Fachlichkeit - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sat, 01 Feb 2020 17:49:04 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Fachlichkeit - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Unkenntnis über Finanzfragen erhöht die Ungleichheit in der Gesellschaft https://condorcet.ch/2020/01/unkenntnis-ueber-finanzfragen-erhoeht-die-ungleichheit-in-der-gesellschaft/ https://condorcet.ch/2020/01/unkenntnis-ueber-finanzfragen-erhoeht-die-ungleichheit-in-der-gesellschaft/#comments Mon, 27 Jan 2020 04:55:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=3740

Gestern die Buchpräsentation "Das normale Kind", in der es um die Folgen neoliberaler Bildungspolitik geht, heute der Artikel von Hans Rentsch, einem bekennenden Liberalen, der PISA nicht ablehnt und fordert, dass sich unsere Lehrpläne auch mit der Bedeutung des Geldes auseinandersetzen müssen. Der Artikel von Hans Rentsch, da ist sich die Redaktion sicher, wird Widerspruch auslösen. Umso wichtiger ist seine Publikation.

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Annamaria Lusardi, Professorin für Wirtschaft und Buchhaltung an der George Washington University School of Business: Grosse Wissenslücken

Die NZZaS befragte jüngst die Professorin Annamaria Lusardi, eine Pionierin bei der Erforschung der Finanzkompetenz in der Bevölkerung, über ihre Forschungsergebnisse. Das Fazit ihrer Analysen lautet kurz und bündig, die Mehrheit der Bevölkerung könne einfache Fragen zu Geld, Schulden und Zinsen nicht beantworten. Die drei einfachen gestellten Fragen betrafen die Wirkung von Zins und Zinseszins bei Schulden, den Effekt der Inflation auf das Vermögen und die Diversifikation von Anlagerisiken. Besonders unwissend seien junge und alte Menschen, und Frauen schnitten schlechter ab als Männer (sofern man so etwas heute überhaupt noch sagen oder schreiben darf). Lusardis Forschungen begannen in den USA. Später wurden viele andere Länder einbezogen, so auch die Schweiz. Die Schweiz bewegt sich gemäss Lusardi dabei im oberen Mittelfeld, “aber auch in der Schweiz weist ein grosser Teil der Bevölkerung grosse Wissenslücken auf.”

Ungleichheit wird grösser, wenn…

Aus sozialer Sicht besonders problematisch ist die Erkenntnis, dass es auch die wirtschaftlich Schwächsten sind, denen es an Finanzkompetenz fehlt. Das Elternhaus bestimmt weitgehend, über welches Finanzwissen die Schüler verfügen. Und die normative Folgerung daraus ist klar (Zitat NZZaS): “Wenn wir also in den Schulen Finanzfragen nicht als Basisfächer anbieten, wird dies die Ungleichheit in der Gesellschaft vergrössern.” Da ich als Nicht-Lehrer kein Experte des Lehrplans 21 bin, ist mir nicht im Detail bekannt, ob Finanzkompetenz zu den zu vermittelnden Kompetenzen gehört. Ich nehme aber an, dass die Aufnahme von Finanzwissen in die PISA-Studien doch einen Effekt gehabt hat. Gemäss Lusardi haben in den USA jene Schulen in Finanzkompetenz gut abgeschnitten, in denen das Fach obligatorisch war und die dafür kompetente Lehrkräfte einstellten.

Dr. Hans Rentsch, Liberaler, Verwaltungsrat und Buchautor: Fehlendes Wissen führt zu falschen Entscheidungen.

Fehlendes Wissen führt zu schlechten politischen Entscheidungen

Als bekennendem Skeptiker von zuviel direkter Demokratie (Begründungen dazu in meinem Buch “Wie viel direkte Demokratie verträgt die Schweiz?”/NZZ Libro) erschien mir eine allgemeine politische Folgerung von Lusardi besonders wichtig und einleuchtend: Fehlendes Wissen über Fakten und Zusammenhänge führt zu schlechten politischen Entscheidungen und begünstigt Krisen. Man könnte diese Einsicht nun ausgiebig an den Beispielen von zwei noch verdrängten einheimischen Krisenrisiken, nämlich der schweizerischen Strom-/Energiegesetzgebung und der Altersvorsorge, untermauern. Das hat an dieser Stelle jedoch keinen Platz. Immerhin sei noch einmal Lusardi aus dem Interview in der NZZaS zitiert, die betreffend Altersvorsorge Australien und Neuseeland positiv erwähnt. Diese beiden Länder hätten ihre Rentensysteme reformiert, und sie unternähmen im Zuge dieser Reformen einiges dafür, dass die Bevölkerung ein besseres finanzielles Wissen erlange. Das ist in Sachen “der Bevölkerung reinen Wein einschenken” ziemlich das Gegenteil dessen, was wir von Bundesrat und Sozialminister Alain Berset in ritueller Wiederholung zu hören bekommen: Eine Erhöhung des Rentenalters ist in der Schweiz nicht mehrheitsfähig. Da bleibt also den Schulen noch viel Bildungsarbeit zu tun. Allerdings drängt die Zeit.

