Politische Bildung - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 08 Apr 2024 10:00:30 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Politische Bildung - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Die bestmögliche Bildung für jedes Kind https://condorcet.ch/2024/04/die-bestmoegliche-bildung-fuer-jedes-kind/ https://condorcet.ch/2024/04/die-bestmoegliche-bildung-fuer-jedes-kind/#respond Mon, 08 Apr 2024 10:00:30 +0000 https://condorcet.ch/?p=16433

Für den aktuellen Newsletter der Starken Volksschule Zürich, zeigt sich die Berufsschullehrerin Marianne Wüthrich verantwortlich.

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Zur Podiumsdiskussion der Starken Volksschule Zürich am nächsten Donnerstag tut ein Einstieg not, der die pädagogisch-psychologische Richtung für die Förder- oder Kleinklassen-Debatte weist: Anzustreben ist nicht die «Separation von Störern», sondern eine bestmögliche Bildung für jedes Kind. – Nicht weniger brennend ist eine gründliche Einführung unserer Jugend in die Schweizer Staatskunde und die politische Entscheidungsfindung. In der Schule sollen nicht nur gute Grundlagenkenntnisse vermittelt, sondern auch die Fähigkeit zur direktdemokratischen Teilhabe in Gemeinde, Kanton und Bund gelegt werden.

Marianne Wüthrich: Jedes Kind hat Anspruch auf eine Schulbildung, die diesen Namen verdient

Im Zentrum von Förder- oder Kleinklassen muss das Wohl des Kindes stehen!

Über die Kantonale «Volksinitiative für eine Schule mit Zukunft – fördern statt überfordern» spuken verschiedene Kommentare herum, die dem Anliegen der Initianten in keiner Weise gerecht werden. Sie wolle «schwierige Schüler wieder separieren», behauptet der Tages-Anzeiger schon im Lead («Jetzt geht der Streit um die Kleinklassen im Kanton Zürich richtig los»). Das ZLV-Präsidium lehnt die Initiative gar ab – ohne seine Mitglieder zu fragen! – und lobt Silvia Steiners «Schulinseln» als «niederschwellige Lösung». In Wirklichkeit fehlt bei der vorübergehenden Unterbringung in einer anderen Klasse oder einem Sammelraum mit Betreuung die Zeit und der Anspruch, mit dem Kind in Beziehung zu treten und es zum Lernen zu gewinnen. «Niederschwellige Lösungen» sind weder Lösungen für das einzelne Kind noch beheben sie die grundsätzlichen Mängel des Integrations- und Inklusionsmodells.

Jedes Kind hat Anspruch auf eine Schulbildung, die diesen Namen verdient

Genau dieses Ziel verfolgt die kantonale Förderinitiative. Sie will, dass Förderklassen eingerichtet werden, in die Schülerinnen und Schüler eingeteilt werden, «die kleinere Lerngruppen benötigen, um sich entfalten zu können, oder Schülerinnen und Schüler, die wegen ihres auffälligen Verhaltens nicht oder vorübergehend nicht in eine Regelklasse integriert werden können». Alle Kinder im Kanton Zürich sollen «bei Bedarf Zugang zu heilpädagogisch geführten Förderklassen haben». Dort sollen sie nicht nur parkiert werden, weil sie in den Regelklassen stören, sondern von einer eigen­ständigen Klassenlehrerin unterrichtet werden. In einer ruhigen und von Beziehung und Verständnis geprägten Lernsituation vermag sich manch ein Kind allmählich dem Lernen zuzuwenden. Der Aufenthalt in der Förderklasse soll gemäss Initiative mindestens ein Semester lang dauern, denn der Aufbau einer Lernbeziehung braucht Zeit. Ziel ist der Wiedereinstieg in die Regelklasse (Durchläs­sigkeit), sobald das Kind dazu genügend gefestigt ist.

Die Leserbriefe von Kinderarzt Dr. Arnold Bächler und Heilpädagogin Renate Dünki zum Gastkommentar «Medizin statt Pädagogik» von Eliane Perret (siehe letzter Newsletter) fokussieren auf das Wohl des Kindes. Zum Einstieg in die Podiumsdiskussion vom 11. April ist deren Lektüre empfehlenswert.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

Politische Bildung: Die Schüler für die demokratische Teilhabe begeistern

Mario Andreotti spricht mir mit seinem Aufruf für ein eigenständiges Fach «Staatskunde und Politik» aus dem Herzen. Wie er festhält, eignet sich dafür die Sekundarstufe II, also die Berufsschule und das Gymnasium, besonders, weil die Jugendlichen schon bald abstimmen und wählen können. In der Oberstufe der Volksschule würde ich eher von einem zusätzlichen Fach abraten, denn dort benötigen die Jugendlichen zuallererst eine breite Bildung in den Grundlagenfächern als Vorbereitung für eine Berufslehre oder eine weiterführende Schule.

Das Interesse und die Wissbegier ist ganz besonders im Bereich Staatskunde und Politik bei den meisten Jugendlichen riesig.

Als Berufsschullehrerin liess ich mich wie viele andere Kolleginnen auch nach der Zusammenlegung der Fächer zum Sammelfach Allgemeinbildung nicht davon abhalten, meine Klassen in die faszinierende Welt des Schweizer Staatssystems einzuführen. Wie Mario Andreotti habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten meiner Schüler – nicht nur diejenigen ausländischer Herkunft! – wenig über «den Aufbau und die Funktionsweise unseres Staates und über die politischen Rechte und Pflichten seiner Bürgerinnen und Bürger» wussten. Was mich immer wieder gefreut und beeindruckt hat: Das Interesse und die Wissbegier ist ganz besonders im Bereich Staatskunde und Politik bei den meisten Jugendlichen riesig.

Die eigene Gemeinde kennen lernen und Zeitung lesen

In einigen Klassen verfassten meine Schüler eine Reportage in Wort und Bild zu ihrer Wohngemeinde. Da gab es einige, die noch nie im Gemeindezentrum oder im Stadthaus gewesen waren. Sie besuchten das Einwohneramt, die Stadtpolizei oder den Werkhof, einer interviewte seinen Gemeindepräsidenten und erfuhr von ihm, wie die Gemeinde organisiert ist. Andere machten sich kundig, wie die Abstimmungen und Wahlen organisiert werden. Nach dem 18. Geburtstag besuchten Schüler aus kleineren Gemeinden die Gemeindeversammlung. Durch die spannenden Gespräche in der Klasse und das gegenseitige Kennenlernen der Reportagen verloren viele die Scheu vor den Ämtern, so dass sie sich auch als Erwachsene getrauen werden, beim Steueramt anzurufen, wenn sie Rat benötigen.

Mit den meisten Klassen las ich eine Zeit lang jede Woche in einer Regional- oder Tageszeitung. Damit weiteten sich unsere Diskussionen über die Gemeinde hinaus auf den Kanton, den Bund und ausländische Themen aus. Heute, wo viele Jugendliche sich nur durch Schlagzeilen auf dem Handy über die Politik informieren, ist es von grosser Wichtigkeit, sie fürs Zeitungslesen zu gewinnen, sei es auch nur in 20Minuten. Dabei stellte ich nicht selten fest, dass dort zuweilen etwas Schlaueres steht als in den «Qualitätsmedien».

Das Schweizer Staatssystem kennenlernen

Im Zentrum des Staatskundeunterrichts muss der Aufbau der Schweiz stehen: Im Minimum die Aufgaben des Staates, die drei Staatsgewalten auf den drei Staatsebenen, die Entstehung eines Gesetzes (mit Initiative und Referendum), die Wahlen und Abstimmungen, die Rechte und Pflichten der Bürger. Die Staatskundelehrmittel wurden mit den Jahren immer unbrauchbarer, aber mit der Broschüre aus der Bundeskanzlei: «Der Bund kurz erklärt» (als Klassensätze erhältlich) können die wichtigsten Grundkenntnisse erarbeitet werden.

Die meisten ausländischen Jugendlichen, die eine Lehre machen, sind schon vorher mit ihrer Familie eingebürgert worden oder bewerben sich während der Berufsausbildung selbst um die Einbürgerung. Viele bezeichneten sich selbst als «Papierli-Schwiizer». Ihnen hielt ich entgegen: «Deshalb lernen Sie in der Staatskunde die Schweiz besser kennen, dann sind Sie kein ‘Papierli-Schwiizer’ mehr.» Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals einer meiner einbürgerungswilligen Schüler abgewiesen worden wäre, obwohl manch einer «grottenschlecht» Deutsch konnte. «Wenn er eine Berufslehre erfolgreich durchsteht, dann ist er integriert», sagte mir ein Gemeindebeamte. Es hat etwas: Mit weit mehr Stolz als viele gebürtige Schweizer erzählten sie zum Beispiel, dass sie das erste Mal abstimmen waren oder nach der Lehre in die RS gehen werden.

Das Abstimmungsbüechli lesen und Wahlzettel panaschieren und kumulieren

In Bern erhielt man, jedenfalls vor zehn Jahren, auch Klassensätze vom Abstimmungsbüechli, die ich mit jeder meiner Klassen immer einmal wieder durchging, oft auf Wunsch der Schüler. In der Sekundarstufe II kann man sich notfalls auch digital einlesen. «Sind Sie dafür oder dagegen?», wollten einige jeweils zu Beginn wissen. «Wisst ihr denn, worum es geht?» fragte ich zurück? Einige hatten nur ein paar Schlagworte auf dem Handy gelesen. Es gab aber auch Schülerinnen, bei denen zuhause beim Abendessen oder beim Znüni im Lehrbetrieb über politische Fragen diskutiert wurde. Ob auf Papier oder digital: Die meisten Jugendlichen trauen sich nicht zu, auf eigene Faust die Abstimmungsinfos zu lesen. Es ist Aufgabe der Staatskundelehrerin, ihnen zu zeigen, dass es gar nicht so kompliziert ist. Die Einwände der Referendumsgegner oder der Parlamentsminderheit sind übrigens meistens das Erste, was die Schüler interessiert.

