Hochschulen - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Thu, 28 Dec 2023 13:38:50 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Hochschulen - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Hass-Lehre an deutschen Unis: Unsere Studenten lernen, unsere Werte zu verachten https://condorcet.ch/2023/12/hass-lehre-an-deutschen-unis-unsere-studenten-lernen-unsere-werte-zu-verachten/ https://condorcet.ch/2023/12/hass-lehre-an-deutschen-unis-unsere-studenten-lernen-unsere-werte-zu-verachten/#respond Thu, 28 Dec 2023 13:38:50 +0000 https://condorcet.ch/?p=15572

Warum gibt man seine Kinder an die Universität? Damit sie zu klügeren Menschen ausgebildet werden. Aber darauf ist immer weniger Verlass. Immer häufiger lernen sie, sich selbst und die Vernunft, auf der diese Gesellschaft gründet, zu hassen. Was auf den Unis zurzeit abgeht, zeigt ein Kommentar von Jan Fleischhauer, der im Focus erschienen ist.

The post Hass-Lehre an deutschen Unis: Unsere Studenten lernen, unsere Werte zu verachten first appeared on Condorcet.

]]>

Der „FAZ“-Redakteur Claudius Seidl hat in seiner Zeitung vom studentischen Leben an der Universität der Künste in Berlin berichtet. An der Hochschule werden 4000 Studenten in Design, Musik, Architektur und Bildender Kunst ausgebildet. Die UdK Berlin zähle zu den größten, vielseitigsten und traditionsreichsten künstlerischen Hochschulen der Welt, steht auf der Webseite.

Gastautor Jan Fleischhauer

Was Seidl zu beschreiben wusste, las sich allerdings so, als ob die Hochschule in Ramallah oder Gaza Stadt und nicht mitten in Berlin liegen würde. Jüdische Studenten trauten sich nicht mehr in Lehrveranstaltungen, weil sie von Kommilitonen als Mörder beschimpft würden. Die Universitätsleitung sei ratlos, wie sie dem offenen Hass entgegentreten solle.

Neo-Kolonialismus ist das Stichwort

Es gibt ein Video, auf dem man sieht, wie der Uni-Präsident Norbert Palz die Studenten zur Mäßigung aufruft. Kaum hat er das Wort ergriffen, wird er niedergeschrien. “Verurteile den Rassismus”, schleudern sie ihm in Sprechchören entgegen: “Verurteile den Kolonialismus”. Minutenlang geht das so, in einer schwarzen Choreografie der Wut.

Palz hatte aus Sicht der Studenten den unverzeihlichen Fehler begangen, in einer offiziellen Stellungnahme den Terror der Hamas zu verurteilen, wie Seidl schreibt. Kolonialismus, das ist das Stichwort. Als Neo-Kolonialist gilt in diesem Zusammenhang jeder, der eine falsche Hautfarbe hat (weiß), am falschen Ort geboren ist (westliche Industrienation) und die falsche Religion besitzt (Christentum, Judentum).

Israel als Brückenkopf eines vom Westen gesteuerten kolonialrassistischen Imperialismus: Das ist es, was den jungen Leuten beigebracht wird.

Zu den kolonialen Opfern, die uneingeschränkte Solidarität verdienen, zählen hingegen alle, die man im weitesten Sinn als Indigene verstehen kann, wozu dann neben den Indianern im Amazonas, den Maori in Neuseeland oder den Aborigines in Australien auch bedrängte Völker wie die Palästinenser gehören.

Der Antisemitismus kann an Universitäten wieder auferstehen

In einem verrückten Twist lebt so der unverstellte Antisemitismus wieder auf. Der “Geldjude” der Nazis erfährt seine Reinkarnation in der Figur des Wall-Street-Bankers, dem nun im Namen des Antikapitalismus der Kampf angesagt wird. Die weißen Sklavenhalter finden ihre Auferstehung im Feindbild des zionistischen Siedlers.

Israel als Brückenkopf eines vom Westen gesteuerten kolonialrassistischen Imperialismus: Das ist es, was den jungen Leuten beigebracht wird. Auf diese Pointe läuft es hinaus. Kein Wunder, dass an vielen Hochschulen der Teufel los ist. Und das nicht nur an den amerikanischen Elite-Universitäten, in denen ein linker Mob jeden niederbrüllt, der zu weiß, zu privilegiert und zu wohlerzogen ist.

