Eymann - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 05 Oct 2022 20:08:51 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Eymann - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Note «ungenügend»: Das bürgerliche Versagen in der Bildungspolitik https://condorcet.ch/2022/10/note-ungenuegend-das-buergerliche-versagen-in-der-bildungspolitik/ https://condorcet.ch/2022/10/note-ungenuegend-das-buergerliche-versagen-in-der-bildungspolitik/#comments Wed, 05 Oct 2022 20:08:51 +0000 https://condorcet.ch/?p=11836

Die FDP fordert massive Verbesserungen an den Schulen. Und will damit wettmachen, was unter ihr – und der Schwesterpartei LDP – im Desaster geendet hat. Ob das gelingt? Daran darf man zweifeln. Ein Beitrag von Sebastian Briellmann in der BAZ.

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Sebastian Briellmann, Autor der Basler Zeitung

Hoppla, jetzt aber.

Mitte September hat die Grossratsfraktion der Basler FDP sechs Vorstösse eingereicht, gleichzeitig und zum selben Thema: Bildung. Es ist dies, wenn man so will, die parlamentarische Fortsetzung eines zuvor präsentierten Papiers, das, prägnant zusammengefasst, aussagt: Die Basler Schule ist schlecht. Und: Wir kümmern uns nun darum.

Die Freisinnigen haben in ihrem neuen Grundsatzprogramm ja festgelegt, dass Bildung eines von vier grossen Themen ist, die man prägen möchte. Das Dossier ist Teil einer – in wirtschaftsliberaler Sprache gehaltenen – innerparteilichen Restrukturierung.

Gefordert werden: Rankings der Sekundarschulen, Mindestpensen, mehr Einführungsklassen, Weiterbildungsgutscheine für Lehrabgänger, mehr Deutsch-Frühförderung und Ausbildungsanpassungen auf Primarstufe für Lehrer (auch via Berufsbildung anstatt nur mittels Studium).

«Populismus»

Damit möchte die Partei nach Jahren des Niedergangs – endlich, endlich – wieder Akzente setzen.

Man kann, wenn man gutmütig sein will, sagen: Das ist gelungen. Aber vielleicht nicht so, wie sich das die FDP ersehnt hat. In der «Basler Zeitung» ist einer der Vorschläge – Rankings – bereits ordentlich zerzupft worden; die Freiwillige Schulsynode Basel hält solche Vergleiche für «problematisch», und die SP-Grossrätin Franziska Roth, Präsidentin der Bildungskommission im Grossen Rat, bezeichnet die Idee als «völlig daneben».

Und auch die Lehrer empfinden die Pläne, nun ja, bisher nur als semi-witzig. Interessenvertreter – Schulsynode und Starke Schule beider Basel – sparen bei «Prime News» nicht mit Kritik: Mindestpensen sind unflexibel, schwächen die Frauen, fördern den Berufsausstieg. Und bei einer eingeführten Berufsbildung für Primarlehrer fürchtet man nichts weniger als die Abwertung des Lehrerberufs.

Kurz: Die FDP hätte sich doch besser vor der Veröffentlichung bei ihnen gemeldet.

Hoppla, jetzt aber.

Die bürgerlichen Mitstreiter – wenn man das überhaupt noch so nennen kann – haben ebenso wenig Freude an den freisinnigen Denkanstössen. Christoph Eymann, ehemaliger Erziehungsdirektor der LDP, wirft der Schwesterpartei in seiner BaZ-Kolumne sogar «Populismus» und eine «Beleidigung» der Lehrer vor. Der FDP-Vizepräsident reagiert wiederum mit einer vorwurfsvollen Replik.

Hoppla, jetzt aber.

«Katastrophales Zeugnis»

Das mag alles etwas kleingeistig wirken, ist doch noch kein Vorstoss behandelt worden – und mit Ideen könnte man sich ja zuerst einmal auseinandersetzen. Gerade im Fall von Basel-Stadt müsste eigentlich jeder Vorschlag willkommen sein, wenn man an die schulische Tristesse im Stadtkanton denkt.

Konkret an den ersten nationalen Schulvergleich von vor drei Jahren, als die Basler Schüler sowohl in Deutsch als auch in Mathematik versagt haben. Die «Neue Zürcher Zeitung», nicht für übertriebene Zuspitzung bekannt, hat damals schonungslos getitelt: «Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen».

