überfachliche Kompetenzen - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 11 Mar 2024 05:46:13 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png überfachliche Kompetenzen - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Die Kompetenzraster der Wunschprosa-Phantasten: Lernziel – Engel https://condorcet.ch/2024/03/die-kompetenzraster-der-wunschprosa-phantasten-lernziel-engel/ https://condorcet.ch/2024/03/die-kompetenzraster-der-wunschprosa-phantasten-lernziel-engel/#comments Tue, 05 Mar 2024 17:17:03 +0000 https://condorcet.ch/?p=16081

Die Notendebatte hat uns im Griff. Den Anfang machte das Eltern-Magazin "Fritz und Fränzi", dann kam die Vereinigung der Schulleiterinnen und Schulleiter, gefolgt von der Mercator-Stiftung und schliesslich noch die famose Rahel Tschopp, eine Mischung aus Mutter Theresa der Pädagogik und Trudi Gerster. Sie alle wollen die Noten ersetzen. Mit was? Condorcet-Autor Alain Pichard hat es herausgefunden.

The post Die Kompetenzraster der Wunschprosa-Phantasten: Lernziel – Engel first appeared on Condorcet.

]]>

Schon während den Lehrplandiskussionen vor 10 Jahren machten die ersten Kompetenzraster die Runde. Den Anfang machte ein 7-seitiger Beobachtungsbogen,  mit dem Kindergartenkinder in St. Gallen vermessen werden sollten. Unvergessen das Beobachtungsmerkmal: “Kann Papier schneiden, ohne die Zunge herauszustrecken”. Das hatte meine Kinder zu einem Lachanfall veranlasst, weil  ihrem Vater dieses Behinderungsmerkmal gelegentlich immer noch unterlief.

Alain Pichard, Condorcet-Redaktion, Grossrat, Mitglied der Bildungskommission im Kanton Bern.

Dann folgte die Sache mit den überfachlichen Kompetenzen. Auf einer Skala von 1 – 10 sollten in Zeugnissen plötzlich Verhalten und Charakterfragen beurteilt werden, wie “kann sich situationsgemäss ausdrücken” oder “kann mit Vielfalt umgehen”. Ein Ansinnen, das aufgrund eines medialen Shitstorms in der Schublade der Freiwilligkeit verschwand.

Seit einigen Wochen hat nun eine Notendebatte eingesetzt. Losgelöst wurde sie vom Verband der Schulleiter und Schulleiterinnen der Schweiz und dankbar von einer Vielzahl von eifrigen Bildungsreformern aufgenommen, die unsere Schule von Grund auf erneuern wollen. Sie sprechen den Noten jegliche Signifikanz ab. Sie seien ungerecht, ungenau, diskriminierend, willkürlich, unpädagogisch, unwissenschaftlich, fremdenfeindlich. Gefragt sei eine umfassende und nicht eine diskriminierende, sondern eine fördernde Beurteilung. Auf die Frage, was denn die Alternative sei, kommt von den Notenverächtern selten etwas Klares. Tortenkleberli und Rüebli können es ja auch nicht richten. Von der Mercator-Stiftung, ein ganz eifriger Alternativbeurteiler, sind uns aber ausgeklügelte Beurteilungsunterlagen zugänglich gemacht worden [1]. Und damit wären wir wieder bei den guten alten Kompetenzrastern. Als Beispiel sei hier ein Bogen aufgeschaltet, der sich mit einem Lernziel zusammenfassen lässt: Wie werde ich ein Engel.

Jetzt aber “zeige ich Mitgfühl und Verständnis” und schliesse diesen Beitrag.

[1] https://www.zebis.ch/unterrichtsmaterial/kriterienraster-ueberfachliche-kompetenzen

The post Die Kompetenzraster der Wunschprosa-Phantasten: Lernziel – Engel first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2024/03/die-kompetenzraster-der-wunschprosa-phantasten-lernziel-engel/feed/ 4
Überfachliche Kompetenzen im Blabla-Index https://condorcet.ch/2022/09/ueberfachliche-kompetenzen-im-blabla-index/ https://condorcet.ch/2022/09/ueberfachliche-kompetenzen-im-blabla-index/#comments Fri, 09 Sep 2022 14:03:58 +0000 https://condorcet.ch/?p=11478

Der Beitrag unseres Condorcet-Autors Alain Pichard, der den Blabla-Index über eine Aussage einer Bildungsfunktionärin befragte, motivierte eine Leserin des Condorcet-Blogs, den Text über die überfachlichen Kompetenzen im Lehrplan 21 in die Suchmaschine einzugeben. Schauen Sie, was dabei herauskam!