Zum Thema Wahlen brachte ich mein dickes Bündel von den letzten Nationalratswahlen mit, und es machte Spass, eine der Listen mit Kumulieren, Panaschieren und Streichen zu bearbeiten. Mit den kleinen Ständeratswahlzetteln und den ellenlangen Zürcher Nationalratslisten war es nicht schwierig, den Unterschied von Majorz- und Proporzwahlen zu lernen und zu überlegen, wo welches System Sinn macht.

Auch das Verstehen politischer Zusammenhänge lernt man am besten in der Klassengemeinschaft

Am wenigsten erfolgreich waren meine Versuche, die Schüler zu zweit am Computer eine politische Partei erforschen zu lassen. Obwohl sie sehr motiviert waren, die Partei selbst auswählen durften und deren Standpunkte zu vorher abgemachten Themen sauber herunterluden und in kreativen Power-Point-Präsentationen der Klasse vorführten.

Zu den erfreulichsten Erinnerungen als Berufsschullehrerin gehört es, dass sich beim Abschied vor der Lehrabschlussprüfung immer wieder Schüler – besonders ausländischer Herkunft – dafür bedankten, was sie im Staatskundeunterricht gelernt hatten. «Wenn ich in mein Land zurückgehe, erzähle ich meinen Kollegen und Verwandten, wie die Demokratie funktioniert», so ein Schüler aus dem Kosovo. Die Einführung in den Schweizer Staat ist nicht nur unverzichtbar für die Heranführung der Jugend zur Teilhabe als Bürger am direktdemokratischen Gemeinwesen, sondern auch für eine gelungene Integration der Jugendlichen aus anderen Ländern und Kulturen.

Lesen Sie zum Abschluss die Gedanken unseres «Hauspädagogen» Carl Bossard zur Bedeutung einer verantwortungsbewussten Bildungspolitik. Sie soll sich der Schule und der Behebung ihrer Defizite annehmen, statt von den Lehrerverbände und Hochschuldozenten Wunder zu erwarten.

Eigentlich wollte ich diesmal ganz kurz bleiben – aber ich hoffe trotz der Länge des Vorwortes, dass Sie es mit Vergnügen lesen.

Marianne Wüthrich

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Der neue Klassenkampf https://condorcet.ch/2021/07/der-neue-%c2%acklassenkampf/ https://condorcet.ch/2021/07/der-neue-%c2%acklassenkampf/#comments Wed, 28 Jul 2021 13:27:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=9058

Liberale Meinungen werden an den Schulen nicht unterdrückt; ihr Austausch findet gar nicht erst statt. Um für ein junges Publikum attraktiv zu werden, müssten die Liberalen den Gang ins Schulzimmer wagen. Robert Benkens, Gymnasiallehrer in Oldenburg, ist der Shootingstar einer austerbenden Gattung: der liberalen und optimistischen Lehrer. Dieser Beitrag erschien zuerst im Schweizer Monat und hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Robert Benkens, Lehrer für Deutsch und Politik am Liebfrauengymnasium in Oldenburg: Liberale können kein Agendasetting.

Ob «Burn Capitalism, Not Coal» oder «System Change, Not ­Climate Change» – das sind nur zwei der Slogans auf Protestbannern von Klimaaktivisten. Eine Umfrage zeigt: In Deutschland haben 45 Prozent der jungen Menschen ein positives Bild vom Sozialismus und noch mehr, 47 Prozent, sind gegenüber dem Kapitalismus negativ eingestellt. Woran liegt es, dass ein Wirtschaftssystem, das bei allen Schwächen, die zweifellos staatliche Korrekturen und Rahmengesetze notwendig machen, so viel für die Armutsbekämpfung in der Welt getan hat wie kein anderes zuvor – dass ein solcher Kapitalismus einen schlechteren Ruf hat als der Sozialismus, der für die grössten menschengemachten Hunger- und Umweltkatastrophen verantwortlich ist?

Liberale haben offensichtlich zu lange an die normative Kraft des Faktischen, an «das Ende der Geschichte» geglaubt. Sie haben sich damit zufriedengegeben, dass die Systemalternativen scheiterten. Typisch dafür ist eine Floskel, die ich nicht nur von Schülern, sondern auch von Erwachsenen immer wieder höre: «Der Sozialismus ist ja eigentlich eine gute Idee, wurde nur falsch umgesetzt.» Die Konstruktionsfehler, die dem Sozialismus «ab Werk» eingeschrieben sind, können wenige benennen. Gleichzeitig sind die Megatrends bei der weltweiten Armutsbekämpfung weit­gehend unbekannt.

Sozialismus ist ja eigentlich eine gute Idee, wurde nur falsch umgesetzt.

Deshalb, dachte ich zu Beginn meiner Lehramtszeit vor ein paar Jahren, müsse man nur etwas ökonomische Aufklärung betreiben: Nicht nur über die Bilanzen von Bundesrepublik und DDR, USA und Sowjetunion, Süd- und Nordkorea, sondern auch über die vierzig Millionen Verhungerten im sozialistischen China unter Mao und die Befreiung von über 500 Millionen Chinesen aus der Armut durch die marktwirtschaftliche Öffnungspolitik Deng Xiaopings, über Liberalisierungsmodelle in Botswana und Chile oder Verarmungsregime wie Kuba und Venezuela. Bei der Suche nach Material stiess ich auf Bücher wie «Factfulness», «Why Liberalism Works», «Identität», «Aufklärung jetzt» und «More from Less», stöberte in «Our World in Data», entdeckte das «Breakthrough ­Institute» und erkannte, dass eine stabile Marktordnung in einem Land nicht nur die ökonomische Entwicklung begünstigt, sondern auch soziale sowie ökologische Indikatoren verbessert.

Konservative haben Religion, Familie,Dorf oder Heimatgefühle im Angebot. Linke haben Visionen internationaler Solidarität. Die Grünen sind auf Weltrettungsmission. Was haben die Liberalen jungen Leuten anzubieten?

Club of Rome: viele Fehlprognosen

Die Unterrichtsvorbereitung führte bei mir zu einem grundsätzlichen Nachdenken über das Bildungssystem: Während sich die Welt draussen rasant entwickelte, wurde weiterhin das schon zu meiner Schulzeit überholte Bild einer geteilten Welt der 1970er gezeichnet – einer Zeit, in der viele meiner Lehrer Studenten ­waren. Mit Verblüffung stellte ich fest, was aus den Untergangs­prognosen von damals geworden war, etwa denen des Club of Rome, und dass diese Fehlprognosen im Unterricht nicht auf­gearbeitet wurden. Eigentlich müsste es doch Aufgabe neuer Lehrergenerationen sein, für einen Perspektivwechsel, gewissermassen ein «Update» des Weltbildes in den Lehrerzimmern zu sorgen.

Wo bleiben die liberalen Antworten?

Stattdessen sah ich mit zunehmender Ratlosigkeit, wie ökopessimistisches, wachstumsfeindliches, antikapitalistisches und fortschrittsskeptisches bis technologiefeindliches Denken auf unterschiedlichen Kanälen auf Schüler und Lehrer einströmte. Noch ratloser liess es mich zurück, wie wenig Kontra aus der liberalen Ecke kam. Ich fragte mich, warum man liberale Antworten auf bestehende Probleme kaum vernahm. Wo war der liberale Kampf gegen sich zementierende Ungleichheit, sozialisierte Umweltschäden, ­armutsbedingte Naturzerstörung und identitätspolitische Spaltungen der Gesellschaft von rechts und links? All dies sind Phänomene, die massgeblich auf die Missachtung liberaler Grundprin­zipien in Markt, Staat und Gesellschaft zurückzuführen sind.

Dann erkannte ich, dass der Liberalismus nicht nur seine programmatische Profilierung hatte schleifen lassen, sondern auch die politische Bildung und das Agenda-Setting. Zwar bilden all die tollen Bücher, Analysen und Lösungskonzepte wichtige Argumentationsgrundlagen. Sie bleiben aber nutzlos, wenn sie nicht zur breiten Öffentlichkeit durchdringen.

Fernsehphilosoph Richard David Precht füllt mit seinen Pauschalbehauptungen die Säle in Deutschlandw
Johan Norberg, schwedischer Politikwissenschaftler: wird nirgends eingeladen.

