Lehrkräfte - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 15 Mar 2024 13:43:01 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Lehrkräfte - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Zu viele deutsche Lehrer sind arm – an Kompetenz https://condorcet.ch/2024/03/zu-viele-deutsche-lehrer-sind-arm-an-kompetenz/ https://condorcet.ch/2024/03/zu-viele-deutsche-lehrer-sind-arm-an-kompetenz/#comments Fri, 15 Mar 2024 13:43:01 +0000 https://condorcet.ch/?p=16179

Seit 25 Jahren befindet sich das deutsche Bildungswesen in einer Abwärtsspirale. Die jüngsten PISA-Ergebnisse markieren den bisherigen Tiefpunkt. Man hat sie schnell durch Migration und Lockdown erklärt, doch das greift zu kurz. Vom Kindergarten bis zum Abitur hat ein ideologisch begründeter Wandel stattgefunden, der die Qualität von Erziehung und Unterricht gesenkt hat. Die Einstellungen der Bildungspolitiker und -forscher müssen sich ändern, damit unsere Kinder wieder etwas Handfestes lernen können. In einer fünfteiligen Serie erklärt die Sonderpädagogin und heilpädagogische Psychologin Miriam Stiehler, woher diese Fehlentwicklungen kommen, wie sie sich auf Schüler auswirken und was sich ändern muss. Wir bringen den vierten Teil der Serie, die im Cicero erschienen ist.

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Schlecht vorbereitete Erstklässler treffen auf mangelhaft ausgebildete Lehrer mit unsachgemässen Methoden und ungeeigneten Schulbüchern. Deshalb wird mehr Geld unser Bildungssystem nicht retten. Wir geben nicht zu wenig Geld aus, sondern für die falschen Dinge. Deutsche Lehrer lernen: Es ist egal, ob Unterricht sachgemäss ist, solange er ideologisch und methodisch gefällt. Dieselbe ideologische Entwicklung, die die GenZ hervorgebracht hat, hat damit das Bildungswesen entkernt. Heutige Bildungsideale sind irrational, sensualistisch und von Verachtung für undiskutierbar eindeutige Strukturen wie Grammatik, Rechtschreibung und Rechenverfahren geprägt. Sie rücken wertvolle Kerninhalte in den Hintergrund und fördern stattdessen volkserzieherische Bemühungen woker und links-grüner Prägung.

Gastautorin Miriam Stiehler

Prägnantes Beispiel: Wir haben in Deutschland über 170 Gender-Lehrstühle, aber nicht einmal einen Lehrstuhl für Rechtschreib-Unterricht pro Bundesland! Wir müssen uns nicht wundern, dass einerseits Schüler nicht mehr richtig schreiben lernen, während andererseits schon in der 5. Klasse seelisch schwer angeschlagene Buben mit Röckchen und Lippenstift sitzen. Der Leistungsgedanke und Kerninhalte wie Lesen, Schreiben, Rechnen wurden erfolgreich als repressiver Kanon des alten weissen Mannes gebrandmarkt. Es erscheint daher legitim, sie zu vernachlässigen. Folglich fehlt es Lehrern an fachlicher Urteilsfähigkeit.

Hantieren ist nicht Handlungsorientierung

Wissen sachgemäss zu vermitteln setzt beim Lehrer Bescheidenheit voraus. Die uns übrigens alte weisse Männer gelehrt haben. Man muss die Struktur dessen, was man lehren will, erst einmal begreifen. Hans Aebli, der wichtigste Schüler von Jean Piaget, war der letzte brillante deutschsprachige Didaktiker, der noch selbst unterrichtet hat. Heutzutage erzählen uns selbsternannte “Experten” wie Gerald Hüther oder Richard David Precht, wie man Schulen reformieren müsse. Doch weil man versteht, wie ein Gehirn aufgebaut ist, ist man noch lange kein guter Lehrer oder gar Bildungsexperte. Der Kniechirurg weiss viel mehr über die Beine des Skifahrers als dieser selbst – aber das macht ihn nicht zum idealen Trainer für die WM-Mannschaft.

Aebli stellte klar: Lehrer müssen die geistige Operation, also die kognitive Handlung, verstehen, die man tut, wenn man z.B. den Umfang und Inhalt einer Fläche berechnet. Sein erstes Buch dazu erschien bereits 1951. Es ermöglichte einen interessanten, im guten Sinne handlungsorientierten und differenzierten Unterricht, aber in Deutschland machte man daraus nur eine triviale und falsch verstandene “Handlungsorientierung”, derzufolge Kinder immer mit irgendwas hantieren müssen.

Wenn Studenten auf dem Boden kriechen

In meinem eigenen Lehramts-Studium sollten wir 1999 wertvolle Noten für die Durchführung eines Bewegungsliedes erhalten. Ich beschloss, das auf die Spitze zu treiben, damit die Dozentin die Niveaulosigkeit dieser Form “akademischer” Bewertung einsähe. Nachdem ich 25 Studenten samt Dozentin über das dreckige Linoleum des Seminarraums kriechen liess, während sie pantomimisch Insekten darstellen mussten, bekam ich eine 1. Es war unfassbar.

Ähnlich ist es im Referendariat. Es ist keineswegs vorgesehen, dass der Prüfer kontrolliert, ob die gezeigte Unterrichtsstunde bei den Schülern zu einem Lernfortschritt führt! Was zählt, ist Sensualismus – gibt es etwas zu riechen, zu schmecken, zu tasten? In der Praxis schwören viele Referendare auf exotische Arbeitsmittel – besonders für gute Noten im 2. Staatsexamen. Unterrichtsplanung beginnt für viele Referendare nicht mit der Frage “Was ist die geistige Struktur des Lerninhalts?”, sondern mit “Hat schonmal jemand von euch mit dem heissen Draht Styropor geschnitten? Damit könnte ich mal was machen.” Wohlgemerkt: Wir sprechen vom Deutschunterricht. Die erwachsenen Akademiker im Referendariat erhalten in vielen Bundesländern zwei Jahre lang keine Einsicht in ihre Noten, sondern bekommen Feedback-Smileys und rein subjektive Notizen als Rückmeldung. Professionalisierung geht anders.

Wir haben in Deutschland über 170 Gender-Lehrstühle, aber nicht einmal einen Lehrstuhl für Rechtschreib-Unterricht pro Bundesland! Wir müssen uns nicht wundern, dass einerseits Schüler nicht mehr richtig schreiben lernen, während andererseits schon in der 5. Klasse seelisch schwer angeschlagene Buben mit Röckchen und Lippenstift sitzen.

 

In diesem System lernen Lehrer nicht, sachgemäss zu unterrichten. Im Studium lernen sie ideologisch geprägte Verachtung rationalistischer Methoden. Und im Referendariat lernen sie, die willkürlichen Anforderungen von Vorgesetzten zu erfüllen. So prägen sie sich ein, dass es egal ist, was ihre Schüler lernen, solange es “eine schöne Stunde” war. Aktuelle Lehrveranstaltungen an der Exzellenz-Universität LMU in München für angehende Deutschlehrer spiegeln dies wider. Belegen kann man “Magic Moments”, “Wertschätzende Rückmeldekultur”, “Social Media im Deutschunterricht einsetzen” oder “Grammatik angstfrei vermitteln”. Nur eines von 33 Seminaren bietet für gerade einmal 20 Teilnehmer einen Platz im Kurs “Grundlagen der Lesedidaktik und Leseförderung”. Den führt ein wissenschaftlicher Mitarbeiter durch – Professoren haben Wichtigeres zu tun.

Rasierschaum auf der Schulbank

Natürlich zeigt sich die fehlende Fachlichkeit im Unterrichtsalltag. Auf Facebook fragt eine Lehrkraft ihre Grundschul-Gruppe, wie man den Buchstaben “R” am besten einführt. Antworten der Kolleginnen: die Schulbänke mit Rasierschaum beschmieren und darin Rs mit dem Finger malen, Rollbrett fahren im Klassenzimmer oder Raketen basteln.

Die Vorschläge selbst zeigen Sensualismus und einen eklatanten Mangel an Respekt vor der Lernzeit der Kinder, die man mit solch unnützen Aktionen verschwendet. Sie zeigen aber auch: Diese Lehrer denken beim “R” alle nur an das gerollte “R” am Wortanfang. Das ist nicht schwierig. Probleme haben Kinder mit dem vokalisierten “r” wie in “Wurm” (typischer Fehler: “Wuam”) und der extrem häufigen Wortendung “-er”. Dort steht das “e” zusammen mit dem “r” für den Laut [ɐ]. In beiden Fällen darf man es keinesfalls als gerolltes “r” sprechen. Das sind die wirklich wichtigen didaktischen Punkte beim “r”. Die ihnen entgegengebrachte Ignoranz spricht Bände.

Wenn schlechter Unterricht krank macht

Im Bereich Mathematik ist es nicht anders. Die grösste Kompetenz für Mathematik-Unterricht findet man heute bei den Mathematischen Instituten, die Kinder mit Rechenschwäche “therapieren”, also per Einzelunterricht die Kollateralschäden unseres Schulsystems beheben. Prof. Michael Gaidoschik von der Universität Bozen ist der führende Autor in diesem Bereich. Experten wie er fordern seit vielen Jahren eine wesentliche Lehrplanänderung. Man solle endlich aufhören, in der 1. Klasse nur bis zur 20 zu rechnen. Stattdessen wäre es notwendig, das Dezimalsystem bis 100 als Notationsform und Grundprinzip zu vermitteln, denn wenn man das Prinzip verstanden hat, ist 84 keine schwierigere Zahl als 14.

“Rechnet” man über ein Jahr lang nur bis zur 20, zählen schwache Schüler nämlich statt zu rechnen, und in der 2. Klasse nutzen sie andere “Tricks”. Dadurch fällt meist erst in der 3. Klasse auf, dass sie das Dezimalsystem nicht verstanden haben. Weil das dann aber als “nicht altersgemäss” gilt, ist es leicht, bei ihnen nun “Dyskalkulie” zu diagnostizieren. Diese Diagnose dient nicht immer, aber oft als Hintertürchen, durch das sich inkompetente Lehrkräfte der Verantwortung für die Folgen ihres Unterrichts entziehen.

Ein gutes Schulbuch zeigt der Lehrkraft, was genau es zu erarbeiten gibt, welche Fragen zielführend sind und von welchen Beispielen, Tafelbildern usw. sie ausgehen kann. Es listet reichlich effiziente Übungen in aufsteigender Schwierigkeit auf.

 

Bei meiner Berufung in die Kommission, die die AWMF-Leitlinien für die Diagnostik von Dyskalkulie überarbeitet hat, musste ich feststellen, dass diese zu 90% mit Vertretern von Lobbies und Psychiatrie besetzt war. Diese haben gar kein Interesse an Verbesserungen im Unterricht, weil ihre Pfründe von einer hohen Zahl an vermeintlich gestörten Kindern abhängen. Entsprechend werden auch didaktogene, also durch den Unterricht verursachte Störungen kaum erforscht.

