Feedback - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 04 Mar 2024 05:31:13 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Feedback - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Von der Not der Noten – und ihrem Wert https://condorcet.ch/2024/03/von-der-not-der-noten-und-ihrem-wert-2/ https://condorcet.ch/2024/03/von-der-not-der-noten-und-ihrem-wert-2/#respond Mon, 04 Mar 2024 05:31:13 +0000 https://condorcet.ch/?p=16068

Ein alter pädagogischer Schauplatz öffnet sich neu – der Disput um die Noten. Wer sie abschaffen will, verkennt den Wert der Noten. Das System dient Schülerinnen, Lehrern und Eltern als unkomplizierte Orientierung. Entscheidend bleibt dabei das lernförderliche Feedback. Gedanken zu einer kontroversen Thematik von Condorcet-Autor Carl Bossard.

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Die “Abschaffung der Noten” kommt als professionelle Forderung daher

Den Ziffernoten geht es an den Kragen. Sie sind umstritten, vielfach gar denunziert. Wie schon so oft, seit es sie gibt. Und dennoch haben sie bis heute Bestand. Einen Frontalangriff auf die Noten startete vor Kurzem der Präsident des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, Thomas Minder.[i] Er leitet die Dachorganisation von 20 Kantonalverbänden der deutschsprachigen Schweiz, welche rund 2300 Schulverantwortliche zählt. Minder will die Noten eliminieren. Schülerinnen und Schüler sollten sich am Ende der Primarschule selbst selektionieren. Ziffern seien hier fehl am Platz. Sie gehören darum abgeschafft, postuliert der oberste Schweizer Schulleiter – für viele wohl mit etwas gar naivem reformpädagogischem Eifer. Zudem erstaunt es, dass die Abschaffung der Noten als professionelle Forderung daherkommt und so tut, als gäbe es keine Politik und keine öffentliche Meinung.[ii] Die Bevölkerung will mehrheitlich keine “notenfreien Schulen” – das ergibt sich aus Umfragen von Elterngremien und aus den Resultaten kantonaler Abstimmungen.[iii]

Condorcet-Autor Carl Bossard

Gleichzeitig wissen wir um das Konträre: Noten seien unverzichtbar, ja “unabdingbar, um Fairness und Vergleichbarkeit zu garantieren”, schreibt beispielsweise die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Prof. Susanne Lin-Klitzing, Erziehungswissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg.[iv] Ein kontroverses Patt! Oder auf gut Deutsch: Die einen sagen so, die andern anders.

Der Züricher Kantonsrat als Abbild der Diskursfronten

Genau dieses argumentativ widersprüchliche Bild zeigte sich letztes Jahr im Zürcher Kantonsrat. Zur Debatte stand eine parlamentarische Initiative zur Notenpflicht in der Volksschule. Eingebracht hat sie die freisinnige Kantons- und Stadträtin Astrid Furrer aus Wädenswil. Die Initiantin wollte das Volksschulgesetz ändern. Das Ziel: Die Beurteilung der Leistung im Semesterzeugnis muss zwingend durch Noten erfolgen. Alternative Benotungssysteme wie Smileys und Krönchen oder Farbbalken à la Stadtschule Luzern[v] sind nur in der ersten Klasse und bei sonderpädagogischen Massnahmen erlaubt. Schulnoten dürften nicht dem pädagogischen Zeitgeist zum Opfer fallen, so die Angst und Absicht der parlamentarischen Mehrheit; sie müssten darum im Gesetz verankert sein.

Das kam einem Misstrauensvotum gegenüber der Zürcher Bildungsdirektion und dem Bildungsrat gleich. Ende Juni 2022 stimmte der Kantonsrat mit 101 Ja zu 62 Nein der Gesetzesänderung deutlich zu – nach langer und hitziger Debatte.[vi] Die bürgerlichen Parteien, die Grünliberalen und die Mitte sprachen sich für die Vorlage aus, Links-Grün und die EVP votierten geschlossen dagegen.[vii]

Die Skepsis gegenüber den Noten und ihr ramponierter Ruf

Die Debatte “Kein Verzicht auf Schulnoten” brachte all das zutage, was wir aus dem Diskurs um die Ziffernote längst kennen: Warum sie einerseits umstritten ist, und aus welchen Gründen sie anderseits für die Lernleistungs-Bewertung in Schulen bis heute offenbar als unverzichtbar gilt.[viii] Die Note sei, so ein Teil der Voten, unpräzise oder eben scheingenau und gleichzeitig informationsarm. Dazu sei ihr Zustandekommen nicht selten intransparent, manchmal gar willkürlich.[ix] Noten trügen kaum zur Bildungsgerechtigkeit bei und bezögen sich nicht auf den individuellen Lernfortschritt, sondern einzig auf den Klassendurchschnitt.[x] Diese sogenannten “Referenzgruppeneffekte” verfälschten die Noten, denn jede Klasse sei unterschiedlich leistungsstark.[xi] Zudem widersprächen sie dem Ideal des intrinsischen oder selbstgesteuerten Lernens mit dem Schwergewicht auf dem eigenen Lernweg.

“Misstraut allen Noten!”, liess darum der Erziehungswissenschaftler Hans Brügelmann, Universität Siegen, die ZEIT-Leserschaft apodiktisch wissen.[xii] Anstrengungen, die nur um des Prädikats willen getätigt würden, seien pädagogisch von geringem Wert. “Motivieren ohne Noten” nennt sich dieses suggestive Stichwort der Schulkritik von 1990.[xiii] Die These: Schülerinnen und Schüler lernten besser, wenn sie nicht durch Noten angeleitet würden.[xiv] Vergessen geht bei diesem Einwand, dass Lernende nicht primär durch einen isolierten Kommentar oder eine Note motiviert werden, sondern durch inspirierende Lehrerinnen und leidenschaftliche Pädagogen.

