Lesefertigkeiten - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 06 Dec 2023 10:26:56 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Lesefertigkeiten - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Schweiz: Jeder Vierte, jede Vierte kann nicht lesen. Deutschland: So schlecht wie noch nie! https://condorcet.ch/2023/12/schweiz-jeder-vierte-jede-vierte-kann-nicht-lesen-deutschland-so-schlecht-wie-noch-nie/ https://condorcet.ch/2023/12/schweiz-jeder-vierte-jede-vierte-kann-nicht-lesen-deutschland-so-schlecht-wie-noch-nie/#comments Tue, 05 Dec 2023 15:02:53 +0000 https://condorcet.ch/?p=15422

Die internationale Vergleichsstudie zeigt: Schweizer Schülerinnen und Schüler legen zwar in Naturwissenschaften zu, beim Lesen aber haben sich die Ergebnisse im Vergleich zu früher verschlechtert. Ebenso im Fach Mathematik. Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz hat für den Condorcet-Blog einen ersten Kommentar verfasst. Weitere werden folgen.

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Die Schweiz hat bei PISA insgesamt schlechter abgeschnitten als vor vier Jahren, aber die meisten andern europäischen Länder sackten noch mehr ab als wir. Deshalb liegen wir jetzt knapp über dem OECD-Schnitt. Das gibt dem LCH und natürlich Frau RR Steiner einen Grund, um von sehr guten Leistungen unserer Schüler zu sprechen.

Gastautor Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich: 25% Illetristen, so kann es nicht weitergehen.

Die anhaltende Katastrophe, dass ein Viertel unserer Schüler über keine genügenden Lesefähigkeiten verfügt, wird dann etwas kleinlaut nachgeschoben. Hier muss man entschlossen nachhaken und feststellen, dass es beim Lesen nicht besser, sondern noch schlechter geworden   ist. Für uns ist das ein Skandal, der unseren selbsternannten Bildungs-Steuerleuten bei der EDK und an den Hochschulen ein schlechtes Zeugnis ausstellt.

Spannend sind jetzt die Reaktionen aus Deutschland, wo der Absturz dramatisch ist. Neben den unbestrittenen Belastungen durch eine starke Einwanderung werden der Lehrermangel und die ungenügende Digitalisierung der Schulen erwähnt. Mir fehlt dabei ein ganz zentraler Punkt: Die unseligen neuen Lernkonzepte mit Lehrerinnen als Coachs und dem ganzen selbstorganisierten Lernen. Das Dogma des Lehrers als Begleiter hat in den deutschen Schulen meiner Meinung nach bereits sehr viel mehr Schaden angerichtet als bei uns. Es kommt uns zugut, dass wir manche weltläufige Dummheit erst mit Verspätung machen oder sogar verpassen.

Schwierig wird es für alle, die behaupten, mit viel mehr Geld könne man unser Bildungssystem stark verbessern. Das eher arme Estland muss mit sehr viel weniger finanzieller Unterstützung auskommen und liegt dennoch deutlich vor der Schweiz. Das müsste auch in linken Kreisen und beim LCH einmal zur Kenntnis genommen werden. Bei der EDK wird jetzt vermutlich wieder so getan, als würde man sich der Leseschwäche eines Viertels unserer Jugend voll annehmen. Sicher gibt es ein paar sinnvolle Aktionen wie Aufwertung der Schülerbibliotheken und gezielte Förderprogramme für fremdsprachige Kinder.

Aber sobald es um die speditive Beseitigung der Dauerbaustellen an unserer Schule geht, nimmt der Tatendrang der EDK-Steuercrew rapid ab. Die Primarschulen schlagen sich weiter mit einem ineffizienten Dreisprachenkonzept herum und finden für die Wiedereinführung von Kleinklassen kein Gehör, obwohl diese einen Beitrag zur Reduktion der Heterogenität in den Regelklassen leisten würden. Es fehlt der Wille zu einer Entrümpelung des völlig überladenen Lehrplans und der Mut zu einer Konzentration auf wesentliche Bildungsinhalte. Dem Lehrermangel steht man ziemlich ratlos gegenüber und für die Stärkung der Rolle der Klassenlehrkräfte wird zu wenig getan. Doch mit dem üblichen Beschönigen und Aussitzen von Problemen kommen wir nicht weiter. Es gilt jetzt, die schwerwiegenden Folgen der Leseschwäche eines Viertels unserer Schulabgänger den Leuten vor Augen zu führen und sich mit aller Kraft an die Behebung der offenen Baustellen zu machen.

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Einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in Kitas und Grundstufe stoppen https://condorcet.ch/2023/11/einseitige-fixierung-auf-digitaltechnik-in-kitas-und-grundstufe-stoppen/ https://condorcet.ch/2023/11/einseitige-fixierung-auf-digitaltechnik-in-kitas-und-grundstufe-stoppen/#respond Wed, 22 Nov 2023 19:55:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=15338

Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemässe Lösung von Bildungsfragen. Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Condorcet-Autor Ralf Lankau hat einen Aufruf mitinitiiert, der aufgrund der neusten Studien und Erkenntnisse ein Moratorium einer einseitigen Fixierung auf die Digitaltechnik fordert.

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Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemäße Lösung von Bildungsfragen. Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Condorcet-Autor und einer der Initiatoren des Aufrufs Bild: Lankau

Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe (Kl. 6): Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden. Diese haben nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen. Zu untersuchen sind insbesondere Fragen der medizinisch-psychologischen, der pädagogisch-didaktischen und der politisch-demokratietheoretischen Implikationen. Zu den wissenschaftlich fundierten Einsprüchen zählt etwa die Stellungnahme von fünf Professorinnen und Professoren des schwedischen Karolinska-Instituts. Sie warnen vor negativen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf das Lernen und die Sprachentwicklung von Kindern. Der U.S. Surgeon General warnt vor den Folgen für die generelle mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter bei Bildschirmmedien. Das korrespondiert mit Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Empfehlungen von Kinderärzten und Psychologen. Die UNESCO kritisiert im „2023 Global Education Monitor“ darüber hinaus, dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen. Dazu kommen immer mehr Datenverarbeitungssysteme, die als „Künstliche Intelligenz“ (KI) automatisiert beschulen und testen sollen, um fehlende Lehrkräfte zu ersetzen. Dabei hat zuletzt die Corona-Pandemie das Scheitern solcher Ersatzsysteme belegt. Der

Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe.

Deutsche Ethikrat warnt daher in seinen Empfehlungen zur „KI und Bildung“ explizit vor der Ersetzung der Lehrkräfte durch Computerprogramme, die UNESCO empfiehlt den Umgang mit KI erst ab 13 Jahren. Es ist daher dringend notwendig, die einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in KITAs und Schulen zu revidieren, um interdisziplinär und wissenschaftlich fundiert, mit Fokus auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse über IT und KI in Bildungseinrichtungen zu diskutieren. Bei Erziehung und Unterrichten muss das Wohl der Lernenden und die Wirksamkeit pädagogischen Handelns im Mittelpunkt stehen. Dazu fordern wir ein Moratorium und den öffentlichen Diskurs über die notwendigen pädagogischen Prämissen des Einsatzes digitaler Medien in Bildungseinrichtungen.

Prof. Dr. Volker Bank, Technische Universität Chemnitz, Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Chemnitz

Prof. Dr. med. Jürg Barben, Leitender Arzt Pneumologie/Allergologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen

Prof. Dr. Peter Bender, Universität Paderborn, Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik, Paderborn

Prof. em. Dr. Carl Bossard, Gründungsrektor Pädagogische Hochschule PH Zug

Dr. Jutta Breithausen, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften,Institut für Erziehungswissenschaft, Wuppertal

Prof. Dr. Ute Büchter-Römer, apl. Professorin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln

Prof. Dr. Thomas Damberger, Bildungs- und Erziehungswissenschaften im Kontext der Digitalisierung, Freie Hochschule Stuttgart

Prof. Dr. Karl-Heinz Dammer, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Erziehungswissenschaft

Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophie und Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik, Heidelberg

Dr. med. Dr. h.c. Michaela Glöckler, Kinder-und Jugendärztin

Prof. Dr. Johannes Grebe-Ellis, Universitätsprofessur für Physik und ihre Didaktik, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Bergische Universität Wuppertal

Prof. Dr. Bernhard Hackl, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Schulpädagogik, Abteilung Schulpädagogik, Graz

Prof. Dr. Gaby Herchert, Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften,Germanistik, Duisburg

Prof. Dr. Norbert Hungerbühler, Departement Mathematik, ETH Zentrum, HG E63.1, Rämistrasse 101, CH-8092 Zürich

Universitätsprofessor a.D., Dr. rer. pol. Hans-Carl Jongebloed, Universität Kiel, Institut für Pädagogik, Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Prof. Dr. Rainer Kaenders, Mathematisches Institut, Hausdorff Center for Mathematics, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn

Dr. Beat Kissling, Psychologe und Erziehungswissenschaftler/Gymnasiallehrer, Zürich

Prof. em. Dr. Hans Peter Klein, Didaktik der Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt

Prof. Dr. Jochen Krautz, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Design und Kunst

Prof. em. Dr. Hans-Dieter Kübler, Professor für Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

V.i.S.d.P.: Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V., Web: https://bildung-wissen.eu Wissenschaftler fordern Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen 3 | 9

PD Dr. Axel Bernd Kunze (Univ. Bonn)

Prof. Dr. Volker Ladenthin, Arbeitsbereich Bildungswissenschaft, Lehrstuhl für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft, Bonn

Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Fakultät Medien, HS Offenburg

Hon.Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie,

Psychotherapie und Psychosomatik, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Hannover

Prof. Dr. Jürgen Rekus, Institut für Allgemeine Pädagogik, Universitätsbereich im Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe

Prof. Dr. Ingo Reuter, Kulturwissenschaften, Univ. Paderborn

Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer, Professor für Erziehungswissenschaft am Pädagogichen Seminar der Universität Göttingen

Dr. Klaus Rodens, Kinder- und Jugendarzt, Angertorstr. 6, 89129 Langenau

Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski, Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität zu

Köln, Köln

Prof. Dr. Thomas Sonar, Institut Computational Mathematics, AG Partial Differantial Equations PDE, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig

Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III

Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt, Neurobiologin, ehem. Universität Bielefeld

Prof. Dr. Christoph Türcke. em. Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

Prof. Dr. Anke Wegner, Institut für Germanistik, Didaktik der deutschen Sprache/Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universität Trier

Prof. Dr. Ysette Weiss, Institut für Mathematik, AG Fachdidaktik Mathematik, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz

Prof. em. Dr. Dr.h.c Erich Ch.Wittmann, Projekt Mathe 2000, Technische Universität Dortmund

Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik, Universität

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Die beschleunigte Erosion des deutschen Bildungswesens https://condorcet.ch/2023/01/die-beschleunigte-erosion-des-deutschen-bildungswesens/ https://condorcet.ch/2023/01/die-beschleunigte-erosion-des-deutschen-bildungswesens/#comments Sat, 07 Jan 2023 09:59:52 +0000 https://condorcet.ch/?p=12818

Ursachen und Folgen der Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 und deren Bedeutung für die gymnasiale Bildung. Wir bringen eine kritische Zusammenfassung der aktuellsten Leistungserhebung in den unteren Klassen der deutschen Volksschule. Autor ist der Kompetenkritiker, Autor und Professor Hans-Peter Klein, den wir im Condorcet-Blog schon öfters lesen durften. Hans-Peter Klein ist auch Mitglied der Gesellschaft für Wissen und Bildung, die mit unserem Blog verbunden ist.

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Ergebnisse des IQB-Bildungstrends-2021

Mit dem Bildungswesen in Deutschland ist es nicht zum Besten bestellt. Das pfeifen die Spatzen längst von den Dächern. Seit PISA 2000 und anderen IQB-Studien sollte zwar vieles empirisch begleitet und dadurch besser werden. Das erweist sich nun als frommer Wunschtraum. Der kürzlich vorgestellte IQB-Bildungstrend 2021, der auf der empirischen Ermittlung von Daten der Kompetenzstufen in Mathematik und Deutsch am Ende der vierten Klasse beruht, hat eine signifikante Abnahme in allen Kompetenzbereichen nachgewiesen. (1) Der Zeitpunkt der Erhebung war zwischen April und August 2021 und beinhaltete eine Stichprobe von 26.844 Schülern in den 16 Bundesländern. Weder die Optimalstandards, noch die Regelstandards und nicht einmal die Mindeststandards werden von großen Teilen der Probanden erreicht. In der aktuellen Studie von 2021 erreichen oder übertreffen bundesweit nur noch knapp 58 % der Schülerinnen und Schüler im Bereich Lesen, etwa 59% im Bereich Zuhören und rund 44% im Bereich Orthografie den Regelstandard, den Mindeststandard verfehlen knapp 19%. (1) In Mathematik erreichen oder übertreffen den Regelstandard 54,8%, während rund 22% nicht einmal den Mindeststandard erreichen. In Bayern und in Sachsen fällt das Ergebnis signifikant besser aus als in Deutschland insgesamt. In Bremen und Berlin werden die Regelstandards seltener erreicht oder übertroffen und die Mindeststandards häufiger verfehlt als dies deutschlandweit der Fall ist (1) In Brandenburg und NRW fallen die Ergebnisse zum Erreichen der Regelstandards in allen Kompetenzbereichen signifikant ungünstiger aus, das Erreichen der Mindeststandards in zwei Kompetenzbereichen liegt deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. (1)

Prof. Dr. Hans Peter Klein ist Präsident der Gesellschaft für Didaktik der Biowissenschaften, hatte bis 2018 den gleichnamigen Lehrstuhl an der Goethe Universität Frankfurt inne, ist Mitbegründer der Gesellschaft für Bildung und Wissen und war in den 80er du 90er Jahren Gymnasiallehrer am Städtischen Gymnasium in Rheinbach/NRW.

Vergleich der Ergebnisse der IQB-Bildungstrends-2011-2016 und 2021 (2, 3)

Der IQB-Bildungs-Trend wurde nach 2011 und 2016 im fünfjährigen Turnus 2021 zum dritten Mal erhoben und lässt auch Vergleiche über diesen Zeitraum zu. In Lesen, Orthografie und Rechnen fallen die deutschen Viertklässler immer mehr zurück. Vergleicht man die aktuelle Studie mit der von 2016, ist ein Bildungsabsturz festzustellen: Schülerinnen und Schüler erreichen in allen getesteten Kompetenzbereichen im bundesweiten Durchschnitt signifikant weniger die Regelstandards und verfehlen in gleicher Deutlichkeit die Mindeststandards. Nur in Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz blieben die Ergebnisse relativ unverändert, wenn auch auf deutlich unterschiedlichem Niveau.

Hamburg ist nicht besser geworden, sondern weniger schlecht.

Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe feierte dies bei der Vorstellung als großen Erfolg seiner hanseatischen Bildungspolitik. In der Tat ist Hamburg hinter Bayern und Sachsen auf Platz 3 vorgerückt. Die Aufstellung derartiger Rankings ist auch aufgrund der Datenerhebung mehr als fraglich und wenig aussagekräftig, wie die Leiterin der Studie, Petra Stanat, bei der Vorstellung ausdrücklich betonte. Schließlich ist man in Hamburg keinesfalls besser geworden, sondern weniger schlecht als die anderen Bundesländer.

