Kinder - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sat, 20 Apr 2024 09:32:18 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Kinder - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Das Menschenbild entscheidet – Antworten auf offene Fragen https://condorcet.ch/2024/04/das-menschenbild-entscheidet-antworten-auf-offene-fragen/ https://condorcet.ch/2024/04/das-menschenbild-entscheidet-antworten-auf-offene-fragen/#comments Wed, 17 Apr 2024 05:30:38 +0000 https://condorcet.ch/?p=16494

Sind psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen heute häufiger geworden? Die dazu veröffentlichten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Es ist heute üblich geworden, auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Diagnosen belegen – ein einschneidender Eingriff deren Leben. Es geht um Verhaltensprobleme (ADS/ADHS), Autismus-Spektrum-Störungen (ASS), Angststörungen, Depressionen, Suizidalität usw. Diagnosen, wie sie im DSM 5, dem amerikanischen Handbuch Psychiatrischer Kriterien, aufgelistet sind. Als Erklärung hört man oft, man sei sensibilisierter als früher und psychische Probleme würden vermehrt angesprochen. Dass diese Entwicklung auch mit Paradigmenwechsels bei der Jahrtausendwende zusammenhängt, wird kaum thematisiert, obwohl dadurch die Deutungs- und Behandlungshoheit von der Pädagogik zur Medizin verschoben wurde. Dr. Eliane Perret sucht eine Einordnung.

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Bis in die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts stützte man sich bei uns zur Erklärung und Behandlung problematischer Entwicklungen von Kindern und Jugendlichen auf die Forschungsergebnisse der personalen Humanwissenschaften, welche aus der europäischen Wissenschaftstradition hervorgegangen sind. Im Mittelpunkt steht die individuelle seelische Befindlichkeit im Kontext der lebensgeschichtlichen Entwicklung.

Gastautorin Eliane Perret, Sonder- und Heilpädagogin: Pädagogische Überlegungen sind marginal.

Dann wurde aus den USA der Trend übernommen, psychische Probleme vorwiegend neurobiologisch zu erklären. Dieser Paradigmenwechsel leitete bei uns die bis heute anhaltende Psychiatrisierung der Pädagogik ein.

Kurze Zeit war es ein Diskussionspunkt sogar auf politischer Ebene: Zum Beispiel verlangte im Zürcher Kantonsrat 2006 ein Postulat eine Stellungnahme der Regierung zum Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendlichen-Psychiatrie von einem humanistisch und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Menschenbild zu einem biologistischen.

Ausgangspunkt war die damit verbundene rasant gestiegene Abgabe chemischer Substanzen bei Kindern mit AD(H)S. Nach den psychosozialen Ursachen und Umweltbedingungen, welche das Auftreten bestimmter Verhaltensauffälligkeiten und psychischer Störungen begünstigen, werde immer weniger gefragt, hiess es in der Anfrage.

Verhalten durch eigene Entscheidungen beeinflussen

Auch die Nationale Ethikkommission (NEK) beschäftigte sich mit dem Thema und warnte 2011 vor Abgabe von Methylphenidat an Kinder, um das Verhalten und die Leistungsfähigkeit von Kindern zu verbessern. Das sei ein Eingriff in die Freiheit und die Persönlichkeitsrechte des Kindes, denn sie enthalte diesem die wichtige Lernerfahrung vor, sein Verhalten durch eigene Entscheidungen zu beeinflussen und so zu eigenverantwortlichem Handeln zu befähigen.

Ist also das Verhalten eines Kindes durch neurobiologisch-genetische Theorien erklärbar oder braucht eine zuverlässige Anamnese ein humanistisch und sozialwissenschaftlich ausgerichtetes Menschenbild? In den Ausbildungslehrgängen angehender Lehrpersonen und Heilpädagogen ist das an der Medizin orientierte Erklärungsmodell heute üblich und kommt vergleichbar bei unterschiedlichen seelischen Problemen zur Anwendung. Pädagogische Überlegungen und Massnahmen sind dabei eher marginal und orientieren sich an verhaltenstherapeutischen Konzepten. Es geht eher darum, mit dem diagnostizierten Problem leben zu lernen.

