Direkte Instruktion - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 27 Aug 2021 08:49:17 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Direkte Instruktion - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Das Schulkind als postmoderner Einzeller? https://condorcet.ch/2021/08/das-schulkind-als-postmoderner-einzeller/ https://condorcet.ch/2021/08/das-schulkind-als-postmoderner-einzeller/#respond Fri, 27 Aug 2021 08:49:17 +0000 https://condorcet.ch/?p=9218

Das Tandem „Lehren und Lernen“ gilt vielen als überholt. Im Zentrum steht für sie das selbstbestimmte Lernen des Kindes. Nun kündet sich aber eine (Wieder-)Entdeckung des Lehrens an. Ein Beitrag des Condorcet-Autors Carl Bossard.

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Carl Bossard: Nichts Anderes als der verfemte Frontalunterricht.

Er ist Deutschlands bekanntester Mathematiklehrer, mindestens jener mit der grössten Reichweite: Daniel Jung. Für viele wirkt er wie ein Erlöser. „[He] saved my Mathe-Life“, heisst es in einem Kommentar.[i] Entsprechend viele Follower zählt der Mathe-Rockstar. Rund 700‘000 YouTube-Nutzer haben seinen Kanal abonniert. Entstanden sind über 2‘500 Tutorials. Millionenfach werden sie angeklickt.

In kleinen Portionen zum Verstehen führen

Worin liegt sein pädagogisches Geheimnis? Daniel Jung unterrichtet ganz gewöhnlich: eine weisse Tafel und Filzstifte genügen. Er erklärt Formeln und erläutert mathematische Phänomene, vom rechtwinkligen Dreieck zu bedingten Wahrscheinlichkeiten, von den Wurzelfunktionen bis zur Stochastik. Der Mathe-Youtuber zeigt elementare Zusammenhänge, Schritt für Schritt. In kleinen

Youtube-Mathematik-Star Daniel Jung: millionefach angeklickt.

Lernsequenzen, in verständlichen Portionen, in sinnvollen Einzelteilen. Bruchrechnen ebenso wie den Satz des Pythagoras. Und wie macht er das? Sprechdenkend und frontal. „Ich versuche alles so zu erklären, dass es auch ein Kind versteht“, sagt der Mathe-Lehrer und zitiert sein Vorbild, den Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman: Ein Meister sei, wer etwas einfach erklären könne.

Gelenkter und strukturierter Unterricht

Bei uns wird dieses Lehren verächtlich Frontalunterricht genannt und nicht selten mit einem Bannstrahl belegt. Er sei ein Relikt aus Jeremias Gotthelfs Zeiten. Pädagogisches Handeln und Denken habe heute ausschliesslich vom Lernenden auszugehen, so wird argumentiert.

Selbstregulation: Sie beinhaltet allerdings genau das Gegenteil von dem, was Daniel Jung macht und was er gestaltend in seinen Unterricht einbringt: geführt und strukturiert – in direkter Instruktion.

Die Lehrerin, der Lehrer wird dabei auf die Begleitaufgabe der Lernhilfe reduziert und in eine Nebenrolle gezwängt. Lehrpersonen seien Lernbegleiter, „guides at the side“, heisst es. Im Hintergrund steht das Bildungsziel der Selbstregulation. Diese Lernform gilt als zeitgemäss. Sie beinhaltet allerdings genau das Gegenteil von dem, was Daniel Jung macht und was er gestaltend in seinen Unterricht einbringt: geführt und strukturiert – in direkter Instruktion.

Interaktive Lernvideos mit recht effizientem Wirkwert

Daniel Jung hat Erfolg; mit seinen Lernvideos stösst er auf hohe Resonanz. Das erstaunt nicht. Die empirische Unterrichtsforschung kann manches über die Lernwirksamkeit von digital gestütztem Lehren und Lernen aussagen. Dies im Vergleich zum Dialogunterricht mit analogen Medien.

Elsbeth Stern: Selbstorganisiertes Lernen – geringer Erfolgsfaktor.

Den durchschnittlichen Effekt aller Einflussgrössen auf die Schülerleistung berechnet der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie mit einem Kennwert von d = 0.4.[ii] Fernunterricht erreicht lediglich den bescheidenen Effektwert von d = 0.11, Online-Lernen eine Kennzahl von 0.23. Auf diesen geringen Gelingensfaktor verweisen nach dem Lockdown manche Lernforscher, unter anderen die Kognitionspsychologin Elsbeth Stern von der ETH Zürich.[iii]  Die Laptop-Einzelnutzung oder der Laptop-Einsatz im Klassenverband hat nur einen Wirkwert von d = 0.16.[iv] Beide bleiben deutlich unter dem Umschlagpunkt von 0.4. Von Interesse aber ist die Arbeit mit interaktiven Lernvideos; sie erweist sich als recht effizient: d = 0.54. Das erklärt wohl Jungs hohe Follower-Quote.

Daniel Jung erläutert die einzelnen Rechenschritte einleuchtend und leicht nachvollziehbar, doch wieweit er das Mathematikverständnis seiner YouTube-Nutzer vertieft, bleibt eine offene Frage.

Die jungen Menschen zu Verstehenden „machen“

Und noch etwas wissen wir aus John Hatties grosser Datenbasis: Wenn ein Fach oder eine Altersstufe hohe geistige Auseinandersetzung erfordert, fällt der Nutzen von IT eher bescheiden aus. Daniel Jung erläutert die einzelnen Rechenschritte einleuchtend und leicht nachvollziehbar, doch wieweit er das Mathematikverständnis seiner YouTube-Nutzer vertieft, bleibt eine offene Frage.

Die jungen Menschen zu Verstehenden „machen“, das ist das Geheimnis guter Lehrerinnen und Lehrer. Keine Maschine kann das übernehmen. Auch kein isoliertes Lernen in der Käfigatmosphäre eines digitalisierten Grossraum-Schulbüros.

Die jungen Menschen zu Verstehenden „machen“, das ist das Geheimnis guter Lehrerinnen und Lehrer.

Prof. Roland Reichenbach: „Kinder brauchen Erwachsene, die erstens da sind und ihnen zweitens etwas beibringen wollen.

Keine Maschine kann das übernehmen. Auch kein isoliertes Lernen in der Käfigatmosphäre eines digitalisierten Grossraum-Schulbüros. Nicht jeder ist sein eigener Lerner, wie das heute propagiert wird, nicht jeder lernt selbstorientiert effizient genug. Es braucht das Soziale und Emotionale, es braucht das menschliche Vis-à-Vis. Lernen basiert auf dem direkten Kontakt mit Menschen.[v] „Kinder brauchen Erwachsene, die erstens da sind und ihnen zweitens etwas beibringen wollen: Diese lapidare, alltagstheoretische, aber erfahrungsgespeiste Aussage ist so wahr wie pädagogisch (leider) umstritten“, schreibt der Erziehungswissenschaftler Roland Reichenbach, Universität Zürich.[vi] Das Schulkind ist eben kein postmoderner Einzeller.

Das Lehren und die Lehrperson müssen rehabilitiert werden

Lernen ist ein dialogisches Geschehen, ein zwischenmenschlicher Austausch. Das zeigt die Lernpsychologie, das belegt die Neurowissenschaft. Der Hirnforscher Gerhard Roth sieht den Wert des Online-Learnings primär im Konsolidieren eines vorher erworbenen Wissens, nicht aber im Generieren neuer Erkenntnisse und Einsichten. Dazu braucht es, so Roth, die kompetente und vertrauenswürdige Lehrperson.[vii]

Eine verantwortungsbewusste Bildungswissenschaft plädiert darum schon längst für ein Wiederentdecken und Wiedererrichten des Lehrens, für ein „Re(dis)covery of Teaching“ – in vitaler menschlicher Präsenz. „Das Lehren und der Lehrer müssen rehabilitiert werden“, verlangt der Bildungsphilosoph Gert Biesta. Das gilt natürlich auch für die Lehrerin. Und Biesta fügt dezidiert bei: Es braucht einen Lehrer, „der die Schüler aus ihrer aktuellen, jeweilig begrenzten Subjektivität und Situiertheit hinausführen“ kann.[viii]

Weil er unter dem ganzen Schlamassel von Rechtschreibefehlern entdeckt hat, dass ich gute Aufsätze schreibe. […] Ich habe ihn geliebt.