Da jedoch in aller Regel sowohl Legasthenie als auch Dyskalkulie durch übungsintensiven Einzelunterricht “geheilt” werden, ist sachlogisch klar: Das Hauptproblem ist der Unterricht und nicht das Kind. Eine der häufigsten didaktischen Ursachen für Rechenschwäche ist der Klappfehler. Er ist in Sachbüchern für Mathematiklehrer seit den 1990er Jahren zu finden, aber Fehleranalyse spielt in der Lehrerausbildung nach wie vor praktisch keine Rolle. Man kann jedoch nicht individuell angemessen benoten und fördern, wenn man Fehler nicht analysiert, also nicht versteht, worin der Irrtum eines Kindes bestand beziehungsweise besteht.

Schulbücher sind ungenügend

Nun könnte sich eine schlecht ausgebildete, aber motivierte Lehrkraft an einem guten Schulbuch orientieren, um trotz ihrer Schwächen zufriedenstellend zu unterrichten. Ein gutes Schulbuch zeigt der Lehrkraft, was genau es zu erarbeiten gibt, welche Fragen zielführend sind und von welchen Beispielen, Tafelbildern usw. sie ausgehen kann. Es listet reichlich effiziente Übungen in aufsteigender Schwierigkeit auf. Es ist von Fachleuten mit langjähriger Unterrichtserfahrung geschrieben und bietet einen roten Faden durch ein oder mehrere Schuljahre. Dies leisteten z.B. die 40 Jahre lang erfolgreichen bayerischen Mathematikbücher von Walter & Feuerlein.

Leider haben wir kaum noch solche Schulbücher. In Deutschland muss der Verlag nur die theoretische Kompatibilität mit dem Lehrplan belegen, während man in Japan Schulbücher an Modellschulen erprobt. Ausgerechnet die grundlegenden Bücher für 1.-4. Klasse zeigen gravierende Mängel. Die Fibel “Karibu” z.B. leitet ihren Namen nicht vom kanadischen Rentier ab, sondern bezieht sich auf Swahili, wo das Wort “Willkommen” bedeutet. Die Multi-Kulti-Botschaft ist ein Nebeneffekt.

Hauptsächlich kommt die Morphologie von Swahili den Autoren entgegen, da sie dem sog. Silbenkonzept anhängen, dem goldenen Kalb der aktuellen Grundschuldidaktik. In Sprachen wie Swahili oder Japanisch enthalten die meisten Wörter nämlich immer abwechselnd einen Konsonanten und einen Vokal, ähnlich wie in “Mama” oder “Oma”. Wörter mit dieser Form sind für Anfänger leicht lesbar. Für das Deutsche typisch sind jedoch Konsonantenhäufungen wie “Fr” oder “rst” und mehrbuchstabige Zeichen für einen einzigen Laut wie “ie”, also Wörter wie “du frierst”. Die sind schwerer zu lesen, aber eben notwendig, um Deutsch zu lernen.

“Drai Moisee UNT ain hUNT GHEeN schpAtzIAN” (“Drei Mäuse und ein Hund gehen spazieren”). Das lässt ahnen, was wir von der Digitalisierung im deutschen Schulwesen erwarten dürfen: Karibu! Willkommen in der Bildungswüste.

 

Das umstrittene Silbenkonzept zerteilt deutsche Wörter künstlich in Bestandteile, in denen Konsonant und Vokal abwechselnd vorkommen, wie z.B. “Af-fe”. Das führt zu falschen Erklärungen wie z.B. der angeblich hörbaren Konsonantenverdopplung in “Af-fe” oder “Tref-fer” und zu einem künstlichen Dehnsprechen, das dem Leseverständnis und der Rechtschreibung schadet (s. Video). Deutschdidaktiker wie Günther Thomé fordern daher seit Langem eine Abkehr vom Silbenlesen, ohne Erfolg.

Neben Silben verwendet die Fibel “Zebra” die hoch problematische Anlaut-Methode aus den 1920er Jahren. Sie ist eng verbunden mit der Unsitte, Schüler so schreiben zu lassen wie sie sprechen. Richtig wäre es, zu lehren, wie man die richtige Wahl aus mehreren akustisch möglichen Schreibweisen trifft. Da dies jedoch als repressiv gilt, können Kinder in der hochmodernen App zur Zebra-Fibel Anlaut-Bilder anklicken und daraus so schöne Sätze wie den folgenden fabrizieren, ohne irgendeine Rückmeldung zu ihren Fehlern zu erhalten: “Drai Moisee UNT ain hUNT GHEeN schpAtzIAN” (“Drei Mäuse und ein Hund gehen spazieren”). Das lässt ahnen, was wir von der Digitalisierung im deutschen Schulwesen erwarten dürfen: Karibu! Willkommen in der Bildungswüste.

 

Literatur:

Aebli, Hans: Psychologische Didaktik, 6. Auflage. Stuttgart 1976

Aebli, Hans: Grundformen des Lehrens, 5. Auflage. Stuttgart 1968

Gaidoschik, Michael: Wie Kinder rechnen lernen – oder auch nicht.

Eine empirische Studie zur Entwicklung von Rechenstrategien im ersten Schuljahr. Frankfurt, 2010.

Gaidoschik, Michael: Rechenschwäche vorbeugen. 1. Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen, 7. Auflage. Wien, 2007

Jank, Werner und Meyer, Hilbert: Didaktische Modelle, 4. Auflage. Berlin, 1997

Lorenz, Jens Holger: Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht; 3. Auflage. Hannover, 1993

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“Wachstumsorientierte Denkweise”: Welche Lehrkräfte von Schülern gemocht werden https://condorcet.ch/2024/03/wachstumsorientierte-denkweise-welche-lehrkraefte-von-schuelern-gemocht-werden/ https://condorcet.ch/2024/03/wachstumsorientierte-denkweise-welche-lehrkraefte-von-schuelern-gemocht-werden/#respond Sun, 03 Mar 2024 18:24:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=16048

Schülerinnen und Schüler mögen freundliche Lehrerinnen und Lehrer, aber sie mögen diejenigen noch mehr, die daran glauben, dass sie sich verbessern können, zeigt eine Studie von Psychologinnen und Psychologen der Washington State University. Wir bringen einen Beitrag der in 4teachers erschienen ist.

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Unabhängig davon, ob Dozentinnen und Dozenten als “warm” und “freundlich” oder als kalt und Studierende nervös machend beschrieben wurden, werden Unterrichtende von den Schülerinnen und Schülern viel positiver aufgenommen, wenn sie eine wachstumsorientierte Denkweise erkennen liessen, d.h. wenn, sie der Meinung Ausdruck gaben, dass sich die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler in einem Fach durch harte Arbeit und das Ausprobieren verschiedener Strategien verbessern könnten.

Studienleiterin Elizabeth Canning

Unabhängig von der höheren Motivation hat das für die jungen Menschen auch weitere praktische Auswirkungen. Sie berichteten, dass sie sich in der Klasse besser zugehörig fühlten, sich nicht so sehr als Aussenseiter fühlten und bessere Chancen hatten, im Fach gut abzuschneiden.

Dies sind die Kernergebnisse einer aktuellen Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um die Washingtoner Psychologinnen Elizabeth A. Canning und Makita White. Für diese Studie präsentierten die Forscher 332 Studenten eine von vier Szenarien, in denen ein Statistikprofessor mit unterschiedlichen Verhaltensweisen und Denkweisen beschrieben wurde. Die Studenten beantworteten dann eine Reihe von Fragen zu ihrer Meinung über den Professor und den von ihm geleiteten Kurs, einschliesslich der Frage, wie wohl sie sich in dem Kurs fühlten und wie gut sie glaubten, dass sie abschneiden würden.

In den Szenarien mit wachstumsorientierter Denkweise erklärte der Professor, dass “jeder Student den Stoff lernen kann”, wenn er oder sie hart arbeitet, aus Fehlern lernt und bei Bedarf Hilfe in Anspruch nimmt. In den Szenarien mit fester Denkweise sagte der Professor, hingegen, dass einige Studierende eine “natürliche Begabung für Statistik” hätten, während andere Studentinnen und Studenten Schwierigkeiten hätten, wenn sie kein “Statistikmensch” seien.

Denkweise der Lehrkräfte erst seit kurzem berücksichtigt

Die Wachstumsmentalität werde oft als Vorteil im Bildungsbereich angepriesen, so die Forscherinnen und Forscher. Die meisten früheren Forschungsarbeiten konzentrierten sich jedoch auf die Motivationsüberzeugungen der Schüler, während die Denkweise der Lehrkräfte erst seit kurzem berücksichtigt werde.

Mit ihrer Studie überprüften sie frühere Ergebnisse, die gezeigt hätten, dass Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte mit einer wachstumsorientierten Denkweise eher als freundlich und warmherzig wahrnehmen.

In der aktuellen Studie reagierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer noch am besten auf eine Lehrkraft, die sowohl als freundlich als auch als wachstumsorientiert beschrieben wurde. Ein “kalter” Lehrer mit einer wachstumsorientierten Denkweise wurde jedoch immer noch positiver aufgenommen als ein “warmer” Lehrer mit einer fixen Denkweise. 

Auch das Gegenteil sei der Fall gewesen. Mehr Teilnehmer reagierten negativ auf eine warme, lächelnde Lehrkraft, wenn sie eine fixe Einstellung vertraten, d. h. die Überzeugung, dass angeborene Fähigkeiten nicht verändert werden können, wie z. B. jemand, der von Natur aus gut in Mathe ist.

“Es reicht nicht aus, einfach nur nett zu sein”, stellt Makita White fest. “Wenn Lehrer ihr Verhalten ändern können, um wärmer zu sein, hat das eine gute Wirkung, aber es ist viel besser, den Schülern eine wachstumsorientierte Denkweise zu vermitteln als eine fixe Denkweise”.

Leistungsunterschiede bei Benachteiligten werden verringert

“Auf einer sehr einfachen Ebene ist es gut, freundlich zu sein, aber die Denkweise, die man den Schülern vermittelt, ist wirklich wichtig. Sie können sogar noch wirkungsvoller sein, als nur freundlich oder einladend zu sein”, pflichtet Elizabeth Canning ihrer Doktorandin bei. Die Ergebnisse deuteten auch darauf hin, dass Lehrer ihre Denkweise für wichtiger halten als ihr Auftreten.

Studien-Co-Leiterin Makita White

Zusätzlich zu dieser Studie hat Cannings Labor Arbeiten durchgeführt, die darauf hindeuten, dass Lehrkräfte mit einer wachstumsorientierten Denkweise die Leistungsunterschiede bei traditionell benachteiligten Gruppen verringern können. So wurde beispielsweise in einer Studie festgestellt, dass Lehrkräfte mit einer fixen Denkweise die Leistung von Frauen in MINT-Kursen untergraben und in einer anderen Studie ein größeres Leistungsgefälle zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft hervorrufen als in Kursen, die von Lehrkräften mit einer wachsenden Denkweise unterrichtet werden.

