China - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Tue, 01 Aug 2023 12:58:22 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png China - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Würden Sie die chinesische Gymiprüfung bestehen? https://condorcet.ch/2023/07/wuerden-sie-die-chinesische-gymipruefung-bestehen/ https://condorcet.ch/2023/07/wuerden-sie-die-chinesische-gymipruefung-bestehen/#comments Mon, 31 Jul 2023 06:25:54 +0000 https://condorcet.ch/?p=14699

In unserem Blog berichten wir immer wieder über die asiatischen Schulsysteme. Hier veröffentlichen wir einen Artikel von Katrin Büchenbacher, der in der NZZ erschienen ist. Katrin Büchenbacher ist Auslandskorrespondentin der NZZ. Ihre Erkenntnisse sind zwar nicht ganz neu, was den Druck und den Stress betrifft, dem die chinesischen Schüler ausgesetzt sind: Knallharte Quoten, grosse Konkurrenz und die Hälfte fällt durch. Spannend sind allerdings die Aussagen über die unterschiedliche Qualität der Berufsschulen und der Gymnasien.

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Die Zukunft von Qi Lians Sohn entscheidet sich an drei Tagen im Juni, in einem Prüfungssaal mitten in Peking. Die letzten zwei Monate ist Qi Lian, die in der Bauplanung arbeitet, vor 6 Uhr aufgestanden. Sie hat für ihren Sohn gekocht, hat ihn zur Schule gefahren und ist abends mit ihm zwei Stunden den Lernstoff durchgegangen. “Manchmal wollte er nicht, dass ich ihn fahre, manchmal brachte er nichts runter, wenn ich für ihn gekocht hatte”, erzählt Qi Lian per Videotelefon. “Ich habe mir solche Sorgen gemacht.”

Gastautorin Katrin Büchenbacher

In China haben im Juni und Juli 15 Millionen 15-Jährige die Gymiprüfung geschrieben. Sie wurden während zweieinhalb Tagen in zehn Fächern wie Chinesisch, Mathematik oder Englisch geprüft. Das Examen ist für Mittelschüler die einzige Chance, es ins Gymnasium und danach an eine Universität zu schaffen. Die Prüfung darf nicht wiederholt werden, und die Kinder müssen dafür nicht nur gut, sondern besser als ihre Mitschüler sein. Denn das Bildungsministerium hat eine fixe Quote festgelegt: Ungefähr die Hälfte erhält einen Platz am Gymnasium, die übrigen besuchen eine Berufsschule oder gehen nicht mehr zur Schule.

Frau Yan ist eine junge Kunstlehrerin an einer renommierten Mittelschule im Westen von Peking. Sie spricht nur mit der NZZ, wenn sie anonym bleiben darf, denn sie fürchtet um ihre Stelle. Frau Yan erzählt, in der Zeit vor der Gymiprüfung habe sie einer ihrer Schüler vor versammelter Klasse beleidigt, als sie ihn zum wiederholten Male aufgefordert habe, still zu sein – das sei vorher noch nie vorgekommen. Frau Yan erklärt sich das Verhalten ihres Schülers mit dem hohen Stress, den die bevorstehende Prüfung für die Schüler bedeute. Dabei seien es vor allem die Eltern, die ihre Kinder stark unter Druck setzten. Sie fürchteten sich davor, dass ihr Kind scheitere.

Die Berufsschulen fallen hinsichtlich Qualität massiv ab.

Scheitern würde bedeuten, dass das Kind auf eine Berufsschule müsste. Das Problem: Diese Berufsschulen fallen hinsichtlich der Qualität massiv ab. “In vielen der Berufsschulen lernen die Schüler quasi gar nichts. Viele brechen die Schule ab. Im besten Fall erwerben sie eng definierte berufliche Fertigkeiten, die sie jedoch nicht auf die Zukunft vorbereiten”, schreibt der Entwicklungsökonom Scott Rozelle in seinem Buch “Invisible China”. Eine Zukunft, in der vor allem die Fähigkeit, zu lernen und sich Veränderungen anzupassen, gefragt sei. Rozelle hat jahrzehntelang in China geforscht und etliche Berufsschulen besucht.

Die Zustände, die er dort antraf, waren teilweise schockierend: Schüler, die im Unterricht rauchten, auf dem Handy spielten oder gar nicht erst erschienen. In China haben die Berufsschulen deshalb auch oft den Ruf des “schlechten Umgangs”.

Die chinesische Gymiprüfung: hart, aber fair?

Neun Schuljahre sind in China obligatorisch. Dennoch geht ein Grossteil der Jugendlichen nach der Mittelschule weiter zur Schule, denn die Regierung hat in den letzten zwei Jahrzehnten den Zugang zur Bildung für 16- bis 18-Jährige stark erleichtert – nach dem Vorbild des dualen Bildungssystems, wie es in Deutschland oder der Schweiz üblich ist. Die Berufsbildung in China dauert in der Regel drei Jahre, mit einem halben Jahr Praktikum. Arbeiten kann man danach bestenfalls in der Pflege, im Gastgewerbe oder in technischen Berufen.

In China werden die Weichen in der Schule für das Leben eines jungen Menschen schon sehr früh gestellt.

Doch anders als in Deutschland oder der Schweiz hat China wenig in den beruflichen Bildungsweg investiert. Zudem findet an den Berufsschulen keine ausreichende Qualitätskontrolle statt. Zwar ist die Jobsicherheit mit einer beruflichen Ausbildung höher, doch die Löhne sind gering, Karriere- und Aufstiegschancen gibt es kaum. Durchlässigkeit ist nicht gegeben. An einer Universität studieren darf nur, wer ein Gymnasium besucht und die Universitätseintrittsprüfung bestanden hat – erst seit letztem Jahr gibt es erste Experimente, die auch Berufsschülern erlauben, die Universitätseintrittsprüfung zu absolvieren.

Die Schüler jagen jedem einzelnen Punkt nach.

An der Gymiprüfung entscheidet sich also, ob jemand sozial aufsteigen kann oder nicht. So werden die Weichen für das Leben eines jungen Menschen schon sehr früh gestellt. Damit nicht genug: je höher die Punktzahl, desto höher die Chance auf einen Platz in einem Top-Gymnasium, das wiederum die Chance auf einen Platz an einer von Chinas Eliteuniversitäten erhöht. Die Schüler jagen jedem einzelnen Punkt nach. Das zeigt das Beispiel des Fachs Sport, das nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtpunktzahl ausmacht. Trotzdem kann man in Chinas Sportstadien vor der Gymiprüfung immer wieder junge Schüler beobachten, die einen privaten Trainer angeheuert haben, damit sie im 100o-Meter-Lauf noch ein wenig schneller sind.