Der Lehrer „hat mich von mir selber überzeugt“

Einen solchen Pädagogen beschreibt der (Dichter-)Lehrer Peter Bichsel, wenn er bekennt: „Ich hatte in der 5. und 6. Klasse in Olten einen wunderbaren Primarlehrer: Er hat mich von mir selber überzeugt, mich zum Schriftsteller gemacht. Weil er unter dem ganzen Schlamassel von Rechtschreibefehlern entdeckt hat, dass ich gute Aufsätze schreibe. […] Ich habe ihn geliebt.“[ix]

Solche Lehrerinnen und Lehrern führen Kinder und Jugendliche aus sich selbst heraus – zu ihren Möglichkeiten, zu ihren Potentialen. Von ihnen sagen die junge Menschen später vielleicht einmal: „O Captain! My Captain!“ Wie im berührenden Film „Der Club der toten Dichter“.

 

[i] Thomas Kerstan: Mit Liebe rechnen. In: DIE ZEIT, 15.10.2020, S. 38.

[ii] Michael Felten: Startbeschleunigung mit Tücken. In: FAZ, 14. Mai 2020, S. 6.

[iii] Vgl. dazu Klaus Zierer (2021): Ein Jahr zum Vergessen. Wie wir die Bildungskatastrophe nach Corona verhindern. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, S. 27ff.

[iv] John Hattie & Klaus Zierer (2018): VISIBLE LEARNING. Auf den Punkt gebracht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 208f.

[v] Vgl. Ralf Lankau (2017): Kein Mensch lernt digital. Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht. Weinheim/Basel: Beltz Verlag.

[vi] Roland Reichenbach (2020): Homeschooling, Distant Learning und das selbstorganisierte Kind. In: Merkur 08, S. 35.

[vii] Gerhard Roth (2011): Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt. Stuttgart: Klett-Cotta.

[viii] Ewald Terhart (2018), Eine neo-existenzialistische Konzeption von Unterricht und Lehrerhandeln? Zu Gert Biestas Wiederentdeckung und Rehabilitation des Lehrens und des Lehrers, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 94 (2018) 3, S. 479.

[ix] In: DIE ZEIT, 24. 06. 2021, S. 17.

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Guter Unterricht lebt vom Dialektischen https://condorcet.ch/2021/01/guter-unterricht-lebt-vom-dialektischen/ https://condorcet.ch/2021/01/guter-unterricht-lebt-vom-dialektischen/#respond Tue, 19 Jan 2021 17:05:52 +0000 https://condorcet.ch/?p=7522

Das Pendel mag eine abgedroschene Metapher sein. Und doch hat es in der Pädagogik seine Be-deutung. Es zeigt Ausschläge und verweist auf zeitgeistige Aufgeregtheiten und didaktische Ein-seitigkeiten, meint Condorcet-Autor Carl Bossard.

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Carl Bossard: Keine Verabsolutierung einer Unterrichtsmethode.

„Il näsch“. So schrieb vor einiger Zeit ein junger Gymnasiast das Französisch-Sätzlein „il neige“ auf. Der Schüler wollte sich den Ausdruck einprägen; doch eine trendige Didaktik verbot das (Auf-)Schreiben. Die damalige Fremdsprachen-Methode setzte ganz auf das Audiovisuelle, auf Ton und Bild. Schriftliches blieb tabu. Das Einseitige mit dem Primat des Mündlichen benachteiligte bestimmte Lerntypen. Sie behalfen sich mit unbeholfenen Notizen. So gut es eben ging. Das Unterrichtkonzept ist in der Zwischenzeit zwar verschwunden, nicht aber der Degout vieler Schüler vor dem Französisch.

 

Pädagogische Einseitigkeiten

Sich die Buchstaben selber erarbeiten.
Bild: AdobeStock

Das ist kein Einzelfall. Bekannt ist die Methode „Schreiben nach Gehör“, auch „Lesen durch Schreiben“ genannt. In die Schulen gebracht hat sie Schweizer Reformpädagoge Jürgen Reichen. Sein Ziel: Das Buchstabenbüffeln beenden; die Kinder sollen sich die Schriftsprache selbst erarbeiten.[1] Mit Hilfe einer Buchstabentabelle schreiben sie so, wie sie die Wörter hören. Spontan und ohne fremde Hilfe. Auf diese Art verwandeln sie Sprache in Schrift. Fehler werden nicht korrigiert. Das demotiviere die Kinder, so Reichen. Auch explizites Üben untersagte er. Vielen blieb so der Weg zu einem korrekten Deutsch verwehrt. Nun verbieten verschiedene deutsche Bundesländer diese Methode. In der Schweiz hat der Kanton Aargau „Lesen durch Schreiben“ aus dem Lehrmittelkatalog gestrichen. Nidwalden stoppt diese Unterrichtsmethode ab der 2. Primarstufe.

Entgegengesetzte Richtung

Das pädagogische Pendel schwingt auf die eine, dann auf die andere Seite, sei es eher im methodischen Bereich, sei es mehr im pädagogischen Kontext. Ödes Pauken und freudloses Faktenlernen, wie es beispielsweise Hanno Buddenbrook unter dem preussischen Drillmeister „Direktor Doktor Wulicke“ erlebt hat,[2] ist glücklicherweise verschwunden. Der Perpendikel schlug eher nach der entgegengesetzten Seite aus: Lernen soll primär „Spass“ machen.

Aktuelle Pendelausschläge

Das Pendel wird nie stillstehen; aktuelle Stichworte verdeutlichen es: „Vom Lehren zum Lernen“ wird postuliert oder „Beziehung statt Erziehung“ propagiert. Da ist von „von der Instruktion zum selbstregulierten Arbeiten“ die Rede und „von Inhalten zu Kompetenzen“. Alle diese didaktischen Devisen und pädagogischen Postulate zielen auf ein Entweder-oder, auf einen Pendelschlag in diese oder in jene Richtung. Sie lassen nur das das Eine gelten, und dieses Eine wird hypemässig überhöht und verabsolutiert.

Wissen lässt sich nicht outsourcen

Lehrplan 21,
Kompetenzorientierung ist angesagt

„Kompetenzorientiert statt wissensbasiert“, so hört man im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 vielfach und dazu den Hinweis: Wissen lasse sich googeln; entscheidend seien Kompetenzen. Dieser Slogan verkennt, dass es kein Können ohne grundlegendes Wissen im traditionellen Sinne geben kann; Wissen lässt sich nicht outsourcen. Das Schlagwort negiert, dass wirksame Lernprozesse aus einem Sowohl-als-auch entstehen, dass vermeintlich Gegensätzliches sich gegenseitig auch bedingt. Das erinnert an die prominenten Zwillinge Inhalt und Form. Zum guten Burgunder gehört auch ein Burgunderkelch.

Ein dialektisches Begriffspaar

Augenfällig wird das beispielsweise am Begriffspaar von Freiheit und Sicherheit. Die beiden Begriffe widersprechen sich – je nach Perspektive, aus der man argumentiert. Sie stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, und doch bedingen und ergänzen sie sich – ähnlich wie Yin und Yang. Jede Freiheit bedarf einer gewissen Sicherheit, eines Rahmens, innerhalb dessen sie sich bewegen kann. Und jede Sicherheit schafft auch Freiheit, weil sie einen Rahmen formt, innerhalb dessen man wieder frei sein kann.