Interessant ist, dass der Vergleich zwischen 2011 und 2016 im Kompetenzbereich Lesen keine Veränderungen auftraten. Lediglich im Bereich Zuhören und Mathematik erreichten oder übertrafen 2016 weniger Probanden den Regelstandard und etwas mehr verfehlten das Erreichen der Mindeststandards. Geschlechtsbezogene Disparitäten spielten dabei nur eine geringe Rolle.

Die Lernbedingungen dürften durch die Corona bedingten Maßnahmen des Fern- und Wechselunterrichts diesen Trend verstärkt haben.

Ein Blick auf die zuwanderungsbedingten Disparitäten zeigt allerdings ein anderes Bild. Im Jahr 2021 haben rund 38% der Kinder einen Zuwanderungshintergrund. Dies entspricht einem signifikanten Zuwachs von 14% gegenüber 2011, wobei die Anteile für die ostdeutschen Länder zwischen 7% und 9% und in den anderen Ländern Zwischen 9 % und 19% (Bremen) liegen. Aus der Studie lässt sich ablesen, dass die zu beobachtenden Kompetenzeinbußen in dieser Schülerpopulation in allen getesteten Kompetenzbereichen signifikant höher ausfielen, als bei den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund. Mindeststandards werden insbesondere dann nicht erreicht, wenn zuhause kein oder nur wenig Deutsch gesprochen wird. Die Lernbedingungen dürften durch die Corona bedingten Maßnahmen des Fern- und Wechselunterrichts diesen Trend verstärkt haben.

Das Fazit des IQB Trends 2021 lautet dann auch: „Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends liefern ein besorgniserregendes Bild. Die negativen Trends sind erheblich und der Anteil der Viertklässler:innen, die nicht einmal die Mindeststandards errei­chen, ist zu hoch. Im Jahr 2021 liegt dieser Anteil in Deutschland insgesamt zwischen gut 18 Prozent (Zuhören) und etwa 30 Prozent (Orthografie), wobei die Anteile in einzelnen Ländern noch deut­lich höher sind. Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass solche Zahlen nicht hinnehmbar sind.“ (1)

Die Folgen dieser Entwicklung werden für den einzelnen und die Gesellschaft desaströs sein. „Das holen die Kinder nie wieder auf“ äußerte sich der sonst eher sich zurückhaltende Kollege Olaf Köller, Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, in einem Interview mit der Tageszeitung Die WELT. (4) Neben der Unfähigkeit zur Berufsausbildung und der zu rechnenden Abschiebung in den noch funktionierenden Wohlfahrtstaat wären weitere wirtschaftliche und sozialpolitische Erosionen die Folge.

Boomen nicht gerade Privatschulen, weil bildungsinteressierte Eltern lieber in die Tasche greifen, um ihren Kindern die bestmögliche Bildung in einem wohlhabenden Stadtteil zukommen zu lassen. Denn längst ist bekannt, dass der Wohnort und in den Großstädten die Wohngegend entscheidend für den schulischen Erfolg sind.

“Was bremst den Bildungsabsturz“,

fragte die Wochenzeitschrift DIE ZEIT schon in ihrer Ausgabe Nr.28 vom 07.07.2022 nach Vorlage der Zahlen zurecht. (5) Die vier vorgestellten Individuallösungen Sportsgeist beim Lesen, Lückenlose Aufklärung, Familienyoga gegen Schulangst und Teamspiel als Taktik sicherlich nicht. Gerade beim letzten Vorschlag einer Schulleiterin aus einer Brennpunktschule in einem Berliner Randgebiet geht es ausschließlich um die Teamarbeit ihres Lehrerkollegiums, der Eltern, von Sozialarbeitern, der Polizei und vielen Akteuren mehr. Hat hier nicht längst die Politik versagt, die derartige Zustände überhaupt zulässt. Die Frage, die sich hier zwingend stellt ist die, wie es dazu kommen konnte und ob überhaupt Abhilfe möglich ist. Kann die Schule, kann guter Unterricht, können Lehrerinnen und Lehrer, die die Förderung aller Schüler im Blick haben müssen, bei einer solch extremen Heterogenität überhaupt allen Schülern gerecht werden. Mit Binnendifferenzierung ist es hier nicht getan. Wie konnte es die Politik es zulassen, dass überhaupt Brennpunktschulen entstanden sind? Boomen nicht gerade Privatschulen, weil bildungsinteressierte Eltern lieber in die Tasche greifen, um ihren Kindern die bestmögliche Bildung in einem wohlhabenden Stadtteil zukommen zu lassen. Denn längst ist bekannt, dass der Wohnort und in den Großstädten die Wohngegend entscheidend für den schulischen Erfolg sind. Schulen in Brennpunktgebieten müssen sicherlich andere Wege finden, um ihren sozial benachteiligten Kindern wenigstens das Erreichen der Basiskompetenzen zu ermöglichen. Das ist traurig genug, denn von Vermittlung einer grundlegenden auf Erziehung und Wissen basierten Bildung ist hier nirgends mehr die Rede. Die Antworten sind daher vielfältig und widersprüchlich zugleich und betreffen teils völlig gegensätzliche pädagogische, didaktische, soziale bis hin zu ideologischen Maßnahmen.

In Teilen der Schullandschaft hat sich ein reformpädagogische Ansätze der „Neuen Lernkultur“ durchgesetzt, in denen die neue Lehrerrolle die des Lernbegleiters sein soll und in der ein mehr offener Unterricht durch Selbstorganisation, problemlösendes, forschendes und individuelles Lernen u.a. gekennzeichnet ist. Dies gilt auch für Ausbildung im Referendariat in den meisten Bundesländern. Auch hier sei die Frage erlaubt, ob diese Konzepte durch Ergebnisse der Bildungsforschung empirisch abgesichert sind. Auch diese Frage muss mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden.

Was ist überhaupt guter Unterricht?

Auch diese Frage ist nicht nur in den Bildungswissenschaften nach wie vor umstritten. Finnland hat die Fächer weitgehend abgeschafft, was dem Land in der PISA –Studie ganz offensichtlich Spitzenplätze gekostet hat. Auch in Deutschland haben sich zumindest in Teilen der Schullandschaft reformpädagogische Ansätze der „Neuen Lernkultur“ durchgesetzt, in denen die neue Lehrerrolle die des Lernbegleiters sein soll und in der ein mehr offener Unterricht durch Selbstorganisation, problemlösendes, forschendes und individuelles Lernen u.a. gekennzeichnet ist. Dies gilt auch für Ausbildung im Referendariat in den meisten Bundesländern. Auch hier sei die Frage erlaubt, ob diese Konzepte durch Ergebnisse der Bildungsforschung empirisch abgesichert sind. Auch diese Frage muss mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden. Der Neuseeländer John Hattie hatte schon 2008 in seiner weltweit viel beachteten Metaanalyse der Funktion der Rolle des Lehrers als Lernbegleiter (teacher as facilitator) eine klare Absage erteilt. (5) In mehr als 50.000 untersuchten Einzelstudien fanden sich dafür keine Belege und es konnten nur geringe Effektstärken nachgewiesen werden. Demnach ist ein vom Lehrer gesteuerter Unterricht (teacher as instructor) wesentlich effektiver. (6) Seine Untersuchungen hat Hattie auch in den Jahren danach weiter durchgeführt und es ist nicht zu grundlegenden Änderungen in der Bewertung gekommen. Auch der dahinterstehenden konstruktivistischen Theorie erteilt Hattie eine klare Absage: „Constructivism is a form of knowing and not a form of teaching.“ (a.a.O., S. 243). Auch Kirschner und Kollegen   kommen in ihrer Metastudie zum ähnlichen Ergebnis: „Why minimal guidance during instruction does not work. An Analysis of the failure of constructivist, discovery, problem-based, experiential, and inquiry-based teaching.“ (7) Gerade Migrantenkinder ohne elterliche Unterstützung profitieren von einem durch den Lehrer gesteuerten Unterricht deutlich mehr. Beim Selbstständigen Lernen gehören sie zu den Verlierern, weil ihnen das ja gerade in ihren teils prekären Wohnverhältnissen, nicht oder nur wenig vorhandenen Büchern oder digitaler Ausrüstung und fehlender elterlicher Unterstützung kaum möglich ist.

Ein Blick in die USA

Auch die große Dame der US-amerikanischen Pädagogik, Dianne Ravitch, berichtet in ihrem weltweit bekannten Werk „The Great American School System. How Tests and Choice are Underming Education“ über schon Ende der 90er Jahre in Bezirken in New York und später in San Diego gestarteten Bildungsoffensiven. „Balanced Literaccy“ und „Constructivist Mathematics“ waren die neuen Leseprogramme, die letztlich dort kläglich gescheitert sind. (8)

Auch lohnt sich ein Blick in die Praxis in den USA, die ebenfalls je nach Bundesland unterschiedlich ist.  Allein aus rechtlichen Gründen ist dort der Unterricht sowohl an Schulen als auch an Hochschulen in buchorientiert. Alle Prüfungsaufgaben müssen die Inhalte des Buches zum Thema haben. Die Schüler haben dadurch aber die Möglichkeit, genau zu wissen, was in den Arbeiten verlangt wird. Gerade lernschwächere Schüler können nicht verstandene Kapitel durch Hausaufgaben und vielfältiges Üben anhand vielfältiger Übungsaufgaben wiederholen. Innerhalb von rund vierzehn Tagen werden täglich jeweils die nächsten Seiten durchgenommen und zum Abschluss eines jeden Kapitels wird ein Test oder eine Arbeit über genau diese Seiten geschrieben. Während des Halbjahres wird so nahezu das gesamte Buch „abgearbeitet“. (9) Der Vorteil liegt auf der Hand. Alle Schülerinnen und Schüler wissen genau, was zu tun ist. Die Mathematikbücher sind wie bei uns in den siebziger Jahren so aufgebaut, dass sie vornweg an einem ausführlichen Beispiel eine neue Augabenstellung und deren Lösung erklären. Danach folgt mindestens eine ganze Seite mit vielen Seite zu erledigenden Übungsaufgaben, die nach und nach höhere Schwierigkeitsgrade beinhalten. Ziel ist, die mathematische Problemstellung und Lösung durch Üben zu festigen.

Im Rahmen eines back to the basics ist man an vielen High-Schools hier schon einen Schritt weiter als in Deutschland und legt nach wie vor ein besonderes Augenwerk auf die Vermittlung und das wiederholende Abprüfen von grundlegenden Fachinhalten.

Schon das Wort „Üben“ ist heutzutage aus den Schulen in Deutschland weitgehend verbannt. Dabei stellt es die Grundlage einer jeden Kompetenz dar!  Selbstverständlich gibt es im Unterricht ein gemeinsames Lernziel. Jeder Schüler und auch die Eltern wissen genau Bescheid darüber, was inhaltlich verlangt wird und können sich durch Erledigung der Hausaufgaben, zusätzliches Üben oder auch Nachhilfeunterricht auf die jeweiligen Inhalte fokussieren. Auch die Bewertung ist interessant: 5 Prozent Mitarbeit, 5 Prozent Hausaufgaben und 90 Prozent Faktenwissen! Methoden wie Gruppenarbeit und Präsentationen: 0 Prozent. Im Rahmen eines back to the basics ist man an vielen High-Schools hier schon einen Schritt weiter als in Deutschland und legt nach wie vor ein besonderes Augenwerk auf die Vermittlung und das wiederholende Abprüfen von grundlegenden Fachinhalten. Außerdem wird jedes Fach in vier unterschiedlichen Leistungsstufen angeboten, sodass man sich erst einmal selbst entsprechend seine Vorkenntnissen einnorden kann. Auch die Amerikaner haben mit Zuwanderern und Teilen der afro-amerikanischen Bevölkerung durchaus ein Bildungsproblem, indem es dort auf den Wohnort und den Geldbeutel ankommt, ob

Segregierte Schulen in Geselkirchen

man eine gute Bildung erhält. Diese Entwicklung haben wir in Deutschland mittlerweile auch, vor allem in den Städten. In teuren Gegenden liegen die Migrantenanteile beispielsweise an einem Gymnasium vor allem bildungsferner Schichten bei unter 10%, auf der anderen Rheinseite in Köln-Kalk bei 85%, Tendenz überall in deutschen Großstädten stark zunehmend. Für die meist tabuisierte Frage, ob ein Bildungswesen für derartige gesellschaftliche Entwicklungen eine Art Reparaturanstalt darstellt, gibt es eigentlich nur eine klare Antwort: das kann Schule und können Lehrerinnen und Lehrer gar nicht leisten, es ist vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Problem. Auch müsste hier entsprechend dem hoch gelobten kanadischen Vorbild ein entsprechendes Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht werden, dass zumindest Zuwanderung aus bildungsfernen Schichten minimiert. Ähnlich äußerte sich die NRW-Staatssekretärin für Integration, Serap Güler, in einer Talkshow bei Markus Lanz, selbst mit Migrationshintergrund. Dass wir im Vergleich mit anderen europäischen Staaten vielfach höhere finanzielle Leistungen gewähren, sei der „falsche Weg“ und sprach von einem „Pull-Effekt“. (10)

Und das Gymnasium?

Was hat diese Entwicklung nun mit dem Gymnasium zu tun? Seit der Jahrtausendwende hat auch dort eine kontinuierliche Erosion des Leistungsniveaus zweifellos stattgefunden. Das bestreitet heute eigentlich niemand mehr. Gründe dafür gibt es viele. Erst einmal werden die

Die Ungleichheit ist irritierend.
Im Gymnasium findet derzeit eine Bildungserosion statt.

oben geschilderten Bildungsdefizite von unten nach oben durchgereicht. Zweitens sind die Abiturientenzahlen auf politischen Wunsch hin seit den 90 er Jahren in nahezu allen Bundesländern verdoppelt worden. Das geht nur über eine Absenkung der Leistungsanforderungen, wie viele Untersuchungen speziell von schriftlichen Abiturarbeiten gezeigt haben. (11) Das in den meisten Bundesländern mittlerweile geltende Elternwahlrecht hat ein Übriges dazu getan. Trotzdem sind auf subtilen Druck von oben die Noten im Abitur kontinuierlich besser geworden, selbst in Corona Zeiten, in denen man davon ausgehen kann, dass bis zu einem Dreiviertel Jahr Lernrückstände entstanden sind. Das Fatale ist, dass sich kein Politiker traut, dies klar nach außen auszusprechen. Stattdessen beherrscht man die Fähigkeit des Gesundlügens in besonderem Maße. Nach dem Abitur erreichen die Defizite dann die Hochschulen, die ihrerseits dazu angehalten werden, jedem Studierwilligen in der Regelstudienzeit seinen Bachelor zu überreichen, womit Eltern, Schüler, Studierende und natürlich Politiker dann zufrieden sind (12). Leistung wird nicht mehr entsprechend gefördert, sondern als Ausgrenzung bewertet. Spitzenämter in der Politik werden mittlerweile nach Gruppenzugehörigkeit und nicht mehr nach Leistung vergeben. Ein fatales Zeichen, dass sich Leistung nicht mehr lohnt. Dies wird weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Erosionen zur Folge haben.