Was hilft gegen auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen ? In den Ausbildungslehrgängen angehender Lehrpersonen und Heilpädagogen ist das an der Medizin orientierte Erklärungsmodell heute üblich.

Dieses Modell unterscheidet sich fundamental von einer Herangehensweise, deren theoretischer Bezugsrahmen die personalen Humanwissenschaften sind. Ein Forschungsgebiet, das seine Anfänge unter anderem in der Tiefenpsychologie hat und in der Individualpsychologie des Wiener Arztes Alfred Adlers eine für die pädagogische Praxis besonders geeignete Ausformung fand.

Es geht eher darum, mit dem diagnostizierten Problem leben zu lernen.

 

In der Schweiz wurde es zur Grundlage einer wertgeleiteten (Heil-)Pädagogik, die sich als eigenständige Wissenschaft verstand und von der Medizin abgrenzte. Ihre Pioniere waren eng mit der Praxis verbundene Persönlichkeiten wie Heinrich Hanselmann, Paul Moor, Hermann Siegenthaler, Emil E. Kobi u.a.

Dieser Forschungszweig wurde seither durch Befunde der Anthropologie und der Entwicklungspsychologie bestätigt und erweitert, welche basierend auf der evolutionär bedingten, sozialen Natur des Menschen, den Blick vertieft auf die sozialen und kulturellen Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes richteten und die für die sozial-emotionale und intellektuelle Entwicklung entscheidende Qualität von Bindungserfahrungen untersuchten. Damit verbunden sind Namen wie Michael Tomasello, Lew Vigotsky, John Bowlby, Mary D.S. Ainsworth, Karin und Klaus Grossmann, Colwyn Trevarthen, Peter Hobsen, Paul L. Harris, Henri Julius u.a.

Ausweg aus der Fehlentwicklung

Deshalb steht uns heute für die pädagogische Praxis ein wissenschaftlich fundiertes Arbeitsmodell zur Verfügung, das sich an den neuesten Forschungsergebnissen orientiert. Eine darauf basierende Anamnese eröffnet einen psychologisch-pädagogischen Zugang zum Verständnis von Problemen bei Kindern und Jugendlichen und einen Ausweg aus der Fehlentwicklung.

Heranwachsen ist manchmal zum Schreien. Welches Menschenbild bietet den geeigneten Unterstützungsrahmen?

Es erfordert jedoch von den Lehrpersonen eine verstärkt emotional korrigierende Beziehungsarbeit, zu der echte Anteilnahme an den Schwierigkeiten und Erfolgen beim Lernen gehört. Damit werden auch die heute üblich gewordenen Unterrichtsformen selbst organisierten Lernens in Frage gestellt, weil sie Kindern und Jugendlichen, denen der Mut fehlt, sich den Anforderungen des Lernstoffes zu stellen, zu wenig Möglichkeiten für motivierenden, schulischen Erfolg geben (was oft im Hintergrund einer psychischen Störung steht). Hingegen ist hier ein gut strukturierter Unterricht angesagt mit einer Lehrperson, die bei Kindern und Jugendlichen fördernd und fordernd das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärkt.

Es erfordert jedoch von den Lehrpersonen eine verstärkt emotional korrigierende Beziehungsarbeit, zu der echte Anteilnahme an den Schwierigkeiten und Erfolgen beim Lernen gehört.

 

Fazit: Die Frage nach dem Menschenbild, das bei der Erklärung und Behandlung psychischer Probleme unserer heranwachsenden Generation zur Anwendung kommen soll, stellt sich somit umso dringender und die noch nicht beantwortete Frage nach den Folgen des Paradigmenwechsels muss noch einmal gestellt werden.