The post Überfachliche Kompetenzen im Blabla-Index first appeared on Condorcet.

]]>

Geben Sie den Text im Lehrplan 21 zu den überfachlichen Kompetenzen in den Blabla-Index.

Die Ausprägung der personalen und sozialen, etwas weniger der methodischen Kompetenzen, wird zu einem grossen Teil vom familiären und weiteren sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen bestimmt. Im schulischen Kontext werden sie weiter entwickelt und ausgebildet.

Zum einen werden überfachliche Kompetenzen im alltäglichen schulischen Zusammenleben gefördert und erweitert. Zum anderen bietet der Unterricht durch die vertiefte Auseinandersetzung mit Fachinhalten Gelegenheit, an überfachlichen Kompetenzen zu arbeiten. Je nach Aufgabe, Zielsetzung und Voraussetzungen der Lernenden sind unterschiedliche personale, soziale und methodische Kompetenzen hilfreich, um eine Aufgabe zu lösen. Es gehört zum verbindlichen Auftrag der Lehrpersonen, die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen in allen drei Zyklen und in allen Fachbereichen aufzubauen und zu fördern. Der Projektunterricht in der 3. Klasse der Sekundarschule baut auf den bis dahin erworbenen überfachlichen Kompetenzen auf (siehe Projektunterricht). Die überfachlichen Kompetenzen tragen zur Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung bei. (Siehe auch Grundlagen, Kapitel Bildung für Nachhaltige Entwicklung.)

Und Sie erhalten folgende Bewertung!

The post Überfachliche Kompetenzen im Blabla-Index first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2022/09/ueberfachliche-kompetenzen-im-blabla-index/feed/ 1
Das Interview mit Lars Burgunder: Ich war mir meiner Wirkung nicht bewusst https://condorcet.ch/2021/10/das-interview-mit-lars-burgunder-ich-war-mir-meiner-wirkung-nicht-bewusst/ https://condorcet.ch/2021/10/das-interview-mit-lars-burgunder-ich-war-mir-meiner-wirkung-nicht-bewusst/#respond Wed, 27 Oct 2021 16:38:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=9647 In der Rubrik "Es war einmal!" hat Condorcet-Autor Alain Pichard die Tat des Lars Burgunder vor 5 Jahren noch einmal in Erinnerung gerufen (siehe: Aus der Rubrik: Es war einmal oder wie ein junger Lehrer die hochtrabenden Pläne eines Bildungsdirektors und seiner ihn verehrenden Fankurve zu Fall brachte, 27.10.21). Kurz darauf telefonierte er mit dem damaligen Zweifler. Entstanden ist ein hübsches kleines Interview.

The post Das Interview mit Lars Burgunder: Ich war mir meiner Wirkung nicht bewusst first appeared on Condorcet.

]]>
Alain Pichard, frisch pensionierter Lehrer, Mitglied der Condorcet-Redaktion.
Bild: fabü

Lars, du hast vor 5 Jahren inmitten einer Fangemeinschaft ein ganzes Konzept einer Behörde mitsamt ihrem populären Erziehungsdirektor Pulver zu Fall gebracht. Wie fühlt man sich 5 Jahre danach?

Danke für die Blumen. Ich kann ehrlich sein und sagen, in der Retrospektive war mir nie wirklich klar, was ich da genau ausgelöst und schliesslich geschafft hatte. Wenn ich aber die damals am Hearing vorgestellte Version der Beurteilung mit der heutigen vergleiche, dann sehe ich schon, dass es sich unglaublich gelohnt hat aufzustehen und zu sagen “so nicht”. Obwohl, der neue Lehrplan ist ja doch gekommen, und wer die “Schlüsselkompetenzen” im “Portfolio” näher und kritisch unter die Lupe nimmt, kann sich wohl ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die idiotischen Charakterbeurteilungen mit ihrer stupiden Skalierung, das konnte es ja wirklich nicht sein. Erstaunt hat mich, dass ich offensichtlich in dem Saal der einzige war, dem dies missfiel.

Du hast aber eh Mühe mit der Leistungsbeurteilung.

Ja, wenn alles nur noch Leistung ist und nun auch noch Charakter und persönliche Eigenschaften, zu denen man Sorge tragen muss, vermessen werden sollen, dann lehne ich das ab.

Die idiotischen Charakterbeurteilungen mit ihrer stupiden Skalierung, das konnte es ja wirklich nicht sein. Erstaunt hat mich, dass ich offensichtlich in dem Saal der einzige war, dem dies missfiel.

Wie waren die Reaktionen auf darauf?