Schülerinnen und Schüler wollen wissen, wo sie stehen

Aller Kritik zum Trotz: Warum gibt es sie denn immer noch, diese Noten? Sie sind ja nichts anderes als ein verkürztes Feedback darüber, was zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Lerngruppe gekonnt, gewusst, verstanden wird. Die Ziffernote als Kürzel basiert auf dem vergleichenden Leistungsurteil durch eine Lehrperson. Nicht mehr, nicht weniger. Was also macht ihren Wert aus?

Anders als verbale Beurteilungen erlauben Noten keine rhetorischen Beschönigungen.

 

Kurz gesagt: Noten sind eine bewährte Form von Feedback und für die Kommunikation der Schulen nach aussen – Arbeitgeber, Eltern et al. – ohne ebenbürtigen Ersatz, ist Jürgen Oelkers, Erziehungswissenschaftler und emeritierter Professor der Universität Zürich, überzeugt. Alle anderen Formen hätten nicht annähernd den gleichen Grad leichter Verständlichkeit. Anders als verbale Beurteilungen erlauben Noten keine rhetorischen Beschönigungen. Ziffern führen kaum zu Wortklaubereien. Worte können verletzen; Zahlen sind neutraler. Zudem gilt: Schülerinnen und Schüler «vergleichen sich immer, egal ob sie Noten bekommen oder Berichtszeugnisse», sagt Ulrich Trautwein, Bildungsforscher an der Universität Tübingen.[xv] Sie wollen wissen, wo sie in der Klasse stehen, wo ihre Fähigkeiten liegen und ob sie sich verbessert haben. Noten ermöglichen auf einfache Art, Schüler-Lernleistungen in Relation zu Standards zu setzen und schulisches Können zu vergleichen – als Grundlage für ein lernförderliches Feedback. Ein Verzicht auf Vergleiche greift das Leistungsprinzip der Schule an.

Schule und Unterricht im dialektischen Spannungsfeld

Lehrerinnen und Lehrer stehen bei ihrer Arbeit im vielfachen Dilemma. Unterrichten ist eingebettet in dialektische Prozesse. Sie lassen sich nicht auflösen, sie lassen sich nur aushalten und konstruktiv handhaben. Auch bei den Noten. Die Ambiguitäten resultieren aus den widersprüchlichen Spannungsfeldern zwischen dem pädagogischen und dem soziologisch-gesellschaftlichen Auftrag der Schule, zwischen dem individuellen und sozialen Fördern, orientiert am Pädagogischen, sowie dem Leistungsprinzip, zentriert auf inhaltliche und kompetenzorientierte Bildungsziele. Die Schule kann gar nicht anders, als diese Widersprüche zu akzeptieren, wenn sie glaubwürdig bleiben will. Personifiziert ausgedrückt: Schule verkörpert den Antagonismus zwischen Wilhelm von Humboldt und Helmut Schelsky. Es ist ein Konflikt zwischen dem Bilden als Selbstbildung, dem Ausbilden als Qualifikation und dem Integrieren als Sozialisation einerseits sowie dem Selektionieren anderseits.[xvi] Das macht manchen Lehrpersonen zu schaffen, auch am Gymnasium. Korrigieren, bewerten und Noten setzen – und damit auch begabungsgerecht selektionieren, das kann nicht an Maschinen, nicht an digitale Test- und Bewertungswerkzeuge delegiert werden.[xvii] Es ist eine delikate, nicht selten mühsame Aufgabe. Für viele bedeutet sie eine Art Sacrificium Intellectus.

Nicht alle Jugendlichen können zu allen Ausbildungen und Berufen gelangen. Entschieden wird nach Lernleistung. Das gilt im Besonderen für den Übertritt ans Gymnasium.

 

Lern- und Denkleistungen beurteilen und sie gerecht bewerten ist ein verantwortungsvoller Vorgang. Er gehört konstitutiv zum Berufsauftrag. Nicht alle Jugendlichen können zu allen Ausbildungen und Berufen gelangen. Entschieden wird nach Lernleistung. Das gilt im Besonderen für den Übertritt ans Gymnasium. Zu bilden sind hier möglichst leistungshomogene Klassen. Sie erleichtern gutes Lernen.[xviii] Das Ersetzen von Noten durch Buchstaben oder Ampelfarben, durch Wörter oder Kreuzchen wäre lediglich pädagogische Kosmetik und änderte daran nichts.[xix] Der Auftrag bleibt: den Jugendlichen nach ihren Fähigkeiten und Interessen neue Wege aufzeigen. Zu evaluieren und zu bewerten sind die Lernleistungen. Sie sind der einzig sozialneutrale und damit auch demokratiegemässe Massstab. Wo aber kann nach Lernleistungen gemessen werden? An der Schule, nur an der Schule.

Hohe Grundansprüche an die Beurteilung

Noten aber sind ein komplexes Instrument und reflektiert zu vergeben. Sie hängen mit Prüfungen zusammen. Sie sollten so verlässlich wie möglich sein. Lehrkräfte müssen darum versuchen, allfällige Fehlerquellen auszuschliessen.[xx] Darum basieren gute Prüfungen, so hat man es uns in der Ausbildung gelehrt, auf vier Grundansprüchen:

. Validität: Was gemessen wird, entspricht dem, was man messen will. Und das Geprüfte ist eine bedeutsame und anerkannte Kompetenz.

. Objektivität: Die Beurteilung erfolgt nicht willkürlich; andere Bewertende kämen zur selben Ansicht. Und vor allem eines: Das Urteil muss frei von Vorurteilen gegenüber der geprüften Person sein.

. Reliabilität: Die Prüfung ist keine flüchtige Momentaufnahme. Darum müssten die Lernenden beim Wiederholen des Tests zu den approximativ gleichen Resultaten kommen.[xxi]

. Vergleichbarkeit: Geprüfte Schülerinnen und Schüler sollten in ihrer Lernleistung mit anderen verglichen werden können. Die Note 5 müsste in allen parallelen Klassen möglichst dasselbe bedeuten.