Stabiles Geländer nötig

Analog könnte man sagen: Junge Menschen sollen zur persönlichen Autonomie geführt werden, doch dazu brauchen sie auch Strukturen, die sie stützen, eine Art von Rahmen. Auf dem Weg zur Selbständigkeit benötigen viele Kinder ein stabiles Geländer; über gezielte Feedbacks vermittelt es ihnen Halt und Sicherheit. Impulsgeberin ist die vital präsente Lehrperson, verantwortlich ein anregendes und führendes Visavis.

Kaum je wird bei diesem aktuellen Pendelschlag die Frage gestellt, was beim „selbstregulierten Lernen“ denn reguliert werden solle? Reguliert sich das Lernen selbst?

Lernen als gezielt gesteuerter Prozess

Unverständlich bleibt darum, dass erfahrene Lehrpersonen den „Lerncoach“ und damit das „selbstregulierte Lernen“ ihrer Schüler ins alleinige Zentrum des Unterrichts rücken – und sich selber zum „Lernbegleiter“ degradieren.[3] Kaum je wird bei diesem aktuellen Pendelschlag die Frage gestellt, was beim „selbstregulierten Lernen“ denn reguliert werden solle? Reguliert sich das Lernen selbst? Und wie begleitet man selbstreguliertes Lernen?

Wie lernen Schülerinnen und Schüler?

Die Antwort der Bildungswissenschaft ist unmissverständlich: Reguliert werden primär Lernprozesse. Lernen ist immer Aufbauen und Konsolidieren. Doch das können die wenigsten Kinder und Jugendlichen aus sich selbst heraus vollziehen. Notwendig ist ein engagiertes Gegenüber. Beim Lernen geht es um Verstehen, um Behalten oder Einprägen und dann um das Abrufen und das Weiterverarbeiten wie das Anwenden in neuen Kontexten – sei es Wissen oder Können. Das Lernergebnis dieser wichtigen Teilprozesse hängt von ihrer ganz spezifischen Interaktion ab.[4] Es basiert auf Austausch und Korrektur. Einseitigkeiten führen nicht weiter; schulische Lernprozesse sind dialektische Vorgänge. Gesteuert werden sie von verantwortungsbewussten Lehrpersonen.

Mischwald ist besser als Monokultur

Einseitigkeiten sind unhaltbar

Guter und effizienter Unterricht erfordert darum eine angemessene Balance, einen dynamischen Mix aus verschiedenen Methoden und Formen. Mischwald sei besser als Monokultur, sagen die Fachleute.[5] Besonders erfolgreich wirkt eine aktive Lehrperson mit einem lehrerzentrierten, aber ausgesprochen schülerorientierten und schüleraktivierenden Unterrichtsstil. Der renommierte Bildungsforscher John Hattie bezeichnet ihn als „Direkte Instruktion“.[6] Sie hat nichts zu tun mit einem monotonen Frontalunterricht. Aus der Forschung wissen wir, dass Schüler, erst recht solche mit Lernschwierigkeiten und defizitären Sprachkompetenzen, unbedingt eine starke Struktur und klare Führung brauchen. Sie sind auf ein kognitives Gerüst und viele kurzschrittige Hilfen, Inputs und Feedbacks angewiesen. Das (unter-)stützt sie entscheidend.

Gutem Lernen hinderlich ist die Verabsolutierung einer bestimmten Unterrichtsmethode: Die Lehrerin nur als Lernbegleiterin oder Coach sehen, den Lehrer nur als Dozierenden, das lässt sich nicht legitimieren.

 Die Farben der Schule sind die Zwischentöne

Als Verehrer der heiligen Dialectica sehe ich vieles in Spannungsfeldern. Ganz besonders im pädagogischen Alltag. Dazu gehört auch die Antinomie zwischen Instruktion und Konstruktion, zwischen dem lehrergelenkten Impuls-Geben und dem schülerzentrierten Selber-Tun. Es kommt mir vor, als müssten einige Pädagogen zuerst Hell und Dunkel erkennen und sich so bewusst werden, dass dies bloss zwei Pole sind. Dazwischen liegen unzählige Schattierungen. Vielleicht sind die Farben der Schule eben die Zwischentöne. Oder konkret formuliert: So viel Autonomie der Lernenden wie möglich, so viel Unterstützung und Hilfe durch die Lehrerinnen und Lehrer wie nötig.

 

(1) Jürgen Reichen (1988), Lesen durch Schreiben. Wie Kinder selbstgesteuert lesen lernen. Heft 1. . Aufl. Zürich: sabe Verlag

[2] Thomas Mann, Hanno Buddenbrook, in: Wo waren wir stehengeblieben…? Schulgeschichten. Hrsg. Martin Gregor-Dellin (1969), Frankfurt am Main: Fischer Bücherei, S. 14.

[3] In: Bote der Urschweiz, 07.01.2021, S. 10.

[4] Gerhard Steiner (2020), Selbstreguliertes Lernen – Voraussetzungen zu seiner Genese, in: Damian Miller & Jürgen Oelkers (Hrsg.), „Selbstgesteuertes Lernen“: Interdisziplinäre Kritik eines suggestiven Konzepts. Mit Nachbemerkungen zum Corona-Lockdown. Basel/Weinheim: Beltz/Juventa, S. 131f.

[5] Hilbert Meyer (2004). Was ist guter Unterricht? 2., durchgesehene Auflage. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor, S. 9.

[6] John Hattie & Klaus Zierer (2017), Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 91f.

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Die Suche nach den Wirkungsprinzipien https://condorcet.ch/2020/11/die-suche-nach-den-wirkungsprinzipien/ https://condorcet.ch/2020/11/die-suche-nach-den-wirkungsprinzipien/#comments Mon, 09 Nov 2020 22:28:08 +0000 https://condorcet.ch/?p=6884

Von unserem Leser Michel Laffer wurden wir auf einen Text des PH-Dozenten Gabriel Schneuwly aufmerksam gemacht. Es handelt sich um einen Artikel in einem «Handbuch», das von Autorinnen und Autoren des Instituts für Weiterbildung und Medienbildung (IWM) verfasst wurde. Der Text ist es nach Auffassung der Redaktion Wert, hier aufgeschaltet zu werden. Er setzt sich seriös und differenziert mit den Problemen der Unterrichtsentwicklung auseinander und ist auch dank der angeführten Belege eine durchaus notwendige Orientierungshilfe. Wir danken Herrn Schneuwly für die Erlaubnis, seinen Text hier aufschalten zu dürfen.

Schneuwly, Gabriel (2016): Unterrichtsentwicklung. In: Hansueli Hofmann, Priska Hellmüller und Ueli Hostettler (Hg.): Eine Schule leiten. Grundlagen und Praxis. Bern: hep verlag ag, S. 85–101.

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Dr. Gabriel Schneuwly, PHBern Studienleiter: Entscheidend sind nicht organisatorische Massnahmen.

Aktualität der Unterrichtsentwicklung
Schulentwicklung wird in der deutschsprachigen Literatur häufig als Zusammenspiel von Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung beschrieben (vgl. Buhren in diesem Band). Der Fokus hat sich dabei in den letzten Jahren leicht verschoben. Während in den
90er Jahren des letzten Jahrhunderts Schulentwicklung stark von der Organisationsentwicklung geprägt in der Schule Einzug hielt, gilt heute die Aufmerksamkeit stärker der Unterrichtsentwicklung: „Es besteht mittlerweile ein Konsens darüber, dass es sich bei Massnahmen, die der Weiterentwicklung des Unterrichts dienen, um den Kern der Schulentwicklung handelt.“ (Oelkers & Reusser 2008, S. 402).

