Kita - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sat, 25 Nov 2023 21:20:42 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Kita - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in Kitas und Grundstufe stoppen https://condorcet.ch/2023/11/einseitige-fixierung-auf-digitaltechnik-in-kitas-und-grundstufe-stoppen/ https://condorcet.ch/2023/11/einseitige-fixierung-auf-digitaltechnik-in-kitas-und-grundstufe-stoppen/#respond Wed, 22 Nov 2023 19:55:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=15338

Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemässe Lösung von Bildungsfragen. Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Condorcet-Autor Ralf Lankau hat einen Aufruf mitinitiiert, der aufgrund der neusten Studien und Erkenntnisse ein Moratorium einer einseitigen Fixierung auf die Digitaltechnik fordert.

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Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemäße Lösung von Bildungsfragen. Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und

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Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Condorcet-Autor und einer der Initiatoren des Aufrufs Bild: Lankau

Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe (Kl. 6): Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden. Diese haben nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen. Zu untersuchen sind insbesondere Fragen der medizinisch-psychologischen, der pädagogisch-didaktischen und der politisch-demokratietheoretischen Implikationen. Zu den wissenschaftlich fundierten Einsprüchen zählt etwa die Stellungnahme von fünf Professorinnen und Professoren des schwedischen Karolinska-Instituts. Sie warnen vor negativen Auswirkungen von Bildschirmmedien auf das Lernen und die Sprachentwicklung von Kindern. Der U.S. Surgeon General warnt vor den Folgen für die generelle mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter bei Bildschirmmedien. Das korrespondiert mit Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Empfehlungen von Kinderärzten und Psychologen. Die UNESCO kritisiert im „2023 Global Education Monitor“ darüber hinaus, dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen. Dazu kommen immer mehr Datenverarbeitungssysteme, die als „Künstliche Intelligenz“ (KI) automatisiert beschulen und testen sollen, um fehlende Lehrkräfte zu ersetzen. Dabei hat zuletzt die Corona-Pandemie das Scheitern solcher Ersatzsysteme belegt. Der

Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe.

Deutsche Ethikrat warnt daher in seinen Empfehlungen zur „KI und Bildung“ explizit vor der Ersetzung der Lehrkräfte durch Computerprogramme, die UNESCO empfiehlt den Umgang mit KI erst ab 13 Jahren. Es ist daher dringend notwendig, die einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in KITAs und Schulen zu revidieren, um interdisziplinär und wissenschaftlich fundiert, mit Fokus auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse über IT und KI in Bildungseinrichtungen zu diskutieren. Bei Erziehung und Unterrichten muss das Wohl der Lernenden und die Wirksamkeit pädagogischen Handelns im Mittelpunkt stehen. Dazu fordern wir ein Moratorium und den öffentlichen Diskurs über die notwendigen pädagogischen Prämissen des Einsatzes digitaler Medien in Bildungseinrichtungen.

Prof. Dr. Volker Bank, Technische Universität Chemnitz, Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Chemnitz

Prof. Dr. med. Jürg Barben, Leitender Arzt Pneumologie/Allergologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen

Prof. Dr. Peter Bender, Universität Paderborn, Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik, Paderborn

Prof. em. Dr. Carl Bossard, Gründungsrektor Pädagogische Hochschule PH Zug

Dr. Jutta Breithausen, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften,Institut für Erziehungswissenschaft, Wuppertal

Prof. Dr. Ute Büchter-Römer, apl. Professorin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln

Prof. Dr. Thomas Damberger, Bildungs- und Erziehungswissenschaften im Kontext der Digitalisierung, Freie Hochschule Stuttgart

Prof. Dr. Karl-Heinz Dammer, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Erziehungswissenschaft

Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophie und Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik, Heidelberg

Dr. med. Dr. h.c. Michaela Glöckler, Kinder-und Jugendärztin

Prof. Dr. Johannes Grebe-Ellis, Universitätsprofessur für Physik und ihre Didaktik, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Bergische Universität Wuppertal

Prof. Dr. Bernhard Hackl, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Schulpädagogik, Abteilung Schulpädagogik, Graz

Prof. Dr. Gaby Herchert, Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften,Germanistik, Duisburg

Prof. Dr. Norbert Hungerbühler, Departement Mathematik, ETH Zentrum, HG E63.1, Rämistrasse 101, CH-8092 Zürich

Universitätsprofessor a.D., Dr. rer. pol. Hans-Carl Jongebloed, Universität Kiel, Institut für Pädagogik, Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Prof. Dr. Rainer Kaenders, Mathematisches Institut, Hausdorff Center for Mathematics, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn

Dr. Beat Kissling, Psychologe und Erziehungswissenschaftler/Gymnasiallehrer, Zürich

Prof. em. Dr. Hans Peter Klein, Didaktik der Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt

Prof. Dr. Jochen Krautz, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Design und Kunst

Prof. em. Dr. Hans-Dieter Kübler, Professor für Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg

V.i.S.d.P.: Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V., Web: https://bildung-wissen.eu Wissenschaftler fordern Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen 3 | 9

PD Dr. Axel Bernd Kunze (Univ. Bonn)

