Digitaisierung - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Thu, 15 Feb 2024 08:14:56 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Digitaisierung - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Eine Bildungsexpertin weiss Rat https://condorcet.ch/2024/02/eine-bildungsexpertin-weiss-rat/ https://condorcet.ch/2024/02/eine-bildungsexpertin-weiss-rat/#comments Sun, 11 Feb 2024 11:05:26 +0000 https://condorcet.ch/?p=15922

In einem fünfseitigen Interview im Magazin des Tages-Anzeigers entwirft eine ehemalige Institutsleiterin der Pädagogischen Hochschule Zürich ein Zukunftsmodell der Volksschule. Es sind kühne Vorstellungen, welche da skizziert werden. So fordert die Bildungsexpertin, dass die bisherige Klassenlehrerfunktion abzuschaffen sei und jeweils ein Team von vier Lehrpersonen eines Stockwerks die gemeinsame Verantwortung für gut sechzig Kinder tragen soll. Die Schüler seien individuell durch einfühlsame Coachs zu begleiten. Den Beitrag finden Sie hier (https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2024/02/Die-Schule-der-Zukunft.pdf). Condorcet-Autor Felix Schmutz zeigt sich amüsiert.

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Das Magazin vom 3. Februar 2024 gibt der «Bildungsexpertin» Rahel Tschopp viel Raum (8 Seiten), um ihre Vorstellungen von der «Schule der Zukunft» auszubreiten. Der Artikel von Ursina Haller erwähnt nicht, dass Rahel Tschopp ein eigenes Institut namens «Denkreise» leitet, das in grossem Stil und offenbar erfolgreich Schulentwicklungsprojekte durchführt, dass sie ferner mit weiteren Unternehmen und Stiftungen im IT-Bereich vernetzt ist. In ihren Gedanken zur Zukunft der Schule ist denn auch «Digitalisierung» eine unterschwellige Konstante.

Felix Schmutz, Baselland: Tönt etwas nach Mätzchenpädagogik

Wie muss denn nun die «Schule der Zukunft» aussehen?

Tschopp entwirft ihr Bild davon in 26 Stichworten. Ausgangspunkt ihrer Gedanken ist typischerweise das Unbehagen über die gegenwärtige Schule, die sie als rückständig einstuft: Die Gesellschaft entwickelt sich dauernd weiter, die Klassen werden heterogener, die Schule bleibt stehen. Dies unterstreicht sie mit einem negativ besetzten Reizwort: Die Schulen sind noch immer nach derselben alten «Grammatik» getaktet. Wer ist nicht gegen langweilige Grammatik?!

Es ist der alte Vorwurf, für den Lehrpersonen, Politiker, Eltern leicht empfänglich sind, weil Schule nie perfekt funktioniert, weil immer irgendwo etwas nicht gut läuft, Situationen unbefriedigend und Menschen überfordert sind. Der Wunsch nach Problemlösung, nach Erlösung von den irdischen Übeln des gewohnten Trotts ist deshalb in und ausserhalb der Schulen stets allgegenwärtig.

Hier ist eine Marktlücke, die von allerhand Prophetinnen und Propheten gewinnbringend bewirtschaftet werden kann. Werden sie als Beraterinnen angeheuert, bringen sie durch ihren Elan zunächst frischen Wind in die betreffenden Schulen. Es entsteht Aufbruchstimmung. Die Leute werden euphorisiert. Was sich sicher auch auf die Schülerinnen und Schüler überträgt, wenigstens für eine gewisse Zeit, bis sich Nachteile zeigen, Abgründe auftun, die nächsten PISA-Resultate bekannt werden oder unzufriedene Eltern auf die Barrikaden steigen und ihre Kinder von der Schule abziehen.

Rahel Tschopp, Primarlehrerin, schulische Heilpädagogin sowie Schulleiterin, später Studium im Business Coaching und Change Management (Master of Arts).