Die stark rezipierte Hatte-Studie (Hattie, 2009) hat es in der ganzen Bildungslandschaft in Erinnerung gerufen: Entscheidend für gute Lernergebnisse sind nicht in erster Linie organisatorische oder schulstrukturelle Faktoren, sondern die Qualität des Unterrichts.

John Hattie: Die Unterrichtsqualität entscheidet.

Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen, die Unterrichtsentwicklung stärker ins Bewusstsein zu rücken: Da gab es einerseits die internationalen Vergleichsstudien zu den Leistungen der Schülerinnen und Schüler (z.B. Timss oder PISA), welche grosse mediale Aufmerksamkeit erhielten. Sie rückten den Fokus auf das Lehren und Lernen der Schülerinnen und Schüler sowie auf deren Lernergebnisse. Sie haben viele Entwicklungsanstösse zu einer Verbesserung des Unterrichts geliefert und entsprechende Projekte ausgelöst. Sie haben aber auch Fragen der Chancengerechtigkeit ins Bewusstsein gerufen. Generell hat die Schul- und Unterrichtsforschung gezeigt und die am stärksten rezipierte Hatte-Studie (Hattie, 2009) hat es in der ganzen Bildungslandschaft in Erinnerung gerufen: Entscheidend für gute Lernergebnisse sind nicht in erster Linie organisatorische oder schulstrukturelle Faktoren, sondern die Qualität des Unterrichts.

Lehrplan 21, Gesamtausgabe: Es kann von einem eigentlichen Projekt der Unterrichtsentwicklung gesprochen werden.

Parallel dazu fordern gesellschaftliche Entwicklungen den traditionellen Unterricht stark heraus: Einerseits wächst die Einsicht, dass ein im deutschen Sprachraum stark „homogenitätsversessener Unterricht“ (Grunder 2009, S. 115) der heutigen Zusammensetzung von Schulklassen nicht mehr gerecht wird. Andererseits schreitet die Digitalisierung der Gesellschaft voran, und die neuen Medien halten immer mehr Einzug im Unterricht. All dies ruft nach entsprechenden Konzepten.
Schliesslich beobachten wir aktuell im deutschsprachigen Sprachraum – und insbesondere in der Schweiz – an der Volksschule eine grosse Lehrplandebatte. Der Übergang von inhalts- und themenbezogenen zu kompetenzorientierten Lehrplänen lautet das Motto. Damit verbunden ist die Hinwendung zu einem stärker kompetenzorientierten Unterricht. Landauf, landab beschäftigt man sich mit der Einführung des neuen Lehrplans. Es kann dabei von einem eigentlichen Projekt der Unterrichtsentwicklung gesprochen werden.

Es geht also um die Frage des bei den Schülerinnen und Schülern tatsächlich ablaufenden Lernprozesses.

Wie lernen Schülerinnen und Schüler?

Klare Vorstellungen über guten Unterricht
Spricht man über Unterricht, kann man dies auf der Ebene der Makroprozesse (Oberflächenstruktur) oder der Mikroprozesse (Tiefenstruktur) tun (Oser und Baeriswyl 2001; Pauli & Reusser, 2010; Kunter & Trautwein 2013). Merkmale der Oberflächenstruktur sind bei einem Unterrichtsbesuch direkt sichtbar. Es geht um übergeordnete Organisationsmerkmale des Unterrichts wie Lernformen, Sozialformen, Muster der Unterrichtsinszenierung oder Rahmenbedingungen wie Zeitmanagement, Raumeinrichtung usw. Tiefenstrukturen hingegen sind im Unterricht nicht direkt sichtbar. Sie liegen dem Unterricht als psychologisch-didaktische Qualitätsdimensionen zugrunde. Es geht um die eigentliche Auseinandersetzung der Lernenden mit den Lernaufgaben sowie um den Austausch  der Lernenden mit der Lehrperson und untereinander. Es geht also um die Frage des bei den Schülerinnen und Schülern tatsächlich ablaufenden Lernprozesses.

Offener Unterricht: Unterdessen zeigt die Unterrichtsforschung aber, dass die Ergebnisse teilweise ernüchternd sind.

Was die Diskussion um Unterrichtsqualität schwierig macht, ist, dass sie nicht an der Oberflächenstruktur festgemacht werden kann. Das wäre leichter beobachtbar und beurteilbar. Frühere Unterrichtsentwicklungsprojekte wie z.B. das Projekt Erweiterte Lernformen in der Schweiz (vgl. Croci et al. 1995) oder Reformbemühungen rund um offenen Unterricht in Deutschland (vgl. z.B. Bönsch 1991 oder Peschel 2006) haben genau hier angesetzt. Unterdessen zeigt die Unterrichtsforschung aber, dass die Ergebnisse teilweise ernüchternd sind bzw. sehr differenziert betrachtet werden müssen (Bohl & Kucharz 2010,Niggli 2013, S. 29; Pauli et al., 2003). Offener Unterricht zeigt z.B. unterschiedliche Effekte bei leistungsstärkeren oder leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern. Oder es kommt auch drauf an, welche Unterrichtsergebnisse in den Fokus genommen werden: Geht es um fachliche Leistungen oder um motivationale Faktoren wie die Einstellung zur Schule, Kreativität oder Selbstständigkeit. In seiner umfassenden Sichtung der entsprechenden Literatur kommt Niggli (2013, S. 29) zu folgender Bilanz:

Offener Unterricht führt nicht automatisch zu guter Unterrichtsqualität.

• „Offener Unterricht kann im Vergleich zu traditionellem Unterricht zu etwas schlechteren Resultaten führen.
• Im Vergleich zum traditionellen Unterricht bewirkt offener Unterricht im nicht leistungsbezogenen Bereich (Einstellungen zur Schule, Kreativität,
Selbstständigkeit) etwas günstigere Ergebnisse.
• Lernschwächere Kinder und Jugendliche weisen im offenen Unterricht eine tiefere aktive Lernzeit auf.
• Für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler scheinen strukturierende Lernhilfen (angepasste Materialien, klare Instruktion) unabdingbar zu sein“.

Dem ist aber nicht so, weil für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler oft die klare mündliche Instruktion und Unterstützung der Lehrperson fehlen.

Offenbar führen Programme, die eine Öffnung des Unterrichts oder eine Erweiterung des Methodenrepertoires bezweckt haben, nicht per se zu guter Unterrichtsqualität. „Die Qualität entscheidet sich (…) vorrangig auf der didaktischen Ebene und in den Mikroprozessen des Unterrichts“ (Bohl und Kucharz 2010, S. 10). Ein erstes Mal wird dies in oben erwähnter Bilanz unter Punkt 3 deutlich. Je offener der Unterricht, desto stärker nimmt sich die Lehrperson zurück und desto höher müsste die Lernzeit der Schülerinnen und Schüler sein, würde man meinen.

Schriftliche Lernaufgaben in einem Wochenplan können oft für solche Lernende gar nicht anschlussfähig sein und damit ein aktives Lernen verunmöglichen.

Schwächere Schülerinnen und Schüler brauchen die direkte Instruktion mehr.
Bild: stock.adobe.com

Dem ist aber nicht so, weil für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler oft die klare mündliche Instruktion und Unterstützung der Lehrperson fehlen. Dies stellt eine Voraussetzung dafür dar, dass sie sich intensiv mit den Lernaufgaben auseinandersetzen können. Schriftliche Lernaufgaben in einem Wochenplan können oft für solche Lernende gar nicht anschlussfähig sein und damit ein aktives Lernen verunmöglichen. Unterrichtsqualität zeigt sich also an Tiefenstrukturmerkmalen des Unterrichts, den sogenannten Mikroprozessen des Unterrichts. Dies zeigt auch, dass die Beobachtung und Beurteilung von Unterrichtsqualität anspruchsvoll ist und eine gute pädagogisch-didaktische Ausbildung voraussetzt.