Prof. Dr. Volker Ladenthin, Arbeitsbereich Bildungswissenschaft, Lehrstuhl für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft, Bonn

Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Fakultät Medien, HS Offenburg

Hon.Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie,

Psychotherapie und Psychosomatik, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Hannover

Prof. Dr. Jürgen Rekus, Institut für Allgemeine Pädagogik, Universitätsbereich im Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe

Prof. Dr. Ingo Reuter, Kulturwissenschaften, Univ. Paderborn

Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer, Professor für Erziehungswissenschaft am Pädagogichen Seminar der Universität Göttingen

Dr. Klaus Rodens, Kinder- und Jugendarzt, Angertorstr. 6, 89129 Langenau

Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski, Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität zu

Köln, Köln

Prof. Dr. Thomas Sonar, Institut Computational Mathematics, AG Partial Differantial Equations PDE, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig

Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III

Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt, Neurobiologin, ehem. Universität Bielefeld

Prof. Dr. Christoph Türcke. em. Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

Prof. Dr. Anke Wegner, Institut für Germanistik, Didaktik der deutschen Sprache/Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, Universität Trier

Prof. Dr. Ysette Weiss, Institut für Mathematik, AG Fachdidaktik Mathematik, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz

Prof. em. Dr. Dr.h.c Erich Ch.Wittmann, Projekt Mathe 2000, Technische Universität Dortmund

Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik, Universität

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Das grosse Stell-Dich-Ein der internationalen Bildungsindustrie https://condorcet.ch/2023/04/das-grosse-stell-dich-ein-der-internationalen-bildungsindustrie/ https://condorcet.ch/2023/04/das-grosse-stell-dich-ein-der-internationalen-bildungsindustrie/#comments Sun, 02 Apr 2023 07:15:00 +0000 https://condorcet.ch/?p=13531

In seinem aktuellen Sonntagseinspruch nimmt sich Professor Wolfgang Kühnel das "Who is Who" der internationalen Bildungsindustrie vor und durchleuchtet deren Agenda. Ein Genuss und kein Aprilscherz.

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Prof. Wolfgang Kühnel, Stuttgart

Liebe Mitstreiter,

das heutige Wort zum Sonntag ist kein Aprilscherz, wenngleich man bei dem heutigen Datum daran denken könnte. Es geht um ernst gemeinte neue Entwicklungen im Bildungssystem und um einen Blick in die Zukunft.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) hat ja einen hohen Anspruch, nämlich zu skizzieren, was in der Zukunft realisiert werden sollte. Da geht es dann um die Digitalisierung der Kitas und Schulen und zuletzt auch um den Lehrermangel, gewiss ein ungeliebtes Thema für die Mitglieder der SWK:

https://www.kmk.org/kmk/staendige-wissenschaftliche-kommission.html

Alle sollen einbezogen werden …

Hier der Anspruch im Wortlaut

“Die Kommission berät die Länder bei der Weiterentwicklung des Bildungswesens. Sie identifiziert bestehende Probleme und gibt evidenzbasierte Empfehlungen für deren Lösung. Dabei nimmt die Kommission eine interdisziplinäre, längerfristige und systemische Perspektive ein. Expert:innen und Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft werden in Hearings einbezogen.” Das klingt doch gut, angeblich sind alle einbezogen, sogar die Praktiker. Speziell das Wort “Zivilgesellschaft” sollten wir uns kurz merken, es kommt später noch einmal vor. Betrachten wir die Empfehlungen vom  7.10.2021 zur “Bildung in der digitalen Welt”.

Auf den Seiten 7-8 stehen allgemeine Ziele wie “Fähigkeit zur Selbststeuerung, Abstraktionsfähigkeit, kooperative und kommunikative Kompetenzen, digitalisierungsbezogene Einstellungen (!)” usw., die ersten konkreten Empfehlungen stehen auf Seite 11, darunter die zu “zentrale Abschlussprüfungen mit einer obligatorischen Nutzung digitaler Werkzeuge bei der Bearbeitung”. Das war wohl noch vor dem Bekanntwerden des Systems ChatGPT. Es drohen ja massive Probleme, die Eigenleistung einzelner Schüler überhaupt noch zu erkennen, wenn Geräte benutzt werden dürfen oder sollen, die mit der Außenwelt über WLAN vernetzt sind. Ob die Kommission davon wusste?

Woher kommen eigentlich diese allgemeinen Ziele?

Zur Begründung dieser ersten Empfehlungen wird ausdrücklich auf die “21st Century Skills” Bezug genommen, so als seien die eine Art wissenschaftliche Grundlage. Der sprachliche Stil verrät einiges über das Vorgehen der Kommission: “Auf diese Zieldefinitionen beziehen sich auch die 21st Century Skills, die Antworten auf die Herausforderungen einer digitalisierten und technologisierten Gesellschaft im 21. Jahrhundert geben sollen. Das OECD-Framework sowie die Partnership for Twenty-first Century Skills beschreiben entsprechende Ziele von Bildungsprozessen.”