Wenn selbst die Orestie von Aischylos mit einer Warnung versehen wird, ist Gelächter und nicht Empörung die angemessene Reaktion. Dachte ich.

Den antiwestlichen Furor gibt es auch in Deutschland zu besichtigen, wie sich zeigt. Und es ist nicht nur die Berliner Universität der Künste, an der sich der Hass austobt – ähnliches wird von einer Reihe deutscher Hochschulen berichtet.

Uni-Kultur als „Wokeness“ zu betiteln, ist zu harmlos

Ich habe mich über die Auswüchse der neuen linken Heilslehre oft lustig gemacht. Ich habe über die Safe Spaces gespottet, die dafür sorgen sollen, dass Studenten einen Schutzraum vor fremden Meinungen finden. Ich habe die Trigger-Warnungen belächelt, die Texten vorangestellt werden, die als zu anstößig empfunden werden könnten.

Universität Berlin: . Jüdische Studenten trauen sich nicht mehr in Lehrveranstaltungen, weil sie von Kommilitonen als Mörder beschimpft werden.

Wenn selbst die Orestie von Aischylos mit einer Warnung versehen wird, ist Gelächter und nicht Empörung die angemessene Reaktion. Dachte ich. Aber jetzt zeigt sich, dass die Ideologie, die in der akademischen Welt Einzug gehalten hat, eine finstere, bedrohliche Seite hat. Wenn sich Studenten nicht mehr in den Hörsaal trauen, weil sie Angst haben müssen, von ihren Kommilitonen bedrängt, beleidigt und bespuckt zu werden, ist definitiv der Punkt erreicht, an dem man einschreiten muss.

Es hat sich eingebürgert, im Zusammenhang mit der Uni-Kultur von “Wokeness” zu sprechen. Aber das ist zu schwammig, auch zu harmlos. Es gibt einen theoretischen Unterbau des Hasses. Wer nach einer Erklärung sucht, warum junge Menschen ihre jüdischen Kommilitonen bedrohen, landet bei der sogenannten postkolonialen Theorie.

Die Gehirnwäsche der postkolonialen Theorie

Wobei Theorie ein großes Wort ist. Tatsächlich ist es eine Art Gehirnwäsche, bei der Studenten beigebracht wird, dass der Rassismus das Fundament der westlichen Gesellschaften sei und das Denken in den Vernunftkategorien der Aufklärung nur ein Machtinstrument zur Sicherung der vermeintlichen Überlegenheit des Westens.

Selbstverständlich ist auch die Vorstellung, dass westliche Werte wie Toleranz und allgemeine Menschenrechte Gewaltreligionen wie die der Taliban überlegen sein könnten, Ausdruck kolonialistischen Denkens.

Bei Claudius Seidl berichtete eine Dozentin von einem Kurs, in dem es darum ging, dass man es mit dem entsprechenden indigenen Wissen schaffen könne, den Bäumen beim Sprechen zuzuhören. Als die Professorin entgegnete, das sei wohl eher eine Projektion, wurde sie zurechtgewiesen, wie kolonialistisch und rassistisch es sei, mit Begriffen eines weißen Mannes wie Sigmund Freud das indigene Wissen zu delegitimieren.

Selbstverständlich ist auch die Vorstellung, dass westliche Werte wie Toleranz und allgemeine Menschenrechte Gewaltreligionen wie die der Taliban überlegen sein könnten, Ausdruck kolonialistischen Denkens. Wenn die Taliban meinen, dass die Steinigung von Frauen im Einklang mit ihren Traditionen steht – wer sind wir, ihnen zu sagen, wie sie zu leben haben?

Wie lange wollen wir noch so weitermachen?

Dass der Westen jede moralische Autorität eingebüßt habe, ist übrigens exakt das Argument, das man auch auf den Fluren der Vereinten Nationen rauf und runter hört. Mit dem Ergebnis, dass Folterknechte im Menschenrechtsrat den Ton angeben und Hamas-Sympathisanten das Uno-Flüchtlingswerk für Palästina dominieren.

