eines halben Schuljahres. Er ist damit größer als die Dauer des Lockdown selbst, weil sich die eingefangenen Lernrückstände im Lauf des Schuljahres aufgrund fehlender pädagogischer Unterstützungsmaßnahmen noch weiter verstärkten.“ (Zierer, 2021, 30)

Doch das Scheitern des digital basierten Fernunterrichts und das ebenso gescheiterte „selbstorganisierte Lernen“ (Sol) lässt sich nicht leugnen.

Lernrückstand und psychische Folgen

Das adäquate Mittel, die durch Schulschließungen und Fernunterricht entstandenen Lernrückstände beurteilen und kompensieren zu können, sind vergleichende Leistungserhebungen, vor dem Entwickeln von Unterstützungsangeboten. „Eine aussagekräftige Diagnose ist die Basis jeder Förderung“ (Zierer). Umso irritierender war, dass diese Lernstandserhebungen wegen Covid-19 zunächst ausgesetzt werden sollten. Doch das Scheitern des digital basierten Fernunterrichts und das ebenso gescheiterte „selbstorganisierte Lernen“ (Sol) lässt sich nicht leugnen. 20 bis 25 Prozent der Schüler hätten vermutlich große oder sogar dramatische Rückstände, so das BMBF im März 2021, weswegen ein milliardenschweres Nachhilfeprogramm aufgesetzt werde. (DLF, 2021). In den Sommerferien oder spätestens zum neuen Schuljahr sollen zusätzliche Förderangebote bereitgestellt werden, so das Ministerium.

Wie wäre es, die nicht abgerufenen Milliarden des „Digitalpakts Schule“ umzuwidmen in einen „Bildungspakt Schule“ und damit Lehramtsstudierende für Betreuung und Nachhilfe zu finanzieren?

Copsy-Studie: Starke psychische Belastungen

Wie wäre es, die nicht abgerufenen Milliarden des „Digitalpakts Schule“ umzuwidmen in einen „Bildungspakt Schule“ und damit Lehramtsstudierende für Betreuung und Nachhilfe zu finanzieren? Auch wären mehr feste Stellen für Schulpsychologinnen und Sozialarbeiter sinnvoll. Denn nicht nur die schulischen Leistungen leiden unter Corona-Bedingungen. Die beiden COPSY-Studien (CO-rona und PSY-che) der Hamburger Kollegin Ravens-Sieberer (UKE) belegen starke psychische Belastungen bei jungen Menschen. In der zweiten Befragung von Mitte Dezember 2020 bis Mitte Januar 2021 wurden mehr als 1000 Kinder und Jugendliche und mehr als 1600 Eltern per Online-Fragebogen befragt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Acht von zehn der befragten 7–17-jährigen fühlen sich durch die Lockdown-Maßnahmen belastet, eine Zunahme von 71 % auf 85 % im zweiten Lockdown. Zwei Drittel der Befragten empfinden Schule und Lernen anstrengender als im ersten Lockdown. Drei von 10 Kindern weisen psychische Auffälligkeiten auf. (Ravens-Sieberer, 2021b).

Geldsorgen

Das bestätigen die JuCo-Studien I und II (Jugend und Corona). Die Corona-Pandemie stelle junge Menschen in Deutschland vor große Herausforderungen. 61 Prozent fühlen sich teilweise oder dauerhaft einsam. 64 Prozent stimmen zum Teil oder voll zu, psychisch belastet zu sein. 69 Prozent berichten von mehr oder weniger stark ausgeprägten Zukunftsängsten. Ein Drittel der Jugendlichen (34 Prozent) hat zudem finanzielle Sorgen, wobei Geldsorgen und Zukunftsängste die psychische Belastung und die Einsamkeit verstärken. (Andresen et.al. 2021)

