Maturitätsreform - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 16 Feb 2024 06:45:31 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Maturitätsreform - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 St. Galler Gymnasiasten werden künftig im Denken-Denken beübt https://condorcet.ch/2024/02/st-galler-gymnasiasten-werden-kuenftig-im-denken-denken-beuebt/ https://condorcet.ch/2024/02/st-galler-gymnasiasten-werden-kuenftig-im-denken-denken-beuebt/#comments Fri, 16 Feb 2024 06:45:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=15958

Der Nebelspalter-Journalist, Daniel Wahl berichtet über ein neues Fach in den Gymnasien des Kantons St.Gallen, das - nicht zur Freude einiger Lehrkräfte - ab August 24 eingeführt werden soll.

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Die Fakten: Die Gymnasien in St. Gallen müssen gegen den Willen der Mehrheit der Mittelschullehrer das Fach mit dem Namen «Grundlagen für reflektiertes Denken» einführen.

Daniel Wahl, Journalist des Nebelspalters: Das neue Fach raubt Ressourcen.

Warum das wichtig ist: Der Stundenplan der Gymnasien, der im Zuge der Maturitätsreform mit neuen Fächern wie «Bildung für nachhaltige Entwicklung», «Informatik, Wirtschaft und Recht» ausgebaut wird, erfährt in St. Gallen mit dem neuen Fach «Grundlagen für reflektiertes Denken» eine zusätzliche Erweiterung.

  • Die Ausrichtung des neuen Fachs wird von Worthülsen, beziehungsweise von Begriffen mit wenig konkreten Inhalten, begleitet: Man will die «allgemeine Studierfähigkeit verbessern», die «Gesellschaftsreife vertiefen», die «Fähigkeiten zum logischen, abstrahierenden und analogen Denken fördern».
  • Weil keine zusätzlichen Ressourcen vorhanden sind, führen die Zusatzlektionen für «reflektiertes Denken» zu einem Stundenabbau bei den Grundlagenfächern Deutsch, Mathematik und der zweiten Landessprache sowie in den Fächern Englisch, Biologie, Chemie und Physik.
  • Der Lehrplan für das Fach, das ab August 2026 auf dem Stundenplan stehen wird, ist zurzeit in Ausarbeitung.
  • Auch die Kantone Bern, Luzern und Solothurn sind bestrebt, «Reflektiertes Denken» als eigenständiges Fach an ihren Gymnasien einzuführen.

Der St. Galler Bildungsrat begründete seinen Entscheid:

O-Ton: «Wer in der heutigen und künftigen Welt ein selbstbestimmtes Leben führen will, seine Meinungen an der Wahrheit und seine Überzeugungen und Handlungen an reflektierten Werten ausrichten will, wer sich kompetent informieren, am aktuellen Stand der Wissenschaft orientieren und auf dieser Grundlage verantwortungsbewusst, demokratisch teilnehmen möchte, muss kritisch oder reflektiert denken können.»

Widerstand der Lehrer

Die Mehrheit der Mittelschullehrer hätte das Fach «Grundlagen für reflektiertes Denken» nie eingeführt. Eigentlich hatten die Mittelschullehrer das Totschlagargument auf ihrer Seite, als ihnen das St. Galler Bildungsdepartement die Idee unterbreitete: «Das machen wir alle. Schon lange.»

Die Germanisten schrieben in ihrer Vernehmlassung sogar:

«Wir lehnen das Fach ‹Critical Thinking› [so hiess das Fach in der ursprünglichen Konzeption] ab, verweisen darauf, dass das Fach Deutsch Wesentliches zum kritischen Denken beiträgt und fordern die Lektionen für uns zurück.»

Ohnehin sind die Bildungsziele seit 1995 im Gesetz über die Anerkennung der Maturitätsabschlüsse (Art. 5) festgelegt.
  • Die Gymnasien fördern die Schüler im Hinblick auf «selbstständiges Urteilen».
  • Die Gymnasien bringen die Schüler zu jener persönlichen Reife, die Voraussetzung für ein Hochschulstudium ist und die sie auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft vorbereitet.
  • Die Schulen fördern die Intelligenz, die Willenskraft, die Sensibilität in ethischen und musischen Belangen sowie die physischen Fähigkeiten.