Die Frage ist, ob wir so weiter mitmachen wollen. Ob wir länger dulden wollen, dass unseren Kindern eingetrichtert wird, den Westen und seine Werte zu verachten. Ich bin mir bewusst, das ist ein heikles Terrain. Die Freiheit der Lehre ist ein hohes Gut. Aber wir haben aus gutem Grund auch von der Rassenlehre Abstand genommen. Niemand unterrichtet mehr an deutschen Universitäten, dass eine Hautfarbe der anderen überlegen sei oder ein Geschlecht dem anderen.

Denkmal gegen Rassismus: Als Neo-Kolonialist gilt (….) jeder, der eine falsche Hautfarbe hat (weiß), am falschen Ort geboren ist (westliche Industrienation) und die falsche Religion besitzt (Christentum, Judentum).

Warum also eine Theorie mit viel Geld ausstatten, die gegen alles steht, was die Grundlage unserer freiheitlichen Gesellschaft ausmacht? Noch mag die Zahl der Lehrstühle vergleichsweise klein sein. Aber es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Postkolonialisten an deutschen Hochschulen die der Slawisten oder Anglisten übersteigt.

In den USA ist Postkolonialismus bereits die vorherrschende Lehre

In der angelsächsischen Welt ist der Postkolonialismus, der die Welt in Opfer und Täter unterteilt, bereits die dominierende Lehre. Auch in Deutschland ist man als Student gut beraten, sich als gelehriger Schüler zu zeigen, wenn man etwas werden will. Postkolonialismus sei schlicht die am meisten geförderte Diskursmode im gegenwärtigen Kulturbetrieb, befand dieser Tage ein Kenner der Szene in der “Süddeutschen Zeitung”.

Am Dienstag saßen die Präsidentinnen von drei der prestigeträchtigsten Hochschulen der USA vor einem Kongressausschuss, der sich mit den Campus-Ausschreitungen gegen jüdische Studenten befasste. Die Abgeordnete Elise Stefanik aus New York hatte eine leicht zu beantwortende Frage an die Geladenen: “Verstößt der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen den Verhaltenskodex und die Anti-Harrassment-Regeln Ihrer Universität, ja oder nein?”

Die öffentlich geäußerte Meinung, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, gilt als nicht hinnehmbarer Ausdruck von Gewalt, weil sie Studenten in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigen könnte, der Aufruf, alle Juden auszulöschen, hingegen nicht.

Keiner der Hochschulvertreterinnen mochte die Frage mit “ja” beantworten. Das hänge vom Kontext ab, erklärte Sally Kornbluth, Präsidenten des MIT. So lautete auch die Antwort von Claudine Gay aus Harvard: alles eine Frage des Kontextes. Nicht leicht zu sagen, aber wenn die Rede in konkretes Verhalten übergehe, könne das Harassment sein, führte Liz Magill, Präsidentin der University of Pennsylvania, aus. “Verhalten heißt: Man muss also erst einen Genozid begehen, damit es gegen die Regeln verstößt? Das ist ihre Antwort Miss Magill?” war die fassungslose Reaktion der Abgeordneten.

Uns bleibt nicht mehr viel Zeit

Anfang des Jahres musste die Evolutionsbiologin Carole Hooven in Harvard ihren Platz räumen, weil ihr Beharren auf der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen von der Universitätsleitung als zu kontrovers empfunden worden war – auch daran wurde am Dienstag noch einmal erinnert.

Das ist die Lage an amerikanische Elite-Universitäten: Die öffentlich geäußerte Meinung, dass es zwei biologische Geschlechter gibt, gilt als nicht hinnehmbarer Ausdruck von Gewalt, weil sie Studenten in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigen könnte, der Aufruf, alle Juden auszulöschen, hingegen nicht. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass es an deutschen Hochschulen nicht bald auch so aussieht. Viel Zeit bleibt nicht mehr.

The post Hass-Lehre an deutschen Unis: Unsere Studenten lernen, unsere Werte zu verachten first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/12/hass-lehre-an-deutschen-unis-unsere-studenten-lernen-unsere-werte-zu-verachten/feed/ 0
Sprachwandel oder Sprachdiktat? https://condorcet.ch/2023/07/sprachwandel-oder-sprachdiktat/ https://condorcet.ch/2023/07/sprachwandel-oder-sprachdiktat/#respond Sun, 02 Jul 2023 08:02:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=14439

Das Gendern der Sprache ist in den Schulen – vorwiegend noch an den Gymnasien und universitären Studiengängen – ein Thema. Unser Doyen und Germanist Professor Mario Andreotti kritisiert die Gleichsetzung bzw. die Verwechslung von Genus und Sexus.