In Talkshows sitzen Leute wie Richard David Precht, die in ­ihren Bestsellern Untergangsszenarien ausbuchstabieren, in ­anschaulichen Formaten legt Harald Lesch die Sichtweise «der» Wissenschaft zur Energiepolitik dar, auf Netflix kann man dystopische Weltuntergangsfilme streamen. Abgerundet wird der Abend von Auftritten des grünen Kabarettisten Eckart von Hirschhausen oder der Satire Jan Böhmermanns. Für die Jüngeren gibt es coole Vorbilder wie Youtuber Rezo oder freche Formate wie «Jung und naiv». Es wäre doch mal interessant, rationale Optimisten wie Johan Norberg, grüne Renegaten wie Michael Shellenberger oder Ökomodernisten wie Jesse Ausubel zur besten Sendezeit im Austausch mit Precht, Lesch oder Luisa Neubauer zu er­leben. Allein: Solche öffentlichkeitswirksamen Vordenker gibt es im deutschsprachigen Raum kaum. Der Gegenpol zum linksökologischen Mainstream wird von pöbelhaften Populisten, Klima­ignoranten und Verschwörungsdenkern gebildet, wodurch sich der gebildete Stand erst recht in der Richtigkeit der eigenen ­Annahmen bestätigt fühlt. Liberale haben kein stabiles medial-kulturelles oder gar schulisches Rückgrat. Wer die politische ­Kultur eines Landes verstehen will, sollte in die Schulen gucken: Liberale mögen überall sein, aber nicht hier.

Viele schrieben ausdrücklich, dass sie solche Perspektiven gar nicht gekannt, geschweige denn davon in der Schule gehört hätten und mehr davon wünschten.

Nicht Zensur, sondern Opportunismus

Auf einen in der «Welt» zur Klimadebatte und Kapitalismuskritik in Schulen veröffentlichten Essay erhielt ich viel Zuspruch. Die Kommentare und E-Mails zeigten mir, dass ich offensichtlich einen Nerv getroffen hatte. Viele schrieben ausdrücklich, dass sie solche Perspektiven gar nicht gekannt, geschweige denn davon in der Schule gehört hätten und mehr davon wünschten. Andere stimmten zu, warnten aber sogleich, dass meine nicht «systemkonforme» Meinung bald unterdrückt würde. Das Gegenteil war der Fall: Es gab durchaus Verwunderung, bisweilen Kritik, aber im grossen und ganzen zeigte sich Neugier und Offenheit. Meine Standpunkte wurden explizit eingefordert und in Schulprojekte wie «Fairtrade» oder «School for Future» eingebunden. Hinter einer gewissen Färbung vieler Themen in der Schule stecken also weder Verschwörungen noch Indoktrinationsabsichten. Die Lehrkräfte unterdrücken keine anderen Meinungen, weil es gar nichts zu unterdrücken gibt. Es ist viel simpler: Für das groteske Missverhältnis aus tatsächlicher ­Bilanz des Liberalismus und seiner öffentlichen Rezeption sind nicht «die anderen» oder ein «linksgrünversiffter Zensur-Mainstream» verantwortlich, sondern der Opportunismus der Lehrkräfte und die Vernachlässigung der politischen Bildung durch die Liberalen selbst. It’s the Education, Stupid!

Während Kollegen, die etwas zum Thema «Bildung für nachhaltige Entwicklung» machen wollen, mit Material zugeschmissen werden, sich an NGO und Staats­beauftragte wenden können, musste ich das Unterrichtsmaterial aus oft englischsprachigen Fachjournalen, Büchern und Internetquellen zusammensuchen, übersetzen und medial aufbereiten.

Steven Pinker: die liberale Stimme. Mit liberalem Denken fährt die Welt besser.

Es gibt keine liberalen NGO, die Material für den Unterricht oder Schulprojekte zur Verfügung stellen. Besonders aufgefallen ist mir das, als ich einen Kurs zum Ökomodernismus unter dem Titel «Wirtschaftswachstum und Umweltschutz – (wie) passt das zusammen?!» plante. «Öko… was?», lautete die Reaktion darauf. Während Lehrer und Schüler mit den Ideen der Postwachstumsökonomie etwas anfangen können – sind diese doch in jedem zweiten Schulbuch vertreten –, kannte niemand überhaupt den Begriff «Ökomodernismus». Während Kollegen, die etwas zum Thema «Bildung für nachhaltige Entwicklung» machen wollen, mit Material zugeschmissen werden, sich an NGO und Staats­beauftragte wenden können, musste ich das Unterrichtsmaterial aus oft englischsprachigen Fachjournalen, Büchern und Internetquellen zusammensuchen, übersetzen und medial aufbereiten.

Massenweise NGO-Unterrichtsmaterial, keine liberale Antwort.

Es gibt keine liberalen Pendants zu «Nachhaltigkeitswochen» oder «Eine-Welt-Läden», zu Greenpeace, Germanwatch, BUND oder Attac, von denen Schüler Antworten auf die grossen öko­nomischen, sozialen und ökologischen Fragen ihrer Zeit aus genuin liberaler Perspektive bekommen könnten. Aber wie sähen diese überhaupt aus? Es folgt ein Beispiel aus meiner Erfahrung als ­Lehrer einer «Fairtrade-Schule».

Engagierter Liberalismus

Gerade Liberale sollten den Grundgedanken von fairem Handel unterstützen. Schliesslich wird ein marktwirtschaftliches Instrument gegen ausbeuterische Verhältnisse in Stellung gebracht: die Macht der Konsumenten. Diese können Konzerne für schlechte Produkte oder nachweislich unethische Handlungen strafen, zur Konkurrenz abwandern und so einen enormen Druck ausüben. Wenn im Sozialismus Betriebe miserabel wirtschafteten, Natur oder Menschen ausbeuteten, konnten weder Konsumenten noch Arbeiter das Unternehmen wechseln. Schüler merken also, dass sie mit ihrer Konsummacht und durch das Schaffen eines öffent­lichen Bewusstseins etwas bewirken können.

Für das groteske Missverhältnis aus tatsächlicher Bilanz des Liberalismus und seiner öffentlichen Rezeption sind nicht ‹die anderen› oder ein ‹linksgrünversiffter Zensur-Mainstream› verantwortlich, sondern der Opportunismus der Lehrkräfte und die Vernachlässigung der politischen Bildung durch die ­Liberalen selbst.

Beispielloser Rückgan der Armut.
Graphik FAZ

Die Schule neigt jedoch oft dazu, komplexe Probleme primär auf die individuelle Ebene der Lebensstile herunterzubrechen. Das ersetzt aber nicht die Analyse ökonomischer Trends, struktureller Probleme und von Fehlanreizen vieler gut gemeinter Initiativen. Problematisch wäre es, wenn Lernende vermittelt bekämen, dass Fairtrade das bessere Gegenstück zu Freetrade sei, dass Konsum respektive Wachstum und Kapitalismus stets zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt führten, also eine Art Nullsummenspiel seien, von dem nur reiche Länder auf Kosten der ­armen profitierten. Wahr ist dagegen: Freihandel hat für eine beispiellose Reduktion der Armut gesorgt, und Fairtrade kann diesen Trend noch verbessern, denn mit steigendem Wohlstand sind ­Arbeits- und Umweltstandards möglich.

Der Weg aus Armut und Unterentwicklung verläuft über Investitionen in industrielle Wertschöpfung und Verarbeitung vor Ort sowie freie Zugänge zu Europas Märkten – vieles davon beisst sich aber mit der Wachstumsskepsis und Industriefeindlichkeit von Globalisierungskritikern. Kontraproduktiv wird es, wenn ­fairer Handel aus einer Idealisierung «naturnaher», kleinbäuerlicher Subsistenzwirtschaft Landwirten hochproduktive (und umweltschonende) Biotechnologien verbietet und ineffizienten «Öko»-Landbau subventioniert. Statt Modernisierung und Strukturwandel sozial abzufedern und ökologisch zu umrahmen, konservieren solche Fairtrade-Ansätze die Armut, machen sie lediglich erträglicher, wie Entwicklungsökonom Paul Collier meint. All diese grundsätzlichen Bedenken waren in der Schule unbekannt. Die Kritikpunkte gingen eher in die technische Richtung, ob man denn allen Fair-Trade-Siegeln vertrauen könne. Einerseits erkannte ich durch diese Projekte also, wie viel Liberale vom Idealismus der «Weltverbesserung» lernen könnten. Andererseits kann Schule auch von der Perspektivenerweiterung durch einen engagierten Liberalismus profitieren. Das ist aber schwierig, wenn sich der Mobilisierungswille der Liberalen auf die Verhinderung der nächsten Steuererhöhung via Lobbying beschränkt, statt im intellektuellen Wettbewerb für die eigenen Positionen zu kämpfen, Mehrheiten für sich zu gewinnen und gewisse Deutungshoheiten auch mal in Frage zu stellen.

Statt Leuchttürme liberalen Denkens zu errichten und jungen Menschen Orientierung zu bieten, bewegen sich viele Liberale in der Öffentlichkeit wie lose Bojen in tosender See.

Liberale können kein Agenda-Setting …

Dafür bräuchten liberale Ideen aber mehr Gewicht in der öffent­lichen Debatte. Die wenigen liberalen Nischenmagazine, Blogs und Thinktanks in Deutschland bündeln lediglich freiheitliches Inselwissen in einem Meer aus ökopessimistischen und staatsgläubigen Meinungswellen. Statt Leuchttürme liberalen Denkens zu errichten und jungen Menschen Orientierung zu bieten, bewegen sich viele Liberale in der Öffentlichkeit wie lose Bojen in tosender See.

Sie sind kaum sichtbar und kaum hörbar. Sie schaffen es bis heute nicht, die «kalten» Mechanismen, Prinzipien und Regelwerke hinter dem Erfolg liberaler Ordnungen erfolgreich zu vermitteln. Eigentlich müsste es angesichts der Coronakrise doch ein Leichtes sein, den Mitbürgern nicht nur theoretisch, sondern ganz alltagsnah die Segnungen internationaler Arbeits- und Wissensteilung zu vermitteln, die Bedeutung einer starken Wirtschaft zur Finanzierung all der Forschungs-, Entwicklungs-, Sozial- und Klimaschutzleistungen vor Augen zu führen. Die tatsächlichen Folgen von Wirtschaftskrisen oder das Staatsversagen bei der ­Bestellung, Planung und Verteilung lebensrettender Impfstoffe sind offenkundig.