Noten sind nicht das Problem, Noten sind eine Hilfe

Wer den Prüfungen diesen Massstab zugrunde legt, schafft Klarheit und Erwartungssicherheit. Schülerinnen und Schüler wissen, dass es ums Bewerten ihrer Lernleistung geht, ihres Könnens und Verstehens – und nicht der Persönlichkeit. Sie akzeptieren die Note. In einem wertschätzenden Umfeld, in einer positiven und ermutigenden Atmosphäre sind Noten darum nicht das Problem, sondern eine Hilfe; sie generiert Transparenz und Sicherheit.

Das zeigt die Forschung, das legt die eigene Erfahrung nahe. Ein einziges Beispiel illustriert es: Ein Fünftklass-Gymnasiast hat in Chemie eine 4.5, sein Freund erreicht lediglich eine 3.5. Er will sich verbessern und gleichzeitig seinem Freund helfen. Der Chemielehrer gibt Feedback und zeigt ihm Wege, wie er das Lernen steuern kann.[xxii] Der Schüler vertieft sich in die Materie. Beim Lernen auf die Prüfung erklärt er seinem Freund den verlangten Inhalt. Im nächsten Zeugnis hat er eine 5, sein Freund eine 4. Diese Note habe ihm Klarheit verschafft, den Lernfortschritt signalisiert und ihn gleichzeitig motiviert, liess er mich als Klassenlehrer beim Überreichen der Zeugnisse wissen. Lernen lohne sich, fügte er verschmitzt bei. Dass (auch notenmässig belegte) Lernfortschritte das positive Selbstkonzept fördern, zeigte sich im Maturazeugnis. Er erreichte, notabene bei einem gestrengen Chemielehrer, eine blanke Sechs – und studierte dann an der ETH Zürich.

Feedback mit hohem Wirkwert

Noch etwas zeigt das Beispiel: Entscheidend ist das lernfördernde Feedback – im Sinne der Artikulation der Differenz zwischen Sein und Sollen, und dies in dreifacher Hinsicht: bezogen auf die Sache, auf den Prozess und auf die Selbstregulation. In der Metapher des OL-Sports gesprochen: Wo sind wir? Wohin wollen wir? Und wie kommen wir dorthin; welchen Weg wählen wir? Das müssten wir institutionalisieren und praktizieren. Und das müsste in der Schule intensiv und konkret erfolgen und vor allem in der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule aufgezeigt und eingeübt werden. Die Einschätzung des Leistungsniveaus durch die Lehrperson hat nach John Hattie den höchsten Wirkwert aller Einflussgrössen aufs Lernen.[xxiii]

Die Abkehr vom klassischen Notenmodell bringt den Kindern und Jugendlichen keinen Mehrwert, den Lehrpersonen aber mehr Arbeit.

 

Für diese Feedbacks müssten die Lehrerinnen und Lehrer wieder mehr Zeit und Freiraum haben. Sie geben den Noten ihren Gehalt und Wert. Das Feedback gehört zu den effektivsten Instrumenten, die den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern steigern. Es muss an den Inhalt gebunden und sprachlich präzis formuliert sein und in einer fehlerfreundlichen Lernatmosphäre erfolgen. Darauf müsste sich eine gute Schule konzentrieren. Die Abkehr vom klassischen Notenmodell bringt den Kindern und Jugendlichen keinen Mehrwert, den Lehrpersonen aber mehr Arbeit. Es ist ein unnötiges Drehen an einer (Neben-)Stellschraube – ohne den Blick auf das systemische Ganze mit den anspruchsvollen Lehr- und Lernprozessen zu richten. Auf dieses Kernanliegen hat sich das System wieder zu konzentrieren.

 

Zur Person

Carl Bossard, Dr. phil, dipl. Gymnasiallehrer, ist Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug. Davor war er als Rektor der Kantonalen Mittelschule Nidwalden und Direktor der Kantonsschule Luzern tätig. Er hat immer auch unterrichtet – und Lernleistungen bewertet. Heute begleitet er Schulen und leitet Weiterbildungskurse. Er beschäftigt sich mit schulgeschichtlichen und bildungspolitischen Fragen. www.carlbossard.ch

 

[i] Thomas Minder (2023), Schluss mit der Selektion, in: Fritz+Fränzi. Das Schweizer Elternmagazin, 31.08.2023: https://www.fritzundfraenzi.ch/gesellschaft/schluss-mit-der-selektion/ [abgerufen: 10.10.23]

[ii] Livesendung Forum von SRF 1: https://www.srf.ch/audio/forum/sind-schulnoten-noch-zeitgemaess?id=12449418

[iii] Verschiedene Kantone kehrten per Volksabstimmung wieder zum Notenobligatorium in der Primarschule zurück, so der Kanton Genf oder der Kanton Appenzell Ausserrhoden. Zu Noten kehrten auch Schulgemeinden zurück – mit der Begründung, manchen Kindern fehle sonst der Lernleistungswille.

[iv] Kathrin Müller-Lancé, Sind Noten noch zeitgemäss?, in: Süddeutsche Zeitung, 29.09.2023, S. 6.

[v] An den Stadtschulen Luzern steht nun statt der Note 4 ein «teilweise erreicht» – dazu ein Kreuz im Balken zwischen Gelb und Orange, in: https://www.zentralplus.ch/beruf-bildung/warum-selbst-luzerner-schueler-noten-bevorzugen-2577229/ [abgerufen: 10.10.23]

[vi] https://parlzhcdws.cmicloud.ch/parlzh5/cdws/Files/d389c7032ab94daba70e5487bcec3552-332/5/pdf

[abgerufen: 10.10.23]

[vii] Daniel Schneebeli, Jetzt kommt die Notenpflicht ins Gesetz, in: TagesAnzeiger, 05.07.2022, S. 17.

