Konflikte - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 03 May 2023 18:29:40 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Konflikte - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Rechtfertigt untenstehender Beitrag die Schlagzeile: Sexismus-Vorwürfe gegen St. Galler Schulleiterin? https://condorcet.ch/2023/05/rechtfertigt-untenstehender-beitrag-die-schlagzeile-sexismus-vorwuerfe-gegen-st-galler-schulleiterin/ https://condorcet.ch/2023/05/rechtfertigt-untenstehender-beitrag-die-schlagzeile-sexismus-vorwuerfe-gegen-st-galler-schulleiterin/#comments Tue, 02 May 2023 06:38:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=13793

Eine Leserin des Condorcet-Blogs las einen Artikel im Blick und stellte sich die Frage: Rechtfertigt dieser Bericht diese Titelsetzung? Die Redaktion gibt diese Frage an die Wissenschaft weiter.

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Die Schulleiterin der Oberstufe Ost in St. Gallen räumt ihren Posten. Anfang April gab sie bekannt, dass sie nur noch zum Ende des Schuljahrs bleibt. Grund dafür sollen Differenzen mit dem Lehrerteam gewesen sein.

Erst kürzlich ereilte die St. Galler Schule Grossacker ein ähnliches Schicksal – im April kündigten 16 Lehrer wegen Konflikten mit der Leitung. So weit sollte es diesmal nicht kommen, dafür sorgte der Lehrerverband.

Der Schulleiterin der Oberstufe Ost soll zur Kündigung geraten worden sein, schreibt das «St. Galler Tagblatt». Demnach hatten Lehrer angekündigt, nicht «unter diesen Umständen» weiterarbeiten zu wollen. Was war passiert?

Die Liste der Vorwürfe ist lang. Beim Weihnachtsessen hatte die Schulleiterin keine Worte des Dankes für ihr Team übrig, steht in dem Schreiben der Lehrer, das dem «St. Galler Tagblatt» vorliegt.

Sie reagierte emotional und laut

«Bei unterschiedlicher Meinung fühlte sie sich sofort persönlich angegriffen», heisst es weiter. So seien Gespräche der Leiterin mit ihren Kollegen oft emotional aufgeladen und laut gewesen. Konstruktive Kritik und Verbesserungswünsche seien nie angenommen worden.

Zu wichtigen Terminen und Ereignissen fehlte die Schulleitung – oft auch kurzfristig. Und: «Sie hat aktiv die Spaltung der Oberstufe Ost betrieben.» So sei das Schulhaus Buchental dem Schulhaus Zil stets bevorzugt worden.

Immer wieder soll die Rektorin zudem im Lehrerzimmer sexistisch und abfällig über das Personal gelästert haben. «All das hat Respekt und Autorität zum grössten Teil verspielt», heisst es im Schreiben. Schliesslich wandten sich die Lehrer der Oberstufe Ost an den Lehrerverband.

Lehrer bleiben

«Wir haben schnell gemerkt, wie verfahren die Situation bereits ist, und dass der Fall zur Dienststelle Schule und Musik muss», sagt Tamara Wenzler, Präsidentin des Verbands, gegenüber dem «Tagblatt». Doch noch bevor die Streitschlichtung richtig beginnen konnte, kündigte die Schulleiterin.

Wie es jetzt an der Spitze weitergeht, ist unklar. Noch seien nicht viele Bewerbungen eingegangen, sagt Wenzler. Und: «Da kann ein Schulamt nicht sehr wählerisch sein.» (jwg)

Wir geben zu, dass wir uns – politisch vielleicht unkorrekt – sehr dafür interessiert hätten, wie denn diese Schulleiterin sexistisch gehandelt haben soll. Darüber erfährt man aber im Artikel nichts, trotz der reisserischen Titelsetzung. Aber vielleicht gilt allein schon “das laut Sprechen” und “die mangelnde Selbstkritik” als sexistisch, zumal wenn es einer Frau zugeschrieben wird.

 

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Mit Schiller das Grauen des Krieges besser verstehen https://condorcet.ch/2023/03/mit-schiller-das-grauen-des-krieges-besser-verstehen/ https://condorcet.ch/2023/03/mit-schiller-das-grauen-des-krieges-besser-verstehen/#comments Sun, 19 Mar 2023 17:27:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=13448

Für Allan Guggenbühl ist klar, dass Gedichte, Theaterstücke und Literatur eine grosse Lebenshilfe sind. Darum ist es wichtig, dass in der Schule die Auseinandersetzung mit Dichtern und Denkern ob der neuen Lernzielhektik nicht zu kurz kommt. Wir bringen einen Artikel, der zuerst in der NZZ erschienen ist.

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“Leergebrannt ist die Stätte, wilder Stürme rauhes Bette: In den öden Fensterhöhlen wohnte das Grauen, und des Himmels Wolken schauen hoch hinein.” An die Worte Schillers erinnert sich eine sechzigjährige Frau, als sie Bilder der zerstörten Stadt Soledar in Donezk sieht. Das Gedicht, mit dem sie sich vor langer Zeit in der Schule befasst hatte, gibt ihrem wahrgenommenen Grauen eine Sprache.

Gastautor Allan Guggenbühl, Psychologe

Schreckliche Vorfälle, persönliche Krisen, jedoch auch überwältigende Erlebnisse überfordern uns oft. Wir verlassen den besonnenen Alltagsmodus, kämpfen mit Emotionen und ringen nach Worten. Wir haben Schwierigkeiten, das aussergewöhnliche Ereignis zu begreifen und unsere Erschütterung oder unser Staunen auszudrücken. In solchen Momenten helfen Werke von Dichtern und Schriftstellern. Sie sind eine Chance, einen Zusammenhang zwischen dem äusseren Ereignis und unserer Betroffenheit herzustellen. Mithilfe von Dichterworten nähern wir uns dem schwer Fassbaren und Unerklärlichen, das sich im Ereignis präsentiert. Man ist der emotionalen Aufwühlung, Irritation oder Verzweiflung weniger ausgeliefert. Worte vertiefen das Sein.

Kenntnisse aneignen, nicht herunterladen

Diese Selbstregulation funktioniert jedoch nur, wenn entsprechende Zeilen oder Worte präsent sind. Man muss sie nicht im Internet herunterladen, sondern man erinnert sich an sie, weil man sie früher einmal auswendig gelernt oder sich intensiv mit ihnen befasst hat. Die Chance ist dann, dass sich jene Zeilen oder Worte melden, die helfen, die jeweilige Herausforderung sprachlich zu meistern. Das Ereignis gewinnt an Tiefe. Da es sich um einen selbstreferenziellen Mechanismus handelt, muss man sich entsprechende Gedichte und Kenntnisse von Theaterstücken aneignen. Es geht nicht nur darum, sie auswendig zu lernen, sondern vor allem darum, sie über Gespräche und Spiel zu vertiefen. Die spätere Kindheit und Jugend sind Lebensphasen, die sich dafür eignen.

Dem wahrgenommenen Grauen mit Literatur und Theaterstücken eine Sprache geben.

Der Mensch ist prägbar und neugierig. Er will die Welt, sich selbst entdecken und ist darum auch aufnahmebereit für Gedichte und Theaterspiel. Vor allem Jugendliche streben nach Aufbruch zu neuen Ufern. Oft distanzieren sie sich jedoch von den Erwachsenen und ihren Anliegen. Sie ziehen es vor, ihre Selbstentdeckung in ihrer Peer-Kultur zu inszenieren. Da sie sich neu erfinden wollen, steht die Auseinandersetzung mit dem Bildungskanon der Alten nicht zuoberst auf ihrer Prioritätenliste.