Zehn Merkmale

Die Suche nach den wesentlichen Wirkungsprinzipien des Unterrichts bzw. nach seinen Gütekriterien hat eine lange Tradition (Helmke 2009). Sie hat eine ganze Reihe von Katalogen mit solchen Merkmalen hervorgebracht (Helmke 2007; Helmke 2009; Meyer 2005; Meyer 2015). Diese bezeichnen eine Prozessqualität von Unterricht, die dazu beitragen soll, gute Lernergebnisse zu erzielen. Nachfolgend werden aufgrund ihrer empirischen Grundlage und weil sie häufig die Grundlage von gängigen Unterrichtsbeobachtungsinstrumenten darstellen, die Merkmale der fächerübergreifenden Unterrichtsqualität nach Helmke (Helmke 2009, S. 168-169) wiedergegeben:

1. Klassenführung, 2. Klarheit und Strukturiertheit, 3. Konsolidierung und Sicherung, 4. Aktivierung, 5. Motivierung, 6. lernförderliches Klima, 7. Schülerorientierung, 8.
Kompetenzorientierung, 9. Umgang mit Heterogenität, 10. Angebotsvariation

Helmke beschreibt die Wirkungsmechanismen so (ebd.), dass die Merkmale 2 −4 sich direkt auf den Lernerfolg, die Merkmale 5 −7 sich primär auf die Lernmotivation und indirekt auf den Lernerfolg auswirken. Bei den weiteren Merkmalen gibt es sowohl direkte Wirkungen auf den Lernerfolg als auch indirekte Wirkungen über die Lernmotivation.

Zehn Merkmale der Unterrichtsqualität sind ein breiter Katalog. Man kann sich gut vorstellen, dass eine Schule eine Auswahl trifft und für eine bestimmte Zeit eines dieser Qualitätsmerkmale zum Fokus ihrer Unterrichtsentwicklung macht. Aktuell dürfte es aus den weiter oben erwähnten Gründen so sein, dass die Kompetenzorientierung im Vordergrund steht. Dabei handelt es sich um ein Qualitätsmerkmal, das empirisch noch wenig erforscht ist. Es ist eher so, dass dieses Merkmal aktuell konzeptionell bearbeitet und immer näher bestimmt wird. Dabei zeigt sich bereits heute, dass es um ein vielschichtiges Merkmal handelt, das wiederum Bezug auf andere Merkmale nimmt, die eindeutiger als Tiefenstrukturmerkmale von Unterricht gefasst werden.

“Erfolgreicher Unterricht kann auf eine sehr verschiedene, aber nicht beliebige Weise
realisiert werden.”

In einer Phase der Problemstellung
braucht es in aller Regel den Klassenunterricht.

Der Blick auf die Tiefenstrukturmerkmale oder Mikroprozesse von Unterrichtsqualität hilft zu verstehen, was die beiden bekanntesten Unterrichtsforscher im deutschen Sprachraum, Weinert und Helmke, bereits vor der Jahrtausendwende formuliert haben (1997, S. 472): “Erfolgreicher Unterricht kann auf eine sehr verschiedene, aber nicht beliebige Weise realisiert werden”. Man kann sowohl Klassenunterricht als auch Unterricht in offenen Lernformen gut oder weniger gut durchführen. Die Gegenüberstellung von offenem Unterricht und Klassenunterricht hilft auch nicht weiter. Wichtig ist eine didaktisch reflektierte Verknüpfung unterschiedlicher Unterrichtsformen im Hinblick auf die Verwirklichung der Tiefenstrukturmerkmale von Unterricht. Es braucht z.B. in einer Phase der Problemstellung und Problemklärung in aller Regel den Klassenunterricht, damit kognitive Aktivierung hergestellt werden kann. Es braucht aber auch Phasen des Durcharbeitens und Übens, in denen eine hohe kognitive Aktivierung viel besser durch selbstgesteuerte Unterrichtsformen erreicht wird.

Idealerweise nutzt die Lehrperson (allenfalls in Zusammenarbeit mit einer Förderlehrperson) dann solche Phasen, um im Sinne der Schülerunterstützung mit einzelnen Lernenden oder Kleingruppen zu arbeiten. Betrachtet man die geschilderten drei Tiefenstrukturmerkmale des Unterrichts vertieft, wird deutlich, dass hier das Bild einer aktiven Lehrperson gezeichnet wird, die im Unterricht eine hohe Präsenz zeigt. Auf diesem Hintergrund sind auch die viel diskutierten Aussagen von Hattie (2009) zu verstehen, der in seinem ersten bei uns breit rezipierten Buch „Visible learning“ (ebd.) sowohl die „Sichtbarkeit“ der Lehrperson als auch der Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler betont. Er beschreibt seine Erfahrung, dass beim Betrachten von gutem Unterricht, Lehrer immer aktiv und involviert aufgetreten sind (ebd., S. 25-26). Sein Buch ist kein Plädoyer gegen offene Unterrichtsformen, sondern gegen eine einseitige Interpretation der Rolle von Lehrpersonen, die vermeintlich modern nur noch als Facilitator, als Lernbegleiter oder als Lerncoach beschrieben werden.

Gabriel Schneuwly, 2015 (Vorabdruck eines Kapitels, Kurzversion)

Literatur:
Bohl, Thorsten; Kucharz, Diemut (2010): Offener Unterricht heute. Konzeptionelle und didaktische Weiterentwicklung.
Weinheim: Beltz (Studientexte für das Lehramt, 22).
Bönsch, Manfred (1991): Offener und kommunikativer Unterricht − Freiarbeit und Beziehungsdidaktik. Oldenburg: Universität Oldenburg, Zentrum für Pädagogische Berufspraxis.
Croci, Alfons; Imgrüth, Peter; Landwehr, Norbert & Spring, Kathrin (1995): ELF. Ein Projekt macht Schule. Magazin zum Thema Erweiterte Lernformen. Littau und Buchs: Kantonale Lehrmittelverlage Luzern und Aargau.
Grunder, Hans-Ulrich (2009): Heterogenität und Innere Differenzierung des Unterrichts. In: Hans-Ulrich Grunder und Adolf Gut (Hrsg.): Zum Umgang mit Heterogenität in der Schule. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 115-127.
Hattie, John (2009): Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London, New York:Routledge.
Helmke, Andreas (2007): Was wissen wir über guten Unterricht? Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Unterrichtsforschung und Konsequenzen für die Unterrichtsentwicklung. Vortrag an der Veranstaltung “Lehren und Lernen für die Zukunft” zur flächendeckenden Einführung des Projektes “Selbstständige Schule” in Essen, 28. Oktober 2006. http://www.bertelsmannstiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-85520472-C0716157/bst/05_Vortrag_Prof_Helmke.pdf (besucht am 07.11.2012)
Helmke, Andreas (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. 1. Aufl., Neubearb. von “Unterrichtsqualität erfassen, bewerten, verbessern”. Seelze: Kallmeyer.  Kunter, Mareike; Trautwein, Ulrich (2013): Psychologie des Unterrichts. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
Meyer, Hilbert (2005): Was ist guter Unterricht? (2. Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor.
Meyer, Hilbert (2015): Unterrichtsentwicklung. 1. Aufl. Berlin: Cornelsen.
Niggli, Alois (2013): Didaktische Inszenierung binnendifferenzierter Lernumgebungen. Theorie – Empirie – Konzepte – Praxis.
Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Oelkers, Jürgen; Reusser, Kurt (2008): Qualität entwickeln – Standards sichern – mit Differenz umgehen. Expertise. Unter Mitarbeit von Esther Berner, Halbheer Ueli und Stolz Stefanie. Hg. v. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bonn, Berlin.
Oser, Fritz K. & Baeriswyl, Franz J. (2001): Choreographies of Teaching: Bridging Instruction to Learning. In: Virginia Richardson (Ed.): Handbook of research on teaching (4. Aufl.). Washington, D.C: American Educational Research Association.
Pauli, Christine; Reusser, Kurt; Waldis Monika & Grob, Urs (2003): “Erweiterte Lehr- und Lernformen” im Mathematikunterricht der Deutschschweiz. In: Unterrichtswissenschaft 31 (4), S. 291-320.
Peschel, Falko (2006): Offener Unterricht (4. Aufl.). Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.
Reusser, Kurt; Pauli, Christine (2010): Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualität – Ergebnisse einer internationalen und schweizerischen Videostudie zum Mathematikunterricht: Einleitung und Überblick. In: Kurt Reusser (Hg.): Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualität. Ergebnisse einer internationalen und schweizerischen Videostudie zum Mathematikunterricht. Münster: Waxmann, S. 9–32.
Weinert, Franz E.; Helmke, Andreas (Hg.) (1997): Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