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Die amerikanische Manie, die Kinder permanent zu überwachen, zu betreuen und zu fördern, kann Angststörungen auslösen https://condorcet.ch/2023/12/die-amerikanische-manie-die-kinder-permanent-zu-ueberwachen-zu-betreuen-und-zu-foerdern-kann-angststoerungen-ausloesen/ https://condorcet.ch/2023/12/die-amerikanische-manie-die-kinder-permanent-zu-ueberwachen-zu-betreuen-und-zu-foerdern-kann-angststoerungen-ausloesen/#respond Sat, 30 Dec 2023 16:56:23 +0000 https://condorcet.ch/?p=15558

Das Phänomen der omnipräsenten Helikopter-Eltern schwappt immer mehr aus den USA nach Europa über. Doch nun wird Kritik an diesem Erziehungsstil laut. Manche Forscher vermuten sogar einen Zusammenhang mit den zunehmenden Angststörungen und Depressionen unter Jungen. Wir bringen einen Artikel des NZZ-Journalisten David Signer.

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Zieht man mit Kindern in die USA um, sticht einem der andere Erziehungsstil ins Auge. Was man in der Schweiz spöttisch Helikopter-Eltern nennt, ist hier normal. Ständig kreisen Mütter und Väter in einer Mischung aus Überbehütung und Kontrolle über ihren Kindern.

Gastautor David Signer, NZZ-Journalist

Das beginnt schon beim Schulweg: Im Gliedstaat Illinois dürfen Kinder erst ab 14 Jahren allein zur Schule gehen, selbst wenn es sich nur um eine Viertelstunde zu Fuss handelt. Allein zu Hause lassen darf man sie in Illinois ebenfalls erst ab 14. Ebenso wenig dürfen Kinder ohne Aufsicht draussen spielen, nicht einmal im Hinterhof oder auf dem Rasen vor dem Haus. Es besteht das reale Risiko, dass ein Nachbar die Polizei oder die Kinderschutzbehörde anruft. Auch auf dem Spielplatz weichen die meisten Eltern kaum von der Seite ihres Nachwuchses.

Die Vorbereitung auf das College beginnt kurz nach der Geburt

Aber die meisten Kinder haben sowieso kaum Zeit zum Spielen, weil die Eltern sie nach der Schule gleich zum Schwimmunterricht, ins Ballett, zur Geigenstunde oder in den Nachhilfeunterricht bringen. Treffen mit anderen Kindern beschränken sich auf organisierte “play dates”, bei denen die Erwachsenen daneben sitzen und für Anregungen und Leitplanken sorgen.

Viele Eltern sind besessen von der Idee der Frühförderung und sorgen sich, kaum ist das Kind geboren, ob es wohl den Sprung in ein gutes College schaffen wird. Zur Nonstop-Erziehung passt auch das permanente Lob. Der häufigste Satz auf Spielplätzen ist: “Good job, buddy!”, selbst wenn das Kind bloss die Rutschbahn heruntergekommen ist. Wohlgemerkt: Das hat eine sympathische, liebevolle, positive und förderliche Seite; es zeigt aber auch, wie Eltern sich in den Mittelpunkt stellen und alles bewerten. Eigentlich sollte man auf dem Spielplatz ja nicht Mutter oder Vater zufriedenstellen, sondern Spass haben.

Zusammenhang zwischen Überbetreuung und Angststörungen

Nun gibt es jedoch zunehmend Kritik an diesem Erziehungsmodell, das nicht nur in den USA, sondern mit einer Zeitverzögerung auch in Europa immer mehr dominiert. Organisationen wie Let Grow setzen sich für mehr kindliche Autonomie und eine Änderung der Gesetze ein und werden zu einer landesweiten Bewegung.

Auch auf wissenschaftlich-pädagogischer Ebene werden kulturelle Gewissheiten infrage gestellt. Peter Gray, Psychologieprofessor am Boston College, veröffentlichte kürzlich im “Journal of Pediatrics” einen Artikel, der heftiges Medienecho auslöste. Er postuliert, dass die psychischen Störungen und die Suizide im Kindes- und Jugendalter, die beide seit Jahren markant zunehmen, im Zusammenhang stehen mit der elterlichen Intensivbetreuung und dem Mangel an freiem Spiel.