Fremde Werte und Bildungsinhalte einbauen

Überlassen die Alten die Jugend jedoch sich selbst oder versuchen sich in die Jugendkultur einzuschmeicheln, dann droht eine narzisstische Selbstinszenierung überhandzunehmen. Die Jugendlichen verlieren sich im eigenen Generationen-Groove. Es braucht darum auch Erwachsene, die die Auseinandersetzung mit dem Bildungskanon einfordern. Dies geschieht am besten über Institutionen, in denen sich Kinder und Jugendliche habituell bewegen. Schulen müssen sich darum auch mit Werten und Bildungsinhalten auseinandersetzen, die den Kindern und Jugendlichen fremd sind. Die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und der jüngeren Generation geschieht dann nicht über einen spontanen Konsens, sondern gleicht einer Annäherung zweier Fremder.

Mit Gedichten und Theaterstücken befasst sich die Schule heute kaum noch.

Die Alten haben die Aufgabe, die Schülerschaft von Inhalten zu überzeugen, die nicht hip sind, jedoch für das Gesamtleben wichtig. Sie vertreten Anliegen, deren Bedeutung die Schüler nicht gleich nachvollziehen, da der Jugendcode verlangt, dass man gegenüber den Alten Skepsis signalisiert. Die Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Kindern oder Jugendlichen sind darum ambivalent. Mit Gedichten und Theaterstücken befasst sich die Schule heute kaum noch. Heute stehen Kompetenzförderung und selbsttätiges Lernen im Vordergrund. Bei der Sprache geht es darum, zu kommunizieren, Texte zu verstehen, sich auszudrücken und Schreibprodukte zu verfassen. Sie wird als persönliches Ausdruck- und Kommunikationsmittel verstanden.

Es ist problematisch, wenn die Schule der nächsten Generation bedeutungsvolle, auch unzeitgemässe Gedichte und Theaterstücke vorenthält und das Auswendiglernen vernachlässigt.

Oft werden Themen von den Schülern selbst gesetzt und widerspiegeln aktuelle Aufregungen und Anliegen. Dieser Fokus übersieht, dass die Schüler und Schülerinnen von der Schule mehr erwarten, als sie bewusst ausdrücken oder ihre Subkultur suggeriert. Es geht nicht nur um Fun, Umwelt und reproduzierbare Lerninhalte, sondern auch um das «Wer bin ich». Ein Kernanliegen der Kinder und Jugendlichen sind Fragen nach der Bedeutung des Lebens: Wieso bin ich traurig, warum gibt es Streit, Hass und Wunder? Sie wollen einen Weg finden zu ihren eigenen Emotionen, Zweifeln und Phantasien.

Kompetenzsprache bleibt oberflächlich

Dieses Anliegen droht in der Lernzielhektik vergessen zu werden oder wurde zur Privatsache erklärt. Was sich in ihrer Psyche abspielt, bleibt jedoch für die meisten Menschen ein lebenslanges Rätsel. Das innere Universum drückt sich über mehr als 600 Milliarden Synapsen im Gehirn aus und produziert unzählige Muster mehr, als wir je erfassen werden.

Psychische Prozesse werden durch ausserordentliche Lebensereignisse ausgelöst, wir werden berührt, sind irritiert oder werden wegen andrängender Emotionen gar aus der Bahn geworfen. Der Wille wird zum Spielball einer inneren Dynamik. Die Sprache der Dichter und Denker ist ein Mittel, sich solchen Szenarien anzunähern; Gedichte, Theaterstücke und Literatur sind darum eine grossartige Hilfe, einen Weg durch das eigene Labyrinth zu finden und Erlebnissen, die uns im Kern unserer Existenz treffen, einen Sinn abzuringen.

Gedichte und Theaterstücke rüsten Kinder und Jugendliche mit einem Inventar aus, das ihnen hilft, Ängsten, Freuden und Konflikten eine Sprache und tiefere Bedeutung zu geben.

Nicht umsonst steht das Gespräch im Zentrum der Psychotherapie. Die Kompetenzsprache bleibt an der Oberfläche. Bei ihr geht es nicht um inneren Nachhall, sondern um operationalisierbare Lernziele. Es ist darum problematisch, wenn die Schule der nächsten Generation bedeutungsvolle, auch unzeitgemässe Gedichte und Theaterstücke vorenthält und das Auswendiglernen vernachlässigt.

Gedichte und Theaterstücke rüsten Kinder und Jugendliche mit einem Inventar aus, das ihnen hilft, Ängsten, Freuden und Konflikten eine Sprache und tiefere Bedeutung zu geben. Die Schülerschaft wird es den Lehrpersonen danken – wenn auch erst Jahre später.

 

Allan Guggenbühl, Psychologe und Psychotherapeut, leitet das Institut für Konfliktmanagement und Mythodrama in Zürich. Er ist Autor des Buches «Vergessene Klugheit – wie Normen uns am Denken hindern»

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“Man geht durch die Hölle, wenn das eigene Kind gemobbt wird.” https://condorcet.ch/2023/03/man-geht-durch-die-hoelle-wenn-das-eigene-kind-gemobbt-wird/ https://condorcet.ch/2023/03/man-geht-durch-die-hoelle-wenn-das-eigene-kind-gemobbt-wird/#comments Wed, 08 Mar 2023 12:37:16 +0000 https://condorcet.ch/?p=13373

Wie ist es, wenn das eigene Kind gemobbt wird? Ein Zürcher Vater sagt: «Man geht durch die Hölle.» Der Condorcet-Blog veröffentlicht einen erschütternden Bericht, den der NZZ-Journalist Giorgio Scherrer geschrieben hat. Der Artikel erschien zuerst in der NZZ.

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Hätte er es bei den blauen Flecken merken sollen? Oder als sein Sohn – eigentlich lernfreudig, ein guter Schüler – plötzlich keine Freude mehr am Unterricht hatte?

Hätte er Verdacht schöpfen sollen, als er die Schulband verliess? Oder als der Sohn seine Mutter fragte: «Mama, bin ich ein hässlicher Bub?»

Peter Widmer, der eigentlich anders heisst, hat erlebt, was kein Vater sich wünscht: Sein Kind wurde von anderen Kindern gequält. Es begann, als Tim – ebenfalls ein Pseudonym – elf Jahre alt war und Schüler in einer Stadtzürcher Schule.

Und dann, so erzählt es der Vater, hörte es einfach nicht mehr auf.

Meist beginnt Mobbing subtil. Es ist ein Ausprobieren, ein Austesten von physischer und psychischer Gewalt. Es ist gleichzeitig verborgen und allgegenwärtig.

Wenn er davon erzählt, flucht Herr Widmer. «Gottfriedhueber!», ruft er dann. «In der Schule sollte mein Kind doch sicher sein!» Dann wird Widmer – graue Haare, elegantes Hemd, ausgelatschte Sneakers – wieder ganz ruhig, will sich ein Glas Wasser einschenken, verschüttet dabei die Hälfte, entschuldigt sich. Und sagt: «Als Vater macht dich das kaputt. Wir sind einfach nur noch müde.»

“In der Schule sollte mein Kind doch sicher sein!”

Die Geschichte von Herrn Widmer und seinem Sohn ist die eines gewaltsamen Mobbingfalls, wie ihn in der Schweiz laut der Pisa-Studie rund jedes zehnte Kind im Verlauf seiner Schulzeit erlebt – ein Rekord in Europa. Sie ist aber auch eine Geschichte über Ohnmacht.