Was sind denn nun die Rezepte der Rahel Tschopp, wie sieht ihre neue «Schulgrammatik» aus? Kurz gesagt: Es sind die alten Ladenhüter, die ohne Evidenz einer nachhaltig erfolgreichen Umsetzung und ohne Diskussion der entsprechenden Forschung und Gegenargumente verkündet werden. Tschopp unterscheidet auch nicht nach Schulstufen, offenbar gelten ihre Vorschläge für die gesamte obligatorische Schulzeit:

  • Altersdurchmischung und Auflösung der Klassengemeinschaft
  • Grossraumbeschulung
  • kein Frontalunterricht
  • Digitalisierung, Lernen mit you tube-Tutorials
  • Individualisierung
  • Abschaffung der Aufgaben
  • Abschaffung der Noten und Zeugnisse, statt dessen Portfolios
  • Schaffung von gemütlichen Lernumgebungen
  • Abschaffung der Selektion
  • Einbeziehung der Eltern
  • Lehrpersonen als Coach, ja nicht «zeigen wies geht»
  • Einbezug der KI
  • Lehrpersonen nur noch als Team
  • Lernen in der Natur
  • Öffentlichkeitsarbeit durch Schulausstellungen

Wer den Überdruss überwindet und genau liest, merkt schnell, dass die Argumentation zu den erwähnten Punkten nicht ganz widerspruchsfrei ist. Beispielsweise wird die Bedeutung der Schüler-Lehrkraft-Beziehung hervorgehoben, gleichzeitig aber eine Lernumgebung propagiert, bei der diese Einzelbeziehung aufgehoben wird. Selbstorganisiertes Lernen wird angepriesen, gleichzeitig jedoch die Direktvermittlung durch Lehrpersonen in akademisch schwierigen Fächern verlangt. Soziales Lernen soll im Portfolio dokumentiert werden, obwohl der Unterricht aufs Äusserste individualisiert werden soll. Mit dieser Sowohl-als-Auch Pädagogik sichert sich die Beratung einen langanhaltenden Einsatz, weil die Schulen den widersprüchlichen Ansprüchen nie ganz gerecht werden können.

Hier spricht jemand, der grundsätzliche Anliegen mit zweitrangigen Details vermischt, die schon längst in die Methodenkiste der Lehrpersonen gehören, die als «grammatikalische» Ausgestaltung einer «Schule der Zukunft» jedoch eher skurril wirken.

Mätzchenpädagogik

Viele der konkreten Vorschläge tönen etwas nach Mätzchenpädagogik: Am Boden liegend arbeiten, ein Schatzkästchen haben, in dem Lernbelege abgelegt werden, in einem Büchlein notieren, was man bereits kann, einzelne Kinder als Schutzengel einsetzen, etc. Hier spricht jemand, der grundsätzliche Anliegen mit zweitrangigen Details vermischt, die schon längst in die Methodenkiste der Lehrpersonen gehören, die als «grammatikalische» Ausgestaltung einer «Schule der Zukunft» jedoch eher skurril wirken.

 

Atelier Denkreise: . Soziales Lernen soll im Portfolio dokumentiert werden, obwohl der Unterricht aufs Äusserste individualisiert werden soll.

Warum ist es müssig, auf die einzelnen Punkte noch einzugehen? Weil all dies in den Schulen seit über 30 oder 40 Jahren ausprobiert worden ist, weil sich die Schule in dieser Zeit im Gegensatz zu Rahel Tschopps Meinung gewaltig verändert und den Bedürfnissen angepasst hat, weil sich gemäss PISA und anderen Evaluationen die Leistung aber nicht verbessert hat und weil die langfristige Zufriedenheit mit der Schule nicht zugenommen, sondern eher abgenommen hat.

Wie Schule organisiert wird, welche Mittel eingesetzt werden, sollte diesem Ziel nachgeordnet werden.

Allerdings gibt es Aufgaben, denen sich die Schule nicht entziehen kann, weil die späteren Bildungswege und die Gesellschaft dies nun einmal verlangen. Dazu gehören Zeugnisse und die Selektion. Dazu gehören verbindliche Bildungsziele. Dazu gehören Lehrpersonen, die bereit sind, die Verantwortung für die Vermittlung zu übernehmen und sich nicht im Team hinter andern zu verstecken und die Schüler(innen) die komplizierten Kommaregeln selbst entdecken zu lassen.

Es ist das alte Lied: Bei Missständen im Schulbereich müsste vorurteilsfrei nach den Ursachen geforscht und entsprechend gehandelt werden. Das eigentlich aufklärerische Ziel der Volksschule, nämlich die Vermittlung von Grundwissen und die Förderung der wesentlichen Fähigkeiten, muss prioritär gewahrt bleiben. Es ist heute so aktuell wie vor hundert Jahren und ist genau so in den Kantonsverfassungen verankert. Dabei steht das Lernen im Zentrum. Fachlich gut ausgebildete Lehrpersonen mit Einfühlungsvermögen sind gefragt, die den Kindern und Jugendlichen die Dinge im direkten menschlichen Bezug vermitteln können. Wie Schule organisiert wird, welche Mittel eingesetzt werden, sollte diesem Ziel nachgeordnet werden.