Hinzu kommt, dass die im Rahmen der Ökonomisierung erfolgte Umstellung auf Kompetenzorientierung die ehemaligen gymnasialen Bildungsanhalte nahezu pulverisiert hat. Von Bildung und Wissen ist kaum noch die Rede. Am deutlichsten lässt sich dies durch die allgemeine Reduzierung des Fächerkanons und seiner Inhalte in den Kultusministerien nach dem Motto beschreiben: „Ist das Kompetenz oder kann das auch weg?“ Ursprünglich einmal als Grundlage einer Allgemeinbildung für wesentlich befundenen Fächer wie Latein, Griechisch oder gar Altgriechisch wurden nach und nach aus dem Fächerkanon des Gymnasiums ausgedünnt und sind nur noch rudimentär oder gar nicht mehr vorhanden.

Die Digitalisierung scheint von Ihren Protagonisten als Allheilmittel wahrscheinlich auch gegen die oben erwähnten Disparitäten wirksam zu sein.

Jetzt soll die Digitalisierung es richten. Jeder ältere Praktiker wird über so viel Enthusiasmus nur müde lächeln. Die Digitalisierung scheint von Ihren Protagonisten als Allheilmittel wahrscheinlich auch gegen die oben erwähnten Disparitäten wirksam zu sein. Dabei ist sie doch nur eine Methode, mit der eigentlich die Inhalte verständlich den Schülern vermittelt werden sollen. Die Digitalisierung ist allerdings kein Bildungsinhalt an sich! Wo sie Vorteile zum Verständnis einer Sache bringt, sollte sie natürlich eingesetzt werden.

Das Schlusswort soll mein Kollege und Philosoph Konrad Liessmann haben. Nach seiner „Theorie der Unbildung“ folgte der zweite Band „Geisterstunde – die Praxis der Unbildung“, die die derzeitige Entwicklung auf den Punkt bringt: „Wo Kompetenzen vermittelt, Tests ausgefüllt, im Team geteacht, international verglichen und modular studiert wird – dort ist die Praxis der Unbildung am effizientesten.“  (13

 

Quellen

1) Stanat, P., Schipolowski, S., Schneider, R., Sachse, K. A., Weirich, S. & Henschel, S. (Hrsg.). (2022). IQB-Bildungstrend 2021. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im dritten Ländervergleich. Waxmann.

(2) Stanat, P.,  Schipolowski, S., Rjosk, C., Weirich, S., Haag, N. (Hrsg. (2017). IQB-Bildungstrend 2016. Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich. Waxmann.

(3) Stanat, P., Pant, H.A., Böhme, K., Richter, D. (Hrsg.) (2012) Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs 2011. Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik. Waxmann.

(4) Köller, Olaf im Interview mit der WELT vom 08.11.2022): Das holen die Kinder nie wieder auf. https://www.welt.de/politik/deutschland/plus241930689/Bildungskrise-Das-holen-die-Kinder-nie-wieder-auf.html

(5) Schoener, J. (2022) Was bremst den Bildungsabsturz? DIE ZEIT Nr. 28

6) Hattie, John (2009). Visible Learning. A synthesis of over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement. S. 247f

(7) Sweller, J., Kirschner, P., Clark, R. (2006). Why minimal guidance during instruction does not work: An analysis of the failure of constructivist, discovery, problem-based, experiential, and inquiry-based teaching. Educational Psychologist 41(2), 75-86

(8) Ravitch, D. (2010): The Death and Life of the Great American School System: How Tests and Choice are Undermining Education. Basic Books, New York

(9) Klein, Hans Peter (2016) Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen. Das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel. ZuKlampen, Springe

(10) Lanz, Markus vom 12.10.2022: Serap Güler kritisiert Asyl-Politik scharf – “Das falsche Signal”. https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-12-oktober-2022-100.html

(11) Klein, Hans Peter (2010): Die neue Kompetenzorientierung. In: Journal für Didaktik der Biowissenschaften (F) 1, 1-8.

(12) Klein, Hans Peter (2018) Abitur und Bachelor für alle. Wie ein Land seine Zukunft verspielt. ZuKlampen, Springe

(13) Liessmann, Konrad (2014) Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Zsolany.

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«Immer mehr Eltern betrachten die Schule als niedere Serviceleistung», sagt der ehemalige Gymilehrer Carl Bossard https://condorcet.ch/2022/11/immer-mehr-eltern-betrachten-die-schule-als-niedere-serviceleistung-sagt-der-ehemalige-gymilehrer-carl-bossard/ https://condorcet.ch/2022/11/immer-mehr-eltern-betrachten-die-schule-als-niedere-serviceleistung-sagt-der-ehemalige-gymilehrer-carl-bossard/#respond Fri, 25 Nov 2022 02:17:51 +0000 https://condorcet.ch/?p=12409

Condorcet-Autor Carl Bossard hat der NZZ ein langes Interview gegeben, das wir hier gerne aufschalten. Er fordert, dass Reformen der vergangenen Jahre wie der integrative Unterricht und die Fremdsprachen in der Primarschule teilweise rückgängig gemacht werden.

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Daniel Gerny, NZZ Korrespondent in der Nordwestschweiz.
Eric Aschwanden

Herr Bossard, Sie haben Ihr Berufsleben an Schulen verbracht. Würden Sie heute wieder Lehrer werden?

Ich war leidenschaftlich gerne Lehrer. Mich fasziniert es, mit Schülerinnen und Schülern unterwegs zu sein, ihren Gedankenkreis zu erweitern und sie so zu verstehenden Menschen auszubilden. Aber ich bin nicht sicher, ob ich diesen wunderbaren Beruf noch einmal ergreifen würde.

Weshalb?

Ebenso prägend wie die Leidenschaft für die Pädagogik war für mich stets die Freiheit, die ich als Lehrer hatte. Mit Freiheit ist Verantwortung verbunden – in diesem Fall die Verantwortung für die Kinder und ihre Lernfortschritte. Verantwortung wahrnehmen braucht Freiheit. Die Leidenschaft für das Pädagogische und damit die humane Energie kommen aus Freiheit, nicht aus lehrmethodischen Direktiven und engen operativen Vorgaben. Heute gibt es so viele Vorschriften zu den Lehrmethoden, dass viel dieser Freiheit verlorengeht. Die Freiheit wird eingeengt.

Wenn wir die Schule von heute mit jener von früher vergleichen, ist die Vielfalt in Inhalt und Form des Unterrichts jetzt doch viel grösser. Ist der Beruf nicht sogar freier geworden?

Auf den ersten Blick vielleicht. Die Themenvielfalt hat tatsächlich zugenommen. Stil und Form des Unterrichts haben radikal geändert. Doch genau darin liegt auch eines der Probleme: Die Fächerzahl und die Fülle der Aufgaben an den Schulen haben derart stark zugenommen, dass viele Kernaufgaben wie beispielsweise das Einüben eines grundlegenden Zahlenverständnisses zu kurz kommen.

Das heisst, auch die Stoffmenge ist zu gross?

Ja. Zunahme von Inhalten bedeutet Abnahme des Festigens. Und nicht nur das. Hinzu kommt die heterogenere Zusammensetzung der Schulklassen als Folge der integrativen Schule und der altersdurchmischten Klassen. Wenn der Stoff umfangreicher und der Unterricht komplexer wird, muss zwingend an einem anderen Ort kompensiert werden. Genau das passiert auch: Zu kurz kommen das Üben und das Automatisieren. Verbindlichkeit und Effizienz der Lernprozesse nehmen ab.

Man wollte die Schule mit Vorgaben von oben und von aussen sowie mit mehr Investitionen in eine gewisse Richtung lenken und effizienter machen. Man hoffte, so bessere Resultate zu erreichen. Das hat nicht funktioniert.

Auch die Herausforderungen haben sich geändert. Ist es nicht notwendig, dass die Schule mit der Zeit geht?

Das bestreite ich nicht. Die Schule muss sich anpassen, die Lehrerinnen und Lehrer müssen es ebenfalls. Mit den Reformen hat man versucht, die Logik der Betriebswirtschaft auf die Schule zu übertragen. Aber eine Klasse ist nun einmal keine Firma. Man wollte die Schule mit Vorgaben von oben und von aussen sowie mit mehr Investitionen in eine gewisse Richtung lenken und effizienter machen. Man hoffte, so bessere Resultate zu erreichen. Das hat nicht funktioniert.

Weshalb nicht?

Lehrplan 21: Veränderung der Denkweise.

Mit der Einführung des Lehrplans 21 erfolgte auch eine Änderung in der Denkweise. Statt auf fachliche und inhaltliche Lernziele fokussiert die Schule seither vor allem auf den Output. Das zeigt sich in der Kompetenzsprache. Alles muss messbar und kontrollierbar sein. Das Lernen hat an Bedeutung verloren, und an dessen Stelle ist einseitig das Können getreten. Das hat äusserst dichte und dicke Lehrplanvorgaben zur Folge. Das geht bis zu absurden Formulierungen wie: «Die Schülerinnen und Schüler können nach einer langen Laufbelastung die Geschwindigkeit anpassen.»

Schülerinnen und Schüler wissen heute also weniger als früher?

20 Prozent der Schülerinnen und Schüler können nach dem Abschluss der obligatorischen Schulzeit einen Zeitungsartikel zwar lesen, verstehen ihn aber nicht – und das im teuersten Bildungssystem der Welt! Zwei bis drei von zwanzig Kindern einer Klasse lesen und schreiben beim Schulabschluss nur unzureichend. Ich selbst habe in meiner Zeit an der Pädagogischen Hochschule Texte von Studierenden erhalten, die Symptome sprachlicher Verwahrlosung aufwiesen. Hier liegt ein Systemversagen vor.

Die Schulreformen haben die Chancengleichheit kaum verbessert.

Liegt das an der Schule? Das geschriebene Wort hat unter dem Einfluss von Fernsehen, Internet und vor allem dem Smartphone ganz generell an Bedeutung verloren.

Das Kernproblem liegt beim Verstehen. Text lesen und Sinn verstehen wird für manche zur Schwerstarbeit. Umso mehr müsste die Schule Gegensteuer geben, nicht zuletzt im Interesse von Kindern aus Kreisen, die aus sozial eher schwächeren Familien kommen und es schwerer haben. Und hier liegt meines Erachtens eines der grössten Probleme: Die Schulreformen haben die Chancengleichheit kaum verbessert.

Weshalb trifft es vor allem eher schwächere Schülerinnen und Schüler?

Sie leiden am stärksten darunter, wenn den Lehrpersonen Zeit und die Möglichkeit fürs Üben und Anwenden fehlen. Ausserdem setzt der Lehrplan stark auf selbständiges Lernen. Das überfordert viele und bevorteilt die ohnehin schon lernstarken Kinder.

Plädoyer für eine strukturierten Unterricht.

Ist das ein Plädoyer für den Frontalunterricht nach alter Schule?

Nein! Es ist ein Plädoyer für einen geführten und strukturierten Unterricht – schülerzentriert, aber lehrergesteuert. Gerade sozial benachteiligte Kinder sind darauf angewiesen. Oder wie es der kürzlich verstorbene linksliberale Pädagoge Hermann Giesecke formulierte: «Nahezu alles, was die moderne Schulpädagogik für fortschrittlich hält, benachteiligt die Kinder aus bildungsfernem Milieu.»

Schon immer klagten Eltern, Hochschulen und Lehrmeister darüber, dass die Schule früher besser gewesen sei. Ist das heute nicht einfach auch so?

Sicher kommt es in der Bildungsdebatte auch zur Verklärung der Vergangenheit. Das wissen wir aus der Forschung. Aber es wäre falsch, die Probleme mit diesem Argument kleinzureden. Die internationalen Vergleichsstudien zeigen, dass die Schweiz vor allem bei der Lese- und Rechenkompetenz zurückgefallen ist. Im Übrigen benötigen 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler heute Nachhilfeunterricht. Und dies, obwohl wir heute zweieinhalb Mal so viel ins Bildungssystem investieren wie 1996, nämlich über 40 Milliarden Franken.

Sehen Sie auch Dinge, die sich verbessert haben?

Die Schule ist vielfältiger, bunter und fröhlicher geworden. Die Zeiten, als die Schule nur autoritär auftrat und deshalb stark mit Angst verbunden war, sind vorbei. Die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler stehen heute stärker im Vordergrund. Das ist ein grosser Fortschritt.

Viele Lehrerinnen und Lehrer sehen das nicht so positiv. Sie sagen, das integrative Modell überfordere die Schule.

Auch ich frage mich, ob die Integration von Schülern mit völlig unterschiedlichen Fähigkeiten und Leistungen tatsächlich der richtige Weg ist. Wir haben zwar zusätzliches, qualifiziertes Personal wie etwa Lehrerinnen für integrative Förderung im Klassenzimmer. Das hat aber Folgen. Einerseits unterrichten bereits bei den Erstklässlern mehrere Lehrerinnen. Andererseits verkompliziert das die Organisation und absorbiert bei den Klassenverantwortlichen viel Energie und Zeit. Sie fehlen im Kernbereich Unterricht.

Aber ist es aus der Sicht der Betroffenen nicht besser, wenn sie möglichst lange in der Regelklasse integriert bleiben?

Es gibt Kreise, die Integration zum Menschenrecht stilisieren.

Ist es das nicht?

Es ist ein Menschenrecht, dass ich entsprechend meinen Fähigkeiten möglichst gut ausgebildet werde für ein Leben in Freiheit. Die Integration als solche ist kein Menschenrecht. Wer dieses Prinzip kritisiert, gilt schnell als inhuman und Misanthrop.

Aber Integration ist doch im Interesse der Betroffenen.

Sie ist nicht im Interesse aller Schülerinnen und Schüler. Das sagen viele erfahrene Lehrerinnen und Lehrer. Wer schulische Defizite hat, bekommt dies Tag für Tag vor den Augen seiner Mitschüler vorgeführt, die diese Schwächen nicht haben. Das ist kontraproduktiv und deprimierend. Wir wissen längst, dass sich ein Teil der betroffenen Schüler in Klassen mit besonderer Förderung, also in Kleinklassen, wohler fühlt. Auf diese Weise können sie besser und gezielter unterstützt werden.

Die logische Konsequenz wäre, mindestens eine der frühen Fremdsprachen wegzulassen, um mehr Zeit für die Basics zu erhalten.

Neben dem integrativen Unterricht geraten auch die Fremdsprachen auf der Primarstufe zunehmend in die Kritik.

Momentan werden die Schülerinnen und Schüler mit der ersten Fremdsprache konfrontiert, bevor sie richtig lesen und schreiben können. Vor allem für schwächere und fremdsprachige Schüler ist diese Situation enorm belastend. Zudem sind die Lernresultate ernüchternd. Die logische Konsequenz wäre, mindestens eine der frühen Fremdsprachen wegzulassen, um mehr Zeit für die Basics zu erhalten. In der Primarschule muss man sich wieder stärker auf die Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen konzentrieren.

Denken Sie, dass es noch möglich ist, diese und andere Reformen rückgängig zu machen?