Auf einmal galt es als unterschichtstypische, bildungsferne Vernachlässigung, die Kinder “unbeaufsichtigt” zu lassen und sie nicht in jeder freien Minute zu “fördern”.

Oft wird der Anstieg von frühen Angststörungen und Depressionen mit sozialen Netzwerken, Bildschirmzeit und Corona erklärt. Laut Gray setzte die Zunahme jedoch schon vor etwa fünfzig Jahren ein, als sich auch das “overparenting” langsam ausbreitete. Offenbar begann der Trend in der – oberen, akademischen – Mittelklasse, die von Abstiegsängsten geplagt wird. Zugleich nahm die Zahl der Geschwister ab und breitete sich populärwissenschaftliches Wissen über Pädagogik und Psychologie aus.

Die Konklusion war: Man muss Kinder so früh wie möglich systematisch fördern, damit sie den Sprung in die höhere Bildung schaffen, als Garant für sozialen Aufstieg oder zumindest Status quo. Das erzieherische Mikromanagement wurde im Laufe der Jahre als vorbildlich und normal angesehen und sickerte von den oberen Klassen in die unteren. Auf einmal galt es als unterschichtstypische, bildungsferne Vernachlässigung, die Kinder “unbeaufsichtigt” zu lassen und sie nicht in jeder freien Minute zu “fördern”.

Freies, unstrukturiertes Spiel unter Gleichaltrigen ist wichtig

Vergessen ging dabei laut Gray, dass Kinder – sozial, kognitiv, intellektuell, motorisch – am meisten im freien Spiel mit Kameraden lernen. Und auch beim Nichtstun: Gerade Langeweile kann zu neuen Ideen inspirieren. Die “unstrukturiert” verbrachte Zeit ist nicht vergeudet, auch wenn man damit im Gegensatz zu Klavierstunden und Sportklub im Aufnahmeverfahren für Highschool und College nicht punkten kann. Die Optimierungsmanie führt nicht nur bei den Kindern zu Konformitätsdruck und Leistungsdenken, sondern auch bei den Eltern: Alle haben das Gefühl, in verantwortungsloser Art zu wenig für ihren Nachwuchs zu tun.

So ist es selbst bei Kindergeburtstagen üblich, dass man ein Formular unterschreiben muss, das die Gastgeber vor Klagen im Falle eines Unfalls schützt.

Hinzu kommt, vor allem in Grossstädten, die Furcht vor Autounfällen, Überfällen, Kidnapping, Pädophilen und allgemein vor der “stranger danger” – die diffuse Angst vor “gefährlichen Fremden”. Sie ist auch ein Grund für den Waffenkult. Ausgerechnet die USA, die Selbstverantwortung, Freiheit und Draufgängertum hoch bewerten, sehen, im Gleichschritt mit “woken” Überzeugungen, Kinder und Jugendliche nicht mehr als Entdecker, Forscher und Abenteurer, sondern als verletzliche Opfer, die man vor der gefährlichen Welt beschützen muss. Damit sind Ängste vorprogrammiert.

Die Jungen kennen nichts anderes als die Dauerbetreuung

Zu dieser Übervorsicht passen auch die Tendenz zum Homeschooling, das Alkoholverbot bis 21 Jahre, die um sich greifenden Bücherverbote in Schulbibliotheken sowie die Obsession mit Versicherungen und Haftungsausschuss. So ist es selbst bei Kindergeburtstagen üblich, dass man ein Formular unterschreiben muss, das die Gastgeber vor Klagen im Falle eines Unfalls schützt. Selbst über einer harmlosen Party hängt das Damoklesschwert von Verletzungen, Anwälten und Schadenersatzforderungen.