Das kann man nur so verstehen, dass die genannten Zieldefinitionen der SWK kohärent mit dem OECD-Framework sind. Zum OECD-Framework werden einerseits der OECD-Lernkompass 2030

https://www.oecd.org/education/2030-project/contact/OECD_Lernkompass_2030.pdf

sowie andererseits das “framework for 21st Century Learning”

https://static.battelleforkids.org/documents/p21/P21_framework_brief.pdf

zitiert. Beide Dokumente verdienen es, mal “gegen den Strich” gelesen zu werden.

In der Einleitung zu diesem OECD-Lernkompass steht noch einmal das Wort “Zivilgesellschaft”, denn die Autoren bezeichnen sich selbst als den “zivilgesellschaftlichen  Teil” dieses OECD-Projekts auf deutscher Seite, das sich mit der Zukunft von Bildung beschäftigt.

Und am Schluss der Einleitung wird genauer gesagt, wer auf deutscher  Seite als “zivilgesellschaftliche Partner” dabei beteiligt waren.

Das sind nicht etwa staatliche Stellen und auch nicht die sonst üblichen gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften und Arbeitgeber, Kirchen, Sozialverbände, Universitäten, Lehrerverbände, Parteien usw., sondern:

  1. die Bertelsmann-Stiftung,
  2. die Telekom-Stiftung,
  3. Education Y e.V. (dahinter verbirgt sich die Vodafone-Stiftung),
  4. die Siemens-Stiftung und
  5. Global Goals Curriculum e.V. (ein Teil der deutschen Unesco-Kommission, aber keineswegs DIE deutsche Unesco-Kommission).

“Mit der Verabschiedung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, bis 2030 eine hochwertige, inklusive und chancengerechte Bildung für Menschen weltweit und ein Leben lang sicherzustellen.”

Diese Unesco-Kommission gibt auf ihrer Homepage unter “Public Private Partnerships” an, dass man ja ohne die Mitwirkung von Unternehmen nichts erreichen könne, und ihre aktuellen Partner-Unternehmen werden wie folgt genannt:

  1. die BASF-Stiftung,
  2. Danone Waters Deutschland,
  3. dm-drogerie markt und
  4. L’Oreal Deutschland.

Wer sonst noch dort mitwirkt oder wie dort die entscheidenden Leute bei Global Goals Curriculum benannt werden, ist schwer herauszufinden. Jedenfalls hat man auch dort eine “Agenda Bildung 2030”, das passt rein zufällig gut zum OECD-Bildungskompass 2030, wie schön.

Auf welche Experten man sich dabei stützt, bleibt unklar. Verantwortliche Personen werden nicht mitgeteilt, nur der Präsident der Deutschen Unesco-Kommission wird namentlich genannt.

Vollmundig erklärt man auf der Homepage: “Mit der Verabschiedung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, bis 2030 eine hochwertige, inklusive und chancengerechte Bildung für Menschen weltweit und ein Leben lang sicherzustellen.” Damit kann die Kommission dann auch die Abschaffung der deutschen Förderschulen fordern, denn der “inklusiven und chancengerechten Bildung” kann natürlich niemand widersprechen. Auf welche Experten man sich dabei stützt, bleibt unklar. Verantwortliche Personen werden nicht mitgeteilt, nur der Präsident der Deutschen Unesco-Kommission wird namentlich genannt.

Normalerweise stellt man sich unter der OECD einen Zusammenschluss von Staaten vor, deren Institutionen dann gemeinsame Stellungnahmen erarbeiten. Aber man stellt sich nicht eine Ansammlung von unternehmensnahen Stiftungen vor, die ohne jede demokratische Kontrolle  agieren. Mit “Zivilgesellschaft” ist das jedenfalls nicht korrekt beschrieben, man könnte eher an einen Zusammenschluss internationaler Unternehmen denken, deren Stiftungen bekanntlich auch dem Steuersparen dienen (neudeutsch: Steuervermeidung).

Aber von Politik und Wissenschaft ist nichts zu sehen außer zahlreiche Zitate am Schluss. Zitate sind aber keine Zusammenarbeit mit den Zitierten.

Wo also bleibt der Einfluss der eigentlich zuständigen Institutionen, etwa deutsche Ministerien? Wo bleibt der Einfluss des deutschen Wählers, der von all dem vermutlich gar nichts weiß? Und inwiefern ist PISA dem nun untergeordnet? Man vergleiche das Vorwort von Andreas Schleicher in dem OECD-Lernkompass: Da behauptet er einfach, der OECD-Lernkompass sei “in einer internationalen Zusammenarbeit von Verantwortlichen aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft der OECD-Staaten entwickelt.”

“Im Sinne dieser Veränderungen haben sich Fokus und Zielrichtung der Überwachung der Leistung des  Bildungssystems verändert: von der herkömmlichen Wertschätzung von Rechenschaftspflicht und Einhaltung von Standards zur kontinuierlichen Verbesserung des Systems durch das Feedback auf allen Systemebenen.”

Aber von Politik und Wissenschaft ist nichts zu sehen außer zahlreiche Zitate am Schluss. Zitate sind aber keine Zusammenarbeit mit den Zitierten. Und das wird von der SWK ohne weiteren Kommentar bei den Empfehlungen mit zugrunde gelegt.