Ich bin von Natur aus ein Optimist. Aber wenn ich die vergangenen Jahre betrachte, glaube ich nicht, dass Bildungspolitiker zugeben können, dass sie sich verrannt haben. Auf ein Wort der Selbstkritik wartet man wohl vergeblich. Es wird immer wieder behauptet, die Schweiz habe ein ausgezeichnetes Bildungswesen mit einem ausgeklügelten Fördersystem. Doch wenn ich die Resultate sehe, dann kommen mir Zweifel, ob dem tatsächlich so ist.

Viele Schülerinnen und Schüler haben am Ende der Primarstufe Defizite.

Woran machen Sie das fest?

Eine Google-Recherche zu den Stichworten «Nachhilfe, Gymivorbereitung, Zürich» ergibt eine lange Liste von Angeboten – vom Schwarz- und vom Graumarkt für Zusatzlektionen nicht zu reden. Die Nachfrage muss gross sein, sonst gäbe es diesen Markt nicht. Viele Kinder weisen also am Ende der Primarschule Defizite auf. Eltern wollen das kompensieren. Gleichzeitig steigt die Zahl von Homeschoolern, von Kindern, die zu Hause unterrichtet werden. Sie hat sich in allen Kantonen vervielfacht, allerdings noch auf niedrigem Niveau. Das sind fatale Alarmzeichen für die Volksschule.

Doch die Maturitätsquote nimmt zu, und immer mehr Jugendliche absolvieren eine Ausbildung an einer Universität oder an einer Fachhochschule. Ist das nicht ein Erfolgsausweis für die moderne Schule?

Höhere Quoten gehen oft mit sinkenden Ansprüchen einher. Der Zusammenhang von «upgrading access and downgrading skills» ist bildungsgeschichtlich nichts Neues: Qualität und Quote korrelieren umgekehrt. Aus deutschen Schulen ist bekannt, dass die Noten besser geworden sind. Allerdings nur deshalb, weil die Ansprüche nach unten nivelliert wurden.

Gerade beim Übertritt ins Gymnasium machen die Eltern oft Druck. Wie hat sich die Rolle der Eltern im Schulsystem in den vergangenen Jahren geändert?

Meine Eltern waren, so habe ich es zumindest in Erinnerung, an keinem Elternabend. Sie haben den Lehrern vertraut. Dies hat sich mit der Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft geändert. Nach wie vor unterstützen die meisten Mütter und Väter die Lehrpersonen. Doch es gibt leider immer mehr Eltern, die die Schule als niedere Serviceleistung des Staates betrachten. Diese Institution hat in ihren Augen die Aufgabe, ihr Kind fit zu trimmen für eine Gesellschaft im globalisierten Konkurrenzkampf. Wenn diese Eltern negative Rückmeldungen seitens der Lehrer nicht akzeptieren und gleich mit dem Anwalt drohen, erschwert das die pädagogische Arbeit.

Der schwierige Umgang mit Eltern ist nur ein Grund, warum der Lehrermangel immer gravierender wird. Wo liegen weitere Ursachen?

Ich weiss aus vielen Gesprächen, dass sich Lehrerinnen und Lehrer heute kaum mehr eine volle Stelle zutrauen. Der Beruf ist herausfordernder und aufreibender geworden. Es wird immer schwieriger, Klassenlehrer zu finden, die die ganze Verantwortung übernehmen und die komplizierte Koordination bewältigen wollen. Ich habe als Rektor meinen Klassenlehrern Sorge getragen. Sie waren für mich die wichtigsten Bausteine einer guten Schule.

Trotz all diesen Defiziten gehen viele Schülerinnen und Schüler immer noch gerne zur Schule und bringen gute Leistungen. Woran liegt das?

Es liegt an den engagierten Lehrerinnen und Lehrern, die sich mit Leib und Seele um einen guten Unterricht bemühen. Die sich jeden Tag fragen, was pädagogisch wichtig und richtig ist. Viele Lehrpersonen arbeiten in diesem immer komplexer gewordenen System mit einer kreativen Dissidenz der Unterlassung. Sie akzeptieren nicht einfach alle Vorgaben von oben. In den Schulen passiert täglich viel Gutes, und das stimmt mich trotz allem optimistisch.

Pädagoge mit Leib und Seele

Carl Bossard ist diplomierter Sekundar- und Gymnasiallehrer. Während seiner beruflichen Laufbahn war er unter anderem Rektor der kantonalen Mittelschule Nidwalden sowie Direktor der Kantonsschule Alpenquai in Luzern. Als Gründungsrektor zeichnete er verantwortlich für den Aufbau der Pädagogischen Hochschule Zug. Auch nach seiner Pensionierung beschäftigt er sich mit schulgeschichtlichen und bildungspolitischen Fragen. Heute begleitet der 73-Jährige Schulen in pädagogischen und Schulentwicklungsfragen. Ausserdem leitet er Weiterbildungskurse.

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Zwei Studien der Kaufmännische Krankenkasse (KKH) von 2020 und 2022 über Zeiträume von jeweils zehn Jahren belegen die zunehmenden Sprachdefizite und Sprechstörungen von Kindern und Jugendlichen. Diese Schwächen verhindern die persönliche Entwicklung und erschweren Bildungsprozesse, weil das Sprechen unsere primäre Form der Kommunikation und Grundlage der Teilhabe an der Gemeinschaft ist. Ein Beitrag von Condorcet-Autor Ralf Lankau.

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau

Immer mehr Kindern fehlen die Worte – lautete die Überschrift der KKH-Studie über die Zunahme von Sprach- und Sprechstörungen von Kindern und Jugendlichen für den Zeitraum von 2009 bis 2019 (KKH 2020). Zwei Jahre später und für den untersuchten Zeitraum von 2011 bis 2021 sind noch mehr Kinder und Jugendliche betroffen. „Sprachtherapie statt Spiel, Sport und Spaß“ lautet die Überschrift nun (KKH 2022). Die steigenden Zahlen sind bedrückend, das Therapieren der Kinder greift zu kurz.

Im Jahr 2021 wurden bei 8,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen Sprachdefizite[1] festgestellt, gegenüber 7,4 Prozent im Jahr 2019 und 5,2 Prozent im Jahr 2011. Der Anteil der Betroffenen in den verschiedenen Altersgruppen lag 2021 bei den 6- bis 10-Jährigen bei 16,0 Prozent (2019: 14,7), bei den 11- bis 14-Jährigen bei 5,5 Prozent (2019: 4,9) und bei den 15- bis 18-Jährigen bei 2,4 Prozent (2019: 2,0). Das mag man für relativ wenig halten, aber es bedeutet, dass acht Prozent der Kinder und Jugendlichen im vergangenen Jahr unter nicht altersgerechter Sprachbeherrschung litten, jeder zehnte Junge und jedes 16. Mädchen.[2] Wichtiger als absolute Zahlen sind Tendenzen. Die Zahl der betroffenen 11- bis 14-Jährigen mit mangelnden Sprachkompetenzen stieg von 2011 auf 2021 um rund 107 Prozent, bei den 15- bis 18-Jährigen um 151 Prozent.

Sprechen und Verstehen (können) sind die Grundlage für eine qualifizierte berufliche Zukunft.

Zu den typischen Sprachdefiziten gehören ein begrenztes Vokabular und ein geringer Wortschatz, Probleme bei der Artikulation von Lauten oder der Satzbildung sowie Grammatikschwächen. Sprachvermögen und Artikulationsfähigkeit sind elementare Bedingungen für die Entwicklung der Persönlichkeit[3], für das Sozialverhalten innerhalb von Gemeinschaften und für eigenständiges Denken. Sprachbeherrschung ist ebenso Bedingung für einen reflektierten und selbstbestimmten Umgang mit Medien. Ein qualifizierter Wortschatz und ein gutes Sprachverständnis sind die Grundlage für Lernen und Bildungsprozesse, die überwiegend sprachlich vermittelt werden. Sprechen und Verstehen (können) sind die Grundlage für eine qualifizierte berufliche Zukunft. Wer sich nicht mitteilen, wer nicht mitreden kann, muss schweigen und wird zum Hörigen, wie es Günter Anders formulierte und ist zudem schnell Ziel von Hänseleien, Mobbing und sozialer (Selbst)Isolation mit allen möglichen Folgen psychischer Belastung. Schweigenmüssen aus Mangel an Sprache ist für kommunikative Wesen wie den Menschen eine Strafe.

(Un-)Geteilte Aufmerksamkeit

Regelmäßiges Üben hilft, fördert und trainiert.

In seltenen Fällen sind Hörprobleme oder genetische Veranlagungen Ursachen für Defizite bei der Sprechentwicklung. In Zeiten der Pandemie waren dies vor allem fehlende Sozialkontakte zu Lehrkräften und Gleichaltrigen und damit die fehlenden üblichen Gelegenheiten außerhalb der eigenen Familie, die die Grundlage für den Spracherwerb legt. Die meisten Kinder beginnen mit ein- bis anderthalb Jahren die ersten Wörter zu sprechen, manche bereits im Alter von neun bis zwölf Monaten. Ein paar Kinder lassen sich deutlich mehr Zeit und beginnen erst mit zwei oder zweieinhalb Jahren.[4] Mädchen sprechen i.d.R. etwas früher als Jungen. Auch der aktive Wortschatz variiert bei Kindern stark und kann bei 20 Monate alten, sich “normal” entwickelnden Kindern zwischen 50 und ca. 200 Wörtern liegen. Diese Varianz erklärt sich aus der individuellen Entwicklung des Kindes und der gezielten Förderung durch Sprechanlässe. Regelmäßiges Üben hilft, fördert und trainiert.

Sprechen Sie darüber, was Sie sehen. Vom Sehen alleine lernt man nicht Sprechen.

Dazu kommen mit zunehmendem Alter mehr Außenkontakte beim gemeinsamen Spielen, später beim Lernen, beim Sport oder auch beim Streiten. Sprechen lernt man nur mit einem direkten Gegenüber – von Angesicht zu Angesicht und wenn man aufeinander konzentriert ist. Das reine Hörverstehen ohne Blickkontakt setzt ein Sprachverständnis und den entsprechenden Wortschatz ja bereits voraus, weshalb Kinder z.B. erst mit sieben oder acht Jahren telefonieren lernen. Bastian Resch, Mediziner der KKH, forderte deshalb in der ersten Studie von 2020: „Fördern Sie die Sprachkompetenz Ihres Kindes in allen Altersstufen kontinuierlich und aktiv. Lächeln Sie Ihr Kind an, wenn es anfängt zu brabbeln oder durch Mimik und Gestik mit Ihnen Kontakt aufnimmt. Dadurch bestärken Sie Ihren Nachwuchs, mit Ihnen zu kommunizieren. Lesen Sie Ihrem Kind viel vor, wenn es noch klein ist. Führen Sie Gespräche mit Ihren Kindern über unterschiedliche Themen und sorgen Sie so für ausreichend Sprachreize.“ Ebenso wichtig: Lassen Sie Kinder zuhören (Radio, Märchen CDs), lesen Sie vor und schauen Sie gemeinsam Bilderbücher. Sprechen Sie darüber, was Sie sehen. Vom Sehen alleine lernt man nicht Sprechen.

Steigende Bildschirmzeiten

Sprechanreize sind das eine. Bei älteren Kindern und Jugendlichen, deren Sprachentwicklung zwar nicht abgeschlossen ist, weil sich Sprache, Wortschatz und Artikulationsfähigkeiten lebenslang entwickeln (können), kommen weitere Faktoren dazu. Die Pandemie führte durch das Schließen von Bildungs- und Sozialeinrichtungen wie Kitas, Schulen, Sportvereinen, Spielplätzen und Jugendzentren sowohl zu fehlenden Sozialkontakten wie zu fehlenden Sprechanlässen. Das hatte beinahe zwangsläufig deutlich erhöhte Bildschirmzeiten an TV, Smartphone oder Tablet zur Folge, auch um die außerfamiliäre Kommunikation mit Freunden aufrecht zu erhalten.[5] Wenn dann Distanzunterricht und Lernapp oder Home Office noch auf den gleichen Geräten laufen wie YouTube und Instagram (bzw. bei den jungen Leuten TikTok), bedarf es einer ausgeprägten (Selbst-)Disziplin, die Zeit am Bildschirm mit konzentrierter Arbeit und Lernen zu verbringen statt mit per Klick erreichbaren Unterhaltungsmedien.

Social Media-Kanäle lenken Aufmerksamkeit, Konzentration und Kommunikation ins Netz. Zugleich wird das Belohnungssystem korrumpiert.

Social Media-Kanäle lenken Aufmerksamkeit, Konzentration und Kommunikation ins Netz.

Hinzu kommt: Die Oberflächen und interaktiven Elementen der Apps sind so gestaltet, dass sie unsere volle Aufmerksamkeit und Konzentration beanspruchen. Der Mensch kann seine Aufmerksamkeit nicht teilen, er ist nicht multitaskingfähig und kann immer nur eine Sache konzentriert machen. Social Media-Kanäle lenken Aufmerksamkeit, Konzentration und Kommunikation ins Netz. Zugleich wird das Belohnungssystem korrumpiert. Das primäre Bedürfnis des Menschen ist es, wahrgenommen zu werden und Zuwendung zu bekommen. Dafür schauen Menschen alle paar Minuten aufs Display. Neugier und die Erwartung einer Reaktion mischt sich mit der Angst, etwas zu verpassen (FoMo – Fear of Missing out). Dabei ist es egal, ob es ein echtes oder computergeneriertes Feedback ist. Ein Like oder ein belangloser Retweet genügen. Das wird durch automatisiertes Feedback geschickt ausgenutzt, um User länger an den Displays zu halten.

Mit solchen aus der Psychologie abgeleiteten Tricks  wird unser Verhalten gesteuert und gezielt Suchtverhalten ausgelöst und aufgebaut. Die Begriffe dafür sind „persuasive, d.h. verhaltensändernde Technologien“ und „affective computing“, Techniken, die durch dein Einsatz von sogenannter „Künstlicher Intelligenz“[6] menschliche Affekte und Emotionen erkennen und durch gezielte Interaktionen steuern (sollen). Dabei bleibt man im behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema des Vorbewussten. Gesprochen wird eher selten. Man klickt Buttons und schickt Emojis und schaut weiter Videos und Werbung. So funktionieren die Geschäftsmodelle der Datenökonomie. Nur wenn wir auf Bildschirme schauen, kann man dort Werbung schalten und verkaufen. Und Menschen aller Altersstufen verbringen Stunde um Stunde am Display.

(Un-)Geteilte Aufmerksamkeit

Logopädische (sprachtherapeutische) Behandlungen bei Kindern sind bereits eine Reaktion auf Entwicklungsdefizite durch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung beim Sprechenlernen im familiären und später im schulischen Kontext.

Wer auf ein Display oder Touchscreen schaut, kann nicht gleichzeitig Blickkontakt mit einem realen Gegenüber halten. Aufmerksamkeit für und Konzentration auf mein Gegenüber ist aber die notwendige Voraussetzung für gelingende Kommunikation und einen im Wortsinn zwischenmenschlichen Dialog. Es wird niemand bestreiten, dass sich das Kommunikationsverhalten der meisten Menschen durch Smartphones und Tablets stark verändert hat. Auch wird niemand bestreiten, dass gerade Kinder und Jugendliche besonders offen sind für neue Medienformen. Alles aber, was wir intensiv und mit großer emotionaler Beteiligung tun, verändert unsere Persönlichkeit und unser (Sozial-)­Verhalten. Jeglicher Medienkonsum prägt unser Leben, unsere Erwartungshaltung und unsere Weltsicht. Wenn nun smartphonesüchtige Eltern „keine Zeit“ finden, ihren Kindern das Sprechen beizubringen, weil sie aufs Display starren, muss man mit der Therapie bei ihnen beginnen. Logopädische (sprachtherapeutische) Behandlungen bei Kindern sind bereits eine Reaktion auf Entwicklungsdefizite durch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung beim Sprechenlernen im familiären und später im schulischen Kontext.