Dennoch schafft es der Liberalismus nicht mal in einer solchen die Freiheitsrechte massiv beschneidenden Situation, eine Bewegung der Freiheit hinter sich zu scharen und ein Agenda-­Setting zu betreiben, das sich vom links-grünen Mainstream unterscheidet (ohne sich der rechtspopulistischen Fundamental­opposition anzubiedern). Er schafft es nicht, dass junge Menschen zu kognitiv und emotional überzeugten Anhängern der liberalen Idee werden, sich gar in einer Jugendbewegung unter gemein­samen Bannern, Slogans und Songs zusammenschliessen. Konservative haben Religion, Familie, Dorf oder Heimatgefühle im Angebot. Linke haben Visionen internationaler Solidarität. Die Grünen sind auf Weltrettungsmission. Was haben die Liberalen jungen Leuten anzubieten?

… und lassen Bildung links liegen

Nicht viel – bis jetzt. Zusammen mit der politischen Bildung haben sie das in jeder jungen Generation brennende Bedürfnis nach «Weltverbesserung» links liegen lassen und sich lieber auf ihre privaten Erfolgskarrieren konzentriert. Damit haben sie den vorpolitischen Raum jenen überlassen, deren Zerrbilder eines «neo­liberalen Wachstumsfetischismus», der die Menschheit kaum vor­angebracht, dafür aber an den Rand des Abgrunds getrieben habe, bis ins konservative Lager Zustimmung finden. Wer über einen Uni-Campus geht, wird wissen, was gemeint ist. Noch eindeutiger wird es, wenn man in öffentlich-rechtliche Redaktionsstuben, etablierte und bis in den Bildungsbetrieb vernetzte NGO oder angesagte Szenecafés und Theater schaut.

Letztes Jahr erregte eine Umfrage unter Volontären der ARD Aufmerksamkeit, in der die erdrückende Mehrheit des linksliberalen Spektrums deutlich wurde: Über 90 Prozent wählten links-grün, Union und FDP kamen nicht mal auf 5! Wer glaubt, dass diese auch in der Schule erworbenen Vorprägungen keinen Einfluss auf die Berichterstattung hätten, möge sich die Frage stellen, ob er oder sie das auch denken würde, wenn 95 Prozent wirtschaftsliberal oder konservativ wählen würden.

Klare Linkstendenz unter Journalisten.

Eine Studie von Christian Hoffmann hat Voreinstellungen unter Journalisten untersucht und kommt zum Schluss: Im deutschen und amerikanischen Journalismus herrscht eine Linkstendenz vor. In seiner Analyse legt er einen Zusammenhang offen, den ich als Gymnasiallehrer bestätigen kann: Linke zieht es eher in Medien, an Unis und in den Bildungssektor, Liberale hingegen in die Wirtschaft. Zwar gibt es unter den Schülern auch solche, die man marktliberal nennen könnte, sie bekommen in der Schule ­jedoch kaum «Gedankenfutter», wohingegen für links oder grün tickende Altersgenossen eine Menge an idealistischen Projekten und Netzwerken zur Verfügung stehen.

Damit reproduziert sich ein intellektuelles Milieu durch Schule ständig selbst: Wer mit Anfang 20 nach erfolgreichem Abi auf die Uni geht, bleibt weitgehend in seiner Meinungsblase. Der in Harvard lehrende Steven Pinker bestätigt anhand einer Studie von 2014

, dass es an US-Unis eine überwältigende Mehrheit von Anhängern linker bis sehr linker Ideen gebe, sie überwögen Konservative im Verhältnis fünf zu eins – und das war noch vor Trump! An deutschen Unis wird es ähnlich aussehen, und satte 42 Prozent der Erstwähler würden laut einer Umfrage aus dem letzten Jahr grün wählen

– vielleicht ist an der Bundestagswahl vom 26. September gar die absolute Mehrheit drin. Die Grünen sind hier das Mass aller Dinge.

Selten gab es mehr zu tun

In jedem Land besitzt zu jeder Zeit eine Gruppe prägende Deutungshoheit. In den 1950ern lag sie in vielen westlichen Ländern bei den Konservativen. Seither haben die 68er die öffentliche Meinung durch den oft zitierten «Marsch durch die Institutionen» nach links verschoben. Bei vielen Themen kann man nur sagen: zum Glück! Niemand will in die Zeit zurück, in der Minderheiten von einem übermächtigen Staatsapparat systematisch unterdrückt, Arbeiter- und Umweltschutzgesetze durch einflussreiche Lobbys verhindert wurden, in der man das Potenzial der Hälfte der Bevölkerung durch ein reaktionäres Rollenverständnis brachliegen liess und Homosexualität für eine abscheuliche Straftat hielt.

Sklaverei gab es vor dem “weissen Mann” und wurde durch den “weissen Mann” abgeschafft.

Heute wirft es aber auch ein Schlaglicht auf die historische und ökonomische Bildung, wenn Schüler im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nach all den gescheiterten sozialistischen Experimenten immer noch angeben, dass sie Sozialismus für eine gute Idee halten, wenn Aktivisten für die Postwachstumsökonomie eintreten, ohne je die Entbehrungen einer solchen erlebt zu haben, oder wenn Demonstranten in ritueller Selbstgeisselung «den weissen Mann» und die westlich-industrielle Moderne als Wurzel allen Übels ansehen, obwohl westliche Nationen bei weitem nicht die ersten waren, die andere Völker versklavten, wohl aber die ersten, die Sklaverei abschafften, die Aufarbeitung ihres Rassismus ebenso auf den Weg brachten wie Emanzipation und Umweltschutz. Das alles zeigt, wie sehr liberale Stimmen nicht nur in Zeitung, Funk und Fernsehen, im Netz oder an den Unis, sondern vor allem in den Bildungsinstitutionen als Korrektiv gebraucht werden. Selten gab es mehr zu tun, liebe Freiheitsfreunde. Drum – auch wenn es in vielen karrierefixierten Kreisen nicht so sexy klingen mag: Auf ins Lehramt, hinein in die Schulen!

Robert Benkens

 

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Erfahrung ist gut, aber Erfahrung ist nicht alles. https://condorcet.ch/2020/01/erfahrung-ist-gut-aber-erfahrung-ist-nicht-alles/ https://condorcet.ch/2020/01/erfahrung-ist-gut-aber-erfahrung-ist-nicht-alles/#respond Sun, 26 Jan 2020 14:04:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=3728

Condorcet-Autor Felix Schmutz, der sich in seiner Entgegnung auf Georg Geigers Artikel (https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-sich-um-die-welt-als-ganzes-sorgen-machen/) kritisch gegenüber Schülerparlamenten äusserte, und u.a. damit eine Replik von Georg Geiger provozierte (24.1.20), präzisiert seine Einwände.

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In der Antwort auf meinen Kommentar zu seinen Gedanken über politische Bildung in der Schule scheint Georg Geiger das Thema «Partizipation der Lernenden» am meisten zu beschäftigen. Insbesondere meine Skepsis gegenüber dem schon lange praktizierten «Schüler- und Schülerinnenparlament» hat Alain Pichard und Georg Geiger zu euphorischen Schilderungen gelungener Projekte animiert. Dazu möchte ich Folgendes zu bedenken geben.

Der Schülerrat im OSZ-Orpund, von Condorcet-Autor Alain Pichard euphorisch gelobt.

Natürlich ist nichts einzuwenden gegen altersgerechte Versuche mit Partizipation. Meine Skepsis richtet sich nicht gegen die Idee an sich, sondern gegen die Umsetzung und Wirkung in der schulischen Realität:

  1. Wie Georg Geiger zu Recht bemerkt, ist die heutige Schule durch engmaschige Vorgaben arg gebeutelt. Ich erinnere an das Budgetkorsett, die Bauvorschriften, den Lehrplan 21, die Schranken des «schulischen Rechts», versicherungstechnische Regeln, Stundentafel und Stundenplan, die «Schulleitbilder», die «Testitis», etc. Das Wesentliche ist verplant, also beschränkt sich die Partizipation auf kleine Spielräume bei der Pausenhofgestaltung, dem Getränkeautomaten, der Mitwirkung beim Schulhausfest, etc. Die Schüler lernen, dass sie über grundlegende Themen nicht mitzubestimmen haben, sondern sich nur zu relativ nebensächlichen Dingen innerhalb eines kleinen Rahmens äussern können.

Die Schüler lernen, dass sie über grundlegende Themen nicht mitzubestimmen haben, sondern sich nur zu relativ nebensächlichen Dingen innerhalb eines kleinen Rahmens äussern können.

Viele Hürden

2. In der Regel werden jeweils zwei Schüler(innen) pro Klasse als Delegierte gewählt, die im Schülerrat mitdiskutieren, der von einer rührigen Lehrkraft mit mehr oder weniger Geschick und manipulativem Flair gecoacht wird. Idealerweise werden die «Geschäfte» vorher in den Klassen besprochen und die Delegierten bekommen ihre Direktiven. So könnte ansatzweise «repräsentative Demokratie» erlebt werden. In der Praxis ergeben sich jedoch Hürden:

– Beteiligen sich alle Klassenlehrpersonen mit dem nötigen Einsatz, damit alle Schüler(innen), auch diejenigen, die nicht im Rat mitdebattieren, die Erfahrung von «Partizipation» machen können?