[viii] Vgl. Protokoll der beiden Debatten im Kantonsrat vom 24.02.2020 und vom 03.05.2022: KR-Nr. 69/2020. Msc. unpubl.

[ix] Urteile der Lehrpersonen mit Blick auf ihre Klasse sind recht verlässlich; darauf verweist Jürgen Oelkers. Er stützt sich dabei u.a. auf Franz E. Weinert (2001) (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim/Basel: Beltz-Verlag.

[x] Vgl. Wilfried Kronig (2007), Die systematische Zufälligkeit des Bildungserfolgs. Theoretische Erklärungen und empirische Untersuchungen zur Lernentwicklung und zur Leistungsbeurteilung in unterschiedlichen Schulklassen. Bern und Stuttgart: Haupt Verlag, S. 171ff.

[xi] Karlheinz Ingenkamp (1995), Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung. Texte und Untersuchungsberichte. 9. Aufl. Weinheim: Beltz Verlag, S. 194ff.

[xii] Hans Brügelmann (2006), Misstraut allen Noten!, in: DIE ZEIT, 13.07.2006, S. 52; vgl. Lisa Kunze (2022), Dialogbasierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios. Theoretische Grundlagen, praktische Umsetzungsmöglichkeiten und empirische Befunde. Münster: Waxmann Verlag.

[xiii] Richard Olechowski/Karin Rieder (1990) (Hrsg.), Motivieren ohne Noten. Schule, Wissenschaft und Politik. Bd. 3. Wien [u.a.]: Verlag Jugend und Volk; vgl. Jürgen Oelkers, Warum Noten in der Schule? Msc. unpubl. Zürich: IfE, S. 2.

[xiv] Jürgen Oelkers, Beurteilen und Fördern – Notwendige Noten? Schulinfo Zug. 06.05.2019, S.2/6.

[xv] Ulrich Trautwein, «Sie wollen immer wissen, wo sie stehen», in: DIE ZEIT, 31.08.2023, S. 33.

[xvi] Gegen diesen Selektionsauftrag wehrt sich Thomas Minder, Präsident der Schweizer Schulleiter.

[xvii] Nils B. Schulz (2023), Kritik und Verantwortung. Irrwege der Digitalisierung und Perspektiven einer lebendigen Pädagogik. München. Claudius Verlag, S. 121.

[xviii] Wie wichtig lernleistungshomogene Klassen für gutes Lernen sind, zeigen Studien auf, u.a. von Prof. Wolfgang Schneider, Universität Würzburg, und aus den USA; vgl. Kari Kälin, Unter gleich Guten lernt es sich besser, in: Luzerner Zeitung, 23.03.2013, S. 12 (Hintergrund).

[xix] Winfried Kronig, Schulnoten – Glasperlenspiel des Bildungssystems, in: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik (2010) 9, S. 6-7.

[xx] Kathrin Müller-Lancé, a.a.O., S. 6.

[xxii] Gemäss Hattie ist dies ein Feedback zur Selbstregulation; es hat einen hohen Effektwert (d = 0.86).

[xxiii] Klaus Zierer (2023). Hattie für gestresste Lehrer 2.0. Kernbotschaften aus „Visible Learning“ mit über 2.100 Meta-Analysen. 4. erweiterte und aktualisierte Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S.137, 172; Hatties Wirkwert hat eine Effektgrösse von d = 1.46.

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Wenn «Super!» nicht so super wirkt https://condorcet.ch/2021/11/wenn-super-nicht-so-super-wirkt/ https://condorcet.ch/2021/11/wenn-super-nicht-so-super-wirkt/#respond Sun, 21 Nov 2021 20:09:43 +0000 https://condorcet.ch/?p=9859

«Super gemacht!» gehört zu den meistgehörten Zurufen. Er soll motivieren, heisst es. Doch was bewirkt dieses Wort, und was macht Feedback aus? Ein kritischer Blick auf (vor-)schnelle Lobeshymnen von Condorcet-Autor Carl Bossard.

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Carl Bossard: Die Effekte dieses pauschalen Lobs auf die Lernleistung sind gering.

«Vieles geschieht, weniges aber wirkt», gibt der Philosoph Martin Heidegger zu bedenken. Was aber wirkt denn? Und worin liegt das wenige? Diese Fragen stellen sich auch für die Schule. Was wirkt im Unterricht, in dem so manches geschieht? Und heute, wie Erfahrungsberichte zeigen, überfordernd vieles.

Feedback als Top-Ten-Wirkfaktor

Von einem Effektfaktor wissen wir es besonders genau: Feedback zählt zu bestuntersuchten Methoden und erzielt eine der stärksten Wirkkräfte auf die Lernleistung von Schülerinnen und Schülern. Im Alltag der Lehr-Lern-Prozesse rangiert Feedback unter den «Top Ten» der Steuerungsinstrumente, diagnostiziert der neuseeländische Bildungswissenschafter John Hattie.[1] Er beruft sich dabei auf über 1’400 Einzelstudien und auf mehr als 30 Metaanalysen.[2] Feedback müsse aber eingebettet sein in eine positive Fehlerkultur, betont er und fügt bei: Effektives Feedback sei nur in einem angstfreien Klima möglich.

Wie wirksam Feedback fürs Leben sein kann, hat der (Dichter-)Lehrer Peter Bichsel

Peter Bichsel, Schriftsteller: Habe meinen Lehrer geliebt.

erfahren. Er erzählt: «Ich hatte in der 5. und 6. Klasse in Olten einen wunderbaren Primarlehrer: Er hat mich von mir selber überzeugt, mich zum Schriftsteller gemacht. Weil er unter dem ganzen Schlamassel von Rechtschreibefehlern entdeckt hat, dass ich gute Aufsätze schreibe. […] Ich habe ihn geliebt.»[3] Ein Lehrerfeedback, das wegweisend war und zeigt, wie bedeutsam es in einer Biographie sein kann.