Der immer frühere Einsatz von digitalen Endgeräten (mittlerweile in der Kita) und steigende Bildschirmzeiten bei Kindern und Jugendlichen wirken sich negativ auf Aufmerksamkeitsspannen, Konzentrationsfähigkeit, motorische, kognitive und sprachliche Fertigkeiten aus.

Solche Erkenntnisse sind nicht neu. Erinnert sei an die BLIKK-Studie von 2018[7] oder die regelmäßigen IQB-Bildungstrends und Ländervergleiche[8], die über immer größere Kohorten von Viertklässlern berichten, die nach vier Schuljahren die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreichen. Die gleiche negative Tendenz zeigen die Ergebnisse von VERA (VERgleichsArbeiten in der 3. und 8. Jahrgangsstufe, VERA-3 und VERA-8). Bei allen Unterschieden der Untersuchungen und Studien ist als Gemeinsamkeit festzustellen, dass der immer frühere Einsatz von digitalen Endgeräten (mittlerweile in der Kita) und steigende Bildschirmzeiten bei Kindern und Jugendlichen sich negativ auf Aufmerksamkeitsspannen, Konzentrationsfähigkeit, motorische, kognitive und sprachliche Fertigkeiten auswirken. Man kann das als Korrelation verharmlosen und Kausalitäten leugnen. Richtig ist, dass immer viele Ursachen bei solchen Entwicklungen zusammenspielen. Doch alleine die täglichen Bildschirmnutzungszeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (!) sind ein eindeutiges Signal für die immense Bedeutung und damit Einflussmacht, die die Anbieter von Netzdiensten mittlerweile auf den Alltag und das Erleben der meisten Menschen haben. Auch die Gegenmittel sind, zumindest für Bildungseinrichtungen, bekannt: Präsenzunterricht und direkter Dialog, das Lernen und Arbeiten in der Klassen- als Sozialgemeinschaft und das direkte, kommunikative Miteinander. Ob dabei ergänzend und/oder begleitend Digitaltechnik eingesetzt wird, ist nachgeordnet.

 

Quellen

Anders, Günter (1985): Die Antiquiertheit des Menschen, 1985, Bd. 1, S. 107: „ Da die Geräte uns das Sprechen abnehmen, ver­wandeln sie uns in Unmündige und Hörige.“

KKH (2022): Vor allem ältere Kinder haben häufiger Sprachdefizite / Corona schuld? Hannover, 22.09.2022, https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/sprachdefizite

KKH(2020) Sprach- und Sprechstörungen bei Jungen häufiger – Erhöht Corona-Krise das Risiko?, https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/immer-mehr-kindern-fehlen-die-worte

dbl (o.J.)  Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.: Sprachentwicklung https://www.dbl-ev.de/kinder-und-jugendliche/sprachentwicklung (26.9.2022)

Kindergesundheitsinfo (2020): Grundzüge der Sprachentwicklung (0-6 Jahre);  https://www.kindergesundheit-info.de/themen/entwicklung/entwicklungsschritte/sprachentwicklung/

[1] Lispeln, Lallen oder Hörprobleme sind Beispiele für medizinische Probleme für Sprachdefizite. Deutlich häufiger sind soziale Ursachen, etwa mangelhafte Deutschkenntnisse bei Kindern mit Migrationshintergrund oder dass Eltern zu wenig und zu selten mit den Kindern das Sprechen üben.

[2] Zur Sprachentwicklung bei Kindern siehe die weiterführenden Links am Ende des Textes.

[3] Der ICD 11, die 11. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, differenziert in rezeptive und expressive Sprachstörungen. Die expressive Sprachstörung (F80.1) bedeutet, dass die Fähigkeit zu sprechen unterhalb des Intelligenzniveaus (IQ im Normbereich) des Kindes bleibt. Typische Merkmal sind eine reduzierte expressive Sprachfertigkeit und ein eingeschränktes Vokabular. Bei der rezeptiven Sprachstörung (F80.2) bleibt das Sprachverständnis des Kindes unterhalb des Intelligenzniveaus (IQ im Normbereich).

[4] Der Beginn des raschen Spracherwerbs heißt Wortexplosion. Wer mit 2 Jahren noch keine 50 Worte spricht (etwa 20% der Kinder) hat ein Risiko von 50%, eine Sprachentwicklungsstörung zu entwickeln. Wer mit 2 Jahren 50 Worte spricht, hat ein Risiko von 10%, eine Sprachentwicklungsstörung zu entwickeln. Früh reden ist extrem wichtig!

[5] Zum Mediennutzungsverhalten von Kindern, Jugendlichen siehe die nach Altersstufen gegliederten Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest: https://www.mpfs.de/startseite/.

[6] Künstliche ist keine Intelligenz, sondern es sind mathematische Modelle der Mustererkennung, Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung, um z.B. menschliches Verhalten zu prognostizieren und über entsprechende Angebote und/oder Anreize zu steuern.

[7] Abschlussbericht Bundesgesundheitsministerium: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Berichte/Abschlussbericht_BLIKK_Medien.pdf bzw. https://www.stiftung-kind-und-jugend.de/projekte/blikk-studie/ (28.9.2022)

[8] https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/

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Spracherwerb und Analphabetismus-Prävention https://condorcet.ch/2021/07/spracherwerb-und-analphabetismus-praevention/ https://condorcet.ch/2021/07/spracherwerb-und-analphabetismus-praevention/#respond Sun, 25 Jul 2021 07:30:42 +0000 https://condorcet.ch/?p=8997

Der Spracherwerb der Schriftsprache (Lesen und Schreiben) in der Schule findet als wichtigste Voraussetzung jeglichen Lernens im 1. Primarschuljahr statt. Was läuft schief, dass es seit 2012 mit den Lesefähigkeiten der Schulabgänger signifikant bergab geht? Peter Aebersold geht dieser Frage nach.

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Entwicklung im Elternhaus

Wer die Ursachen der Entwicklungsrückstände und Defizite beim Lesenlernen verstehen möchte, muss die Entwicklung des Spracherwerbs von Anfang an kennen. Das gilt ebenso für jene, die statistische Auswertungen auf diesem Gebiet interpretieren wollen.

Der Mensch kommt als physiologische «Frühgeburt» auf die Welt (Adolf Portmann). Als sekundärer «Nesthocker» ist er auf den «sozialen Uterus» der Familie angewiesen, um überleben zu können. Er ist nicht «vorprogrammiert» und deshalb in seiner Entwicklung offen, um alles lernen zu können als ein «ewig Werdender». Dazu sind immer stärker spezialisierte kommunikative Fähigkeiten für eine gelingende Interaktion mit seinen Bezugspersonen lebenswichtig.

Auf den «sozialen Uterus» der Familie angewiesen

Die ersten Voraussetzungen dazu erfolgen in den ersten sechs Lebensmonaten, wenn sich aus den stimulierten Nervenzellen Synapsen bilden. Lebt der Säugling zum Beispiel in einer Umgebung (China), die das «R» nicht spricht, so wird er später im Leben das «R» nicht als solches erkennen können, wenn er es hört. Damit sich das Kleinkind getraut, die Umwelt zu erkunden, braucht es eine sichere Beziehung als Basis (Bindungstheorie), auf die es sich verlassen kann. In den ersten drei Lebensjahren, den lernintensivsten des Menschenlebens, lernt es nicht nur gehen und sprechen usw., sondern unbewusst entwickelt es einen psychischen Kompass für den Umgang mit anderen Menschen. Diese sogenannten Sozialkompetenzen sind mit etwa vier Jahren als Teil des Charakters oder der Persönlichkeit ausgebildet.

Die Biographieforschung zum funktionalen Analphabetismus zeigt, dass die Betroffenen häufig aus Familien stammen, in denen zur Unterstützung schulischer Probleme keine zielführenden Handlungsmuster zur Verfügung stehen, und die dennoch keine Lerntherapie in Anspruch nehmen.

Einen wichtigen Einfluss auf Motivation und Interesse für das Lesenlernen hat die Begegnung mit der Schrift: Sieht das Kind, wie Geschwister, andere Kinder, Eltern oder andere Erwachsene lesen? Die Biographieforschung zum funktionalen Analphabetismus zeigt, dass die Betroffenen häufig aus Familien stammen, in denen zur Unterstützung schulischer Probleme keine zielführenden Handlungsmuster zur Verfügung stehen, und die dennoch keine Lerntherapie in Anspruch nehmen. Das Kind beherrscht mit vier bis fünf Jahren mündlich die Grundlagen der Muttersprache: Es kennt die relevanten Laute und kann sie aussprechen, es verfügt über einen Wortschatz, mit dem es sich über seinen Alltag austauschen kann, und es kann weitgehend korrekte Sätze bilden. Diese Fähigkeiten in der mündlichen Sprache bilden den Grundstein für das Erlernen der Schriftsprache.

Könner setzen ihre Fertigkeit problemlos ein, und sie müssen sich kaum Rechenschaft geben, unter welchen Bedingungen und mit welchen Prozessen sie diese erworben haben.

Eine Mehrheit der Kinder erwirbt die Lesefertigkeit problemlos.

Entwicklung in der Schule

Der Schriftspracherwerb in der Schule ist nicht der Anfang, sondern der Höhepunkt des Spracherwerbs. Beim Schuleintritt sind die wichtigsten Entwicklungsschritte normalerweise abgeschlossen, so dass die erworbenen kognitiven und sozialen Kompetenzen im grösseren sozialen Rahmen der Schule für die gemeinsame Erarbeitung des kulturellen Erbes der Menschheit angewendet werden können.

Eine Mehrheit der Kinder erwirbt die Lesefertigkeit problemlos und oft auch wie von selbst. Eine Minderheit der Schüler bewältigt das Leselernen nur mangelhaft. Könner setzen ihre Fertigkeit problemlos ein und sie müssen sich kaum Rechenschaft geben, unter welchen Bedingungen und mit welchen Prozessen sie diese erworben haben. Da vom Lehrer erwartet wird, dass er alle Schüler fördert und mitnimmt, sind vor allem für Unterstufenlehrer die genauen Kenntnisse über die Abläufe beim Lesenlernen eine notwendige Voraussetzung, um diesen Erwartungen gerecht werden zu können.

„Wenige Menschen machen sich eine Vorstellung davon, welche komplexen Zusammenhänge sich hinter dem Sprechen [und dem Lesen- und Schreiben-Können] verbergen. Das vermeintlich Natürliche und Selbstverständliche des Sprechens entpuppt sich bald als eine Erscheinungsform des Verhaltens, die – falls man die Vorgänge verstehen will – profunde Kenntnisse der Verarbeitungs- und Steuerungsabläufe voraussetzt“. (Hardi Fischer, Professor am Institut für Verhaltensforschung an der ETH, Zürich im Geleitwort zur „Systematischen Logopädie“ 1985)

Voraussetzungen für das Lesenlernen

Zu den Voraussetzungen für das Lesenlernen zählen eine altersgemässe Entwicklung der Sinnesorgane, altersgemässes Sprechen, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Wiedererkennen und Abrufen, Sinnentnahme, emotionale Faktoren sowie Allgemeinwissen. Dass beim Lesen derart viele Teilfertigkeiten und Kenntniskomponenten unterschieden werden, ist sich der geübte Leser der Muttersprache nicht bewusst:

Altersgemässe deutsche Sprachkenntnisse samt Wortschatz sind die Vorbedingung zum erfolgreichen Lesenlernen.

Mottier-Test: bestimmt bereits beim Sprechenlernen, wieviel Sprachklang behalten und wiedergegeben werden kann.

Die Merkfähigkeit (Mottier-Test) bestimmt bereits beim Sprechenlernen, wieviel Sprachklang behalten und wiedergegeben werden kann. Der Verstehensprozess ist an die Erlebniswelt gebunden und führt zur Bedeutung, ob gesprochen oder geschrieben. Durch Wiederholung kann die Merkfähigkeit verbessert werden. Die durch Übung erreichte automatische Verarbeitung entlastet das Gedächtnis.

Die Aufmerksamkeit ist an die Sinne gebunden.

Eine automatische Leseverarbeitung ist dann erreicht, wenn einige oder wenige Buchstaben ausreichen, den gesprochenen Klang und dessen Semantik zu erfassen. So werden nur noch wenige oder keine kognitiven Ressourcen in Anspruch genommen. Geübtes Lesen geht am besten bei gleich bleibendem Schriftbild. Durch Grossschreibung, Kursivschrift, Unterstreichung oder wenn ein Wort kompliziert oder neu ist“, kann der automatische optische Wahrnehmungsprozess gestört werden.

Beim Wiedererkennen der Information eines neu angebotenen Stimulus braucht nur die wahrgenommene mit der gespeicherten Information verglichen zu werden, wobei akustische, morphologische oder semantische Auslöser eine Rolle spielen. Störungen beim Abruf können z.B. durch akustisch ähnliche Wörter verursacht werden.

Wortschatz- und Leseverständnistests zeigen erfahrungsgemäss eine hohe Korrelation.

Die Kenntnisse über Buchstaben- und Wortkombinationen, über Textstrukturen usw. sowie die Allgemeinbildung erleichtern die Sinnentnahme. Die so mögliche Beschleunigung des Tempos der Worterkennung wird allgemein als ausschlaggebend für die Verbesserung der Lesefertigkeit betrachtet. Wortschatz- und Leseverständnistests zeigen erfahrungsgemäss eine hohe Korrelation. Sprachliche und nichtsprachliche Komponenten beeinflussen sich gegenseitig, da Verstehen ein schöpferischer, konstruktiver Vorgang ist, der immer über die in der Äusserung selbst kodierte Information hinausgeht. Sprachliches Verstehen ist immer auch das Verstehen von Nicht-Sprachlichem.

Das Lesefähigkeit ist direkt abhängig vom erteilten Unterricht

Interesse und Motivation (emotionale Faktoren) beeinflussen das Leseverständnis und sogar Faktoren der Lesbarkeit eines Textes. Wer gerne liest, liest auch freiwillig häufiger und wird dadurch geübter. Geringes Interesse für den Text, die Erwartung eines anschliessenden Tests und Angstgefühle haben eine oberflächliche Textverarbeitung zur Folge.

Das Lesefähigkeit ist direkt abhängig vom erteilten Unterricht. Auch Kinder, die von sich aus Lesen lernen, haben erfasst, dass zu den sichtbaren Zeichen gesprochene Laute zugeordnet werden. Sie haben nachgefragt oder man hat sie darauf aufmerksam gemacht.

Erst durch den mündlichen Austausch verbessert sich der Wortschatz, der schriftliche Ausdruck wie die Rechtschreibung verbessert sich allein durch Schreiben.