– Reicht die Zeit, wenn in den nächsten drei Wochen noch 79 Kompetenzen im Unterricht abgehakt werden sollen oder der Unterricht wegen eines Feiertages, wegen des Besuches der Zahnhygienikerin oder des Verkehrsinstruktors der Polizei, wegen des Skilagers oder wegen des Sportstages mehrmals ausgefallen ist?

–  Fällt die Debatte des Schülerrates immer auf die gleiche Freistunde der Lehrperson, die verantwortlich ist, die Stunde, die zufällig gleichzeitig aber die einzige Geschichtsstunde ist, welche in der Stundentafel verblieben ist? Denn in die Freizeit könnte man die Ratsdebatte nicht legen. Idealistische Lehrpersonen wären sicher dabei, nicht aber unbedingt alle partizipierenden Jungpolitiker(innen).

Eventuell wenig nachhaltig

Das mag alles zugespitzt tönen, entspricht aber langjähriger Erfahrung und ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass die Sache mit der Partizipation in der Realität weniger nachhaltig ist, als es sich die glühenden Idealisten gerne vorstellen.

Läuft es gut, wird das Projekt als erzieherisch-bildungswirksamer Prachtserfolg verbrämt, läuft es schlecht, machen sich Enttäuschung und Gejammer breit: «Das hat ja alles keinen Sinn!»

  1. Wie erleben Schülerinnen und Schüler die Partizipation, wie erleben es die begeistert dafür eintretenden Lehrpersonen? Es gibt wohl keinen Berufsstand, der so sehr schwankt zwischen Euphorie und Zerknirschung wie derjenige der Lehrpersonen. Läuft es gut, wird das Projekt als erzieherisch-bildungswirksamer Prachtserfolg verbrämt, läuft es schlecht, machen sich Enttäuschung und Gejammer breit: «Das hat ja alles keinen Sinn!» Kinder und junge Pubertierende erleben es wohl ganz anders: Zunächst ist das einfach eine Angelegenheit der Schule nach dem Motto: «Die Lehrer(innen) wollen, dass wir mitbestimmen.» Für sie stehen momentane Bedürfnisse im Vordergrund, das Austesten, wie weit sie gehen können, welchen Wortführern sie folgen wollen, was sie wagen sollen, bei wem sie sich beliebt oder unbeliebt machen, wie sie sich durchsetzen können, welcher Unterricht zu Gunsten der Partizipation ausfällt, etc.

 

  1. Auch Trump hatte viele Erfahrungen.

    Ein letzter Punkt: Nochmals: Ja, Georg Geiger und Alain Pichard, Erfahrung ist gut, Eure Beispiele klingen erfreulich, aber Erfahrung ist nicht alles. «Politische Bildung» muss darüber hinausgehen, die Erfahrung muss im Unterricht reflektiert und eingeordnet werden. Die Erfahrung lehrt nicht per se. Donald Trump hat in seinem Leben reiche Erfahrung gesammelt: als Immobilienspekulant, als Geschäftsmann, als Konkursit, als Familienvater, als Frauenverführer, etc. Aber hat er daraus gelernt? Hat er Zusammenhänge erkannt, die über das schlaue Durchwursteln zu seinem Eigennutz und zum Schaden seiner Opfer hinausgehen? Bei allen schulischen Projekten ist darauf zu achten, dass Einsichten über Zusammenhänge gewonnen werden können, die über die blosse Aktivität, das reine Agieren hinausführen. Dies sicher zu stellen, ist eine wesentliche Aufgabe der Schule.

 

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Politische Bildung: Zuerst die Missverständnisse ausräumen, dann debattieren! https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-zuerst-die-missverstaendnisse-ausraeumen-dann-debattieren/ https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-zuerst-die-missverstaendnisse-ausraeumen-dann-debattieren/#respond Fri, 24 Jan 2020 05:22:40 +0000 https://condorcet.ch/?p=3684

Georg Geigers Artikel "Politische Bildung: Sich um die Welt als Ganzes Sorgen machen" hat in unserem Autorenkreis eine lebhafte Debatte ausgelöst. Mit einigen Aussagen ist der Autor nicht einverstanden, und auf diverse Kritiken antwortet er in seiner Replik, die wir hier gerne veröffentlichen.

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Am 6. Januar ist von mir ein Beitrag unter dem Titel „Politische Bildung: Sich um die Welt als Ganzes Sorgen machen“ erschienen. Die Condorcet-Redaktion hat dann direkt unter dem Titel noch eine verwirrende Frage dazugesetzt: “Soll ein Fach ‘Politische Bildung’ eingeführt werden, wie die Historikerin Béatrice Ziegler fordert? Condorcet-Autor Georg Geiger ist skeptisch.” Einspruch, Euer Ehren. Gegenüber der Einführung dieses Faches bin ich nicht skeptisch, denn an meiner Schule (lieber Leser, liebe Leserin, leider darf ich gemäss einer Weisung meiner Vorgesetzten nicht öffentlich sagen, an welcher Schule ich genau unterrichte. Es ist mir nur gestattet zu verraten, dass ich an einem der fünf Basler Gymnasien unterrichte …) habe ich selbst massgeblich an der Erarbeitung eines entsprechenden Lehrplanes mitgewirkt, und ich habe dieses Wahlpflichtfach, das als Doppelstunde während eines halben Jahres im zweitletzten Jahr vor der Matur angeboten wird, bereits zweimal durchgeführt.

Gegenüber der Einführung dieses Faches bin ich nicht skeptisch, wie Alain Pichard behauptete.

Skeptisch bin ich nur, dass Frau Ziegler der Meinung ist, dass nur Lehrkräfte mit einer speziellen didaktischen Zusatzausbildung Politische Bildung unterrichten sollten. Die Fachhochschule verteidigt so einfach ihre Vormachtstellung und will, dass auch in diesem neuen Fach niemand an der Fachhochschule vorbeikommt. Ich finde, dass alle politisch interessierten LehrerInnen, die ja in ihren Fachausbildungen didaktisch bereits geschult worden sind, kompetent genug sind, als Citoyen und Citoyenne die Jugendlichen in aktuelle politische Zusammenhänge einzuführen.

Dieses interdiszipläne Hybridfach RZG („Räume, Zeiten, Gesellschaften“) ist eine Pfuscherei und die SchülerInnen in der Volksschule sind die Leidtragenden.

Skeptisch bis ablehnend dagegen bin ich gegenüber der Situation auf der SekI-Stufe, denn dort wird nicht über die Einführung eines zusätzlichen Angebotes “Politische Bildung” verhandelt, sondern dort hat man bekanntlich die bisher mit je zwei Jahresstunden dotierten Fächer Geschichte und Geographie zusammengelegt und dabei eine Jahresstunde gestrichen. Und man akzeptiert stillschweigend, dass eines von den beiden Teilfächern oft fachfremd unterrichtet wird. Für die Schülerinnen und Schüler, die mit 16 Jahren definitiv aus der Schule in die Berufswelt wechseln, bedeutet dies eine klare Verschlechterung im Zusammenhang mit dem politischen Grundwissen. Dieses interdiszipläne Hybridfach RZG („Räume, Zeiten, Gesellschaften“) ist eine Pfuscherei und die SchülerInnen in der Volksschule sind die Leidtragenden.

Felix Schmutz, BL:
Schülerparlamente sind verkrampfte Alibi-Übungen.

Am 13. Januar hat Felix Schmutz kritisch Stellung genommen zu meinem Beitrag. Er fragt sich darin, wie sich Politische Bildung und das Grundlagenfach Geschichte auf der SekII zueinander verhielten. Ganz einfach: An meiner Schule müssen die SchülerInnen ein Projekt abliefern, das benotet wird. Diese Einzelnote fliesst dann entweder in die Jahresnote für Geschichte, Wirtschaft+Recht oder Geographie, je nachdem, welche Lehrkraft Politische Bildung gerade unterrichtet.

Schülerparlamente sinnvoll?

Dann unterstellt mir Felix Schmutz, dass ich auf der SekI politische Bildung interdisziplinär anbieten möchte. Von Schülerparlamenten, “die meist krampfhaft von Lehrpersonen am Leben erhalten werden müssen”, hält er nicht viel, denn das Ganze sei oft eine reine “pädagogische Alibiübung von Erwachsenen”. In der Volksschule soll man kein neues Fach einführen, da bin ich genau gleicher Meinung wie Du, lieber Felix Schmutz. Aber man soll Geschichte und Geographie wieder zu zwei eigenständigen Fächern mit je zwei Jahresstunden aufwerten, dann hat dort vielleicht auch so etwas wie Politische Bildung ein bisschen Platz! Und SchülerInnen-Parlamente halte ich nur dann für eine krampfhafte Alibi-Übung, wenn es dort nichts Reales zu besprechen und zu entscheiden gibt. Voraussetzung dafür, das schulische Partizipationsstrukturen, wie sie Alain Pichard am 15. Januar im Condorcet-Blog unter dem Titel “Partizipation statt Konzepte” als ein Stück gelebter Schuldemokratie anschaulich schildert, wirklich sinnvoll sind, ist aber, dass die Schulleitungen und die Kollegien den Jugendlichen auch tatsächlich Entscheidungsbefugnisse anvertrauen. Doch in der heutigen Zeit haben wir ja auch als Lehrkräfte zunehmend nichts mehr wirklich mitzubestimmen. Die Entdemokratisierung steht in eklatantem Widerspruch zum permanenten Gerede von Partizipation. Das nervt. Aber sowohl Kollegien wie Schülerparlamente müssen sich diese Mitbestimmungsrechte aktiv zurückholen. Die gibt’s nicht gratis. Für die muss man kämpfen. Und das ist eben gelebte Politik!