Dabei darf man nicht vergessen: Ein basel-städtischer Schüler kostet laut einer Erhebung (2019) des Bundesamts für Statistik mit fast 20’00 Franken fast doppelt so viel wie einer aus dem Wallis oder aus Freiburg, die natürlich auch noch viel besser abschneiden: Basel-Stadt war bei den letzten Vergleichstests abgeschlagen Letzter, Freiburg in allen Fächern auf dem Podest.

Personalaufwand pro Schüler/in in der obligatorischen Schule nach Schulkanton 2019

Die Realität sieht, sehr schonend formuliert, auch weiterhin nicht verheissungsvoll aus: Stolze 41 Prozent der Kinder müssen ab drei Jahren an staatlichen Förderprogrammen teilnehmen und Deutsch lernen – und besuchen deswegen mindestens zwei Halbtage pro Woche in einer Spielgruppe oder einer Kindertagesstätte eine «frühe Deutschförderung». In Zukunft dürfte dieser Wert noch steigen.

Sicher, es wird versucht, mit grossem Aufwand (und viel Geld natürlich), die Startbedingungen für möglichst alle Kinder zu verbessern. Aber es wirkt bestenfalls wie Pflästerlipolitik, realistischer: wie Makulatur.

Das kaschiert man mit wachsweichem Umgang mit den Schülern: ja nicht zu streng, lieber eine gute Entschuldigung finden. Heute gibts keine Ungenügenden mehr, sondern eine Lektion mehr in einer Lernoase. Spürsch-mi-fühlsch-mi-Groove (auch wenn der Erziehungsdirektor dies vehement bestreitet).

«Zu schlecht für Lehre»

Die Folgen sind gravierend: Die Gymnasialquote ist mit 33 Prozent noch immer viel zu hoch. Und gleich noch eine andere Schreckenszahl: Nur 21 Prozent aller Basler Schulabgänger beginnen nach der obligatorischen Schulzeit eine Lehre. Kurz: Das Niveau der Schulen nivelliert sich seit Jahren nach unten. Die Folgeschäden trägt die Universität, an der die Basler Maturanden die höchsten Abbruchquoten produzieren.

Und weil viele Schüler, die wunderbare Lehrlinge wären, zu Unrecht am Gymi hocken, fehlen der Wirtschaft gute Nachwuchskräfte. Die BaZ hat bereits vor drei Jahren getitelt: «Kritik an Schulen: Viele Basler zu schlecht für Lehre». Lehrmeister und Wirtschaftsverbände grummeln schon lange wegen fehlender Qualität. Die Betriebe suchen ihre Mitarbeiter stattdessen in anderen Kantonen.

Kann es das wirklich sein?

Und wenn dann eine Partei kommt, die endlich mal wieder ein paar Vorschläge bringt: Dann wird sie von allen Seiten kritisiert?

Nun, das hat durchaus seine Gründe. Die FDP ist (zusammen mit der LDP) Teil eines Blocks, der seit über 70 Jahren für die Bildungspolitik die Verantwortung trägt. Also länger, als die Queen regiert hat. Und die Freisinnigen haben alle Reformkatastrophen nicht unbegeistert mitgetragen: Integrative Schule, Frühfranzösisch, Kompetenzorientierung …

Der bekannteste Lehrer der Schweiz, Alain Pichard, lange in Basel aktiv, hat auf seinem «Condorcet»-Blog mit scharfer Klinge das bildungspolitische Versagen seziert: «Die Hüst-und-hott-Reformen der verschiedenen Schulinstitutionen, die kafkaesken Auswüchse der Schülerbeurteilungen (überfachliche Kompetenzen in mehrseitigen Fragebögen), die ultimative Umsetzung des Integrationsartikels, die exorbitanten Ausgaben für Luxusbauten, die Investitionen in den administrativen Überbau, die Schaffung vieler Plan- und Beratungsstellen und die Explosion der Anzahl von Speziallehrerinnen: alles auf Entscheide des Bildungsdepartements der letzten Jahre zurückzuführen.»

Da ist es schon erstaunlich, dass sich Freisinnige und Liberale nun gegenseitig angreifen. Sieben Dekaden in der Verantwortung: War da was?