Vielleicht ist Seite 15 im Lernkompass typisch, wo drei Jahrhunderte gegenübergestellt werden. Zum 19. Jahrhundert heißt es noch “Profitstreben steht im Mittelpunkt”, im 20. Jahrhundert gibt es dann die “soziale Verantwortung der Unternehmen”, und für das 21. Jahrhundert heißt es, die Unternehmen bezögen “die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen mit ein”. Ob das auch für die IT-Industrie sowie die Rüstungsindustrie gelten mag?

Hier noch ein schönes Zitat von Seite 16:

“Im Sinne dieser Veränderungen haben sich Fokus und Zielrichtung der Überwachung der Leistung des  Bildungssystems verändert: von der herkömmlichen Wertschätzung von Rechenschaftspflicht und Einhaltung von Standards zur kontinuierlichen Verbesserung des Systems durch das Feedback auf allen Systemebenen.”

Also niemand kann dem “System” dann noch entrinnen, nicht einmal durch Leistungsverweigerung. Erinnert das vielleicht an “Big Brother is watching you”?

Die andere Quelle “21st Century Learning” ist ein Dokument, das noch nicht einmal einen namentlichen Autor hat, nur eine US-Organisation ohne erkennbare Legitimation, ganze zwei Seiten mit Schlagworten wie “21st century Themes, Innovation Skills” etc. sowie nicht weniger als 10 Wortkombinationen mit “Literacy”, z.B. “Health Literacy, Media Literacy, Financial, Economic, Business, and Entrepreneurial Literacy”. Das ist aber alles sehr allgemein, um nicht zu sagen “höheres Blabla”.

Ferner wird auf ein Strategiepapier “Bildung in der digitalen Welt” der KMK von 2016 Bezug genommen, das angeblich bereits bundesweit umgesetzte Vorgaben enthält, so als sei dieses wissenschaftlich maßgeblich.

Im Literaturverzeichnis fehlt dann allerdings gerade dieses KMK-Strategiepapier. Neben einer Klärung des Stellenwerts des Schulfaches Informatik werden in Abschnitt 1.3 noch die folgenden   Empfehlungen gegeben:

“Die Weiterentwicklung der Gesamtstrategie der KMK zur Qualitätssicherung im Bildungswesen hinsichtlich der Erfassung der drei  Kompetenzbereiche in Large-Scale Assessments.”

Man kann sich wohl vorstellen, welche Begeisterung das bei dem Kita-Personal auslösen wird.

Die weiteren Details der SWK-Empfehlungen müssen an anderer Stelle ausführlich gewürdigt werden, auch die Empfehlung vom 19.9.2022, dass selbstverständlich die Kitas nicht verschont bleiben dürfen, wörtlich ist von “Digitale[r] Medienbildung und elementarinformatische[r] Bildung als Bildungsziele” die Rede, was bereits jetzt in den meisten Bildungsplänen der Länder enthalten sein soll, und es heißt explizit: “Es sollte eine digitale Plattform mit evidenzbasierten digitalen Anwendungen für alle Inhaltsbereiche der sprachlichen, mathematischen, sachkundlichen und ästhetischen frühen Bildung sowie Elementarinformatik und Computational Thinking aufgebaut werden, die in die Aus- und Weiterbildung des frühpädagogischen Personals integriert wird.”

Man kann sich wohl vorstellen, welche Begeisterung das bei dem Kita-Personal auslösen wird. Es fehlen jetzt schon Kita-Betreuer, und mehr Elementarinformatik in deren Ausbildung wird das wohl kaum verbessern. Eher wird es Satiriker und Kabarettisten herausfordern, sich die neue digitalisierte Kita für 3-Jährige auf ihre Art auszumalen.

W. E. Fthenakis des Didacta Verbands der Bildungswirtschaft, Ehrenlobbyist im Deutschen Bundestag

In einem Interview zur Didacta 2023 erklärte der Ehren-Lobbyist W. E. Fthenakis des Didacta Verbands der Bildungswirtschaft (der übrigens im Lobbyregister des Deutschen Bundestages verzeichnet  ist) schon mal konkret, was gemeint sein könnte:

“Bereits im dritten Lebensjahr können die Kinder beim Verlassen der Einrichtung mit Hilfe von Piktogrammen ihren Tag evaluieren.”

Und diese Daten können vermutlich dann direkt und Online in den Bericht einer Kita-Evaluierungskommission aus dem zuständigen Ministerium eingehen. Kein Aprilscherz.

In diesem Sinne wünscht einen schönen Sonntag

Wolfgang Kühnel

PS: Nur zur Kontrolle hier die Quelle für das Zitat von Fthenakis:

https://www.news4teachers.de/2023/03/fthenakis-die-digitalisierung-zum-anlass-nehmen-um-das-bildungssystem-grundlegend-zu-veraendern-darin-liegt-die-chance/

 

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Sarah soll verstehen https://condorcet.ch/2022/02/sarah-soll-verstehen/ https://condorcet.ch/2022/02/sarah-soll-verstehen/#respond Tue, 15 Feb 2022 10:43:46 +0000 https://condorcet.ch/?p=10558

Frühförderung scheint von rechts bis links ein valables Mittel zu sein, um den Spracherwerb in einer der Landessprachen zu forcieren und dabei unterschiedliche Startchancen zu verhindern. Wie aber gestaltet man eine Sprachförderung wirksam? Der NZZ-Autor Giorgio Scherrer besuchte eine KITA und machte eine Bestandsaufnahme. Wir schalten diese qualitativ hochstehende Reportage gerne für unsere Leserinnen und Leser auf.