Effektives Feedback kennt drei Perspektiven

Allerdings gibt es beim Wirkeffekt des Feedbacks enorme Unterschiede. Auch das belegen die Studien. Lerndende orientieren sich eher nach vorne, denken zukunftsorientiert; sie wollen wissen: «Was gibt es als Nächstes? Wie komme ich dorthin? Und wie kann ich allenfalls die Lücke schliessen?» Hattie spricht vom «Feed Forward». Es basiert auf dem Ist-Stand und erläutert den anvisierten Könnensstand. Lehrerinnen und Lehrer hingegen zeigen vielfach das Fehlende auf, was den Blick zurück erfordert: das «Feed Back». Sie verweisen auf die korrigierten Fehler und damit auf Defizite. Vergessen geht nicht selten das dritte Element, das «Feed Up». Es vergleicht den Ist-Stand mit dem angestrebten Zielzustand und benennt die so wichtige Differenz zwischen Sein und Sollen.

Das sind drei unterschiedliche Perspektiven. Sie zu verbinden, darin liegt das Geheimnis eines wirkungsvollen Feedbacks. Die Aspekte bauen aufeinander auf und ergeben miteinander ein umfassendes Bild.[4] Es sind die drei schlichten Fragen: Was ist (gewesen)? Was soll sein? Und wie gelange ich dorthin? Eine Art Drei-Punkte-Schema von hohem Effektwert.

Pauschales Lob ist oft kontraproduktiv.

Vorsicht mit pauschalem Lob

Wo ist nun das landläufige «Das hast du gut gemacht! » oder «Bravo, das war super!» anzusiedeln? Ein solches Feedback spielt auf der persönlichkeitsbezogenen Ebene des Selbst. Darunter lassen sich alle Rückkoppelungen zusammenfassen, die auf die Person des Feedbackempfängers fokussieren, beispielsweise: «Das hast du mit Bravour gemeistert!» Die Effekte dieses pauschalen Lobs auf die Lernleistung sind allerdings gering; solche Feedbacks enthalten keine inhaltlichen Informationen zum Lernprozess und dürfen nicht mit einem wirklich lernförderlichen Feedback verwechselt werden. Es sind oft leere Rituale und nicht viel mehr als flinke Floskeln. Ihr Wirkwert fürs Lernen ist beschränkt, nicht selten gar kontraproduktiv. Vorschnelle Lobenshymnen können von Anstrengung abhalten, sagt die Forschung.[5]

In Bezug auf die Lehrperson-Studierenden-Beziehung kann Lob aber durchaus positiv wirken. Allerdings gibt es weitaus wirksamere Wege, eine Atmosphäre des Vertrauens und Zutrauens zu schaffen. Feedbacks, die auf das Selbst wirken, sind darum wohldosiert einzusetzen. Darüber herrscht in der Forschung Konsens.

Wie habe ich gearbeitet? Wo ist die Konsistenz gegeben, wo nicht? Und wo war ich allenfalls schludrig? Mit vermeidbaren Fehlern? Und wie muss ich vorgehen, um die Aufgabe zu verstehen und sie adäquat zu bewältigen?

Feedback zählt zu bestuntersuchten Methoden.

Feedback operiert auf vier Stufen

Neben der persönlichkeitsbezogenen Ebene des Selbst gibt es drei weitere Feedback-Stufen. Es sind die leistungsbezogenen Ebenen von Rückkoppelung: Da ist einerseits die konkrete Aufgabe als solche, das Produkt der Leistung: Gemeint ist die Stufe des Was. Was kann und weiss ich als Lernender und was (noch) nicht? Was habe ich erreicht, und wie gut habe ich die Aufgabe erledigt? – oder eben nicht? Dann gibt es anderseits den Bereich des (Lern-)Prozesses, die Ebene des Wie. Wie habe ich gearbeitet? Wo ist die Konsistenz gegeben, wo nicht? Und wo war ich allenfalls schludrig? Mit vermeidbaren Fehlern? Und wie muss ich vorgehen, um die Aufgabe zu verstehen und sie adäquat zu bewältigen?

Und da ist drittens die Art, wie ich als Lernender die Aufgabe und den Prozess meiner Leistung steure: die Selbstregulation. Welche Strategien muss ich als Lernender anwenden, um Fortschritte zu erzielen und zum Ziel zu kommen? Empirische Analysen zeigen, dass sich Schülerinnen und Schüler vor allem auf dieser Ebene Rückmeldungen erhoffen, sie aber relativ wenig erhalten.

Die Qualität der Lernergebnisse korreliert mit der Qualität des Feedbacks.

Schülerinnen und Schüler – und wohl auch Erwachsene – brauchen Impulse und Resonanz, Echo und Rückkoppelung.

Feedback begleitet jeden erfolgreichen Lernprozess

Und noch etwas zeigt die Forschung: Die Qualität der Lernergebnisse korreliert mit der Qualität des Feedbacks. Bei den Mikroprozessen des Lernens liegt im Feedback darum ein wichtiger und nicht immer sorgsam genug beachteter Wirkwert. Schülerinnen und Schüler – und wohl auch Erwachsene – brauchen Impulse und Resonanz, Echo und Rückkoppelung. Auch das weiss man aus der empirischen Unterrichtsforschung.

Dabei sind die Ebenen zu unterscheiden. Gebe ich als Lehrerin, als Ausbildner ein Lob auf der persönlichen Ebene des Selbst oder ein korrektives Feedback auf der leistungsbezogenen Aufgabenebene mit der Frage: Ist das Lernergebnis richtig oder falsch? Oder formuliere ich ein elaboratives Feedback auf der Ebene des Prozesses und der Selbstregulation? Analysiere ich damit aufgrund kontinuierlich begleitender Lernprozessdiagnostik individuelle Schwierigkeiten, Denkfehler und Probleme beim Lernen?

