Fremdsprachenunterricht - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Thu, 20 Oct 2022 17:50:04 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Fremdsprachenunterricht - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Ernüchternde Erfolgsbilanz des frühen Fremdsprachenunterrichts https://condorcet.ch/2022/10/ernuechternde-erfolgsbilanz-des-fruehen-fremdsprachenunterrichts/ https://condorcet.ch/2022/10/ernuechternde-erfolgsbilanz-des-fruehen-fremdsprachenunterrichts/#comments Thu, 20 Oct 2022 11:02:02 +0000 https://condorcet.ch/?p=12033

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz hat auf den Leserbief von Frau Le Pape Racine in der Zeitschrift Biel-Bienne reagiert. Er sieht eine Frau, die in einer anderen Welt zu leben scheint.

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Hanspeter Amstutz:
Frau Le Pape nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis.

Die Replik von Christine Le Pape Racine zu Alain Pichards schonungsloser Bilanz des frühen Französischunterrichts schiesst weit übers Ziel hinaus. Man kann über die plakative Wortwahl des Autors geteilter Meinung sein, doch inhaltlich hat sein Text sehr viel Substanz.

Die Fehler, die in der Zeit der Experimentierphase des Deutschschweizer Mehrsprachenkonzepts gemacht wurden, waren haarsträubend. Bei der Einführung wurde behauptet, mit der neuen Methode des Sprachbades könnten fast alle Schüler am Ende der Primarschulzeit bereits munter Französisch parlieren und mit dem Frühenglisch würde ein grosser Lernvorsprung erzielt.

Die meisten Lehrerinnen und Lehrer hingegen konnten der Vorstellung eines künstlich arrangierten Sprachbads im Französisch und Englisch wenig abgewinnen. Für sie war klar, dass ein Zwei-Lektionen-Unterricht im Klassenzimmer wenig mit natürlichem Sprachenlernen in einer fremdsprachigen Umgebung zu tun hat. Die Spannungen nahmen zu, als vonseiten der Lehrerschaft die entscheidende Frage nach Aufwand und Ertrag beim frühen Sprachenlernen gestellt wurde. Und diese Bilanz fiel schon bald sehr ernüchternd aus. In einer gründlichen Untersuchung der Zentralschweizer EDK zeigte sich, dass die Französischkenntnisse am Ende der Primarschulzeit bedenklich schwach waren. Zwei Drittel der Schüler erreichten die Lernziele im tiefstem Anspruchsniveau A1 nicht und konnten kaum einen kurzen Satz bilden. Vier Jahre Frühfranzösisch hatten offensichtlich wenig Begeisterung für die schöne Sprache ausgelöst.

Die grosse Schwachstelle beim Fremdsprachenunterricht waren die immersiven Lehrmittel mit dem ungenügend strukturierten Sprachaufbau.

Christine Le Pape: Es braucht eine Generation!

Die grosse Schwachstelle beim Fremdsprachenunterricht waren die immersiven Lehrmittel mit dem ungenügend strukturierten Sprachaufbau. Die jüngste Umfrage im Baselbiet bestätigt, dass die meisten Lehrpersonen kein Vertrauen in die Französischlehrmittel und ins überladene Frühsprachenkonzept haben. Wenn durchschnittlich weit mehr als die Hälfte der Primarschüler in mindestens einer der beiden Fremdsprachen völlig überfordert ist, stimmt etwas grundsätzlich nicht. Hauptirrtum ist die Annahme, das parallele Lernen dreier Sprachen schaffe zeitsparende Synergien. Die Verzettelung der Bildungsziele hat vielmehr zu einem chronischen Mangel an Übungszeit bei der Festigung der Grundstrukturen im Deutsch und in den Fremdsprachen geführt. Aufsätze werden nicht mehr korrigiert, Fallformen zu wenig trainiert und die Konjugation der französischen Verben muss im Schnellverfahren erledigt werden.