Das ist in etwa so verständlich wie das FDP-Wahlplakat im Jahr 2000: «Das Beste am Basler Schulsystem sind die Ferien.» Da hatte man beim Freisinn nach wenigen Monaten ohne Erziehungsdepartement wohl bereits vergessen, dass man es zuvor mehr als 30 Jahre lang am Stück unter sich gehabt hatte …

Foto: Plakatsammlung der SFG Basel

Das Problem ist ein altbekanntes: bloss keinen Widerstand. Die Lehrerlobby, die Elternlobby, die Reformlobby? Niemandem soll auf den Schlips getreten werden, es könnte ja Unruhe entstehen, Widerspruch geben, auch Streit. Und wer will denn das, wenn man es sich so bequem eingerichtet hat in den bildungspolitischen Elfenbeintürmen? Also gibt es gut klingende Reformen, wohlmeinende Versprechen – während in der Realität die Schulen qualitativ verlottern …

Schwesternstreit

Deswegen muss man konstatieren: Es ist eine gute Idee der FDP, dass sie, ziemlich aufwendig umstrukturiert, nun auch alte Gewissheiten hinter sich lassen will. Aber man wünscht sich dann von Vorschlägen schon mehr Konsequenz und Fortschritt – und nicht nur einen politischen Schwesternstreit, ausgetragen via «Basler Zeitung».

Man kommt nicht umhin: Die beiden bürgerlichen Parteien übernehmen keine Verantwortung, sie wehren sich nicht wirklich gegen das Desaster. Und wenn jemand, wie FDP-Präsident Johannes Barth, das Schulproblem zwar erkennt: Dann fabriziert man trotzdem bloss ein Bildungsprogramm auf mediokrem Niveau.

Mehr geht offenbar nicht.

Man wünschte sich deswegen auch mal bildungspolitische Inputs von anderen Parteien. Und? Nun ja: dröhnendes Schweigen. Die SVP hat peinlicherweise noch nie konkretes Interesse an diesem Bereich gezeigt (und beschränkt sich auf stumpfe Schlagworte), die akademisch geprägten Grünen wissen kaum mehr, dass es ausser der Universität noch andere Bildungswege gibt – und die SP, einst die Bildungspartei und eigentlich dem Erbe von Grössen wie Fritz Hauser verpflichtet? Man weiss es gar nicht so genau. Am ehesten scheint sie besorgt darüber, dass korrekt gegendert wird.

    «Die SP-Seilschaften haben sich längst aus den Schulhäusern verabschiedet, sich in die Planungs-Forschungs-Entwicklungs-Evaluations-und-Weiterbildungs-Etage hinaufgeschoben und von der Realität abgekoppelt.»

    Roland Stark, Mitinitiant der Förderklasseninitiative

Es braucht deshalb mehr Engagement aus der Zivilgesellschaft. Dass das möglich ist, zeigt die zustande gekommene Förderklasseninitiative, deren Annahme das Ende der gescheiterten integrativen Schule bedeutete. Das sollte nur der Anfang sein. Mitinitiant Roland Stark, ehemaliger Basler SP-Präsident und Heilpädagoge, bringt es auf den Punkt, wenn er von einem bürgerlichen Totalausfall in der Bildungspolitik spricht. Und er ist auch tief enttäuscht von seiner eigenen Partei: «Die SP-Seilschaften haben sich längst aus den Schulhäusern verabschiedet, sich in die Planungs-Forschungs-Entwicklungs-Evaluations-und-Weiterbildungs-Etage hinaufgeschoben und von der Realität abgekoppelt.»

Hoppla, jetzt aber.

Dieses Fremdeln mit der Realität: Das hat den Kanton in eine katastrophale Lage gebracht. Die Schule verlottert, ein Ende ist nicht in Sicht. Aber die Beletage nippt weiterhin gemütlich am Schämpis, nachdem man sich wieder einmal selbst für eine Reform gratuliert hat.

Wann wird sich jemand ernsthaft dagegen auflehnen?

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Die Bürgerlichen entdecken die Bildungspolitik wieder und geraten sich in die Haare https://condorcet.ch/2022/09/die-krokodilstraenen-von-herrn-eymann/ https://condorcet.ch/2022/09/die-krokodilstraenen-von-herrn-eymann/#comments Fri, 16 Sep 2022 19:02:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=11615

Die Wiederentdeckung der Bildungspolitik durch die FDP führte in Basel zu einem heftigen innerbürgerlichen Streit mit den Liberalen. Beiden Parteien fehlt die Bereitschaft, ihren eigenen Anteil an der heutigen Situation zu reflektieren.