Der Idealfall bleibt als Aufgabe

Feedback ist mehr als einfach nur oberflächliches Lob; Feedback ist für jede Lehrerin, jeden Lehrer ein anspruchsvoller und höchst anstrengender Auftrag – und für wirksame Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler konstitutiv. Der Idealfall ist vermutlich nie Realität, aber er bleibt als Aufgabe. Weil Feedback im Vielen des Unterrichts besonders wirkt!

 

[1] Marie-Christine Vierbuchen & Frederike Bartels (Hrsg.) (2019), Feedback in der Unterrichtspraxis. Schülerinnen und Schüler beim Lernen wirksam unterstützten. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH, S. 11, 19.

[2] John Hattie & Klaus Zierer (2018), VISIBLE LEARNING. Auf den Punkt gebracht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 87.

[3] In: DIE ZEIT, 24.06.2021, S. 17.

[4] John Hattie & Klaus Zierer (2016), Gib und fordere Rückmeldung! In: PÄDAGOGIK; Heft 11, Weinheim: Beltz-Juventa, S. 45.

[5] John Hattie & Gregory C.R. Yates (2015), Lernen sichtbar machen aus psychologischer Perspektive. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning and the Science of How We Learn“, besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, v.a. S. 67.

 

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„Rückkoppelungen sind unsere Freunde!“ https://condorcet.ch/2021/03/rueckkoppelungen-sind-unsere-freunde/ https://condorcet.ch/2021/03/rueckkoppelungen-sind-unsere-freunde/#comments Sun, 14 Mar 2021 15:33:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=8044

Feedback hat einen starken Effekt, sagt die Unterrichtsforschung. Allerdings nicht das land-läufige „Du bist okay!“ oder „Das hast du gut gemacht!“ Was aber zeichnet lernwirksames Feed-back aus? Dieser Frage geht Condorcet-Autor Carl Bossard nach.

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Carl Bossard: Zielgerichtet und unnachgiebig

„Auf der Basis menschlichen Wohlwollens unerbittlich in der Sache!“ Das verlangte ein gestrenger Praxislehrer von uns jungen Lehramtskandidaten. Gehörtes und Gesehenes einer Lektion mussten wir kritisch beurteilen und minuziöses Feedback geben. Dies anhand klarer, kurzer Kriterien. Genau beobachten, präzise analysieren, stringent formulieren und dabei kein Wort zu viel verlieren, das forderte er, der geschulte Generalstabsoffizier, von uns ein. „Wer alles sagt, sagt nichts“, meinte er lakonisch. Und immer zur Sache sprechen – zielgerichtet und unnachgiebig.

Erfolgreiches Feedback als Kreisprozess

Dieser Lehrerbildner war alles andere als ein martialischer 08/15-Typ. Im Gegenteil! Wir spürten: Feedbackgeben will gelernt sein. Er wollte uns darin weiterbringen – streng zwar, aber humorvoll und mit mitmenschlichem Fingerspitzengefühl. „Rückkoppelungen sind unsere Freunde!“, hiess seine Devise; dahinter versteckte sich sein kybernetisches Denken. Darum waren ihm fördernde Lehrerfeedbacks so wichtig. Sie steuerten und optimierten die Lernprozesse, liess er uns wissen.

Feedback ist nicht mit Noten zu verwechseln.

Zu diesem anspruchsvollen didaktischen Mittel gehörten in seinen Augen auch die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler. Für erfolgreiches Unterrichten bedingen sich Lehrer- und Schülerfeedback; beide standen für ihn in einem strukturellen Zusammenhang. Eines schärfte uns der Ausbildner beharrlich ein: Feedback ist nicht mit Noten zu verwechseln.

 Pauschales Lob als Feedback mit begrenzter Wirksamkeit

Konsequent unterschied der Praxisverantwortliche zwischen Hinweisen „ad personam“ und Rückmeldungen „ad rem“, zur Sache. Allergisch reagierte er auf undifferenzierte Zurufe wie „Gut gemacht! Ich könnt‘s nicht besser.“ oder „Bravo! Das war toll!“ In seinen Augen waren das nichts als sprachliche Plattitüden, inhaltlich wertlose Trivialitäten. Da hatte er wohl nicht ganz unrecht.

Aus der empirischen Unterrichtsforschung weiss man heute, dass pauschales Lob wie beispielsweise „Das hast du mit Bravour gelöst“ in seinem Wirkwert begrenzt bleibt.[1] Solche Rückmeldungen enthalten keine Informationen zum Lernprozess. Sie haben fast ausschliesslich mit Persönlichkeitsmerkmalen zu tun und bleiben auf der Ebene des Selbst. In Bezug auf die Lehrer-Schüler-Beziehung können sie durchaus positiv wirken. Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang weitaus wirksamere Wege, eine Atmosphäre des Vertrauens und Zutrauens zu schaffen. Feedbacks, die auf das Selbst zielen, sind reflektiert und dosiert einzusetzen. Weniger ist hier wohl mehr. Darüber herrscht in der Forschung Konsens.[2]

Feedbacks sollten immer präzis und sachbezogen sein.

Feedback braucht Bezug zur konkreten Handlung

Damit das Feedback die Schwelle des ritualisierten Nettseins überschreitet und wirksam wird, muss es an reale Inhalte gebunden und sprachlich präzis formuliert sein. Da war unser Praxiscoach hartnäckig. Schwadronieren im luftleeren Raum ohne Bezug zum konkreten Gegenstand war ihm ein Gräuel.