The post Sprachwandel oder Sprachdiktat? first appeared on Condorcet.

]]>

Dass sich unsere Sprache dauernd wandelt, ist längst ein Gemeinplatz. Wörter und ihre Bedeutungen haben sich im Verlaufe der Geschichte verändert und verändern sich weiter. Unser Wort “Dirne” etwa meinte in mittelhochdeutscher Zeit, ja noch bis zu Goethe so viel wie “Jungfrau”; und heute, da ist eine Dirne wohl alles andere als eine Jungfrau. Sprachwandel ist ein Vorgang, der sich nicht gezielt lenken lässt, der sich ganz im Gegenteil der bewussten Steuerung durch die Sprecher weitgehend entzieht.

Professor Mario Andreotti, Germanist

Was aber die sog. gendergerechte Sprache betrifft, hat mit Sprachwandel, obwohl dies von den Befürwortern immer wieder behauptet wird, nichts zu tun, ist vielmehr bewusste Sprachlenkung, ja Sprachdiktat. Es ist eine feministische Minderheit, die der Sprachgemeinschaft das Gendern aufoktroyiert hat, um so eine angebliche Gleichstellung der Geschlechter durch die Sprache zu bewirken. Das aber entspricht nicht der Realität: Die Sprache reagiert erst auf Veränderungen in der uns umgebenden Welt und nicht umgekehrt. Die Unterscheidung von Frau und Fräulein verschwand beispielsweise erst, nachdem auch die unverheiratete Frau gesellschaftlich emanzipiert war.

Es ist eine feministische Minderheit, die der Sprachgemeinschaft das Gendern aufoktroyiert hat, um so eine angebliche Gleichstellung der Geschlechter durch die Sprache zu bewirken.

Die Befürworter des Genderns argumentieren damit, dass im Deutschen grammatisches und natürliches Geschlecht gerne gleichgesetzt würden. Wie kam es aber zu dieser Gleichsetzung, ja Verwechslung von Genus und Sexus? Ein Blick in die deutsche Sprachgeschichte kann uns da Aufschluss geben. Im 17.Jahrhundert, zurzeit der barocken Sprachgesellschaften, übersetzten deutsche Grammatiker, unter ihnen Justus Georg Schottelius, das lateinische Wort “Genus” mit (grammatisches) “Geschlecht” und nannten den Artikel “Geschlechtswort”.

Das öffnete der Verwechslung mit “Sexus” Tür und Tor, und dies umso mehr, als die Genera nun männlich (der), weiblich (die) und sächlich (das) genannt wurden. Johann Christoph Adelung, der bedeutendste deutsche Grammatiker des 18. Jahrhunderts, nannte die Neutra “Wörter ungewissen Geschlechts” und “geschlechtslos”, wobei er das dritte Geschlecht unserer Tage noch nicht im Auge hatte. So wurde die deutsche Grammatik durch eine fragwürdige Übersetzung gleichsam sexualisiert, indem ein Fachbegriff eine alltagssprachliche Zusatzbedeutung erhielt. Die meisten Kinder hören im Sprachunterricht noch heute vom Hauptwort und dessen Geschlecht.

Dabei wissen wir längst, dass grammatisches und natürliches Geschlecht in der deutschen Sprache, aufs Ganze gesehen, wenig miteinander zu tun haben.

Diese Zusatzbedeutung liegt dem vor allem von Feministinnen geschürten Streit über die angebliche Diskriminierung der Frauen bei der Unterlassung weiblicher Wortformen zugrunde. Dabei wissen wir längst, dass grammatisches und natürliches Geschlecht in der deutschen Sprache, aufs Ganze gesehen, wenig miteinander zu tun haben. “Spitzel” als grammatisches Maskulinum bezeichnet ebenso wenig nur Männer, wie etwa “Person” als Femininum nur Frauen meint. Und ein “Lehrerzimmer steht Lehrern wie Lehrerinnen offen; ein Führerschein berechtigt Frauen wie Männer zum Autofahren. So gesehen, entpuppt sich das Genderproblem am Ende als das, was es ist: als Scheinproblem.