Vorkenntnisse über den Gegenstand, die die Lesenden mitbringen, bilden ebenso wie die sprachlichen Fertigkeiten eine Vorbedingung zum Textverständnis.

LESEABLAUF

Das Lesen erfolgt in drei Stufen

Auf der Vorstufe erkennen die Kinder erste Symbole und Wortbilder. Erste Wortbilder sind etwa der eigene Name oder Schriftzüge wie MIGROS. Auf dieser Stufe liest das Kind noch keine Buchstaben, es erkennt aber Wörter als Bilder wieder.

Das beginnende Lesen beinhaltet die Aneignung der Lesetechnik. Diese besteht aus zwei Teilschritten: Zunächst benennt (lautiert) und verbindet das Kind einzelne Buchstaben (Rekodieren). Dann sucht das Kind nach der Wortbedeutung (Dekodieren).

Beim fortgeschrittenen Lesen liest das Kind zunehmend längere Einheiten wie Sätze und Texte. Dafür braucht es neben der Bedeutung der Wörter auch grammatisches Wissen und muss verschiedene Informationen miteinander verbinden können.

Der Lesesetzkasten wird immer noch gebraucht

Geschriebene Wörter können wie gesprochene Wörter in Silben aufgegliedert werden. Kurze Buchstabensequenzen mit Lücken dazwischen unterstützen das rasche optische Erfassen. Graphische Mittel wie Lücken, Grossschreibung, können das optische Erfassen erleichtern. Zuviel Zusatzzeichen als sogenannte Lesehilfen im Anfangsunterricht erschweren eher den Lernprozess, der sich in einem ersten Durchgang zunächst auf die Buchstaben ausrichtet. Bildliche Darstellungen können das Erinnern und Verstehen unterstützen.

Ebenso können Merksätze eine Gedächtnishilfe sein. Die Abfolge eines Textstückes auswendig zu wissen, unterstützt das Wiedererkennen geschriebener Wörter oder täuscht Lesen-Können vor. Die vergessene Lautung einzelner Buchstaben kann so wiedergefunden werden. Singen unterstützt das sprachliche Behalten und sich Erinnern. Das Aufzählen oder Aufschreiben des Abcs stützt das Erinnern. Jeder Buchstabe und jeder Laut hat seinen bestimmten Platz in einer Reihenfolge (Piaget).

Die Gedächtnisleistungen von „Geschriebenes sehen, Gesprochenes hören, behalten und spüren“ bilden in ihren Kombinationen einen wesentlichen Anteil beim Lesen-Können. Stehen die genauen, präzisen Sinneseindrücke nur vage oder nicht mehr zur Verfügung, wird mit dem allgemeinen Wissen und mit Logik oder mit sprachlichen Automatismen mutmasslich kompensiert.

Was heisst das für den Erstleseunterricht?

Für Unterrichtende, die Lesen unterrichten, ist es wichtig, dass sie sich mit dem Grundproblemen beim Lesen auseinandersetzen. Zudem müssen sie sich mit der Methode des von ihnen gewählten Erstlesebuchs vertraut machen.

Die Zeiteinheiten ergeben sich aus Erfahrungswerten, die auf einen Durchschnitt gebracht werden können. Abweichungen einerseits für schnelleres Lesenlernen bei einigen Kindern und andererseits zusätzliche Zeit für das Erarbeiten des Leseprozesses bei anderen sind einzurechnen.

Das Lernziel ist für alle Lernenden das gleiche:

  1. Die Buchstaben unterscheiden können
  2. Die dafür vorgesehenen Laute zuordnen können
  3. Das Alphabet aufsagen können
  4. Gesehene Buchstaben lautierend zu Wörtern verbinden können
  5. Wörter wissen
  6. Lesen können

Im ersten Durchgang geht es um das Entziffern des „Codes“, als nächstes um das Anwenden desselben mittels vertrautem Inhalt bis hin zum fliessenden Lesen.

Von einem Erstlesebuch unabhängige Kontrollmöglichkeiten in regelmässigen Zeitabständen sollen die Unterrichtenden unterstützen, die Lernsituation der einzelnen Kinder zu erfassen.

Dass die meisten Schüler mit den neuen Methoden zurechtkamen, spricht nicht für diese Methoden, sondern für die Schüler. Den schwachen Schülern haben sie nicht wie erwartet geholfen.

Präventionsbemühungen

Erzielt für die schwächeren Schüler einen negativen Effekt.

Ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden gutgemeinte neue Methoden eingeführt, die den Schülern das Lesenlernen erleichtern sollten. Tatsächlich wurden die als schwieriger taxierten Teile (ABC auswendig lernen, buchstabieren) einfach nach hinten geschoben, so dass sie später nachgeholt werden müssen. Dass die meisten Schüler mit den neuen Methoden zurechtkamen, spricht nicht für diese Methoden, sondern für die Schüler. Den schwachen Schülern haben sie nicht wie erwartet geholfen. Hingegen hat die «Methode Reichen» mit dem «Lesen nach Gehör», bei denen den Schülern erlaubt wird, selbst Worte zu erfinden, bei den schwachen Schüler den negativen Effekt, dass sie falsch Gelerntes umlernen müssen, was für sie – wenn überhaupt – nur mit grossem Aufwand möglich ist.

Zur Förderung von Kindern mit Entwicklungsrückständen beim mündlichen Spracherwerb, mit anderer Muttersprache usw. wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Heilpädagogen geführte, möglichst homogene Kleinklassen mit wenig Kindern eingeführt. Dazu gehörten Sonderschulen mit verschiedenen Niveaus, Kleinklassen für Verhaltensauffällige, Einführungsklassen für Fremdsprachige, eine zweijährige erste Klasse für langsame Lerner, die Sekundarschule C als Kleinklasse, Sprachheilkindergärten usw. In den Regelschulen wurden homogene, leistungsfähige Klassen gebildet, Kinder, die das Klassenziel nicht erreichten, erhielten die Möglichkeit, eine Klasse zu repetieren. Die Lehrer- und Kindergärtnerinnenausbildung wurde in separaten Seminaren auf die jeweilige Praxis ausgerichtet und spezielle heilpädagogische Ausbildungsstätten geschaffen. Zur Behebung von Sprachstörungen bei Schülern wurden Logopäden und Logopädinnen ausgebildet.

Kinder, die in die Schweiz kamen und kein Deutsch sprachen, konnten sich in einer spezifischen Klasse die Sprache und weitere Kenntnisse für die Schule aneignen. Bei einem Teil dieser Kinder genügte diese Vorbereitung nicht und sie wurden deshalb in Kleinklassen weiterhin gefördert und bekamen, wenn nötig, zusätzlich Logopädie. Alle diese Massnahmen halfen, die Chancengleichheit zu gewährleisten.

Integration und Abbau der Kleinklassen

Auch mit der kantonalen Schulhoheit gab es in den meisten Kantonen vergleichbare Angebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Trotzdem verabschiedete die Schweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz das Sonderpädagogik-Konkordat per 1. Januar 2011, bei denen sich die beigetretenen Kantone verpflichten mussten, Kinder mit Behinderungen in die sogenannten Regelschule (wie sie seitdem genannt wird) «vorrangig» zu integrieren, obwohl das Behindertengleichstellungsgesetz vom 13. Dezember 2002 den Kantonen den Vorbehalt machte, es sollte nur, „soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient», durchgeführt werden (Art. 20, Abs. 2). Aufgrund dieses gesetzlichen Vorbehalts hätten die speziellen Kleinklassen nicht abgeschafft werden dürfen.

Der Schweizerische Lehrerverein LCH hatte das Sonderpädagogik-Konkordat der EDK von 2007 nur mit Vorbehalten unterstützt.

Illetrismus: Knapp die Hälfte der Schüler erreichen nur die beiden untersten Stufen.
Bild: Coop-Zeitung

Der Schweizerische Lehrerverein LCH hatte das Sonderpädagogik-Konkordat der EDK von 2007 nur mit Vorbehalten unterstützt. Er vertrat die Position, dass eine vermutlich stark unterschätzte Gruppe von Kindern und Jugendlichen, namentlich im Sprachbereich oder in Mathematik, nicht eine „allgemeine Heilpädagogik“ in der Regelklasse bräuchten, sondern eine spezialisierte, fachdidaktisch fundierte Förderung. Es gebe solche Ansätze mit der Logopädie und der Dyskalkulietherapie schon länger, diese seien aber meist auf die Frühförderung konzentriert.

Schulabgänger als funktionale Analphabeten

Seit 2012 nimmt die Lesefähigkeiten der Schulabgänger stetig ab. Mittlerweile liegt die Schweiz unterhalb des OECD-Durchschnitts von 75 Ländern. Bei Pisa 2018 erreichten 24 Prozent der Schulabgänger bloss die unterste von sechs Kompetenzstufen. Sie verstehen die wörtliche Bedeutung von Sätzen oder die Hauptaussage von Texten nicht. Knapp die Hälfte der Schülerinnen und Schüler erreichen nur die beiden untersten Stufen. Die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Schulkarriere und das Fundament einer beruflichen Zukunft und einer prosperierenden, international wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft.

Peter Aebersold

Quellen:

Adolf Portmann – Schweiz: Die Sonderstellung des Menschen(-kindes)

Barbara Müller Gächter: Lirum larum Löffelstiel: Erstlesefibeln der deutschsprachigen Schweiz im 20. Jahrhundert. Moflar, Heerbrugg 2005, Universität Zürich, Dissertation bei Prof. Dr. Jürgen Oelkers, Zürich 2006.

 

 

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Sonderauswertung von PISA 2018: Die Nutzung digitaler Medien an sich wirkt nicht lernfördernd https://condorcet.ch/2021/05/sonderauswertung-von-pisa-2018-die-nutzung-digitaler-medien-an-sich-wirkt-nicht-lernfoerdernd/ https://condorcet.ch/2021/05/sonderauswertung-von-pisa-2018-die-nutzung-digitaler-medien-an-sich-wirkt-nicht-lernfoerdernd/#respond Thu, 13 May 2021 19:19:00 +0000 https://condorcet.ch/?p=8547

Condorcet-Autor Alain Pichard ist zwar kein Freund von PISA, sieht aber auch durchaus positive Aspekte. Nun ist er auf eine interessante Sonderauswertung gestossen.

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Alain Pichard. Lehrer Sekundarstufe 1, Orpund (BE): Realitätsferne Konzepte

Natürlich gibt es gegenüber PISA berechtigte Einwände. Trotzdem bleibe ich weiterhin ein genauer Leser dieser Studien und bin auch von Ihrer soliden Wissenschaftlichkeit überzeugt. Das Problem von PISA  sind vielmehr seine Auftragsgeber, sowie Bildungspolitiker, Bildungsfunktionäre und  Journalisten, welche die Ergebnisse nicht richtig einordnen und mit ihrer Unkenntnis das an und für sich schlichte Testverfahren völlig überinterpretieren.

Interessante Sonderauswertung

PISA liefert uns zu einzelnen konkreten Fragen durchaus relevante Ergebnisse und insbesondere fördern einzelne PISA- Sonderauswertungen interessante Erkenntnisse zutage. Aktuell macht zum Beispiel eine Zusatzstudie zu PISA 2018 die Runde, nach der in allen untersuchten 35 Ländern und ganz besonders in Deutschland und der Schweiz ein negativer Zusammenhang zwischen „digitalisiertem“ Konsum der untersuchten Fünfzehnjährigen und ihrer Lesekompetenz besteht. Einfacher ausgedrückt: Je mehr die jungen Leute mit Bildschirmen und auch schulisch mit Tablets zu tun haben, desto schlechter lesen sie.

Je mehr die jungen Leute mit Bildschirmen und auch schulisch mit Tablets zu tun haben, desto schlechter lesen sie.

Das Gerede von neuen Dimensionen des Lernens, welche durch die Digitalisierung eröffnet würden  („Laptop statt Wandtafel“), haben wir Pädagogen im schulischen Alltag nie richtig ernst genommen. Diese progressivpädagogische Reformrhetorik deckte sich einfach nicht mit der Qualität des aktuellen Angebots und der Realität des Schulalltags. Nun heißt es in der PISA-Sonderstudie: „Die Nutzung digitaler Medien an sich wirkt nicht lernfördernd.“ Noch ehrlicher wäre es gewesen, wenn man hinzugefügt hätte: Sie wirkt eher lernhemmend. Oder wie soll man es sonst ausdrücken, wenn eine Schlussfolgerung der Studie ist: «Je mehr junge Leute ganz klassisch lesen, desto besser schneiden sie in der Schule ab, können sie auch kritischer zwischen Fakten und Bewertungen unterscheiden.»

Die Euphoriker dieser neuen digitalen Nürnberger Trichter dürfte dieser Befund vermutlich wenig erschüttern.

Die Euphoriker dieser neuen digitalen Nürnberger Trichter dürfte dieser Befund vermutlich wenig erschüttern. Sie werden weiter auf Laptop- oder Smartphone-Klassen, didaktische Hyperlinks, Homelearning, just-in-time-knowledge, instant-learning, Teleteaching usw. setzen. Und wir Praktiker werden weiterhin versuchen, die medial erzeugte Isolation zum digitalisierten Masseneremiten ein wenig zu bremsen.

Der medial erzeugten Isolation entgegenwirken

Sonst werden unsere Schülerinnen und Schüler, vor allem die Illetristen unter ihnen, bald nichts mehr begreifen – „be-greifen“, wie es die Weisheit der Sprache zum Ausdruck bringt, weil sie nichts mehr zum Greifen haben. Schließlich ist ja alles auf dem Bildschirm immateriell. Und deshalb setzen wir altmodischen Pädagoginnen und Pädagogen immer noch auf das Buch, das sich als geeignetes Rettungsboot in dieser Sintflut anbietet. Aber jetzt koche ich vielleicht auch mein eigenes Süppchen aus der PISA-Sonderuntersuchung, darum lasse ich es hier und erinnere noch einmal an den Befund: „Die Nutzung digitaler Medien an sich wirkt nicht lernfördernd.“

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„The Hill We Climb“ – auch beim Lesen https://condorcet.ch/2021/02/the-hill-we-climb-auch-beim-lesen/ https://condorcet.ch/2021/02/the-hill-we-climb-auch-beim-lesen/#comments Tue, 16 Feb 2021 10:26:13 +0000 https://condorcet.ch/?p=7750

Mit einem Gedicht hat die Poetin Amanda Gorman bei Joe Bidens Inauguration Furore gemacht. Wichtig in ihrem Leben war eine Lehrerin; sie führte das junge Mädchen zur Lyrik. Ein Streifzug mit Condorcet-Autor Carl Bossard durch die Leselandschaft und die Stavanger-Erklärung.