Lange Tage für einen 15-Jährigen

In China gibt es immer wieder Stimmen, die fordern, die gymnasiale Bildung allen zugänglich zu machen. So wurden die Quoten für die Gymiprüfung im vergangenen Jahr auch etwas gelockert, und seit 2019 bemüht sich das Bildungsministerium, die Qualität der Berufsschulen zu verbessern. Für den Entwicklungsökonomen Rozelle geht das noch zu wenig weit. Der Fokus müsse nicht auf spezifischen technischen oder handwerklichen Fähigkeiten liegen, die Jahre später schon wieder überholt sein könnten, sondern auf der Allgemeinbildung.

“Es besteht wenig Hoffnung, dass er an das Gymnasium kommt, das wir angepeilt hatten.”

Qi Lians Sohn ist vor der Prüfung jeweils um 6 Uhr aufgestanden, um 7 Uhr startete der Unterricht, Schulschluss war um 18 Uhr. Am Abend setzte er sich nochmals zwei Stunden hin, um zu lernen. Am Wochenende belegte er Zusatzkurse. Qi Lian hat das alles organisiert für ihn. Hat sich der ganze Stress gelohnt? 14 Tage nach der Prüfung erfährt sie das Resultat.

Ihr Sohn hat es ans Gymnasium geschafft. “Nicht ideal” findet Qi Lian seine Punktzahl. “Es besteht wenig Hoffnung, dass er an das Gymnasium kommt, das wir angepeilt hatten.”

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Bildungswesen in China https://condorcet.ch/2020/06/bildungswesen-in-china/ https://condorcet.ch/2020/06/bildungswesen-in-china/#respond Wed, 17 Jun 2020 09:56:54 +0000 https://condorcet.ch/?p=5404

Erst kürzlich von PISA-Chef Andreas Schleicher hochgelobt, erweist sich das Schulsystem in China als sehr komplex. Peter Aebersold begab sich auf Spurensuche und fand heraus, dass China eine der ältesten und längsten Traditionen im Bildungswesen hat. Sie wurde allerdings immer wieder durch schwere Rückschläge unterbrochen. Das gegenwärtige Schulsystem, mit dem Pisa-Spitzenplätze erreicht werden, wurde ab Mitte der 1980er Jahre aufgebaut.

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Dennis Diderot (1713 -1784): Allen anderen Völkern überlegen.

Die geistige Entdeckung Chinas war eines der Ergebnisse der Aufklärung. „Diese Völker“, schrieb Diderot über die Chinesen, „sind allen andern Völkern überlegen an Alter, Geist, Kunst, Weisheit, Politik und in ihrem Geschmack für die Philosophie.“

Tausendjährige Hochkultur

Das erste Bildungswesen existierte von 1600 bis 1046 v. Chr. während der Shang-Dynastie und war von der konfuzianischen Philosophie geprägt. Staatliche Akademien (Shuyuan) boten ab dem 9. Jahrhundert Bildung auf universitärem Niveau an. Das Kaiserreich bot während mehr als tausend Jahren allen Menschen demokratisch die Möglichkeit einer Schulung, um die Ausübung des Regierungsamtes aristokratisch auf diejenigen zu beschränken, die sich als die Besten erwiesen. Es gab jedoch keine Schulpflicht. In Europa dauerte es bis ins späte 19. Jahrhundert, bis sich bei der Besetzung öffentlicher Ämter ähnliche Grundsätze durchsetzen konnten.                                                                                                                                                                                                                                     Kolonialisierung zerstörte das Bildungswesen

Kolonialmächte zerstörten Chinas Bildungssystem

Im Zuge der Kolonalisierung Chinas durch die europäischen Grossmächte und die Vereinigten Staaten brach das Bildungswesen in der Mitte des 19. Jahrhunderts fast völlig zusammen und die Analphabetenrate lag bei 80 Prozent. Nach der Wiedervereinigung Chinas im Jahre 1928 begann die Kuomintang Partei mit einer landesweiten Schulreform, um die Entwicklung der Republik und der Wirtschaft zu fördern. Der Chinesische Bürgerkrieg (1927-1949) verhinderte die Umsetzung dieser Pläne.

Schwieriger Wiederaufbau nach sowjetischem Muster

Der sowjetische Generalsekretär Chrustschow und der chinesische Revolutionsführer Mao harmonierten nicht lange.

Nach der Gründung der Volksrepublik China im Oktober 1949 wurde zuerst die Grundschule nach dem Vorbild der Sowjetunion mit einer allgemeinen Schulpflicht eingeführt. Die Lehrmittel wurden aus der Sowjetunion importiert und übersetzt. Ebenso wurde deren Fächerkanon an den Schulen und Universitäten übernommen. Trotz grossen Anstrengungen der Kommunistischen Partei Chinas gelang es vorerst nicht, ein flächendeckendes Schulsystem einzuführen. Für den Wirtschaftsaufbau dringend benötigte Arbeitskräfte lernten als Erstes Lesen und Schreiben. Bis 1957 besuchten fast 50 Prozent aller Schüler der Mittelschulstufe diese berufsbildenden Schulen. Die Ausrichtung des Bildungswesens am sowjetischen Vorbild endete mit dem gegenseitigen Konflikt (1950er bis 1980er Jahre).

Mit der Kampagne des „Grossen Sprungs nach vorn“ von 1958 bis 1961 sollten die drei Unterschiede Land-Stadt, Kopf-Hand, Industrie-Landwirtschaft eingeebnet werden.

Mit der Kampagne des „Grossen Sprungs nach vorn“ von 1958 bis 1961 sollten die drei Unterschiede Land-Stadt, Kopf-Hand, Industrie-Landwirtschaft eingeebnet werden. Als Gegenreaktion und Kritik am sowjetischen Modell, das sich vor allem auf die Industrie konzentrierte, wurden in China sämtliche Programme auf die Landregionen zugeschnitten. 1965 besuchten rund 85 Prozent der sechs- bis zwölfjährigen Chinesen eine Grundschule. Die Lehrerausbildung hinkte der gestiegenen Schülerzahl hinterher und verschlechterte das allgemeine Bildungsniveau. Die „Kulturrevolution“ von 1966 bis 1976 führte zum erneuten Niedergang des Bildungswesens. Fast alle Schulen des Landes und die Universitäten waren längere Zeit geschlossen. Schüler und Studenten wurden politisiert, statt Aufnahmeprüfungen gab es politische Empfehlungen, um damit eine Elitebildung verhindern zu können.