Die Ohnmacht eines Vaters, der seinem Sohn nicht helfen kann und der, wohin er sich auch hilfesuchend wendet, immer nur Ohnmacht findet.

Der Anfang

Es beginnt kurz nach einem Lehrerwechsel in Tims Klasse. Langsam, kaum merklich, wird danach Tim ein anderer Junge. Ein Jahr lang sehen seine Eltern die Zeichen, aber können sie nicht deuten.

Jede Woche schneidet Tims Mutter ihm die Zehennägel. Dabei bemerkt sie immer wieder blaue Flecken auf seinen Schienbeinen. Sie fragt ihn, woher die Flecken kommen. Und er sagt: «Ach, nur vom Turnen, das ist nichts.»

Tim ist ein sportlicher Junge – da gehören ein paar blaue Flecken wohl dazu, denken sich Herr Widmer und seine Frau.

Die Früherkennung von Mobbing bleibt schwierig.

«Einmal fragte er uns auch, ob er eigentlich ein hässliches Kind sei», erzählt Herr Widmer. «Da fanden wir beide: ‹He hallo, wie kommst du darauf?› Und er meinte: ‹Die anderen sagen das.›»

Seine Eltern sagten ihm: «Du musst dir eine dicke Haut zutun. Fokussier dich auf den Unterricht, ignorier die anderen.» Herr Widmer sagt: «Wir haben zu spät gemerkt, dass das nichts brachte. Die anderen haben ihn eben nicht ignoriert.»

“Tim hat gut versteckt, was wirklich los war.”

Im Nachhinein machen Tims Eltern sich Vorwürfe. Nie wirkt Herr Widmer im Gespräch so traurig, wie wenn er vor seiner frühen Ahnungslosigkeit spricht. «Tim hat gut versteckt, was wirklich los war», sagt er. «Erst als es eskalierte, brach alles aus ihm heraus.»

Der Fall von Tim ist darin typisch. Denn Mobbing in Schulen ist gleichzeitig verborgen und allgegenwärtig. Seit Jahrzehnten werden Lehrer, Sozialarbeiterinnen, Psychologen und Polizistinnen darauf angesetzt. Und doch bleibt die Früherkennung schwierig.

Meist beginnt Mobbing subtil. Es ist ein Ausprobieren, ein Austesten von physischer und psychischer Gewalt. Wie weit kann ich gehen, ohne bestraft zu werden? Wie bringe ich andere dazu, mitzumachen? Wie ist es, von einem anderen Menschen gefürchtet zu werden?

Oft sind Mobbing-Täter dabei in anderen Konstellationen selbst die Opfer. Leiden zu Hause zum Beispiel unter einem patriarchalen Erziehungsstil oder stehen unter hohem Leistungsdruck.

Besonders anfällig für Mobbingfälle sind jene Momente, in denen sich die Dynamik einer Schulklasse ändert – bei einem Übertritt etwa oder einem Lehrerwechsel. So erklärte es die Sozialwissenschafterin Melanie Wegel von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften kürzlich im Gespräch mit der NZZ. Wenn sich dann neue Gruppen bilden, kann Gewalt oder Herabwürdigung zum Mittel werden, um sich voneinander abzugrenzen und untereinander zu beweisen.

Je später das bemerkt wird, desto schwieriger ist es, die Dynamik einer Schulklasse wieder zu ändern. Kommt ein Mobbing-Fall erst bei einer Eskalation aufs Radar von Eltern und Schule, ist das oft zu spät.

Die Eskalation

Ein Jahr nach den ersten Warnzeichen wird Tim auf dem Pausenplatz zusammengeschlagen. Er hat beim Fussball ein Tor reingelassen, daraufhin stossen ihn zwei Klassenkameraden zu Boden und treten ihn.

Als er das seinem Vater erzählt, sagt Herr Widmer zu ihm: «Wenn sie dich noch einmal plagen und dich niemand schützt, läufst du einfach davon und kommst nach Hause.» Und das tut Tim dann auch.

Zwei Wochen später ist das, an einem Montag. «Ich komme da immer etwas früher heim, um zu kochen», sagt Herr Widmer. «Und dann war plötzlich mein Sohn schon da, obwohl die Schule noch nicht aus war. Ich fragte ihn: ‹Was machst du hier?› Und er sagte: ‹Ja, nein, nichts . . .›»

Er weiss nie, wann der nächste Schlag kommt oder die nächste Beleidigung.

Aber Tim ist ein sensibler Junge. Man sieht ihm an, wenn es ihm nicht gut geht. Und als sein Vater nachhakt, kommt alles aus ihm heraus – die ganze Geschichte.

Wie ihn drei Buben aus seiner Klasse seit einem Jahr ans Schienbein kicken, wann immer sich ihnen eine Gelegenheit bietet. Wie er irgendwo in der Schule sitzt – bei einer Gruppenarbeit, in der Pause – und dann wie aus dem Nichts, zack, eine Handkante in seinem Nacken landet. Wie er seine Brille in der Schule nicht trägt, weil er dafür ausgelacht wird. Wie ihn eine Fünfergruppe seit einem Jahr einen hässlichen Menschen nennt, einen Streber, Loser, Wichser.

Wie er nie weiss, wann der nächste Schlag kommt oder die nächste Beleidigung.

Mobbing ist ein Machtspiel.

So wie an diesem Tag, als er es nicht mehr aushält und nach Hause kommt. Es ist ein vergleichsweise kleiner Vorfall, der das Fass zum Überlaufen bringt: ein Kick ans Schienbein. Und ein Satz: «Tim, du bist ein Opfer. Du hast keine Freunde.»

«Er war ein Häufchen Elend, als er mir das erzählte», sagt Herr Widmer. «Er meinte: ‹Ich will nicht mehr in die Schule. Ich will so nicht mehr leben.›»

Wer Mobbing-Opfer wird, folgt keiner klaren Regel. Wen es trifft, ist oft willkürlich. Vielleicht gibt sich jemand im falschen Moment eine Blösse, fällt durch ein äusseres Merkmal auf oder tanzt sonst wie aus der Reihe. Lernt zu gern oder zu ungern, ist zu laut oder zu leise.

“Ich will nicht mehr in die Schule. Ich will so nicht mehr leben.”

Doch um all das geht es beim Mobbing nur vordergründig. Eigentlich geht es nicht um das Opfer und auch nicht in erster Linie um Gewalt. Mobbing ist ein Machtspiel. Das Ziel eines Mobbers ist es, den eigenen Status durch die Herabwürdigung von anderen zu erhöhen, zum Chef im Klassenverbund zu werden. Insofern ist Mobbing auch ein Angriff auf die Lehrperson, die diese Rolle eigentlich innehaben sollte.

Mobbing wird in der Schule so zum Problem eines ganzen Klassenverbunds – mit Opfern, Tätern, Mitläufern und denen, die wegschauen. Deshalb ist laut Schulvertretern und den Mobbing-Spezialisten der Zürcher Kantonspolizei (Kapo) die Entfernung eines Kindes auch selten eine nachhaltige Lösung. Auch ein allzu harsches Eingreifen der Eltern kann demnach den Konflikt anheizen.

Wenn alle Erwachsenen gemeinsam eine klare Grenze ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass ein Kind sein Verhalten ändert.

Das eigene Kind in die Schule begleiten, dessen Mobber konfrontieren, den Streit zu ihren Eltern tragen: Von all dem raten Polizei und Schulen ab, weil es zu einer weiteren Eskalation und einer Verfestigung der Täter- und Opferrolle führen könne.