Darauf macht auch ein Bündnis von fünf Verbänden von Kinder- und Jugend-Psychotherapeuten, -Psychiatern und -Ärzten aufmerksam, das 60 000 Berufsangehörige repräsentiere und von weiteren 23 psychotherapeutischen Berufs- und Fachverbänden unterstützt werde. Sie beobachten seit dem zweiten Corona-Lockdown verstärkt Angst- und Schlafstörungen, Depressionen, Zwangs- und Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität. Unter dem Motto „Kinder brauchen mehr/Jugend braucht mehr“ fordern sie von den politisch Verantwortlichen, dem Leiden von jungen Menschen in der Corona-Krise mit einem Maßnahmenpaket zu begegnen. Gefordert wird ein Kinder- und Jugendrat, ähnlich wie der Ethikrat, die Unterstützung von Sport- und Kulturangeboten für Kinder und Jugendliche und z.B. ein Hilfe-Telefon für junge Menschen in Not mit Beratung durch Fachpersonal statt durch Freiwillige. Es dürfe nicht nur um versäumten Schulstoff gehen, sondern es werde Unterstützung auch „jenseits von Leistungsorientierung“ gebraucht, so Ariadne Sartorius, Bundesvorstandsmitglied des BVVP. (Feuerbach, 2021 )

Besinnung auf Schule als Lebens- und Sozialraum

Die emotionalen Bedürfnisse berücksichtigen

Entscheidend ist daher bei allen Konzepten, dass nicht nur Lernlücken erfasst und durch gezielte Förderung kompensiert werden, sondern dass auch die sozialen und emotionalen Bedürfnisse junger Menschen berücksichtigt werden. Schulen sind für Kinder und Jugendliche oft der wichtigste außerfamiliäre Ort, um Mitschülerinnen und Mitschüler zu treffen, Freundschaften zu beginnen und sich in Klassen- wie Sozialgemeinschaften einzugliedern. Nur im Miteinander werden wir zum „Ich“. Nur durch die Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lernen wir, wie vielfältig Menschen und ihre Persönlichkeiten, Sicht- und Reaktionsweisen sind. Nur im Kontext mit anderen lernen wir das Nachdenken und Reflektieren, statt nur Vorgegebenes zu übernehmen. Zum Denken-Lernen als Ziel von Lehre und Unterricht brauchen wir ein menschliches Gegenüber, den direkten Dialog. Das formulierte schon Immanuel Kant im Text “Was heißt: sich im Denken orientieren?” (1786). Sonst bekämen wir nur leere Köpfe, die zwar das Repetieren (heute: Bulimie-Lernen) trainieren, aber nicht selbständig denken und Fragen stellen könnten.

Dazu gehören auch „weiche“ Fächer wie Kunst- und Musikunterricht. Gefördert werden müssen Tanz- und Theatergruppen und gemeinsame Aktivitäten wie Exkursionen, Wandertage, Klassenfahrten, auch Bewegung und Sport.

Tanzen, Singen, Spotz treiben und Kunst

Mündigkeit und Reflexionsvermögen sind laut Schulverordnungen der Länder elementare Bildungsziele. Das gelingt nur, wenn wir die Verkürzung des Fächerkanons auf die MINT- oder WiMINT korrigieren, die Schule und Unterricht auf Ausbildungsvorbereitung in technischen Disziplinen verkürzen. Verstärkt werden muss vielmehr die Allgemeinbildung. Dazu gehören auch „weiche“ Fächer wie Kunst- und Musikunterricht. Gefördert werden müssen Tanz- und Theatergruppen und gemeinsame Aktivitäten wie Exkursionen, Wandertage, Klassenfahrten, auch Bewegung und Sport. Um pandemiebedingte Lernrückstände auszugleichen, darf nicht nur Abprüfbares trainiert werden. Vielmehr müssen wir Realräume schaffen für ein Miteinander, nach vielen Monaten Isolation an Display und Touchscreen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann sich nur in Gemeinschaft sozialisieren. Daher müssen wir Schulen viel stärker als einen sozialen Lebensraum des Miteinanders und gemeinsamen Lernens gestalten, statt Kinder und Jugendliche immer früher an Rechner zu vereinzeln. Das zumindest sollte als Ergebnis von Fernunterricht im Coronamodus gelernt werden.