In meinem Umfeld und der Schule, an der ich damals gearbeitet habe, war nichts zu spüren. Von vielen wurde es einfach mit einem Nicken zur Kenntnis genommen, sie wussten oft nicht einmal, dass sich da jemand gewehrt hatte. Es war wie an diesem Hearing: Alle nicken mit dem Kopf und hinterfragen nicht, komme was wolle. Aber das ist ja mittlerweile ein in der Gesellschaft sehr verbreitetes alltägliches Phänomen. Ein paar einzelne, dem System Schule gegenüber auch kritisch eingestellte Kollegen und Kolleginnen haben mir aber auch für das Erreichte gedankt.

Lars Burgunder, rechts im Bild, auf der Alp: Ich arbeite gerne mit Jugendlichen zusammen.

Wie stehst du heute zur Schule? Du machts viele andere Dinge, kommst aber immer wieder zur Schule zurück.

Ja, ich mache viele andere Dinge. Die letzte feste Anstellung hatte ich im Jahr 2016, danach habe ich nur noch längere Stellvertretungen gemacht (ich sage jeweils, ich bin freischaffender Lehrer) und arbeite im Sommer jeweils als Hirte auf der Alp. Gleichzeitig bin ich teilselbständig als Tätowierer, das mache ich seit etwa 2010. Aber das Thema Schule lässt mich halt nicht los. Meine Frau ist Heilpädagogin, und so diskutieren wir so oder so immer wieder mal über die positiven Seiten der Schule, aber auch über all die Missstände im System Schule, sprechen und streiten auch über Dinge, die aus unserer Sicht einfach nicht akzeptabel sind.

Darum gehe ich immer wieder zurück. Und ich mache es auf meine Art und Weise, so wie ich es für richtig halte und nicht nach einem Muster.

Aber du gibst immer wieder Schule. Ist das dein Brotjob?

Das könnte man meinen, dem ist aber nicht so. Auch wenn ich vieles am System Schule nicht mag, arbeite ich einfach gerne mit Kindern und Jugendlichen. Darum gehe ich immer wieder zurück. Und ich mache es auf meine Art und Weise, so wie ich es für richtig halte und nicht nach einem Muster. Wenn mich jemand fragen würde, wie Schule denn sein müsse und man dazu nur ein Adjektiv brauchen dürfte, würde ich antworten: kindgerecht. Und nur so muss und darf Schule sein aus meiner Sicht: kindgerecht. Wer darüber nachdenkt, merkt schnell: Die Schule heute ist meilenweit davon entfernt, kindgerecht zu sein. Aber als individuelle Lehrpersonen können wir in den Lektionen bei den Kindern mehr erreichen als wir denken. Wenn dir am Ende einer längeren Zeit mit einer Klasse die SuS sagen “dir sid wine Père für üs”, dann weiss ich, es ist gut so, wie ich es mache, und darum gehe ich immer wieder zurück.

 

 

The post Das Interview mit Lars Burgunder: Ich war mir meiner Wirkung nicht bewusst first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2021/10/das-interview-mit-lars-burgunder-ich-war-mir-meiner-wirkung-nicht-bewusst/feed/ 0
Aus der Rubrik: Es war einmal oder wie ein Lehrer die hochtrabenden Pläne eines Bildungsdirektors und seiner ihn verehrenden Fankurve zu Fall brachte. https://condorcet.ch/2021/10/aus-der-rubrik-es-war-einmal-oder-wie-ein-junger-lehrer-die-hochtrabenden-plaene-eines-bildungsdirektors-und-seiner-ihn-verehrenden-fankurve-zu-fall-brachte/ https://condorcet.ch/2021/10/aus-der-rubrik-es-war-einmal-oder-wie-ein-junger-lehrer-die-hochtrabenden-plaene-eines-bildungsdirektors-und-seiner-ihn-verehrenden-fankurve-zu-fall-brachte/#comments Wed, 27 Oct 2021 16:09:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=9639

In unserer Rubrik "Es war einmal" blicken wir 5 Jahre zurück. Damals legte der Bildungsdirektor Bernhard Pulver in einem seiner Hearings eine neue Beurteilung vor. Mit von der Partie der Lehrer Lars Burgunder. Er war der einzige, der nicht applaudierte, sondern an die Presse ging. Damit erledigte er einen von vielen Köpfen sorgsam entworfenes Beurteilungskonzept, in dem nun plötzlich Charakterzüge beurteilt werden sollten.

The post Aus der Rubrik: Es war einmal oder wie ein Lehrer die hochtrabenden Pläne eines Bildungsdirektors und seiner ihn verehrenden Fankurve zu Fall brachte. first appeared on Condorcet.