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Politische Bildung: Sich um die Welt als Ganzes Sorgen machen https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-sich-um-die-welt-als-ganzes-sorgen-machen/ https://condorcet.ch/2020/01/politische-bildung-sich-um-die-welt-als-ganzes-sorgen-machen/#respond Mon, 06 Jan 2020 12:08:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=3588

Soll ein Fach "Politische Bildung" eingeführt werden, wie die Historikerin Béatrice Ziegler fordert? Condorcet-Autor Georg Geiger ist skeptisch.

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Béatrice Ziegler, Historikerin: Es braucht ein neues Schulfach.

Die Historikerin Béatrice Ziegler, die bis 2016 das Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der Pädagogischen Hochschule der FHNW in Aarau leitete, stellt in einem zweiseitigen Artikel der VPOD-Zeitschrift «bildungspolitik» vom Oktober 2019 fest, dass politische Bildung im gymnasialen Schulunterricht nur marginal vertreten sei, und sie plädiert dafür, die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Perspektiven stärker zu berücksichtigen.

Der Beutelsbacher Konsens

Aspekte politischer Bildung seien in den Kantonen teilweise fachlich verankert, teilweise würden sie als «Element der ‹Schulkultur› oder im überfachlichen Bereich Berücksichtigung finden.» Frau Ziegler hat nichts gegen partizipative Elemente der Schulgestaltung, doch die dabei geförderten Kompetenzen seien kaum solche der politischen Bildung, sondern mehr überfachlicher Natur. Politische Bildung als Schulfach aber ermögliche den Aufbau politischer Kompetenz bei Individuen. Sie solle sich nicht an der Werteerziehung, «sondern an der Wertereflexion orientieren.» So, wie es auch der 1976 in Deutschland vereinbarte Beutelsbacher Konsens meint, der sich auf folgende Prinzipien für das Fach «Politische Bildung» geeinigt hat: Indoktrinationsverbot, Kontroversität und Schülerorientierung.

Für die Autorin ist die Sache klar: Politische Kompetenz werde nur wenig aufgebaut, «wenn die Lehrpersonen nicht selbst in der Didaktik der Politischen Bildung ausgebildet werden. Es lässt sich sogar zuspitzen: Egal, welche Lehrpersonen Politische Bildung unterrichten: Sie müssen dafür ausgebildet werden. Diese Ausbildung muss fachlich und insbesondere fachdidaktisch sein.» Das klingt alles sehr plausibel. Doch es ginge auch anders.

Die Schule zur Polis machen

Halten wir fest: Während gesamtgesellschaftlich Nationalismus, Populismus und Rassismus weltweit grassieren und die hereinbrechende Klimakatastrophe demokratiepolitisch eine enorme Herausforderung darstellt, werden die beiden Schulfächer Geschichte und Geographie, die sich mit eben diesen Themen beschäftigen, in der Volksschule stundenmässig reduziert und in einem neuen Sammelfach zusammengelegt, was zur Folge hat, dass eines der beiden Teilfächer oft fachfremd unterrichtet wird. Gleichzeitig taucht auf der Sek-II-Stufe ein neues Fach namens «Politische Bildung» auf, das aber angesichts der Informatikoffensive an den Gymnasien einen schweren Stand haben wird. In der Logik der Argumentation von Frau Ziegler ist auch absehbar, dass man für die Unterrichtsberechtigung in diesem neuen Fach zwingend ein entsprechendes Zertifikat an einer Pädagogischen Hochschule wird erwerben müssen.

Ich plädiere dafür, dass an der Volksschule Geschichte und Geographie wieder zwei vollwertige Einzelfächer werden und dass an den Gymnasien alle interessierten FachlehrerInnen Politische Bildung unterrichten dürfen, egal, ob sie Französisch, Geschichte oder Informatik studiert haben.

Ich plädiere dafür, dass an der Volksschule Geschichte und Geographie wieder zwei vollwertige Einzelfächer werden und dass an den Gymnasien alle interessierten FachlehrerInnen Politische Bildung unterrichten dürfen, egal, ob sie Französisch, Geschichte oder Informatik studiert haben. Denn alle bringen ja eine didaktische Grundausbildung mit, alle sind es sich gewohnt, variantenreich Fachwissen altersgerecht herunterzubrechen. Das Fachwissen bringen sie in ihrem Selbstverständnis als Citoyen und Citoyenne mit, als StaatsbürgerInnen, die sich für das aktuelle politische Geschehen interessieren. Und es werden sich dabei wohl nur diejenigen KollegInnen an dieses Fach heranwagen, die eh schon eine Affinität zur Politik haben.