Ralf Lankau

 

Andresen, Sabine; Heyer, Lea; Lips, Anna; Rusack, Tanja; Schröer, Wolfgang; Thomas, Severine; Wilmes, Johanna (2021) Das Leben von jungen Menschen in der Corona-PandemieErfahrungen, Sorgen, Bedarfe, Bertelsmann-Stiftung;

https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bildung/Studie_WB_Das_Leben_von_jungen_Menschen_in_der_Corona-Pandemie_2021.pdf

DLF (2021) Corona-Pandemie: Karliczek plant bundesweites Nachhilfeprogramm für lernschwache Schüler, https://www.deutschlandfunk.de/corona-pandemie-karliczek-plant-bundesweites.1939.de.html?drn:news_id=1242143 (27.3.2021)

Ebbinghaus, Uwe (2020) Mint-Schwäche in Schulen: Ist Lernsoftware besser als ein schlechter Mathelehrer?, in FAZ vom 23.6.2020

Engzell, P., Frey, A., & Verhagen, M. D. (2020, October 29). Learning Inequality During the Covid-19 Pandemic. https://doi.org/10.31235/osf.io/ve4z7

Feuerbach, Leonie (2021) Auch Kinder sind systemrelevant, in: FAZ vom 27.März 2021, S. 7; https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/folgen-der-corona-pandemie-auch-kinder-sind-systemrelevant-17265356.html (30.3.21)

IAB (2021) https://job-futuromat.iab.de/

Lebert, Achin (2021)Digitale Endgeräte werden zu Lernbegleitern, Heft Schulverwaltung spezial 2/2020, S.36-39 )

Ravens-Sieberer, Ulrike (2021b) Ergebnisse aus zweiter BefragungsrundeCOPSY-Studie: Kinder und Jugendliche leiden psychisch weiterhin stark unter Corona-Pandemie; https://idw-online.de/de/attachmentdata85769

Ravens-Sieberer, U., Kaman, A., Otto, C. et al. Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie – Ergebnisse der COPSY-Studie. Bundesgesundheitsbl (2021). https://doi.org/10.1007/s00103-021-03291-3

Zierer, Klaus (2021) Schulen in der Pandemie:Ein Jahr zum Vergessen, in: SZ vom 16.3.21, S. 30; https://www.sueddeutsche.de/politik/schulen-in-der-pandemie-ein-jahr-zum-vergessen-1.5233757 (26.3.21)

Zierer, Klaus (2020) Visible Learning 2020: Zur Weiterentwicklung und Aktualität der Forschungen von John Hattie, hrsg. v.d. Konrad Adenauer-Stiftung,

https://www.kas.de/documents/252038/7442725/Visible+Learning+2020.pdf/e664fc77-2b6e-bc9d-f6a1-9b8075268a50 (31.3.21)

Hattie, John; Zierer, Klaus (2017): Kenne deinen Einfluss! Visible Learning für die Unterrichtspraxis, 2. Auflage, Schneider Verlag Hohengehren.

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Wachsende Schieflage einer Wissenschaft https://condorcet.ch/2020/05/wachsende-schieflage-einer-wissenschaft/ https://condorcet.ch/2020/05/wachsende-schieflage-einer-wissenschaft/#respond Tue, 12 May 2020 08:30:27 +0000 https://condorcet.ch/?p=4894

Professor Wolfgang Kühnel, deutscher Mathematiker (Differentialgeometrie und kombinatorische Topologie) in Stuttgart ist auf dem Condorcet-Blog kein Unbekannter. Und auch in den kritischen Professorenkreisen rund um die Gesellschaft Bildung und Wissen (GBW) sind seine Worte zum Sonntag aufgrund ihrer feinen Ironie legendär. Dieser Beitrag ist eine Replik auf den Artikel "Wachsende Ungleichheit"von Hanna Dumont und Petra Stanat in der FAZ vom 30.04.2020. Und Herr Kühnel wäre nicht Herr Kühnel, wenn er nicht bereits in der Titelsetzung den Spiess umdrehte.