]]>

 

Alain Pichard, frisch pensionierter Lehrer, Mitglied der Condorcet-Redaktion.
Bild: fabü

Mit dem Lehrplan 21 wurde eine erziehungswissenschaftliche Wende vollzogen – weg von klassischen Lernzielen, hin zur Kompetenzorientierung. Dieser Paradigmenwechsel stellte auch die Frage nach der Beurteilung neu. Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern legte dazu im Frühling 2016, also vor 5 Jahren wieder einmal ein neues Beurteilungskonzept vor. Es wurde an die Schulen des Kantons verschickt, gleichzeitig mit einer Einladung zu einem öffentlichen Hearing, in der diese bildungsbürokratischen Segnungen einer ausgewählten Lehrerschaft vorgestellt werden sollte. Lars Burgunder wurde von seinem Schulleiter angefragt, ob er an diesen Anlass das Schulhaus vertreten könne. Als er die Entwürfe für eine neue Beurteilung der Schüler und Schülerinnen des Kantons Bern durchlas, standen ihm die Haare zu Berge.

Er sah, dass neu wieder die Kriterien „Pünktlichkeit“, „Ordnungssinn“, und „Höflichkeit“ beurteilt werden sollten, auf einer Skala von 1 – 10, curricular aufbaubar, was hiesse, dass man Höflichkeit quasi in Stufen skaliert erlernen sollte. Und das war noch nicht alles: Dazu kamen noch 12 überfachliche Kompetenzen, wie zum Beispiel „Der Schüler ist in der Lage, Gefühle situationsgemäss auszudrücken“, ebenfalls auf einer Skala von 1 – 10. Der junge Lehrer dachte zuerst an einen Witz. Als er aber merkte, dass das wirklich ernst gemeint war, ging er voller Notizen an das Hearing.

Als er die Entwürfe für eine neue Beurteilung der Schüler und Schülerinnen des Kantons Bern durchlas, standen ihm die Haare zu Berge.

Die 250 Lehrkräfte aus dem ganzen Kanton füllten die Aula des Gymnasiums Lebermatt. Vorne ein gut gelaunter Bildungsdirektor, welcher mit lustigen Sprüchen den Saal erheiterte. Viele anwesende Lehrkräfte empfanden die

Damaliger Erziehungsdirektor Bernhard Pulver: Gute Stimmung

Stimmung denn auch als sehr gut. Für das umstrittene Formular der überfachlichen Kompetenzen standen genau 10 Minuten zur Verfügung. Immer wieder gab es „konsultative Abstimmungen“. Am Schluss einen Riesenapplaus und ein tolles Buffet. Lars applaudierte nicht, er liess auch das Buffet aus und schickte die Formulare mit einem Erlebnisbericht an einen Schulblog. Von dort kam dann die ganze Sache in die Presse.

Und jetzt aufgepasst! Ein etwas zerknirschter Bildungsdirektor gab sich nicht mal eine Woche später selbstkritisch und empfand seine eigenen Papiere als „unausgegoren“.

Dann kommt ein kleiner kritischer Zeitungsartikel in der Zeitung und „schwups“, der verbale Rückzug, das „Sorry“, das „Es war ja nicht so gemeint“. Der ganze Entwurf wurde zur Überarbeitung zurückgezogen.

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Da entwickeln Experten ein Jahr lang ein neues Beurteilungssystem, da diskutieren Leute, die den Herausforderungen des Unterrichts stets fernbleiben, intensiv über die Ergebnisse, da werden 250 Praktiker zu einer Anhörung eingeladen und verabschieden diesen Entwurf kritiklos, und dann kommt ein kleiner kritischer Zeitungsartikel in der Zeitung und „schwups“, der verbale Rückzug, das „Sorry“, das „Es war ja nicht so gemeint“. Der ganze Entwurf wurde zur Überarbeitung zurückgezogen. Das Papier sei ein Entwurf, das Ergebnis noch unausgegoren, meinte der vorher frenetisch gefeierte Bildungsdirektor Pulver.

Lars Burgunder: Bürgerliches Tugendgeschwafel. So etwas mache ich nie!

Für Lars Burgunder war der Fall klar: Was da vorgelegt wurde, ist bürgerliches Tugendgeschwafel, verpackt in pseudowissenschaftlichem, technokratischem Vermessungswahn. Nie, meinte er, werde er so etwas seinen Schülern antun. Da merkt man auch, aus welcher Ecke dieser junge Mann kam: Er dachte links, arbeitete aber in der Praxis und nicht in den Büros der Bildungsverwaltung. Er verfügte somit noch über die linken Denkreflexe, die einst eine linke Bildungsdiskussion geprägt haben.