 

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Ein Roboter als Klassenkamerad https://condorcet.ch/2023/03/ein-roboter-als-klassenkamerad/ https://condorcet.ch/2023/03/ein-roboter-als-klassenkamerad/#respond Fri, 10 Mar 2023 05:10:19 +0000 https://condorcet.ch/?p=13385

Die kleinen Geräte mit Kamera und Mikrofon bringen den Unterricht aus dem Klassenzimmer ins Kinderzimmer. Wie die Roboter länger erkrankten Schülerinnen und Schülern helfen können, beschreibt Gastautorin Ariane Lindenbach im nachfolgenden Beitrag.

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Er ist nicht besonders groß, wie ein sitzender Dackel vielleicht, und mit seiner weißen Plastikhülle eher unscheinbar. Und dennoch ist der Avatar AV I eine große Unterstützung und wohl in den jeweiligen Klassenzimmern derzeit die Attraktion. Denn die mit Kamera und Mikrofon ausgestatteten Avatare ermöglichen es Schülerinnen und Schülern, die krankheitsbedingt lange fehlen, von Zuhause oder dem Krankenhaus aus aktiv am Unterricht teilzunehmen und mit ihren Mitschülern zu kommunizieren. Dank des kleinen weißen Roboters bleiben sie so Teil der Klassengemeinschaft, auch wenn sie über Monate oder sogar ein ganzes Schuljahr ausfallen.

Mehr als nur eine optische und akustische Verbindung

“Sprechen kann er auch, er kann auch mit dem Nachbarn flüstern”, erzählt Uli Rödl. Er leitet das Medienzentrum für Schule und Bildung und hat die beiden Avatare angeschafft. Das Medienzentrum ist eine Einrichtung des Landkreises Fürstenfeldbruck und hat die Aufgabe, sämtliche Schulen mit Medien aus dem Bildungsbereich zu versorgen. Wie Rödl unterstreicht, können die Roboter noch viel mehr, als nur eine akustische und einseitig optische Verbindung zwischen zwei beliebig weit voneinander entfernten Personen herzustellen: “Er kann sich auch melden, dann leuchtet oben am Kopf ein blaues Licht. Und er kann auch Emotionen zeigen über die Augen.”

250 Avatare für rund 1500 betroffene Schulkinder

Der AV I ist ein so genannter Telepräsenz-Roboter, da er die Anwesenheit – in diesem Fall im Unterricht – einer abwesenden Person ermöglicht. Mittels Kamera, Mikrofon und der weiteren technischen Ausstattung zur Datenübertragung übermittelt der AV I Bilder und Geräusche live aus dem Klassenzimmer auf ein iPad mit spezieller App, das im Besitz des erkrankten Kindes ist; dieses bedient den Avatar. Das Medienzentrum verleiht beides als Gesamtpaket. Die betroffenen Familien müssen sich an den Kosten nicht beteiligen. In ganz Deutschland gibt es mehr als 250 AV I der norwegischen Firma “No Isolation”, weltweit knapp 2000. Im Jahr 2020 nutzten ihn deutschlandweit etwa 1500 Schulkinder. Wie groß der Bedarf im Landkreis bei den 25 000 Schülern ist, kann Rödl aktuell nicht abschätzen – bei längeren Erkrankungen sind Prognosen ohnehin schwierig.

Schnupperangebot zum Austesten

Vor der Anschaffung der Avatare hatte der Leiter des Medienzentrums bei den Schulen nach längeren krankheitsbedingten Ausfällen gefragt. 80 Prozent hatten damit bereits Erfahrungen. Aktuell weiß Rödl allerdings nicht, wie lange die beiden Avatare von ihren jetzigen Nutzern benötigt werden. Ohnehin seien sie eher als eine Art Schnupperangebot für die Schulen gedacht, erläutert er den Ansatz des Medienzentrums. Sollten die Schulen beim Ausprobieren feststellen, dass sie auch so einen Roboter gebrauchen könnten, müssen sie ihn selbst anschaffen. Der AV I samt iPad kostet 3500 Euro sowie jährlich 1000 Euro für den technischen Support.