“Wenn man sich nur auf die Denkweise der Studentinnen und Studenten konzentriert, kann das dazu führen, dass man den Studenten die Schuld gibt, wenn sie also nicht gut abschneiden, kann man sich sagen, dass sie einfach nicht die richtige Denkweise haben”, so Channing. “Indem wir uns ansehen, wie sich die Einstellung der Lehrkräfte und die Kultur auf die Schüler auswirken, können wir den Schülern selbst etwas von der Last abnehmen. Stattdessen können wir uns mehr darauf konzentrieren, wie wir das Umfeld motivierend und förderlich gestalten können, so dass jeder in dieser Klasse erfolgreich sein kann.”

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Warum der Pisa-Studienleiter mit Deutschlands Lehrern hart ins Gericht geht https://condorcet.ch/2024/02/warum-der-pisa-studienleiter-mit-deutschlands-lehrern-hart-ins-gericht-geht/ https://condorcet.ch/2024/02/warum-der-pisa-studienleiter-mit-deutschlands-lehrern-hart-ins-gericht-geht/#comments Sat, 24 Feb 2024 07:35:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=15990

Schleicher-Schelte und kein Ende. OECD-Bildungsdirektor Schleicher leitet die Pisa-Studie – und nimmt sich die Lehrer in Deutschland vor: Sie seien gut bezahlt, unterrichteten aber weniger als der Durchschnitt. Er stellt einen zentralen Unterschied zu Lehrkräften in Ländern mit größerem Erfolg fest. Auch von China könne man lernen. Die Welt-Journalistin Sabine Menkens führte mit Andreas Schleicher ein Interview, das wir hier gerne aufschalten.

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Seit 2002 leitet Andreas Schleicher als Bildungsdirektor die Pisa-Studie, die alle drei Jahre im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt wird. Der 59-Jährige gilt als scharfer Kritiker des deutschen Bildungssystems.

WELT: Herr Schleicher, Sie sind als Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der Erfinder und Leiter der internationalen Schulleistungsstudie Pisa. Der Deutsche Philologenverband fordert jetzt, die Teilnahme Deutschlands an Pisa auszusetzen, solange Sie die Studie leiten. Grund ist Ihre scharfe Kritik am Berufsstand der Lehrer. Was ist da los?

Gastautorin Sabine Menkens, Journalistin WELT

Andreas Schleicher: Festzuhalten ist: Die Resultate für Deutschland sind sehr enttäuschend. Es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, sonst wird sich auch in Zukunft nichts verbessern. Kein Bildungssystem kann besser sein als seine Lehrkräfte.

WELT: Sie haben unter anderem beklagt, dass zu viele Lehrer nur Befehlsempfänger seien, die stumpf den Lehrplan abarbeiten und daran scheitern, Schülern das selbstständige Denken beizubringen. Warum diese pauschale Lehrerschelte?

Schleicher: Bleiben wir doch zunächst bei den Beobachtungen. Wir sehen, dass der Lehrerberuf in Deutschland sehr gut bezahlt ist und die Arbeitsbelastung im Mittelfeld der OECD Staaten liegt. Lehrkräfte in Deutschland unterrichten nicht mehr, sondern weniger Stunden als im OECD-Durchschnitt.

Gleichzeitig sehen wir, dass Schüler in Deutschland oft gut sind bei der Reproduktion von Fertigwissen, aber es schwer haben, ihr Wissen kreativ auf neue Themenfelder anzuwenden. Das zählt heute aber. Und da braucht man ein Unterrichtsdesign, das kreativer, interessanter und spannender ist als bisher. Stattdessen arbeiten wir immer noch nach alten Lehrplänen. Das funktioniert heute so nicht mehr. Die Google-Welt belohnt uns nicht mehr für Antworten, sondern fürs Fragenstellen.

Andreas Schleicher (Bild: picture alliance/photothek/Janine Schmitz)

 

WELT: Provokant gefragt: Sind deutsche Lehrer dümmer, fauler oder weniger innovativ als in anderen Ländern?

Schleicher: Dazu macht Pisa keinerlei Aussagen, wir schauen dort auf die Schülerleistungen. Und da sehen wir große Leistungsdefizite und eine sehr ungerechte Verteilung von Bildungschancen. Das hat viele Gründe, aber das, was im Unterricht passiert, ist Teil dieser Baustelle.

WELT: Sind aus Ihrer Sicht also die Lehrkräfte daran schuld, dass die deutschen Schüler bei Pisa so schlecht abschneiden?

Schleicher: Noch einmal, wir sehen bei Pisa das Gesamtergebnis, das von vielen Faktoren beeinflusst wird, es geht also nicht um Schuldzuweisungen. Aber natürlich hat das, was Schüler können und wissen, damit zu tun, was im Klassenzimmer passiert. Ich will das keinem einzelnen Lehrer vorwerfen. Man muss objektiv sehen, dass Lehrkräfte in Deutschland weniger Gestaltungsfreiheit haben als zum Beispiel in Dänemark oder den Niederlanden.

Ich glaube aber auch, dass sie ihre vorhandenen Freiräume nicht so intensiv nutzen wie die Kollegen in anderen Ländern. Die Arbeitsorganisation ist in Deutschland immer noch sehr vertikal ausgerichtet. In Ländern wie Estland, Singapur oder Dänemark sitzen die Kollegen anschließend noch im Team zusammen und beraten gemeinsam über bestimmte Schülergruppen und lernen auch voneinander. Sie kennen ihre Schüler meist auch besser.

WELT: Wie kommen solche Unterschiede zustande?

Schleicher: Viel hat schon mit dem Rollenverständnis zu tun. Lehrkräfte sind heute auch viel mit sozialen Problemen konfrontiert. Man hört dann oft den Vorschlag, dass die Schulen mehr Sozialarbeiter brauchen.

Lernerfolg und Disziplin im Klassenzimmer sind immer auch eine Folge der Qualität von Beziehungen.

 

In vielen erfolgreichen Ländern begreifen sich die Lehrkräfte nicht nur als Wissensvermittler, sondern auch als Coach, Mentor und Sozialarbeiter. Sie verbringen mehr Zeit mit ihren Schülern außerhalb des Klassenverbandes. Dadurch kennen sie ihre Schüler besser und wissen, wie sie sie auf ihrem Weg begleiten können. Das macht sehr viel aus. Lernerfolg und Disziplin im Klassenzimmer sind immer auch eine Folge der Qualität von Beziehungen.

WELT: Viele Lehrkräfte beklagen, dass Schule nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft sein kann. Sie behaupten offensichtlich das Gegenteil. Warum?

Schleicher: Die Anforderungen und Erwartungen an das Schulsystem und den Lehrerberuf verändern sich – so wie das in jedem anderen Job auch der Fall ist. Schulen sind die Institutionen, die sich die Gesellschaft geschaffen hat, um junge Menschen auf diese Welt vorzubereiten. Das müssen sie auch leisten, und in diesen Bemühungen muss sie das Bildungssystem entsprechend unterstützen.

WELT: Dazu bräuchte es aber vermutlich auch mehr Personal. Wie soll das gehen beim derzeitigen Lehrermangel?

Schleicher: Wenn Deutschland beim Personal schlechter gestellt wäre als leistungsfähigere Bildungssysteme, würde ich sofort zustimmen. Dem ist aber nicht so. Der Lehrerberuf ist einer der anspruchsvollsten Berufe überhaupt, und er ist auch schwieriger geworden.

Die Schulen mit den größten Herausforderungen sollten die besten Lehrkräfte bekommen. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt.

 

Aber einfach nur mehr vom Gleichen wird es nicht bringen. Wir müssen wie in allen anderen Berufen gut überlegen, wie wir Zeit und Personal effizient einsetzen. Das bedeutet vor allem: Die Schulen mit den größten Herausforderungen sollten die besten Lehrkräfte bekommen. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt.

WELT: Hier landen die besten Lehrer an den Gymnasien in den bürgerlichen Vierteln…

Schleicher: Ganz genau. Deshalb brauchen wir hier mehr Steuerung und attraktive Anreize, um Ressourcen effizient einzusetzen. Die internationalen Vergleiche zeigen, dass es Bildungssysteme gibt, die mit Herausforderungen wie der Zuwanderung besser umgehen als wir. In Kanada lernen Flüchtlingskinder innerhalb von zwei Jahren Englisch und Französisch.

WELT: Der Philologenverband kritisiert unter anderem, Sie lobten die Schulsysteme autoritärer Staaten wie China und redeten so dem Missbrauch schulischer Bildung durch totalitäre Systeme das Wort. Was entgegnen Sie?

Schleicher: Das ist absolut nicht der Fall. Wir schauen auf die Bildungssysteme mit guten Leistungen und schauen, was sie erfolgreich macht. Da können wir von Bildungssystemen wie China und Singapur ebenso lernen wie von Estland und Portugal.

Darf man schulische Bildung durch totalitäre Systeme wie jenes in China auch als Vorbild nehmen?

WELT: Was machen die Lehrkräfte in den Staaten, die bei Pisa gut abschneiden, denn besser?

Schleicher: Zum einen wenden die Lehrkräfte meist viel mehr Zeit dafür auf, ihre Schüler richtig kennenzulernen. Die Qualität der Schüler-Lehrer-Beziehung ist ein wichtiger Faktor. In den leistungsfähigsten Bildungssystemen definieren die Lehrkräfte ihr Rollenverständnis so, dass sie dafür da sind, Schülern aller sozialer Schichten zu helfen. Sie glauben fest daran, dass alle Kinder lernen können. In diesen Systemen gelingt es auch, die besten Lehrkräfte für die schwierigsten Schulen zu gewinnen, indem sie Anreize und Karrierepfade schaffen, um diese Leute zu motivieren, die schwersten Herausforderungen anzunehmen.

WELT: Mehr Geld also?

Schleicher: Auch das, ja. Man kann durchaus anerkennen, dass nicht jeder den gleichen Job macht. Es gibt aber noch einen dritten Punkt. In den leistungsfähigsten Bildungssystemen ist die soziale Rolle des Lehrers in der Gesellschaft eine andere. Meistens gibt es viele Bewerbungen auf eine Lehrerstelle, weil es ein spannender Beruf ist, der in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat. Das rührt daher, dass die Lehrkräfte auch außerhalb der Schule sichtbar sind, weil sie regelmäßigen Kontakt mit den Eltern haben und auch in die Erziehungsarbeit eingebunden sind. Meist ist die Ausbildung hier auch praxisnäher. In Finnland zum Beispiel werden die Studierenden in der Praxisphase ausgesiebt.

In den leistungsfähigsten Bildungssystemen ist die soziale Rolle des Lehrers in der Gesellschaft eine andere.