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Sarah* mag Nastücher. Sie faltet sie genüsslich auf, wirft die gebrauchten schwungvoll in den Abfall und beschwert sich lautstark, wenn es keine mehr hat. Jetzt drückt sie sich gerade zwei über das Gesicht, springt auf und schnäuzt sie bei der Landung voll. Es ist ein Gaudi. «Sarah, wie viele Nastücher hast du denn da?», fragt Carolin Deiner. «Zwei!», ruft Sarah fröhlich, und beide lachen.
Eine ganz normale Szene in einer ganz normalen Kita in ZürichAltstetten? Nicht ganz. Denn Carolin Deiner, die an diesem Morgen mit Sarah spielt, ist keine normale KitaFachfrau, sondern eine Spezialistin für Deutschförderung bei Kleinkindern. Und Sarah drei Jahre alt, zwei Muttersprachen, keine davon Deutsch hätte noch vor wenigen Monaten weder Deiners Frage verstanden noch ihr so antworten können. «Sie hat heute Worte aufgegriffen, neue verstanden», wird Deiner nach der Spielstunde mit Sarah sagen.
«Das war ein erfolgreicher Besuch.»

Bei der Sprachförderung ist Rollenspiel angezeigt.

Lernen mit Spielzeugfischen
Sarah erhält alle zwei Wochen eine Stunde lang Deutschförderung von Carolin Deiner, dazwischen arbeiten die KitaAngestellten mit ihr. Das Ziel: Sarah soll aufholen. Kinder in ihrem Alter können normalerweise klar sagen, was sie wollen. Ohne Hilfe ein Rollenspiel machen, Verkäuferlis zum Beispiel. Sarah kann das auf Deutsch noch nicht. Bis sie in den Kindergarten kommt, soll sie gleich weit sein wie die anderen. Damit sie ihre Schulkarriere nicht schon mit einem Rückstand beginnt.
Doch wie bringt man einer Dreijährigen überhaupt Deutsch bei? Zum Beispiel so: Sarah inszeniert gerade die Schlachtung eines Spielzeugfischs und kommentiert in ihrer Muttersprache Englisch. Carolin Deiner spielt mit.

Sarah: «Bye, fish!»

Deiner: «Tschüss, Fisch!»

«Bye, fish!» «Tschüss, Fisch!» «. . .Tschüss!»

Der Fisch wird getötet und zubereitet.

Sarah: «Yummy!»

Deiner: «So fein!»

«Yummy!»

«So fein!»

«. . . Yummy!»


Im Spiel die deutschen Wörter hören, durch Wiederholung die richtigen Ausdrücke lernen und sie am Ende idealerweise selbst anwenden: So funktioniert Deutschunterricht in Zürcher Kitas. «Ich zwinge ihr nichts auf, gehe auf ihre Interessen ein, fordere sie aber auch heraus», sagt Carolin Deiner. Etwa mit neuen Wörtern oder offenen Fragen.

«Was isst der Fisch?»

«Yummy!»

«Was isst er?»

«Yummy!»

«Was isst er?»

«Ässe Brot.»

Die Sprachförderung hat ihr einen guten Schubs gegeben, um sich hier noch wohler zu fühlen.

Sarah lacht schallend. Spass scheint sie also zu haben. Aber hat sie auch wirklich etwas gelernt? Ja, findet man in Sarahs Kita. Anfangs sei sie zurückhaltend und schüchtern gewesen, erzählt ihre Betreuerin Cristina Chirica. Bei Konflikten habe Sarah schnell nachgegeben. «Die Sprachförderung hat ihr einen guten Schubs gegeben, um sich hier noch wohler zu fühlen.» Wenn sie etwas nicht hergeben möchte, schreit sie nun: «Nei!» Wenn sie etwas nicht versteht, fragt sie: «Hä?» Und sie hat eine beste Freundin gefunden, die ihr kürzlich das Wort «Eisenbahn» beibrachte.

Die Stadt Zürich setzt voll auf die Deutschförderung in Kitas. In den vergangenen sechs Schuljahren hat sie ihr Programm dazu stetig ausgebaut. Eine externe Evaluation stellte der Deutschförderung ein gutes Zeugnis aus. 428 Kinder in 134 Kitas sind zurzeit Teil davon. Und es sollen noch mehr werden. Bis 2025 sollen 14 Prozent der Kinder im Vorschulalter mitmachen, also etwa doppelt so viele wie jetzt. Die Kosten belaufen sich auf 1,7 Millionen Franken jährlich. Bis 2025 sollen es 2,9 Millionen sein.

Das Programm «Gut vorbereitet in den Kindergarten» funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Ein Kind mit Deutschdefizit kommt in eine reguläre Kita. Dort erhält es regelmässig Förderstunden, bezahlt von der Stadt und durchgeführt von der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Die KitaAngestellten schauen dabei zu und lernen auf diese Weise, wie sie die Techniken der Expertin selbst anwenden können. So auch bei Sarah. Ihre Betreuerin Cristina Chirica schaut der Förderstunde auf einem kleinen Kinderstuhl sitzend zu, mit Notizpapier und Stift in der Hand.