Eine Schule, welche den Wunschbereich der frühen Fremdsprachenförderung fast ebenso stark gewichtet wie die Kernaufgaben in Deutsch und Mathematik, ist auf dem Holzweg. Die Euphorie beim frühen Sprachenlernen ist unterdessen längst verflogen. Es wäre keine Überraschung, wenn bei einem erneuten Volksentscheid das abenteuerliche Konzept der frühen Dreisprachigkeit beendet würde.

Hanspeter Amstutz

Ehemaliger Bildungsrat und Sekundarlehrer

Fehraltorf ZH

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Was hat De Saussure mit dem Fremdsprachenerwerb zu tun? https://condorcet.ch/2022/03/was-hat-de-saussure-mit-dem-fremdsprachenerwerb-zu-tun/ https://condorcet.ch/2022/03/was-hat-de-saussure-mit-dem-fremdsprachenerwerb-zu-tun/#respond Sun, 13 Mar 2022 12:34:15 +0000 https://condorcet.ch/?p=10653

Frau Barbara K. Müller und Condorcet-Autor Felix Schmutz liefern sich einen Diskurs über den Fremdsprachenerwerb. Eine Kontoverse im besten Condorcet-Geist.

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Felix Schmutz, Baselland:
Ihr Standpunkt ist angesichts der riesigen Menge an Forschung schlicht nicht haltbar.

Liebe Frau Müller,

Gerne möchte ich auf Ihre im Kommentar geäusserte Kritik antworten

1. De Saussure kam zu meiner Studienzeit in allen Linguistik-Proseminaren vor, auch bei den Germanisten, denn De Saussure ist der Begründer des Strukturalismus, ja eigentlich der synchronen Sprachwissenschaft und der Semantik. Allerdings sind drei Begriffe wesentlich: langage (die menschliche Fähigkeit zur Sprache), langue (das abstrakte Einzelsprachensystem), parole (die reale sprachliche Äusserung) (vgl. z.B. Peter Ernst, Germanistische Sprachwissenschaft, UTB basics, 2004). In der Semantik schärfte Saussure den Blick für signifant und signifé, etc. Dass dies “im Deutschen ausgeblendet wird” ist schlicht nicht wahr. Allerdings haben sich Strukturalismus und Semantik natürlich weiterentwickelt. So schuf der heute hoch betagte Noam Chomsky in den 1950er Jahren die Begriffe Kompetenz (entspricht langage) und Performanz (entspricht parole), mit denen er die für die Computertechnologie entwickelte “Generative Transformationsgrammatik” erfand, mit deren Hilfe jede Sprache der Welt auf eine “Tiefenstruktur” zurückgeführt werden sollte, von der aus das Computerprogramm dann einen Text in jede beliebige andere Sprache (= Oberflächenstruktur) verwandeln konnte. Dies ist letztlich die Grundlage für die heutigen Übersetzungsprogramme.

Meine Frage an Sie ist nun lediglich: Was hat De Saussure mit dem Fremdsprachenerwerb und der entsprechenden Forschung zu tun?