Reform- und Öffnungspolitik

Bildung und Erziehung in der Volksrepublik China sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts von den Ideen von Konfuzius, Menzius, Mao Zedong und Deng Xiaoping geprägt. Nach Maos Tod erfolgten ab 1978 im Zuge der Reform- und Öffnungspolitik mehrere Schulreformen. Die Schulzeit wurde sukzessive auf zwölf Jahre erweitert und der zweijährige Arbeitseinsatz für Hochschulbewerber entfiel.

Deng Xiaoping leitete die entscheidenden Reformen ein.

Ab Mitte der 1980er Jahre investierte der chinesische Staat grosse Summen in sein Bildungssystem. Der im Mai 1985 veröffentlichte „Beschluss über die Reform des Bildungswesens“ bildet bis heute die Grundlage für das Schulsystem. 1986 wurde eine allgemeine neunjährige Schulpflicht eingeführt. Auf der Grundlage des Bildungsgesetzes von 1995 und des Berufsbildungsgesetzes von 1996 soll der Forderung nachgekommen werden, dass möglichst jeder chinesische Arbeitende beim Eintritt ins Berufsleben über eine berufliche beziehungsweise schulische oder gar akademische Ausbildung verfügt.

Dezentrale Bildungshoheit

Das Ministerium für Bildung in Peking, welches die Rahmenkompetenz für Strukturen im Schul- und Hochschulwesen ausübt, ist die oberste Bildungsbehörde. Deren Befugnisse wurden in den 1990er Jahren zugunsten der verfassungsrechtlich garantierten Autonomierechte der Provinzen reduziert. Diese können Bildung in finanzieller, personeller und inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich autonom umsetzen.

China nimmt am UNESCO-Bildungsprogramm „Education for All“ (EFA) teil. Es hatte 2001 einen Alphabetisierungsgrad von 98 Prozent der Bevölkerung erreicht. Seit der Bildungsreform von 2006 dürfen während der Schulpflicht keine Schulgebühren und Extragebühren (Nachhilfestunden) an Schulen erhoben werden.

Freiwilliger Kindergarten

In China sind die Kindergärten freiwillig

Der Besuch des Kindergartens ist freiwillig und wird von Städten, Gemeinden, Kirchen, Betriebe und Privaten angeboten. Er kann im Alter von drei bis fünf Jahren beginnen und dauert bis zum sechsten oder siebten Lebensjahr. Im Vordergrund steht eine altersgerecht emotionale Erziehung, die Kinder pädagogisch und sozial auf den Besuch der Grundschule vorbereitet. Kindergartenlehrer besuchen vier Jahre lang eine berufsbildende Sekundarschule. Im Kindergarten unterrichten drei Kindergärtnerinnen eine Gruppe von etwa 35 Kinder.

Grundschule und Sekundarstufe

Die Grundschule, meistens eine Ganztagesschule, dauert sechs Jahre, in ländlichen Gegenden teilweise fünf. Die Kinder werden mit sechs oder sieben Jahre eingeschult. Die Anzahl der Schulstunden beträgt 26 bis 30 pro Woche, eine Unterrichtseinheit dauert 50 Minuten. Zu den Fächern gehören: Chinesisch, Mathematik, Sport, Naturwissenschaften, Musik und Kunst und ab der 3. Klasse Englisch. Konfuzianische Lehrinhalte sind Teil des schulischen Bildungskonzeptes.

Die Sekundarbildung an den Mittelschulen ist aufgeteilt in drei Jahre Unterstufe und drei Jahre Oberstufe. Dies können allgemeinbildende und berufsbildende oder technische Mittelschulen sein. Der Fächerkanon umfasst: Chinesisch, Mathematik, eine Pflichtfremdsprache (meist Englisch), Physik, Chemie, Biologie, Technik, IT, Sport, Kunst, Musik, Ethik, Wirtschaftskunde, Geschichte und Erdkunde. Eine Unterrichtseinheit beträgt 45 Minuten; pro Woche 35 Unterrichtseinheiten.

Effizienter Klassenunterricht, effektives Lernen

In der Praxis sind unsere „neuen Formen“ des Unterrichtens und Lernens in China bisher nur in begrenztem Umfang implementiert worden. Die Unterrichtsinhalte sind klar vorgegeben und daher praktisch identisch an allen Schulen. Es wird sehr nahe am Schulbuch gearbeitet. Wissensabfragen und Tests führen dazu, dass die Richtigkeit der Ergebnisse wichtiger sind als die Lernprozesse. Informations- und Kommunikationstechnologien werden meist nur von den Lehrkräften eingesetzt (Powerpoint-Präsentationen). Gemeinsamer Klassenunterricht, das Abfragen kurzer Antworten sowie das Antworten und Wiederholen im Chor sind weit verbreitete Unterrichtstechniken. Auswendiglernen, Wiederholen und exaktes Einprägen sind nach chinesischer Auffassung ausgezeichnete Übungen zur Ausbildung von zusätzlichen Fähigkeiten wie Geduld, Ausdauer und Konzentration auf eine bestimmte Sache wie das Schreiben und Lesen der komplexen chinesischen Schriftzeichen. Selbständiges Arbeiten und Gruppenarbeit werden seltener und nur kurz eingesetzt.

Gesellschaftlich geniesst der Beruf des Lehrers hohe Anerkennung, weil Wertschätzung gegenüber Lehrenden ein Aspekt der chinesischen Lerntradition ist.

Hervorragende Leistungen

Die direkte Instruktion ist in China die massgebende Lehrmethode.

