Kolonialismus - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Thu, 28 Dec 2023 13:38:50 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Kolonialismus - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Hass-Lehre an deutschen Unis: Unsere Studenten lernen, unsere Werte zu verachten https://condorcet.ch/2023/12/hass-lehre-an-deutschen-unis-unsere-studenten-lernen-unsere-werte-zu-verachten/ https://condorcet.ch/2023/12/hass-lehre-an-deutschen-unis-unsere-studenten-lernen-unsere-werte-zu-verachten/#respond Thu, 28 Dec 2023 13:38:50 +0000 https://condorcet.ch/?p=15572

Warum gibt man seine Kinder an die Universität? Damit sie zu klügeren Menschen ausgebildet werden. Aber darauf ist immer weniger Verlass. Immer häufiger lernen sie, sich selbst und die Vernunft, auf der diese Gesellschaft gründet, zu hassen. Was auf den Unis zurzeit abgeht, zeigt ein Kommentar von Jan Fleischhauer, der im Focus erschienen ist.

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Der „FAZ“-Redakteur Claudius Seidl hat in seiner Zeitung vom studentischen Leben an der Universität der Künste in Berlin berichtet. An der Hochschule werden 4000 Studenten in Design, Musik, Architektur und Bildender Kunst ausgebildet. Die UdK Berlin zähle zu den größten, vielseitigsten und traditionsreichsten künstlerischen Hochschulen der Welt, steht auf der Webseite.

Gastautor Jan Fleischhauer

Was Seidl zu beschreiben wusste, las sich allerdings so, als ob die Hochschule in Ramallah oder Gaza Stadt und nicht mitten in Berlin liegen würde. Jüdische Studenten trauten sich nicht mehr in Lehrveranstaltungen, weil sie von Kommilitonen als Mörder beschimpft würden. Die Universitätsleitung sei ratlos, wie sie dem offenen Hass entgegentreten solle.

Neo-Kolonialismus ist das Stichwort

Es gibt ein Video, auf dem man sieht, wie der Uni-Präsident Norbert Palz die Studenten zur Mäßigung aufruft. Kaum hat er das Wort ergriffen, wird er niedergeschrien. “Verurteile den Rassismus”, schleudern sie ihm in Sprechchören entgegen: “Verurteile den Kolonialismus”. Minutenlang geht das so, in einer schwarzen Choreografie der Wut.

Palz hatte aus Sicht der Studenten den unverzeihlichen Fehler begangen, in einer offiziellen Stellungnahme den Terror der Hamas zu verurteilen, wie Seidl schreibt. Kolonialismus, das ist das Stichwort. Als Neo-Kolonialist gilt in diesem Zusammenhang jeder, der eine falsche Hautfarbe hat (weiß), am falschen Ort geboren ist (westliche Industrienation) und die falsche Religion besitzt (Christentum, Judentum).

Israel als Brückenkopf eines vom Westen gesteuerten kolonialrassistischen Imperialismus: Das ist es, was den jungen Leuten beigebracht wird.

Zu den kolonialen Opfern, die uneingeschränkte Solidarität verdienen, zählen hingegen alle, die man im weitesten Sinn als Indigene verstehen kann, wozu dann neben den Indianern im Amazonas, den Maori in Neuseeland oder den Aborigines in Australien auch bedrängte Völker wie die Palästinenser gehören.

Der Antisemitismus kann an Universitäten wieder auferstehen

In einem verrückten Twist lebt so der unverstellte Antisemitismus wieder auf. Der “Geldjude” der Nazis erfährt seine Reinkarnation in der Figur des Wall-Street-Bankers, dem nun im Namen des Antikapitalismus der Kampf angesagt wird. Die weißen Sklavenhalter finden ihre Auferstehung im Feindbild des zionistischen Siedlers.

Israel als Brückenkopf eines vom Westen gesteuerten kolonialrassistischen Imperialismus: Das ist es, was den jungen Leuten beigebracht wird. Auf diese Pointe läuft es hinaus. Kein Wunder, dass an vielen Hochschulen der Teufel los ist. Und das nicht nur an den amerikanischen Elite-Universitäten, in denen ein linker Mob jeden niederbrüllt, der zu weiß, zu privilegiert und zu wohlerzogen ist.

Wenn selbst die Orestie von Aischylos mit einer Warnung versehen wird, ist Gelächter und nicht Empörung die angemessene Reaktion. Dachte ich.

Den antiwestlichen Furor gibt es auch in Deutschland zu besichtigen, wie sich zeigt. Und es ist nicht nur die Berliner Universität der Künste, an der sich der Hass austobt – ähnliches wird von einer Reihe deutscher Hochschulen berichtet.

Uni-Kultur als „Wokeness“ zu betiteln, ist zu harmlos

Ich habe mich über die Auswüchse der neuen linken Heilslehre oft lustig gemacht. Ich habe über die Safe Spaces gespottet, die dafür sorgen sollen, dass Studenten einen Schutzraum vor fremden Meinungen finden. Ich habe die Trigger-Warnungen belächelt, die Texten vorangestellt werden, die als zu anstößig empfunden werden könnten.

Universität Berlin: . Jüdische Studenten trauen sich nicht mehr in Lehrveranstaltungen, weil sie von Kommilitonen als Mörder beschimpft werden.

Wenn selbst die Orestie von Aischylos mit einer Warnung versehen wird, ist Gelächter und nicht Empörung die angemessene Reaktion. Dachte ich. Aber jetzt zeigt sich, dass die Ideologie, die in der akademischen Welt Einzug gehalten hat, eine finstere, bedrohliche Seite hat. Wenn sich Studenten nicht mehr in den Hörsaal trauen, weil sie Angst haben müssen, von ihren Kommilitonen bedrängt, beleidigt und bespuckt zu werden, ist definitiv der Punkt erreicht, an dem man einschreiten muss.