Die Entdemokratisierung steht in eklatantem Widerspruch zum permanenten Gerede von Partizipation. Das nervt. Aber sowohl Kollegien wie Schülerparlamente müssen sich diese Mitbestimmungsrechte aktiv zurückholen. Die gibt’s nicht gratis. Für die muss man kämpfen. Und das ist eben gelebte Politik!

 

Alain Pichard verdreht meine Gedanken

Alain Pichard, Lehrer SekI: Wirkung von Unterricht ist beschränkt.

Alain Pichard meldete sich am 15. Januar noch mit einem zweiten Beitrag „Ja kein neues Schulfach mehr!“ zu Wort. Darin hängt er mir wieder mal den Weltverbesserer-Mantel um und vermittelt den Eindruck, ich sei so naiv, “mithilfe eines interdisziplinären Faches die ganze Welt retten” zu wollen. Um Gottes Willen, wie werden mir hier meine Gedanken verdreht und verbogen! Ich weiss wie Du, lieber Alain, dass die Wirksamkeit von Schule sehr beschränkt ist und dass man in einem Zusatzfach “Politische Bildung” nur ganz elementares Wissen vermitteln kann. Und auch ich finde, dass die Etablierung und Stärkung von SchülerInnen-Parlamenten eigentlich viel wichtiger ist als ein neues Schulfach. Diese Strukturen muss man aber beharrlich pflegen, die wachsen nur sehr langsam. Und auch die Gesamtkonferenzen der Lehrkräfte müssen wieder zu einer Art Schul-Parlament werden, wo die Lehrerinnen und Lehrer debattieren und auch substantiell etwas zu entscheiden haben.

Politische Bildung als dauerhaften Auftrag verstehen

Politische Debatten in die Schule bringen

An unserer Schule haben wir bei den allgemeinen Bildungszielen im neuen Fach “Politische Bildung” klar zum Ausdruck gebracht, dass wir politische Bildung als einen dauerhaften Auftrag an unserer Schule verstehen.Wir beginnen den Kurs jeweils mit einer klassenübergreifenden Startveranstaltung, die von den Lehrkräften meist an einem ausserschulischen Ort auf die Beine gestellt wird. Kernstück des neuen Faches ist es, pro Klasse ein oder mehrere Themen zu finden, die für die Jugendlichen relevant und von Interesse sind. Das zentrale Bildungsziel haben wir folgendermassen umschrieben: “Wir erkennen und formulieren, was uns als gesellschaftliche Wesen etwas angeht, wir bemühen uns, sachlich die Widersprüchlichkeit und die Komplexität eines Themas besser verstehen zu lernen, und wir tragen unser Thema und unser Anliegen in einen öffentlichen Raum und stellen uns den Diskussionen, die sich daraus ergeben.”

Das können dann etwa Podiumsdiskussionen an der Schule sein, Debatten mit Direktbetroffenen ausserhalb der Schule, eine Radiosendung, eine Ausstellung, eine Infoveranstaltung mit Fachleuten oder der Besuch einer historischen Stätte oder die Lancierung einer Petition. Das rettet alles noch nicht die Welt, aber das gehört zum Rüstzeug eines politischen Bewusstseins, das es in unserem Staate dringend braucht! So hab ich das gemeint.

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Partizipation statt Konzepte https://condorcet.ch/2020/01/partizipation-statt-konzepte/ https://condorcet.ch/2020/01/partizipation-statt-konzepte/#respond Wed, 15 Jan 2020 17:10:23 +0000 https://condorcet.ch/?p=3635

In seinem 2. Beitrag zum Thema "Politische Bildung" zeigt Condorcet-Autor Alain Pichard anhand eines ganz praktischen Beispiels, wie die Schüler in Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

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Im  OSZ-Orpund  treffen sich die die Klassenvertreter sechsmal im Jahr im Schülerrat, debattieren, formulieren Kritik oder machen Verbesserungsvorschläge. Die Sitzungen finden jeweils während der Schulzeit statt. Bedingung: Es muss ein Protokoll geführt werden (das unsere Lehrkräfte übrigens mit grösstem Interesse lesen).

Der Schülerrat schuf die althergekommene Weihnachtsfeier ab und organisierte eine Weihnachtsdisco im selbst umgebauten Schülerraum.

Die junge Truppe hat in der Vergangenheit einiges erreicht: Sie sorgte dafür, dass aus der ehemaligen Abwartswohnung ein Schülerraum geschaffen wurde, wehrte  sich gegen Ernährungsvorschriften, sorgte dafür, dass zweimal in der Woche ein Pausenbeck kommt und erstritt sich die Wiederholung eines ins Wasser gefallenen Sportanlasses.

Lustig wird es immer, wenn die Schüler die Regeln, welche in unserem Schulhaus gelten, diskutieren.

Pausenregelung und Handyverbot wird regelmässig bestritten

Einige Verbote nerven. Und so kommt es regelmässig vor, dass ihre Sprecher an der Lehrerkonferenz den Antrag stellen, diese zu streichen oder abzuschwächen. Das war auch letztes Jahr so. Es ging um das Handyverbot und die Pausenregelung. Die beiden Ratspräsidentinnen erinnerten daran, dass sie selber keine Unterstufenschüler mehr seien und selber entscheiden könnten, ob sie in der Pause hinausgehen können. Das Handyverbot fochten sie nicht an, da am OSZ-Orpund die Handys im Unterricht schon lange eingesetzt werden können. Das Problem ist die 10-Uhr-Pause, auch dort wollten die SchülerInnen das Handy frei benutzen können. Das stiess bei den Lehrkräften auf Widerstand. Und so entstand eine animierte Diskussion, wie sie auch in einem Stadtparlament hätte stattfinden können. Den Schülern ging es um Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, während auf der Lehrerseite Sorgen um die Handhabung geäussert wurden.

Wurden die Forderungen des SchülerInnenrats letztmals noch abgelehnt, so stimmte diesmal die Mehrheit des Kollegiums dem Antrag zu. Der Kniff war, dass der Schülerrat vorschlug, die Neuregelung mal auf Versuchsbasis durchzuführen, um dann zu schauen, wie es funktioniert.

Partizipation statt eine neues theoretisches Schulfach

Jungfreisinnigen haben soeben das Schulfach “Politik”  gefordert und die Stadt Biel hat kürzlich ein Konzept ausarbeiten lassen, wie man das politische Interesse der Schüler steigern könne.

Natürlich ist eine Debatte über die Finkenregelung nicht so sexy wie eine Petition gegen den Klimawandel. Aber was die Nachhaltigkeit in Sachen politischer Bildung betrifft, glaube ich, hat eine Debatte über den Pausenbeck oder das Handyverbot ihre Vorteile.

Vertrauen zahlt sich aus

Im OSZ-Orpund setzt man auf Partizipation. Und die SchülerInnen lernen mit ihrer Tätigkeit nicht nur viel über reelle politische Prozesse. Sie geben das Vertrauen der Lehrkräfte auch zurück. So waren sie es, welche vor einem Jahr die Urheber einer zerbrochenen Türe im Schülerraum überführten. Und sie gestalten das Schuljahr mit eigenen Ideen mit. Sie entstaubten die traditionellen Weihnachtsfeiern, indem sie eine Weihnachtsdisco organisierten, oder hatten die geniale Idee, einen Weltuntergangsball zu inszenieren.

Natürlich ist eine Debatte über die Finkenregelung nicht so sexy wie eine Petition gegen den Klimawandel. Aber was die Nachhaltigkeit in Sachen politischer Bildung betrifft, glaube ich, hat eine Debatte über den Pausenbeck oder das Handyverbot ihre Vorteile.

Natürlich geht es nicht ganz ohne Hilfe. Dreimal dürfen Sie raten, wer den Schülern den Tipp gegeben hat, ihre Vorstösse als Versuch zu deklarieren.

 

 

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Ja kein neues Schulfach mehr! https://condorcet.ch/2020/01/ja-kein-neues-schulfach-mehr/ https://condorcet.ch/2020/01/ja-kein-neues-schulfach-mehr/#respond Wed, 15 Jan 2020 16:55:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=3632

Nun schaltet sich auch Condorcet-Autor Alain Pichard in den Diskurs über die politische Bildung in der Schule ein. Er bezweifelt grundsätzlich, dass die Schule das Klima retten kann. Dafür zeigt er in einem zweiten Artikel auf, wie seine Schule die Partizipation vorantreibt.

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Alain Pichard, Sekundarlehrer in Orpund: Wirksamkeit von Schule ist beschränkt.