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Alain Pichard, Lehrer Sekundarstufe 1, GLP-Grossrat im Kt. Bern und Mitglied der kantonalen Bildungskommission: Die Eltern sind schuld.

Zunächst einmal die positiven Nachrichten. Die FDP hat die Bildungspolitik wiederentdeckt. Die FDP im Kanton Basel-Stadt hat zumindest einmal die miserablen Testergebnisse der Basler Schülerinnen und Schüler thematisiert, das heisst, zur Kenntnis genommen (siehe https://condorcet.ch/2022/08/die-freisinnigen-fordern-ein-ranking-der-basler-sekundarschulen/).

Im Kanton Bern fordert die Grossratsfraktion der FDP mit einer Motion die Wiedereinführung der Kleinklassen und in der Stadt Zürich bekämpft sie das Anliegen der linken Regierungsmehrheit die Tagesschule für alle verpflichtend zu machen.

Zumindest in Basel hat der Ranking-Vorstoss der FDP zu einem heftigen Streit innerhalb der Bürgerlichen geführt. In einer Kolumne griff der frühere Bildungsdirektor und ehemalige Nationalrat der Basler Liberalen die FDP frontal an und warf ihnen Populismus vor (https://www.bazonline.ch/fdp-bildungspolitik-nein-danke-302002968939).

Die Forderung nach Rankings ist natürlich ausgekochter Populismus und überdies auch noch ein bildungspolitischer Blödsinn.

Christoph Eymann (LDP), ehemaliger Vorsteher des Baselstädtischen Bildungsdepartements: Reiner Populismus.

Ich bin mit Herrn Eymann in der Vergangenheit nicht immer pfleglich umgegangen. In mehreren Podiums- und Streitgesprächen kreuzten wir unsere Klingen. Für einmal muss ich dem freundlichen und umgänglichen Politiker recht geben. Die Forderung nach Rankings ist natürlich ausgekochter Populismus und überdies auch noch ein bildungspolitischer Blödsinn. Die FDP hat es ihren Gegnern leicht gemacht. Die Ursachen für den Absturz der einst stolzen Basler Schule sind hausgemacht. Zahlreiche unausgegorene Bildungsreformen haben unsere Schullandschaft schweizweit umgepflügt. An kaum einem anderen Ort wurden sie aber so strikt umgesetzt wie in der Stadt Basel. Die Hüst-und-Hott-Reformen der verschiedenen Schulinstitutionen, die kafkaesken Auswüchse der Schülerbeurteilungen (überfachliche Kompetenzen in mehrseitigen Fragebögen), die ultimative Umsetzung des Integrationsartikels, die exorbitanten Ausgaben für Luxusbauten, die Investitionen in den administrativen Überbau, die Schaffung vieler Plan- und Beratungsstellen und die Explosion der Anzahl von Speziallehrerinnen sind alles auf Entscheide des Bildungsdepartements der letzten Jahre zurückzuführen. In kaum einem Kanton wurden auch den Lehrkräften ein derart rigides Kommunikationsverbot gegen aussen verordnet, wie im eigentlich linken Basel.

Frühfranzösisch und Passepartout: Ein kolossaler Flop.

Und die FDP? Sie hat sämtliche Reformen unterstützt, namentlich das gänzlich gescheiterte Frühfranzösisch und den gewaltigen Passepartout-Flop. Wenn Herr Eymann nun in seiner gewohnt nonchalanten Art die Diffamierungskeule auspackt, dann darf er ruhig auch an seinen Beitrag zum Basler Bildungsdesaster erinnert werden. Von Selbstkritik ist aber bei ehemaligen Magistraten keine Spur zu erkennen.

Im Gegenteil. Gegen Schluss seiner Kolumne gehen seine Schuldzuweisungen noch an die Eltern. Er schiebt ihnen unverhohlen eine Mitschuld am Bildungsdesaster zu: «Wer ernsthaft die Schulen verbessern will, muss nach den Gründen für den unbefriedigenden Zustand fragen. Könnte es sein, (…), dass die fehlende Motivation und Kontrollbereitschaft des Elternhauses mitursächlich sind für ungenügende Schulanstrengungen und -leistungen?»