Es hat sich eingebürgert, im Zusammenhang mit der Uni-Kultur von “Wokeness” zu sprechen. Aber das ist zu schwammig, auch zu harmlos. Es gibt einen theoretischen Unterbau des Hasses. Wer nach einer Erklärung sucht, warum junge Menschen ihre jüdischen Kommilitonen bedrohen, landet bei der sogenannten postkolonialen Theorie.

Die Gehirnwäsche der postkolonialen Theorie

Wobei Theorie ein großes Wort ist. Tatsächlich ist es eine Art Gehirnwäsche, bei der Studenten beigebracht wird, dass der Rassismus das Fundament der westlichen Gesellschaften sei und das Denken in den Vernunftkategorien der Aufklärung nur ein Machtinstrument zur Sicherung der vermeintlichen Überlegenheit des Westens.

Selbstverständlich ist auch die Vorstellung, dass westliche Werte wie Toleranz und allgemeine Menschenrechte Gewaltreligionen wie die der Taliban überlegen sein könnten, Ausdruck kolonialistischen Denkens.

Bei Claudius Seidl berichtete eine Dozentin von einem Kurs, in dem es darum ging, dass man es mit dem entsprechenden indigenen Wissen schaffen könne, den Bäumen beim Sprechen zuzuhören. Als die Professorin entgegnete, das sei wohl eher eine Projektion, wurde sie zurechtgewiesen, wie kolonialistisch und rassistisch es sei, mit Begriffen eines weißen Mannes wie Sigmund Freud das indigene Wissen zu delegitimieren.

Selbstverständlich ist auch die Vorstellung, dass westliche Werte wie Toleranz und allgemeine Menschenrechte Gewaltreligionen wie die der Taliban überlegen sein könnten, Ausdruck kolonialistischen Denkens. Wenn die Taliban meinen, dass die Steinigung von Frauen im Einklang mit ihren Traditionen steht – wer sind wir, ihnen zu sagen, wie sie zu leben haben?

Wie lange wollen wir noch so weitermachen?

Dass der Westen jede moralische Autorität eingebüßt habe, ist übrigens exakt das Argument, das man auch auf den Fluren der Vereinten Nationen rauf und runter hört. Mit dem Ergebnis, dass Folterknechte im Menschenrechtsrat den Ton angeben und Hamas-Sympathisanten das Uno-Flüchtlingswerk für Palästina dominieren.

Die Frage ist, ob wir so weiter mitmachen wollen. Ob wir länger dulden wollen, dass unseren Kindern eingetrichtert wird, den Westen und seine Werte zu verachten. Ich bin mir bewusst, das ist ein heikles Terrain. Die Freiheit der Lehre ist ein hohes Gut. Aber wir haben aus gutem Grund auch von der Rassenlehre Abstand genommen. Niemand unterrichtet mehr an deutschen Universitäten, dass eine Hautfarbe der anderen überlegen sei oder ein Geschlecht dem anderen.

Denkmal gegen Rassismus: Als Neo-Kolonialist gilt (….) jeder, der eine falsche Hautfarbe hat (weiß), am falschen Ort geboren ist (westliche Industrienation) und die falsche Religion besitzt (Christentum, Judentum).

Warum also eine Theorie mit viel Geld ausstatten, die gegen alles steht, was die Grundlage unserer freiheitlichen Gesellschaft ausmacht? Noch mag die Zahl der Lehrstühle vergleichsweise klein sein. Aber es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Postkolonialisten an deutschen Hochschulen die der Slawisten oder Anglisten übersteigt.

In den USA ist Postkolonialismus bereits die vorherrschende Lehre

In der angelsächsischen Welt ist der Postkolonialismus, der die Welt in Opfer und Täter unterteilt, bereits die dominierende Lehre. Auch in Deutschland ist man als Student gut beraten, sich als gelehriger Schüler zu zeigen, wenn man etwas werden will. Postkolonialismus sei schlicht die am meisten geförderte Diskursmode im gegenwärtigen Kulturbetrieb, befand dieser Tage ein Kenner der Szene in der “Süddeutschen Zeitung”.

Am Dienstag saßen die Präsidentinnen von drei der prestigeträchtigsten Hochschulen der USA vor einem Kongressausschuss, der sich mit den Campus-Ausschreitungen gegen jüdische Studenten befasste. Die Abgeordnete Elise Stefanik aus New York hatte eine leicht zu beantwortende Frage an die Geladenen: “Verstößt der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen den Verhaltenskodex und die Anti-Harrassment-Regeln Ihrer Universität, ja oder nein?”

Die öffentlich geäußerte Meinung, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, gilt als nicht hinnehmbarer Ausdruck von Gewalt, weil sie Studenten in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigen könnte, der Aufruf, alle Juden auszulöschen, hingegen nicht.

Keiner der Hochschulvertreterinnen mochte die Frage mit “ja” beantworten. Das hänge vom Kontext ab, erklärte Sally Kornbluth, Präsidenten des MIT. So lautete auch die Antwort von Claudine Gay aus Harvard: alles eine Frage des Kontextes. Nicht leicht zu sagen, aber wenn die Rede in konkretes Verhalten übergehe, könne das Harassment sein, führte Liz Magill, Präsidentin der University of Pennsylvania, aus. “Verhalten heißt: Man muss also erst einen Genozid begehen, damit es gegen die Regeln verstößt? Das ist ihre Antwort Miss Magill?” war die fassungslose Reaktion der Abgeordneten.

Uns bleibt nicht mehr viel Zeit

Anfang des Jahres musste die Evolutionsbiologin Carole Hooven in Harvard ihren Platz räumen, weil ihr Beharren auf der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen von der Universitätsleitung als zu kontrovers empfunden worden war – auch daran wurde am Dienstag noch einmal erinnert.