Der Prozess verstärkt sich im Lauf der Generationen. Die Jungen von heute erinnern sich, im Gegensatz zu den Älteren, nicht mehr, dass es einmal anders war: dass man stundenlang allein oder mit Kameraden draussen spielte, ohne dass sich irgendjemand Sorgen machte deswegen. Für die junge Generation ist pausenlose Betreuung normal, und so wird sie wohl dereinst auch ihre eigenen Kinder aufwachsen lassen. Diejenigen, die selbst unter den verbreiteten Angststörungen leiden, werden erst recht versuchen, ihre Schützlinge gegen Gefahren abzuschirmen, anstatt ihnen Stärke, Mut und Neugierde mit auf den Weg zu geben.

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Hirnaktivität von Kindern durch viel Bildschirmzeit gestört https://condorcet.ch/2023/02/hirnaktivitaet-von-kindern-durch-viel-bildschirmzeit-gestoert/ https://condorcet.ch/2023/02/hirnaktivitaet-von-kindern-durch-viel-bildschirmzeit-gestoert/#respond Wed, 22 Feb 2023 09:47:45 +0000 https://condorcet.ch/?p=13193

Der Deutschlandfunk hat es in der Vergangenheit nie versäumt, das deutsche Schulsystem ob seiner mangelnden Digitalisierung zu kritisieren. Umso überraschender ist der Beitrag des Senders, den die Redaktion des Condorcet-Blogs für Sie entdeckt hat.

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Für manche Eltern mag es eine Entlastung sein, wenn sich die Kleinen Videos oder anderes auf dem Smartphone angucken. Diese Bildschirmzeit kann aber langfristig die Hirnaktivität negativ beeinflussen.

Forschende aus Singapur haben mit einer Langzeitstudie untersucht, wie sich die Nutzung von Fernsehen oder Smartphones auf Kleinkinder auswirken. Dazu haben sie 437 Kinder seit der Schwangerschaft ihrer Mütter begleitet.

Gastautorin Sonja Meschkat vom Deutschlandfunk

Im Alter von 12 Monaten haben die Forschenden die Mütter nach dem Bildschirmkonsum ihrer Kinder befragt. Als die Kinder 18 Monaten alt waren, haben die Forschenden Elektroenzephalogramme (EEG) ihrer Hirnströme erstellt. Im Alter von 9 Jahren haben die Kinder an einer neuropsychiatrischen Untersuchung teilgenommen und ihre Lehrer und Lehrerinnen wurden zu ihrem Verhalten befragt. Die Forschenden wollten so herausfinden, wie sich die Bildschirmzeit auf ihre Hirnaktivität, aber auch auf ihre Konzentrationsfähigkeit, Impulsivität und die Fähigkeit, Aufgaben zu lösen, auswirkt, erklärt Neurowissenschaftler Henning Beck.

Ihre Ergebnisse haben sie Ende Januar 2023 in der Fachzeitschrift Neuroscience vorgestellt.

Weniger aufmerksam und konzentriert

In den EEG habe sich gezeigt, dass die Hirnströme sich durch viel Bildschirmzeit verändert haben. So gebe es mehr langsamere Wellen, die laut der Forschenden für eine schlechtere Aufmerksamkeitskontrolle oder eben Konzentrationsfähigkeit verantwortlich sein können. Die Kinder können dann Aufgaben weniger gut priorisieren, sich nicht so gut oder lange fokussieren, schweifen leichter ab oder verlieren schneller das Interesse an mehrstufigen Aufgaben, erklärt Henning Beck. “Das setzt sich dann bis ins spätere Leben fort, also bis zum Alter von neun Jahren”, so der Neurowissenschaftler.