“Die Mitschüler haben den Avatar gleich ins Herz geschlossen”

Jedenfalls ermöglicht der 2016 auf den Markt gekommene Avatar eine ganz neue Form des Schulbesuchs für kranke Schülerinnen und Schüler. Und das ist sehr erfreulich, haben die Pandemiejahre doch gezeigt, wie wichtig der Schulbesuch nicht nur für die Wissensvermittlung ist, sondern mindestens in gleichem Maß auch für die soziale und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. “Wir sind begeistert, dass wir die Möglichkeit erhalten haben, diesen Avatar auszuleihen”, schreibt die Rektorin der Philipp-Weiß-Grundschule. “Das Kind, das die Schule im Moment leider nicht besuchen kann, bekommt so den Unterricht zeitgleich und aus erster Hand mit. Der Schüler steht in direktem Austausch mit der Lehrkraft und den Mitschülern, kann Fragen stellen und aktiv am Unterricht teilnehmen. Er bleibt in der Klassengemeinschaft integriert. Auch die Mitschüler haben den Avatar gleich ins Herz geschlossen und gehen ganz selbstverständlich damit um.”

Hersteller: “Deutliche Verbesserung des Wohlbefindens”

Dank AV I bleiben langzeiterkrankte Schülerinnen und Schüler in regelmäßigem Kontakt mit ihrer Klasse, im Idealfall nehmen sie wie alle anderen am gesamten Unterricht teil – nur eben nicht in physischer Präsenz. Über den Avatar können sie sehen, sprechen und mit ihren Mitschülern interagieren. Laut dem Hersteller No Isolation zeigen die Erfahrungen der Nutzerinnen und Nutzer, “dass eine ansprechbare ,physische Präsenz’ in der Schule in Form unseres Avatars zu einer deutlichen Verbesserung des Wohlbefindens führt”. Das wiederum unterstütze den Genesungsprozess und helfe dabei, dass die Abwesenden in aller Regel schneller wieder in ihre Klassengemeinschaft zurückkehren könnten. Überhaupt, so zeigen erste Studien, erleichtert der Avatar seinen Nutzern nach einer langen Phase der Abwesenheit die Rückkehr in ihre Klasse.

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Der große Vorteil der Handschrift gegenüber dem Tippen https://condorcet.ch/2022/10/der-grosse-vorteil-der-handschrift-gegenueber-dem-tippen/ https://condorcet.ch/2022/10/der-grosse-vorteil-der-handschrift-gegenueber-dem-tippen/#comments Fri, 14 Oct 2022 14:10:06 +0000 https://condorcet.ch/?p=11970

In der Pandemie hat die Handschrift von Grundschülern teils dramatisch gelitten. Doch schon länger ist zu beobachten, dass sie langsamer und unleserlicher schreiben sowie schneller ermüden. Das Ergebnis sei alarmierend, sagen Experten. Auch Eltern können unterstützen. Von Gastautorin Mélanie Croyé

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Melanie Croyé, Journalistin und Autorin: Immer noch eine der wichtigsten Grundfertigkeiten.

Die siebenjährige Lea steht mehr als sie sitzt, schnappt sich den dargebotenen Stift und kritzelt ein paar Worte auf die Grußkarte. Die Buchstaben sind krakelig, das große D sieht eher aus wie ein O, das kleine h wie ein n.

„Reicht das jetzt“, fragt sie genervt und wirft den Stift zur Seite. Schreiben ist Schwerstarbeit für die Zweitklässlerin, die coronabedingt zu viel Unterrichtsausfall im ersten Schuljahr hatte und jetzt deutlich hinter dem zurückbleibt, was eigentlich im Lehrplan steht.

Lea ist weit davon entfernt, mit einem Füller zu schreiben. Sie malt jeden einzelnen Buchstaben ab, muss überlegen, wie nochmal das k geschrieben wird. Das Ergebnis ist weder besonders leserlich noch flüssig – und erfüllt damit die einzigen Kriterien an eine ordentliche Handschrift nicht.

Mehr als sieben von zehn Lehrkräften berichten von Problemen bei der Schreibstruktur, Leserlichkeit und dem Schreibtempo.

Wie Lea geht es vielen Grundschülern in Deutschland, und bei Weitem nicht nur den Schreibanfängern. Vor allem Kinder, die bereits vor Ausbruch der Pandemie Probleme beim Schreiben hatten, sind durch Wechsel- und Distanzunterricht noch weiter zurückgefallen.

Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des Schreibmotorik-Instituts in Kooperation mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE). Demnach berichten mehr als sieben von zehn Lehrkräften von Problemen bei der Schreibstruktur, Leserlichkeit und dem Schreibtempo. „Das Ergebnis ist alarmierend“, sagt der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann.

Schreiben lernen – und zwar mit der Hand – ist noch immer eine der wichtigsten Fähigkeiten, die Kinder in der Schule erwerben. Zwar halten digitale Hilfsmittel wie Tablets immer mehr Einkehr in den Schulalltag, dennoch gehört Schreiben mit der Hand zu den Grundfertigkeiten.

„Handschreiben hat positive Effekte auf die Gehirnfunktion“

Aus gutem Grund: „Handschreiben hat positive Effekte auf die Gehirnfunktion“, sagt Beckmann. Die motorische Bewegung löst im Gehirn einen Reiz aus, Synapsen entwickeln und verschalten sich. Handgeschriebene Informationen werden anders durchdacht und bleiben besser im Gedächtnis.

Udo Beckmann bringt das mit einem Beispiel auf den Punkt: „Wenn ich mir meine Einkaufsliste ins Handy tippe, dann muss ich im Laden ständig aufs Display schauen, weil ich die Hälfte nicht im Kopf habe. Schreibe ich die Liste aber mit der Hand, brauche ich keinen Einkaufszettel, weil die Informationen so gut im Gehirn abgespeichert sind.“

Schülerinnen und Schüler sollen am Ende der Grundschulzeit in kurzen Sätzen flüssig und in einer leserlichen Handschrift schreiben können.

Beckmann will digitale Medien nicht verteufeln, aber er warnt davor, sich zu abhängig davonzumachen. Bloßes Tippen ersetze das Schreiben nicht.

Dem stimmt auch Linda Kindler zu. Die Grundschullehrerin aus Köln ist Sprecherin der Projektgruppe Grundschrift des Grundschulverbands. „Auch digitales Schreiben ist wichtig und wurde auch in die Bildungsstandards aufgenommen. Aber an erster Stelle steht immer das Schreiben mit der Hand.“

Wie genau diese Handschrift aussehen soll, ist ebenfalls in den Bildungsstandards für das Fach Deutsch, die seit 2004 in ganz Deutschland gelten und im Juni 2022 aktualisiert wurden, geregelt: Schülerinnen und Schüler sollen am Ende der Grundschulzeit in kurzen Sätzen flüssig und in einer leserlichen Handschrift schreiben können.

Wie genau diese aussieht, ist allerdings nicht festgelegt. Die meisten Schüler lernen zunächst eine Druck- und danach eine Schreibschrift. Welche sie lernen, hängt allerdings vom Bundesland und der Schule ab. In einigen Bundesländern lernen die Kinder noch immer die klassische lateinische Ausgangsschrift, in anderen die vereinfachte Ausgangsschrift, bei der einige Buchstaben eher wie Druckbuchstaben aussehen.

Umstellung von Druck zur Schreibschrift ist schwierig

Wichtiger als verlangsamte Schönschrift sei es, flüssige Schreibbewegungen zu lernen.

So ähnlich verhält es sich auch bei der Schulausgangsschrift, die in der früheren DDR beigebracht wurde. Zuletzt ist die Grundschrift entstanden, eine Art Druckschrift mit Wendebögen zwischen den Buchstaben.

Mit der Umstellung von Druck- zu Schreibschrift tun sich viele Schüler allerdings schwer. Dabei sind die Voraussetzungen heute weit weniger streng als früher. „Das Ziel ist keine Schönschrift, sondern sollte sein, dass die Kinder zügig bei entspannter Hand schreiben und das dann von jedem gelesen werden kann“, erläutert Linda Kindler.

Sie ist eine Verfechterin der Grundschrift, weil diese das flüssige Schreiben von Beginn an ermögliche und die Kinder beim Schreibenlernen nicht ausbremse.

Das ist wichtig, weil heute viel weniger Zeit darauf verwendet wird, Kindern eine Schrift beizubringen. Früher war die Schönschrift das Ziel der Schreiberziehung. Dafür ist mittlerweile aber keine Zeit mehr – und es ist auch nicht nötig.

„Man braucht Schönschrift nicht, um später schönzuschreiben. Das wurde wissenschaftlich widerlegt“, sagt Christian Marquardt vom Schreibmotorik-Netzwerk in München.