Das ist die Lage an amerikanische Elite-Universitäten: Die öffentlich geäußerte Meinung, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, gilt als nicht hinnehmbarer Ausdruck von Gewalt, weil sie Studenten in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigen könnte, der Aufruf, alle Juden auszulöschen, hingegen nicht. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass es an deutschen Hochschulen nicht bald auch so aussieht. Viel Zeit bleibt nicht mehr.

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Fehlender politischer Rückhalt für den Unterricht in Schweizer Geschichte https://condorcet.ch/2023/09/fehlender-politischer-rueckhalt-fuer-den-unterricht-in-schweizer-geschichte/ https://condorcet.ch/2023/09/fehlender-politischer-rueckhalt-fuer-den-unterricht-in-schweizer-geschichte/#respond Sun, 24 Sep 2023 17:41:04 +0000 https://condorcet.ch/?p=15007

Wenn mit einem Lernangebot ein sanfter Druck auf die Lehrerschaft ausgeübt wird, bei historischen Schweizer Persönlichkeiten ausführlich auf dunkle Stellen ihrer Biografie hinzuweisen und sich verbreiteter rassistischer Symbole unserer Tage bewusst zu werden, ist Vorsicht am Platz. Darin verstecken sich zuweilen spezifische politische Anliegen - oder unzulässige Geschichtsklitterung, schreibt Condorcet-Gastautor Hanspeter Amstutz.

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«Zürich und der Kolonialismus» lautet der Titel eines Lehrmittels, welches das Präsidialamt der Stadt Zürich in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Zürich den Stadtzürcher Sekundarschulen zur Verfügung stellt. Das attraktiv gestaltete 76-seitige Schulbuch soll die Verstrickungen von Zürcher Kaufleuten in den Sklavenhandel im frühen 19. Jahrhundert aufdecken und alltäglichen Rassismus in der heutigen Zeit erkennen. Das Anliegen steht im Einklang mit dem Lehrplan, da das Ringen um Menschenrechte und mehr soziale Gerechtigkeit zu den zentralen Themen des Geschichtsunterrichts gehört.

Gastautor Hanspeter Amstutz

Tendenziöses Lehrmittel für Stadtzürcher Sekundarschulen

Trotz dieser positiven Vorzeichen wird man beim Engagement der Zürcher Stadtbehörden den Eindruck nicht los, es gehe den Verfassern weniger um ein pädagogisches als um ein spezifisches politisches Anliegen. Mit dem Lernangebot wird ein sanfter Druck auf die Lehrerschaft ausgeübt, bei historischen Persönlichkeiten ausführlich auf dunkle Stellen ihrer Biografie hinzuweisen und sich verbreiteter rassistischer Symbole unserer Tage bewusst zu werden. So heisst es im Glossar des Lehrbuchs, Rassismus sei ein «institutionalisiertes System, das weisse Menschen und ihre Interessen konsequent bevorzugt». Diese Definition trifft zwar den Kern des europäischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert, schiebt aber auch in der Gegenwart den rassistischen Überlegenheitswahn einseitig den hellhäutigen Menschen zu. Unzulässige Geschichtsklitterung wird im Lehrbuch betrieben, wenn der Eisenbahnpionier Alfred Escher als indirekter Profiteur von Erträgen aus der Sklavenplantage seines Onkels bezeichnet wird. Gewiss war der Hauptinitiant des Gotthardbahnprojekts eine umstrittene Figur. Er hatte grosse Ziel, besass eine fast übermenschliche Schaffenskraft, war aber oft rücksichtlos im Umgang mit seinen politischen und wirtschaftlichen Konkurrenten. Doch Escher mit dem Sklavenhandel in Verbindung zu bringen, ist absurd.

Wenn die Politik sich um Inhalte des Geschichtsunterrichts kümmert, darf sie den Blick aufs Ganze nicht verlieren. Macht sie dies wie der Zürcher Stadtrat, droht sie ihre pädagogische Glaubwürdigkeit zu verspielen. Jugendliche in der Sekundarschule verfügen in der Regel noch nicht über das nötige Grundwissen, um historische Persönlichkeiten souverän beurteilen zu können. Was Jugendliche in diesem Alter brauchen, ist vielmehr das Kennenlernen von Meilensteinen unserer Landesgeschichte der letzten gut 200 Jahre. Es gilt, die Umsetzung wirklich grosser Ideen im politischen Alltag mitzuverfolgen und dabei einige Kapitel ausführlich zu behandeln. Dazu zählt mit Sicherheit die aufregende Zeit rund um das Revolutionsjahr 1848. Und da spielte Alfred Escher im aufstrebenden jungen Bundesstaat eine entscheidende Rolle. Neben dem Berner Ulrich Ochsenbein und dem Winterthurer Jonas Furrer gehörte er zu den führenden Köpfen, welche in den politisch aufgeladenen Gründerjahren für eine Aufbruchstimmung sorgten.   

Verfassung von 1848 als Lehrstück für konstruktive Politik 

Als im Frühjahr 1848 Revolutionen in unseren Nachbarländern ausbrachen und die alte europäische Ordnung aus den Fugen geriet, tat sich für unser Land unerwartet eine Türe auf. Die Interventionsdrohung der Grossmächte verblasste, sodass in der Verfassungskommission der Tagsatzung ohne Einmischung von aussen die Idee eines modernen Schweizer Bundesstaates konkretisiert werden konnte. Es fehlte nicht an Dramatik, denn es war eine Herkulesaufgabe, in dem zwischen konservativen und liberalen Kantonen polarisierten Schweizer Staatenbund einen Ausgleich zu finden. Zum Glück gab es besonnene Persönlichkeiten auf beiden Seiten, welche die Gunst der Stunde erkannten und eine überzeugende Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen vorschlugen. Wie diese Einigung zwischen den unterschiedlichen Interessen gelang, ist ein Lehrstück konstruktiver Politik und ein Meilenstein der Schweizer Geschichte.