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Unhaltbares Dogma von der Überlegenheit des Projektunterrichts https://condorcet.ch/2020/09/unhaltbares-dogma-von-der-ueberlegenheit-des-projektunterrichts/ https://condorcet.ch/2020/09/unhaltbares-dogma-von-der-ueberlegenheit-des-projektunterrichts/#respond Thu, 10 Sep 2020 13:54:24 +0000 https://condorcet.ch/?p=6343

Für seinen Beitrag "Einspruch Kollege Kalberer - der Projektunterricht ist eine Königsdisziplin" (6.9.20) hat Condorcet-Autor Alain Pichard einige Kritik einstecken müssen. Im folgenden Beitrag begründet Hanspeter Amstutz, weshalb er die aktuelle Projekt-Euphorie nicht teilt.

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Alain Pichard: Projektunterricht ist eine Königsdisziplin
Bild: fabü

Alain Pichard zeigt differenziert auf, wie Projektunterricht gelingen kann. Dabei unterstreicht er, dass ein Grabenkrieg zwischen den Anhängern gegensätzlicher didaktischer Konzepte zu vermeiden ist. Das kann ich voll unterschreiben. Ich finde allerdings, dass in seinem Beitrag die Ausgangslage für die Kritik am Gruppenunterricht etwas verwischt worden ist. Es ist nicht der qualitativ gute Projektunterricht, der zur Diskussion steht, sondern die überzogenen Erwartungen an das selbständige Lernen und der gleichzeitige Abbau bei bewährten Lernformen. Da ist wirklich einiges aus dem Ruder gelaufen.

Projektunterricht unter falschen Voraussetzungen scheitert

Allzu häufig wird ausgerechnet dort, wo Gruppenarbeiten erfahrungsgemäss wenig Wirkung zeigen, diese Unterrichtsform in unzähligen Lektionen eingesetzt. Dieses wenig reflektierte didaktische Vorgehen ist leider so weit verbreitet, dass für die Volksschule ein erheblicher Schaden entstanden ist. Ich kenne viele Lehrpersonen, die zutiefst verunsichert sind, weil ihr Unterricht von Fachstellen abwertend als “veralteter Frontalunterricht” taxiert wurde. Bedenklich bei der ganzen Sache ist, dass unterdessen das neue Dogma von der Überlegenheit des selbstorganisierten Lernens an manchen Schulen widerspruchslos akzeptiert wird.

Setzt man aber zu früh mit anspruchsvollen Gruppenarbeiten ein, kommen viele Schüler kaum auf einen grünen Zweig.

Meine Erfahrung geht dahin, dass der Projektunterricht erst gelingt, wenn die Schüler über eine gefestigte Arbeitshaltung und solide Basiskompetenzen verfügen. Setzt man aber zu früh mit anspruchsvollen Gruppenarbeiten ein, kommen viele Schüler kaum auf einen grünen Zweig. Wer am Ende auch noch das Üben schwieriger Kompetenzschritte vollständig einer Gruppe überlässt, kann sein blaues Wunder erleben. Ich erinnere mich noch gut an eine Studentengruppe, die geknickt in unserem Lehrerzimmer sass und völlig ratlos wirkte. Auf meine Frage, was sie so bedrücke, kam heraus, dass die Gruppe von ihrem Mentor den Auftrag erhalten hatte, in ihrem Praktikum weitgehend auf direkte Instruktion zu verzichten! Das ist natürlich didaktischer Unfug erster Güte.

Falsche Erwartungen werden geweckt

Völlig offener Wettbewerb um die didaktische Krone

Heikel wird es, wenn der Projektunterricht zum Vornherein die Krone für den besten didaktischen Weg erhält. Zweifellos verlangen themenverschiedene Gruppenarbeiten in den Realien oder ein grosses Theaterprojekt viel didaktisches Geschick. Diese Herausforderung stellt sich nicht zuletzt in Abschlussklassen, wo die im langjährigen Unterricht erworbenen Kompetenzen in freierer Form zur Anwendung kommen sollen. Wenn dies dem Ziel dient, den Schülerinnen und Schülern auf dem Weg zur Selbständigkeit nochmals einen Schub zu geben, darf man sicher von einem krönenden Abschluss sprechen. Doch wäre es verfehlt, den bewährten und erfolgreichen Klassenunterricht im Rückblick in irgendeiner Weise abzuwerten. Eine aufwändige Physikstunde mit anschaulichen Experimenten oder eine packende Geschichtsstunde aus dogmatischen Gründen in den zweiten Rang zu versetzen, schiesst völlig am Ziel vorbei.

Bewusst oder auch gedankenlos wird mit dem Schlagwort vom rückständigen „Frontalunterricht“ der gemeinsame Klassenunterricht verunglimpft.

Theateraufführungen sind sehr oft auch Projekte

Leider scheint trotz der Hattie-Studie, welche einer überzeugenden direkten Instruktion gute Noten erteilt, die Lehrerbildung lieber mit höchst anspruchsvollen didaktischen Konzepten zu liebäugeln. Bewusst oder auch gedankenlos wird mit dem Schlagwort vom rückständigen „Frontalunterricht“ der gemeinsame Klassenunterricht verunglimpft. Statt die Kunst des anschaulichen Erklärens und Erzählens zuerst einmal gründlich zu üben, werden Studierende vermehrt angehalten, für die Schüler individuelle Wochenpläne zu entwickeln und daneben Lernprozesse in Gruppen zu gestalten. Dabei wird gern unterschätzt, wie viel Anstrengung es überhaupt braucht, bis in jedem Fach die spezifischen Lernmethoden den Schülern bekannt sind.

Im Wissen um die nach wie vor grosse Bedeutung des gemeinsamen Unterrichts lohnt es sich, die Lehrerbildung wieder stärker auf die in der Praxis am häufigsten verwendeten didaktischen Konzepte auszurichten.

Investitionen in besseren Klassenunterricht sind wirkungsvoller

Alain Pichard schreibt, dass er drei Viertel seines  Unterrichts in den Abschlussklassen dem gemeinsamen Klassenunterricht zuordnen würde. In der Praxis sind das zwar nicht reine Lektionen mit ausschliesslich direkter Instruktion. Darin enthalten sich auch Phasen mit Partnerarbeiten, längeren Trainingssequenzen und Eigentätigkeit im gestalterischen Bereich. Doch der Anteil des eher traditionellen Unterrichts bleibt verhältnismässig hoch. Ein Nachteil ist dies sicher nicht. Im Wissen um die nach wie vor grosse Bedeutung des gemeinsamen Unterrichts lohnt es sich, die Lehrerbildung wieder stärker auf die in der Praxis am häufigsten verwendeten didaktischen Konzepte auszurichten. Das bringt für den Schulerfolg weitaus mehr, als alles in die risikoreiche Kür des Projektunterrichts zu investieren. Selbstverständlich bleibt die Förderung des intrinsisch motivierten Lernens ein ganz grosses Bildungsziel, doch dafür muss nicht über Jahre hinweg der halbe Unterricht auf den Kopf gestellt werden.