Eine internationale Forschungsstudie zeigt, was China und die anderen ostasiatischen Länder auszeichnet: Sie halten gute Leistungen nicht für nur auf die Schülergruppe mit hoher Intelligenz begrenzt, sondern pflegen eine demokratischere Einstellung: Fleiss und effektives Lernen eröffnen allen SchülerInnen ausgezeichnete Lernperspektiven (Konfuzius). Schulische Erfolge sind ihrer Überzeugung nach aber keineswegs eine Folge von Strebertum, das heisst von ehrgeizigem Egoismus. Leistungsstarken Schülern werden hohe soziale Kompetenzen zugeschrieben. Es ist attraktiv, in China gute Leistungen zu bringen. Chinesische Schüler gehen, anders als bei uns, nicht automatisch davon aus, dass ein Klassenkamerad mit sehr guten Leistungen über eine besonders hohe Intelligenz verfügen müsse. Dies stimmt mit der in vielen Studien gefundenen Überzeugung in asiatischen Kulturen überein, dass gute Leistungen vor allem Früchte von Fleiss und effektivem Lernen sind. Das hat wenig Ähnlichkeit mit unserem westlichen Druck-Drill-Demut-Stereotyp über das chinesische Bildungswesen. Gesellschaftlich geniesst der Beruf des Lehrers hohe Anerkennung, weil Wertschätzung gegenüber Lehrenden ein Aspekt der chinesischen Lerntradition ist. Bei uns werden leistungsstarke Schüler für tendenzielle Streber gehalten, die sozial wenig kompetent sind, und man glaubt, dass ohne eine hohe Intelligenz die Aussicht auf sehr guten schulischen Erfolg klein sei. Wie auch die PISA-Studie zeigt, bringen asiatische Länder deutlich bessere schulische Leistungen, sie sind sogar in manchen Fächern um Schuljahre voraus. Es scheint daher höchste Zeit, dass wir uns ganz nüchtern fragen, was wir von China, dem Patentweltmeister und PISA-Spitzenreiter, lernen können.

 

Quellen:

Barbara Schulte: China. In: Die Bildungssysteme der erfolgreichsten PISA-Länder: China, Finnland, Japan, Kanada und Südkorea. Lund University, Schweden 2017.

Albert Ziegler, Bettina Harder, Susanne Trottler: Chinas Erfolg bei PISA: Zufall oder Artefakt? Landesweite Beratungs-und Forschungsstelle für Hochbegabung an der Universität Erlangen-Nürnberg 2014.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schulsystem_in_der_Volksrepublik_China#cite_note-bc-7

 

Unterrichten in China – Respekt vor dem Lehrer

 

 

 

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Zitat der Woche: Andreas Schleicher, Statistiker, oberster PISA-Verantwortlicher https://condorcet.ch/2020/04/zitat-der-woche-andreas-schleicher-statistiker-oberster-pisa-verantwortlicher/ https://condorcet.ch/2020/04/zitat-der-woche-andreas-schleicher-statistiker-oberster-pisa-verantwortlicher/#comments Mon, 20 Apr 2020 10:45:11 +0000 https://condorcet.ch/?p=4718

Das Zitat der Woche stammt heute von einem alten Bekannten! Mr. PISA ist immer wieder für einen kernigen Spruch zu haben.

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Die Chinesen haben es am besten gemacht. Dort hat auch die Betreuung der Kinder durch die Lehrer gut funktioniert!

Andreas Schleicher im Interview mit dem Echo der Zeit (srf), 6. April 2020.

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Bildungspolitische Plauderstunde beim ECHO der Zeit – Ein Protokoll https://condorcet.ch/2020/04/bildungspolitische-plauderstunde-beim-echo-der-zeit-ein-protokoll/ https://condorcet.ch/2020/04/bildungspolitische-plauderstunde-beim-echo-der-zeit-ein-protokoll/#comments Tue, 14 Apr 2020 10:40:58 +0000 https://condorcet.ch/?p=4686

Gestern noch Kontrahenten spannen Felix Schmutz und Alain Pichard bei der Analyse des ECHO-Interviews "Chinesen kommen am besten durch die Krise" zusammen. Dabei entlarven die beiden Condorcet-Autoren die Substanzlosigkeit und die völlige Absenz kritischer Nachfragen. Der intelligente, aber keineswegs neutrale Bildungsexperte und PISA-Verantwortliche Andreas Schleicher wird in diesem Interview kaum gefordert und setzt sein "Framing" souverän um. Lesen Sie den Kommentar zu dieser bildungspolitischen Plauderei.

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Selbstporträt

«Echo der Zeit» ist die weltoffene, politische Abendsendung von Radio SRF. Wir vertiefen täglich die wichtigsten Ereignisse im In- und Ausland. Wir bringen globales Geschehen zu Ohren mit Reportagen, Interviews und Analysen – klug und pointiert.

Sehr geehrte Echo-Macherinnen und -macher,

Ihr Kaminfeuergespräch mit Andreas Schleicher im Echo der Zeit hat unsere Herzen erwärmt. Und auch seine fundierte Erklärung, an wem wir uns bezüglich Homeschooling zu orientieren haben, haben wir notiert.
Gestatten Sie uns, Ihnen noch einige Fragen nachzusenden, pointiert und so klug wie möglich.

OECD-Bildungsexperte und oberster PISA-Verantwortlicher Andreas Schleicher: Es hapert bei den Fähigkeiten der Lehrkräfte.

Interview mit Andreas Schleicher zum Fernunterricht während der Corona-Krise

(6. April, Echo der Zeit, Radio SRF 1)

Zur Erinnerung: Die Sendung Kulturplatz Schweiz vom 13. März 2019 (Digitaler Unterricht auf dem Vormarsch) bestach durch Falschinformationen, Weglassungen und Verkürzungen. Sie wurde so zu einem propagandistischen Dokument für den Digitalunterricht. In einem Brief an die Macher kritisierte ich diese Sendung in 7 Punkten und lieferte die entsprechenden Quellen nach. Dies hatte eine Einladung der Redaktion zur Folge, an der auch Professor Ralf Lankau teilnahm. Die zwei Redakteure hörten uns zu und versprachen, das Thema beizeiten gezielt und unter Berücksichtigung unserer Argumente weiterzubearbeiten.

 

Roger Brändlin, Journalist. ECHO der Zeit. Keine kritischen Nachfragen.
Copyright: SRF/Oscar Alessio

Das Interview des Journalisten Brändlin im Echo der Zeit fällt in eine andere Kategorie. Hier geht es um fehlende Substanz, einen vermutlich schlecht vorbereiteten Interviewer und ein falsches Format.

 

In der Folge versuche ich, die Lücken dieses Interviews aufzuzeigen, die offenen Fragen zu stellen und die Widersprüche aufzudecken. Ich beende es mit einem Fazit. (Die Transkription des Interviews erstellte Condorcet-Autor Felix Schmutz)

 

Brändlin, SRF: Wo steht die Schweiz im digitalen Fernunterricht?