  1. Sie setzen weiterhin den späteren Fremdsprachenerwerb mit dem frühen Erstsprachenerwerb gleich. Wie können Sie diese Behauptung aufrecht erhalten, wenn die Evidenz (Forschung wie Erfahrung) dagegen spricht? Ihr Standpunkt ist angesichts der riesigen Menge an Forschung schlicht nicht haltbar.
  2. Schon im nächsten Satz widersprechen Sie sich selbst. Die Laute werden offensichtlich mit dem Erstsprachenerwerb (die Forschung sagt: schon vor dem Sprechbeginn) gelernt. D.h. Schon die Lautung muss später anders gelernt werden. Gerade da zeigt sich die Sprachbegabung: Leute mit schauspielerischer Begabung können die “native speakers” fast perfekt nachahmen. So würden Sie meiner Frau nicht anhören, dass sie nicht Baslerin von Geburt ist, obwohl sie mit Zürcher Dialekt aufgewachsen ist und erst als Erwachsene in die Region gekommen ist. Bei anderen bleibt es bei einer “parole approximative”, die jedem verrät, welches seine Erstsprache ist, selbst wenn er Wortschatz und Grammatik sehr gut beherrschen sollte. Beispiel: Mein ehemaliger Englischprofessor in Basel, Rudolf Stamm, ein anerkannter Shakespeare-Forscher. Seine Vorlesungen waren Baseldeutsch mit englischen Wörtern und Strukturen, jeder Student und jede Studentin artikulierte idiomatischer!
  3. Der Test mit der Kunstsprache ist sinnvoll, weil er alle Probanden vor die gleiche experimentelle Situation stellt, keinem Erstprachigen einen Vorteil verschafft. Solche Tests werden auch zur Ermittlung der sprachlichen Intelligenz eingesetzt.
  4. Aus den Hypothesen zum Sprachenlernen lassen sich sehr wohl didaktische Ideen gewinnen, denn die Leute, die sie entwickelten, wählten jeweils einen Ansatzpunkt, der in gewissen Zusammenhängen durchaus fruchtbar sein konnte. So ist zum Beispiel das Task Based Language Teaching eine sehr effiziente Übungsform. Allerdings setzt sie andere Verstehens- und Übungsphasen voraus. Wenn sie, wie bei Passepartout viel zu früh eingesetzt wird, werden die Kinder überfordert und der Gewinn bleibt auf der Strecke. Falsch ist also lediglich, wenn eine Hypothese didaktisch verabsolutiert wird.
  5. Mehrere Sprachen gleichzeitig zu lernen mag kognitiv Begabten zunächst sehr einleuchten. Allerdings ist es sehr, sehr anspruchsvoll. Auch unsere Lehrer haben selbstverständlich auf Wort- oder Strukturverwandtschaften hingewiesen. Z.B. Der Englischlehrer: “She wanted us to burn the letter.” entspricht der lateinischen ACI-Kontruktion: “Ceterum censeo Carthaginem delendam esse.” Ob hingegen Primarschulkinder, die mit allerelementarsten Dingen kämpfen, schon wissen müssen, dass “gâteau” das fränkische “wastl” ist oder wie die Verneinung mit ne … pas in Suaheli gebildet wird, ist wohl stark übertrieben. Da muss erst noch jemand erklären, was das konkret für den Spracherwerb (das Sprechen der Fremdsprache) bringen soll. Im Übrigen ist vergleichende Sprachwissenschaft ein hochkomplexes Gebiet.

Mehrere Sprachen gleichzeitig zu lernen mag kognitiv Begabten zunächst sehr einleuchten. Allerdings ist es sehr, sehr anspruchsvoll.

  1. “Erfolgreich in Sprache zu sein, ist keine Begabung.” Das ist eine reine Behauptung, für die sie keinen wissenschaftlich fundierten Beleg anführen können. Allerdings gibt es genügend Evidenz für das Gegenteil: Siehe schon nur Punkt 3. Bei Berthele, Idry et al. können sie nachlesen, welche Faktoren in welchem Masse zum Erfolg beitragen und inwiefern auch Begabung hineinspielt.
  2. Der genetische Beitrag an die Fähigkeiten wird heute nicht mehr angezweifelt: So wie Körpergrösse, Augenfarbe, Krankheiten, etc. auf genetischen Anlagen und nichterblichen (erworbenen) Ursachen beruhen, trifft dies auch auf die Fähigkeiten zu: musikalisches Talent, sportliche Fähigkeiten, mathematischer Durchblick, Zeichentalent. Und natürlich trifft das auch auf die Eignung, Sprachen zu lernen zu. Wie hoch der jeweilige Anteil von Erbe und Umwelt (nature or nurture) ist, hängt von den Messverfahren und Berechnungen ab (vgl. Dieter E. Zimmer, Ist Intelligenz erblich? Eine Klarstellung, 2012). Das heisst übrigens alles nicht, dass Kinder und Jugendliche nicht gefördert werden können, wenn sie nur mässige Begabung mitbringen. Das ist dann das didaktische Geschick der Lehrperson, das nötig ist, um die Betreffenden zu motivieren, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu entwickeln.
  3. Intelligenz und Sprachvermögen. Hier klingt für mich die Diskussion um die Sprachbarriere an: Je nach sozialem Status unterscheiden sich die Kinder bezüglich “restringiertem” und “elaborierten” Kode (Bernstein). Allerdings konnte gezeigt werden, dass die Kodes kein Indiz für Intelligenz darstellen. Kinder mit restringiertem Kode äussern sich situationsbezogen, knapp, mit Gesten und Verweisen, Kinder mit elaboriertem Kode äussern sich situationsunbhängiger, sie verpacken die Inhalte in komplexere sprachliche Gestalt. Beide können jedoch gedanklich dasselbe leisten. Plappern und Schweigen sind an und für sich auch noch kein Indiz für kognitive Fähigkeiten, sie sind zunächst Ausdruck von Intro- oder Extraversion: Beide können kognitiv stark oder schwach sein.