Die aktuelle Projekt-Euphorie hat bei manchen Neueinsteigenden zu einem belastenden Praxisschock geführt.

Die aktuelle Projekt-Euphorie hat bei manchen Neueinsteigenden zu einem belastenden Praxisschock geführt. Diese unschöne Erfahrung muss wirklich nicht sein. Jüngere Lehrpersonen sollen ermutigt werden, in voller Freiheit die besten Wege für erfolgreiches Unterrichten zu finden. Abwertende Etikettierungen bewährter Methoden gilt es entschieden zurückzuweisen. Sorgen wir dafür, dass jüngere Kolleginnen und Kollegen wieder ohne indoktrinierte Gewissensbisse ins aufregende Abenteuer Schule einsteigen können.

Fehraltorf, 7. Sept. 2020

Hanspeter Amstutz

 

 

 

 

 

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Frontalunterricht – Paradebeispiel eines gezielt abwertenden Begriffs https://condorcet.ch/2020/04/frontalunterricht-paradebeispiel-eines-gezielt-abwertenden-begriffs/ https://condorcet.ch/2020/04/frontalunterricht-paradebeispiel-eines-gezielt-abwertenden-begriffs/#comments Mon, 20 Apr 2020 11:36:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=4725

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz stört sich nicht zum ersten Mal daran, dass man eine bewährte Unterrichtsmethode begrifflich diffamiert und deswegen die vielen Facetten, die sie bietet, gar nicht wahrnimmt.

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Hanspeter Amstutz: Begriff aus dem Militärjargon.
Bild: Fabü

Peter Aebersolds Kommentar zu den begrifflichen Verschleierungskünsten bei den Schulreformen kann ich voll zustimmen. Was wurde mit einigen Fachausdrücken in der Pädagogik nicht alles für Unfug angestellt! Das traurigste Beispiel aus dieser Reihe ist der ziemlich bösartige Begriff „Frontalunterricht“. Prallen in unseren Vorstellungen dabei nicht Gegensätze aufeinander, ähnlich wie schleudernde Autos bei einem frontalen Zusammenstoss? Vielleicht wird ein geschichtlich interessierter Mensch diese Unterrichtsform unbewusst gar mit dem Grabenkrieg in Verbindung bringen. Standen sich einst feindliche Soldaten in Schützengräben gegenüber, so ist es jetzt ein befehlender Lehrer, der Front gegen seine Schüler macht.

 Es steckt mehr drin

Anstatt “Frontalunterricht” eher den Begriff “direkte Instruktion” verwenden.

Nur weil ein Lehrer beim gemeinsamen Klassenunterricht in der Regel vor der Klasse steht, lässt sich daraus kaum viel über die Art des Unterrichts aussagen. Im arg verteufelten Frontalunterricht steckt vielmehr alles drin, was guten Unterricht ausmacht: Lernen durch gut verständliche direkte Instruktion, Gespräche über gemeinsam erworbene spannende Inhalte, Erlebnis des gemeinsamen Übens, Ermutigung durch eine Zuversicht ausstrahlende Lehrperson, abwechslungsreiche und verlässliche Führung durch neue Stoffbereiche, humorvolle und nicht planbare Überraschungsmomente mit positiver Wirkung.

Sehr effizient

Allein die unvollständige Aufzählung der Möglichkeiten des gemeinsamen Klassenunterrichts zeigt, dass diese Unterrichtsform für jede Lehrperson eine eigentliche didaktische Herausforderung ist. Auch ohne Hattie zu zitieren, darf man feststellen, dass diese Art des Unterrichtens zu Recht die Lektionsgestaltung prägt und sehr effizient ist. Und wie wir in der Corona-Krise sehen, vermissen die allermeisten Kinder die Geborgenheit einer gemeinsam lernenden Klassengemeinschaft. Doch was wird aus dieser lebendigen Lerngemeinschaft gemacht?

Auch ohne Hattie zu zitieren, darf man feststellen, dass diese Art des Unterrichtens zu Recht die Lektionsgestaltung prägt und sehr effizient ist.

Politiker, die wenig vom Innenleben der Schule verstehen, greifen die Kritik am Frontalunterricht bei jeder Gelegenheit auf, um als Kenner moderner Didaktik zu gelten. Sie haben es dabei einfach, auf der Seite der vorherrschenden Meinung zu stehen, da individualisierendes und digitales Lernen in der Öffentlichkeit weit mehr Interesse findet als die Kunst des gemeinsamen Unterrichtens. Dazu kommt, dass sich ein Teil der Fachdidaktiker lieber mit neuen didaktischen Experimenten profilieren will als mit den anspruchsvollen Grundlagen des soliden Lernens. So kommt es, dass ein abwertend verwendeter Begriff grossen Beifall findet und erheblichen Schaden anrichtet.

 

Was bleibt zu tun? In erster Linie braucht es Lehrerinnen und Lehrer, welche sich in der Kunst des gemeinsamen Klassenunterrichts zuhause fühlen. Statt verschämt einzugestehen, dass der “Frontalunterricht” in der Volksschule rein zeitmässig den grössten Teil des Unterrichts ausmacht, sollen sie zeigen, was diese Art der Kompetenzvermittlung für grossartige Möglichkeiten bietet. Für Kinder sind lebendige Beziehungen, wie sie auf unkomplizierte Weise am besten ein attraktiver Klassenunterricht bietet, absolut zentral. Es gilt, ein didaktisches Zerrbild als Folge eines verfehlten Begriffs wegzuwischen und durch eine verständliche und mutigere Kommunikation über die gelebte Wirklichkeit an unseren Schulen zu ersetzen.

 

 

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Direkte Instruktion gewinnt! https://condorcet.ch/2020/01/direkte-instruktion-gewinnt/ https://condorcet.ch/2020/01/direkte-instruktion-gewinnt/#respond Fri, 24 Jan 2020 04:39:36 +0000 https://condorcet.ch/?p=3676

Bei Amerikas längster, teuerster und bedeutendster Studie über die Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden an öffentlichen Schulen gab es einen überragenden Sieger, den gemeinsamen Klassenunterricht in der Form der „Direkten Instruktion“. Peter Aebersold fasst zusammen.

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Die Lehrperson steuert und strukturiert den Lernprozess aktiv. Die „Direkte Instruktion“ betont die Grundfertigkeiten und zerlegt sie in kleine Lernschritte.

Die „Direkte Instruktion“ ist eine lehrerzentrierte Unterrichtsmethode zum Erlernen von Fakten- und Grundlagenwissen und zur Ausbildung kognitiver Fähigkeiten. Die Lehrperson steuert und strukturiert den Lernprozess aktiv. Die „Direkte Instruktion“ betont die Grundfertigkeiten und zerlegt sie in kleine Lernschritte. Kinder lernen beispielsweise lesen, indem sie die Aussprache der Buchstaben vor den Buchstabennamen lernen. Sie müssen jede Fertigkeit beherrschen, bevor sie zur nächsten übergehen. Die Lehrer verfolgen den Fortschritt jedes einzelnen Schülers täglich. Sie achten auf sein Verhalten und ermutigen gutes Verhalten. Schlechtes Verhalten ignorieren sie weitgehend, wenn sie es als Ausdruck eines entmutigten Schülers wahrnehmen. Sie gehen davon aus, dass sich schlechtes Verhalten von selbst erledigt, wenn der Schüler Erfolgserlebnisse im Lernen macht.