Auch eine Strafanzeige sei kein Allheilmittel, erklärte der Leiter der Kapo-Jugendintervention kürzlich im Gespräch mit der NZZ: «Es gibt Eltern, die alle Hoffnungen in uns setzen – aber denen wir am Ende mit den Mitteln des Strafrechts nicht helfen können.»

Mobbing bedeutet für die betroffenen Eltern deshalb auch, die eigene Hilflosigkeit ertragen zu müssen.

Die Ohnmacht

Nach dem Vorfall in der Turnhalle geht Tim eine Woche lang nicht mehr zur Schule, lässt sich unter keinen Umständen dazu bewegen. Irgendwann geht er zurück, hat aber grosse Angst. Sein Vater bringt ihn einen Teil des Weges, das letzte Stück will Tim aber alleine gehen.

In der Schule soll ein Mensa-Mitarbeiter über Mittag ein Auge auf ihn haben. Das funktioniert laut Tims Vater eine Zeitlang ganz gut. Es gibt auch vier Halbtage mit Gewaltprävention für die ganze Klasse und einen Elternbrief, in dem von Ärgern, Schubsen und Schlägen unter den Kindern die Rede ist. Es bleibt für eine Weile ruhig.

“Die Schule muss mein Kind doch schützen, die Mobber bestrafen.”

Und dann, kurz vor den Frühlingsferien, beginnt das Mobbing wieder. Wie wenn nichts geschehen wäre. Tim sagt zu seinen Eltern: «Sie fangen wieder an, mich zu plagen. Blöde Sprüche, hier ein Gingg, dort ein Gingg.»

«Ich habe das kaum ausgehalten», sagt Herr Widmer. «Ich dachte: Die Schule muss mein Kind doch schützen, die Mobber bestrafen! Für einen Vater ist so eine Situation eine Berg-und-Tal-Fahrt. Erst hofft man, dann schläft man wieder die ganze Nacht nicht. Da ist eine Welt zusammengebrochen. Meine Frau und ich mussten realisieren: Unser Kind ist in der Schule nicht sicher – und wir können nichts dagegen tun.»

Als Eltern, so erlebt es Tims Vater, könne man seinem Kind nur sagen: «Auf uns kannst du dich verlassen. Wir stehen hinter dir.»

Dass sie in die Schule mitgehen, will Tim nicht – es würde seinen Peinigern nur neuen Anlass zum Hänseln geben. Herrn Widmer und seiner Frau wird auch davon abgeraten, die Eltern der Mobber zu kontaktieren. Und aus der Schule wollen sie Tim nicht nehmen. «Dann hätten die Mobber doch gewonnen!»

Ist ein Mobbing-Fall erst einmal eskaliert, hilft eigentlich nur eines: eine geeinte Front aus Lehrern, Schule und Eltern – gerade auch jenen der Täterinnen und Täter. Wenn alle Erwachsenen gemeinsam eine klare Grenze ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass ein Kind sein Verhalten ändert.

In Tims Fall schreiben die Eltern eines mutmasslichen Mitläufers kurz nach der ersten Eskalation eine E-Mail an alle Beteiligten. Sie seien «zutiefst erschüttert», schreiben sie und übernähmen für das Verhalten ihres Kindes «die volle Verantwortung». In der Folge beteiligt sich der Junge nicht mehr am Mobbing, wie auch aus einer E-Mail der Klassenlehrerin hervorgeht.

Jede fünfte Lehrperson wünscht sich mehr Unterstützung beim Thema Mobbing.

Das ist der Idealfall, aber auch die Ausnahme. Häufiger führt eine Eskalation zu noch mehr Konflikten: zwischen Eltern und Eltern, Eltern und Schule. Gerade Lehrpersonen sind oft überfordert. Mehr als jede fünfte von ihnen wünscht sich im Kanton Zürich laut einer Umfrage von 2021 mehr Unterstützung bei diesem Thema.

Auch in Tims Fall eskaliert neben dem Mobbing ein Streit zwischen Eltern und Schule. Die Eltern fühlen sich alleingelassen, die Schule findet dagegen, es würden klare Grenzen gesetzt, es werde viel unternommen, und es gebe auch Fortschritte, wie sie den Eltern in mehreren Briefen und Gesprächen mitteilen.

Klar ist: Funktioniert die Kommunikation zwischen Eltern und Schule nicht mehr, wird auch die Mobbingbekämpfung schwieriger.

Die Folgen

Ein halbes Jahr, nachdem das Mobbing gegen ihn eskaliert ist, verlässt Tim im Sommer 2022 seine Schule. Nicht wegen des Mobbings, sondern weil er die sechste Klasse beendet hat. Sein Vater sagt heute, er hätte seinen Sohn sofort aus der Schule nehmen sollen.

Er glaubt: «Bei Mobbingfällen verliert heute das Opfer. Es muss gehen, wenn es sicher sein will.»

Tim geht jetzt in eine Privatschule, weil seine Eltern dem öffentlichen Schulwesen seit den Vorfällen misstrauen. Der Vater eines Klassenkameraden, der das Mobbing von Tim hautnah miterlebte, hat sich gleich entschieden, wie er im Gespräch sagt.

Manchmal überkamen den Vater Gewaltfantasien, die ihn heute selbst erschrecken.

Tims Vater sagt, er schlafe heute wieder ruhig, aber vergessen habe er nicht. «Wenn deinem Kind so etwas passiert, gehst du durch die Hölle», sagt er. Manchmal überkamen ihn Gewaltphantasien, die ihn heute selbst erschrecken. «Man wünscht den Mobbern dann plötzlich schlimme Dinge. Dabei sind das ja auch nur Kinder.»

Ein dickes Dossier mit Briefen, Mails und Protokollen hat Herr Widmer über das Mobbing seines Sohnes zusammengestellt. Es war sein Weg, um mit seiner Hilflosigkeit umzugehen. Und doch findet man auch darin nur die Spuren jener Ohnmacht, die das Phänomen Mobbing ausmacht.

Ohnmacht allenthalben im Umgang mit Mobbing.

Der Ohnmacht einer Mutter, deren Sohn beim Mobbing mitgemacht hat und die ihn deshalb nicht wiederzuerkennen scheint. Der Ohnmacht einer Schulkreispräsidentin, die sich eine bessere Kommunikation zwischen Schule und Eltern wünscht und Letztere um mehr Geduld bittet – weil Gewaltprävention eben Zeit brauche.

Und natürlich der Ohnmacht eines Vaters, der bei Lehrern und Schulbehörden, Politikern und Fachleuten um Hilfe bittet und das Mobbing am Ende doch nicht verhindern kann.

Und Tim? Der hat heute alle Kontakte zu seiner alten Klasse abgebrochen. Seinen ehemaligen Pausenplatz meidet er. Und wenn er mitbekommt, dass ein neuer Klassenkamerad früher auch gemobbt wurde, kommt plötzlich wieder alles hoch, weint er einen Abend lang.

Aber an den meisten Tagen, erzählt sein Vater, gehe es Tim eigentlich sehr gut. Er geht gerne zur Schule, hat Freunde, ist Teil eines Sportteams, geht alleine ins Skilager.

Und blaue Flecken an den Beinen hat er so gut wie keine mehr.