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Professor Kühnel: Lamentieren über soziale Ungleichheiten ist in dieser Situation verfehlt.

Dieses Coronavirus hat schon seltsame Auswirkungen. Die Bildungswissenschaftlerinnen H. Dumont und P. Stanat setzen dem noch die Krone auf, indem sie behaupten: „Sie [die empirische Bildungswissenschaft] kann Hinweise zu einer der am häufigsten gestellten Fragen (!?) im Kontext der Schulschließungen geben: Führt das häusliche Lernen zu verstärkten Bildungsungleichheiten?”

Zunächst sollte man annehmen, dass es weitaus wichtigere Fragen im Zusammenhang mit diesem Virus gibt. Auch die Schulschließungen erfolgen nicht leichtfertig und nicht zum Spaß. Man kann darüber streiten, gewiss. Aber ein Lamentieren über soziale Ungleichheiten in diesem Zusammenhang ist schon von vornherein verfehlt: Selbstverständlich werden insgesamt untere soziale Schichten von diesem Virus mehr getroffen als die Bessergestellten, schon weil die letzteren meist Privatpatienten sind und die anderen meist nicht. Die Wohnverhältnisse kommen hinzu: Beengte Verhältnisse begünstigen Ansteckungen. Und Kurzarbeit und Jobverlust treffen vorwiegend die finanziell Schwachen.

Selbstverständlich werden insgesamt untere soziale Schichten von diesem Virus mehr getroffen als die Bessergestellten, schon weil die letzteren meist Privatpatienten sind und die anderen meist nicht. Die Wohnverhältnisse kommen hinzu: Beengte Verhältnisse begünstigen Ansteckungen. Und Kurzarbeit und Jobverlust treffen vorwiegend die finanziell Schwachen.

Hausaufgaben sollen “unsozial” sein

Aber darum geht es den Autorinnen nicht. Sie legen mal wieder die alte Platte auf, nach der Hausaufgaben und ähnliche Eigenaktivitäten von Schülern außerhalb der Schulräume soziale Ungleichheiten verstärken, weil gebildete Eltern ihre Kinder dabei besser unterstützen können und dies auch oft (nicht immer) machen. Das gipfelte schon in Forderungen nach genereller Abschaffung von Hausaufgaben als schlechthin “unsozial”.

Seltsam ist nur, dass es auch in Europa Länder gibt, in denen die Kinder routinemäßig (ohne Viren) knapp 3 Monate Sommerferien haben.

Jetzt sind die langen Ferien im Visier

Jetzt trifft dieses Verdikt auch noch die Schulferien: Lange Schulferien sind sozial ungerecht, so der Tenor des Artikels. In den USA habe man das in Tests festgestellt. Seltsam ist nur, dass es auch in Europa Länder gibt, in denen die Kinder routinemäßig (ohne Viren) knapp 3 Monate Sommerferien haben. Das ist insbesondere in Italien der Fall (im Süden noch etwas länger als im Norden). Haben die immerhin schon sieben PISA-Studien jemals darauf hingewiesen, wie schädlich doch 3 Monate Sommerferien sind, wurde Italien dafür gerügt? Nein, Italien gilt als Vorbild in Sachen Inklusion. In Belgien gibt es auch insgesamt mehr Ferien, u.a. volle zwei Monate Sommerferien, sogar Estland hat sehr lange Sommerferien, und das ist einer der neuen PISA-Sieger.

Bildungsgleichheit?

Allein das Wort „Bildungsungleichheit” in diesem Zusammenhang lässt aufhorchen. Was ist denn der Gegenbegriff dazu? Doch offenbar „Bildungsgleichheit”, was sonst? Ist diese Gleichheit also neuerdings das eigentliche Ziel unserer Schulen? Das Jammern über die unterschiedlichen Testergebnisse bei Kindern aus unterschiedlichen sozialen und ethnischen Verhältnissen übersieht gerne, dass diese Unterschiede nicht primär von der Schule verursacht werden, sondern schon in 6 Jahren vor der Einschulung und natürlich im häuslichen Umfeld.