Am Ende nur ein Scheinproblem

Trotzdem fordern heute vermeintlich emanzipierte Kreise beinahe stereotyp, es dürften nur noch Wörter verwendet werden, die nicht a priori “männlich” zu verstehen seien, ordnen Arbeitgeber und Behörden an, ihre Mitarbeiter hätten sich im Dienstbetrieb einer gendergerechten Sprache zu bedienen. So kam es schliesslich zu Texten, die uns in dumpf aufgeblähter, mit Gendersternen oder Sprechpausen verunstalteter Sprache begegnen oder die nur noch aus z.T. schwerfälligen neutralen Partizipien (Zu-Fuss-Gehende statt Fussgänger) bestehen.

Doch all diese Vorschläge sind im Grunde keine Lösungen, da sie zum einen in der gesprochenen Sprache nicht funktionieren und zum andern partizipiale Formen sich längst nicht bei allen Nomen herstellen lassen. Die “Abgeordneten” erlauben das beispielsweise nicht. Und das Bedenklichste daran: Die Suche nach einer gendergerechten Sprache hat nicht zur gewünschten Gleichberechtigung der Geschlechter geführt, sondern zu zerstörerischen Eingriffen in die deutsche Sprache.

 

Prof. Dr. Mario Andreotti, ehem. Gymnasiallehrer und heute Dozent für Neuere deutsche Literatur, ist ein profunder Kenner der schweizerischen Bildungs- und Sprachlandschaft. 2019 veröffentlichte er im Verlag FormatOst dazu das vielbeachtete Buch “Eine Kultur schafft sich ab. Beiträge zu Bildung und Sprache”.

The post Sprachwandel oder Sprachdiktat? first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/07/sprachwandel-oder-sprachdiktat/feed/ 0
Vergesst Horizon 2020! https://condorcet.ch/2023/02/vergesst-horizon-2020/ https://condorcet.ch/2023/02/vergesst-horizon-2020/#comments Wed, 22 Feb 2023 18:30:16 +0000 https://condorcet.ch/?p=13250

Schweizer Wissenschaftler und Politiker halten die Teilnahme am EU-Forschungsprogramm für überlebenswichtig. Dabei ist das ein bürokratischer Käfig, der vom Denken ablenkt, schreibt unser Gastautor Mathias Binswanger. Der Artikel ist zuerst im Nebelspalter erschienen.

The post Vergesst Horizon 2020! first appeared on Condorcet.

]]>

Die Situation ist untragbar. Uni-Rektoren alarmiert» – so lautete eine Schlagzeile im Januar. Es ging um das World Economic Forum, das WEF, in Davos, wo sich auch die Rektoren der wichtigsten Universitäten der Schweiz treffen durften. Der Rektor der Universität Zürich, Michael Schaepman, liess dort verlauten: «Wenn es so weitergeht, nehmen wir in Kauf, dass wir im internationalen Ranking tauchen.» Denn wenn die Schweiz weiterhin keinen vollen Zugang zum europäischen Forschungsprogramm «Horizon» habe, würden die hiesigen Universitäten schlechter beurteilt.

Schleichende Aufgabe der Eigenständigkeit

Volkswirtschaftler Mathias Binswanger, Gastautor

Tatsächlich ist die Situation untragbar, aber in einem ganz anderen Sinn als von den Rektoren dargestellt. Es ist untragbar, dass sich die Schweizer Forschung von der EU-Förderung abhängig und damit erpressbar gemacht hat. Diese schleichende Aufgabe der Eigenständigkeit ist ein Armutszeugnis und spricht nicht für den Forschungsstandort Schweiz. Die Schweiz ist Teil der EU-Forschungsbürokratie geworden, welche wesentlich dazu beiträgt, aus Forschern fleissige Antragsschreiber und Berichtverfasser für Projekte zu machen, auf deren Resultate niemand gewartet hat.