Mit freundlichen Grüssen

Felix Schmutz

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Individuelle Unterschiede beim Sprachenlernen in der Primarschule https://condorcet.ch/2022/03/individuelle-unterschiede-beim-sprachenlernen-in-der-primarschule/ https://condorcet.ch/2022/03/individuelle-unterschiede-beim-sprachenlernen-in-der-primarschule/#comments Sat, 05 Mar 2022 07:15:28 +0000 https://condorcet.ch/?p=10631

Der NZZ-Artikel vom 30.1.2022 von Patrick Imhasly zur Freiburger Studie von Berthele und Udry (Am Lehrer liegt es nicht) hat den Condorcet-Autor Felix Schmutz angeregt, die (auf Englisch abgefasste) Studie zu lesen. Im folgenden Beitrag versucht er, den über 200 Seiten dicken Wälzer zusammenzufassen im Hinblick auf das, was für Lehrpersonen interessant sein könnte.

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Felix Schmutz, Baselland: Die Nähe zur Zielsprache Französisch erzeugt keine bessere Lernmotivation.

Eine gross angelegte Studie zu Unterschieden beim Sprachenlernen in den 5. und 6. Klassen der Primarschule in der Schweiz legt eine Forschungsgruppe des Instituts für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg vor (Berthele & Udry, 2021)1. Sie soll einen Beitrag leisten zur Diskussion um den Fremdsprachenunterricht, der im Zuge des Sprachenkonzepts der EDK in die Primarschule vorverlegt wurde und durch die Didaktik der Mehrsprachigkeit in neue Bahnen gelenkt wurde.

Ziel der Studie war es herauszufinden, welche Rolle folgende Faktoren beim Lernfortschritt (proficiency) in gegenseitiger Abhängigkeit über 2 Jahre spielen:

– die Eignung zum Sprachenlernen, die Sprachbegabung (language aptitude)

– die allgemeine Denkfähigkeit, die Intelligenz (cognition)

– die Kreativität

– die Motivation und weitere affektive Einstellungen

– die Schulsprache Deutsch

– die geografische Nähe zur Zielsprache

– der soziale und kulturelle Hintergrund der Lernenden

Mehrere Klassen aus Freiburger und Zürcher Primarschulen wurden dabei mehrmals getestet und befragt. Mittels statistischer Verfahren wurden die Ergebnisse sorgfältig analysiert und die Faktoren gegeneinander abgewogen.

Sie versuchen stets, voreilige Schlussfolgerungen bei Korrelationen zu vermeiden, um falscher Hypothesenbildung vorzubeugen.

Professor Raphael Berthele, Universität Freiburg: untersuchte die Wirksamkeit von Passepartout und war ein früher Warner vor der Frühfremdsprachen-Didaktik.