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Schulleitungen kontrollieren die Lehrkräfte, wer kontrolliert die Schulleitungen? https://condorcet.ch/2022/08/schulleitungen-kontrollieren-die-lehrkraefte-wer-kontrolliert-die-schulleitungen/ https://condorcet.ch/2022/08/schulleitungen-kontrollieren-die-lehrkraefte-wer-kontrolliert-die-schulleitungen/#comments Tue, 30 Aug 2022 09:26:05 +0000 https://condorcet.ch/?p=11274

Das Berufsbildungszentrum in Biel (Berufsschule) war seit anderthalb Jahren ein Ort wüster Auseinandersetzungen zwischen einer neugewählten Direktorin und dem ihr unterstellten Personal. Am 11. August beendete die Amtsleiterin, Frau Gisin, das Arbeitsverhältnis mit Frau Mertens, nachdem man monatelang alle Klagen, Warnungen und Fehlentscheidungen nicht hatte wahrnehmen wollen. Das zuständige Amt, dem eigentlich die Aufsicht über das Führungspersonal obliegt, möchte nicht zurück, sondern vorwärtsschauen. Das stösst auf Kritik. Unser Condorcet-Autor Alain Pichard hat den Fall bis in die tiefesten Abgründe studiert und verfügt über viel Insiderwissen. Er bezeichnet die Vorgänge als unglaublich und fordert mit den Lehrkräften dieser Schule eine Aufklärung über das Verhalten der Aufsichtsbehörde.

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Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Warum ist das Burnout mit nachträglicher grosszügiger Abfindung immer die Lösung?
Barbara Gisi, Amtsleiterin MBA: ” Wir haben die Anliegen ernst genommen.”

Am 11. August 2022 beendete die Amtsleiterin des MBA (Mittelschul- und Berufsbildungsamt), Frau Gisi,  vorläufig einen anderthalb Jahre schwelenden Konflikt zwischen der Direktorin des BBZ (Berufsbildungszentrum) und der Belegschaft. Nach der Entlassung von Frau Mertens mahnte die sichtlich angespannte Chefbeamtin, man wolle jetzt vorwärtsschauen. Nicht wenige der anwesenden Frauen und Männer sahen sich verdutzt an. Aus der Perplexität wurde schliesslich Ärger und bei nicht wenigen machte sich ein regelrechter Zorn breit. Hatte man nicht vor den Sommerferien runde Tische erzwungen, in denen sämtliche Verfehlungen der Direktorin auf den Tisch kamen? Hatte man nicht versprochen, die angefertigten Protokolle, welche das ganze Ausmass dieser Fehlbesetzung offenbarten, den Beteiligten zuzusenden? Amtsleiterin Gisi meinte: «Wir haben es zwar versprochen, aber jetzt verzichten wir darauf. Wir wollen vorwärtsschauen.»

Wurde vor anderthalb Jahren nicht eine Frau als Direktorin angestellt, die kurz zuvor nach einem halben Jahr Leitung der PH-Fribourg ihres Postens enthoben wurde und nach einem weiteren halben Jahr Burnout die Hochschule verliess? Egal, wir müssen vorwärtsschauen.

Haben die Aufsichtsbehörden nicht schon sehr früh Dutzende von Briefen, Beschwerden und Anklagen erhalten, welche die Amtsführung der Direktorin kritisierten? Und gab es nicht schon zu Beginn Kündigungen im Kader und bei den Lehrkräften? Und haben die Behörden nicht auf eine parlamentarische Anfrage mit dem Satz: «Die Personalfluktuation ist mit dem Führungswechsel leicht erhöht, wie es bei Führungswechseln oft der Fall ist», reagiert?  Schwamm drüber, wir müssen jetzt vorwärtsschauen.

Und wurde nicht ein ganzer ICT-Bereich unter horrenden Kosten in den Sand gesetzt? Ist natürlich unschön, aber wir müssen jetzt vorwärtsschauen.

Wurde nicht ein Treuhandbüro eingesetzt, um Personaldossiers zu bearbeiten, obwohl ein kompetenter Mann im BBZ das gemacht hätte, der aber vorzeitig von der Direktorin vergrault wurde? Und hat dieses Treuhandbüro nach einem halben Jahr nicht erst einen Bruchteil der Dossiers bearbeitet? Mag sein, aber jetzt muss man vorwärtsschauen.

Wurde nicht eine Retraite angesetzt mit dem Ziel der Teambildung, obwohl es sich offensichtlich um ein Führungsproblem handelte? Und wurde nicht ein ganzer ICT-Bereich unter horrenden Kosten in den Sand gesetzt? Ist natürlich unschön, aber wir müssen jetzt vorwärtsschauen

Reto Lindegger, als Troubleshooter in der Direktion, obwohl ja eigentlich eine Vizedirektorin da gewesen wäre.

Hat diese Direktorin nicht eine stellvertretende Direktorin eingesetzt, die weder über eine Lehrbefähigung noch über geeignete Papiere verfügte, so dass diese jetzt nach der Entlassung nicht einspringen kann? Und musste deshalb nicht mit der Person von Herrn Lindegger ein externer Troubleshooter eingesetzt werden? Schon möglich, aber jetzt müssen wir vorwärtsschauen.

Und wozu gibt es diese stattliche Anzahl von Schulinspektoren und Juristen, die sich dieses Amt leistet? Wieso werden hier ständig externe Stellen mit Abklärungen beauftragt, Mediationen angeordnet, Coaches rekrutiert, die an teuren Wochenenden in Hotels Teambildungen einüben, wo es ja um Führungsversagen geht?

Und als einzelne Lehrkräfte sich in ihrer Verzweiflung an die Öffentlichkeit wandten und die ersten Presseberichte erschienen, wurde diesen dann nicht ein Maulkorb verpasst, mit personellen Konsequenzen gedroht und von Amtsgeheimnisverletztungen fabuliert? Ja, schon, aber das sind halt Vorgänge, an die man sich halten muss, und jetzt müsse man halt vorwärtsschauen.

Die Amtsleiterin, Frau Gisi, sprach davon, dass man es gut hätte machen wollen und man könne nicht eine Person einfach entlassen. Man staunt. In Fribourg ging es ein halbes Jahr, bis man sich von Frau Mertens trennte, im Kanton Bern anderthalb Jahre. Aber egal, wir müssen vorwärtsschauen.

Für die gebeutelten Lehrkräfte ist der Fall klar. Hier soll das kolossale Versagen der Aufsichtsbehörden vertuscht werden. Wenn eine Behörde, die selbst stets Professionalität einfordert, sich derart unprofessionell verhält, muss man sich grundsätzliche Fragen stellen. Was ist eigentlich die Aufgabe einer Amtsleiterin, die immerhin ein Salär von über 170’000 Fr im Jahr erhält? Und wozu gibt es diese stattliche Anzahl von Schulinspektoren und Juristen, die sich dieses Amt leistet? Wieso werden hier ständig externe Stellen mit Abklärungen beauftragt, Mediationen angeordnet, Coaches rekrutiert, die an teuren Wochenenden in Hotels Teambildungen einüben, wo es ja um Führungsversagen geht? Und schliesslich darf sich der normale Arbeitnehmer durchaus fragen, warum in den oberen Chargen immer das Burnout mit anschliessend grosszügiger Abfindung den Konflikt beendet. Ist das nicht auch ein Affront gegenüber Menschen, die unverschuldet in schwierige Depressionen geraten? Der dänische Philosoph Kierkegaard meinte einmal: „Man muss das Leben vorwärts leben und rückwärts verstehen.“

Unter uns: Ich verstehe rückwärts gar nichts.