«Grüezi, ich hätte gern ein Brot.»

«Da is kei Brot.»

«Was denn? Ein Fisch?»

«Nei, kei Fisch.»

«Gibt’s gar nichts?»

«No.»

«Nein?»

«Nobody, no Brot.»


Diesen Dialog bespricht Chirica später im Coaching, das auf jede Förderstunde folgt. Sarah gibt mehrmals auf Deutsch Antwort, das ist ein Fortschritt. Doch die Vermischung mit englischen Wörtern ist ein Problem. Beide Sprachen gut zu sprechen, aber zwischen ihnen unterscheiden zu können, ist ein zentrales Ziel der Förderung.
Deshalb spricht Cristina Chirica möglichst kein Englisch mit Sarah, sondern redet mit Händen und Mimik, wenn Sarah sie nicht versteht. «Sie hat die Ideen, aber keine deutschen Wörter dafür», sagt Chirica. «Die versuchen wir ihr zu geben.»

«Let’s go!»

«Los geht’s!»

«Let’s go!»

«Los geht’s!»

«. . . Bauzoooo!»

Manchmal weiss auch die Förderexpertin Deiner nicht, was ihr Schützling da gerade zu sagen versucht. «Aber man darf ihr nicht zeigen, dass man sie nicht versteht.» Sonst zieht sich Sarah zurück, probiert nichts mehr aus. Dabei ist genau das ausprobieren, scheitern, neu versuchen der Kern des Lernens, bei jeder Sprache.

Nicht weniger als drei Sprachen prägen Sarahs Alltag: Englisch, Französisch und Deutsch. Sie ist damit kein Einzelfall. Die Hälfte der Zürcher Kinder wächst mehrsprachig auf, für 40 Prozent ist Deutsch eine Zweitsprache, und jedes dritte Kleinkind braucht sprachliche Förderung. Das zeigt eine Erhebung der Stadt. Immerhin die Hälfte der förderbedürftigen Kinder nimmt am Deutschprogramm Teil, Tendenz steigend. Das Angebot wird also rege genutzt. Eltern erhalten von der Stadt auch kein zusätzliches Geld, wenn sie ihr Kind dafür in der Kita platzieren. Die regulären Subventionen sind für Geringverdienerinnen allerdings bereits recht grosszügig. Entsprechend stammen auch die meisten Förderkinder aus finanziell weniger privilegierten Verhältnissen.

Durch den Kontakt mit der Kita sollen aber auch die Eltern mitbekommen, wie viel Selbständigkeit zum Beispiel bei der Einschulung erwartet wird.

Sie isst zum Zmittag am liebsten nur Brot.

Kinder in die Kitas bringen
Die Stadt will mit ihrem Programm vor allem Kinder erreichen, die noch nicht in einer Kita sind und wegen des Förderprogramm überhaupt erst eintreten. Sie sollen dank der frühen Fremdbetreuung nicht nur besser Deutsch lernen, sondern auch andere Kinder und schulische Strukturen kennenlernen. «Die Kinder kommen zum Teil aus Familien ohne viele Kontakte zum deutschsprachigen Umfeld», sagt Carolin Deiner. «Für sie ist es besonders wichtig, die Sprache ihrer Umgebung kennenzulernen.» Das könne manchmal ein kleiner Kulturschock sein, es sei aber für die Vorbereitung auf den Kindergarten wichtig.
Durch den Kontakt mit der Kita sollen aber auch die Eltern mitbekommen, wie viel Selbständigkeit zum Beispiel bei der Einschulung erwartet wird. Und die Kinder sollen lernen, welche Art von Essen es in schulischen Einrichtungen gibt. So wie Sarah: Sie isst zum Zmittag am liebsten nur Brot. Kartoffelstock oder Pommes frites sind ihr nicht geheuer. Deshalb wird sie jetzt langsam an das gewöhnt, was in ihrer Kita als normale Mittagskost gilt. Dabei müssen sich die KitaFachpersonen täglich die Frage stellen: Wo endet die Förderung von Sprache und Integration? Und wo beginnt Erziehung zu einem bestimmten Verhalten? Einfache Antworten darauf gibt es nicht. Doch alle Beteiligten betonen, es gehe darum, den Kindern beim Lernen zu helfen. Die Erziehung bleibe Sache der Eltern. «Sie sind die Experten, was ihr Kind angeht», sagt Carolin Deiner. «Wir sind die Experten beim Erlernen der Sprache.»

Die Förderexpertin sitzt neben Sarah auf dem Boden, folgt ihr von Spiel zu Spiel, hört zu, spricht Wörter auf Deutsch nach. Was sie tut, ist keine Hexerei. Es ist eigentlich einfach das, was es in Kitas zwischen Erwachsenen und Kindern zu selten gibt: ein längeres Gespräch.

«I bin Sarah!»

«Und ich bin Carolin.»

«I bi Carolin!»