Wichtiger als verlangsamte Schönschrift sei es, flüssige Schreibbewegungen zu lernen und eine eigene Handschrift zu entwickeln. Kaum ein Erwachsener schreibe heute schließlich noch in der gelernten Schulschrift.

Keinen Druck auf die Kinder ausüben

Das sollten sich auch Eltern bewusst machen, die ihre Kinder beim Schreibenlernen unterstützen wollen: „Man sollte bei Problemen auf keinen Fall Druck ausüben und etwas forcieren. Wenn die Motivation erst weg ist, wird es schwierig“, warnt Schreibexperte Marquardt.

Beim Schreiben werden mehr als 30 Muskeln und 17 Gelenke beansprucht.

Sobald die Kinder sicher in den Grundformen der Buchstaben sind, sollte man mit ihnen das flüssige Schreiben der Buchstaben üben und damit die Motorik trainieren. Beim Schreiben werden mehr als 30 Muskeln und 17 Gelenke beansprucht – kein Wunder, wenn Kinderhände beim oftmaligen Wiederholen ermüden.

Marquardt rät stattdessen, lieber in kurzen und spielerischen Übungseinheiten zu trainieren und zwischen den beiden Zielen Lesbarkeit und Flüssigkeit zu unterscheiden. „Auch Strategie ist wichtig. Wenn man beispielsweise zu schnell schreiben will, also schneller, als die Motorik es zulässt, kann sich keine Form bilden“, sagt er. Man müsse immer eine Balance finden zwischen Form und Geschwindigkeit.

„Probieren Sie verschiedene Stifte mit Ihren Kindern aus und lassen sie diese mit großen Bewegungen schreiben lernen.“

Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung rät zudem, darauf zu achten, wie Kinder schreiben. Ein wichtiges Anzeichen für Probleme ist es, wenn die Kinder verkrampft sind, den Stift fest umklammern.

„Man kann Kinder wunderbar unterstützen bei der Technik wie dem Sitz und der Stifthaltung“, so Beckmann. „Es ist aber auch wichtig, als Eltern ein gutes Vorbild zu sein, also selbst nicht nur ins Handy, sondern auf Papier zu schreiben.“ Eltern sollten auf keinen Fall zu viel Druck aufbauen, sondern niedrigschwellige Anreize für die Kinder schaffen, zum Beispiel beim gemeinsamen Schreiben von Einkaufszetteln oder Postkarten.

Die feinmotorischen Fähigkeiten können aber bereits vor dem Schuleintritt gefördert werden, indem Eltern viel mit ihren Kindern malen, kneten oder basteln, schlägt Linda Kindler vor. „Probieren Sie verschiedene Stifte mit Ihren Kindern aus und lassen sie diese mit großen Bewegungen schreiben lernen.“

Weg mit den Hilfslinien beim Schreibenlernen!

Hilfslinien in Schreibheften hält sie – zumindest am Anfang – für hinderlich. „Man beginnt immer auf dem weißen Blatt Papier mit viel Platz.“ Erst wenn es darum gehe, Proportionen zu erklären, beispielsweise zwischen kleinen und großen Buchstaben, könnten diese eine Orientierung sein.

Einen Unterschied zwischen Jungs und Mädchen gibt es den Experten zufolge dabei nicht. „Jeder kann feinmotorische Fähigkeiten lernen“, betont Christian Marquardt vom Schreibmotorik-Netzwerk. Anders sei es hingegen bei der Motivation: Während für Jungs das Schreibenlernen oft eine lästige Arbeit im schulischen Alltag sei, identifizierten sich Mädchen eher mehr damit.

„Für viele Mädchen scheint Schreiben ein Ausdruck ihres Selbst zu sein, sie machen Kringel an ihre Buchstaben, probieren bauchige Formen aus und versuchen eher, ihre Schrift zu ihrem eigenen Ding zu machen.“

In den Grundfertigkeiten wurden in Untersuchungen allerdings keine Differenzen zwischen den Geschlechtern festgestellt. „Das muss man unterscheiden: Handschrift kann zwar ein Ausdruck der Persönlichkeit sein, vor allem aber ist sie eine Fertigkeit, die man eben lernen muss“, sagt Marquardt. „Eine schlechte Handschrift sagt nichts über die Person aus, man muss sich dafür nicht schämen.“

 

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