Der Staat darf gar nicht konsequent für eine Bildungsgleichheit sorgen, denn er würde dabei mit verbrieften Rechten der Eltern kollidieren.

Klaus Zierer, Erziehungswissenschaftler: Wovon denn sonst als vom sozioökonomischen Status hängt der Bildungserfolg ab?

Dazu sagt Klaus Zierer in dem Buch zur neuen Bildungskatastrophe (mit Julian Nida-Rümelin) auf S. 65: „Im Kontext von PISA wird darauf verwiesen, dass der Bildungserfolg stark vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängt. Ich frage hier provokativ: Wovon soll er sonst abhängen? Aus Studien ist beispielsweise bekannt, dass wir bis zum Schuleintritt einen Unterschied von 30 Millionen gehörten Wörtern bei Kindern aus bildungsnahen Milieus im Vergleich zu Kindern aus bildungsfernen Milieus haben. Allein dadurch also, dass Eltern einen anderen Bildungsabschluss haben, sprechen sie mehr mit ihren Kindern, und die wiederum bekommen eine größere Variante von Wörtern mit.” Hinzu kommt etwas, das die Gerechtigkeitsbeflissenen von sich aus nie thematisieren: Unser Grundgesetz gibt ausdrücklich den Eltern das alleinige Recht, ihre Kinder zu beeinflussen und zu erziehen. Der Staat darf nur bei schwerer Kriminalität (z.B. Kindesmisshandlung) eingreifen. Also darf der Staat gar nicht konsequent für eine Bildungsgleichheit sorgen, denn er würde dabei mit verbrieften Rechten der Eltern kollidieren.

Umwerfende Erkenntnisse

Richtig ist ganz gewiss die Feststellung der Autorinnen: „Aufgrund des Zusammenhangs zwischen sozialem Hintergrund und erreichtem Leistungsniveau ist es wahrscheinlich, dass Kinder aus sozial weniger privilegierten Familien seltener zu denjenigen gehören, die gut selbständig lernen können.”

Ja, wenn das so ist, liebe Bildungswissenschaftler/innen, dann müsste man doch in der Schule zum Ausgleich mehr unselbständiges Lernen praktizieren, also mehr Frontalunterricht mit effizienter Kontrolle.

Ja, wenn das so ist, liebe Bildungswissenschaftler/innen, dann müsste man doch in der Schule zum Ausgleich mehr unselbständiges Lernen praktizieren, also mehr Frontalunterricht mit effizienter Kontrolle. Aber das Gegenteil ist doch der Fall: Alle sich für progressiv haltenden Erziehungswissenschaftler, Didaktiker und Bildungspolitiker möchten gerne den Frontalunterricht möglichst weitgehend durch individuelles und möglichst selbständiges Lernen ersetzen, und zwar schon in der Grundschule. Da sollen die Kinder sogenannte „Lerntagebücher” führen und darin feststellen, „ich kann dieses und jenes”. Die Friedrich-Ebert-Stiftung verkündete schon „das Ende des Frontalunterrichts” unter Berufung auf eine Studie von Frau Prof. M. Vock (Uni Potsdam) und pries die Heterogenität mit dem individuellen Lernen. Ein individuelles Lernen muss aber zwangsläufig weitgehend ohne Lehrer stattfinden, die Lehrer werden dann zu sogenannten „Lernbegleitern”. Das letztere bleiben sie aber selbst in Zeiten der Coronakrise durch elektronische Kommunikation.