Damals begründete uns ein grüner Bildungsdirektor allen Ernstes: „Diese Beurteilung werde von der Wirtschaft verlangt!“ Aufgepasst, nicht ein FDP-Magistrat fordert die Normierung unserer Kinder nach wirtschaftlichen Prinzipien! Es war ein Vertreter der Linken, unterstützt von linken Bildungsfachleuten und begleitet von den Funktionären des Lehrerverbandes!

Was zeigte uns diese Momentaufnahme einer Bildungsdiskussion, in welcher bildungsbürokratische Autisten allen Widerständen zum Trotz ihr Projekt vorantrieben, koste es was es wolle?

Die Schule hat Kämpfer nötig, heute mehr denn je. Es braucht mehr Lars’, denn Mut ist in dieser Anpassungsgesellschaft eine Tugend von grosser Sprengkraft geworden.

Die Beschwörungsformel der Bildungsbürokratie, wonach das Volk nicht über den Lehrplan abstimmen, sondern dies den Experten überlassen solle, erledigt sich wieder einmal von selbst. Die Zahl der Reformruinen, welche uns eine ausser Rand und Band geratene Bildungsbürokratie in die Welt gesetzt hat, wächst und verschlingt Unsummen. Und: Die Schule hat Kämpfer nötig, heute mehr denn je. Es braucht mehr Lars’, denn Mut ist in dieser Anpassungsgesellschaft eine Tugend von grosser Sprengkraft geworden.

 

The post Aus der Rubrik: Es war einmal oder wie ein Lehrer die hochtrabenden Pläne eines Bildungsdirektors und seiner ihn verehrenden Fankurve zu Fall brachte. first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2021/10/aus-der-rubrik-es-war-einmal-oder-wie-ein-junger-lehrer-die-hochtrabenden-plaene-eines-bildungsdirektors-und-seiner-ihn-verehrenden-fankurve-zu-fall-brachte/feed/ 1
Plädoyer gegen das Könnenmüssen https://condorcet.ch/2021/08/plaedoyer-gegen-das-koennenmuessen/ https://condorcet.ch/2021/08/plaedoyer-gegen-das-koennenmuessen/#comments Thu, 26 Aug 2021 01:39:36 +0000 https://condorcet.ch/?p=9206

Primar- und Sekundarschüler üben sich seit der Einführung des Lehrplans 21 im Könnenmüssen. Derzeit werden die KV-Ausbildung und nun auch das Gymnasium durch das Projekt «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität» (WEGM) auf Kompetenzen ausgerichtet. Damit erhält die Umstellung unseres humanistischen Bildungsideals auf ein utilitaristisch-ökonomisch orientiertes Modell seinen Abschluss. Ein geeigneter Anlass für Condorcet-Autorin Christine Staehelin, sich zu Sinn und Unsinn des neuen Ideals des Könnenmüssens Gedanken zu machen.

The post Plädoyer gegen das Könnenmüssen first appeared on Condorcet.

]]>
Christine Stähelin: Primarlehrerin in der Stadt Basel, GLP, Mitglied des Bildungsrates.

Das Projekt «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität» (WEGM) will die Qualität der gymnasialen Maturität und den damit erworbenen prüfungsfreien Zugang zur Universität langfristig sicherstellen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird u.a. der Rahmenlehrplan der EDK von 1994 aktualisiert.

Unter matu23.ch kann der Entwurf des Rahmenlehrplans, bestehend aus den Fachlehrplänen sowie einem zweiten Teil, betreffend die «Transversalen Bereiche», eingesehen werden. Beide Teile zusammen umfassen knapp 500 Seiten. Gemäss dem ebenfalls dort einsehbaren Vademecum sollen insbesondere Freiräume entstehen durch «die Begrenzung der Anzahl Lernziele, damit die Lehrperson zusätzlich eigene Akzente setzen kann», was angesichts des immens angewachsenen Umfangs doch erstaunt. Zum Vergleich: Der aktuelle Lehrplan für die Gymnasien Basel-Stadt von 2018 umfasst 108 Seiten.
Jeder einzelne Fachlehrplan führt die entsprechenden allgemeinen Bildungsziele, den Beitrag des Fachs zu den überfachlichen Kompetenzen sowie die Lerngebiete und die fachlichen Kompetenzen auf. Dabei handelt es sich um «präzise Lernziele, die den Fachinhalten zugeordnet sind und die das zu erreichende Wissen und Können festhalten», wie im Vademecum ausgeführt wird.