Akademiker sollten eigentlich zu den intelligentesten Mitgliedern einer Gesellschaft gehören. Das zumindest vermuten viele Leute ausserhalb des Wissenschaftsbetriebes. Doch gleichzeitig müssen sich Akademiker de facto wie kleine Kinder behandeln lassen, wenn es um die Überprüfung ihrer Leistungen geht. Jahr für Jahr versuchen sie, Artikel um Artikel in Fachzeitschriften zu veröffentlichen, Projektanträge zu schreiben, Berichte zu verfassen oder Dokumente für Akkreditierungen zu erstellen, um so bei internen und externen Ratings und Beurteilungen gut dazustehen. Und dann sollten sie auch noch so tun, als ob ihnen all diese Tätigkeiten ein grosses Anliegen wären.

Es ist untragbar, dass sich die Schweizer Forschung von der EU-Förderung abhängig und damit erpressbar macht.

Hinter vorgehaltener Hand beklagen sich zwar viele Akademiker über diese Gängelung. Doch die Mehrheit fügt sich brav den Anforderungen der Forschungsbürokratie. In deren Zentrum steht der quantitativ messbare Input oder Output der Forschung. Wichtig ist die Zahl der Publikationen, der Zitationen, Impact-Faktoren, H-Index, i10-Index, G-Index . . . Die Liste an Kennzahlen zur quantitativen Erfassung von Forschungsleistungen wird immer länger.

Zuckerbrot und Peitsche

Inzwischen gibt es eine eigene «Wissenschaftsdisziplin», die sich ausschliesslich mit dem richtigen Messen von wissenschaftlichen Leistungen beschäftigt: die Szientometrie. Auf diese Weise wird eine bürokratische Tätigkeit – das Messen von Forschungsleistungen – selbst zur Wissenschaft und erhält den Anstrich objektiver Notwendigkeit.

Engt sich der Blick des Wissenschaftsbetriebs durch die Forschungsbürokratie ein?

Wie ist es aber möglich, dass Akademiker zu willfährigen und (selbst)disziplinierenden Vollstreckern eines Systems geworden sind, das ihnen oft die Freude an ihrer Tätigkeit raubt? Die Antwort ist einfach: Zuckerbrot und Peitsche. Eine Karriere als Akademiker ist heute nur möglich, wenn man entsprechend Artikel publiziert, Projekte akquiriert und, das gehört heute auch dazu, sich stets politisch korrekt verhält. Wer das fleissig tut, der wird belohnt und steigt in der Wissenschaftshierarchie nach oben.

Politisch korrekter Output

Wer hingegen keine messbare Leistung erbringt, endet schnell auf einem akademischen Abstellgleis oder muss sich aus dem System verabschieden. So ist etwa die Anzahl der von einem Forscher veröffentlichten Zeitschriftenartikel zum wichtigsten Anliegen, aber auch zur grössten Sorge unter vielen Akademikern geworden. Wo man veröffentlicht hat, ist wichtiger, als was in einer Arbeit steht. So kann man bei informellen Diskussionen mit Kollegen sich oft stundenlang darüber unterhalten, welche Artikel jetzt gerade wo veröffentlicht werden, welche in der Pipeline sind und mit welchen Co-Autoren weitere wichtige Arbeiten geplant sind. Nur über den eigentlichen Inhalt erfährt man kaum etwas.

Wo man veröffentlicht hat, ist wichtiger, als was in einer Arbeit steht.

Das ganze Controlling führt zu einer Standardisierung von Forschung und Lehre. Immer mehr an die Norm angepasste Forscherinnen und Forscher produzieren immer mehr standardisierten, berechenbaren und in Sozialwissenschaften auch politisch korrekten Forschungsoutput.

Ein System, das Qualität belohnen will, verwandelt sich in ein System, das Qualität behindert.

Nicht Kreativität, sondern Vorhersehbarkeit und Planbarkeit sind wichtig, denn nur so lassen sich Forschungsanträge schreiben, bei denen man über Jahre hinaus jeden Teilschritt schon im Vornhinein angeben kann. In den Artikeln entwickelt sich ein standardisierter Aufbau und ein normierter Schreibstil, bei dem die Individualität der einzelnen Forscher möglichst wenig zum Ausdruck kommt.

Auch was Methoden, Modelle, Verfahren und Inhalte betrifft, fügen sich Wissenschaftler in die momentan gerade vorherrschende Norm ein. Je mehr Forscher aber durch Regeln und Standards eingeschränkt werden, umso mehr neigen sie dazu, auf Nummer sicher zu gehen und nachzuahmen, was andere getan haben – sogenanntes gap-spotting.