Die Autoren und Autorinnen erörtern ausführlich die bewährten Testverfahren, die sie benützt und teilweise an die Verhältnisse der Testgruppen angepasst haben. Ebenso detailliert schildern sie die statistischen Verfahren, die sie bei der Analyse der Ergebnisse angewandt haben. Sie versuchen stets, voreilige Schlussfolgerungen bei Korrelationen zu vermeiden, um falscher Hypothesenbildung vorzubeugen. Gleichzeitig gelingt es ihnen, Resultate aus anderen Studien mit ihren Befunden zu bestätigen, zu widerlegen oder in Frage zu stellen. Der englische Text wird durch die akribischen Details etwas sperrig, er bietet jedoch einige für Unterrichtende wissenswerte Resultate und relativiert gewisse Hypothesen der Mehrsprachigkeitsdidaktik.

Der grundlegende Ausgangspunkt der Studie, der in den ersten beiden Kapiteln ausgiebig diskutiert wird: Gibt es überhaupt Belege für das Konstrukt «Sprachbegabung» (language aptitude)? Die Forschenden beziehen sich auf einen von John B. Carroll 1958 entwickelten Test, der die Probanden eine künstliche Sprache lernen lässt und dabei folgende Fähigkeiten misst:

– die Fähigkeit, Laute zu erkennen (phonetic coding ability)

– die Fähigkeit, die Funktion einzelner Wörter im Satz zu erkennen (grammatical sensitivity)

– die Fähigkeit, sprachliche Regeln abzuleiten (inductive learning ability)

– die Fähigkeit, sich schnell Wörter einzuprägen (rote memory learning)

Carroll entwickelte den Test seinerzeit, um den potenziellen Erfolg der Lernenden voraussagen zu können.

 

Kinder mit guten analytischen Fähigkeiten profitieren eher von einem Unterricht, der Zusammenhänge erklärt.

Die Freiburger Studie verhilft im Zusammenhang mit der Sprachbegabung zu folgenden Einsichten:

  1. Tatsächlich unterscheiden sich die Kinder in der Eignung, Sprachen zu lernen. Die Sprachbegabung bleibt über die beiden Jahre stabil. Die Fähigkeit wird in diversen Studien zu ca. 50% auf genetische Ursachen zurückgeführt.
  2. Die Sprachbegabung korreliert signifikant mit der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit (0.64): Ein gutes Denkvermögen geht Hand in Hand mit einer guten Eignung zum Sprachenlernen.
  3. Trainingseinheiten zu den analytischen Sprachfähigkeiten scheinen die Sprachbegabung nicht merklich verbessern zu können (Berthele & Udry, S. 19).
  4. Kinder mit guten analytischen Fähigkeiten profitieren eher von einem Unterricht, der Zusammenhänge erklärt (explicit learning), während die andern eher von einem kommunikativen, auf Beispielen beruhenden Unterricht (modelling) profitieren. Die jüngeren Lernenden sprechen eher auf das «Modelling» an, während bei älteren das «Explicit Learning» mehr Vorteile bringt.

Die These der Mehrsprachigkeitsforscher, dass Lernende aus Migrantenfamilien, die bereits Deutsch als Zweitsprache gelernt haben, leichter weitere Sprachen in der Schule lernen können, liess sich nicht durch statistische Signifikanz erhärten.

Welche Wirkung auf den Fremdsprachenerwerb in der Schule haben die übrigen Faktoren?