Fachliche Kompetenzen sind unter die überfachlichen Kompetenzen gesetzt.

Die überfachlichen Kompetenzen werden unterteilt in kognitive überfachliche Kompetenzen und nicht-kognitive überfachliche Kompetenzen; ergänzt werden sie mit ihrem jeweiligen Beitrag zu den basalen fachlichen Kompetenzen für die Allgemeine Studierfähigkeit in der Erstsprache bzw. in Mathematik, wobei sich fragen lässt, warum hier die fachlichen Kompetenzen unter die überfachlichen gesetzt werden. Letzteres liest sich dann wie eine – teilweise schon fast verzweifelte und eigentlich überflüssige – Rechtfertigung der Berechtigung jedes einzelnen Fachs als Teil des Fächerkanons an Maturitätsschulen.

Neugierde als Bildungsziel?

Die Unterscheidung in kognitive überfachliche und nicht-kognitive überfachliche Kompetenzen führt aber auch zu interessanten Aussagen: Als nicht-kognitiv werden beispielsweise das intuitive Denken aufgeführt und die intellektuelle Neugierde. Darüber hinaus lassen sich viele weitere interessante Beispiele finden, die einer vertieften Diskussion über Kognition, Denken, Lernen, Persönlichkeit, Kommunikation usw. durchaus würdig wären.

Alle Kompetenzen werden mit dem Verb «können» eingeleitet, das Verb «wissen» wird im Rahmenlehrplan nicht erwähnt.

Alle Kompetenzen werden mit dem Verb «können» eingeleitet, das Verb «wissen» wird im Rahmenlehrplan nicht erwähnt. Nun könnte man ja denken, dass der Ersatz von «wissen» durch «können» zu vernachlässigen wäre. Ausserdem erklären die Freunde der «Können»-Formulierung natürlich, dass Kompetenzen eine Verbindung von Wissen und Können meine bzw. dass Können Wissen voraussetze. Doch wenn das Wissen nur noch unter dem Aspekt seiner Anwendbarkeit betrachtet wird und wenn die Anwendung stets zu einem Können führen muss, was als solches  bewertet wird, dann ist das m.E. problematisch. Denn wenn wir von Bildung reden, geht es ja nicht nur um die Anwendung bzw. Verwertung von Wissen, sondern auch um den Bestand des Wissens als solches, wie er von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es handelt sich hier ja erst um einen Rahmenlehrplan. Möglicherweise ist vorgesehen, dass die kantonalen Lehrpläne das Wissen inhaltlich weiter fassen, was allerdings  nicht zu einer Verschlankung des Monumentalwerks führt, und so fragt man sich umso mehr, wo nun die angekündigten Freiräume bleiben.

Es geht mir hier darum, Vermutungen darüber anzustellen, was einerseits beabsichtigt wird und was andererseits effektiv passiert, wenn Rahmenlehrpläne sich auf die Beschreibung mehr oder weniger ausführlicher Könnenformulierungen reduzieren, wie das ja auch beim Lehrplan 21 geschehen ist und aktuell im Rahmen der Reform Kaufleute 2022 (bald wohl 2023 oder so nie) stattfindet.

Beabsichtigt ist offensichtlich die Verbesserung des status quo, denn das Projekt «soll dazu beitragen, dass die gymnasiale Ausbildung auch künftige Anforderungen erfüllt», wie auf der Website zu lesen ist – es wäre ansonsten ja wohl obsolet.

Es bleibt der Glaube an zukünftige Generationen, die jene Welt – für die die jetzige Erwachsenengeneration die Verantwortung nicht mehr übernimmt – zu einer besseren und kontrollierbareren machen werden.

Mit der Könnenformulierung verschiebt sich der Fokus vom Lehren auf das Lernen.

Nun, die Zukunft bleibt wie immer offen, doch das menschliche Dasein scheint sich gegenwärtig in erster Linie als eine Bewältigungsform zu zeigen, die verzweifelt und hyperaktiv um eine Lösung zukünftiger Probleme bemüht ist, was angesichts des Klimawandels, der Pandemien, der Angst vor Inflation und Verarmung, des Artenrückgangs usw. ja erklärbar ist. Allem zugrunde liegt die Angst vor dem Kontrollverlust angesichts von menschlichem Handeln, das Prozesse in Gang gesetzt hat, die nun quasi automatisch verlaufen, ohne dass sie gebremst werden können. Es bleibt der Glaube an zukünftige Generationen, die jene Welt – für die die jetzige Erwachsenengeneration die Verantwortung nicht mehr übernimmt – zu einer besseren und kontrollierbareren machen werden. Dafür müssen erstere (aus)gebildet werden und das braucht sehr viel Können, nimmt man an, womit vielleicht die unzähligen Könnenformulierungen als folgerichtig erscheinen. Was aber gekonnt werden muss, ist heute noch nicht klar. Also wird eine Bildung, die auf möglichst umfassende und komplexe Kompetenzformulierungen setzt, zum Mittel der Wahl für diesen Zweck, und zwar obwohl heute damit nicht einmal mehr eine attraktive Zukunft versprochen wird, sondern wohl eher ein letzter Ausweg. Inwiefern damit die junge Generation selbst zum Mittel wird, bleibt hier offen.