Für die Historikerin Béatrice Ziegler ist die Sache klar: Politische Kompetenz werde nur wenig aufgebaut, «wenn die Lehrpersonen nicht selbst in der Didaktik der Politischen Bildung ausgebildet werden“. Sie fordert deshalb eine fachdidaktische Ausbildung für angehende Lehrkräfte und wohl auch ein dazugehöriges neues Fach: politische Bildung (vpod-bildungspolitik, Oktober 2019). Etwas Ähnliches verlangten vor ca. einem Jahr auch die Jungfreisinnigen im Blick (März 2019). Sie wollten mehr politische Bildung, um damit der tiefen Stimmbeteiligung entgegenzuwirken. Und mein geschätzter Condorcet-Kollege Georg Geiger will mithilfe eines interdisziplinären Fachs die ganze Welt retten. (Condorcet-Blog Januar 2020)

Die Kollegin und der Kollege sind in guter Gesellschaft. In der Sonntagszeitung verlangte vor einigen Jahren der stellvertretende Chefredaktor Simon Bärtschi ultimativ das Fach Medienerziehung. Das Rosarote Kreuz wollte zwingend die Homosexualität behandelt wissen und die Grüne Partei forderte zu Beginn der Lehrplandebatte die Einführung eines Faches «Glück». Seit langem werden in den Schulstuben unseres Landes auch Suchtprävention, Gewaltprävention, Sexualerziehung, Ernährungsberatung oder Gesundheitserziehung gelehrt.

An der Medienerziehung bin ich schon als Vater gescheitert.

Als Praktiker mit mittlerweile 42 Berufsjahren habe ich ehrlicherweise nicht viel Ahnung von Medienerziehung, daran bin ich auch schon als Vater gescheitert. Natürlich bin ich immer wieder gerührt, wenn ich feststelle, was man meinen Kolleginnen und Kollegen alles zutraut. Allerdings mischt sich in diese Ergriffenheit natürlich sofort auch eine gewisse Verlegenheit. Dann nämlich, wenn ich all diesen Erwartungen eine meiner grundlegenden Erkenntnisse über Schule entgegensetzen muss.

Wir können nicht einmal einen lebensrettenden Schwimmstil garantieren.

Wenn ein Fünftel unserer Schüler keine einfachen Texte mehr versteht, gerät etwas Grundsätzliches ins Erodieren.

Wirksamkeit von Schule ist beschränkt

Die Wirksamkeit von Schule ist beschränkt. An einigen Orten sogar sehr beschränkt. Die Schule überfordert sich, wenn sie Ziele verfolgen will, die ausserhalb der Reichweite von Unterricht liegen und die ausserdem noch von massiven Glaubenssätzen belegt sind. Wir können aus dicken Kindern keine dünnen machen, wir können auch die Welt nicht in eine gewaltfreie Zone verwandeln oder gar das Klima retten. Ganz unter uns, liebe Freunde, ich getraue mich gar nicht es zu sagen: Wir können heute nicht mehr die Erlernung eines lebensrettenden Schwimmstils garantieren.

Hingegen weiss ich, dass man, wenn man zu viele Hasen gleichzeitig jagen will, am Schluss ohne Beute nach Hause kommen wird. Die PISA-Studien belegen seit nun schon 20 Jahren, dass ein Fünftel unserer Kinder nach 9 Schuljahren in einem der teuersten Schulsysteme der Welt nicht richtig lesen und schreiben können.

Mit Analphabeten die Welt retten?

Hier gerät ein Kernelement von Schule ins Erodieren. Gewiss, Lesen, Schreiben und Rechnen ist nicht alles. Aber ohne Lesen, Schreiben und Rechnen ist alles nichts. Analphabeten retten keine Welt. Deshalb gilt auch hier: Die Schule muss wissen, was sie nicht kann, und sich darauf konzentrieren, was sie können muss, will sie ihre dominierende Stellung in der Bildung behalten.

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Politische Bildung als Schulfach? Gedanken zu Georg Geigers Artikel https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-als-schulfach-gedanken-zu-georg-geigers-artikel/ https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-als-schulfach-gedanken-zu-georg-geigers-artikel/#comments Mon, 13 Jan 2020 09:00:37 +0000 https://condorcet.ch/?p=3621

Condorcet-Autoren Georg Geiger skizzierte in seinem Artikel Leitlinien für politische Bildung als Schulfach und als interdisziplinäre Zusammenarbeit (https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-sich-um-die-welt-als-ganzes-sorgen-machen/). Condorcet-Autor Felix Schmutz sieht da sehr viele Probleme bei der Umsetzung dieser Forderung.

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Wo bleibt die Abgrenzung zum klassischen Geschichtsunterricht?

Georg Geiger skizziert in seinem Artikel Leitlinien für politische Bildung als Schulfach und als interdisziplinäre Zusammenarbeit. Er möchte, dass allen Lehrpersonen, die sich dazu berufen fühlen, die Berechtigung dafür erteilt wird. Die Ausführungen zeigen auf, was politische Bildung umfassen müsste:

– Einbezug aktueller Themen wie Klimapolitik, Populismus, Rassismus, etc.,

– Mitbestimmung und damit Eins-zu-eins-Erfahrung politischer Auseinandersetzungen und Abläufe,

– kontroverse Meinungen zulassende, nicht normative oder moralisierende Stossrichtung des Unterrichts.

Diese Grundzüge sind sicher angemessen. Was dabei noch zu bedenken und zu klären wäre:

  1. Wie gestaltet sich auf der Sekundarstufe II die thematische Abgrenzung zum bzw. die Koordination mit dem Geschichtsunterricht, in dem Regierungsformen und die Entstehung der europäischen Demokratien wichtige Stoffe sind? Formen des Zusammenlebens, Entscheidens und Führens sowie die politischen Körperschaften und Institutionen sind Themen, die nicht nur durch Erfahrung im praktischen Erleben, sondern auch inhaltlich und theoretisch verstanden werden müssen. Der Unterricht müsste somit immer praktische, aktuelle Beispiele in Zusammenhänge einbetten, an denen prinzipielle Erkenntnisse gewonnen werden können. Nur so wird aus der Beschäftigung mit politischen Themen ein wirklicher Unterricht.
Vorkenntnisse theoretischer Art sind unerlässlich, wenn die Diskussion nicht auf Stammtischniveau absinken oder mit dem Abfackeln der US- oder der russischen Fahne auf der Strasse enden soll.

Beispiel: Wenn der Präsident eines Landes, das sich als Demokratie versteht (heisse er Trump oder Putin), in einem andern Land Zielpersonen ermorden lässt, ohne dass ein geordnetes Gerichtsverfahren stattgefunden hat, müsste ein solches Ereignis nüchtern an Prinzipien gemessen und anhand staatsrechtlicher, politisch-strategischer und psychologischer Fragen erörtert werden. Dazu sind jedoch Vorkenntnisse theoretischer Art unerlässlich, wenn die Diskussion nicht auf Stammtischniveau absinken oder mit dem Abfackeln der US- oder der russischen Fahne auf der Strasse enden soll.

  1. Georg Geiger stellt sich vor, dass politische Bildung in unteren Klassenstufen (Sekundarstufe I) eher interdisziplinär erfolgen solle, wobei die Inhalte «altersgerecht heruntergebrochen» werden sollen. Das ist allerdings in zweierlei Hinsicht anspruchsvoll: 1. Didaktisches Reduzieren bedeutet Planung über längere Zeit hinweg, da der Faden immer wieder aufgenommen und die Inhalte allmählich ausdifferenziert werden müssen. 2. Wenn mehrere Lehrpersonen beteiligt sind (Interdisziplinarität), stellt sich die Frage der langfristigen Verantwortlichkeit und der Kohärenz. Das dürfte einiges an Absprachen verlangen. 3. Einfacher wäre, wenn auf der Sekundarstufe I die Verantwortung klar bei einer Lehrperson läge. Das würde folgende Unterrichtsmöglichkeiten erleichtern:

Beispielsweise wird meist erwartet, dass im Zusammenhang mit Abstimmungen und Wahlen Zusammenhänge erschlossen und eigene Positionen erarbeitet werden, wobei nicht klar ist, wer im Dschungel der Kompetenzorgien im Lehrplan 21 überhaupt noch Zeit dazu finden kann, insbesondere wenn, wie Georg Geiger vermerkt, das Fach Geschichte zeitlich reduziert worden ist oder Klassenlehrpersonen kein angemessenes Gefäss mehr dafür haben.

Ein anderes beliebtes Vorgehen besteht darin, die Klasse eine Woche lang Tagesschau oder digitale Nachrichtenmedien ansehen zu lassen und die darin vorkommenden Themen im Unterricht dann in Zusammenhänge einzubetten und zu erläutern.

Mitbestimmung eher im Klassenverband als in Schülerparlamenten, die meist krampfhaft von Lehrpersonen am Leben erhalten werden müssen.

Das Einüben von Planungen und Abläufen im Zusammenhang mit schulischen Unternehmungen wäre ein Schritt hin zu Geigers Vorstellung von der Schule als Polis. Dabei hat sich gezeigt, dass sich dies im Klassenverband eher bewerkstelligen lässt als in sogenannten Schülerparlamenten, die meist krampfhaft von Lehrpersonen oder Schulleitungen am Leben erhalten werden müssen und manchmal im Frust enden, wenn sich die Wünsche und Forderungen an den Realitäten reiben. Schlimmer noch, wenn Jugendliche merken, dass das Ganze nur eine pädagogische Alibi-Übung ist von Erwachsenen, die sich fortschrittlich geben wollen, indem sie ihre eigenen Ideen als diejenigen der Schülerinnen und Schüler kaschieren.

Das Argumentieren, Debattieren und Entscheiden lässt sich auch mit Planspielen üben, in denen z.B. eine fiktive Gemeinde oder ein fiktives Quartier entwickelt wird und bestimmte Vorhaben geplant werden sollen. Da zeigt sich manchmal, wie sich bei der Identifikation mit Interessengruppen bei Schülerinnen und Schülern grosses Engagement offenbart und sie ganz zu vergessen scheinen, dass sie sich eigentlich mit «trockener Politik» beschäftigen. Auch dazu braucht es natürlich ein entsprechendes Zeitgefäss wie Projekttage, Lager, etc.