Die Hirnströme der Kinder verändern sich durch viel Bildschirmzeit

In der Regel sei die Entwicklung bei Kindern so, dass sie sich mit zunehmendem Alter besser oder länger auf Aufgaben konzentrieren können. Daraus leitet sich auch die Schulfähigkeit ab dem sechsten oder siebten Lebensjahr ab. “Diese kognitiven Kontrollfunktionen werden eigentlich immer besser mit der Zeit”, sagt Henning Beck. Aus seiner Sicht ist das Erschreckende an der Studie, dass genau diese Fähigkeit durch Technik oder Smartphone-Nutzung gestört wird.

Zur Handlungsunfähigkeit trainiert?

Der ständige Informationsfluss und die immer neuen Angebote in Form von Apps hindere die Kinder daran, ihre “exekutiven Funktionen zu trainieren”. Das sind Funktionen, die dafür sorgen, dass eintreffende Informationen genutzt werden, um eigene Entscheidungen zu treffen. Diese Funktionen seien wichtig, um eigene Handlungsziele zu entwickeln und umzusetzen.

    “Die durchschnittliche Bildschirmzeit von Einjährigen lag bei zwei Stunden am Tag in dieser Studie.”

Dr. Henning Beck, Neurowissenschaftler und Biochemiker

Das bedeute aber nicht, dass Smartphones für Kinder jetzt ganz verboten werden müssten, meint Henning Beck, sondern dass sie dosiert genutzt werden sollten. Das empfiehlt der Neurowissenschaftler aber nicht nur für Kindern, sondern auch für Erwachsene. “Dass man immer Zeiten oder Räume hat, in denen man solche Geräte nicht nutzt”, sagt der Neurowissenschaftler. So können wir unser Gehirn darauf trainieren, in diesen Räumen oder Zeiten besser abzuschalten oder uns besser zu konzentrieren.

 

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Was dürfen wir hoffen? https://condorcet.ch/2022/03/was-duerfen-wir-hoffen/ https://condorcet.ch/2022/03/was-duerfen-wir-hoffen/#comments Wed, 16 Mar 2022 08:17:12 +0000 https://condorcet.ch/?p=10668

Der Krieg in der Ukraine kommt auch bei uns in die Kinderzimmer und in die Schulstuben. Via Medien. Die Bilder belasten. Was können Lehrerinnen und Pädagogen tun? Um standhalten und Halt geben zu können, braucht es ein geistiges Fundament, ist Condorcet-Autor Carl Bossard überzeugt.

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Carl Bossard: Lehrerinnen und Pädagogen sind für manche Kinder die einzigen Ansprechpersonen.

Bilder haben Macht. Das spüren Lehrerinnen und Lehrer im Gespräch mit ihren Schülerinnen und Schülern in diesen Tagen ganz besonders. Über YouTube, TikTok und andere soziale Netzwerke sind Kinder und Jugendliche direkt mit dem Ukrainekonflikt konfrontiert. Oft sind sie dabei allein. Das Gesehene tragen sie in den Unterricht. Es belastet und bedrückt sie. «Kommt der Krieg auch zu uns?», fragen sie und wollen wissen: «Warum denn gibt es diese Kämpfe?» Zu Hause bekommen sie auf ihre Fragen nicht selten keine Antwort. Lehrerinnen und Pädagogen sind für manche Kinder die einzigen Ansprechpersonen.

Kants aufklärerische Hoffnung

Doch was sagen Lehrpersonen? Wie reagieren sie? Der Philosoph Immanuel Kant sprach von einer Pflicht zur Zuversicht. Sie gilt gerade in prekären Zeiten. Kinder müssen dies von Erwachsenen vorgelebt erhalten, auch in der Schule. Zuversicht ist etwas anderes als der naive, illusionäre Optimismus. Sie hat nichts zu tun mit dem schnell herbeizitierten positiven Denken oder gar mit dem kitschigen Blick durch die rosarote Brille. Nein, Zuversicht ist das Aufklärungsvertrauen, die geistige Widerstandskraft als menschliche Grundhaltung. Für junge Menschen eine Art mentaler Lebensversicherung und damit grundlegende Ressource des Lebens. Seelische Kräfte leben von dieser Antriebsenergie der Zuversicht.