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Carl Bossard: Üben ist unabdingbar

„Wir Menschen sind keine geborenen Leser“, schreibt die renommierte amerikanische Leseforscherin Maryanne Wolf.[1] Die Sprache ist in unseren Genen verankert; das Lesen aber muss aktiv erlernt werden. Es kommt nicht von selbst. Wir werden dazu geführt und vielleicht auch verführt. Wie die 22-jährige afroamerikanische Dichterin Amanda Gorman. Von ihrer Mutter, einer Mittelschullehrerin, wusste sie um den Wert der Sprache. „Ich konnte beobachten, wie [sie] fähig war, junge Menschen durch Sprache zu stärken“, sagte sie.[2] Eine entscheidende Rolle spielte ihre Drittklasslehrerin: Sie las im Unterricht aus Ray Bradburys Roman „Löwenzahnwein“ vor. Fasziniert verschrieb sich das Schulmädchen dem „deep reading“, dem gehaltvollen Eintauchen in die gedruckte Welt der Texte. Das machte sie zur gefeierten Lyrikerin und auch zu einer wichtigen Stimme in der Welt der Politik. Biden bat sie nach Washington. Auf den Stufen des Kapitols trug sie ihr Gedicht „The Hill We Climb“ vor und wurde als „literarischer Popstar“, so die FAZ, umschwärmt. Amanda Gorman: ein Kind des vertieften Lesens.

Der Umgang mit Büchern sollte darum in der Schule gezielt geübt werden.

Digital oder print?

„Deep reading“ im Buch einerseits – oberflächliches Lesen am Bildschirm anderseits? Die dramatische Polarität ist schnell hergestellt und das Urteil auch rasch gefällt: hier das gelobte Printmedium, dort die bezweifelte digitale Form. Das gedruckte Buch erscheint dann wie ein Arzneimittel gegen all die Dämonen der digitalen Welt und die Folgen von Smartphones, Tablets und E-Reader: Das heisst auch gegen fragmentierte Lektüre, oberflächliches Lesen, flüchtiges Verstehen. Da ist das Loblied auf das klassische Buch und das „deep reading“ zügig angestimmt – als kantiger Kontrast zum digitalen Raum mit seinen verführerisch leichten Ablenkungen. Warum dieser Widerstreit?

Die Gruppe derer, die einfache Verknüpfungen zwischen verschiedenen Textteilen nicht herstellen können, wuchs auf 24 Prozent.

Schweizer Schüler: schwach im Lesen

PISA-Studie: Jeder vierte Schulabsolvent in der Schweiz kann nach neun Schuljahren nicht richtig und verständig lesen.

Der Antagonismus nährt sich wohl aus dem Umstand, dass das Lesefreude bei den Jugendlichen abnimmt – ebenso wie die Leseleistung generell. Sie sinkt seit Jahren. Beim letzten PISA-Test, publiziert im Dezember 2019, lag die Schweiz beim Lesen auf Platz 27. Sie dümpelt damit unter dem Durchschnitt und klar hinter Nachbar Deutschland. Die Gruppe derer, die einfache Verknüpfungen zwischen verschiedenen Textteilen nicht herstellen können, wuchs auf 24 Prozent. Jeder vierte Schulabsolvent in der Schweiz kann nach neun Schuljahren nicht richtig und verständig lesen, diagnostiziert die PISA-Studie. Er ist nicht imstande, einem einfachen Text alltagsrelevante Informationen zu entnehmen. Konkret: Er vermag das Geschriebene zu entziffern, versteht aber das Gelesene im Gesamtkontext nicht. Und dies im Land mit den höchsten Kosten pro Schüler![3] Das ist besorgniserregend.

Systemversagen

Wir wissen es seit Jahren: Mindestens 15 bis 20 Prozent der Jugendlichen verlassen die Schule nach neun Jahren als funktionale Analphabeten oder Illiteraten. Die Bildungspolitik schweigt. Das Systemversagen im teuersten Bildungssystem der Welt scheint sie nicht zu stören. Dabei gehört Lesen zu den Kernkompetenzen eines jeden. Sie bleibt der Schlüssel fürs Lernen und die Teilhabe an der Welt.

Lesen wir mit Tablet und Smartphone anders als im gedruckten Buch?

Lesen mit Tablet – Lesen mit Buch?

PISA wäre ein Warnschuss. Doch die Verantwortlichen hören weg; sie kennen nur eines: Digitalisierung des Schulsystems. Darüber hinaus scheint Politik und Verwaltung in Bildungsfragen derzeit nicht viel einzufallen.

Von Interesse wäre doch die fundamentale Frage: Lesen wir mit Tablet und Smartphone anders als im gedruckten Buch? Was unterscheidet Bildschirm und bedrucktes Papier als Lesemedium? Und was heisst das für die Schule? Genau das wollten über 130 Wissenschafter aus mehr als dreissig Ländern wissen. Sie schlossen sich Ende 2014 zur Initiative E-READ zusammen. Ihr Ziel: die Entwicklung des Lesens im Zeitalter der Digitalisierung interdisziplinär analysieren und sie problem- wie lösungsorientiert erforschen, im Kleinen, im Klaren. Vier Jahre später, Anfang 2019, publizierten sie ihr gemeinsames Manifest zur Zukunft des Lesens im Zeitalter des Digitalen, die Stavanger-Erklärung.[4]

Die Wissenschafter begreifen die Digitalisierung als nicht umkehrbaren und gleichzeitig auch aussichtsreichen Entwicklungsschritt.

Lesen muss gezielt erlernt und geübt werden

Die Grundeinsicht des internationalen Forscherteams klingt banal und wirkt doch nicht unumstritten: Die Wissenschafter begreifen die Digitalisierung als nicht umkehrbaren und gleichzeitig auch aussichtsreichen Entwicklungsschritt. Unabsehbar aber sind ihre Folgen; darum sei der wissenschaftliche Diskurs über die digitalen Technologien wichtig.

Der internationale Appell richtet sich nicht gegen die Digitalisierung, wohl aber gegen die verbreitete Annahme, sie böte eine einfache Lösung von Leseproblemen, die eigentlich schon immer bestanden haben. Die Botschaft der Leseforscher ist klar: Ein verständnisorientiertes und kritisch reflektiertes Lesen von digitalen Informationstexten muss bewusst erlernt und systematisch geübt werden – ebenso wie das Lesen gedruckter Texte. Das gehört zum elementaren Auftrag der Schule.

Das Üben reaktivieren

Üben ist unabdingbar: Je mehr wir etwas an Grundfertigkeiten im täglichen Leben brauchen, desto intensiver müssen wir es üben, sagt die Gedächtnispsychologie. Und dazu gehört die Kulturtechnik des Schreibens wie des Lesens. „Schweizer Kinder lesen schlechter, weil die Schule das Üben vernachlässigt“, erklärte der Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich, Heinz Rhyn, die schwachen PISA-Resultate.[5]

Nicht gleichwertig

Befunde aus vier Jahren Forschungsarbeit

Dazu ein zentraler Befund der Stavanger-Erklärung: Der Bildschirm ist dem Papier unterlegen, wenn es um das Verständnis umfangreicher Texte geht, insbesondere wenn der Zeitdruck beim Lesen steigt. Der Umgang mit Büchern sollte darum in der Schule gezielt geübt werden. Das fördert eine vertiefende Lesekompetenz; sie hilft auch am Bildschirm. “[…] der rasche und wahllose Ersatz von Druckwerken, Papier und Stift durch digitale Technologien im Primarbereich [bleibe] nicht folgenlos”, warnen die Forscher. Sie verweisen auf eine mögliche „Verzögerung in der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses und der Entwicklung kritischen Denkens“. Papier werde das bevorzugte Lesemedium für längere Texte bleiben; es begünstige ein “tieferes Verständnis” und das “Behalten” gegenüber dem “flacheren”, zum schnellen Überfliegen tendierenden Lesen am Bildschirm.[6] Bei narrativen Texten stellt die Studie indes keine Unterschiede fest.

Bedeutsam ist das vertiefte Lesen

Die Stavanger-Erklärung lässt sich als Friedensinitiative im Glaubenskrieg um die Digitalisierung der Bildung lesen.[7] Es ist der wissenschaftliche Appell an Schulen und Bildungspolitik für einen sorgsamen Umbau der Lesewelten im digitalen Zeitalter – mit dem gleichzeitigen Hinweis auf das Bedeutsame des vertieften Lesens. Das Forscherplädoyer setzt auf ein kluges Sowohl-als-auch. Beide Welten sind wichtig. Das Digitale kann das Analoge nicht ersetzen, aber ergänzen – als Kür; das Buch bleibt Pflicht.

Die digitalen Medien sind, unreflektiert übernommen, für ein „deep reading“ wenig geeignet, belegt die Stavanger-Erklärung. Gerade das aber muss die Schule lehren – mit einem systematischen Leseunterricht. Lesend Kohärenz herstellen ist anspruchsvoll und vielleicht so etwas wie „the Hill We Climb“.

[1] Maryanne Wolf (2019), Schnelles Lesen, langsames Lesen. Warum wir das Bücherlesen nicht verlernen dürfen. München: Penguin Verlag, S. 10.

[2] Gian Andrea Marti, Junge Poetin stiehlt allen die Show, in: NZZ, 22.01.2021, S. 16.

[3] SKBF (2018). Bildungsbericht Schweiz 2018. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung, S. 73.

[4] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/stavanger-erklaerung-von-e-read-zur-zukunft-des-lesens-16000793.html

[5] Alexandra Kedves, „Die Ablehnung des Drills war unheilvoll“, in: Tages Anzeiger, 07.12.2019, S. 7.

[6] Lothar Müller, Tiefe Sehnsucht, in: Süddeutsche Zeitung, 26.11.2019, S. 31.

[7] Fridtjof Küchemann, Wo stehen wir jetzt?, in: FAZ, 24.01.2020, S. 11.

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Leseunterricht: Kurswechsel dringend nötig https://condorcet.ch/2020/05/leseunterricht-kurswechsel-dringend-noetig/ https://condorcet.ch/2020/05/leseunterricht-kurswechsel-dringend-noetig/#comments Sun, 31 May 2020 12:15:59 +0000 https://condorcet.ch/?p=5189

Condorcet-Autor Urs Kalberer analysiert die mässigen und vor allem sinkenden Leseleistungen der Schweizer Schülerinnen und Schüler. Und er rechnet mit dem kompetenzorientierten Lesetraining ab.

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Seit 2012 geht es mit den Lesefähigkeiten signifikant bergab. Mittlerweile liegt die Schweiz sogar unterhalb des OECD-Durchschnitts von 75 Ländern. Das zeigen die Resultate des Leseverstehens, die von PISA 2018 in Abschlussklassen ermittelt wurden (1). Die dabei gemessenen Fähigkeiten stimmen grösstenteils mit den im Lehrplan 21 gestellten Kompetenzanforderungen überein und dienen daher als wichtige Rückmeldung zum Leseunterricht an Schweizer Schulen. Die Leistungen lassen sehr zu wünschen übrig.

24 Prozent der Schulabgänger erreichen die unterste von 6 Kompetenzstufen!

Konkret erreichen 24 Prozent der Schulabgänger bloss die unterste von sechs Kompetenzstufen – sie verstehen die wörtliche Bedeutung von Sätzen oder die Hauptaussage vonTexten nicht. Wenn wir dazu noch die Schüler im zweittiefsten Niveau addieren, dann liegen wir knapp bei derHälfte der Schüler.

Entwicklung der Schweiz beim Lesen: Wie reagiert ein Land, das neben Luxemburg am meisten Geld pro Schüler in sein Schulsystem steckt?

Wie reagiert ein Land, das neben Luxemburg am meisten Geld pro Schüler in sein Schulsystem steckt, auf diese ungenügenden Resultate? Die Eidgenössische Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) gibt  sich gefasst: «Im Lesen entspricht er (der Mittelwert, Anm. U.K.), wie bereits 2015, dem OECD-Mittel, wobei die Schweiz – wie viele andere OECD-Länder auch – eine prozentuale Zunahme bei der Gruppe der leseschwachen Jugendlichen zu verzeichnen hat.» (2) Das Zentrum Lesen der PHNW lässt in einer Stellungnahme verlauten: «Insgesamt ist die Leseleistung bei Schweizer Schülern und Schülerinnen leicht gesunken. Die Differenz ist jedoch nicht signifikant» (3). Diese Aussage bezieht sich auf die Veränderung zwischen 2015 und 2018 und soll wohl beruhigen, obgleich die Veränderung seit 2012 sehr wohl statistisch signifikant ist. Im Gegensatz zur Fremdsprachen-Debatte führte der fortschreitende Lesenotstand also zu keinen Ängsten hinsichtlich des Auseinanderbrechens unserer Nation. Die gelassenen Reaktionen sind nicht nachvollziehbar, denn die gesellschaftliche Brisanz dieser Daten ist offensichtlich: Lesen ermöglicht Schritte in Richtung Autonomie und mehr Chancengerechtigkeit. Wer einfache Texte nicht versteht, ist in unserer Gesellschaft klar benachteiligt.

Wenn’s nicht funktioniert, einfach noch mehr vom Selben
Die EDK stellte die Wichtigkeit der Vermittlung von Lernstrategien ins Zentrum. «Die PISA-Ergebnisse zeigen wiederholt, dass sowohl das Engagement im Lesen als auch das Wissen über Lernstrategien in einem positiven Zusammenhang mit der Lesekompetenz 15-jähriger Schülerinnen und Schüler stehen.“(2) und „Es liegt auf der Hand, dass der Entfaltung eines Interesses für Texte und der Vermittlung von Lernstrategien mehr Gewicht geschenkt werden sollte.“ (2) Dies ist auch das Credo an den Pädagogischen Hochschulen und das Angebot an Strategie-Trainingsmethoden der LehrbuchVerlage ist unübersehbar und wird im Unterricht auch fleissig eingesetzt. Man verschreibt als Rezept nun einfach noch mehr von derselben Medizin, nämlich Strategietraining. Doch trotz der jahrelangen Offensive scheint der Ansatz wirkungslos zu sein. Strategietraining ist der falsche Ansatz. Dies zeigt auch ein weiterer Blick in den EDK-eigenen Bericht zu den PISA-Resultaten.

Strategiewissen: Trotz Einführung des Lehrplans 21 zurückgefallen.

Aus der obigen Grafik lässt sich erkennen, dass die Schweiz (CHE) bezüglich des Strategiewissens trotz den Empfehlungen der EDK und trotz der Einführung des Lehrplans 21 zurückgefallen ist. Entgegen den Verlautbarungen der EDK existiert aber kein Zusammenhang zwischen dem Strategiewissen und der Leseleistung. Länder mit einem tiefen Strategiewissen wie Finnland und Kanada belegen nämlich beim Leseverstehen Spitzenpositionen. Italien hat höhere Werte beim Strategiewissen als die Schweiz, liegt beim Leseverstehen aber hinter der Schweiz. Luxemburg hat beim Strategiewissen zugelegt, liegt jedoch weit abgeschlagen hinter der Schweiz. Neben dem Strategietraining, das Lesen in eine Fülle von Teilbereichen zerstückelt, werden aktuell an unseren Schulen noch weitere Methoden angewandt. Beim Tandemlesen arbeiten Schülerpaare zusammen, ein Kind versucht, einen Text möglichst fehlerfrei laut vorzulesen, während das andere zuhört und Fehler korrigiert. Das Tandemlesen reduziert den Leseprozess auf das mündliche Wiedergeben von Gedrucktem. Durch die Konzentration auf die mündliche Wiedergabe bleibt nicht genug Aufmerksamkeit für den Inhalt des Textes übrig. Lautes Vorlesen hat keinen oder sogar störenden Einfluss auf das Leseverständnis.