Quantitativ messbarer Output verdrängt den Inhalt.

Unerwartete, neue oder herausfordernde Ideen werden dadurch seltener. Ein System, das eigentlich die Qualität messen und belohnen will, verwandelt sich so in ein Kontrollsystem, welches Qualität zunehmend behindert. So entsteht ein ständiger Strom von Artikeln, die von immer mehr Akademikern als sinnlose, uninteressante technische Übungen beurteilt werden und inhaltlich kaum einen Beitrag leisten. Die Artikel dienen in erster Linie dazu, sich in entsprechenden Rankings zu verbessern. Quantitativ messbarer Output verdrängt den Inhalt. Und die intrinsische Motivation der Forscher, oder wie Robert Merton es nannte: der «Taste of Science», wird verdrängt durch extrinsische Motivation oder einen taste for publications and projects.

Wissenschaftliche Fleissarbeiter ohne Geist

Doch es geht nicht nur um die Optimierung von Prozessen, sondern auch um eine Optimierung der in Forschung und Wissenschaft tätigen Menschen selbst. Rein äusserlich scheint die Freiheit an Hochschulen grösser zu werden. Man kann im Home-Office arbeiten, Online-Veranstaltungen machen, neue Lernformen erproben oder sich weltweit mit anderen Wissenschaftlern vernetzen. Aber gleichzeitig macht die Hochschulbürokratie immer mehr Druck und zwingt Akademiker dazu, messbaren und der Norm entsprechenden politisch korrekten Output zu produzieren.

Immer mehr Druck für politisch korrekten Output.

Aus diesem Grund treffen wir im akademischen Umfeld verstärkt wissenschaftliche Fleissarbeiterinnen und -arbeiter ohne Geist an. Diese sind intelligent, clever und beherrschen ihr Handwerk. Aber sie sind opportunistisch und an Inhalten letztlich nicht interessiert.

Kein Wunder, dass unter solchen Bedingungen immer mehr Wissenschaftler immer weniger originelle Beiträge liefern. Eine im Januar 2023 publizierte Untersuchung in der Zeitschrift Nature unter dem Titel «Papers and patents are becoming less disruptive over time» zeigt: In den letzten Jahrzehnten ist der Umfang neuer wissenschaftlicher und technologischer Erkenntnisse exponentiell gestiegen.

Rückgang der Vielfalt

Im Gegensatz dazu deuten verschiedene Beobachtungen aber darauf hin, dass sich der Fortschritt verlangsamt. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass Veröffentlichungen und Patente mit der Vergangenheit in einer Weise brechen, die Wissenschaft und Technologie in neue Richtungen lenkt. Und genau das wäre die Idee von wissenschaftlichem Fortschritt oder, neudeutsch: von disruptiver Veränderung.

Es wird immer unwahrscheinlicher, dass Veröffentlichungen und Patente mit der Vergangenheit in einer Weise brechen, die Wissenschaft und Technologie in neue Richtungen lenkt.

Eine mögliche Erklärung ihrer Resultate sehen die Autoren in der Zunahme des Publikationsdrucks. Wissenschaftler und Erfinder konzentrieren sich verstärkt auf die Verfeinerung von Details und Modellen aus früheren Arbeiten, um aus einer Idee oder einem Modell möglichst viele Publikationen herauszuholen. Die Autoren beobachteten auch einen Rückgang der Vielfalt der zitierten Arbeiten, was wiederum ein Hinweis darauf ist, dass sich die heutige Wissenschaft mit immer engeren Ausschnitten des vorhandenen Wissens befasst.

Bleibt der wissenschaftlich offene Geist zunehmend in der Flasche?

Dieser Rückgang der Vielfalt geht einher mit einer Zunahme des Anteils an Zitaten des einen Prozents der am häufigsten zitierten Arbeiten. Im Laufe der Zeit zitieren Wissenschaftler zunehmend die gleichen «exzellenten» früheren Arbeiten, wodurch auch die neu publizierten Arbeiten sich thematisch immer ähnlicher werden. Mit andern Worten: Wissenschaft wird zur Fleissarbeit ohne Geist!

 

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen.

The post Vergesst Horizon 2020! first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2023/02/vergesst-horizon-2020/feed/ 1