Schleicher: Technologisch sind die Schulen in der Schweiz gut ausgestattet. Noch mehr zu tun ist bei den Lehrkräften. Zumindest nach Aussagen der Schulleiter fehlen ihnen noch die technischen und pädagogischen Fähigkeiten, um die Technologie auch wirklich in innovative Unterrichtskonzepte zu integrieren.

Was ist nach Schleicher genau «innovativ»? Der Gebrauch der Tools oder die transportierten Lerninhalte?

Kommentar Condorcet:

Schleichers Aussage enthält zwei Elemente, über die man gerne mehr erfahren hätte:

  1. Gibt es eine validierte Umfrage unter Schweizer SchulleiterInnen, welche die Apodiktik dieser pauschalisierenden Aussage unterstreichen? (Immerhin lieferte sie den ersten Titel dieses Beitrags).
  2. Was versteht Herr Schleicher unter «Technologie, die es in innovative Unterrichtskonzepte» zu integrieren gelte!
  3. Was sind nach Schleicher «innovative Unterrichtskonzepte»?
  4. Welche Fähigkeiten fehlen den Schweizer Lehrkräften im Digitalen Unterricht (Gebrauch von Zoom, Facetime, WhatsApp, Google Brain – Deep-Learning-Projects, YouTube-Kenntnisse, Videos produzieren?)?
  5. Was ist nach Schleicher genau «innovativ»? Der Gebrauch der Tools oder die transportierten Lerninhalte?

 

Brändlin: Mit Fernunterricht ist nicht nur die Videokonferenz gemeint?

Schleicher: Es ist auch wichtig, dass die Schüler die Motivation und die Fähigkeiten haben, selbstwirksam zu lernen, eigene Lernprozesse auch zu begleiten, Lernziele selbst zu setzen, über längere Zeiträume unabhängig zu arbeiten, das erfordert eine wirklich neue Pädagogik.

Kommentar Condorcet

Sehr interessant. Was genau heisst «eigene Lernprozesse auch zu begleiten»? Und, welche Lernziele sollen sich Schüler selber setzen? Sollen sie die Menge der Wörtli im Französischunterricht, die sie in einer Unterrichtseinheit lernen sollten, selber bestimmen? Sollen sie selber bestimmen zu lernen, wie die Chemie den Aufbau der Materie erklärt? Dass SchülerInnen eine Motivation haben sollen, selbstwirksam zu lernen, ist ja eine Binsenwahrheit, die wir auch im Normalunterricht einüben wollen. Die Frage ist, kann man Motivation mit E-Learning lernen?

Brändlin: Gibt es Länder, die das besser können?

China als Vorbild?

Schleicher: China ist am besten durchgekommen. Da waren nach einem Monat 50 Millionen Kinder online, und dort ist es vor allem gelungen, wirklich auch die sozialen Bedingungen gut zu erhalten zwischen Schülern und Lehrkräften. In China haben natürlich Kräfte wie die künstliche Intelligenz eine ganz andere Bedeutung. In Europa ist Estland sehr weit in der technologischen Ausstattung, Unterrichtskonzepte sind dort sehr stark digitalisiert. Aber insgesamt stehen wir am Anfang.

Chinas Unterrichtskonzepte: Frontalunterricht, eine Unmenge an Lernstoff, knallhartes Üben, harte Selektion. Ist das innovativ?

Kommentar Condorcet

Um welche Art sozialer Betreuung handelt es sich in China?

Welchen Unterricht meint Schleicher, wenn er von China spricht? Schleicher ist ein kluger Mann, der viele Bildungssysteme kennt. Er weiss bestimmt, dass in China ein stark lehrerzentrierter Frontalunterricht gepflegt wird. Natürlich lernen die chinesischen SchülerInnen wesentlich früher und auch umfassender an digitalen Geräten. Ist dies bereits «innovativ»? Die darin enthaltenen Unterrichtskonzepte und die Lernprogramme sind bei uns arg in Misskredit geraten. Stichwort: Frontalunterricht, eine Unmenge an Lernstoff, härteste Selektion und knallhartes Üben. Was ist hier «innovativ»? Die Tatsache, dass alle Kinder einen Laptop zu Hause haben und Lernprogramme abarbeiten? Und wie machen es die chinesischen Lehrkräfte mit Kindern, die da nicht mithalten? Rufen sie diese an? Reden sie ihnen ins Gewissen? Machen sie ihnen Mut? Zumindest würde ich das unter «die sozialen Bedingungen gut erhalten» verstehen. Oder geschieht dies mittels PUSH-Nachrichten. Der Lehrer schickt ein zu bearbeitendes PDF-Dokument, das nach einer gewissen Zeit sofort verschwindet. Wer es verpasst, hat keine Chance mehr. Auch totale Überwachung ist soziale Betreuung.

Brändlin: Besteht nicht die Gefahr, dass Kinder aus weniger begüterten Familien benachteiligt werden?

Schleicher: Doch, die Schere zwischen Kindern der gut verdienenden Eltern und der ärmeren öffnet sich weiter. Lernen ist ein sozialer Vorgang. Diejenigen, denen die Eltern nicht helfen können, sind im Nachteil.

Brändlin: Wie kann die Schule in der Schweiz dem entgegenwirken?

Schleicher: Die technologische Voraussetzung sind gegeben. Wo es mehr hapert, ist wirklich die Vorbereitung der Lehrkräfte, die Integration in die Pädagogik, da hat die Schweiz noch mehr zu tun.

Kommentar Condorcet

Auch hier: Was meint Schleicher mit dem Satz «die Integration in die Pädagogik»? Welche Pädagogik schwebt ihm vor?

Brändlin: Was muss die Schule tun, um den Kindern trotz Corona möglichst viel Chancengleichheit mitzugeben?

Schleicher: Zunächst geht es darum Online-Plattformen gut zu nutzen, dass einfach die besten Instrumente überall zur Verfügung stehen, die Lehrkräfte zu unterstützen, mehr Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften zu schaffen. Das Thema ist oft, dass Lehrkräfte sehr als Einzelkämpfer arbeiten, die sind jetzt ganz auf sich allein gestellt. Da für mehr Austausch und Zusammenarbeit zu sorgen, wird allen helfen.

Kommentar Condorcet

Online-Plattform für den Deutschunterricht: Toll verpackte Herkömmlichkeit.