Wer streitet ab, dass die Gymnasien dies nicht schon seit Jahrzehnten tun?

Philosoph weibelt für «sein» Fach

Dominique Kuenzle, Philosph und Lehrer: Fähigkeit zur Selbstreflexion gehört zu den Zielen der Bildung.

Promotor des Fachs «Reflektiertes Denken» ist der Gymnasiallehrer für Philosophie, Dominique Kuenzle, der an der Kantonsschule in Wil (SG) unterrichtet. Kuenzle ist auch Privatdozent an der Universität Zürich und macht sich dort unter anderem in den Arbeitsgebieten Feministische Philosophie, Erkenntnistheorie und «Critical Thinking» stark.In seiner letzten wissenschaftlichen Publikation, die 20 Seiten umfasst, schreibt er:

O-Ton Kuenzle: «Die Fähigkeit und Motivation zur kritischen Selbstreflexion und vernünftigen Meinungsbildung gehört unbestritten zu den Hauptzielen schulischer Bildung.»

  • Mit seinen Beziehungen zum Bildungsrat hat Kuenzle seine Leidenschaft zu einem gymnasialen Fach ausbauen können.
  • Kuenzle hat sich eine neue Einnahmequelle gesichert: Unter anderen wird er künftig die Lehrer in «Reflektiertes Denken» aus- und weiterbilden dürfen, wie der St. Galler Bildungsrat Klaus Rüdiger bestätigt.

Der Germanist, Professor Mario Andreotti, steht der Einführung des Fachs sehr kritisch gegenüber. Dass er die Initianten des Fachs auf gymnasialer Ebene schon mehrfach darauf hingewiesen hat, es handle sich beim Namen «Reflektiertes Denken» linguistischer Sicht um eine Tautologie, ist für ihn noch das geringste Übel.

«Gibt es Reflexion ohne Denken, oder was soll Denken ohne Reflexion – haben die Bildungsräte nicht über diesen sprachlichen Unsinn nachgedacht», spottet er. Aber zur Sache argumentiert er:

  • Reflektiertes Denken sei eng an das angelsächsische Fach «Critical Thinking» angelehnt. Man habe mit der Umbenennung zu «Reflektiertem Denken» bloss Abstand vom ideologischen Hintergrund dokumentieren wollen, der die Disziplin «Critical Thinking» begleitet. Es handle sich also um eine Tarnung.
  • Jedes Fach müsse zum Denken führen, das gehöre zum Wesen des Unterrichts.
  • Das neue Fach raubt dort die meisten Ressourcen, wo es die Schüler am nötigsten hätten: in Deutsch – im Lese- und Textverständnis, das heisst in der Sprachkompetenz.
  • Das Fach werde bereits im zweiten Schuljahr am Gymnasium eingeführt, gemäss Andreotti eindeutig zu früh.
  • Das Fach signalisiere ein völlig einseitiges Menschenbild. Man glaubt, der Erfolg und die Probleme könnten nur mit der Ratio gelöst werden und man berücksichtige nicht, dass Entscheide meist auch emotional gefällt werden. Andreotti sagt: «Die emotionalen Momente des Menschen sind ausgeklammert. Die Ziele des Fachs sind rein abstrakt, sie erfassen nicht den ganzen Menschen, der auch ein Wesen mit Seele und Herz ist.» Das Fach «Reflektiertes Denken geht von einer Idealvorstellung vom Schüler aus, die mit der schulischen Realität wenig zu tun hat.

Die Namensgebung des neuen Fachs hält Bildungsrat Klaus Rüdiger auch nicht ganz geglückt, stellt sich aber hinter die Einführung und unterstützt aber die inhaltliche Ausrichtung des neuen Fachs:

O-Ton Rüdiger: «Wir sind der Meinung, dass kritisches und reflektiertes Denken systematisiert unterrichtet werden muss.»

Laut Rüdiger müsse die Einführung des Fachs im Gesamtkontext der Maturitätsreform betrachtet werden. Es sei eingebettet im St. Galler Reformprogramm «Gymnasiums der Zukunft», welches auch die Stärkung der Deutsch- und Mathematikkompetenzen zum Ziel habe.