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Georg Silberschmidt hat aus Frust gekündigt https://condorcet.ch/2021/10/georg-silberschmidt-hat-aus-frust-gekuendigt/ https://condorcet.ch/2021/10/georg-silberschmidt-hat-aus-frust-gekuendigt/#respond Sat, 23 Oct 2021 21:32:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=9611

Der Informatik-Verantwortliche der Schule Gossau hat frustriert gekündigt, nachdem bereits mehrere Lehrpersonen gegangen sind. Auch aktuell an der Schule tätige Pädagogen sind mit der Situation unzufrieden. Die Schule will mit einer Reorganisation dagegen halten. Wir schalten hier einen Artikel von Annette Saloma auf, der im Züriost und anschliessend im Newsletter der Starken Volksschule Zürich erschienen ist.

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Annette Saloma, Züriost:
“Ein administrativ dominierter Wasserkopf?”

Georg Silberschmidt ist «total» enttäuscht. «Ich hätte nie gedacht, dass ich drei Jahre vor meiner Pensionierung freiwillig kündige», sagt der 62Jährige. «Aber die Zustände in der Schule Gossau haben mich dazu gezwungen.»
Silberschmidt ist seit 1994 bei der Schule Gossau angestellt. Zuerst als Sportlehrer,  Stundenplaner und Wahlfachkoordinator. Seit 2013 als Leiter ICT (Informatic Communcations and Technology), kurz Informatik.
«Meine Aufgabe wäre es gewesen, die Medienpädagogen, die es in jedem Schulhaus gibt, zu leiten und selbst als Medienpädagoge in Schulklassen zu unterrichten», sagt der Gossauer. Er habe dafür 2013 den Lehrgang als Pädagogischer ICTSupporter absolviert. Für dieses Geld hätte man zwei ITSupporter einstellen können.

Keine Zeit mehr für Pädagogik

Keine grossen Technikkenntnisse
Doch dazu sei es nie gekommen. «Stattdessen war ich für den technischen Support zuständig», erzählt er. «Man rief mich, wenn es Probleme mit Computern oder Tablets gab und auch dann, wenn der Drucker einen Papierstau hatte.»
Zu tun gab es viel. In Silberschmidts Bereich gehörten 11 Kindergärten, 6 Primarschulhäuser und 1 Oberstufenschulhaus mit 320 Computern, Druckern und 950 Tablets. Immer wieder habe er sich bei seinen Vorgesetzten beklagt, dass er, obwohl im Pflichtenheft ganz anders definiert, eigentlich nur technisch unterwegs sei. «Wo mich doch die Technik allein nicht interessiert und ich auch keine entsprechende Ausbildung habe.» Ausserdem sei er mit seinem LehrerJahreslohn von 140’000 Franken hierfür überbezahlt gewesen. «Für dieses Geld hätte man zwei ITSupporter einstellen können.»

Stelle ausgeschrieben
Doch sowohl die Schulverwaltung als auch die Schulpflege hätten sich nicht für seine Einwände interessiert. Seine Interventionen und Vorschläge, wie man die Fachstelle ICT  aufbauen könnte, seien ignoriert worden, Mails unbeantwortet geblieben.
«Im vergangenen November schrieb ich ein Positionspapier zu meiner Vision von der ICT 2021. Nie habe ich dazu eine Antwort erhalten.» Gleichzeitig hätten sich im Frühjahr 2020 immer mehr Personen der Schulpflege, der Schulleitung und der Schulverwaltung in die Informatik eingemischt, als die Schule wegen Corona quasi übers Wochenende von analogen auf digitalen Unterricht umstellen musste.

Die ICT wurde umstrukturiert, ohne mich nach meiner Meinung zu fragen

Im Februar 2021 habe er gesehen, dass seine Stelle als Leiter ICT ausgeschrieben sei. «Da war ich schockiert. Die ICT wurde umstrukturiert, ohne mich nach meiner Meinung zu fragen», sagt er. «Vor den Sommerferien wurde ich dann vor die Tatsache gestellt, dass ich ab 1. August 2021 technischer InformatikSupporter bin. Ich sagte mehrmals, dass es unsinnig sei, wenn ich beispielsweise für einen Papierstau in ein Schulhaus fahren muss und zudem für diese Arbeit viel zu teuer sei.»


Kündigung als Konsequenz

Ausserdem habe ihm die Schulpflege vorgeschrieben, dass er wie alle Angestellten der Schule Gossau nur von Montag bis Freitag von 8 bis 12 und von 13.30 bis 16 Uhr erreichbar sein dürfe. Für Arbeiten nach 18 Uhr oder am Wochenende hätte er einen
Antrag stellen müssen. «Um Internetausfälle, wie sie immer mal wieder vorkamen, an einem Abend oder am Wochenende zu beheben, hätte ich also extra einen Antrag stellen müssen. Das ist Bürokratie und hat mit der Gewährleistung einer funktionierenden ITInfrastruktur nichts zu tun.» Die Situation habe ihn psychisch immer mehr belastet. Er hat seine Konsequenzen gezogen und Ende September seine Stelle gekündigt. In seiner Abschiedsmail an sämtliche Gossauer Lehrpersonen schreibt Silberschmidt: «Die Schule Gossau ist ein administrativ dominierter Wasserkopf». Am Telefon ergänzt er: «Die Schule Gossau wäre eine Bildungsinstitution. Leider wird sie immer mehr von der Administration dominiert.»
Auf seine Mail habe er sehr viele Reaktionen von Lehrpersonen erhalten, sagt Silberschmidt. «Viele sind unzufrieden, die Personalfluktuation ist hoch.» Diese Unzufriedenheit bestätigt eine Lehrperson, die anonym bleiben will. Unter anderem kritisiert sie die Kom
munikation an der Schule Gossau. «Die ist sehr unprofessionell und nicht transparent. Es wird einfach mal gemacht und nicht oder erst spät informiert.» Die Lehrerinnen und Lehrer fühlten sich zu wenig wertgeschätzt und zu wenig gehört. Es scheine, als wären Eigeninitiative und Herzblut unerwünscht. Stattdessen würden Prozesse und einheitliche Regelungen angestrebt.

Die eingeladenen Lehrpersonen hätten sich einstimmig gegen die Zentralisierung ausgesprochen. Zwei Monate später sei das Mail gekommen, dass sie den Mitarbeiter einstellen.


«Pseudomitspracherecht»

Jedes Gossauer Schulhaus hatte bis letztes Jahr eine Lehrperson mit Verantwortung für die Medienpädagogik. «Als es um die Umstrukturierung der ICT ging, hat die verantwortliche Schulleitung die Betroffenen an einer Sitzung gefragt, was sie davon halten, einen einzigen Medienpädagogen einzustellen, der die Medienpädagogik zentral für Gossau übernimmt.»

Schule Gossau: Es soll zentralisiert werden.

Die eingeladenen Lehrpersonen hätten sich einstimmig gegen die Zentralisierung ausgesprochen. Zwei Monate später sei das Mail gekommen, dass sie den Mitarbeiter einstellen. «Man bekommt oft so ein Pseudomitspracherecht. Am Schluss macht die Schulpflege dann trotzdem, was sie will.» Deshalb fehle auch die Motivation, an Workshops teilzunehmen. Einen solchen kurz vor den Herbstferien habe eine externe Firma geleitet. «Es war weder von der Schulpflege noch von den Schulleitungen jemand mit dabei. Das ist ebenfalls typisch. Die Führung von oben und die Nähe der Schulleitung und Schulpflege zu den Lehrpersonen fehlt.» Das Ziel der Weiterbildung sei von der Schulpflege festgelegt worden. Die Lehrpersonen sollten ein Konzept ausarbeiten, um einen Teil vom Unterricht in ganz Gossau zu vereinheitlichen. «Ein Ziel, das den meisten von uns gegen den Strich geht. Wir haben gute Gründe dafür, unterschiedlich zu unterrichten und möchten es so beibehalten.» Guter Unterricht sei auf die Schülerinnen und Schüler einer Klasse adaptiert und passe zur Lehrperson. «Die integrative Volksschule fordert zu Recht einen differenzierten Unterricht, der möglichst alle Kinder abholt.» Dieser sei nur dann möglich, wenn der entsprechende Spielraum dazu gegeben ist. «Leider finden wir mit unserem Anliegen bei der Schulpflege kein Gehör.»