Ein solches Konzept würde Kritik an Unzulänglichkeiten der damaligen Politik nicht ausklammern, schafft aber eine respektvolle Grundstimmung für die Leistungen unserer Vorfahren. 

Völlig zu Unrecht gilt die Grundsteinlegung der modernen Schweiz als wohl langweiligste Revolution der Weltgeschichte. Dabei bietet diese Zeit des Aufbruchs genug Stoff für anschaulichen Geschichtsunterricht mit markanten Persönlichkeiten und grossartigen Ideen.

Wie wäre es, wenn die Zürcher Stadtregierung allenfalls in Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Kantone den gut sichtbaren Spuren dieser prägenden Epoche in einem weiteren Lehrmittel nachgehen würde? Es wäre ein Zeichen, dass man gewillt ist, unserer Jugend ein wesentliches Stück unserer Schweizer Geschichte auf positive Weise zu vermitteln. Ein solches Konzept würde Kritik an Unzulänglichkeiten der damaligen Politik nicht ausklammern, schafft aber eine respektvolle Grundstimmung für die Leistungen unserer Vorfahren. 

Politisch verunsicherte Lehrerinnen und Lehrer ohne inhaltlichen Auftrag

Leider muss man schon froh sein, wenn in den Sekundarschulen ein knapper Abriss über den Aufbau unseres Staatswesens vermittelt wird. Kaum jemand bestärkt die Lehrpersonen in der Überzeugung, dass sie einen wichtigen Auftrag für die staatspolitische Grundbildung unserer Jugend haben. Solange die Politik es ablehnt, ein ungeschöntes Narrativ der jüngeren Schweizer Erfolgsgeschichte mitzutragen, fehlt dem Fach der nötige Rückhalt. In der Primarschule wiederum sind die Heldengeschichten aus der Sturm- und Drangzeit der Alten Eidgenossenschaft, welche im Unterricht einst patriotische Gefühle weckten, längst entzaubert worden. So wagen es die meisten Primarlehrkräfte heute gar nicht mehr, über den Tell-Mythos hinauszugehen. Das alles wäre zu verkraften, wenn man sich dafür umso mehr der neueren Geschichte zuwenden würde. Doch das geschieht höchstens noch bruchstückweise. Dabei sind die meisten Jugendlichen an unserer jüngsten Geschichte mit ihrer offensichtlichen Relevanz für die aktuelle Politik höchst interessiert.

Solange die Politik es ablehnt, ein ungeschöntes Narrativ der jüngeren Schweizer Erfolgsgeschichte mitzutragen, fehlt dem Fach der nötige Rückhalt.

Im Lehrplan wird zwar festgehalten, dass Einblicke in wichtige Epochen zum Bildungsprogramm gehören. Auch wird den geschichtlichen Erzählungen ein hoher Stellenwert zugestanden. Doch das Konzept, den Unterricht strikt auf Kompetenzziele auszurichten, erschwert eine inhaltlich kohärente Vermittlung unserer Landesgeschichte. Da der Lehrplan den Kompetenzzielen unzählige mögliche Inhalte zuordnet, ist in den Schulen der Eindruck einer grossen Beliebigkeit in der Stoffvermittlung entstanden. Man vermisst einen klaren inhaltlichen Bildungskompass für das Fach Geschichte. 

Für eine Schweizer Geschichte mit verbindlichen Kernthemen

Es ist beschämend, wie wenig man sich in der Politik fragt, was denn in den Schulen im Fach Geschichte tatsächlich unterrichtet wird. Selbst die Zürcher Bildungsdirektion tappt diesbezüglich im Dunkeln, wie vor kurzem die Antwort auf eine Interpellation im Kantonsrat aufgedeckt hat. Es genügt absolut nicht, einige Themen nur zu empfehlen und zu hoffen, dass etwas geschieht. Vielmehr geht es darum, dass in der Lehrerbildung eine gründliche wissenschaftliche und didaktische Auseinandersetzung mit verbindlichen Kernthemen stattfindet. Didaktisch bedeutet hier primär, dass die im Geschichtsunterricht so zentrale Erzählkunst bei den Studierenden stärker gefördert wird und Elemente der Spannung in den Unterricht eingebaut werden. Wissenschaftlich heisst, dass geschichtliche Entwicklungslinien erkannt und unterrichtsrelevante Kenntnisse zu ausgewählten Epochen erworben werden. Diese fachdidaktische Aufwertung wäre neben der politischen Unterstützung der beste Garant, um den Lehrerinnen und Lehrern Mut für einen gehaltvollen Geschichtsunterricht zu machen.

Es braucht eine gründliche Reform des Geschichtsunterrichts in der Volksschule.

Die Feiern zum Verfassungsjubiläum von 1848 mit dem Lob auf die staatspolitische Weitsicht der Gründerväter sind vorbei. Man fragt sich, was in der Bevölkerung hängenbleibt. Naiv wäre es zu glauben, schon mit einigen politischen Podien und attraktiven Museumsveranstaltungen für Jugendliche könne ein breites politisches Interesse geweckt werden. Was es vielmehr braucht, ist eine gründliche Reform des Geschichtsunterrichts in der Volksschule. Das Fach muss aus seiner Randstellung geholt und mit einem inhaltlich klaren Bildungsauftrag versehen werden. Damit kann sichergestellt werden, dass unsere moderne Landesgeschichte mit ihren politischen Verflechtungen zu einem wesentlichen Thema in den Schweizer Schulklassen wird.