  1. Die intrinsische Motivation, der Arbeitseinsatz, das Selbstkonzept (eigene Ziele und Vertrauen in die eigene Fähigkeit) und die Abwesenheit von Ängsten sind weitere positiv mit der Lernleistung assoziierte Faktoren, während dies für die extrinsische Motivation (Ermunterung durch Eltern und Lehrpersonen) nicht zutrifft. Allerdings können extrinsische Faktoren (z.B. Karrierewünsche) von Individuen verinnerlicht und zu intrinsischen werden.
  2. Einige Faktoren erlauben zuverlässige Voraussagen über den künftig zu erwartenden Lernerfolg in Fremdsprachen: Intrinsische Motivation, Selbstkonzept, Blick für grammatikalische Zusammenhänge, Erkennen von Regeln, Lesefähigkeit Deutsch.
  3. Welche Rolle spielen Einkommen und kultureller Hintergrund der Eltern beim Englischlernen? Tatsächlich zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen kognitiver Stärke, Lernmotivation und dem sozioökonomischen Status der Eltern. Ein direkter Einfluss des Status auf das Sprachenlernen lässt sich jedoch nicht nachweisen.
  4. Die These der Mehrsprachigkeitsforscher, dass Lernende aus Migrantenfamilien, die bereits Deutsch als Zweitsprache gelernt haben, leichter weitere Sprachen in der Schule lernen können, liess sich nicht durch statistische Signifikanz erhärten.
  5. Beflügelt Kreativität die Lernleistung in Fremdsprachen? Lernende, die mit der Methode des Task Based Language Teaching (z.B. die tâches in Mille Feuilles) (=Anwendungsaufgaben, die kommunikatives Handeln erfordern) unterrichtet werden, haben Vorteile, wenn sie kreative Begabung in die Waagschale werfen können. Fördert Kreativität die Motivation, Fremdsprachen zu lernen, insbesondere beim Unterricht nach TBLT? Dafür gab es keinen Nachweis, womit eine weitere Hypothese der Mehrsprachigkeitsdidaktiker nicht belegt werden kann.
  6. Die Nähe zur Zielsprache Französisch erzeugt keine bessere Lernmotivation als diejenige in weiter entfernten Gegenden. Ausserdem ist die Motivation, Englisch zu lernen, ungeachtet der geografischen Lage, bei den Lernenden signifikant höher als die Motivation, Französisch zu lernen.
  7. Innerhalb der Schuljahre 5 und 6 bleibt die Motivation für Englisch ziemlich konstant, hingegen nimmt sie für Französisch deutlich ab.

Für Unterrichtende mag enttäuschend sein, wenn die Studie dem schulischen Fremdsprachenunterricht nur beschränkte Erfolgsaussichten attestiert:

«Das Ausmass, in dem Schulbildung die Lernleistung überhaupt beeinflussen kann, scheint nicht so gross zu sein, wie Bildungsverantwortliche gerne möchten. Wie in Kapitel 5 gezeigt wird, wirkt sich der sozioökonomische Status, der vom Individuum nicht leicht verändert werden kann, stark auf die beiden Faktoren aus, die positiv, aber indirekt mit dem Leistungserfolg in der Fremdsprache verbunden sind (über die Konstrukte Kognition, Sprachtalent und affektive Einstellungen). Wenn die Annahme lautet, dass soziale Voraussetzungen kausal zu einem oder beiden dieser Konstrukte beitragen (und nicht umgekehrt), dann weist dies darauf hin, dass wesentliche Hürden für Lehrpersonen und Schulen bestehen, wenn sie die individuellen Voraussetzungen im Hinblick auf die beiden Konstrukte verändern wollen. Dieses Resultat schürt Zweifel daran, ob ein Schulsystem, das sich gleiche Chancen auf die Fahnen schreibt, diesem Anspruch auch gerecht werden kann. Gleicherweise gilt: Wenn kognitive und sprachliche Fähigkeiten teilweise genetisch festgelegt sind, wie Plomin (2019) oder Stromwold (2001) dargelegt haben, schränkt auch dies die Möglichkeiten ein, die individuellen Unterschiede pädagogisch auszugleichen, besonders innerhalb der begrenzten Zeit, die für den Fremdsprachenunterricht zur Verfügung steht.»2 (S.217, Übertragung: F. Schmutz)

1 Raphael Berthele & Isabelle Udry (eds.). 2021. Individual differences in early instructed language learning: The role of language aptitude, cognition, and motivation (Eurosla Studies 5). Berlin: Language Science Press.