  • Um das Deutsch-Manko zu verbessern, habe der Kanton St. Gallen das digitale Lerntool «Lernnavi» entwickelt.
  • Man wolle vom 45-Minuten-Unterricht wegkommen und vermehrt grössere Lerneinheiten (flexible Lernformate) einführen. Dort könnten die Kompetenzen aus den Grundlagenfächern konzentriert vermittelt werden.

Für Andreotti ist die Einführung des Fachs «reflektiertes Denken» letztlich ein Ausdruck eines heimlichen, aber nicht zugestandenen Misstrauens gegenüber den Gymnasien, das den Bildungsrat bei der Evaluation begleitet habe – das Misstrauen, dass die Maturanden in Bezug auf die überfachlichen Kompetenzen, wie etwa kritisches Denken, ungenügend für das Hochschulstudium vorbereitet seien.

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Maturitätsreform – Der Weg zu einer besseren Matura? https://condorcet.ch/2022/12/maturitaetsreform-der-weg-zu-einer-besseren-matura/ https://condorcet.ch/2022/12/maturitaetsreform-der-weg-zu-einer-besseren-matura/#respond Sat, 17 Dec 2022 13:54:00 +0000 https://condorcet.ch/?p=12656

Gastautor Mario Andreotti analysiert den Vorschlag der Maturtätsreform, der derzeit in der Vernehmlassung ist. Er bezweifelt, ob die Studierfähigkeit mit einer Aufteilung des Gymnasiums in eine Grund- und in eine Vertiefungsphase, in der viele Fächer wegfallen, erreicht wird.

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Mario Andreotti, Dozent für Neuere deutsche Literatur und Buchautor («Ein Kultur schafft sich ab»): Critical Thinking» als eigenes Fach ist mit Verlaub Unsinn.

Ist die Matura zu einfach? Diese Frage wird in letzter Zeit häufig gestellt, die Qualität der gymnasialen Matura von verschiedenen Seiten immer wieder in Zweifel gezogen. Es kommen heute zu viele an unsere Hochschulen, deren Studierfähigkeit fraglich ist. Vor allem in den beiden Grundlagenfächern Deutsch und Mathematik sind die Defizite teilweise eklatant. Das hat, wie schon 1995 bei der letzten Maturitätsreform, die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren bewogen, verschiedene Reformvorschläge zur «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität» ausarbeiten zu lassen. Es sind Vorschläge, die zu Recht nicht bei allen Betroffenen auf Gegenliebe stossen. Doch worum geht es konkret?

Die neue Maturitätsreform, die zurzeit in der Vernehmlassung ist, zielt zwar nicht auf einen radikalen Umbau des Gymnasiums ab; trotzdem wird sie den gymnasialen Unterricht spürbar verändern. Es handelt sich um eine deutliche Ausweitung des Fächerkanons, um eine Umgestaltung des Wahlpflichtbereichs mit einer Vielzahl neuer Kombinationsfächer. Dazu kommt die Zweiteilung des Gymnasiums in einen je zweijährigen Grundlagen- und einen vertiefenden Wahlpflichtbereich, in dem viele Fächer nicht mehr unterrichtet würden. Und nicht zuletzt steht eine Erhöhung der Zahl der Maturitätsprüfungsfächer sowie eine Verschärfung der Bestehensnormen zur Diskussion.

Mit der neuen Maturitätsreform soll die Studierfähigkeit verbessert, der prüfungsfreie Übertritt an unsere Hochschulen gesichert werden.