Über 100’000 Schüler

Die Kinder werden in erster Linie nach ihrem Leistungsniveau und nicht nach ihrem Alter oder anderen Kriterien eingeteilt. Sie können am meisten profitieren, wenn sie eine möglichst homogene Klasse bilden, in der alle in der Lage sind, dem Unterricht zu folgen. Deshalb geht der Unterricht in der Klasse erst weiter, wenn alle den Stoff verstanden haben.

Die Langzeit-Studie „Project Follow Through“ (FT) begann 1968 und endete nach fast 30 Jahren 1995. Mit über 100.000 teilnehmenden Schülern in 180 Schulgemeinden und Kosten von rund einer Milliarde Dollars ist es bis heute das weltweit grösste pädagogisch-wissenschaftliche Experiment.

Die Langzeit-Studie „Project Follow Through“ (FT) begann 1968 und endete nach fast 30 Jahren 1995. Mit über 100.000 teilnehmenden Schülern in 180 Schulgemeinden und Kosten von rund einer Milliarde Dollars ist es bis heute das weltweit grösste pädagogisch-wissenschaftliche Experiment. Das Ziel war, die wirkungsvollsten Methoden zum Unterrichten von unterprivilegierten Kindern zu finden. Dabei sollten die benachteiligten Schüler, die bisher nur das 20. Perzentil (entspricht in etwa unserer Note 2, schwach) erreichten, von dieser Ausgangsgrösse auf das amerikanische Durchschnittsniveau (50. Perzentil, entspricht in etwa unserer Note 4, genügend) gebracht werden.

Die Erziehungswissenschaftler stützten sich auf die pädagogischen Theorien von John Dewey und Jean Piaget, während Engelmann sein Modell in Zusammenarbeit mit Lehrerkollegen entwickelte und auf Erfahrungen aus dem Schulalltag aufbaute.

Modell „Direkte Instruktion“ des Preschool-Lehrers Siegfried Engelmann aus Illinois

Das U.S. Department of Education (DOE) finanzierte 22 sehr unterschiedliche Bildungsprogramme in 51 Schulbezirken mit einer überproportionalen Anzahl armer Kinder. Standardisierte Testergebnisse wurden von fast 10.000 Follow-Through-Kindern sowie von Kindern, die nicht am Follow-Through-Programm teilnahmen, gesammelt. Die vom DOE zugelassenen Modelle wurden von Erziehungswissenschaftlern renommierter amerikanischer Universitäten entwickelt. Die einzige Ausnahme war das Modell „Direkte Instruktion“ des Preschool-Lehrers Siegfried Engelmann aus Illinois. Die Erziehungswissenschaftler stützten sich auf die pädagogischen Theorien von John Dewey und Jean Piaget, während Engelmann sein Modell in Zusammenarbeit mit Lehrerkollegen entwickelte und auf Erfahrungen aus dem Schulalltag aufbaute.

Die Auswertung der Follow-Through-Daten dauerte neun Jahre. Die Evaluation kostete 30 Millionen Dollar und erfolgte durch zwei unabhängige Institute. Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Bei der schulischen Leistung überragten die Kinder, die an der Methode der „Direkten Instruktion“ teilnahmen, ihre Altersgenossen aus den wissenschaftlichen Vergleichsgruppen. Die „Direkte Instruktion“ erreichte als einzige der Methoden, das Ziel, die Leistungen der schwächeren Schüler in allen Fächern (Lesen, Rechnen, Rechtschreibung, Sprache sowie Grundfertigkeiten, kognitive Fähigkeiten und Selbstwertgefühl) sehr nahe an das amerikanische Durchschnittsniveau zu bringen. Spätere Auswertungen von 1.000 Absolventen der „Direkten Instruktion“ zeigten deren Nachhaltigkeit. Sie lagen in der Abschlussklasse der Senior High School (12. Klasse, 17-Jährige) immer noch vor ihren Vergleichskohorten.

Die Auswertung dauerte 9 Jahre und kostete 1 Mia Dollars.

Trotz dieses grossartigen Erfolges beendete das amerikanische Bundesaufsichtspanel für „Follow Through“ das „Direkte Instruktions“-Programm und kürzte dessen Budget, während es andere Methoden fortsetzte, die aber zu spektakulären Flops führten. Die Schulpolitiker haben die „Direkte Instruktion“ nie akzeptiert, weil ihnen die Resultate der wissenschaftlichen Evaluation nicht genehm waren.

Trotz dieses Erfolges wird auf andere Methoden gesetzt

Pädagogen, die voller Begeisterung eine der „modernen“ Methoden der Erziehungswissenschaftler (offene Unterrichtsformen, selbstgesteuertes Lernen, Kompetenzorientierung, Konstruktivismus usw.) für ihren Unterricht gewählt hatten, weigerten sich, diese aufzugeben, auch wenn sie wenig wirksam waren. Sie versuchten den Kindern beizubringen, wie man alleine lernt, und wollten so bei ihren Schülern das Selbstwertgefühl erhöhen. Das Resultat war, dass die Schüler in diesen Modellen noch niedrigere Lese- und Mathematikwerte erreichten als die Kontrollgruppen, die nicht im Follow-Through-Programm waren.

Trotzdem verbreiteten sich die gescheiterten Methoden in Amerika „wie das Feuer im Maisstroh“. Das „moderne“ Strohfeuer griff zuerst auf die angelsächsischen Länder über und dann, gefördert von der OECD, auch auf die OECD-Staaten. Ironischerweise lieferte die OECD mit Pisa auch noch das Messinstrument, an dem man ablesen kann, wie es mit den Schulleistungen in den kompetenzorientierten OECD-Staaten bergab geht.

Eine einmalige Chance vertan

Das Projekt „Follow Through“ zeigte, dass die wissenschaftliche Wirkungsforschung, die in neuerer Zeit mit der Meta-Meta-Studie von Hattie eindrücklich bestätigt wurde, und die „moderne“ Praxis im Klassenzimmer einander noch fremd waren. Die Vereinigten Staaten haben damit eine einmalige Chance vertan. Bis beide am gleichen Strick ziehen, werden amerikanische Schulkinder weiterhin eine Ausbildung zweiter Klasse erhalten.

Mangelhafte Bildung lässt nicht nur bildungsferne Bevölkerungsschichten verarmen, sondern auch ganze Länder. Es ist wohl kein Zufall, dass es den asiatischen Pisa-Siegern mit ihrem bewährten Bildungssystem und ihren traditionellen Methoden gelungen ist, in den letzten vier Jahrzehnten über 700 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien.

Für die Schweiz müsste das Debakel mit den kompetenzorientierten, wirkungsarmen „Passepartout“-Lehrmitteln ein deutliches Warnsignal sein.

Peter Aebersold

Quellen:

* Billy Tashman: „Direkte Instruktion“: Unser Versagen bei der Umsetzung. New York Newsday, vom 15. November 1994

* Bonnie Grossen, University of Oregon: The Story Behind Project Follow Through

* Siegfried Engelmann: War Against the Schools’ Academic Child Abuse. Halcyon House, Portland 1992

* Gary L. Adams, Siegfried Engelmann: Research on Direct Instruction: 25 Years Beyond DISTAR. Verlag Educational Achievement System, Seattle WA 1996

* Siegfried Engelmann: Teaching needy kids in our backward system: 42 years of trying. Association for Direct Instruction ADI Press, Eugene (Oregon) 2007.

* John Hattie: Teachers Make a Difference, What is the research evidence? University of Auckland 2003 https://research.acer.edu.au/cgi/viewcontent.cgi?article=1003&context=research_conference_2003

https://de.wikipedia.org/wiki/Project_Follow_Through

https://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_Engelmann

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