Von welchen Online-Plattformen spricht Schleicher? Weiss er, wie viele Schulen Online-Plattformen nutzen? Und wie sieht er es bei den 1. KlässlerInnen? Dort gibt es ja auch Online-Plattformen … Kennt der Journalist diese? Er sollte sie sich doch einmal anschauen und uns anschliessend das Innovative an dieser Pädagogik erklären! Und schliesslich noch der Griff in die Mottenkiste der Lehrervorwurfsskala: die Lehrkräfte als Einzelkämpfer! Herr Schleicher weiss genau, wovon er spricht. Er vermittelt dem Zuhörer das Bild der 60er-70er-Jahre. Er unterschlägt die strukturellen Änderungen in den Schweizer Schulhäusern: Geleitete Schulen, pädagogische Konferenzen, gemeinsame Vorbereitungen während der Ferien, Mitarbeitergespräche usw. Warum? Und wie evident ist die Aussage? Worauf basiert sie?

Brändlin: Das ist mittelfristig gedacht. Manche sagen, man solle das laufende Schuljahr abschreiben. Was halten Sie von der Idee, dass man das ganze Schuljahr wiederholt oder ein Semester anhängt?

Schleicher: Schüler sind resilienter als wir das oft glauben. Ich denke, von dem, was die Schüler auch online lernen, bleibt sehr viel hängen, und ich denke, alles einfach nochmal machen, das wird dann wirklich ein verlorenes Jahr. Die Frage ist, wie lange das jetzt weitergeht. Wenn es bei ein paar Monaten bleibt, ist das zu bewältigen.

Kommentar Condorcet

Ich habe meinen SchülerInnen folgenden Rechenauftrag gegeben. Wie viel Prozent des regulären Unterrichts würden in einer 11-jährigen Schulkarriere in der Volksschule ausfallen, wenn die Schulschliessungen bis Juni dauerten? Es sind knapp 4%!

Brändlin: Was überwiegt bei Ihnen: die Sorge um die Bildung der Schülerschaft oder die Freude über die Fortschritte im digitalen Unterricht?

Schleicher: Sicherlich die Sorge um die Schülerschaft, denn nicht alle Lehrer sind darauf vorbereitet, nicht alle Schüler haben zu Hause das entsprechende Umfeld, um wirklich selbstwirksam, selbstständig zu lernen, da habe ich sehr grosse Sorge. Anderseits finden grosse Veränderungen in Zeiten tiefgreifender Krisen statt. Vieles, was wir heute entwickeln, dass Schüler einfach mehr Raum bekommen, innovativ zu lernen, dass Lehrkräfte mehr Verantwortung für die Gestaltung von innovativen Unterrichtskonzepten haben und übernehmen. Ich hoffe, davon wird einiges hängen bleiben. Das schlimmste Szenario ist, dass alles nach der Krise wieder so ist wie vor der Krise.

Diese Aussage suggeriert, dass die Schulen vor dem Lockdown in einem «schlimmen» Zustand sein mussten.

Kommentar Condorcet

Das ist interessant! Am schlimmsten wäre es, wenn die Schule wieder so wäre, wie sie vor der Corona-Krise war. Ja, wie war sie denn vor der Corona-Krise? Diese Aussage suggeriert, dass die Schulen vor dem Lockdown in einem «schlimmen» Zustand sein mussten. Vermutlich ist der digitale Unterricht gemeint. Und wiederum muss der Staunende sich angesichts solcher Rhetorik fragen: Was ist ein digitaler Unterricht? Ist da die Verwendung der digitalen Geräte als Tool gemeint oder ist es die Übergabe eines Unterrichts der direkten Instruktion durch die Lehrkraft an Softwarepakete von Google, die Verwaltung eines G Suite for Education-Kontos für jede Schülerin und jeden Schüler, die Beschulung unserer Kinder durch von Konzernen vorgefertigte Unterrichtsprogramme mit allen datentechnischen Problemen? Man erhält keine Antwort!

Brändlin: Könnte das sein?

Bei den Schülern bin ich optimistisch. Wer einmal gemerkt hat, dass man selbstständig lernen kann, dass man nicht nur einem Lehrer zuhören muss, man sich die Lehrkräfte aussuchen kann, mit denen man digital arbeitet, wenn man in ein virtuelles Laboratorium geht, anstelle irgendwo in der Schule zuzuhören. Wer das einmal mitgemacht hat, der wird später ein anspruchsvollerer Schüler sein, der auch auf die Lehrer zugeht und sagt, wie man am besten selber lernt. Die Schüler werden das einfordern, hoffe ich.

Kommentar Condorcet

Innovative Tools oder fragwürdige Datensammlung?

Das sind ja grosse Ankündigungen. Man kann selbständig lernen, die Lehrkräfte aussuchen und das in einem virtuellen Laboratorium. Wie funktioniert ein solches «virtuelles Laboratorium»? Kann man sich das auch aussuchen? Und welche Lerninhalte werden dort vermittelt? Welche Unterrichtsprogramme kommen zum Zuge? Google? Google brain speichert aber auch Geräte- und Hardwareinformationen, Geräteerkennungen und Betriebssystemversionen, IP-Adressen und Standortinformationen, setzt akivitätsprotokollierende Cookies ein, nutzt Sensoren der Geräte und deren Daten. Ist das ein Problem? Herr Schleicher weiss natürlich, wovon er redet. Weiss es aber der fragende Journalist?

Soll dieser Beitrag von Echo der Zeit informieren, aufklären, eine bestimmte Sicht propagieren oder einfach nur werben?

Fazit Condorcet:

Alain Pichard
Das Format taugt nichts.

Um was für eine Art von Beitrag handelt es sich? Soll er informieren, aufklären, eine bestimmte Sicht der Dinge propagieren oder einfach nur werben? Welche Frames (Wissensrahmen) kommen hier vor? Welche Rolle spielen die so aufgerufenen Frames für die Schlussfolgerungen der Zuhörerschaft? Welche Mechanismen können identifiziert werden, die darauf abzielen, Bewusstseinszustände von Lesern zu verändern? Wie immunisieren sich die Aussagen gegen Widerlegung oder Widerstand?

Ich möchte dem fragenden Journalisten nicht zu nahe treten. Aber dieses Interview ist kein erkundender Dialog, es ist ein Kamingespräch, eine Thesenplattform. Der Journalist wird sagen, das Format lasse nicht mehr zu. Das mag stimmen. Warum führt er es dann so durch? Das Echo der Zeit rühmt sich, sorgfältig recherchierte Hintergrundberichte zu liefern, seriöse Informationen zusammenzustellen und faktenbasiert zu kommentieren.