2 “The extent to which education can influence learner performance at all may not always be as large as educators would like it to be. As shown in Chapter 5, socioeconomic status, which cannot easily be changed by the individual, bears strongly on the two factors that are positively but indirectly associated with L2 proficiency (via the constructs Cognition/Aptitude and L2 Academic Emotion). If the assumption is that social dispositions contribute causally to one or both of these constructs (and not vice versa), then this points to important hurdles for teachers and schools to change individuals’ dispositions with respect to these two important constructs. This result raises concerns about how well an education system whose pledge is equal opportunity can live up to such expectations in real life. In a related vein, if the cognitive and/or linguistic abilities are partially predetermined by genetics, as suggested by Plomin (2019) or Stromswold (2001), this also points to limits of the extent to which individual differences can be pedagogically levelled out, in particular within the restricted possibilities of a dense curriculum in a state school with only limited time at disposal for L2 instruction.” (Berthele & Udry, S. 217)

 

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Passepartout im Lichte des Qualitätsmanagements https://condorcet.ch/2019/12/passepartout-im-lichte-des-qualitaetsmanagements/ https://condorcet.ch/2019/12/passepartout-im-lichte-des-qualitaetsmanagements/#respond Sun, 08 Dec 2019 14:40:21 +0000 https://condorcet.ch/?p=3193

Der PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) ist das wichtigste Werkzeug im Bereich der Qualitätssicherung. Es wird u.a. angewendet bei Fertigungsprozessen, im Management, in der Verwaltung und der Pflege. Gastautor Felix Hoffmann unterzieht das gescheiterte Passepartout-Projekt zur Illustration seiner Mängel dem PDCA-Zyklus.

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Phase 1: Plan = Planen

Problembeschreibung, Ursachenanalyse, Zielvorgabe

PISA-Schock Bild: planet-wissen.de

Passepartout ist eine Nachwehe des inszenierten PISA-Schocks. Auf der Kompetenz-Ideologie basierend, testete PISA, was nicht Bestandteil kantonaler Lehrpläne sein konnte, da jene damals nicht Kompetenz-ideologisch waren. Die Folge war eine verhängnisvolle Fehlinterpretation der PISA-Ergebnisse: Die Schweizer Schulbildung ist unzulänglich, sie muss verbessert werden. Bei der Fremdsprachenvermittlung bestand der Plan folglich darin, die fälschlicherweise behauptete Unzulänglichkeit durch einen Paradigmenwechsel, dem sog. Sprachbad, zu beheben: Verbringt man genug Zeit im Fremdsprachengebiet, lernt sich die Sprache auch ohne Wortschatzaufbau und Grammatik. Es braucht nur eine permanente Berieselung mit der zu lernenden Fremdsprache. Der Umkehrschluss: Werden Wortschatz und Grammatik ignoriert, lernt sich die Fremdsprache mittels Sprachbad von selbst. Der Irrtum: Mit 3 Lektionen pro Woche lässt sich kein Sprachbad realisieren. Folge: Passepartout bietet weder Wortschatz und Grammatik noch Sprachbad, weshalb die Lernenden nach Jahren des Fremdsprachenunterrichts kaum etwas auf die Reihe bekommen.

Passepartout bietet weder Wortschatz und Grammatik noch Sprachbad, weshalb die Lernenden nach Jahren des Fremdsprachenunterrichts kaum etwas auf die Reihe bekommen.