 

WELT: Woran liegt es, dass Lehrkräfte in Deutschland keine so hohe Wertschätzung in der Gesellschaft haben? Wird in den Verbänden zu viel gejammert?

Schleicher: Die Lehrerverbände tun sich damit jedenfalls keinen Gefallen. Wer seinen eigenen Berufsstand ständig infrage stellt, wird sein Ansehen kaum heben.

WELT: Philologen-Verbandschefin Susanne Lin-Klitzing sagt, sie habe kein Vertrauen mehr in die seriöse Interpretation der Pisa-Daten durch Sie. Sie hätten der empirischen Bildungsforschung Schaden zugefügt.

Schleicher: Die Pisa-Daten sind frei verfügbar, jeder kann sich damit auseinanderzusetzen. Möglicherweise kann man sie auch unterschiedlich interpretieren. Dieser Diskurs ist sehr wichtig. Aber es ist ein großer Vorteil, dass wir diese Diskussion heute nicht mehr auf Grundlage von Ideologie oder persönlichen Meinungen führen müssen, sondern aufgrund von empirischen Daten.

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Streik der Lehrkräfte in Genf https://condorcet.ch/2024/02/streik-der-lehrkraefte-in-genf/ https://condorcet.ch/2024/02/streik-der-lehrkraefte-in-genf/#respond Sat, 17 Feb 2024 08:49:18 +0000 https://condorcet.ch/?p=15965

Die beiden Kabarettisten aus der Wetsschweiz, Vincent Kucholl und Vincent Veillon, sorgen mit einer neuen Serie “L’invité de la rédaction” wieder für Furore. In diesem Clip geht es um den Streik der Genfer Lehrkräfte. Interviewt wird der Lausanner Lehrer Julien Bovet, eine nicht unbekannte Kunstfigur der beiden Kabarettisten. Natürlich bekommen wir Lehrkräfte wieder einige saftige Kinnhaken … ein Genuss (für die Französischversteher, die dem "Frühfranzösisch entkommen sind).

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“Heute bedeutet ‘Abitur’ betreutes Denken” https://condorcet.ch/2024/01/heute-bedeutet-abitur-betreutes-denken/ https://condorcet.ch/2024/01/heute-bedeutet-abitur-betreutes-denken/#comments Sat, 20 Jan 2024 08:45:47 +0000 https://condorcet.ch/?p=15720

Der Biologie-Professor Hans-Peter Klein zählt zu den profiliertesten Stimmen in der deutschen Bildungsdiskussion. Im Interview mit Mathias Brodkorb spricht er im Cicero über die katastrophalen Ergebnisse der PISA-Studie, bildungsferne Migranten und die Abschaffung des Leistungsprinzips.

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Mathias Brodkorb: Herr Klein, kürzlich wurden die Ergebnisse der PISA-Studie veröffentlicht. Die Leistungen von Deutschlands Schülern in Mathematik, Deutsch und Naturwissenschaften sind schlechter als jemals zuvor. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Hans-Peter Klein: Die sind natürlich eine Katastrophe. Vor mehr als 20 Jahren gab es den PISA-Schock. Deutschland erwies sich damals bloß als Mittelmaß. Nach all den politischen Ankündigungen und Reformen der letzten beiden Jahrzehnte muss man feststellen: Das hat alles nichts gebracht, es ist sogar noch schlimmer geworden.

Die PISA-Forscher weisen allerdings darauf hin, dass die Ergebnisse auch der Corona-Pandemie geschuldet sind. Die Schulen waren viele Monate geschlossen, es fand kaum Unterricht statt. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass die Leistungen einbrechen. Kann man aus den Daten trotzdem auf eine grundsätzliche Bildungskrise schließen?

Natürlich hat auch Corona einen gewissen Einfluss gehabt. Aber wer sich mit diesem Argument begnügt, sucht nach Ausreden. Fakt ist: Die Leistungen deutscher Schüler sind spätestens seit dem Jahr 2015 stark rückläufig. Corona hat den Abwärtstrend nur beschleunigt. Ja, Deutschland steckt in einer robusten Bildungskrise. Und ich sehe nicht, dass sich das auf absehbare Zeit ändern könnte.

Hans-Peter Klein ist Biologe. Bis 2018 lehrte er Didaktik der Biowissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Aber es gab ja nicht nur Corona, sondern auch die Migrationskrise 2015. Das ist ein weiterer Faktor, der Einfluss auf die Leistungen der Schüler haben dürfte. Je weniger Schüler in einer Klasse Deutsch sprechen, um so größer ist die Herausforderung für die Lehrer und desto unwahrscheinlicher werden Spitzenleistungen.

Das stimmt, widerlegt aber nicht meine These, dass das deutsche Bildungssystem längst auf einer Rutschbahn angekommen ist. Die Migrationskrise begann erst 2015 und trotzdem waren bereits die Leistungsergebnisse desselben Jahres rückläufig. Dieser Leistungsrückgang ist durch die Migrationskrise schlicht nicht erklärbar. Sie erklärt höchstens, warum es nach 2015 noch schlimmer geworden ist.

Und wie erklären Sie sich den Abwärtstrend?

Die Ursachen sind komplex und deshalb muss man weit ausholen. Da wäre erstens Corona, klar. Aber das war nur ein einmaliges Ereignis. Man kann daraus höchstens schlussfolgern, wie sehr sich Deutschlands Politik durch absurde Schulschließungen an seinem eigenen Nachwuchs vergangen hat. Im internationalen Vergleich gibt es jedenfalls Länder, die trotz Corona keinen solchen Leistungseinbruch aufweisen. Dann wäre da zweitens der Lehrermangel. Der hat erst begonnen und wird in diesem Jahrzehnt noch ganz andere Ausmaße annehmen. Schon heute werden selbst Panzerfahrer als Grundschullehrer beschäftigt.

Der dritte Faktor ist die Migrationskrise. Es ist doch klar: Wenn von heute auf morgen eine Vielzahl an nicht Deutsch sprechenden Schülern in das System strömt, bleibt das nicht ohne Folgen. Zugleich hat sich dadurch vor allem in den Grundschulen der Lehrermangel extrem verschärft. Und viertens, und das ist mir das Wichtigste: Selbst wenn es all diese Probleme nicht gäbe, wären Deutschlands Schulen trotzdem auf dem absteigenden Ast. Der Grund dafür hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit den seit PISA 2000 verfolgten Konzepten.

Das ist jetzt irritierend. Es ist ja eigentlich umgekehrt: Die erste PISA-Studie hat einen politischen Schock und anschließende Bildungsreformen ausgelöst. Und diese Innovationen sollen jetzt einen Niedergang provoziert haben?

Auch wenn es niemand hören will: Genauso ist es. Aber auch das ist wieder etwas komplizierter. PISA ist ein international angelegtes Testformat der OECD. Und da beginnen die Probleme. Sie können Mexiko, Algerien und Deutschland nicht miteinander vergleichbar machen, ohne von konkreten Inhalten abzusehen. Es hätte ja zum Beispiel keinen Sinn, weltweit Aufgaben zu Theodor Fontane zu stellen. Die deutschen Schüler wären dann im Vorteil und der internationale Vergleich wertlos.

Die Lösung dieses testtheoretischen Problems heißt: Kompetenzorientierung. Es wird in den Tests also überwiegend gar kein Wissen abgefragt. Die Schüler erhalten stattdessen leicht verständliche Gebrauchstexte, die bereits alle Antworten auf die gestellten Fragen beinhalten. Die Schüler müssen nichts anderes machen, als Sinn entnehmend zu lesen. Und dann kommt noch etwas Zweites hinzu: Weil die Auswertung komplexer Texte zu aufwendig wäre, besteht PISA vor allem aus Ankreuzaufgaben. Die Antwortbögen können dann problemlos über Scanner von Computern verarbeitet werden.

Wie bei “Wer wird Millionär?”

Mathias Brodkorb war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern und gehört der SPD an.

Die Schüler bekommen also einen Text, der alle Informationen zur Lösung der gestellten Aufgaben bereits enthält. Sie lesen ihn und kreuzen dann die richtigen Antworten an. Stellen Sie sich das einfach vor wie bei „Wer wird Millionär?“ von Günther Jauch – nur dass Sie sich vorher sogar noch einen Zettel durchlesen können, in dem alle Antworten auf die gestellten Fragen schon drinstehen.

Selbst wenn Sie auch dann noch keine Ahnung haben, welche Antwort richtig ist, liegen Sie bei vier Antworten trotzdem mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent richtig. Und mit etwas Glück können Sie die falschen Antworten als falsch erkennen, obwohl Sie in der Sache die richtige Antwort gar nicht kennen. Genau das ist „Kompetenzorientierung“, genau das ist PISA.

Früher galt als kompetent, wer etwas von einer Sache versteht. Heute gilt als kompetent, wer sich trotz mangelnden Wissens erfolgreich durchmogeln kann. Und das alles verdanken wir PISA. Und Politikern, die gar nicht wissen, was sie tun.

Moment mal: Was Sie zu den Testformaten von PISA sagen, bezieht sich ja zunächst nur auf eine methodisches Untersuchungsdesign. Man muss daraus ja nicht gleich ein Unterrichtskonzept machen.

Stimmt, aber genauso ist es in den letzten 20 Jahren trotzdem passiert. Nicht einmal die Mitarbeiter in den Ministerien verstehen diesen Unterschied. Und die Lehrer in den Schulen haben sowieso keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. PISA hat also ein völlig rudimentäres Modell für Bildung entwickelt. PISA testet nicht Bildung und Wissen, sondern bloß Vorstufen dazu. Das hatte finanzielle und testökonomische Gründe. Aber in den Ministerien und Schulen wurde das dann als Vorbild für moderne Bildung verstanden und wird seit fast 20 Jahren in unseren Schulen praktiziert. Die Ergebnisse kann man in der aktuellen PISA-Studie bewundern.

Können Sie dafür auch ein konkretes Beispiel bringen?

Kein Problem. Wir haben eine Abiturprüfung in Biologie aus NRW von einer 9. Klasse bearbeiten lassen. Das Ergebnis hat selbst mich überrascht: Von 27 Schülern haben nur vier nicht bestanden. 14 erreichten ein ausreichend, fünf ein befriedigend, drei ein gut und ein Schüler erreichte sogar eine 1. Nochmal: Das waren 9.-Klässler, die sich auf diese Abiturprüfung überhaupt nicht vorbereitet hatten und noch gar nicht über Abiturwissen verfügen konnten. Man brauchte also überhaupt kein eigenes Fachwissen. Man musste nur Texte lesen, sie verstehen und ein bisschen schlussfolgern können.

Früher waren das die Kompetenzen, über die ein guter oder mittelmäßiger Realschüler verfügte. Es hat ja auch seinen Grund, warum die Universitäten heute immer mehr Nachhilfekurse für Studienanfänger anbieten müssen. Sagen wir einfach, wie es ist: Früher war das von Wilhelm von Humboldt erfundene deutsche Abitur ein Qualitätsmerkmal. Das ist heute aber Geschichte.