Vielleicht erinnern sich Lehrerinnen und Lehrer in diesen Tagen an Kants dritte Frage: «Was darf ich hoffen?» Sie bildet zusammen mit «Was kann ich wissen?» und «Was soll ich tun?» die drei Grundfragen der Philosophie. Später hat Kant das lapidare «Was ist der Mensch?» als vierte zusammenfassende Frage hinzugefügt.

Der Königsberger Aufklärer beschreibt die Geschichte als ein qualitatives Fortschreiten, das uns zu hoffen erlaubt. Ich darf hoffen, so sagt er, hoffen, dass es eine Entwicklung zu besserem Leben, weniger Gräuel und Krieg, mehr Möglichkeiten der Entfaltung und neuen Lebenschancen gibt.

Immanuel Kant: Der Königsberger Aufklärer beschreibt die Geschichte als ein qualitatives Fortschreiten, das uns zu hoffen erlaubt

Das Lernen geht durch Brüche hindurch

Kants Grundidee zielt dahin: Die menschliche Evolution ist der Entwicklungsprozess einer Gattung, die lernen kann. Wir Menschen seien lernfähig, betont er. Darin besteht die aufklärerische Hoffnung. Gleichzeitig aber verdeutlicht der Philosoph auch: Dieses Lernen geht durch furchtbare Brüche hindurch, durch entsetzliche Katastrophen. Was dürfen wir angesichts dieser existentiellen und geschichtlichen Erfahrung hoffen? Kant sagt: Wir dürfen hoffen, dass es gut geht. Er hält daran fest trotz der Tatsache, dass die Geschichte auch Rückschläge, Brüche und Beben kennt, wie wir sie im Moment in der Ukraine dramatisch erleben. Der Mensch ist eben ein Wesen, in dem es auch Anlagen zum Bösen gibt.

Zweifache pädagogische Verantwortung

Nicht umsonst spricht die politische Philosophin Hannah Arendt von der doppelten Form der Verantwortung von Eltern und Lehrpersonen. Beide hätten das Kind vor der Welt zu schützen und gleichzeitig die Welt vor dem Kind. Jeder Mensch trüge eben zweierlei in sich, das Gute wie das Destruktive. Darum übernähmen Erzieherinnen und Erzieher «die Verantwortung für beides, für Leben und Werden des Kindes wie für den Fortbestand der Welt». Und beides bedürfe eines Schutzes, die Welt wie das Kind.[1] «Diese beiden Verantwortungen fallen keineswegs zusammen, sie können sogar in einem gewissen Widerspruch miteinander geraten», betont Hannah Arendt weiter und weist so auf die unvermeidliche Ambivalenz der Erzieheraufgabe hin. Eines sei dabei wichtig: «Die Schönheit der Welt muss dem Kind gezeigt werden.» In ihr liegt das Hoffnungsvolle.

Hannah Arendt: Erwachsene müssen Kinder schützen.

«Was darf ich hoffen?», fragt Kant. Hoffnung ist eine Weise der realistischen Sicht auf die Welt, die trotz allem vertraut. Vielleicht trifft der französische Dichter Romain Rolland mit seinem Satz aus dem Michelangelo-Roman das Gemeinte: «Es gibt keinen anderen Heroismus, als die Welt zu sehen, wie sie ist, und sie dennoch zu lieben.» – Wie trivial das ist. Und doch so schwer. Gerade in diesen Zeiten.

Doch Kinder brauchen genau diese Zuversicht. Schule muss angesichts des Erschreckens über Ereignisse wie den Ukrainekrieg eben auch gegenhalten und zur Zuversicht erziehen. Das gehört zu ihrem pädagogischen Auftrag. Die Menschen stärken, die Sachen klären, wie es der Pädagoge Hartmut von Hentig einst ausgedrückt hat.

 

[1] Hannah Arendt (1994), Die Krise der Erziehung, in: Dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. München: Piper, S. 266f.

 

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