Hanspeter Amstutz

 

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Die Geschichte eines Sprechverbots: An der Uni wird wieder der bestraft, der anders denkt https://condorcet.ch/2023/07/die-geschichte-eines-sprechverbots-an-der-uni-wird-wieder-der-bestraft-der-anders-denkt/ https://condorcet.ch/2023/07/die-geschichte-eines-sprechverbots-an-der-uni-wird-wieder-der-bestraft-der-anders-denkt/#comments Sat, 29 Jul 2023 15:49:56 +0000 https://condorcet.ch/?p=14663

Der Condorcet-Blog wurde seinerzeit gegründet, weil seine Initiatoren der Meinung waren, es werden in den Medien, in den PH’s, in der Verwaltung und in den Parteien nicht mehr alle Meinungen abgebildet oder zugelassen. Ausserdem würde sehr oft versucht, umstrittene Personen mit „Kontaktschuld“ und Etikettierung aus dem Diskurs fernzuhalten. Vier Jahre nach der Gründung unseres Bildungsblogs müssen wir feststellen, dass die Problematik der „Cancel culture“ um sich greift. Wenn verlangt wird, dass Professorinnen, die sogenannt missliebige Studien veröffentlichen, von ihrer Fakultät entlassen oder namhafte Wissenschaftler mit unpopulären Meinungen am Auftreten gehindert werden, müssen wir das klar benennen und uns dagegen wehren. Es widerspricht unseren Prinzipien einer offenen und freien Debatte. Von Anfang an suchten wir immer den Dialog mit Persönlichkeiten, die auch andere Überzeugungen haben und bemühten uns um das Prinzip „Rede und Gegenrede“. In keinem Milieu gedeiht die Einengung des Diskurses so prächtig wie an den Universitäten. Das Verrückte dabei ist: Niemand ist in Deutschland und in der Schweiz so abgesichert wie ein auf Lebenszeit berufener Hochschullehrer. Es kann ihm nichts passieren, wenn er sich querlegt oder einfach nur das macht, was er für richtig hält. Und dennoch ziehen alle sofort den Kopf ein, wenn Ärger droht. Jan Fleischhauer berichtet im Fokus von einem Fall an der Uni Erlangen.

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Von der Cancel Culture behaupten einige Leute hartnäckig, es gebe sie gar nicht. Was ist dann bloß an der Universität Erlangen passiert, wo gerade einer der bekanntesten Althistoriker Deutschlands ausgeladen wurde? Die Alte Geschichte ist eine stille Wissenschaft. Die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigt, sind seit Langem tot. Tote Völker, tote Steine, tote Sprachen. Nichts, womit man Aufregung oder gar Empörung auslösen könnte. Sollte man meinen.

Gastautor Jan Fleischhauer

Wie man sich doch täuschen kann. Vor zwei Wochen war der Althistoriker Egon Flaig an die Universität Erlangen eingeladen, um mit einem Abendvortrag ein Symposium zum Thema „Freiheit“ zu eröffnen. Flaig ist einer der wenigen Vertreter seines Fachs, die auch außerhalb der Fachwelt bekannt sind. Bis zu seiner Emeritierung hatte er den Lehrstuhl für Alte Geschichte in Rostock inne, noch immer ist er regelmäßig in großen Zeitungen mit Aufsätzen vertreten.

Eingefahrene Denkweisen herausfordern, sich mit Tatsachen beschäftigen, auch wenn sie unangenehm sind, den Diskurs ins Freie führen – das ist die vornehme Aufgabe der Universität.

Vor wenigen Monaten erst erschien von ihm ein viel beachteter Text, mit dem er sich in die Postkolonialismus-Debatte einmischte. Flaig wies in dem Artikel darauf hin, dass der Sklavenhandel nicht nur weiße, sondern auch schwarze Täter kannte – und auch weiße Opfer. Eine Million Europäer haben die Araber in die Sklaverei geführt, eine Zahl, die zeigt, dass der Wunsch nach historischer Wiedergutmachung nicht so leicht zu erfüllen ist, wie manche meinen.

Was wäre ein besserer Ort, um über historische Perspektiven zu debattieren, als eine Hochschule? Eingefahrene Denkweisen herausfordern, sich mit Tatsachen beschäftigen, auch wenn sie unangenehm sind, den Diskurs ins Freie führen – das ist die vornehme Aufgabe der Universität.

Was wäre ein besserer Ort, um über historische Perspektiven zu debattieren, als eine Hochschule? Eingefahrene Denkweisen herausfordern, sich mit Tatsachen beschäftigen, auch wenn sie unangenehm sind, den Diskurs ins Freie führen – das ist die vornehme Aufgabe der Universität. Dafür wird die akademische Welt vom Staat mit viel Geld ausgestattet. Dafür genießen Professoren eine materielle Absicherung, die ihresgleichen sucht.

Universität zieht Einladung zurück

Eine Woche vor dem geplanten Auftritt in Erlangen erreichte Flaig ein Schreiben des Professors, der ihn eingeladen hatte, des Archäologen Andreas Grüner. Mit dem größten Bedauern sehe er sich gezwungen, die Einladung zurückzuziehen, schrieb Grüner.

Was war geschehen? Das fragte sich auch Flaig und bat um Rückruf. Am Telefon darauf: Ein zerknirschter Kollege, der beteuerte, wie leid ihm alles tue. Man habe sich schon sehr auf den Vortrag gefreut, aber dann habe sich der Dekan der Universität eingeschaltet, ob man wirklich einem wie Flaig eine Plattform bieten wolle?  In einem weiteren Schreiben aus dem Dekanat hieß es, das Meinungsbild innerhalb der Fakultät sei eindeutig. Die Gründe? Im Unklaren.