Übertreiben Sie nicht etwas? Kann es nicht sein, dass das, was Sie schildern, bloß Anlaufschwierigkeiten bei der Umsetzung der PISA-Idee waren?

Das würde mich wirklich freuen. So ist es aber nicht. Auch in aktuelleren Abiturprüfungen sieht es nicht besser aus. Da gibt es zum Beispiel eine Aufgabe zur Miesmuschel und der eingewanderten Pazifischen Auster. Ich will Sie damit nicht langweilen, aber die läuft nach demselben Muster: Langer Text, in dem alle Antworten schon drinstehen. An der fachlichen Korrektheit des Textes zweifelnd habe ich die Aufgabe einem Fachkollegen des Alfred-Wegener-Instituts auf Sylt zur Begutachtung vorgelegt. Sein Urteil war vernichtend. Nicht einmal die Fakten in dem Aufgabentext stimmten.

Die Zielsetzungen der Wokisten laufen stattdessen auf die Abschaffung des Leistungsprinzips hinaus. Nach deren Mantra ist Leistung angeblich diskriminierend, sogar rassistisch, weil sie andere, die eben nichts leisten wollen oder können, ausgrenzt.

Als ich die Aufgabe in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung öffentlich machte, rief mich ein Ministeriumsmitarbeiter an und sagte ungefähr: „Herr Klein, Sie haben das mit der Kompetenzorientierung immer noch nicht verstanden. Uns geht es nicht um Fachwissen, sondern um den Umgang mit Wissen.“ Das heißt: Abiturienten der Zukunft brauchen selbst nichts mehr zu wissen, sondern sollen bloß mit dem Wissen anderer arbeiten können. Heute bedeutet „Abitur“ so etwas wie betreutes Denken.

Angenommen, Sie haben Recht: Welche Vorschläge würden Sie Deutschlands Bildungspolitikern unterbreiten?

Es ist mir fast peinlich, das zu sagen, aber es ist wohl trotzdem nötig: Der Kern von Bildung ist Fachwissen. Wahre Kompetenz bedeutet, dass man die Fakten und Methoden eines Faches beherrscht. Die Zielsetzungen der Wokisten laufen stattdessen auf die Abschaffung des Leistungsprinzips hinaus. Nach deren Mantra ist Leistung angeblich diskriminierend, sogar rassistisch, weil sie andere, die eben nichts leisten wollen oder können, ausgrenzt. Gleichheit für alle gibt es aber nur auf dem untersten Niveau. Die fachlichen Anforderungen müssen stattdessen klar und hoch sein. Nur so entsteht ein angemessenes Leistungsniveau.

Es braucht qualifizierte und genügend Lehrkräfte

Als zweiten Punkt müsste die Politik den Lehrermangel in den Griff bekommen. Ohne qualifizierte Lehrkräfte geht es einfach nicht. Schluss also mit dem pädagogischen Firlefanz und stattdessen Konzentration auf das Kerngeschäft Unterricht. So lustig intersektionale und diverse Schüler-AGs auch sein mögen: Die Lage ist zu ernst, als dass wir uns solche Spielereien noch leisten könnten.

Und drittens, auch wenn das manche Weltenretter nicht gerne hören: Wenn der unregulierte Zustrom von bildungsfernen Migranten nicht zeitnah gestoppt wird, kommt es zu einem Kollaps des deutschen Bildungswesens und später auch der deutschen Wirtschaft. Die Schule kann nicht die Reparaturanstalt für politische Fehlentscheidungen sein. Und sie darf nicht als Abladeplatz für eine verfehlte Migrationspolitik missbraucht werden. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind die Lehrer und die Kinder aus dem sozial benachteiligten Milieu. Deren Eltern können sich Privatschulen schlicht nicht leisten.

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Das Gleiche anders machen https://condorcet.ch/2023/11/das-gleiche-anders-machen/ https://condorcet.ch/2023/11/das-gleiche-anders-machen/#comments Mon, 06 Nov 2023 05:41:31 +0000 https://condorcet.ch/?p=15248

Noch nie wurden so viele Lehrpersonen ausgebildet – und noch selten haben so zahlreiche Laien unterrichtet. Zu viele Diplomierte reduzieren ihr Pensum oder verlassen das Schulzim-mer bald nach Stellenantritt. Eine Ausbildung geht neue Wege: Sie will das Berufskönnen konsequent von der Praxis her denken. Condorcet-Autor Carl Bossard war an der Studien-gang-Vorstellung dabei.

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Lehrerinnen und Lehrer wirken immer. Sie können, um ein Wort des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick zu paraphrasieren, gar nicht nicht wirken. Alles beeinflusst: Wie sie vor die Schülerinnen und Schüler hintreten, was sie ausstrahlen, welche Energie von ihnen ausgeht, wie sie ermutigen und Feedback geben. Grundlegend ist ihre Haltung. Lehrpersonen müssen nicht nur um ihre Aufgabe wissen; sie müssen sich ihrer Wirkung bewusst sein: «Teacher, know thy impact!», heisst es beim Bildungsforscher John Hattie. Hier setzt eine neue Ausbildung an: beim Wirken im pädagogischen Alltag, beim konkreten Handeln. Das Konzept denkt die Theorie von der Praxis her. Ganz so ist das Studium aufgebaut. Vom ersten bis zum letzten Tag stehen die Studierenden mit mindestens einem 40-Prozent-Pensum in der Praxis: Ausgangspunkt und Denkrichtung ihrer Berufsbildung.

Carl Bossard, 74, ist Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug. Davor war er als Rektor der kantonalen Mittelschule Nidwalden und Direktor der Kantonsschule Luzern tätig. Heute begleitet er Schulen und leitet Weiterbildungskurse. Er beschäftigt sich mit schulgeschichtlichen und bildungspolitischen Fragen.

Die kleinste Hochschule der Welt als Pionierin

Es ist vielleicht die kleinste Bildungsinstitution der Welt, wie sie in ihrem Selbstbeschrieb formuliert, die Hochschule für agile Bildung HfaB in Zürich.[1] Sie versteht sich als Pionierin eines neuen Bildungsdenkens – und einer neuen Art der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Initiiert und gegründet hat die HfaB der Ethiker und Hochschuldidaktiker Christof Arn, zusammen mit dem Organisationsberater Jean-Paul Munsch. Ihnen und ihrem Team schwebt ein neuartiges Studiengangmodell vor. Mit dem Prototyp wollen sie ein Zeichen setzen – für eine entwicklungsorientierte Bildung, eine Bildung, die über das aktuelle Paradigma der Kompetenzorientierung hinausgehen und den Menschen in seinen Lernprozessen stärken will. Darum der Leitbegriff einer entwicklungsorientierten Bildung.[2]

 

Denken, das Ordnen des Tuns

Ihr Modell basiert auf der konsequenten Rückbindung an den konkreten Schulalltag, ans vielfältige Berufsfeld heutiger Lehrerinnen und Lehrer, heutiger Kinder und Jugendlicher. Das ist der Anker; hier liegt der archimedische Punkt der neuen Studienidee: eingebettet sein in die Praxis, darauf die erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisse beziehen und so pädagogische Kompetenzen generieren. Das verlangt der Kognitionspsychologe und Berner Hochschullehrer Hans Aebli in seinem wichtigen Werk «Denken, das Ordnen des Tuns»:[3] «Wenn sie nicht ständig an die Basis konkreten Handelns und Sehens zurückgebunden werden, beginnen die Mühlen der Zeichensysteme bald leer zu drehen.»

Sie informierten über die neue Lehrerinnen- und Lehrerbildung: Christof Arn, der Gründer, und die beiden Dozierenden Catherine Kaufmann und Christian Stalder (v.l.n.r.) (Bild: zVg

Darum übernehmen die Studierenden von Anfang an Aufgaben und Aufträge im Klassenzimmer – geleitet von der Frage: Wie baue ich als künftige Lehrerin, als angehender Lehrer mein fachliches und didaktisches Können auf? Und wie komme ich zur wichtigen Fähigkeit, Lernprozesse der Kinder wahrnehmen zu können? Auf welche Weise erschliessen sich meine Schülerinnen und Schülern neue Einsichten und Erkenntnisse, neues Können und Verstehen? Wie unterstütze und fördere ich die Kinder und Jugendlichen auf ihrem Lernweg und in ihrer persönlichen Entwicklung? Und wie bildet sich das geheimnisvolle Etwas, das wir als Unterrichtskunst bezeichnen?

Der Gegenbegriff zur Theorie ist die Empirie, die reflektierte Praxis.

Praxis und Reflexion zum Junktim verbinden

Solche und ähnliche elementare Fragen und Ansprüche an die eigene Bildung stellen sich den Studierenden im pädagogischen Alltag. Die Praxis bedarf darum der Reflexion. Beide bedingen sich. Der Gegenbegriff zur Theorie ist die Empirie, die reflektierte Praxis. Sie fügen sie zu einem Junktim. Im Gespräch mit praxiserprobten Fachleuten und Bildungswissenschaftlern vertiefen die Studierenden ihre Einsichten. Der prozessintensive Studiengang braucht eine klare Struktur. Es sind die sogenannten Campustage mit Präsenzpflicht an der Hochschule. Den Rahmen bilden die verschiedenen Modulsequenzen mit den fachlichen Schwerpunkten. Verantwortlich zeichnet ein Team von rund 40 Personen.

Beim gemeinsamen Nachdenken und Analysieren der Alltagssituation bauen die angehenden Lehrpersonen ein tragfähiges Praxiswissen und solides Berufskönnen auf – ganz im Sinne des Pädagogen Hans Aebli: Das Lehren und Lernen zurückbinden «an die Basis konkreten Handelns und Sehens!» forderte er. Sein einfacher Satz wird zum anspruchsvollen Imperativ der neuen Bildungside

 Lehrerbildung als Persönlichkeitsbildung

Aus John Hatties Studien wissen wir, dass die Lehrperson den qualitativen Unterschied ausmacht – mit ihrem personalen und didaktischen Wirken im Unterricht. Das ist der Grund, warum die neue Ausbildung an der HfaB bei der Lehrperson und der Bildung der Lehrperson ansetzt: Lehrerinnenbildung als Persönlichkeitsentwicklung. Für Hattie ist klar: Im Kern geht es um das Beobachten des Lernens der Schülerinnen und Schüler. Und darum, dass die Lehrkraft ihr Handeln stets neu anpasst. Wie auch immer man das nennt – situativ, lernseitig, agil –, ist eigentlich sekundär. Auf die Haltung der Lehrpersonen kommt es an und auf das Engagement für ein lernwirksames Weiterkommen ihrer Schülerinnen und Schüler.