Ein individuelles Lernen muss aber zwangsläufig weitgehend ohne Lehrer stattfinden, die Lehrer werden dann zu sogenannten „Lernbegleitern”. (laut Friedrich Ebert-Stiftung)

Petra Stanat: Widersprüchliche Argumentation

Auch die Autorinnen schreiben dazu: „Auf der pädagogischen Ebene sind die einzelnen Schulen und Lehrer in dieser Zeit mehr denn je gefragt, auf die unterschiedlichen Lernstände der Schüler mit Methoden der Individualisierung (aha!) und Differenzierung einzugehen.” Was bitte soll aber beim Lernen „Individualisierung” anderes bedeuten als weitgehend selbständiges Lernen (mit Anleitung), das doch angeblich zu sozialer Bildungsungleichheit führt? Dass die optimale individuelle Förderung jedes einzelnen am Ende nahezu automatisch zu großer Bildungsungleichheit führen muss, wird dabei verdrängt. Der eine lernt halt nachmittags gerne, interessiert sich für vieles, liest Bücher und sieht im Fernsehen informative Sendungen an, der andere spielt lieber Fußball und sieht sich Krimis und Actionfilme an oder lässt sich in Diskotheken volldröhnen. Der eine Musiker übt fleißig, der andere nicht, alles mit entsprechenden Resultaten später nach Jahren. Und wir sollen über Bildungsungleichheiten lamentieren, die ausschließich empirisch durch Korrelationen festgestellt wurden? Ob 15-jährige Testpersonen als 7-jährige mal Bildungschancen hatten oder nicht, kann nie festgestellt werden.  Chancen können auch vertan werden.

Die empirische Bildungswissenschaft ist in Gefahr, zu einem Anhängsel politischer Ziele zu werden.

Mir scheint, die empirische Bildungswissenschaft ist in Gefahr, zu einem Anhängsel politischer Ziele zu werden. Man unterstützt neuerdings bereitwillig alle Forderungen nach sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit, bei PISA-Pressekonferenzen ist das inzwischen ein sehr wichtiges Thema geworden, aber wie viele unserer Gymnasiasten in der Oberstufe noch das kleine 1×1 auswendig können (von der eigentlichen gymnasialen Mathematik ganz zu schweigen) oder eine passable Rechtschreibung beherrschen, das erfahren wir nie. So etwas hält die Bildungswissenschaft nicht für wert, erforscht zu werden. Es gehört offenbar nicht zur Qualität im Bildungswesen (offiziell die zentrale Aufgabe des IQB unter Leitung von Frau Stanat). Man beglückt uns lieber von Test zu Test mit einer neuen Einteilung der Testpersonen in Kompetenzstufen ohne eine nutzbringende Erkenntnis.

 

 

 

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Dialogisches vor Digitalem! https://condorcet.ch/2020/05/dialogisches-vor-digitalem/ https://condorcet.ch/2020/05/dialogisches-vor-digitalem/#respond Thu, 07 May 2020 16:07:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=4876

Digitales Lernen erweist sich in der Corona-Quarantäne als wichtiges Werkzeug. Manche wollen es nun ins Zentrum des Schulalltags rücken. Gefordert wird Lernen 4.0. Was dabei nicht vergessen gehen darf, darauf verweist Condorcet Autor Carl Bossard.

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Carl Bossard: Wirkwerte sind minim.

Wer in diesen Tagen mit jungen Menschen digital unterwegs ist, wer Fernunterricht praktiziert und mit Lernenden in virtuellen Räumen kommuniziert, der staunt über die technischen Zaubereien. Die digitale Vielfalt fasziniert. Beim Zoom-Meeting Arbeitsaufträge erteilen, die Teilnehmer in Gruppen schicken, mit ihnen chatten, ihnen Bilder zeigen und die Folien erklären und darüber diskutieren – das alles kann man, und vieles mehr. Verführerisch leicht kommt es daher. Doch wirkt das alles auch? Und was bewirkt der Unterricht aus dem Homeoffice? Das beschäftigte den Autor dieser Zeilen nach jeder Digitalsequenz.

Wie steht es um digitale Lerneffekte?

„What works best in school?“ Diese Frage steht für den renommierten empirischen Bildungsforscher John Hattie im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Er stellte sie auch für das virtuelle Klassenzimmer. Bringt die Digitalisierung des Unterrichts einen pädagogischen Mehrwert? Und wie wirkt sich das E-Learning auf die Lerneffekte aus?