Das erinnert mich an meinen 5./6.-Klassenlehrer, diesen passionierten Theatermenschen. Zum guten Lesen wollte er uns führen und natürlich zum korrekten, kohärenten Schreiben. In zwei Jahren verfassten wir über 20 Aufsätze. Jeden Text hat er sauber korrigiert und mit jedem Einzelnen seiner 50 Schüler persönlich besprochen. Das bedeutete mehr als tausend Gespräche. Noch heute höre ich einige seiner Aufsatz-Feedbacks. „Karl, zwischen diesen beiden Abschnitten stimmt der Übergang nicht.“ – „Das Wichtige kommt in den Hauptsatz, nicht in den Nebensatz. Probiere nochmals! Und dann kommst du wieder!“

Die Diskrepanz zwischen Sein und Sollen minimieren

Der passionierte Primarlehrer gab uns lernbezogenes Feedback. Er hat die Fehler in den Lernzielen und im Lernprozess thematisiert, sie bilateral besprochen, dabei Wege gezeigt und uns zu neuen und verbesserten Versuchen aufgefordert. Rückkoppelung als Artikulation der Differenz zwischen Sein und Sollen, das praktizierte unser 5./6.-Klassenlehrer. Er wollte so die Diskrepanz zwischen unserem konkreten Können und dem intendierten Lernziel verringern – mit gezielter Hilfe.

Selbstreguliert funktioniert nicht

Aus der Unterrichtsforschung weiss man heute, wie wichtig möglichst konkretisierte Informationen sind. Schülerinnen und Schüler müssen ihr Lernen selbst steuern und regulieren können. Doch von selbst entsteht das nicht; selbstreguliert funktioniert nicht. Es braucht ein achtsames und aufmerksames Visavis, das gezielt und differenziert Feedbacks gibt. Rückkoppelungen sind vielleicht sogar der Schlüssel eines erfolgreichen Unterrichts. Sie gehören zu den effektivsten Instrumenten guten Lernens.

Feedback auf drei Ebenen

Doch was zeichnet wirksames Feedback sonst noch aus? Auch darauf verweist die Wissenschaft. Lernleistungsbezogene Rückmeldungen erfolgen auf verschiedenen Ebenen. Da ist einerseits der Bereich der Aufgabe. Er zeigt, was wir korrekt und was wir falsch gemacht haben. Das Feedback zielt hier auf die Qualität des aktuellen Produkts. Unser Lernen ist aber eingebettet in einen Prozess. Ebenso bedeutsam ist die Ebene des Verstehensprozesses: Wie können wir die Aufgabe bewältigen? Wie haben wir gearbeitet? Und als Drittes stellt sich die Frage: Wie gehen wir beim Lernen vor? Wie sind wir vorgegangen? Es ist die Ebene des regulatorischen Prozesses: Wie steuere und lenke ich Produkt und Prozess meiner Lernleistung?[3]

Erfolgreiches Feedback gibt auf allen drei Ebenen auch Antworten auf „Feed Up“, „Feed Back“ und „Feed Forward“.[4] Es sind Rückmeldungen zu den Fragen: Wohin gehe ich? Welches ist mein Lernziel? Und wie komme ich dabei voran? Daran stellt sich die Frage: Wohin geht es dann als Nächstes; welches ist das neue Ziel? Diese Fragen greifen ineinander über; sie wirken in der Regel zusammen. Und wenn diese Rückkoppelungen mit effektivem Unterricht kombiniert werden, tragen sie wesentlich zu einem verbesserten Lernen bei. Feedback ist einer der wirksamsten Einflussfaktoren auf den Lernprozess, sagt die empirische Unterrichtsforschung.

Gutes Feedback braucht ein fehlerfreundliches Klima

Bereits für unseren Praxiscoach war das Feedback etwas Grundlegendes. Vor manchen Jahren. Heute zählt es zu den am besten erforschten Methoden. Es muss aber eingebettet sein in eine positive Fehlerkultur. Wirksames Feedback sei nur in einem fehlerfreundlichen, angstfreien Klima möglich, dozierte unser strenger Praxislehrer. Die Forschung gibt ihm recht.

Von diesem Ausbildner habe ich wichtige Impulse empfangen – über seine glasklaren Rückkoppelungen. Sein Geheimnis: Er verknüpfte zielgerichtete Unerbittlichkeit mit mitmenschlichem Einfühlungsvermögen; er verband eine humanistische Grundverpflichtung mit unnachgiebigem Detailziehen. Noch heute bin ich ihm dankbar.

[1] John Hattie & Klaus Zierer (2018), VISIBLE LEARNING. Auf den Punkt gebracht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 88.

[2] John Hattie & Klaus Zierer (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. S. 138.

[3] John Hattie (2013), Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von “Visible Learning”, besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 210.

[4] Klaus Zierer, Vera Busse, Stephan Wernke, Lukas Otterspeer (2015), Feedback in der Schule – Forschungsergebnisse, in: Claus G. Buhren (Hg.), Handbuch Feedback in der Schule. Weinheim und Basel: Beltz, S. 44f.

 

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Bildung ist nicht gleich Ausbildung https://condorcet.ch/2020/10/bildung-ist-nicht-gleich-ausbildung/ https://condorcet.ch/2020/10/bildung-ist-nicht-gleich-ausbildung/#comments Wed, 21 Oct 2020 13:19:03 +0000 https://condorcet.ch/?p=6725

André Vanoncini, ehem. Dozent für franz. Literaturwissenschaft an der Universität Basel, übt massive Kritik an der Ausbildung, wie sie zurzeit an den PH's betrieben wird. Unter anderem wirft er ihnen vor, trotz sehr schlechter Rückmeldungen ein "business as usual" zu betreiben.

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André Vanoncini, ehem. Dozent an der Universiät Basel: Es bleibt alles beim Alten.