Professor fürchtet sich vor „Repressalien“

Auf Flaigs Hinweis, als Professor stehe Grüner doch frei zu entscheiden, wen er einlade und wen nicht, bat dieser noch einmal um Entschuldigung. Er müsse an die jungen Leute denken. Würde er bei seiner Einladung bleiben, würde das möglicherweise Kreise ziehen und die wissenschaftlichen Mitarbeiter Repressalien aussetzen. Es täte ihm furchtbar, furchtbar leid, aber ihm bleibe keine andere Wahl.

Der Kolumnist Harald Martenstein hat neulich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Cancel Culture wie mit der Stadt Bielefeld verhält, von der Spaßvögel auch behaupten, es gebe sie gar nicht.  Parallel zur Praxis der Cancel Culture hat sich ein regelrechter Wissenschaftszweig etabliert, der die Cancel Culture als Hirngespinst betrachtet. Wäre der Begriff nicht schon anderweitig vergeben, würde man von Cancel-Culture-Leugnern sprechen.

Ist die Cancel Culture doch nur Einbildung?

Der bekannteste Vertreter der neuen Profession ist der Literaturwissenschaftler Adrian Daub. Daub hat ein ganzes Buch vorgelegt, dass die Cancel Culture zu einem Missverständnis erklärt. Es wollten heute halt auch Leute mitreden, die bis eben noch ausgeschlossen gewesen seien, Frauen, Schwarze, Transmenschen. Das führe bei den etablierten Diskursanführern zu einem Störgefühl, das sie mit Cancel Culture verwechselten. Alles also Einbildung? Ich neige in der Sache eher zu Martenstein. Dafür laufen da draußen, wie er sagen würde, nicht nur zu viele Bielefelder, sondern auch Gecancelte herum.

Die akademische Welt ist derzeit der heißeste Frontabschnitt im Kampf um die Meinungsfreiheit. Der Fall Flaig ist dabei so interessant, weil er die Grenze verschiebt, von der offenen Auseinandersetzung ins Heimliche und Verdeckte. Bis heute ist unklar, woher die Initiative zur Ausladung kam. War es der AStA, der sich beschwerte? Oder ein Kollege, der fand, dass jemand, der daran erinnert, dass der Sklavenhandel auch schwarze Nutznießer hatte, nicht nach Erlangen passt?

Die akademische Welt ist derzeit der heißeste Frontabschnitt im Kampf um die Meinungsfreiheit.

Oder war es am Ende eine einsame Entscheidung des Dekans, der schlechte Presse fürchtete? All das liegt im Unklaren. Es gibt noch nicht einmal eine Begründung, weshalb Flaig in Erlangen unerwünscht ist. Publik gemacht hat den Fall der ehemalige SPD-Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern Mathias Brodkorb. „Akademischer Suizid?“ lautete die Überschrift seines Artikels in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Heute ist das ein Todesurteil

Aber auch Brodkorb gegenüber wollte die Universität nicht sagen, warum sie ihren Gast wieder ausgeladen hat. Der Dekan beruft sich auf Vertraulichkeit. Das ist nicht nur feige – dem Betroffenen wird so jede Möglichkeit genommen, sich gegen die Rufschädigung zur Wehr zu setzen. Wie soll man sich gegen einen Vorwurf verteidigen, den man nicht kennt?

Man darf sich nicht vertun: Eine Ausladung wie die in Erlangen hat Folgen. Andere Fakultäten werden sich gut überlegen, ob sie noch eine Einladung aussprechen. Es braucht nicht viel, um sich das Gespräch vorzustellen. „Ach, muss es der XY sein? Der ist doch so umstritten. Lass uns jemand anderes nehmen.“ Die Zeit, als umstritten zu sein, noch ein Grund war, jemanden erst recht zu bitten, ist lange vorbei. Heute ist das ein Todesurteil.

Universitäten legen den freien Diskurs in Ketten. Auch jenen über den Sklavenhandel.

Das ist das Gemeine: Wenn man gar nicht erst eingeladen wird, braucht es anschließend keine Ausladung mehr. Dann ist man gecancelt, ohne beweisen zu können, dass man gecancelt wurde. Genauso ist es auch bezweckt. Es versteht sich von selbst, dass alles im Namen der Meinungsfreiheit geschieht. Die Suspendierung der Freiheit, um die Freiheit zu garantieren, das ist der eigentliche Twist.

Vor Jahren erhielt ich einen Anruf meines Freundes Henryk M. Broder, ob ich am nächsten Tag in London sein könne. Die „German Society“ an der London School of Economics hatte Broder, den langjährigen „Spiegel“-Kulturchef Hellmuth Karasek und den gerade als Bestsellerautor hervorgetretenen Bundesbanker Thilo Sarrazin zu einer Podiumsdiskussion eingeladen.

Eigentlich hätte die damalige ZDF-Korrespondentin die Diskussion moderieren sollen, aber die hatte plötzlich kalte Füße bekommen. Also saß ich am kommenden Tag im Flugzeug. Am Nachmittag fand ich mich mit dem gut gelaunten Broder und seinen beiden Mitstreitern vor Ort ein. Doch dann trat ein Vertreter der Universität an uns heran.

„Free Speech Aktivisten“ schaden dem freien Diskurs

Die „Free Speech Group“ der London School of Economics hatte Protest angemeldet. Sarrazin und Broder seien „Provokateure“, deren „Unwissenschaftlichkeit“ dem freien Diskurs schade. Dem Argument folgend, dass die Ausübung der freien Rede nachteilige Folgen haben könne, hatte die Verwaltung die Nutzung des Hörsaals untersagt.

Die Diskussion fand dann doch noch statt, im Ballsaal des nahe gelegenen „Waldorf Hilton“. Der Vorsitzende der German Society Marc Fielmann, Sohn des bekannten Brillenhändlers, verfügte über die nötigen Kontakte. So war es am Ende eine Hotelkette, die die Ausübung der Meinungsfreiheit sicherstellte, gegen die Free-Speech-Aktivisten.