Neues wagen braucht einen weiten Blick: das Leitmotiv der HfaB Zürch             (Bild: Otto Kraz)

Die Promotoren der HfaB suchen nach einer wirksamen – heute würde man zeittypisch wohl von nachhaltiger – Bildung sprechen: konzentriert auf das Wesentliche und Eigentliche der Lehrerbildung, auf die menschlichen Lernprozesse und das Mitverantwortlich-Sein aller Beteiligten. Eine Bildung, die das Funktionieren und Belehren im Sinne einer Technik in den Hintergrund rückt. Eine Bildung, die auf die humane Kraft des zwischenmenschlichen Austausches und die Kraft des dialogischen Lernens baut. Achtsam aufeinander sein und aufmerksam, wahrnehmen und darüber nachdenken – und weiterdenken.

Der Prototyp braucht Partner

Weiterdenken und kreativ sein müssen auch die Verantwortlichen der HfaB. Sie stehen am Anfang ihres Experiments. Der erste Jahrgang, der Prototyp mit einem kleinen Kreis Studierender, nähert sich seinem Abschluss. Die Zwischenauswertung zeigt, was nachgebessert werden kann. Eines wird dabei deutlich: Die Kernidee trägt auch in der Realität.

Das andersartige Studium dauert sieben Semester und schliesst mit einem Bachelor ab. Das Konzept bewährt sich. Wichtig für die Promotoren dieses Studiengangs wird Kapitel zwei, die Suche nach Kooperationsmöglichkeiten. Nur so kann dieser Prototyp jenes Wirkungsfeld erhalten, das er verdient. Mögliche Partner sind Kantone oder Pädagogische Hochschulen. Auf sie kommt es an. Erst im Verbund mit anderen Institutionen erhält die Idee der Hochschule für agile Bildung ein weites Feld. Die Vorarbeit ist geleistet, die Basis gelegt. «Auf nach Ithaka!» Das sollte die Devise sein. Der akute Lehrermangel verlangt es.

[1] Hochschule für agile Bildung HfaB, Zürich: https://hfab.ch/

[2] Vgl. Christof Arn, Jean-Paul Munsch (2022), Von der Kompetenzorientierung zur Entwicklungsorientierung – ein Paradigmenwechsel, in: Walter Burk, Christian Stalder (Hrsg.), Entwicklungsorientierte Bildung – ein Paradigmenwechsel. Weinheim/Basel: Juventa Verlag, S. 129ff.

[3] Hans Aebli (1980/81), Denken: das Ordnen des Tuns. Band I: Kognitive Aspekte der Handlungstheorie. Band II: Denkprozesse. Stuttgart: Klett Verlag.

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Wie überzeuge ich eine Lehrkraft vom Austritt aus der Gewerkschaft? https://condorcet.ch/2023/09/wie-ueberzeuge-ich-eine-lehrkraft-vom-austritt-aus-der-gewerkschaft/ https://condorcet.ch/2023/09/wie-ueberzeuge-ich-eine-lehrkraft-vom-austritt-aus-der-gewerkschaft/#respond Tue, 26 Sep 2023 07:38:33 +0000 https://condorcet.ch/?p=14992

Peter Greene hat heute einen ausgezeichneten Beitrag über die politischen Kräfte veröffentlicht, die die Lehrergewerkschaften abschaffen wollen. Einige hassen die Gewerkschaften, weil sie den Arbeitgebern die Freiheit nehmen, ihre Angestellten einem konstanten Lohndruck auszusetzen. Andere hassen sie, weil sie demokratische Kandidaten finanzieren. Einige wollen nicht, dass die Arbeitnehmer eine Stimme haben. Peter Greene, Autor im Diane Ravitch-Blog, ist ein engagierter Gewerkschafter und Lehrer, mit einer pointierten linken Haltung. Er schrieb schon oft für unseren Blog.

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Wenn es irgendetwas Wahres an Lehrern in Gewerkschaften gibt, dann ist es, dass einige Leute wünschen, dass Lehrkräfte grundsätzlich nicht in Gewerkschaften organisiert sein sollten. Dieser Tage kursieren solche Ideen wieder einmal in einigen republikanisch dominierten Staaten. Aber wenn man sich einige der Akteure in diesem gewerkschaftsfeindlichen Raum ansieht, sollte man sich schnell wieder an den Tag der Arbeit und seine Geschichte erinnern.

Gastautor Peter Greene, Lehrer, Autor des Diane Ravitch-Blog

In einigen Staaten besteht die Taktik darin, die Gewerkschaften einfach zu entmachten, so dass sie A) nichts mehr ausrichten können und B) die Lehrer sie verlassen, weil sie nichts mehr ausrichten können.

In anderen Staaten besteht die Taktik darin, den Lehrern die Idee des Ausstiegs direkt schmackhaft zu machen. Wir haben eine Vielzahl dieser Methoden gesehen, die ich Ihnen hier kurz zusammenfassen möchte.

Verlasse deine böse Gewerkschaft!

Zu den ersten Anbietern gehörte Free To Teach, ein Unternehmen der Americans for Fair Treatment, einer Tarnorganisation der rechtsgerichteten Commonwealth Foundation in Pennsylvania.

Da ist die Freedom Foundation, die einmal damit prahlte, dass sie “einen bewährten Plan für den Bankrott und die Niederlage der Regierungsgewerkschaften durch Bildung, Rechtsstreitigkeiten, Gesetzgebung und Gemeindeaktivierung hat (…) wir werden uns mit nichts zufrieden geben, was nicht den totalen Sieg gegen die Regierungsgewerkschaftsschurken bedeutet.” Die Freedom Foundation wurde von der Bradley Foundation, der Koch Foundation und dem Searle Freedom Trust gegründet.

Dann gibt es noch die Organisation Speak Out For Teachers, die vom Center for Union Facts ins Leben gerufen wurde, einer gewerkschaftsfeindlichen Gruppe, die Teil der Konstellation von Schwarzgeldgruppen unter der Leitung von Richard Berman war, der seit langem ein entschiedener Kämpfer gegen die Gewerkschaften ist.

Rebecca Friedrichs formuliert einen ganzen Leitfaden darüber, wie man einen Lehrer zum Austritt aus der Gewerkschaft überreden kann.

Da ist For Kids and Country, das Unternehmen der ehemaligen Lehrerin Rebecca Friedrichs, die vor fast einem Jahrzehnt das Gesicht einer großen gewerkschaftsfeindlichen Klage war und seitdem eine Karriere als Talkmasterin bei Fox-Breitbart gestartet hat. Sie formuliert einen ganzen Leitfaden darüber, wie man einen Lehrer zum Austritt aus der Gewerkschaft überreden kann.

Oder es gibt My Pay My Say, die “Willst du nicht aus der Gewerkschaft austreten”-Initiative des Mackinac Center for Public Policy, einer rechten Pressure Group mit Sitz in Michigan, die erwartungsgemäss mit einem Haufen DeVos-Geldern sowie mit Walton-, Koch- und Schwarzgeld finanziert wird.

Unverblümte Ziele

Die Janus-Entscheidung, die das Recht von Lehrern erfand, Trittbrettfahrer in Gewerkschaften zu sein und Leistungen zu erhalten, aber keine Beiträge zu zahlen, hat viele dieser Gruppen auf den Plan gerufen. Sie argumentieren, dass Lehrer keine Gewerkschaftsbeiträge mehr zahlen sollten, weil sie dann mehr Geld bekämen (Spoiler-Alarm: keine dieser Gruppen oder ihre Unterstützer haben sich jemals für höhere Lehrergehälter eingesetzt).

Es gibt auch gewerkschaftsfeindliche Lehrkräfte, die Argumente wie “Ich könnte einen besseren Vertrag für mich selbst aushandeln, wenn ich nicht an diese Gewerkschaft gebunden wäre” vorbringen, und die sind einfach nur naiv. Man sollte ihnen auch nichts vom Weihnachtsmann erzählen. Die Gewerkschaftsgegner lieben es, diese Leute anzufeuern, und vielleicht können sie sogar den Lehrerberuf für einen bequemen Job in einem Büro verlassen.

Die Überlegung: Gibt es die Gewerkschaften nicht mehr, gibt es auch keine Unterstützung der Demokraten.

Es gibt allerdings auch unverblümte Ziele, die Gewerkschaften gründlich in Frage zu stellen. Denn die Lehrergewerkschaften gelten als stramme Verbündete der Demokraten. Und sie sind finanzstark. Die Überlegung: Gibt es die Gewerkschaften nicht mehr, gibt es auch keine Unterstützung der Demokraten. Und, als Bonus, entmachtet man die Gewerkschaften, und die Lehrer werden nicht mehr so selbstbewusst für anständige Verträge und Arbeitsbedingungen kämpfen.

Verheerende Bildungspolitik der Demokraten

Es sind mehrheitlich nur realitätsferne Gedankenspiele, trotz der erstaunlichen Resonanz, die sie an einigen Orten erzielen. Für sie sind die öffentlichen Schulen eine Geldmaschine: Lehrkräfte erhalten Geld und leiten es an ihre Verbündeten, die Demokraten und Liberalen. Im Gegenzug – so die Erzählung, können die Lehrer und Lehrerinnen des Landes „faul auf der Haut liegen und müssen keine Leistung zeigen. “Lehrer” hätten einen Scheinjob, bei dem sie nicht wirklich versuchen, jemanden zu unterrichten. Natürlich werden sie auch hören, dass die Gewerkschaftsführer “korrupt” sind, und dann ist es nicht mehr weit bis zur Wahlmanipulationstheorie der Trump-Anhänger.

Ein anderer Flügel dieser gewerkschaftsfeindlichen Bestrebungen sind die Anti-Gewerkschaften. Das sind Gruppen, die gegründet wurden, um eine alternative Organisation für Menschen zu bieten, die zwar von den Gewerkschaften enttäuscht sind, aber trotzdem einen Verband im Rücken haben wollen. Vor einem Jahrzehnt entstanden sogenannte Lehrerkollektive, die gegründet wurden, um die Lehrkräfte bei den Common Core und Testbatterien zu unterstützen, denn diese wirken sich bekanntlich auch auf die Finanzierung der Schule aus. Hier wird geschickt eine direkte Hilfe geboten, die auch gerne genommen wird. Und hier sind natürlich die herkömmlichen Gewerkschaften nicht ganz unschuldig, haben sie doch viel zu zaghaft die verheerende Bildungspolitik der Demokraten unterstützt.

Letztendlich sind die Gewerkschaften zwar nicht fehlerlos, aber dennoch für das Check-and-Balance-System unersetzlich.

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Zehn tapfere Lehrpersonen https://condorcet.ch/2023/05/zehn-tapfere-lehrpersonen/ https://condorcet.ch/2023/05/zehn-tapfere-lehrpersonen/#comments Sat, 13 May 2023 20:37:22 +0000 https://condorcet.ch/?p=13875

Dass Roger von Wartburg ein aussergewöhnlicher Präsident des basellandschaftlichen Lehrkräfte-Verbandes war, ist allseits bekannt. Er ist ein vorzüglicher Autor und - wie dieses Gedicht zeigt - auch ein kreativer Texter. Das Gedicht wurde im letzten «lvb inform» in der Rubrik «Der letzte Schrei» veröffentlicht.