Gespräche mit «Experten» können dabei ein Element sein. Herr Schleicher ist zweifellos ein Experte. Er weiss viel mehr, als er geäussert hat, und er hätte bei entsprechenden Nachfragen auch nachgeliefert. Er ist aber auch ein Vertreter einer Bildungspolitik, die eine Agenda verfolgt. Er ist kein neutraler Bildungsforscher. Auch das hätte ein seriös arbeitender Journalist feststellen müssen. Und Herr Schleicher weiss bestens mit dem gewählten Format

Herr Schleicher ist kein neutraler Bildungsforscher. Er ist ein intelligenter Vertreter einer Bildungspolititk, die eine Agenda verfolgt, die wir skeptisch beurteilen (müssen).

umzugehen. Er setzt souverän auf die Frames, benützt die Innovationsrhetorik, ohne diese zu präzisieren. Herr Brändlin verfällt in die Rolle des Stichwortgebers. Eine ketzerische Zwischenfrage: Hätte es sich um einen AFD-Bildungssprecher oder einen Trump-Sympathisanten gehandelt, wäre dann die Befragung auch so devot geblieben?

Für einen intelligenten Mann wie Schleicher stellt diese Form des Interviews eine Unterforderung dar. Für uns kritisch denkende Bildungsinteressierte ist es nutzlos. Für die Mehrheit der Zuhörerschaft vermutlich durchaus prägend,  ja propagandistisch.

Am Schluss noch der Treppenwitz der Titeländerung

Und am Schluss noch ein Treppenwitz der ganzen Geschichte: Auf Hinweis unseres Codorcet-Autors Carl Bossard wurde der pauschalisierende und von vielen als diffamierend empfundene Titel der Sendung «Fehlende digitale Fähigkeiten bei Schweizer Lehrkräften» zu «Chinesische Schulen kommen am besten durch die Krise». Wieder eine Behauptung von Andreas Schleicher; empirische Daten legt er keine vor. Und was heisst «am besten»? Ich jedenfalls weiss es: Am besten hört man sich solche Sendungen einfach nicht an.

 

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Chinesische Schüler kommen am besten durch die Krise https://condorcet.ch/2020/04/chinesische-schueler-kommen-am-besten-durch-die-krise/ https://condorcet.ch/2020/04/chinesische-schueler-kommen-am-besten-durch-die-krise/#respond Tue, 14 Apr 2020 08:44:16 +0000 https://condorcet.ch/?p=4682

Das für seine seriösen Hintegrundberichte gelobte Sendegefäss Echo der Zeit interviewte den PISA-Chef Andreas Schleicher. Eine spannende Lektion in Pauschalisierung, Framing, Lehrerbashing und Chinalob. Hören Sie die Sendung!

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OECD-Bildungsexperte und oberster PISA-Verantwortlicher Andreas Schleicher: Es hapert bei den Fähigkeiten der Lehrkräfte.

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Algorithmen oder freier Wille? https://condorcet.ch/2020/01/algorithmen-oder-freier-wille/ https://condorcet.ch/2020/01/algorithmen-oder-freier-wille/#respond Fri, 17 Jan 2020 22:33:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=3647

Die Nutzung von Social Media führt uns in ein Dilemma. Felix Hoffmann beschreibt es.

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Felix Hoffmann, Sekundarlehrer, BL, Mitglied LVB, Starke Schule beider Basel

Datenschützer sorgen sich um die Datensicherheit an Schweizer Schulen. Anbieter wie Microsoft, Google oder Apple könnten im Rahmen der Digitalisierung Personendaten ohne Zustimmung der Lernenden verkaufen. Die Antwort der EDK auf diese Gefahr lautet Edulog. Abgesehen vom vereinfachten Zugang zu den Online-Diensten im Unterricht schützt Edulog “persönliche Daten, sichert die digitalen Zugänge und schafft Vertrauen für das Lernen im digitalen Kontext”. [1] Doch wie aussichtsreich sind solche Bemühungen beim Datenschutz?

Am stärksten untergraben werden sie von den Lernenden selbst. Die meisten unter ihnen benutzen Handys mit dem Google-Betriebssystem Android. Das Google-Geschäftsmodell basiert auf der Akquisition und dem Verkauf von Kundendaten zwecks Werbung. Diesem Geschäftszweck dienen sämtliche Dienstleistungen, also u.a. Googles Suchmaschine, Google Chrome, Google Maps, Google Earth, YouTube und sämtliche auf Google Play angebotenen Apps. Bezahlt werden diese Angebote also nicht mit Geld, sondern mit persönlichen Daten, dem sogenannten Rohstoff des 21. Jahrhunderts.

Ein Ausweichen auf Apple ist keine echte Alternative. Die Google-Suchmaschine ist nämlich als Standard-Einstellung auf iOS, dem Betriebssystem für das iPhone und iPad, und auf macOS, dem Betriebssystem für Laptop- und Desktop-Computer von Apple, vorinstalliert. [2] Dafür kassiert Apple jedes Jahr Milliardenbeträge. [3] Es braucht folglich einiges Geschick, die Voreinstellungen zu ändern. Gegen Apple wurde zudem Klage eingereicht wegen unrechtmässiger Weitergabe von Informationen über iTunes-Käufe von Nutzern sowie deren persönliche Daten. [4] Gibt es anderweitige Alternativen?

Kai Strittmatter: Vorsicht geboten

Auch China verfügt über hochentwickelte Computer- und Informationstechnologie. Dort sind u.a. die sechs der zehn weltweit grössten Handyhersteller ansässig. [5] Und auch bei der Entwicklung von 5G, dem neuen Mobilfunkstandard, spielen die Chinesen mit Huawei, ZTE und CATT ganz weit vorne mit. [6] Kai Strittmatter, ehemaliger SRF China-Korrespondent und Autor des preisgekrönten Werks, Die Neuerfindung der Diktatur, mahnt jedoch zur Vorsicht: “Wenn man sich das Land anschaut und wie es mit seinen Firmen umgeht, dann ist am Ende entscheidend, ob man der Kommunistischen Partei Chinas vertrauen kann. Jede chinesische Firma ist laut Gesetz dazu verpflichtet, alle ihre Daten und Geheimnisse im Interesse der nationalen Sicherheit der chinesischen Regierung und der Kommunistischen Partei auszuliefern. (…) Ich vertraue ihr nicht und ich würde allen demokratischen Regierungen dazu raten, mit diesem Vertrauen sparsam umzugehen.” [7]

Amerika und China stehen für unterschiedliche Ideologien, die eingesetzten Mittel zum eigenen Vorteil aber sind die gleichen.