John Hattie: „What works best in school?“

Die Frage ist bedeutsam, weil der Ruf nach der digitalen Schule laut und apodiktisch erschallt, ganz so als könnten alte (Lern-)Probleme mit neuen Medien neu oder überhaupt erst gelöst werden. So mindestens lauten die Versprechen der IT-Industrie, die mit enormen Investitionen in die Bildung drängt und sich auf einen milliardenschweren Zukunftsmarkt vorbereitet. Der Kampf ist längst lanciert.

Empirischen Daten dämpfen die IT-Euphorie

Die Technik revolutioniere das Lernen, heisst es fast mantramässig. Von den konkreten Lerneffekten des digitalen Unterrichts aber hört man wenig. Man muss in nüchterne wissenschaftliche Studien eintauchen; hier zeigt sich ihr wirklicher Wert. Doch die empirischen Daten dämpfen die Euphorie. Das „Webbasierte Lernen“ beispielsweise, die individuelle Arbeit mit dem Internet und dem propagierten selbstwirksamen Lernen, erhält bei John Hattie eine sehr geringe Effektstärke.[1]

Auch die sogenannte „Programmierte Instruktion“ hält nicht, was sie verspricht.

Das Gleiche gilt für das Online-Lernen, für die Laptop-Einzelnutzung oder für den Einsatz von Powerpoint. Ihre Wirkwerte sind minim; sie tendieren gegen null. Dem digitalisierten Fernunterricht geht es nicht besser. Auch die sogenannte „Programmierte Instruktion“ hält nicht, was sie verspricht. Den angepriesenen Potenzialen hinkt sie weit hinterher. Bessere Resultate erzielen die Computerunterstützung im Unterricht und interaktive Lernvideos.

Die OECD als fleissiger Bildungsmodernisierer musste einräumen, dass Schulen mit wachsenden Investitionen in ihre digitale Infrastruktur eher schlechter wurden.

Ernüchternde Befunde der technikaffinen OECD

Steve Jobs: Schickte seine Kinder in die Waldorf-Schule

Diese Befunde decken sich mit der Aussage von Andreas Schleicher, dem OECD-Bildungsdirektor. Er stellte schon vor länger Zeit ernüchtert fest: „Wo Computer in Klassenzimmern genutzt werden, sind ihre Auswirkungen auf die Leistung von Schülern bestenfalls gemischt.“ Die OECD als fleissiger Bildungsmodernisierer musste einräumen, dass Schulen mit wachsenden Investitionen in ihre digitale Infrastruktur eher schlechter wurden.[2] Die Realität bleibt hinter den Versprechen der Technologie zurück. So kam die amerikanische Westpoint Academy zum Ergebnis, dass Studenten ohne Laptop und Tablet um zwanzig Prozent bessere Leistungen erzielen.[3]

Es ist wohl kein Zufall, dass der ehemalige Apple-CEO Steve Jobs und der Microsoft-Gründer Bill Gates ihre Kinder in digitalfreie Waldorf-Schulen schickten. Sie sind auffallend ‚low-tech‘ ausgerüstet und arbeiten noch mit Kreidetafel und Bleistift.

Nicht selten bleibt die Digitalisierung auf einer Ersatzebene für bisherige Medien stecken: Der PC als Lexikonersatz, das Tablet als Arbeitsblattersatz, das Smartboard als Tafelersatz.

Vorzüge von Computern und Tablets im Unterricht (noch) nicht belegt

Warum erzielt die Digitalisierung keinen grösseren Effektwert auf die schulischen Leistungen der Lernenden? Das Aufrüsten der Schulen mit Computern, Tablets und Smartphones allein revolutioniert Lernen nicht.[4] Programme, die in die Schulklassen kommen, sind häufig überfrachtet – akustisch wie optisch. Das Blinken hier und Ploppen dort führt zu einem „cognitive overload“ und damit zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses. Nicht selten bleibt die Digitalisierung auf einer Ersatzebene für bisherige Medien stecken: Der PC als Lexikonersatz, das Tablet als Arbeitsblattersatz, das Smartboard als Tafelersatz. Die neuen Medien bleiben Informationsträger.