Und natürlich darf der Ruf eines Basler Politikers, dem in seiner Chemiestadt so viel Mittel wie kaum sonst wo zur Verfügung standen, nach mehr Geld nicht fehlen: «Die FDP kann Hervorragendes für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort leisten – nicht mit diesem verunglückten Papier – aber, indem sie die FDP-Bildungsdirektorin des Nachbarkantons überzeugt, bei Universität und Fachhochschule nicht noch weiter zu sparen, sondern die in allen Fakultäten vorhandene Exzellenz mit mehr Geld und damit wirklich partnerschaftlich zu fördern».

Zur Erinnerung: Die Stadt Basel gibt pro Kopf und pro Jahr 20’000 Fr. für einen Schüler der Volksschule aus. Der Kanton Freiburg nur die Hälfte. Der Kanton Freiburg belegte bei den Vergleichstests je nach Fach die ersten drei Plätze, während die Stadt Basel abgeschlagen auf dem letzten Platz lag (ÜGK, 2018). Geld alleine wird es wohl nicht richten.

Aber vermutlich kontrollieren die Freiburger Eltern ihre Kinder besser.

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Das EDK-Frühfremdsprachenkonzept: Eine Parabel in sechs Akten oder Wie aus Reformitis Big Business wird https://condorcet.ch/2019/10/das-edk-fruehfremdsprachenkonzept-eine-parabel-in-sechs-akten-oder-wie-aus-reformitis-big-business-wird/ https://condorcet.ch/2019/10/das-edk-fruehfremdsprachenkonzept-eine-parabel-in-sechs-akten-oder-wie-aus-reformitis-big-business-wird/#respond Sun, 20 Oct 2019 18:24:01 +0000 https://condorcet.ch/?p=2457

Am Donnerstag, den 2. Juni 2016, veröffentlichten die heutigen Condorcet-Autoren Urs Kalberer, Philipp Loretz, Alain Pichard, Roland Stark und Felix Schmutz einen aufwändig recherchierten Artikel über das Frühfremdsprachenkonzept. Der Beitrag wurde in der BAZ veröffentlicht und füllte damals eine ganze Seite. Angesichts der heutigen Entwicklung in Sachen Passepartout-Lehrmittel ist dieser Beitrag sehr aktuell und brisant, weshalb wir ihn hier noch einmal veröffentlichen. Wer ihn liest, wird besser verstehen, wie es zu diesem Desaster gekommen ist, wer hier die Verantwortung trägt und wie Geschäftsinteressen elementare pädagogische Einwände weggewischt haben.

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Das Fremdsprachenkonzept der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), gekoppelt an eine neue Didaktik, ist ein Lehrstück darüber, wie heute in der Schweiz durch ein höchst fragwürdiges Zusammenspiel von Erziehungsdirektoren, Verwaltung und Wissenschaft Bildungspolitik gemacht wird, welche Folgen das für die politische Kultur in diesem Land und den Unterricht an den Schulen hat und wie leichtfertig enorme Summen in zweifelhafte Projekte investiert werden.

1.   Wir müssen etwas tun!

Völlig überstürzte Entscheidung Bild: AdobeStock

Obwohl die Fremdsprachen gar nicht Teil des Pisa-Tests waren, wurden auch sie durch den inszenierten «Pisa- Schock» im Jahr 2000 erfasst. Erschüttert vom angeblichen Beleg für das Ungenügen des hiesigen Schulsystems sah man über die Grenzen hinaus und stellte fest, dass in Nachbarländern die Schulkinder viel früher mit Fremdsprachen begannen. Dankbar griff die Politik nach diesem Strohhalm, der eine Option bot, rasch als tatkräftig Handelnde wahrgenommen zu werden.

Überhastet erfolgte 2004 die Verabschiedung des neuen EDK-Sprachenkonzepts, demgemäss die erste Fremdsprache im dritten und die zweite im fünften Schuljahr einzusetzen habe sowie eine davon eine Landessprache sein müsse. Diese Lösung war ein rein politischer Kompromiss zwischen den Kantonen, die sich nicht einigen konnten, ob zuerst Französisch oder Englisch gelehrt werden sollte. Um die Romandie zu besänftigen, hatte man das in Zürich und anderswo favorisierte Primat des Englischen mit der Pille der Festlegung der zweiten Fremdsprache auf der Primarstufe versüsst.