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Zehn tapf’re Lehrpersonen

Wollten Kids betreu’n,

Einer hat das nicht gefall’n,

Da waren’s nur noch neun.

 

Neun tapf’ren Lehrpersonen

Graute vor der Macht,

Immer mehr ward vorgeschrieben,

Übrig blieben acht.

 

Acht tapf’re Lehrpersonen

Wären gern geblieben,

Eltern drohten Anwalt an,

Da waren es noch sieben.

 

Sieben tapf’re Lehrpersonen

Ärgerten die Checks,

Kuriose Punktezahlen

Wollten nur noch sechs.

 

Sechs tapf’re Lehrpersonen –

Nur Zusammenkünft’,

Sitzung, Sitzung, Team, juhee,

Da waren sie zu fünft.

 

Fünf tapf’re Lehrpersonen

Integrierten stier,

Was nicht integrierbar war,

Schon waren’s nur noch vier.

 

Vier tapf’re Lehrpersonen

Fühlten sich nicht frei,

Administrationsgehilfen

Mochten sein nur drei.

 

Drei tapf’re Lehrpersonen

Paukten Passepartout,

Eine hat sich totgelacht,

Da waren’s zwei im Nu.

 

Zwei tapf’re Lehrpersonen

Tranken Leitungs-Nass,

Dieses war mit Rost versetzt,

Da lag eine ganz blass.

 

Eine tapf’re Lehrperson,

Die fand sich einsam sehr,

Sie packte flugs ihr Köfferchen,

Nun müssen Laien her!

 

 

 

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Warum kann die “Reformindustrie” nicht ihre Fehler einräumen? https://condorcet.ch/2022/09/warum-kann-die-reformindustrie-nicht-ihre-fehler-einraeumen/ https://condorcet.ch/2022/09/warum-kann-die-reformindustrie-nicht-ihre-fehler-einraeumen/#comments Sun, 04 Sep 2022 09:31:08 +0000 https://condorcet.ch/?p=11400

Endlich wieder einmal ein Beitrag aus dem Diane-Ravitch-Blog. Peter Greene, ein amerikanischer Volksschullehrer und Autor im Diane Ravitch-Blog ist im Condorcet-Blog kein Unbekannter. In diesem Beitrag macht er sich Gedanken über Michael Petrillis Überlegungen zur Entwicklung der "Reform"-Bewegung. Pikant: Michael Petrillis ist eigentlich ein Linker und wollte nur Gutes. Er war ein Vorreiter der Standardisierung und untestützte die Testbatterien, die bis heute in den US-amerikanischen Schulen ihr Unwesen treiben. Peter Greene wirft Petrilli vor, dass er nicht fähig sei, die vielen Fehlentwicklungen einzugestehen, für die er auch eine Verantwortung trägt. Eine Beobachtung, die wir durchaus auch in der Schweiz und Deutschland machen können.

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Peter Greene, Lehrer, Autor des Diane Ravitch-Blog: Bemerkenswerte Einsichten, aber nicht konsequent.

Mike Petrilli, Mitglied des reformorientierten Thomas Fordham Institute, hat in einem gerade veröffentlichten Beitrag den aktuellen Stand der Bildungsreform analysiert  (anscheinend sind viele von uns gerade in dieser Stimmung), und es lohnt sich, zu erfahen, was der Mann, der eine grosse Adresse eines jeden Bildungsreporters ist,  über den Zustand der «Reformbewegund» denkt.

In “The Evolving Education Reform Agenda” beginnt Petrilli mit seinem früheren Argument, dass der “Washington Consensus”1 zwar tot ist, die Bildungsreform selbst aber nicht. Dies weist auf eine der Herausforderungen hin, mit denen die Bildungsreformen heutzutage konfrontiert sind, nämlich dass niemand mehr wirklich weiß, was der Begriff «Bildungsreform» eigentlich bedeutet, was heute die Ziele der ökonomistischen Erneuerung unseres Bildungssystems sind. Petrilli versucht, uns dies zu  erklären.

Michael Petrilli, Bildungsreformer und Präsident des Thomas B. Fordham Institut: Die Agenda hat sich verschoben.

Er  argumentiert, dass sich die Agenda verschoben habe (eine höfliche Umschreibung für “wir verschieben ständig die Zielpfosten”), und zwar von der Konzentration auf Daten und das Erreichen von guten Ergebnissen bei staatlichen Tests (etwa im Rahmen von NCLB) bis hin zu dem Versuch, einzelne Lehrer in die Verantwortung zu nehmen, eine Absicht, zu der sich Petrilli ziemlich offen bekennt:

In den frühen 2010er Jahren ging es vor allem darum, einzelne Lehrer durch testgestützte Lehrerbewertungen zur Verantwortung zu ziehen. Die unbeholfene Umsetzung und die giftige Politik haben dazu geführt, dass wir diese fehlgeleitete Reform hinter uns gelassen haben.

Dies ist natürlich eine «Pontius-Pilatus_Aussage, die unterschlägt, dass zahlreiche Lehrpersonen in vielen Bundesstaaten noch immer die schwerwiegenden Auswirkungen dieser Politik spüren. Eines der ärgerlichsten Merkmale der Bildungsreformen ist jedoch, dass sie sich nie um sich selbst kümmern; sie verwenden nie so viel Energie darauf, ihre Fehler ungeschehen zu machen, wie darauf, sie überhaupt erst zu machen. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der diese cleveren Panzerknacker zum Telefon greifen, ihre Kunden anrufen und sie beschwören: “Hören Sie, diese Sache, zu der wir Sie überredet haben, ist gescheitert, brecht die Übung ab.” Stellen Sie sich vor, Bill Gates würde das gleiche Geld in die Beseitigung seiner politischen Fehler stecken, das er in die Förderung dieser Fehler investiert.

Wie dem auch sei, Petrilli listet einige andere neue politische Schwerpunkte auf, wie z. B. Die Entwicklung und Bereitstellung hochwertigen Unterrichtsmaterials. Und er stellt treffend fest, dass die neue Unterstützung für eine bessere Schulfinanzierung zusammenfällt mit der Erkenntnis der Reformer, dass vor allem die bessere Finanzierung der Schulen, also Direktinvestitionen, die Ergebnisse der Schüler verbessert.

Wahlfreiheit der Eltern? Er beklagt nun plötzlich, dass immer noch Steuergelder immer noch zur Finanzierung privater und religiöser Schulen fliessen, auch an solche Institutionen, die diskriminieren. Auf diese Erkenntnis  hat man lange warten müssen

Die Reformer um Petrilli  glauben immer noch an den Wert des großen standardisierten Tests, ein Punkt, in dem sie entschieden und absolut falsch liegen.

Tests und Transparenz? Die Reformer um Petrilli  glauben immer noch an den Wert des großen standardisierten Tests, ein Punkt, in dem sie entschieden und absolut falsch liegen, obwohl sie neuerdings scheinbar auch an alternativen Bewertungen interessiert sind – aber das hängt immer noch mit der Besessenheit an Testergebnissen zusammen. Petrilli schreibt: “Wie würden sich die Bewertungen unterscheiden? Wenn Schulen bei “alternativen Maßnahmen” gut abschneiden, aber nicht bei den herkömmlichen Testergebnissen, was dann? Sollten wir solche Schulen überhaupt als “gut” einstufen?” Ich kann dir helfen, Mike – die Antwort ist “Ja”.

Dies ist ein implizites Eingeständnis, dass all die praxisfremden politischen Interventionen der letzten Jahre gescheitert sind.

Petrilli ist der Meinung, dass der neue Schwerpunkt der Reform darin bestehen müsse, von der Politik zu verlangen, endlich die Stimmen aus der Praxis zu hören. Dies ist ein implizites Eingeständnis, dass all die praxisfremden politischen Interventionen der letzten Jahre gescheitert sind. Weder Charters, noch Gutscheine, noch die Bewertung von Lehrern waren erfolgreich. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dass die Reformer realistischer und praxisnaher werden. Aber wie können sie das tun, wenn so wenige Reformer jemals Lehrer waren?

Es ist ein altes Dilemma, dass die Reformer eigentlich mit guten Absichten dabei sind, die Ziele der Neoliberalen, der Rechten und der Privatisierer zu verwirklichen.

Homo insipiens von Erdmann.

Die Reformer wie Petrilli wiesen in der Vergangenheit immer mit Stolz daraufhin, dass ihre Ferne vom Unterricht, gepaart mit ihrer wissenschaftlichen Kompetenz, sie viel mehr dazu prädestiniere, den Lehrkräften unseres Landes zu erklären, wie Unterricht gehen muss. Sie haben angesichts der desaströsen Resultate jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Es ist ein altes Dilemma, dass die Reformer eigentlich mit guten Absichten dabei sind, die Ziele der Neoliberalen, der Rechten und der Privatisierer zu verwirklichen.

Die gute Nachricht in Petrillis Artikel ist immerhin, dass der “Washingtoner Konsens” tot ist. Die Demokraten – mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen wie Cory Booker und Michael Bennett aus Colorado – unterstützen die Angriffe auf die öffentlichen Schulen und die Lehrkräfte nicht mehr, sie entfernen sich langsam von der Idee der Charter Schools und lehnen Bildungsgutscheine entschieden ab.

Da sind zumindest kleine Hoffnungsschimmer.

Peter Greene

1 Der Washington-Konsens oder Konsens von Washington (englisch Washington Consensus) ist ein Wirtschaftsprogramm, das lange Zeit vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank propagiert und gefördert wurde. Es enthält ein Bündel wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die Regierungen zur Förderung von wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum durchführen sollten und als Handlungsanweisungen angesehen werden. Und es verlangte auch mehr Wettbewerb in der Bildung.

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Warum Lehrer aussteigen: »Ich habe das Gefühl, in einer Höhle gelebt zu haben« https://condorcet.ch/2021/11/warum-lehrer-aussteigen-ich-habe-das-gefuehl-in-einer-hoehle-gelebt-zu-haben/ https://condorcet.ch/2021/11/warum-lehrer-aussteigen-ich-habe-das-gefuehl-in-einer-hoehle-gelebt-zu-haben/#respond Sun, 28 Nov 2021 12:16:50 +0000 https://condorcet.ch/?p=9926

Die Drittelsregel galt bis anhin in der Schweiz: Ein Drittel der Lehrkräfte tritt den Beruf gar nicht erst an, ein weiteres Drittel verlässt die Schulstuben nach zwei bis drei Jahren. Ein Drittel bleibt. In Deutschland geniessen die Lehrkräfte grosse Privilegien, weshalb die grosse Kündigungswelle bisher wohl ausgeblieben ist. Ein Artikel im Spiegel zeigt nun, dass es auch in Deutschlands Schulen Absetzbewegungen gibt.