Also werden die Kompetenzen inhaltlich und zahlenmässig möglichst ausschweifend formuliert, auch um dem Vorwurf zu entgehen, man habe Wesentliches vergessen.

Hanna Arendt: Man schlägt den Neuankömmlingen ihre eigene Chance des Neuen aus der Hand.

Wer so viele Wörter braucht, um sogenannte Kompetenzen zu beschreiben, übernimmt die Verantwortung nicht, sich auf das inhaltlich Wesentliche zu beschränken bzw. zu beurteilen, was wesentlich ist. Das mag daher kommen, dass aus einer berechtigten Einsicht heraus nicht so getan werden soll, als ob man schon wüsste, was zukünftig wesentlich sein wird. Also werden die Kompetenzen inhaltlich und zahlenmässig möglichst ausschweifend formuliert, auch um dem Vorwurf zu entgehen, man habe Wesentliches vergessen. Doch «jede Generation kann nur das weitergeben, was sie weiss und was sie schätzt»[1]. Wissen wir nicht mehr, was wir schätzen, angesichts der Tatsache, wohin das Wissen und unser Tun uns bis heute geführt haben? Wollen wir nicht mehr einstehen für die Welt, wie wir sie geschaffen haben? Rührt daher die Scheu vor dem konservativen Moment von Bildung und Erziehung? Die Komplexität der Inhalte und die gleichzeitig überdeterminierte Festschreibung von Können in unterschiedlichsten Variationen will wohl für eine ungewisse Zukunft vorbereiten. Doch «indem man sie auf etwas Neues vorbereitet, schlägt man den Neuankömmlingen ihre eigene Chance des Neuen aus der Hand».[2]

Durch die Festschreibung aller erdenklicher sogenannter Kompetenzen (darunter fallen auch «staunen können», «Prüfungsstress antizipieren», «Anstrengung akzeptieren» usw.) wird das ganze Schülerleben reduziert auf Anpassung, Konformität und Ausführung.

Staunen als Bildungsziel?

Durch die Festschreibung aller erdenklicher sogenannter Kompetenzen (darunter fallen auch «staunen können», «Prüfungsstress antizipieren», «Anstrengung akzeptieren» usw.) wird das ganze Schülerleben reduziert auf Anpassung, Konformität und Ausführung; weder Hadern noch Scheitern, weder Zögern noch Widersprechen, weder Ausschweifen noch Hoffen und Träumen haben ihren Platz. Der Könnensanspruch ist erdrückend und hat nichts mehr zu tun mit dem Humboldtschen Bildungsideal von «der Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung»[3].

Es wäre vermessen zu glauben, dass zwischen der Instruktion und dem Können immer ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang besteht.

Mit der Könnenformulierung verschiebt sich der Fokus vom Lehren auf das Lernen. Das setzt auch Lehrerinnen und Lehrer unter Druck, nicht nur ausgehend von der schieren Anzahl der erwarteten Kompetenzen, sondern auch weil sich der Fokus von der Begeisterung für die Sache, für das Wissen, für die Kultur – also für das Bestehende – und der ihnen zugeschriebenen Wichtigkeit sowie für deren personale Vermittlung verschiebt auf die Könnenserwartung gegenüber den Schülerinnen und Schülern.

Es gehört zu den Lehrertugenden, davon überzeugt zu sein, dass das Wichtige vermittelbar ist.

Natürlich ist es Lehrerinnen und Lehrern wichtig, dass ihre Lernenden etwas verstehen und können, aber es wäre vermessen zu glauben, dass zwischen der Instruktion und dem Können immer ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang besteht. Es gehört zu den Lehrertugenden, davon überzeugt zu sein, dass das Wichtige vermittelbar ist, auch wenn es manchmal nicht den Anschein macht angesichts möglicherweise verständnisloser Blicke seitens der Schülerinnen und Schüler. Dann werden neue Erklärungsversuche gewagt, es werden andere Zugänge gesucht, oder man beginnt nochmals von vorn. Aber eine unüberschaubare Liste von Kompetenzbeschreibungen führt auch beim enthusiastischsten Pädagogen angesichts der Fülle zum Scheitern am Anspruch und verleitet zu einem Abarbeiten von Vorgegebenem.