Christoph Romer, Vizepräsident der Schulpflege und Mediensprecher der Schule: “Wir nehmen die Kritik ernst.” Photo Gossauer Info

Schule hat Kenntnis von der Kritik
Wie Christoph Romer, Vizepräsident der Schulpflege und Mediensprecher der Schule
sagt, darf die Schule Gossau zu den Vorwürfen von Silberschmidt aus Gründen der Schweigepflicht keine Stellung nehmen. Einzig zu den Arbeitszeiten sagt er: «Diese gelten für alle Mitarbeiter der Schule Gossau, nicht nur für die Informatik.» Die Schule sei im Umbau, die ganze Digitalisierung erfordere allen Beteiligten viel ab. Vom Abschiedsmail von Silberschmidt sei man überrascht gewesen. Dass die Administration einen grossen Teil des Schulbetriebs einnehme, sei richtig. «Das ist aber an allen Schulen so, das wird vom Kanton vorgegeben.»

Reorganisation in Arbeit
Die Kündigung von Lehrpersonen und Schulleitern habe nichts damit zu tun, sondern sei der Situation mit Corona geschuldet. «Wir haben eine schwierige Zeit hinter uns», sagt Romer. «Wie in den Pflegeberufen haben viele keine Energie mehr, weiterzumachen.»
Von der Kritik der Lehrpersonen habe man Kenntnis und nehme diese sehr ernst. «Aus diesem Grund haben wir 2019 eine Reorganisation in Angriff genommen, die wir zusammen mit ihnen gestalten.»
Aufgrund von Corona hätten diese Workshops ausgesetzt werden müssen, seien jetzt aber wieder aufgenommen worden. «Die Schulpflege oder die Schulverwaltung ist nicht jedes Mal dabei, weil jede Partei auch einzeln angehört werden muss und sich alle frei äussern sollen.»
Einheitliche Regelungen seien wichtig. «Selbstverständlich dürfen die Lehrpersonen individuell unterrichten, es sind ja keine Roboter», sagt Romer. «Aber es kann nicht sein, dass jedes Schulhaus eine komplett andere Unterrichts und Beurteilungsphilosophie hat. Das wäre für die Schülerinnen und Schüler unfair.»

Verschiedene JobAngebote
Georg Silberschmidt ist froh, mit all dem nichts mehr zu tun zu haben. «Mit der Kündigung  ist mir eine riesige Last, die mich psychisch und physisch belastet hat, von den Schultern gefallen.» Er habe schon jetzt verschiedene Angebote und sei gespannt, wohin ihn sein beruflicher Weg noch führe. Für die Angestellten der Schule Gossau hoffe er sehr, dass der Gang an die Öffentlichkeit etwas zum Positiven bewirke. «Ich wünschte mir, dass sich die Schule wieder auf ihren Bildungsauftrag konzentrieren kann, die Lehrpersonen Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben können und nicht von der Administration und Führungsmängeln erdrückt werden.»

Dieser Beitrag ist zuerst in der Züriost erschienen. (Zueriost.ch, 20.10.2021) 

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Geleitete Schule – eine Erfolgsgeschichte? Ein persönlicher Rückblick https://condorcet.ch/2019/08/geleitete-schule-eine-erfolgsgeschichte-ein-persoenlicher-rueckblick/ https://condorcet.ch/2019/08/geleitete-schule-eine-erfolgsgeschichte-ein-persoenlicher-rueckblick/#respond Mon, 05 Aug 2019 10:16:02 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1890

Daniel Weibel hat sich mit unserem Condorcet-Autor Alain Pichard schon öfters öffentlich gestritten. Der profilierte Schulleiter vertritt in einigen Bereichen der heutigen Reformpolitik explizit andere Positionen als die Mehrheit der Condorcet-Autoren. Um so erfreuter sind wir, dass er sich bereit erklärt hat, für unseren Blog einen Beitrag zu schreiben.

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Daniel Weibel, Schulleiter

Mit der Einführung der geleiteten Schule wurde sozusagen über Nacht ein neuer Berufszweig geschaffen, der sich in einzelnen Schulen anfühlte, als ob man plötzlich in einen wilden Naturgarten, in dem jede Pflanze sich nach eigenen Bedürfnissen entfaltet oder verkümmert, einen Buchsbaum pflanzt. Ein Buchsbaum, eine Art Elitepflanze, die mit der Heckenschere des Systems (Funktionendiagramme, Loyalitäts-  und Neutralitätsansprüche, etc.) zu einer runden Kugel geformt und als Vorgesetzte definiert wird.

Wie komme ich zu diesem eigenartigen Bild?

Bild: ambico

Es begann vor 13 Jahren. In einer Art Blauäugigkeit interessierte ich mich für die Schulleitung eines Berner Oberländer Oberstufenzentrums, in welchem ein Wechsel bevorstand. Zwei etablierte Schulleiter entschieden sich, vor REVOS 08 in die frühzeitige Pension oder zurück in den Lehrerberuf zu wechseln.

Als Teilpensenlehrer mit Schwerpunkt Musik und ausgerichtet auf die Realstufe, war mir bewusst, dass die Unterstützung aus dem Team hauptsächlich aus dem Gedanken genährt wurde, dass ich als «einer von ihnen» sozusagen als Strohmann in der Führungsebene ihre Anliegen durchwinken werde.

Es kam anders. Als «Interner» wurde ich mit einem «Externen» ins Cockpit gesetzt, der als ehemaliger SVP Stadtrat von Thun und Sohn eines hohen Militärs eine etwas andere Ausrichtung hatte als ich. Wir unterstellten uns dem Kollegialitätsprinzip und erhielten vom Kollegium die Übernamen «Blocher und Leuenberger». Der Graben zwischen Team und Co-Schulleitung war gelegt, da die Idee mit dem Strohmann nicht funktionierte. Einzelne Lehrpersonen legten sich in ähnlicher Weise wie pubertierende Jugendliche aus Prinzip gern mit der «Obrigkeit» an. Häufigstes Strategiemittel war: Keile zwischen das CO-Leitungsteam zu treiben, ganz in der Art, wie es Kinder tun, die zuerst den einen Elternteil, dann den andern um etwas bitten und jeweils behaupten, dass der andere ihr Anliegen erlauben würde.

Schon während unserer Ausbildung wurden wir vor den informellen Alphatieren gewarnt

Ausserdem konnte man in dem rund 40-köpfigen Team ein paar «Alphatiere», sogenannte informelle Führungspersonen ausmachen (vor denen wir bereits in der Ausbildung gewarnt worden waren). Sich mit ihnen zu arrangieren, sie einzubinden, etwa in die Steuergruppe, war oft der wichtigste Gelingensfaktor, um weiterzukommen.