  1. Politische Prozesse zeichnen sich in demokratischen Verhältnissen durch Umständlichkeit, Komplexität, Kompromisse und Umwege aus. Das
    Jugenddemo in Zürich: Wir lehnen alles Bestehende ab.

    ist für Jugendliche, die in ihrer Ungeduld hier und jetzt und sofort etwas fordern oder verändern wollen, grundsätzlich unattraktiv. Es ist ja auch für Erwachsene oft schwer zu ertragen. Die Reaktion auf politisches Auf-der-Stelle-Treten kann sein: Verweigerung («Politik interessiert mich nicht, ist zu kompliziert, hat nichts mit mir zu tun.») oder Radikalisierung («Wir lehnen alles Bestehende ab, zerstören es, schliessen uns einer charismatischen Führungsperson an, die unsere Anliegen sofort verwirklichen will.»). Politischer Unterricht muss eine Lösung darin finden, zwischen jugendlichem Ungestüm und politisch-institutioneller Trägheit irgendwie zu vermitteln. Es wäre allerdings nicht klug, den Lernenden das wahre Gesicht der Politik geschönt darstellen zu wollen. Unehrlichkeit würde sich nicht auszahlen. So ist politische Bildung wohl keine leichte Aufgabe, sie braucht versierte Lehrpersonen mit grossem Motivationsgeschick und der Einstellung, dass sich das Engagement trotz allen Widerständen lohnt. Hierbei könnten Erzählungen über Vorbilder beiderlei Geschlechts als Identifikationsangebote sicher einiges bewirken.

 

 

 

 

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Politische Bildung: Sich um die Welt als Ganzes Sorgen machen https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-sich-um-die-welt-als-ganzes-sorgen-machen/ https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-sich-um-die-welt-als-ganzes-sorgen-machen/#respond Mon, 06 Jan 2020 12:08:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=3588

Soll ein Fach "Politische Bildung" eingeführt werden, wie die Historikerin Béatrice Ziegler fordert? Condorcet-Autor Georg Geiger ist skeptisch.

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Béatrice Ziegler, Historikerin: Es braucht ein neues Schulfach.

Die Historikerin Béatrice Ziegler, die bis 2016 das Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der Pädagogischen Hochschule der FHNW in Aarau leitete, stellt in einem zweiseitigen Artikel der VPOD-Zeitschrift «bildungspolitik» vom Oktober 2019 fest, dass politische Bildung im gymnasialen Schulunterricht nur marginal vertreten sei, und sie plädiert dafür, die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Perspektiven stärker zu berücksichtigen.

Der Beutelsbacher Konsens

Aspekte politischer Bildung seien in den Kantonen teilweise fachlich verankert, teilweise würden sie als «Element der ‹Schulkultur› oder im überfachlichen Bereich Berücksichtigung finden.» Frau Ziegler hat nichts gegen partizipative Elemente der Schulgestaltung, doch die dabei geförderten Kompetenzen seien kaum solche der politischen Bildung, sondern mehr überfachlicher Natur. Politische Bildung als Schulfach aber ermögliche den Aufbau politischer Kompetenz bei Individuen. Sie solle sich nicht an der Werteerziehung, «sondern an der Wertereflexion orientieren.» So, wie es auch der 1976 in Deutschland vereinbarte Beutelsbacher Konsens meint, der sich auf folgende Prinzipien für das Fach «Politische Bildung» geeinigt hat: Indoktrinationsverbot, Kontroversität und Schülerorientierung.

Für die Autorin ist die Sache klar: Politische Kompetenz werde nur wenig aufgebaut, «wenn die Lehrpersonen nicht selbst in der Didaktik der Politischen Bildung ausgebildet werden. Es lässt sich sogar zuspitzen: Egal, welche Lehrpersonen Politische Bildung unterrichten: Sie müssen dafür ausgebildet werden. Diese Ausbildung muss fachlich und insbesondere fachdidaktisch sein.» Das klingt alles sehr plausibel. Doch es ginge auch anders.

Die Schule zur Polis machen

Halten wir fest: Während gesamtgesellschaftlich Nationalismus, Populismus und Rassismus weltweit grassieren und die hereinbrechende Klimakatastrophe demokratiepolitisch eine enorme Herausforderung darstellt, werden die beiden Schulfächer Geschichte und Geographie, die sich mit eben diesen Themen beschäftigen, in der Volksschule stundenmässig reduziert und in einem neuen Sammelfach zusammengelegt, was zur Folge hat, dass eines der beiden Teilfächer oft fachfremd unterrichtet wird. Gleichzeitig taucht auf der Sek-II-Stufe ein neues Fach namens «Politische Bildung» auf, das aber angesichts der Informatikoffensive an den Gymnasien einen schweren Stand haben wird. In der Logik der Argumentation von Frau Ziegler ist auch absehbar, dass man für die Unterrichtsberechtigung in diesem neuen Fach zwingend ein entsprechendes Zertifikat an einer Pädagogischen Hochschule wird erwerben müssen.

Ich plädiere dafür, dass an der Volksschule Geschichte und Geographie wieder zwei vollwertige Einzelfächer werden und dass an den Gymnasien alle interessierten FachlehrerInnen Politische Bildung unterrichten dürfen, egal, ob sie Französisch, Geschichte oder Informatik studiert haben.

Ich plädiere dafür, dass an der Volksschule Geschichte und Geographie wieder zwei vollwertige Einzelfächer werden und dass an den Gymnasien alle interessierten FachlehrerInnen Politische Bildung unterrichten dürfen, egal, ob sie Französisch, Geschichte oder Informatik studiert haben. Denn alle bringen ja eine didaktische Grundausbildung mit, alle sind es sich gewohnt, variantenreich Fachwissen altersgerecht herunterzubrechen. Das Fachwissen bringen sie in ihrem Selbstverständnis als Citoyen und Citoyenne mit, als StaatsbürgerInnen, die sich für das aktuelle politische Geschehen interessieren. Und es werden sich dabei wohl nur diejenigen KollegInnen an dieses Fach heranwagen, die eh schon eine Affinität zur Politik haben.

Es ist wohl kein Zufall, dass dieses neue Fach weder «Staatsbürgerkunde» noch «Politikwissenschaft» genannt wird. Der Begriff «Politische Bildung» zielt darauf ab, Motivierungshilfe zu einem Engagement in unserer Gesellschaft zu leisten. Wenn wir uns heute um die Welt als Ganzes sorgen müssen, dann sollen auch alle Lehrkräfte, die sich von dieser Besorgnis angesprochen fühlen, mit dazu beitragen, diesen Blick aufs Ganze und aufs beispielhaft Einzelne zu schärfen. Je interdisziplinärer und von der politischen Gesinnung her bunter der Haufen der Engagierten ist, umso besser! Dabei sollte aber möglichst vermieden werden, allzu moralisch belehrend daherzukommen und die Stossrichtung eines möglichen Engagements normativ vorzutragen.

Der Gefahr der Demoralisierung durch die Riesenhaftigkeit der aktuellen Herausforderungen sind sowohl die SchülerInnen wie die Lehrkräfte ausgeliefert. Heute sollen sich die Leute auf der Strasse und die Kinder in der Schule Sorgen machen, die früher einem Aussenminister angestanden hätten, wie es der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk einmal flapsig formuliert hat. Das neue Fach soll probieren, mit kritischer Reflexion eine Richtschnur des Handelns zu formulieren, die aller Konfusionen zum Trotz eine hinreichend starke Orientierung bietet. Dabei ist es nötig und hilfreich, die Jugendlichen, wenn immer möglich, als gleichberechtigte PartnerInnen mit ins Boot zu holen und den Kurs als Team zu gestalten.

In diesem Fach sollten wir mit den Jugendlichen zusammen erlernen, was es heisst, sich in der Gemeinschaft der Schule, des Staates und des Global Village zu engagieren. Wir müssen die Schule zur Polis machen.

Wenn das Fach «Politische Bildung» mehr sein soll als eine Wiederholung der Dringlichkeiten, wie sie etwa in Geographie, Biologie, Geschichte, Wirtschaft und Recht oder Philosophie vermittelt werden, dann geht es vor allem um die Ausgestaltung eines neuen Begriffes von konkreter Solidarität mit universalen Implikationen. In diesem Fach sollten wir mit den Jugendlichen zusammen erlernen, was es heisst, sich in der Gemeinschaft der Schule, des Staates und des Global Village zu engagieren.

Dabei soll es nicht nur um die globalen Herausforderungen gehen, sondern auch um die verhandelbare Ausgestaltung der eigenen Schule und um das Zusammenleben in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Der Schaffung von demokratischer Öffentlichkeit kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Aus der Schule eine Polis machen

Wir müssen die Schule zur Polis machen, in der man, wie es der Pädagoge Hartmut von Hentig formulierte, «im Kleinen die Versprechungen und Schwierigkeiten der grossen res publica erfährt, sich und seine Ideen erprobt und die wichtigsten Tätigkeiten übt: ein Problem oder Interesse definieren und es öffentlich verhandeln, andere Menschen überzeugen und sich von ihnen überzeugen lassen, Entscheidungen treffen, Zuständigkeiten bestimmen und dergleichen mehr.» Dabei soll es nicht nur um die globalen Herausforderungen gehen, sondern auch um die verhandelbare Ausgestaltung der eigenen Schule und um das Zusammenleben in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Der Schaffung von demokratischer Öffentlichkeit kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

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