So war es am Ende eine Hotelkette, die die Ausübung der Meinungsfreiheit sicherstellte, gegen die Free-Speech-Aktivisten.

Der deutsche Professor war noch nie ein großer Kämpfer für die Freiheit. Man soll mit historischen Vergleichen vorsichtig sein, aber an dieser Stelle muss man es vielleicht doch erwähnen:  Als die deutsche Professorenschaft 1934 aufgefordert wurde, einen Eid auf Adolf Hitler abzulegen, gab es lediglich zwei Hochschullehrer, die diesen verweigerten. Der eine war der Theologe Karl Barth, der war allerdings Schweizer. Der andere war Kurt von Fritz, Professor für Altgriechisch an der Universität Rostock.

Manchmal lohnt es, sich vorzustellen, wie sich Menschen in einer anderen Zeit in einem anderen System verhalten hätten. Wer in Erlangen studiert, hat nun eine begründete Vermutung, was seine Professoren, angeführt von dem Dekan Rainer Trinczek, angeht.

 

Lesen Sie dazu auch: https://condorcet.ch/2023/05/die-ethnologin-susanne-schroeter-steht-unter-druck-wissenschaft-ist-auch-eine-charakterfrage/

 

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Reinste Ressentimentforschung https://condorcet.ch/2020/11/reinste-ressentimentforschung/ https://condorcet.ch/2020/11/reinste-ressentimentforschung/#comments Wed, 25 Nov 2020 12:54:42 +0000 https://condorcet.ch/?p=7045

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz hat sich mit dem Vorwurf der beiden Rassismus-Expertinnen auseinandergesetzt. Mit den kritisierten Lehrmitteln hat er selber unterrichtet und kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. Seiner Meinung nach liegen die Probleme ganz woanders.

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Hanspeter Amstutz: Das Problem liegt im Abbau des Geschichtsunterrichts. Bild: Fabü

Es ist schon ein starkes Stück, wenn zwei Rassismus-Expertinnen den Schweizer Lehrmittelverlagen vorwerfen,  unsere Lehrmittel seien im Kern rassistisch. Man fragt sich, aufgrund welcher Kriterien ein solch vernichtendes Urteil entstanden ist. Ich kenne mich bei den Unterrichtsmaterialien des Zürcher Lehrmittelverlags einigermassen aus und teile  nicht den Eindruck, die Darstellungen über die himmeltraurige Geschichte der Sklaverei oder über afrikanische Kulturen seien rassistisch gefärbt.

Ungeschminkte Darstellung

Das von den beiden Autorinnen kritisierte Lehrmittel „Durch Geschichte zur Gegenwart“ setzt sich eingehend mit dem Kolonialismus der europäischen Grossmächte im 19. Jahrhundert auseinander. Die Lehrmittelautoren zeigen eine ungeschminkte Darstellung des imperialen Zeitgeists in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Es ist eine fokussierte Zusammenfassung, die in Form von bearbeiteten Quellentexten die Überheblichkeit und Menschenverachtung eines Cecil Rhodes und anderer Kolonialherren festhalten. Wer sich mit seiner Klasse vertieft mit dem Schicksal afrikanischer Sklaven befassen will, findet eindrückliche Schilderungen im Nachfolge-Lehrmittel „Gesellschaften im Wandel“ und in ausgezeichneten Klassenlektüren.

Im scharf kritisierte Lehrmittel wird der Versuch gewagt, aufschlussreiche Begründungen für die damalige Selbstverständlichkeit des Kolonialismus zu finden.

Aufschlussreiche Begründungen für Denkmuster

Ein Geschichtslehrmittel hat die Funktion, die Denkmuster und die Werthaltungen einer Epoche aufzuzeigen. Die aus heutiger Sicht fast unerträgliche Überheblichkeit der europäischen Grossmächte in der imperialen Epoche um 1900 soll nicht schöngeredet werden. Die führenden Politiker nutzten die militärische, wirtschaftliche und technische Überlegenheit ihrer Nationen gegenüber den Afrikanern oft schonungslos aus. Im scharf kritisierten Lehrmittel wird der Versuch gewagt, aufschlussreiche Begründungen für die damalige Selbstverständlichkeit des Kolonialismus zu finden. Das gelingt nicht schlecht. Die SchülerInnen merken sehr bald, dass jede Kolonialmacht ihre wirtschaftlichen Interessen an die erste Stelle setzte und afrikanische Kulturen als minderwertig betrachtet wurden.

Reichhaltige Texte

Die Industrialisierung kannte auch eine Art Sklaverei

Es wäre naiv zu glauben, diese Realpolitik ausklammern zu können. Tendenziös wäre es hingegen, wenn das Schicksal der gedemütigten Sklaven nicht ebenso ausführlich im Unterricht zur Sprache käme. Eine Vertiefung des Themas der menschlichen Unterdrückung führt unweigerlich über den  Rassismus gegenüber Andersfarbigen hinaus. Man muss nicht in die Ferne schweifen, um in die Abgründe der Misshandlung von Menschen blicken zu können. Im 19. Jahrhundert stand auch in unserer Textilindustrie ein sklavenähnliches Proletariat in den stickigen Räumen der Spinnereien und schuftete über zwölf Stunden am Tag. Die kritisierten Lehrmittel enthalten eine ganze Reihe erschütternder Berichte über die Kinderarbeit in den Fabriken und über die ausgebeutete Arbeiterklasse. Die Texte sind so reichhaltig, dass sie sich bestens als Vorbereitungsstoff für Schülervorträge eignen.