Kinder brauchen ein inspirierendes und korrigierendes und damit vital präsentes Gegenüber.

Kognitive Prozesse anregen und damit nachhaltige und positive Effekte auf das Lernen ausüben – das bleibt das Ziel. Das ist anspruchsvoll. Auch beim Programmieren von Programmen. Entscheidend ist und bleibt neben dem systematischen Wissens- und Könnensaufbau das konstruktive persönliche Feedback. Darum brauchen die meisten Lernenden auch beim raffiniertesten Digitalprogramm und bei der modernsten Technik ein analoges Du – ein inspirierendes und korrigierendes und damit vital präsentes Gegenüber.

Lernen bleibt Arbeit und ist anstrengend

Und dieses spürbare Vis-à-Vis muss den Schülerinnen und Schülern eines klar machen: Denk- und Lernprozesse sind für den Einzelnen selten etwas Leichtes. Das suggerieren nur gewisse Technikkonzerne und zeittrendige Bildungsexperten. Lernen ist immer anstrengend. Wer lernt, muss an seine Grenzen gehen und sie überwinden. Das gehört zu den menschlichen Konstanten. Seit Generationen!

Aus der Lernforschung wissen wir: Jugendliche und junge Menschen brauchen fürs Lernen klare Ziele. Sie benötigen strukturierte Lernumgebungen, Phasen des bewussten und gezielten Übens. Sie sind zudem auf ein regelmässiges und sprachlich differenziertes Feedback angewiesen sowie auf eine intensive und positive Lehrer-Schüler-Beziehung. Das alles erzielt hohe Effektwerte, aber es tönt banal. Darum geht es in der digitalen Welt vielfach vergessen.

Der Ort schulischer Bildung ist die Interaktion zwischen Menschen

E-Learning ergänzt den Unterricht; doch E-Learning revolutioniert das Lernen nicht, wie viele IT-Protagonisten behaupten. Die empirischen Daten sprechen eine andere Sprache. Vermutlich waren gute und pädagogisch engagierte Lehrpersonen darum nicht perfekt auf den ruckartig erfolgten Wechsel vom analogen Unterricht ins virtuelle Klassenzimmer vorbereitet. Als Praktiker stehen sie den hehren Heilsversprechen der Digitalkonzerne und der Bertelsmann-Stiftung schon länger skeptisch gegenüber.

Dazu wissen sie anerkannte Bildungsforscher wie John Hattie, Andreas Helmke[5] oder Klaus Zierer auf ihrer Seite: Nach ihnen gehen Lerneffekte von Lehrpersonen und ihrem Unterricht aus. Der Ort schulischer Bildung ist eben nie die Struktur allein, nie die Methode allein und auch nie das (digitale) Medium allein. Der Ort schulischer Bildung ist die Interaktion zwischen Menschen. Dieses „Dazwischen“ macht das Konstitutive des Unterrichts aus. Und dieses Dazwischen droht im Moment vergessen zu gehen: Es fehlt die zwischenmenschliche Energie, es fehlt das Augenzwinkernde und Spontane, es fehlt das Pulsierende des Klassenraums. Es ist das Dialogisch-Sokratische. Genau das vermisst der Autor im einsamen Homeoffice.

 

[1] Vgl. Zierer Klaus (2018), Lernen 4.0. Pädagogik vor Technik. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 49.

[2] In: OECD (2015), Students, Computers and Learning: Making the Connection, PISA. Paris: OECD Publishing, S. 3f.

[3] Thomas Thiel, Lernen im Chatroom, in: FAZ, 13.10.2018.

[4] John Hattie & Klaus Zierer (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 65.

[5] Andreas Helmke (2015). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer.

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