Durch die Konzentration auf die mündliche Wiedergabe bleibt nicht genug Aufmerksamkeit für den Inhalt des Textes übrig.

Texte generell zu einfach

Weiter fällt auf, dass die meist fiktionalen Texte in der Primarschule generell zu einfach sind und zu wenig Gelegenheit bieten, den Wortschatz zu erweitern. Es fehlen Texte mit Bezug zum Schulstoff, in denen der neue Wortschatz in neuer Umgebung erscheint. Verständnisfragen sind sehr verbreitet, sie sind aber meist nur oberflächlich und verlangen blosses Auffinden von Wörtern oder Textstellen. Dieses «wordspotting» bietet keine Gelegenheit zur Stärkung des Leseverständnisses. Strategien lassen sich nicht transferieren.

Der Lehrplan 21 erlaubt es, die geforderten Lesestrategien an beliebigen Texten anzuwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich wichtige Informationen auf einem Joghurtbecher oder aus einem Text über den 2. Weltkrieg erschliesse

Vorwissen essentiell
Der Lehrplan 21 erlaubt es, die geforderten Lesestrategien an beliebigen Texten anzuwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich wichtige Informationen auf einem Joghurtbecher oder aus einem Text über den 2. Weltkrieg erschliesse. Es wird postuliert, dass man die Fähigkeit, Informationen zu erschliessen auf andere Texte transferieren kann. Doch dies ist nicht möglich: Das Leseverstehen basiert in erster Linie auf dem Wissen und damit verbunden auf dem thematisch relevanten Wortschatz der Leser. Wer nicht weiss, wer Henri Guisan war, kommt mit allem Vorwissen der Joghurtzutaten bei einem Text über die Schweiz im 2. Weltkrieg nicht weiter. Das bestätigen auch verschiedene Untersuchungen aus den USA, die zeigten, dass das Vorwissen für das Verständnis eines Textes essenziell ist – wichtiger als die Lesestrategien (4), der Intelligenzquotient, ja sogar als der Schwierigkeitsgrad eines Textes.

Wer nichts weiss, wird bestraft
In der Literatur zum Leseunterricht spricht man vom «Matthäus-Effekt»: Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat. Im Sportteil einer Zeitung heisst es: «Ammann springt weiter – bis Peking». Hier handelt es sich nicht um einen kilometerweiten Sprung bis zur chinesischen Hauptstadt. Der Leser muss wissen, dass es sich bei Ammann um den Skispringer Simon Ammann handelt, der seinen Sport noch bis zu den Olympischen Spielen, die in Peking stattfinden, weiter ausüben wird. Es zeigt sich, dass zum Verständnis eineSatzes viel Vorwissen vorausgesetzt wird. Dasselbe gilt auch bei Suchmaschinen im Internet. Google ist kein egalitärer Faktenfinder: Wer schon etwas weiss, wird belohnt.

Der Fokus auf Lesetechniken und -strategien führt dazu, dass die Schüler die wichtige Aneignung von Grundwissen verpassen.

Was ist zu tun?
Anstatt also sehr viel Zeit und Energie in den Aufbau von Lesestrategien zu stecken, brauchen die Schüler Kenntnisse, Wissen über Sachverhalte und einen breitgefächerten Wortschatz. Der Fokus auf Lesetechniken und -strategien führt dazu, dass die Schüler die wichtige Aneignung von Grundwissen verpassen.

Lesetexte sind oft zu einfach.

Im Erstleseunterricht muss intensiv die Buchstaben-Laut-Beziehung geübt werden, sodass diese am Ende des Zyklus I bei möglichst allen Kindern automatisiert ist und «sitzt». Dabei ist auf gezielte Instruktion zu achten, welche gemäss der IGLU-Studie (5) besonders für die schwächeren Schülervorteilhaft ist. Selbstentdeckendes Lernen mit  individuellen Schreibvarianten ist deshalb zu vermeiden. Ab der Primarschule muss auf einen bewussten Ausbau des Wortschatzes geachtet werden, dazu müssen mehr Sachtexte in den Unterricht eingebaut werden. Häufiges Vorlesen durch die Lehrperson aktiviert den aktiven und passiven Wortschatz und liefert Hilfe für die korrekte Aussprache.

Kein Vorteil, bereits im Kindergarten zu beginnen

Es bringt keinen Vorteil, mit dem Lesen bereits im Kindergarten zu beginnen. Das ideale Alter liegt bei sechs bis sieben Jahren, weil die kognitive Entwicklung dann genügend fortgeschritten ist. Das Leseverständnis sollte auch regelmässig geprüft werden, damit die Lehrperson Entscheidungshilfen bekommt. Dabei muss der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben gegenüber heute deutlich erhöht werden. Ebenfalls wichtig ist es, das Lesetempo zu erhöhen. Dies sollte im Zyklus II nach der Festigung der Buchstaben-Laut-Beziehung erfolgen. Ein erhöhtes Lesetempo verhindert eine Überlastung des Kurzzeitgedächtnisses. Inhalte können so gespeichert werden, ohne dass man den Satz nochmals von vorne lesen muss.

Die Förderung des Lesens und des Leseverständnisses auf der Grundlage von Buchstaben-Laut Beziehung, einem vergrösserten Wortschatz und gesteigertem Lesetempo ist eine pädagogisch sinnvolle Alternative zum aufwändigen Strategietraining an inhaltlich belanglosen Texten. Lesen lernen erhöht die Chancengerechtigkeit und hilft soziale Unterschiede zu verringern. Alle Schüler haben ein Anrecht darauf, in den neun Schuljahren der Volksschule passabel lesen zu lernen. Die unhaltbaren Zustände im Leseunterricht müssen mit aller Kraft korrigiert und verbessert werden.

Quellen:
1) PISA 2018 – Results (volume I): What students Know and Can Do
https://www.oecd.org/publications/pisa-2018-results-volume-i-5f07c754-en.htm
2) PISA 2018 – Schülerinnen und Schüler der Schweiz im internationalen Vergleich, Nationaler Bericht,
EDK, 2019. https://www.edk.ch/dyn/32703.php
3) PISA 2018 – Ergebnisse Schweiz, Zentrum Lesen FHNW, 2019

PISA 2018 – Lesen


4) Recht, D.R. and Leslie, L., 1988. Effect of prior knowledge on good and poor readers’ memory of
text. Journal of Educational Psychology
5) IGLU 2016 – Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich.
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Press

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Bitte nicht nach Estland pilgern! https://condorcet.ch/2019/12/bitte-nicht-nach-estland-pilgern/ https://condorcet.ch/2019/12/bitte-nicht-nach-estland-pilgern/#respond Sun, 15 Dec 2019 17:15:05 +0000 https://condorcet.ch/?p=3323

Zu Hunderten wallfahrten die Bildungsexperten einst nach Finnland. Sie suchten nach dem Geheimnis des europäischen PISA-Siegers. Jetzt ist es Estland. Die Antwort liegt in den eigenen Schulstuben. Davon ist Condorcet-Autor Carl Bossard überzeugt.

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Carl Bossard

Jeder vierte Schulabsolvent in der Schweiz kann nach neun Schuljahren nicht richtig und verständig lesen, diagnostiziert die Pisa-Studie. Und dies im Land mit den höchsten Kosten pro Schüler! Von einer Schmach spricht der “Tages-Anzeiger”. Ein Viertel der 15-Jährigen ist hierzulande nicht imstande, einem einfachen Text alltagsrelevante Informationen zu entnehmen. Konkret: Sie können das Geschriebene entziffern, verstehen aber das Gelesene nicht.

Systemversagen stört nicht

Seit Jahren sinken die Leistungen der Schweizer Schüler in den Pisa-Studien. Das „Programme for International Student Assessment“, kurz Pisa, ist die grösse internationale Evaluation von Schulleistungen. Sie erfolgt im Auftrag der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Getestet wurden diesmal rund 600‘000 Schülerinnen und Schüler in fast 80 Ländern, davon 6‘000 Jugendliche in 200 Schweizer Klassen. Nach wie vor gut in Mathematik und durchschnittlich im Bereich der Naturwissenschaft, doch schwach im Lesen, lautet das jüngste PISA-Fazit für die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler unseres Landes.

Elsbeth Stern wies schon vor Jahren auf den Missstand hin.

Bildungspolitiker zeigen sich erstaunt und reiben sich die Augen. Als ob man es nicht gewusst hätte! Eigentlich müssten die Alarmglocken läuten. Schon vor Jahren hat die renommierte ETHZ-Lernforscherin Prof. Elsbeth Stern darauf hingewiesen, dass mindestens 15 Prozent der schulentlassenen Jugendlichen funktionale Analphabeten oder Illiteraten seien. Die Bildungsverantwortlichen schwiegen. Das Systemversagen im teuersten Bildungssystem der Welt schien sie nicht zu stören.[1] Geschehen ist wenig.

Der Schlüssel liegt im Schulzimmer

Viel wurde in den letzten Tagen geschrieben, noch mehr geredet und am häufigsten wohl ein flinkes Patentrezept präsentiert. Signifikant ist der Reflex des Schweizer Lehrerverbands. Der LCH begrüsst die “positiven [PISA-]Resultate” und fordert für die Schule bessere “Rahmenbedingungen”, sprich noch mehr Geld. Die Bildungspolitiker ihrerseits plädieren fast unisono für eine Frühförderung. Das ist wichtig und richtig, darf aber nicht der einzige Fokus bleiben. Der zentrale Blick gehört ins Schulzimmer gerichtet.

Die Antwort des LCH: Mehr Geld!

Die Haltung des LCH: Mehr Geld, sonst ist alles gut.

Das Lesen und das Schreiben trainieren

Von dieser Perspektive spricht erstaunlicherweise nur der „Tages-Anzeiger“. Er redet Klartext und bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Der falsche Reformeifer rächt sich.“[2] Hier liege des Pudels Kern: Integration lernschwacher Schüler in die Regelklasse, zwei frühe Fremdsprachen, Abbau von Deutschlektionen, Überfrachtung durch sozialpädagogische Aufgaben. Das alles bringe die Schulen vielerorts an ihre Belastungsgrenzen. Das Boot ist schwer beladen. Nötig wäre eine Konzentration aufs Wesentliche. Dazu gehören die Basiskompetenzen.

Lehrerinnen und Lehrer haben heute kaum mehr Raum und Zeit, richtig und vertieft und immer wieder übend ins Lesen einzuführen.

Lesenlernen ist anspruchsvoll, das Einüben grundlegender Lesetechniken eine schwierige didaktische Aufgabe. Lehrerinnen und Lehrer haben heute kaum mehr Raum und Zeit, richtig und vertieft und immer wieder übend ins Lesen einzuführen – oder im Klassenverband zu lesen, anleitend. Zu vieles muss in zu kurzer Zeit durchgenommen und behandelt werden. Korrektes und verstehendes Lesen müsste auch mit einem vertiefenden Schreibunterricht verbunden sein – nicht einfach bis weit in die oberen Klassen mit einem “Schreiben nach Gehör”.

Verfehlte Reformen schaden schwächeren Kindern

Dieser Zusammenhang geht leicht vergessen. Die 15-jährigen Jugendlichen waren nicht selten Versuchskaninchen für Experimente beim Lesen- und Schreibenlernen. Guten und begabten Schülern schadet das nicht wesentlich. Auf schwächere Kinder oder solche mit einer anderen Muttersprache als Deutsch wirkt es sich aus. Sie bleiben unter ihren Möglichkeiten: die Folgen falsch gelagerter Reformen oder methodischer Fehlgriffe.

Gerade diese Kinder müssen wirklich gut lesen lernen und die Laute sicher den Buchstaben zuordnen können – und dies, ohne sich zuerst eine falsche und dann eine korrekte Rechtschreibung einprägen zu müssen. Etwas ganz Entscheidendes.[3]

Die Kernfrage: Was läuft denn falsch?

Die Leseleistungen unserer Schüler haben sich verschlechtert. Das ist Fakt. Die Bildungspolitik müsste darum der Frage nachgehen, was in diesem Bereich passiert und warum vielleicht einiges falsch läuft. Und dazu zählt eben auch die einseitig favorisierte Methode des selbstregulativen Lernens. Es gibt Klassen, in denen sich die Kinder in Lernwerkstätten das Alphabet selber beibringen müssen. Der Lehrer, die Lehrerin begleitet nur als Coach.

Viele Kinder brauchen das anregende und führende Gegenüber.

Viele Kinder aber brauchen das anregende und führende Gegenüber. Sie benötigen Halt und ein sicheres Geländer. Allein sind sie überfordert. Das wirkt sich aus. Wichtig wären lautes Lesen im Chor, im Tandem, auch allein und still vor sich hin. Das erhöht die Leseflüssigkeit. Stetes Wiederholen und feste Routinen helfen.

Die “direkte Instruktion” als effektive Lehrform

Besonders im Elementarunterricht mit dem Lesen und Schreiben ist das gemeinsame Einführen und das gemeinsame Üben und Optimieren eine effektive Unterrichtsform. Empirische Studien belegen den Wirkwert der direkten Instruktion. Im Vergleich zu anderen Lehrmethoden führt sie zu höheren Durchschnittsleistungen, zu stärkerem Leistungszuwachs und zu besseren individuellen Lernergebnissen – vor allem auch bei schwächeren Schülerinnen und Schülern.

Besonders im Elementarunterricht mit dem Lesen und Schreiben ist das gemeinsame Einführen und das gemeinsame Üben und Optimieren eine effektive Unterrichtsform.

Franz E. Weinert, Kronzeuge für den Lehrplan 21 und früherer Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung, hielt kurz und bündig fest: “Zum Entsetzen vieler Reformpädagogen erwies sich in den meisten seriösen Studien eine Lehrform als überdurchschnittlich effektiv, die […] als ‘direkte Instruktion’ bezeichnet wird. Sie verbessert die Leistungen fast aller Schüler, erhöht deren Selbstvertrauen in die eigene Tüchtigkeit und reduziert ihre Leistungsängstlichkeit.“[4]

 

Jetzt ja nicht nach Estland pilgern!

Das ferne Estland liegt im nahen Schulzimmer

Lesen können ist fürs Leben entscheidend. Und lesen können ist die Grundlage der Lesefreude. Denn nur wer lesen kann, wird es auch gern tun. Und hier hapert es: Die Lesefreude unter den Jugendlichen sinkt. Eine problematische Tendenz.

Schule muss gegenhalten, muss Gegenläufiges betonen. Das gehörte schon immer zu ihrem Auftrag. Und dazu zählt die basale Lesefähigkeit. Und zwar aller Kinder. Diese Erkenntnis braucht keinen Bildungstourismus wie einst nach Finnland. Das ferne Estland liegt im nahen Schulzimmer.

 

[1] SKBF (2018): Bildungsbericht Schweiz 2018. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung, S. 73.

[2] Raphaela Birrer: Der falsche Reformeifer rächt sich. In: Tagesanzeiger, 04.12.2019, S. 2.

[3] Heike Schmoll: Leseschwach. In: FAZ, 04.12.2019, S. 1.

[4] Gerd-Bodo von Carlsburg (Hrsg./ed.) (2008): Baltische Studien zur Erziehungs- und Sozialwissenschaft. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH, S. 100.

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