Der seit 30 Jahren andauernde Prozess der Globalisierung hat sämtliche Lebensbereiche erfasst und in seine Abhängigkeit gebracht. Jeder Mensch droht dabei ein Rädchen in einer weltumspannenden Profitmaschinerie zu werden. Betrieben wird diese Profitmaschinerie durch Spezialisten, beraten von Experten, gesteuert durch Manager und inspiriert von Hightech-Genies. Nun zeigen sich erstmals grössere Risse im Modell. Die Umweltproblematik und die Corona-Krise haben Verwerfungen bewirkt und die Individuen zur fundamentalen Hinterfragung ihrer gesellschaftlichen Aufgabe herausgefordert.

Natürlich sind der Schul- und der Studienbereich von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Bekanntlich wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Ausbildung höchste Priorität eingeräumt. Die Auszubildenden sollten durch entsprechend instruierte Ausbilder zu möglichst funktionstauglichen Leistungsträgern herangezogen werden. Die Entwicklung der Persönlichkeit und ihres kulturellen Verständnisses – also die Bildung – rückte dabei in den Hintergrund.

Unterrichtende  sind aus dieser Perspektive Ausführende einer expertenbasierten Lerntechnologie.

PH FHNW: Treiber einer verheerenden Entwicklung

Als mächtige Treiber dieser Veränderung haben sich (in paradoxer Verleugnung ihrer humanistischen Tradition) die Pädagogischen Hochschulen erwiesen. Sie verstehen sich längst nicht mehr als Bildungsinstitutionen für zukünftige Lehrpersonen, sondern als Steuerungsorgan des gesamten Erziehungsbereichs. Sie liefern die Konzepte für Schulaktivitäten auf allen Stufen. Beispiele sind der Lehrplan 21, die Mehrprachigkeitsdidaktik, die geleitete Schule, Unterrichtsvermessung, Lernateliers, Sammelfächer und darauf abgestimmte Studiengänge für zukünftige Lehrpersonen. Unterrichtende sind aus dieser Perspektive Ausführende einer expertenbasierten Lerntechnologie. Erziehungsdirektionen und ihre Verwaltungen sorgen für die Umsetzung der „wissenschaftlichen“ Vorgaben. Es ist diesbezüglich aufschlussreich, die Funktionsbeschreibungen von PH-Dozierenden anzuschauen. Die meisten erscheinen als Vertreter von technischen Spezialitäten oder als Betriebsmanager.

Es ist diesbezüglich aufschlussreich, die Funktionsbeschreibungen von PH-Dozierenden anzuschauen. Die meisten erscheinen als Vertreter von technischen Spezialitäten oder als Betriebsmanager.

Leider hat diese oft in vorauseilendem Gehorsam erfolgte Übernahme der oben erwähnten Globalisierungstendenzen zu keinen nennenswerten Erfolgen im Schulbereich geführt. Im Gegenteil: Passepartout, von Unterrichtstheoretikern entworfen und der Lehrerschaft aufgezwungen, hat sich inzwischen als millionenteurer Fehlschlag erwiesen und wird zurzeit in verschiedenen Kantonen diskret entsorgt. Kompetenzorientierung, selbstgesteuertes Lernen und Volldigitalisierung werden ihre Verheissungen ebenfalls nicht erfüllen können. Die grössten Leidtragenden solcher Exzesse sind leider die SchülerInnen.

Ausnahmslos schlechte Rückmeldungen

Nun kommt es auch vor, dass sich die Expertengemeinschaft dem von ihr entwickelten Instrumentarium selbst unterzieht und eine Selbstdurchleuchtung veranlasst. So hat die pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH/FHNW) im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte mehrmals auf verschiedenen Niveaus Zufriedenheitsumfragen bei ihren Studierenden durchgeführt. Die Resultate waren ausnahmslos schlecht. Anstatt Konsequenzen zu ziehen, die der von ihr selbst proklamierten Kundenfreundlichkeit entsprechen würden, begnügte sich die PH mit Optimierungsversprechen und beliess alles beim Alten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es geht einerseits um Betriebsblindheit und politische Zwänge, andererseits um Posten und Prestige.

Die erste Eigenschaft wird am besten durch Fachvertreter der Universität gewährleistet. Die zweite erfährt eine optimale Förderung durch erfahrene Lehrpersonen.

Miserable Feedbacks der Studierenden

Es wurde jedenfalls offensichtlich, dass eine Wende zum Besseren nicht durch innere Reformen der Institution gelingen kann. Sie ist nur über eine der heutigen Krise entspringende Neubewertung zu bewerkstelligen. Grundsätzlich ist dabei die Bildung wieder vor die Ausbildung zu stellen. SchülerInnen dürfen nicht  zum Humankapital für gewinnbringende Investitionen in die Zukunft werden. Erstes Ziel muss es sein, sie zu urteilsfähigen Mitgliedern in einer Solidargemeinschaft heranwachsen zu lassen. Um sie dahin zu bringen, braucht es inhaltlich und unterrichtspraktisch gebildete Lehrpersönlichkeiten. Die erste Eigenschaft wird am besten durch Fachvertreter der Universität gewährleistet. Die zweite erfährt eine optimale Förderung durch erfahrene Lehrpersonen. Den Pädagogischen Hochschulen bleibt die wichtige Aufgabe vorbehalten, pädagogische und didaktische Inhalte zu vermitteln.

In einem solchen Rahmen wird das Zusammenspiel von Bildung und Ausbildung als identitätsstiftende Grundlage für Lehrpersonen und Schülerschaft ermöglicht. Unser Land ist mit Recht stolz darauf, eine bürgernahe Demokratie zu sein. Damit dies so bleiben kann, sind alle dazu aufgerufen, sich  der im Gefolge der Globalisierung erfolgten Entmündigung entgegenzustellen. Die Lehrpersonen haben dabei eine besondere Verantwortung. Mit unser aller Unterstützung können sie diese zurückgewinnen.

 

André Vanoncini, ehem. Dozent für franz. Literaturwissenschaft an der Universität Basel

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