Somit verschwindet das Freiheitsmoment aus dem pädagogischen Prozess – und zwar für beide Seiten, für die Lehrenden und für die Lernenden, während die Anpassung gewinnt.

Einerseits komplex, gleichzeitig zu konkret, normativ geprägt und trotzdem nicht messbar.

Erziehung zur Anpassung?

Natürlich geschieht das auf beiden Seiten nicht widerstandslos. Während Schülerinnen und Schüler auf den Anpassungsdruck vielleicht mit Absentismus, Gleichmut, psychosomatischen Beschwerden, Verweigerung, Gehorsam oder Widerstand reagieren, sind Lehrerinnen und Lehrer möglicherweise in erster Linie irritiert. Einerseits weil die Kompetenzbeschreibungen auf der Ebene des Wissens bzw. der zu vermittelnden Bildungsinhalte zu umfassend, zu komplex und gleichzeitig zu konkret sind, andererseits weil sie überprüfbare Könnensanforderungen in den verschiedensten Bereichen einfordern, die teilweise stark normativ geprägt und gleichzeitig nicht messbar sind («kommunikativ sicher auftreten», «den Menschen als Teil der Natur einstufen», «neben dem kognitiven auch das intuitive Denken wertschätzen und entwickeln» usw.). Ausserdem versinkt das pädagogische Dreieck, das das Verhältnis von Lehrperson, Sache und Lernenden jeweils zueinander beschreibt, im Chaos. Lehren heisst, sich mit der Sache befassen und diese als bedeutsam einschätzen, sich überlegen, wie diese am besten vermittelt wird, die Vermittlung zu einer personalen Angelegenheit machen und das Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit bei den Schülerinnen und Schülern zu stärken. Angewiesen sind die Lehrerinnen und Lehrer dabei auf einen in Bezug auf das zu vermittelnde Wissen inhaltlich geklärten Lehrplan. Wie sie die Sache vermitteln, diesem Leben einhauchen, Begeisterung dafür wecken, das ist ihr pädagogischer Auftrag. Dass sie dabei das Können, das Tun, das Verstehen, das Erkennen und gleichzeitig die Freude am Lernen im Auge behalten, ist selbstverständlich. Wenn die Formen des Könnens bei den Kompetenzen im Rahmenlehrplan gleich mitbeschrieben werden, dann bedeutet das nichts anderes als eine Entmündigung der Lehrerinnen und Lehrer.

Lehren heisst, sich mit der Sache befassen und diese als bedeutsam einschätzen, sich überlegen, wie diese am besten vermittelt wird, die Vermittlung zu einer personalen Angelegenheit machen und das Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit bei den Schülerinnen und Schülern zu stärken.

Der Entwurf zur Maturreform tangiert das Selbstverständnis von Bildung im weitesten Sinne.

Nun, die Entwürfe für den Rahmenlehrplan stehen. Argumentativ ist den Ausführungen nicht zu begegnen, denn diese tangieren – wie auch der Lehrplan 21 – das Selbstverständnis von Bildung im weitesten Sinne; es ist fraglich, wo das Thema beginnt und wo es aufhört. Es liegt an den Lehrerinnen und Lehrern der Gymnasien zu entscheiden, ob dieses Instrument ihnen ermöglicht, ihren Beruf sinnvoll, freudig und gewinnbringend auszuüben oder ob die Zerkleinerung von wesentlichen Kultur- und Wissensbeständen in Könnens-Splitter sie davon abhält. Würde Letzteres zutreffen, wäre der Rahmenlehrplan in dieser Form abzulehnen – ohne Diskussion.

 

[1] Reichenbach, R. (2014). Progressiv sein heisst heute Dinge konservieren. Die Wochenzeitung 08/2014.  https://www.woz.ch/-4bab

[2] Arendt, H. (2000). Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im Politischen Denken (hrgs. von U. Ludz). München: Piper (S. 258)

[3] Von Humboldt, W. (1903). Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Auszug. In A. Leitzmann (Hrsg.) Wilhelm von Humboldt. Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Bd.1. Berlin: B. Behrs’s Verlag. S. 106

 

The post Plädoyer gegen das Könnenmüssen first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2021/08/plaedoyer-gegen-das-koennenmuessen/feed/ 2