Letzten Endes haben wir also die Wahl: Wir lassen uns von der kommunistischen Partei Chinas ausspionieren, u.a. auch über Alibaba, Lenovo, Haier, Vivo, Xiaomi, oder wir überlassen dies den amerikanischen Hightech- und Social Media-Konzernen. Amerika und China stehen für unterschiedliche Ideologien, die eingesetzten Mittel zum eigenen Vorteil aber sind die gleichen. Ergo liesse sich aus fatalistischer Perspektive argumentieren, der Staat könnte sich aus der Verantwortung nehmen, was den Datenschutz zugunsten der Schülerschaft betrifft. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Ein demokratisches Staatswesen hat die Grundrechte der Bürger zu schützen
Wir sind ein demokratisches Staatswesen, das im Wesentlichen die Aufgabe hat, dessen Bürger und deren Grundrechte zu schützen, also u.a. die Privatsphäre [8] und die persönliche Freiheit [9]. Letztere allerdings ist heutzutage gefährdet. Denn Freiheit, insbesondere Wahlfreiheit innerhalb eines demokratischen Rahmens, basiert auf der Verfügbarkeit möglichst ausgewogener Information. Diese jedoch wird untergraben durch die Filterblasen [10], denen wir uns u.a. auf den Social Media-Plattformen ausliefern. In der Folge verliert die vierte Gewalt, insbesondere die Printmedien, als Informationsdistributorin und Hüterin über die anderen drei Gewalten zunehmend ihre Leserschaft [11], wodurch ihr auch die Werbekunden abhandenkommen. [12] Die dadurch entstehenden Manipulationsmöglichkeiten mittels Datenauswertung auf Google, Facebook & Co. führen sodann unmittelbar zu Donald Trump [13] und Brexit. [14]

Wahl zwischen Sodom und Gomorrha

Ein Spannungsverhältnis

Trotz dieser Problematik steht der demokratische Staat, was den Datenschutz betrifft, also in der Verantwortung gegenüber den Schülerinnen und Schülern. Es geht ihn aber nichts an, was diese im Privaten tun, wem sie also freiwillig ihre persönlichen Daten überlassen unter Gefahr der Manipulation. Das sind persönliche Entscheide auf Grundlage individueller Freiheit innerhalb eines demokratischen Staatswesens. Der Rechtsstaat hingegen bzw. dessen Organisationen, wie die Volksschule, darf seine Bürger weder aktiv noch passiv über Dritte überwachen oder manipulieren. Ein Spannungsverhältnis besteht hier zwischen staatlicher Schutzpflicht und persönlicher Freiheit einerseits sowie zwischen staatlicher Schutzpflicht und diesbezüglich abnehmender staatlicher Fähigkeit andererseits.

Vor die Wahl gestellt zwischen Social Media bzw. Gratisapps einerseits und Schutz vor Datenklau andererseits würde sich die Mehrheit vermutlich für das Gratisspielzeug entscheiden.

Die Digitalisierung schreitet so rasch voran, dass ein demokratisch organisierter Staat gesetzgeberisch damit kaum Schritt halten kann. Dies ist mit ein Grund, warum Demokratien vermehrt unter Druck geraten. [15] Paradox dabei ist, dass Google, Facebook, Whatsapp & Co. die Demokratie genauso aushöhlen wie etwaige Versuche, diese Aushöhlung staatlicherseits zu unterbinden. Denn für dieses Unterfangen gäbe es voraussichtlich keine demokratische Legitimität: Vor die Wahl gestellt zwischen Social Media bzw. Gratisapps einerseits und Schutz vor Datenklau andererseits würde sich die Mehrheit vermutlich für das Gratisspielzeug entscheiden. Demokratie fusst letztlich auf freiem Willen, mit dem sie sich folglich aushebeln lässt. Die Algorithmen der Datenkraken kommen der menschlichen Natur anscheinend näher als die Idee des freien Willens. Haben die Neurologen somit Recht, die dessen Existenz mit weitreichenden Folgen in Frage stellen. [16]

 

[1] http://www.edk.ch/dyn/32636.php

[2] https://www.macwelt.de/a/apple-wir-verkaufen-keine-nutzer-daten-erst-ab-9-mrd-usd,3439674

[3] https://www.watson.ch/digital/analyse/445028003-datenschutz-als-killerfeature-und-was-apple-aendern-muss

[4] https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-05-24/apple-sued-for-selling-customers-itunes-information

[5] https://androidmag.de/news/branchen-news/die-10-groessten-smartphone-hersteller/

[6] https://www.produktion.de/wirtschaft/diese-10-unternehmen-haben-bei-5g-die-nase-vorn-101.html

[7] https://www.srf.ch/news/international/chinas-machtanspruch-xi-jingping-erfindet-die-diktatur-digital

[8] Schweizerische Bundesverfassung, Artikel 13, Absatz 2: “Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.” https://www.bv-art.ch/art-13-schutz-der-privatsphare.html

[9] https://www.bv-art.ch/art-10-recht-auf-leben-und-auf-personliche-freiheit.html

[10] Filterblasen entstehen, “weil Webseiten versuchen, algorithmisch vorauszusagen, welche Informationen der Benutzer auffinden möchte – dies basierend auf den verfügbaren Informationen über den Benutzer (beispielsweise Standort des Benutzers, Suchhistorie und Klickverhalten). Daraus resultiere eine Isolation gegenüber Informationen, die nicht dem Standpunkt des Benutzers entsprechen.” Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase

[11] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/printmedien-verlieren-ihre-leser

[12] https://mmm.verdi.de/medienwirtschaft/weniger-werbeeinnahmen-fuer-printmedien-43163

[13] https://www.arte.tv/de/videos/082806-000-A/fake-america-great-again/

[14] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/beeinflusste-cambridge-analytica-verbindung-den-brexit-entscheid

[15] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/strategiepapier-doping-fuer-diktaturen-auswaertiges-amt-warnt-vor-gefahren-durch-digitale-technologien/25195492.html

[16] https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/tid-13397/forschung-wieso-freier-wille-eine-illusion-ist_aid_370853.html

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