Pädagogische Gesichtspunkte hatten der Staatsräson zu weichen.

2.    Selektive Wahrnehmung und unseriöses Vorgehen

Im Unterschied zur Staffelung von Französisch und Englisch wurde die viel wichtigere Frage nach der Sinnhaftigkeit des Entscheides medial kaum diskutiert, obwohl das Konzept wissenschaftlich bestenfalls dünn abgestützt war. Umfangreiche Studien besagten, dass Frühstarter keine nennenswerten Fortschritte erzielten. Solche Befunde jedoch wurden mithilfe willfähriger Wissenschaftler zugunsten missverstandener Erkenntnisse der Hirnforschung konsequent ausgeblendet.

So war etwa die Rede von Lernfenstern, die nur jüngeren Kindern offen stünden und später nicht mehr genutzt werden könnten!

Grosszügig verdrängt wurde selbst Elementares: so die Schwierigkeit, dass in der Deutschschweiz Aufwachsende zuerst Standarddeutsch als fremde Variante der Erstsprache lernen müssen und Französisch und Englisch somit den Platz von Sprache 3 und 4 einnehmen. Unbeachtet blieb auch, dass das Erlernen einer zusätzlichen Sprache im familiären Umfeld en passant etwas ganz anderes ist als die künstliche Situation des Schulunterrichts. Selbst das Fehlen einer international anerkannten Didaktik für das frühe Fremdsprachenlernen beunruhigte die Promotoren nicht. Die überwiegend positive Stimmung in Bevölkerung und Medien kam ihnen dabei gelegen.

Unglaublich, aber wahr: Der Urheber der Expertise war an Frühfremdprojekten und der Entwicklung der entsprechenden Lehrmittel persönlich massgeblich beteiligt. Von einem unabhängigen Gutachten konnte nicht die Rede sein.

Um die berechtigten Einwände betreffend die fehlende wissenschaftliche Legitimation zu «entkräften», bestellte die Zürcher Erziehungsdirektion 2002 ein Gutachten an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

Unglaublich, aber wahr: Der Urheber der Expertise war an Frühfremdprojekten und der Entwicklung der entsprechenden Lehrmittel persönlich massgeblich beteiligt. Von einem unabhängigen Gutachten konnte nicht die Rede sein.

3.    Eine pseudowissenschaftliche Didaktik

Ursprünglich hätte die erste Fremdsprache immersiv unterrichtet werden sollen, das heisst gewisse Fächer wären ausschliesslich in der Zielsprache erteilt worden. Um effizient sein zu können, müsste das einen ansehnlichen Anteil der Gesamtunterrichtszeit umfassen, erteilt von muttersprachigen Lehrpersonen.

Die Realität sieht anders aus: Die Frühfremdsprache wird isoliert mit minimaler Stundendotation erteilt, was nicht intensiv genug sein kann und den andern Fächern Unterrichtszeit wegnimmt. Die gesamthafte Lektionenzahl für die Fremdsprache während neun Jahren Volksschule wurde gleich belassen, was eine Verminderung pro Schuljahr bedeutet und die Übungszeit in der Sekundarschule massiv reduziert. Ferner werden dafür Lehrpersonen eingesetzt, deren Eignung für den Fremdsprachenunterricht hochgradig divergiert.

Diese Unterrichtsform wurde nicht empirisch erprobt, sondern auf Anhieb flächendeckend eingeführt.

Urs Kalberer,Sekundarlehrer und Linguist. Wies schon früh nach: “Besser spät und konzentriert, als früh und verzettelt.”

Angesichts der suboptimalen Rahmenbedingungen schoben die Verantwortlichen als neue Unterrichtsmethode eine Bastelei aus Mehrsprachigkeitsdidaktik und Konstruktivismus nach. Diese Unterrichtsform wurde nicht empirisch erprobt, sondern auf Anhieb flächendeckend eingeführt. Ein interkantonaler Feldversuch mit einer Schülergeneration als Probanden.

4.    Augen zu und durch!

Aus Angst vor Gesichtsverlust und befeuert durch enorme Mittel für Umsetzung und Forschung trieb die Allianz aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft das Konzept unbeirrt voran und offenbarte mitunter sektiererisches Gebaren: Alles, was bisher war, sei schlecht und müsse entsorgt werden. Und will die Arznei partout nicht wirken, wechselt man nicht etwa das Medikament, sondern erhöht die Dosis. Konkret: Evaluationsresultate sind technisch irgendwie nicht verfügbar.