Sie führen Schritt für Schritt die jugendlichen Leserinnen und Leser weiter und schildern, wie sich die Unterdrückten organisieren und in Gewerkschaften zusammenschliessen.

Besticht durch ungeschminkte Darstellungen

Die kritisierten Lehrmittel bleiben aber nicht beim Unerträglichen stehen. Sie führen Schritt für Schritt die jugendlichen Leserinnen und Leser weiter und schildern, wie sich die Unterdrückten organisieren und in Gewerkschaften zusammenschliessen. Jugendliche erleben, dass sich ein gerechter Kampf lohnt und die Gerechtigkeit in Form besserer Lebensbedingungen und neuer politischer Rechte triumphiert. Was soll an diesem pädagogischen Konzept denn so rückständig sein? Wenn der Geschichtsunterricht ein Stück weit das Ideal einer gerechteren Gesellschaft aufleuchten lässt, ist weit mehr erreicht als mit dem Herauspicken von allfälligen Ungereimtheiten bei der Darstellung des Kolonialismus.

Auch der Holocaust gehört dazu

Wenn politischer Rassismus ein Thema ist, das verbindlich in jeder Oberstufenklasse  behandelt werden muss, dann gehört der Holocaust dazu. Als jüdische Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg an der Schweizer Grenze abgewiesen wurden, hatte unsere Politik ihre dunkelsten Stunden. Die meisten Lehrmittel beschönigen unser Versagen in der Flüchtlingspolitik in keiner Weise.  Sie geben im Gegenteil den Jugendlichen durch zahlreiche authentische Berichte einen aufschlussreichen Einblick ins traurige Los der Zurückgewiesenen. Falls Jugendliche im Verlauf ihrer Schulzeit nicht mit dem Schicksal jüdischer Kinder konfrontiert wurden, liegt es nicht an den Lehrmitteln, sondern an einem langweiligen und mageren Geschichtsunterricht.

Die Forderung nach einer totalen Überprüfung der Lehrmittel im Hinblick auf rassistische Grundmuster durch ein Expertengremium schiesst übers Ziel hinaus.

Ich werde den Gedanken nicht los, dass es dabei primär um eine Neuschreibung unserer jüngeren Geschichte geht. Die Qualitäten historischer Persönlichkeiten werden ausgeblendet, weil sie nicht in allen Teilen in unser modernes Weltbild passen. So soll ein Alfred Escher vom Sockel gestürzt werden, weil die Verstrickung seines Onkels in den karibischen Sklavenhandel eine Würdigung seines grossen Lebenswerks verbietet. Seine Pionierleistungen in der Zeit unseres jungen Bundesstaats werden übersprungen mit der Begründung, der politische Hardliner Escher sei ein Profiteur rassistischer Umtriebe.

Diese Art von Geschichtsverständnis verdienen unsere Schüler nicht. Sie haben ein Recht auf einen Unterricht, der weder weitsichtiges Unternehmertum noch historische Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten pauschal verunglimpft. Welche Schulabgänger wissen schon, dass Alfred Eschers grosses Werk die Gotthardbahn war und dass er mit seiner unglaublichen Schaffenskraft der Schweizer Wirtschaft zu europaweitem Einfluss verholfen hat?

Zu wenig Frauen

Es gibt zu wenig Frauen in der AutorInnenschaft.

In einem Punkt kann ich den Autorinnen folgen. Sie bemängeln, dass nur selten politisch aktive Frauen in den Geschichtsbüchern zu Wort kommen. Man kann dies entschuldigen mit dem Hinweis, dass erst vor gut hundert Jahren die politische Frauenbewegung in Europa Fahrt aufgenommen hat und die Zeit davor sehr männlich dominiert war. Doch unterdessen haben im zwanzigsten Jahrhundert unzählige weibliche Persönlichkeiten die politische Bühne betreten und der Gleichberechtigung der Geschlechter zum Durchbruch verholfen. Diese Leistungen in spannenden Biografien für den Unterricht zu würdigen, könnte unser Geschichtsbild im besten Sinn verändern.

Der Skandal liegt nicht im Fehlen des Willens zur kritischen Auseinandersetzung. Vielmehr ist es die Tatsache, dass an unserer Volksschule kaum noch Wert auf gründliche Kenntnisse historischer Zusammenhänge gelegt wird.

Wenn jetzt lautstark ein kritischeres Geschichtsverständnis gefordert wird, ist das im Bereich der Volksschule schon fast grotesk. Der Skandal liegt nicht im Fehlen des Willens zur kritischen Auseinandersetzung. Vielmehr ist es die Tatsache, dass an unserer Volksschule kaum noch Wert auf gründliche Kenntnisse historischer Zusammenhänge gelegt wird. Geschichte steht in der Sekundarschule sowohl von der Lektionenzahl wie von der Bedeutung her weit hinten im aktuellen Bildungsprogramm. Doch unseren Schülern wird zugemutet, dass sie sich über heikelste politische und gesellschaftliche Fragen ein souveränes Urteil bilden können. Da fehlt jeder pädagogische Realitätssinn.

Respekt wächst im Unterricht

Zum Schluss sei die Frage erlaubt, ob die beiden Autorinnen bei ihrem Einsatz für mehr  Toleranz in unserer Gesellschaft nicht aufs falsche Pferd gesetzt haben. Gegenseitiger Respekt in einer Klassengemeinschaft wächst in erster Linie durch einen Unterricht, in dem konsequente Ermutigung und sichtbare Fairness ein Klima des Vertrauens schaffen. Lehrpersonen mit Verständnis für Schwächere und einem wachsamen Auge für jede Form des Mobbings können weit mehr zu Achtsamkeit und Toleranz beitragen als ein antirassistischer Aktivismus bei der Schaffung von Lehrmitteln.

Hanspeter Amstutz

 

 

 

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