«Wirklich? Dann wäre ich ja Sarah.»

«Nei, i bin Sarah!»

«Du bist Sarah, ich bin Carolin. Ist es so richtig?»

«Ja!»

 

Yasmine Bourgeois, Zürich, Primarlehrerin, Schulleiterin, Gemeinderätin FDP und Condorcet-Autorin: Es ist einfach schade, wenn ein kluges Kind deshalb nicht weiterkommt.

Das Frühförderprogramm der Stadt hilft nicht nur dem Deutsch der Kinder. Es schafft auch in der Politik etwas Seltenes: Von rechts bis links steht eine breite Allianz dahinter und das im sonst so umkämpften KitaThema. Für die FDPGemeinderätin Yasmine Bourgeois ist die Freiwilligkeit zentral, solange für einen obligatorischen KitaBesuch die Gesetzesgrundlage fehlt. Es sei zudem wichtig, dass bei zusätzlichen KitaSubventionen Zurückhaltung geübt werde. «Wer selber zahlen kann, soll das auch tun.» Unter diesen Voraussetzungen befürwortet sie die Sprachförderung in Kitas. Denn: «Wenn man mit schlechtem Deutsch startet, zieht sich das durch die gesamte Schulkarriere», sagt Bourgeois, die selbst eine Primarschule leitet. «Sogar in Mathe ist es schwierig, wenn man die Sprache nicht gut spricht. Und es ist einfach schade, wenn ein kluges Kind deshalb nicht weiterkommt.»
Ähnlich sieht es die ALKantonsrätin Judith Stofer. «Frühförderung ist total wichtig, für die Sprache und die Integration», sagt sie. Es sei im Interesse der Kinder, dass sie gut Deutsch lernten und nicht abgeschottet würden. «Je früher die Kinder in der Kita sind, desto besser, auch für ihre sozialen Kompetenzen.»

Nicht ganz einig sind sich linke und rechte Politikerinnen, wenn es um eine allfällige Verpflichtung zum KitaBesuch geht.


Zürich als Vorbild

Nicht ganz einig sind sich linke und rechte Politikerinnen, wenn es um eine allfällige Verpflichtung zum KitaBesuch geht. Für Stofer wäre eine solche für Kinder mit Deutschproblemen denkbar. Aber auch sie findet: «Eigentlich sollte man es auch ohne Pflicht schaffen, genug Eltern von einer Teilnahme zu überzeugen.»
So sieht es auch eine Mehrheit im Zürcher Kantonsrat, der eine KitaPflicht beschliessen müsste. Entsprechende Vorstösse wurden mehrmals abgelehnt. Letztes Jahr wurde jedoch mit knapper MittelinksMehrheit entschieden, dass der Kanton die Gemeinden beim Ausbau der DeutschFrühförderung unterstützen soll. Das Stadtzürcher Projekt könnte dabei zum Vorbild werden. Richterswil führt derzeit ein sehr ähnliches Pilotprojekt zur Kitaintegrierten Deutschförderung durch. Andere Gemeinden wie Kloten oder Wallisellen haben schon länger eigene Programme.

Zurück in der Kita in Zürich Altstetten. Dort sorgt unterdessen Sarahs Schnuddernase erneut für eine Lerngelegenheit. «Sarah, willst du dir nicht die Nase putzen gehen?», fragt Carolin Deiner. Sarah blickt vom Spielen auf, plötzlich konzentriert. Keine Handbewegung verrät, was gemeint sein könnte. Da ist nur die Sprache. «Die Nase putzen?», wiederholt Deiner. Sarah sitzt ganz still. Dann steht sie plötzlich auf, holt sich ein Nastüechli und schnäuzt genüsslich. Sie hat verstanden.

* Name geändert

Diese Reportage erschien ursprünglich in der NZZ (31.1.22) und wurde von Giorgio Scherrer verfasst.

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Kühnels-Sonntagszwischenruf: Mathematikschwäche: Jetzt sollen es die KITAS richten! https://condorcet.ch/2021/11/kuehnels-sonntagszwischenruf-mathematikschwaeche-jetzt-sollen-es-die-kitas-richten/ https://condorcet.ch/2021/11/kuehnels-sonntagszwischenruf-mathematikschwaeche-jetzt-sollen-es-die-kitas-richten/#comments Sun, 07 Nov 2021 11:15:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=9745

Wieder einmal ein Sonntagszwischenruf von Wolfgang Kühnel, Mathematikprofessor in Stuttgart. Er beschäftigt sich mit den immer sonderbareren Ideen, der chronischen Mathematikschwäche in unserem nördlichen Nachbarland entgegenzuwirken.

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Professor Kuehnel:
Sollte die Kita
schon bisher für die Sprachbildung derjenigen Kinder
sorgen, die sprachliche Defizite haben,
so sollen jetzt die Kita-Kinder auch in Mathematik und “en passant” unterrichten werden.

Liebe Mitstreiter,

dass es um die MINT-Fächer in unserem Bildungswesen nicht gerade zum besten steht, hat sich ja wohl allgemein herumgesprochen. MINT-Fächer sind weder in der Schule besonders beliebt noch sind sie bevorzugte Studienfächer an Hochschulen.