Es ist wohl kein Zufall, dass dieses neue Fach weder «Staatsbürgerkunde» noch «Politikwissenschaft» genannt wird. Der Begriff «Politische Bildung» zielt darauf ab, Motivierungshilfe zu einem Engagement in unserer Gesellschaft zu leisten. Wenn wir uns heute um die Welt als Ganzes sorgen müssen, dann sollen auch alle Lehrkräfte, die sich von dieser Besorgnis angesprochen fühlen, mit dazu beitragen, diesen Blick aufs Ganze und aufs beispielhaft Einzelne zu schärfen. Je interdisziplinärer und von der politischen Gesinnung her bunter der Haufen der Engagierten ist, umso besser! Dabei sollte aber möglichst vermieden werden, allzu moralisch belehrend daherzukommen und die Stossrichtung eines möglichen Engagements normativ vorzutragen.

Der Gefahr der Demoralisierung durch die Riesenhaftigkeit der aktuellen Herausforderungen sind sowohl die SchülerInnen wie die Lehrkräfte ausgeliefert. Heute sollen sich die Leute auf der Strasse und die Kinder in der Schule Sorgen machen, die früher einem Aussenminister angestanden hätten, wie es der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk einmal flapsig formuliert hat. Das neue Fach soll probieren, mit kritischer Reflexion eine Richtschnur des Handelns zu formulieren, die aller Konfusionen zum Trotz eine hinreichend starke Orientierung bietet. Dabei ist es nötig und hilfreich, die Jugendlichen, wenn immer möglich, als gleichberechtigte PartnerInnen mit ins Boot zu holen und den Kurs als Team zu gestalten.

In diesem Fach sollten wir mit den Jugendlichen zusammen erlernen, was es heisst, sich in der Gemeinschaft der Schule, des Staates und des Global Village zu engagieren. Wir müssen die Schule zur Polis machen.

Wenn das Fach «Politische Bildung» mehr sein soll als eine Wiederholung der Dringlichkeiten, wie sie etwa in Geographie, Biologie, Geschichte, Wirtschaft und Recht oder Philosophie vermittelt werden, dann geht es vor allem um die Ausgestaltung eines neuen Begriffes von konkreter Solidarität mit universalen Implikationen. In diesem Fach sollten wir mit den Jugendlichen zusammen erlernen, was es heisst, sich in der Gemeinschaft der Schule, des Staates und des Global Village zu engagieren.

Dabei soll es nicht nur um die globalen Herausforderungen gehen, sondern auch um die verhandelbare Ausgestaltung der eigenen Schule und um das Zusammenleben in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Der Schaffung von demokratischer Öffentlichkeit kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Aus der Schule eine Polis machen

Wir müssen die Schule zur Polis machen, in der man, wie es der Pädagoge Hartmut von Hentig formulierte, «im Kleinen die Versprechungen und Schwierigkeiten der grossen res publica erfährt, sich und seine Ideen erprobt und die wichtigsten Tätigkeiten übt: ein Problem oder Interesse definieren und es öffentlich verhandeln, andere Menschen überzeugen und sich von ihnen überzeugen lassen, Entscheidungen treffen, Zuständigkeiten bestimmen und dergleichen mehr.» Dabei soll es nicht nur um die globalen Herausforderungen gehen, sondern auch um die verhandelbare Ausgestaltung der eigenen Schule und um das Zusammenleben in der eigenen Stadt oder Gemeinde. Der Schaffung von demokratischer Öffentlichkeit kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

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Geschichtsvergessenheit als Programm https://condorcet.ch/2019/07/geschichtsvergessenheit-als-programm/ https://condorcet.ch/2019/07/geschichtsvergessenheit-als-programm/#respond Mon, 29 Jul 2019 18:46:15 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1823

Ein Artikel von Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz zum Geschichtsunterricht (NZZ 2.7.19) regte unseren Condorcet-Autor Carl Bossard zu einem Leserbief an. Wir veröffentlichen ihn gerne.

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Bild: fabü

Wer mit jungen Menschen zu tun hat, weiss um ihr historisches Interesse und erlebt, wie sie sich für Zeiten und Kulturen faszinieren lassen. Er kennt ihren Wunsch nach Verstehen eigener und fremder Welten. Doch die Sachkenntnis ist klein, das Wissen um Zusammenhänge bescheiden. Wegschauen ist keine Lösung; die Schule müsste Gegensteuer geben. Stattdessen schafft sie Geschichte als Fach ab (redaktioneller Einschub: NZZ, 2.7.2019). Sobald aber eine Disziplin als eigenständiger Bereich verschwindet, verschwindet auch der Inhalt. In den Köpfen der Kinder sowieso. Stattessen gibt es nun Sammelfächer wie „Natur, Mensch, Gesellschaft“ (NMG). Doch vor einem solchen Sammelsurium warnte der renommierte Entwicklungspsychologe Franz E. Weinert, auf den sich der ganze Lehrplan 21 beruft: „Fächer sind als Wissenssysteme unerlässlich für kognitives Lernen. Es gibt überhaupt keinen Grund für einen heterogenen Fächer-Mischmasch.“ Das progressive deutsche Bundesland Hessen schaffte das Schulfach Geschichte vor einigen Jahren ab und führte es in der Zwischenzeit wieder ein – durch Aktualität eines Besseren belehrt. Wann folgt die Schweizer Bildungspolitik?

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