Dann wird so lange am Massstab oder an den Indikatoren geschraubt, bis schliesslich eine Erfolgsmeldung herausspringt.

Die Linguistin Simone Pfenninger wies nach, dass Frühlerner keine Vorteile gegenüber Spätstartern hätten. Arbeitet heute an der Uni Salzburg

Wer die vielfältigen Mängel des Konzepts trotzdem anzusprechen wagte, geriet häufig unter Druck: Wie bei der Einführung der integrativen Schule wurden mahnende Stimmen verspottet oder willkürlich mit einem (rechtskonservativen) politischen Etikett versehen. EDK-Vertreter schmetterten Einwände mit dem Hinweis ab, Lehrende verschlössen sich grundsätzlich zuerst immer allen Neuerungen, sie müssten sich erst daran gewöhnen, Fortbildung würde sie darauf vorbereiten, alles Neue brauche seine Zeit etc. Dass die Kritik oft von erfahrenen Lehrkräften kam, wurde geflissentlich übergangen. Lieber spannte man eigens dafür angestellte Mitarbeiter von Pädagogischen Hochschulen oder Behördenvertreter vor den Karren, die begeistert, da finanziell davon abhängig, die frohe Botschaft der neuen Lehre verkündeten, ohne auf Gegenargumente einzugehen. Die Folge: Praxisferne, Bürokratie, horrende Kosten.

 

5.    Der Tabubruch: Öffentliche Verleumdung

Der damalige Regierungsrat Christoph Eymann verlor die Nerven und diffamierte die renomierte Sprachwissenschaftlerin Simone Pfenninger

Durch das Anwachsen der kritischen Datenmenge (vgl. Berthele/Lambelet und Kübler) in jüngster Vergangenheit und den gleichzeitigen Mangel an Beweisen für die Wirksamkeit ihres Konzepts scheinen die Nerven der Befürworter zunehmend blank zu liegen.

Anders ist es nicht zu erklären, dass EDK-Präsident Christoph Eymann die preisgekrönte Arbeit der Zürcher Linguistin Simone Pfenninger als «unwissenschaftlich» diffamiert hat – zunächst in einem Beitrag in der Basler Zeitung, wenig später sogar hochoffiziell in seiner Antwort auf eine Interpellation der Basler GLP-Grossrätin Katja Christ.

Pfenningers «Vergehen» besteht allein im Fazit ihrer aktuellsten Studie zum Fremdsprachenerwerb: Frühlerner sind bezüglich Leistung und Motivation den Spätlernern nicht überlegen. Und generell gilt: besser spät und intensiv als halbbatzig und über viele Jahre verteilt. Also das Gegenteil dessen, was die EDK propagiert.

6.    Reformspektakel als Business

Viele Jobs wurden geschaffen: an den Pädagogischen Hochschulen, in kantonalen Verwaltungen und Kurskadern. Verordnete Aus- und Fortbildungen verschlingen Unsummen. «Mille feuilles» und «Clin d’œil» werden als die teuersten (Einweg-) Lehrmittel in die Geschichte eingehen. Für die Produzenten hat sich das Geschäft gelohnt – und für die Kantone Bern und Aargau, denen zu je 50 Prozent der «Schulverlag plus» gehört, der die Lehrmittel vertreibt.

Die mini-grammaire wurde nachgeschoben, um zu retten, was noch zu retten war. Kosten pro Exemplar 32 Fr. !!!

Nach nur einem Jahr beschloss die Berner Erziehungsdirektion, die Lehrmittel zu überarbeiten. Die Reihe wird mit allerlei Zusatzmaterialien nachgerüstet: Grammatik, Wortschatz, Zusatzübungen. So wird klammheimlich die hochgepriesene Lehrmethode in die alte zurückverwandelt – mit noch nie da gewesenen Kostenfolgen.

Gemäss Schätzungen belaufen sich allein die Ausgaben der sechs Passepartout-Kantone auf insgesamt mehr als 100 Millionen Franken.

Mit den Worten von Markus Kübler von der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen fordern wir eine «vorurteilsfreie Zurkenntnisnahme empirischer Befunde als Auslegeordnung sowie eine offene (…) Diskussion über die Handlungsoptionen (…) und die Gelingensbedingungen von frühem Fremdsprachenlernen (…)». Die Zeit drängt.