Es kommt auf die Qualität im menschlichen Bereich an

Schliesslich schafften es «Blocher» und ich nach etlichen Anfangsschwierigkeiten, uns mit dem Team gemeinsam auf den Weg zu machen. In jener Zeit interessierte ich mich sehr für die Akzeptanz der geleiteten Schule innerhalb der LehrerInnenschaft. Meine Zertifikatsarbeit «Das Potenzial eines motivierten Kollegiums» ging dieser Frage nach. Ich kam im Rahmen meiner Schulleiterausbildung, die nota bene im Kanton Bern erst dann beginnen kann, wenn man bereits eine solche Anstellung hat (Schwimmen lernen, nachdem man in die Aare gesprungen ist …), zum Schluss, dass man sich noch so viel Führungsliteratur eintrichtern (lassen) kann. Erfolg oder Scheitern begründet sich letztlich allein mit der Qualität des Schulleiters im menschlichen Bereich. Fachliche Defizite oder fehlende Erfahrungswerte kann man sich in gegenseitigem Feedback auf konstruktive Art klar machen. Fehlende Sozialkompetenz, fehlende Konflikt- und Kritikfähigkeit verhindern jedoch in den meisten Fällen eine gute Kooperation zwischen Team und Kollegium. Lässt ein Schulleiter nicht mit sich reden, hat er kein offenes Ohr, will er nach jedem Weiterbildungsmodul gleich alles im Betrieb reorganisieren, d. h. vor allem sich selbst verwirklichen – die Liste der Stolpersteine könnte noch weitergeführt werden –,  ist das Scheitern vorprogrammiert.

Die Zusammenarbeit Schule-Elternhaus ist ebenso wichtig wie zwischen Team und Schulleitung

Die Zusammenarbeit Schule-Elternhaus ist ebenso wichtig wie die Zusammenarbeit zwischen Team und Schulleitung. Bauen Eltern Widerstand gegen die Schule oder gegen einzelne Lehrpersonen auf, sind Schulleitende gefordert, frühzeitig zu intervenieren und einzugreifen. Zu klären, transparent zu sein und gegenseitiges Verständnis aufzubauen sind die Hauptaufgaben dabei. Nicht selten finden hinter LehrerInnenzimmertüren regelrechte Eltern-Bashings statt. Im Sinn von Dampf rauslassen darf dies kurzfristig einmal geschehen. Wird das „Über-die Eltern-Herziehen“ jedoch zum Muster und zur Gewohnheit, ist dies keine gute Grundlage für ein gesundes Schulklima, das sich letztendlich am Wohl des Kindes auszurichten hat.

Bild: api

Hohe Abwanderung

Ausserhalb meiner Ausbildung interessierte ich mich sehr dafür, wie es anderen Kolleginnen und Kollegen erging, welche den Berufswechsel in die Schulleitung vollzogen hatten. Dabei machte ich eine erstaunliche Erfahrung. Ich zählte 16 Schulleitende aus meinem Netzwerk, die entweder in die Privatwirtschaft abwanderten (5), den Kanton wechselten (3), in den Lehrerberuf zurückgingen (4), eine Stelle an der PH oder der Erziehungsdirektion übernahmen (2) oder krankgeschrieben wurden (2).

Ich erlaubte mir, aufgrund dieser Erkenntnis den Leiter des Projekts «Stärkung der Schulleitung» der Erziehungsdirektion anzuschreiben und zu fragen, wie weit man dort mit diesem Projekt, welches bereits mehrere Jahre lief, sei. Ausser Gegenfragen erhielt ich nichts Brauchbares, ein Jahr später jedoch kam die Mitteilung, dass das Projekt begraben worden sei. Was sollte das bedeuten? Geleitete Schulen mit «unterernährten» Führungspersonen?

Zwischenzeitlich wechselte ich vom Oberstufenzentrum an eine Primarschule mittlerer Grösse und staunte nicht schlecht, dass ich knapp 1000.- Fr. weniger verdiente, wo ich doch, im Vergleich zu vorher mit 3 Jahrgängen (7. bis 9. Klasse), nun 8 Jahrgänge (KG bis 6. Klasse) zu betreuen hatte.

Dank Lobbyarbeit wurde die einheitliche Lohnklasse für alle Schulleitende erreicht

Ich begann mich nun im Berufsverband der Schulleitenden Bern zu engagieren, als Vorstandsmitglied. Mir war klar, dass die Idee der «Stärkung der Schulleitung» nicht auf der Strecke, respektive in der Schublade bleiben darf. Dank des Engagements des Erziehungsdirektors und intensiver Lobbyarbeit des Präsidiums des VSL Bern konnte endlich eine einheitliche Lohnklasse für alle Schulleitenden erreicht werden, ein erster Schritt.

Es ist für mich eindeutig, dass sich die Motivation einer Schulleitungsperson direkt auf die ganze Schule auswirkt. Eine Wertschätzung im Lohnbereich ist dabei ein Faktor. Dasselbe kann man auch auf die Lehrpersonenebene übertragen. Wer dort keine Wertschätzung erlebt, wird das Klassenklima kaum im «grünen Bereich» halten.

«Change it, love it or leave it!»

Damit bin ich wieder beim Aspekt des «Menschlichen» angelangt. «Change it, love it or leave it” sage ich jeder Lehrperson oder jedem Schulleitungsmitglied, welches sich mir gegenüber über den Betrieb beklagt.

Wir haben aktuell eine Situation, in welcher der Markt funktioniert.

Wir haben aktuell eine Situation, in welcher der Markt funktioniert. Viele Lehrpersonen oder Schulleitungen springen ab, weil Stellen frei werden, welche bessere Bedingungen zu bieten haben.

Ich bin überzeugt, dass eine gute Schulleitung ein wichtiger Faktor einer attraktiven Schule ist, ob man nun die Hierarchie gut findet oder nicht.

Ich kann weder meine Credos noch meine Weltanschauung, Haltung, Geschichte oder Persönlichkeit beim Betreten eines Schulhauses an den Garderobenhaken hängen.

Zurück zum Buchsbaum. Mit dem Entscheid, Schulleiter zu werden, habe ich ja gesagt zu einer Hierarchie, wie sie das System vorsieht. Das ständige Beschnittenwerden behagte mir jedoch überhaupt nicht. Ich wollte mein Profil behalten, meine Ecken und Kanten. Eine als «political correct» getarnte Farblosigkeit entspricht mir nicht. Ich kann weder meine Credos noch meine Weltanschauung, Haltung, Geschichte oder Persönlichkeit beim Betreten eines Schulhauses an den Garderobenhaken hängen. Ich vertrat jahrelang die Überzeugung, dass Selektion, Hausaufgaben und Noten abgeschafft werden müssen. Nicht jede Schulbehörde fand meine Äusserungen diesbezüglich gut, was mir in einem Fall auch die Stelle kostete. Ich bin der Meinung, dass Schulleitende sich politisch positionieren müssen. Das generiert jedoch Angriffsfläche und auch Konflikte, die auszuhalten sind. Ja, und zwischenzeitlich befällt uns Schulleitende der «Zünsler». Wir scheitern. Wichtig dabei ist aber, wie wir damit gegenüber unseren Teams und auch gegenüber den Eltern umgehen. Es gibt Kollegen, die versuchen es zu cachieren, was – wie bei einem braun gewordenen Buchs – recht schwierig ist. Somit bleibt uns Schulleitenden ausschliesslich die Möglichkeit, gemeinsam, zusammen mit dem Kollegium und den Eltern, eine zeitgemässe Schule zu gestalten, die den Spagat zwischen politischen Vorgaben und gesellschaftlichen Realitäten schafft. Schulleitende stützen ihr Team – und umgekehrt. Schulleitende kümmern sich um ihr Team – und umgekehrt!

Daniel Weibel (54),

Schulleiter und Lehrer in Bargen BE, Vorstandsmitglied des VSL Bern und des VSoS

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