Vor allem gegenüber dem Vorschlag, den Weg zur Matura in eine Grund- und in eine Vertiefungsphase zu unterteilen, gibt es vonseiten der Mittelschullehrkräfte, aber auch der Universitäten zu Recht ernste Bedenken. Die Zweiteilung der gymnasialen Ausbildung würde dazu führen, dass die Fächerdichte in den ersten zwei Jahren enorm gross wäre und dass andererseits in der Vertiefungsphase gerade jene Fächer wegfielen, die für ein Universitätsstudium unerlässlich sind. Vergessen wir nicht, dass neue Grundlagenfächer wie Informatik, Wirtschaft und Recht, Religion oder Philosophie dazu kommen sollen und dass es überdies um eine Stärkung der MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik geht. Das Gymnasium soll so anspruchsvoller werden. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn da nicht die Lehrpläne mit Stoff überfrachtet würden, so dass die notwendige Vertiefung in den einzelnen Fächern darunter zu leiden hätte. Es kann zudem nicht sein, dass der Fächerdichte wegen Kernfächer wie Deutsch und Mathematik weniger Lektionen hätten, und dies obwohl in Hochschulkreisen seit langem beklagt wird, dass zu viele Maturi und Maturae schriftliche Texte nur fehlerhaft hinbekommen und zu geringe Mathematikkenntnisse aufweisen. Nehmen wir auch das Fach Geschichte, das in der Vertiefungsphase, also in den letzten beiden Jahren, als Pflichtfach nicht mehr unterrichtet würde. Dabei wissen wir, dass gerade Geschichte, wenn es um historische Zusammenhänge geht, ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetzt, das junge Menschen erst relativ spät erreichen. Es ist zu befürchten, dass sich der fatale Niedergang dieses Schulfachs mit der Maturitätsreform fortsetzt.

In der Vertiefungsphase sollen die Selbst- und Sozialkompetenzen sowie interdisziplinäres Arbeiten optimal gefördert werden. Daher wohl das neue «interdisziplinäre Vertiefungsfach» und das Fach «Critical Thinking», wie sie in der St. Galler Stundentafel «gemäss Gymnasium der Zukunft» aufgelistet sind. Beide Fächer sind inhaltlich jedoch derart vage, dass sie schnell in reine «Schwatzfächer» ausarten können. Dazu kommt, dass «Critical Thinking» als eigenes Fach, mit Verlaub, Unsinn ist, denn kritisches Denken muss pädagogisches Ziel aller Fächer sein.

Mit der neuen Maturitätsreform soll die Studierfähigkeit verbessert, der prüfungsfreie Übertritt an unsere Hochschulen gesichert werden. Ein fraglos unabdingbares Ziel. Ob es aber mit einer Aufteilung des Gymnasiums in eine Grund- und in eine Vertiefungsphase, in der viele Fächer wegfallen, eher erreicht wird als mit dem Status quo, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden.

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Schweizer Maturität – Quo vadis? https://condorcet.ch/2022/09/schweizer-maturitaet-quo-vadis/ https://condorcet.ch/2022/09/schweizer-maturitaet-quo-vadis/#respond Fri, 02 Sep 2022 12:50:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=11345

Praktisch geräuschlos läuft im Moment eine Vernehmlassung im Rahmen der sogenannten „Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität“ (WEGM). In einem ersten Schritt geht es um die Reform des Maturitätsanerkennung-Reglements resp. der -Verordnung (MAR/MAV, im Grunde deckungsgleich). Ein weiterer Reformschritt wird in einem Jahr folgen, wenn es um einen neuen gesamtschweizerischen Rahmenlehrplan (RLP) gehen wird, wofür lediglich noch eine „Anhörung“ geplant ist. Wieso diese Reformen? Gastautor René Roca analysiert diese neuste Reformbestrebung und stellt sie in einen grösseren Zusammenhang.

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Reformen ohne Not

René Roca, Gymnasiallehrer für Geschichte in Basel: Die bisherigen Reformen der Volksschule und auch der „Bologna-Prozess“ an den Hochschulen müssen kritisch hinterfragt werden.