Phase 2: Do = Umsetzen

Festlegung der Massnahmen zur Erreichung der Zielvorgabe

Da der Plan auf einer Fehlinterpretation basiert, griffen die Passepartout-Ideologen als Massnahme zu einer List, indem sie den zuvor bewährten Fremdsprachenunterricht als rückständig diffamierten. Es wurde behauptet, die Lehrkräfte legten keinen Wert auf mündliche Kommunikation oder Handlungsorientierung, ihr Fokus liege einzig auf Grammatik und “Wörter büffeln”. Die Passepartout-Ideologen konstruierten also einen in Wirklichkeit inexistenten Missstand zur Rechtfertigung ihres angestrebten Paradigmenwechsels. Da es sich um einen von langer Hand geplanten Coup seitens der damaligen kantonalen Bildungsdirektoren handelt, waren die weiteren Massnahmen bereits zuvor festgelegt: die Kompetenz-ideologischen Lehrwerke, Mille Feuilles, Clin d’oeil und New World sowie die “Weiterbildung”, in welcher die Lehrkräfte überzeugt werden sollten. Hinzukam die schönfärberische Bezeichnung „Passepartout“ zur medialen Propagierung des Produkts.

Phase 3: Check = Überprüfen

Sammlung von Erfahrungen beim Umsetzen der Massnahmen, Reflexion der Ergebnisse

Christoph Eymann, ehem. Bildungsdirektor der Stadt Basel, blendete alle Fakten aus und diffamierte die Sprachwissenschaftlerin Frau Dr. Simone Pfenninger, weil ihre Forschungsresultate nicht in sein Weltbild passten.

Eine Reflexion fand kaum statt und Erfahrungen wurden abgewehrt. So ignorierte man grösstenteils die vielen fast ausschliesslich negativen Bottom-up-Rückmeldungen aus der Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft. Die für das Qualitätsmanagement typischen Audits – Anhörungen von Direktbeteiligten – fehlten gänzlich. Aber auch wissenschaftliche Befunde wurden verdrängt, teilweise gar diskreditiert. So verunglimpfte Christoph Eymann, damaliger Basler Erziehungsdirektor, die Studie zum Nutzen von Frühenglisch von Simone Pfenninger als „qualitativ ungenügend“ (BAZ, 8.1.18). Aber auch Susanne Zbindens Untersuchung, welche die Unterlegenheit der Passepartout-Französischlehrmittel gegenüber „Bonne Chance“ nachwies, sowie die Evaluation des Instituts für Mehrsprachigkeit in Fribourg (IfM) wurden ignoriert.

Man ignorierte grösstenteils die vielen fast ausschliesslich negativen Bottom-up-Rückmeldungen aus der Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft.

Phase 4: Act = Handeln

Evaluation der in Phase 3 gesammelten Erfahrungen und Ableitung des künftigen Vorgehens

Dem zunehmenden Druck nachgebend, unternahmen die Verantwortlichen in dieser Phase einen zögerlichen Schritt, aber den falschen und zu spät. So wurden die Lehrmittel zwar ergänzt mit Wortschatzlisten, Grammatikübersichten und Übungsmaterial, doch wurden diese nicht in die Kursbücher integriert, da dies die “reine Lehre” verfälscht hätte. In der Folge werden vielerorts, wenn überhaupt, lediglich die Zusatzmaterialien verwendet, während die Kursbücher in die Schulschränke und von dort unbenutzt in die Tonne wandern. Die Frustration unter den Lernenden ist zu diesem Zeitpunkt bereits unverantwortlich gross.

Die Kursbücher wandern unbenützt in die Tonne.

Fazit: Lähmung der schulischen Fremdsprachenvermittlung

Passepartout als offenbar nicht zu hinterfragendes Diktat der damaligen Erziehungsdirektoren hat sich als Lähmung der schulischen Fremdsprachenvermittlung herausgestellt. Anstelle von Pilotprojekten erfolgte die flächendeckende Einführung. Eine kritische Hinterfragung seitens der Verantwortlichen fand nie statt. Die Akzeptanz gegenüber vorliegenden negativen Befunden war kaum je vorhanden, da nicht sein kann, was nicht sein darf. 120’000 Lernende wurden bisher als Versuchsobjekte missbraucht. Die Angst vor Gesichtsverlust seitens der heutigen Bildungsdirektionen wiegt schwerer als die Bildungschancen der Schülerschaft. Mit Passepartout steht ebenso die zugrundeliegende Kompetenz-Ideologie und somit der Lehrplan21 zur Debatte.

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