 

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Die völlige Leere des Herrn Eymann https://condorcet.ch/2019/07/die-voellige-leere-des-herrn-eymann/ https://condorcet.ch/2019/07/die-voellige-leere-des-herrn-eymann/#comments Sun, 14 Jul 2019 11:25:42 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1609

Es gibt Texte, die sind richtig und wichtig. Es gibt Texte, die sind falsch und trotzdem wichtig. Und es gibt Texte, die sind nichts.... als Phrasendrescherei und hohle Luft. Condorcet-Autor Alain Pichard zerpflückt eine BAZ-Kolumne des ehemaligen Bildungsdirektors der Stadt Basel.

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Baz-Kolumne des Herrn Eymann, ehemaliger Vorsteher des Bildungsdepartements Basel-Stadt, Nationalrat

2606 Zeichen und 351 Wörter umfasst der Beitrag von Christoph Eymann, Nationalrat der LDP, in der BAZ-Ausgabe vom Dienstag, den 9. Juli 2019. Selbst für jemanden, der das blumige «wording» dieses Mannes bis zur Schmerzgrenze ausgetestet hat, ist dieser Text von einer geradezu grotesken Leere, so dass man sich wundern muss, wie so etwas auf einer Meinungsseite publiziert werden kann. Es gibt im Internet den sogenannten Bla-Bla-Index. Man kann den Text eingeben und der BlaBlaMeter entlarvt schonungslos, wieviel heisse Luft sich in Texte eingeschlichen hat (http://www.blablameter.de/).

Eymanns Text ergab einen Index von 0,52 mit dem Kommentar: «Ihr Text riecht schon deutlich nach heißer Luft – Sie wollen hier wohl offensichtlich etwas verkaufen oder jemanden tief beeindrucken.»

Allgemeinplätze am Laufmeter

Eingeleitet wird der Text mit Allgemeinplätzen wie: «Die Schweizer Bildungslandschaft wird durch die Digitalisierung starke Veränderungen erfahren.» Welch überraschende Ansage! Es folgt recht schnell der Appell: Wir müssen handeln! Und schliesslich – für den ehemaligen Bildungsdirektor einer Stadt mit den schweizweit höchsten Bildungsausgaben und miserabelsten Testergebnissen nicht überraschend: «Das kostet Geld».

Als Massnahmen preist der Mann eine Weiterbildungsoffensive an! Er spricht von Ländern, die der Schweiz weit voraus seien, und warnt, dass man den Anschluss verlieren könnte. Und schliesslich kommt noch das unbescheidene Eigenlob: «Es freut mich, dass eine Motion, die ich wesentlich mitgestaltet habe …».

Auf welche Parameter stützt sich der BAZ-Kolumnist eigentlich?

Auf welche Parameter stützt sich Herr Eymann, wenn er die anderen Länder so weit vorne sieht? Welche Quellen verwendet er? Was sollen die Kernpunkte des Impulsprogrammes sein, das er so vehement fordert! Welche Weiterbildung schwebt ihm denn vor, die es nicht schon längst gibt? Was versteht dieser Politiker unter der digitalen Bildung? Die Anschaffung von iPads? Individuelle Lernprogramme für Schüler, welche die Lehrer ersetzen? Das Programmieren im Kindergarten oder lediglich die Erweiterung der Lehrmittel? Wohin sollen die Milliarden Franken fliessen, wenn sie nicht bloss die Ausstatterindustrie erfreuen sollen? Man muss kein Kritiker der Digitalisierung sein, um zu hinterfragen, ob erfolgreicher Unterricht wirklich mit dem Einsatz von iPads zu tun hat. Für echte Medienkompetenz braucht es medienunabhängige Urteilskraft, Skepsis und Neugier. Aber da geht es wohl schon in die Details, um pädagogische Fragen und um Kenntnis der Materie, um Fragen, mit denen sich das «Kommunikationsgenie» in seinem Wolkenheim offensichtlich nicht befassen mag. Wenn aber die geforderten Milliardenbeträge nicht denselben Nulleffekt erzielen sollen wie die Basler Bildungsausgaben, muss man sich genau mit diesen Fragen beschäftigen.

Alain Pichard

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