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Zwei Jahre lang, so berichtet es eine ehemalige Lehrerin, habe das Kollegium den Drucker im Lehrerzimmer nicht benutzen können – weil der Kollege verstorben war, der das Passwort hatte. Ein Referendar quittierte den Schuldienst, nachdem seiner Verbeamtung im Wege gestanden hatte, dass er eine Fortbildung hätte absolvieren müssen. Die allerdings wurde nicht bewilligt, weil er dafür hätte bereits verbeamtet sein müssen. Erzählungen über bürokratische Absurditäten hört man viele, wenn man sich bei ausstiegswilligen oder ehemaligen Lehrkräften umhört. Und die Coronapandemie hat bei vielen das Fass zum Überlaufen gebracht: Lehrerinnen und Lehrer klagen über absurde Regelungen, mangelnde Wertschätzung und zu wenig Unterstützung aus der Politik.

 

Klar ist: Lehrer sind knapp, viele Kollegien überaltert, selbst an Quereinsteigern mangelt es.

Wie viele der Unzufriedenen den Schuldienst quittieren, wird nicht erfasst. Weder auf Länder- noch auf Bundesebene. Klar ist: Lehrer sind knapp, viele Kollegien überaltert, selbst an Quereinsteigern mangelt es. »Die Unzufriedenheit steigt«, sagt Isabel Probst, selbst Ex-Lehrerin, die hauptberuflich schon mehrere Hundert Lehrkräfte beim Umsatteln in andere Berufsfelder beraten hat. Früher hat sie das in Einzelcoachings getan – gerade startet sie nach eigenen Angaben einen Gruppenkurs mit 50 Teilnehmenden. Und die vor sechs Jahren gegründete Facebook-Gruppe »Lehrer auf Abwegen«, in der Ausstiegswillige sich miteinander vernetzen, hat mittlerweile knapp 11.000 Mitglieder.

 

Ich kam zurück und fand mich in maroden Gebäuden wieder, in denen die digitale Ausstattung sehr schleppend vorangeht und in denen viel zu oft noch nach Methoden des vorigen Jahrhunderts unterrichtet wurde.

Für persönliche Stärken gibt es wenig Raum.

»Ich fühlte mich als Gefangener des Systems«

»Es ist neu, dass auch Leute, die mit beiden Beinen in der Verbeamtung stehen, jetzt Fundamentalkritik leisten«, so Probst. »Viele leiden unter mangelnden Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Die Kerntätigkeit ist über Jahrzehnte extrem repetitiv. Für persönliche Stärken gibt es wenig Raum. Und dann sieht man im persönlichen Umfeld, wie Freunde Positionen wechseln, zu anderen Unternehmen gehen oder ins Ausland – aber man selbst hängt in der Schule fest und kann seinen Einsatzort nicht ändern.«
Patrick B., 43 Jahre alt, hat mitten in der Pandemie seinen sicheren Lehrerjob gekündigt. Seit diesem Jahr arbeitet er als E-Learning-Consultant. »Ich wollte schon als Schüler Lehrer werden, habe dann Englisch und Französisch studiert, mein Referendariat gemacht und war von 2008 bis 2018 zehn Jahre lang ein glücklicher Lehrer.« Die Zweifel fingen an, als er in einem Sabbatjahr auf Weltreise ging. »Auf einmal lernte ich Menschen außerhalb meiner eigenen Blase kennen, für die digitales und flexibles, selbstbestimmtes Arbeiten völlig normal war«, erzählt er. »Ich kam zurück und fand mich in maroden Gebäuden wieder, in denen die digitale Ausstattung sehr schleppend vorangeht und in denen viel zu oft noch nach Methoden des vorigen Jahrhunderts unterrichtet wurde. Ich fühlte mich als Gefangener des Systems mit sehr wenigen Einflussmöglichkeiten auf die Rahmenbedingungen und das System.«

 

Ich habe gemerkt: Die Welt außerhalb der Schule hat nicht auf mich gewartet. Ich wusste gar nicht, wie bewerben geht.

Im Jobcoaching fand Patrick B. heraus, dass es »für mich persönlich die schlechteste Idee aller Zeiten war, mich als Beamter in einem starren System verheizen zu lassen.« Der Umstieg war dennoch schwierig. »Ich habe gemerkt: Die Welt außerhalb der Schule hat nicht auf mich gewartet. Ich wusste gar nicht, wie bewerben geht – ich hatte mich ja nie richtig bewerben müssen. Ich wollte mit meinem Fachwissen trumpfen, das kam aber überheblich rüber; und mir war nicht klar, dass ich als Lehrer überdurchschnittlich viel verdient hatte.« Mittlerweile verdient er nach eigener Aussage etliche Tausend Euro im Jahr weniger, aber bereut den Ausstieg nicht: »Ich kriege Beklemmungen, wenn ich mir vorstelle, in die Schule zurückzugehen. Das war ein System, das mich als Individuum nicht gesehen hat. Weiterentwicklung? Fehlanzeige. Ich musste um jede kleine Fortbildung kämpfen.« Die Sicherheit der Verbeamtung aufzugeben habe vor allem Nichtlehrer irritiert, sagt er: »Die Lehrer:innen in meinem Umfeld hatten alle Verständnis dafür.«

»Für professionelle Weiterbildung bleibt kein Raum«

Es braucht Unterstützung.

In seinem neuen Job hatte er zunächst das Gefühl, bis dahin »in einer Höhle gelebt zu haben«, einer abgeschotteten Parallelwelt: »Ich hatte weder gelernt, mit Excel noch mit Outlook professionell umzugehen, weil wir das alles im Alltag nicht brauchten – Termine wurden per Mail oder Anruf koordiniert. Jetzt lebe ich in einer agilen Arbeitswelt, in der ich auch den Job wechseln und mich weiterentwickeln kann.«
Für viele ist das entscheidend, sagt Coachin Isabell Probst. »Schule ist eigentlich nur bewältigbar, wenn verschiedene Experten an einem Strang ziehen. Hierzulande sollen Lehrkräfte das leisten, wofür es in anderen Ländern Teams aus Sozialpädagogen, Psychologen, Berufsberatern, Verwaltungskräften bis hin zur Schulkrankenschwester gibt.« Und die Coronapandemie habe vielen Lehrerinnen und Lehrern »die Illusion genommen, dass sich das System Schule in einer Krise weiterentwickeln würde«.

 

Das System Schule hat wenig Instrumente, um solchem Schmarotzertum entgegenzutreten – ausbaden müssen so etwas dann die Kolleginnen und Kollegen, die bei der Stange bleiben und die Fehlstunden auffangen müssen, weil es überall an Personal fehlt.

Viele fühlten sich an der Unterrichtsfront verheizt: »Der Gehaltszettel orientiert sich allein an den Unterrichtsstunden, nicht an persönlichem Mehreinsatz etwa in Schulentwicklung, AGs und Projekten.« Aber längst nicht alle ziehen Konsequenzen. Viele schlügen die ernsthafte Suche nach Alternativen in den Wind, weil sie sich selbst als aussichtslose Fälle deklarierten. »Innerhalb des Systems Schule gibt es keine Personalentwicklungs- oder Aussteigerberatung. Auch das führt dazu, dass manche in die innere Kündigung gehen oder sich im Einzelfall in ein Ausnutzerverhalten manövrieren – und sich lange Zeit bei vollen Bezügen krankschreiben lassen«, sagt Probst. Das System Schule hat wenig Instrumente, um solchem Schmarotzertum entgegenzutreten – ausbaden müssen so etwas dann die Kolleginnen und Kollegen, die bei der Stange bleiben und die Fehlstunden auffangen müssen, weil es überall an Personal fehlt. Auch das kann Frust auslösen. Oft hat der allerdings auch personelle Gründe: »Man kann den Arbeitgeber nicht wechseln – und einen blöden Vorgesetzten hat man unter Umständen lebenslang, denn genau der müsste einem Versetzungsantrag zustimmen, welchem aufgrund des Personalmangels oft nicht stattgegeben wird.«

Das im Vergleich zu Renten fast doppelt so hohe Ruhegehalt. Private Krankenversicherung. Sabbatregelungen mit Rückkehrgarantie auch nach längeren Pausen. Weitaus geringere Sozialabgaben (wer faktisch unkündbar ist, muss sich ja nicht gegen Arbeitslosigkeit absichern) und damit mehr Netto vom Brutto.

Vielen ist der Grad ihrer Privilegien gar nicht bewusst.
Ausstieg bedeutet oft auch weniger Lohn.

Wer mit dem Ausstieg liebäugelt, kommt allerdings erst einmal hart auf dem Boden der Tatsachen an. »Aus dem Beruf auszusteigen, ist für fast alle ein finanzieller Abstieg«, erläutert Probst, »als Oberstudienrat schafft man locker ein Jahresbruttogehalt von rund 70.000 Euro. Auch in Teilzeit und in niedrigeren Laufbahngruppen ist die Besoldung immer noch überdurchschnittlich gut, doch vielen verbeamteten Lehrkräften fehlt das Bewusstsein dafür. Als Beraterin muss ich oft erst einmal einen neuen Referenzrahmen schaffen.« Vielen ist der Grad ihrer Privilegien gar nicht bewusst: die Unkündbarkeit. Das im Vergleich zu Renten fast doppelt so hohe Ruhegehalt. Private Krankenversicherung. Sabbatregelungen mit Rückkehrgarantie auch nach längeren Pausen. Weitaus geringere Sozialabgaben (wer faktisch unkündbar ist, muss sich ja nicht gegen Arbeitslosigkeit absichern) und damit mehr Netto vom Brutto. Darauf zu verzichten, ist schon eine Entscheidung. Aber, sagt Probst, der Gehaltsverlust werde von etlichen Ex-Lehrerinnen und -Lehrern für mehr Lebensqualität und Entfaltungsraum bewusst in Kauf genommen.

»Ich vermisse es, vor einer Klasse zu stehen«

Auch die ehemalige Lehrerin Katja Udolph, 32, approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, hat den Ausstieg vor einem halben Jahr nicht bereut. Wie bei vielen Umsteigern war Lehrerin eigentlich ihr Traumberuf: »Ich vermisse es, vor einer Klasse zu stehen«, sagt sie. Sie hatte an einer Oberschule unterrichtet, wollte eigentlich sogar in die Schulleitung: »Doch meine persönlichen Erfahrungen auf dem Weg dorthin haben dafür gesorgt, dass ich mich lieber voll und ganz meinem bis dahin zweiten Standbein, der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie gewidmet habe.«
Dieser Beitrag ist im Spiegel erschienen:

https://www.spiegel.de/karriere/warum-lehrer-aussteigen-ich-habe-das-gefuehl-in-einer-hoehle-gelebt-zu-haben-a-e817e8a5-5070-46f5-928a-7c12864f2719?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

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