Die massgebenden Akteure dieses Reformprozesses, das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), begründen die Reformschritte damit, dass sich „das schweizerische Bildungssystem in den letzten Jahrzehnten tiefgreifend verändert“ habe. Das ist durchaus der Fall. In diesem Kontext wird explizit auf das Harmos-Konkordat, auf die neuen sprachregionalen Lehrpläne der obligatorischen Schule (u.a. Lehrplan 21) und auf den Bologna-Prozess an den Hochschulen verwiesen. Als „letzter Baustein“ muss nun noch die Sekundarstufe II, also neben den Berufsschulen und dem KV auch die Maturitätsschulen ins neue System „eingepasst“ werden. Diese Einpassung, so WBF und EDK, sei nötig,

da sich die Grundlage der gymnasialen Ausbildung seit der letzten Reform 1995 kaum weiterentwickelt hätte. Zudem werden „Megatrends“ wie die Globalsierung und Digitalisierung als Rechtfertigung für die WEGM angeführt, um Reformkritiker gleich vorweg als Ewiggestrige und Technikfeinde abzukanzeln. Die WEGM erfolgt notabene zu einem Zeitpunkt, der die gravierenden Mängel und katastrophalen Auswirkungen der oben erwähnten Reformen deutlich vor Augen führt und deshalb immer mehr Kritiker auf den Plan ruft, die mittlerweile auch in den Medien Gehör finden.

In den letzten 25 Jahren gab es immer wieder sinnvolle Teilrevisionen des MAR (z.B. Einführung von Informatik als obligatorisches Fach). Eine grundlegende Reform ist absolut nicht zwingend, die Reform erfolgt also ohne Not.

Entscheidend für ein Gelingen des Bildunsprozesses ist die zentrale Rolle der Lehrperson; diese wird aber mit den Reformen weiter geschwächt.

Ausrichtung auf Kompetenzen

Der Entwurf zur Maturreform tangiert das Selbstverständnis von Bildung im weitesten Sinne.

Die Schweizer Maturität hat weltweit vorläufig noch einen sehr guten Ruf. Wieso aber werden die Reformen trotzdem durchgezogen? Insgesamt unterwirft sich die WEGM unkritisch den genannten „Megatrends“, um eine Internationalisierung der Bildung zu erreichen. Sie ist letztlich eine blosse Anpassung an das bereits gescheiterte angelsächsische Modell, das den Fokus nur noch auf Kompetenzen legt und den Bildungs- und Wissensbegriff weiter entleert. So wird die Ausrichtung auf Kompetenzen im MAR erstmals erwähnt und initialisiert; für den neuen, völlig überfrachteten RLP sind Kompetenzen schlicht die Grundlage. Wohin führt das? Entscheidend für ein Gelingen des Bildunsprozesses ist die zentrale Rolle der Lehrperson; diese wird aber mit den Reformen weiter geschwächt. Zweifellos führen diese auch zu mehr Kontrolle und Steuerung, also zu mehr Gängelung von Oben und einer Vertiefung der Top-Down-Strategie. Das ist gut für die Bildungsbürokratie des Bundes und der Kantone, aber schlecht für die Lehrpersonen. Die nächsten Reformschritte, so etwa die grundsätzliche Infragestellung des Fächerkanons (ähnlich wie bei der KV-Reform), sind schon in der Pipeline.

Ablehnung der WEGM – eine Grundsatzdiskussion ist nötig

Die ganze Reform läuft nach einem bewährten Strickmuster ab: ein überrissenes Reformpaket wird durch kurzfristig terminierte „Konsultationen“ und eine Vernehmlassung gejagt. Das Paket wird dann etwas abgespeckt, der Rest wird aber durchgedrückt, ein letztlich intransparentes und undemokratisches Verfahren. Was tun?

Falls das erste Ziel der gymnasialen Maturität, nämlich der „prüfungsfreie Zugang zu den universitären und pädagogischen Hochschulen“ schweizweit auf lange Sicht weiterhin erreicht werden soll, müssen die bisherigen Reformen der Volksschule und auch der „Bologna-Prozess“ an den Hochschulen kritisch hinterfragt werden. Die alleinige Fixierung auf letztlich ideologisch motivierte „Kompetenzen“ ist zu revidieren und Lernziele sind wieder mit einem vernünftigen Wissensbegriff klarer zu fassen. Nur so kann ein humanistischer Bildungsbegriff zurück gewonnen werden, der die Qualität der Gymnasien langfristig sichert und die kontinuierliche Niveausenkung stoppt. Zudem würde so auch das zweite Ziel der gymnasialen Maturität, die „vertiefte Gesellschaftsreife“, wieder in greifbarere Nähe rücken.

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