Aber gab es nicht im Anschluss an TIMSS und PISA gewaltige Reformen gerade in den Schulfächern Mathematik und Naturwissenschaften? Hat man nicht neu konzipierte Bildungsziele formuliert, hat in Deutschland die KMK Bildungsstandard verabschiedet, das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) gegründet, das Monitoring eingeführt mit ständigen Mathematiktests usw.?

Hat nicht auch PISA immer auch die Kenntnisse in Naturwissenschaften mit der “literacy” getestet?

Ein “bildungspolitisches Forum 2021 des Leibniz-Forschungsnetzwerks Bildungspotentiale (LERN)” unter Leitung von Herrn Köller hat nun Vorschläge unterbreitet, wie alles besser werden kann:

Lerngelegenheiten für naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen sowie für numerisches bzw. quantitatives Denken” schaffen

https://www.leibniz-bildung.de/wp-content/uploads/2021/07/BPF21_Positionspapier.pdf

Die Vorschläge sind verblüffend: Die Kitas sollen es richten. Zu diesem Zweck soll dem Betreuungspersonal (früher mal “Kindergärtner/in” genannt) eine zusätzliche Aufgabe auferlegt werden. Sollte die Kita schon bisher für die Sprachbildung derjenigen Kinder sorgen, die sprachliche Defizite (zumindest im Deutschen) haben, so sollen sie jetzt die Kita-Kinder auch in Mathematik und anderen MINT-Fächern so “en passant” unterrichten, indem sie “Lerngelegenheiten für naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen sowie für numerisches bzw. quantitatives Denken” schaffen.

Nichts leichter als das: Woran bisher die Grundschullehrer/innen scheiterten, das sollen jetzt die Kita-Betreuer/innen richten, eine geniale Idee.

Olaf Köller: Verblüffende Vorschläge!

Nichts leichter als das: Woran bisher die Grundschullehrer/innen scheiterten, das sollen jetzt die Kita-Betreuer/innen richten, eine geniale Idee. Die Kommission empfiehlt dazu eine “länderübergreifende Einführung von Standards in der Ausgestaltung der fachschulischen Ausbildung von Erzieher*innen”, also mehr Bürokratie. Weiter heißt es: “Neben fachlichen Inhalten müssen auch fachdidaktische Inhalte flächendeckend Eingang in die fachschulische und hochschulische Ausbildung finden.”

Aber hatte man nicht vor einiger Zeit festgestellt, dass auch die Grundschullehrer/innen oft genug Schwierigkeiten mit der Mathematik haben? Wurde nicht deswegen schon ein obligatorischer Mathematikanteil im Studium des Grundschullehramts eingeführt?

Heißt das jetzt im Ernst, die künftigen Reformen müssten sich auf den Kindergarten konzentrieren, weil in der Sekundarstufe hinsichtlich Mathematik und Naturwissenschaften schon alles in bester Ordnung ist?

Keine Angst, alles nur spielerisch

Und jetzt also auch die Erzieher/innen in der Kita. Andererseits gehörte es in Kreisen von progressiven Pädagogen geradezu zum guten Ton zu behaupten, dass sich die Ausbildung der Gymnasiallehrer viel zu sehr am Fach orientiere, ja dass diese geradezu zu “Wissenschaftlern” statt zu Lehrern ausgebildet würden? Von der Sekundarstufe ist aber seltsamerweise kaum noch die Rede in dem o.a. Link des bildungspolitischen Forums. Heißt das jetzt im Ernst, die künftigen Reformen müssten sich auf den Kindergarten konzentrieren, weil in der Sekundarstufe hinsichtlich Mathematik und Naturwissenschaften schon alles in bester Ordnung ist?

So nebenbei wird auf Seite 7 auch festgestellt, warum nicht genügend viele Frauen in den MINT-Fächern tätig sind: Es sind die “niedrigeren Lohnerwartungen von Frauen, die sich durch niedrigere Einstiegsgehälter und geringere Lohnzuwächse realisieren”, und außerdem die “anderen Karriereperspektiven”. Und deshalb sollen Frauen “umso stärker für MINT-Studiengänge begeistert werden”.

Immerhin zeigt das bildungspolitische Forum auch auf, woran es wohl generell mangelt, nämlich an den “digitalen Kompetenzen”. Das ist dann das “I” in MINT. Das müsse “in allen Bildungsetappen (vom Elementarbereich bis in die berufliche Bildung)” unbedingt berücksichtigt werden, und “dazu sollte das Fach Informatik in den Stundentafeln der Sekundarstufen I und II des allgemeinbildenden Schulsystems ausgebaut werden.”

Die letzte Forderung ist ja nun kein besonders origineller Vorschlag, das gab es doch alles schon. Aber woran ist es denn bislang gescheitert? Dazu wird nichts gesagt.

Zum Glück gibt es zu der “digitalen Bildung” in den Kitas ja schon kompetente Ausführungen von Herrn Lankau, die ich hier nicht wiederholen muss:

Kindeswohlgefährdung von Amts wegen – Offener Brief zu Tablets in Stuttgarter Kitas

 

In diesem Sinne wünscht einen schönes Sonntag

Wolfgang Kühnel

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