Blick - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Wed, 25 Nov 2020 15:41:08 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Blick - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Rassismus in Schweizer Schulbüchern? – Eine Entwarnung https://condorcet.ch/2020/11/rassismus-in-schweizer-schulbuechern-eine-entwarnung/ https://condorcet.ch/2020/11/rassismus-in-schweizer-schulbuechern-eine-entwarnung/#comments Wed, 25 Nov 2020 05:20:40 +0000 https://condorcet.ch/?p=7029

Die Condorcet-Redaktion bat den ehemaligen Leiter der Integrationsstelle der Stadt Basel, die "Studie" der beiden Expertinnen, Frau El Maawi und Frau Shuak, unter die Lupe zu nehmen. Seine Analyse ist nicht sehr schmeichelhaft.

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Titel im Sonntagsblick: Beängstigende Analysen

Der SonntagsBlick hat die Leserschaft mit der Meldung aufgeschreckt, die Schweizer Schulbücher seien rassistisch. Tatsächlich steht in einem Flyer – finanziert von den Fachstellen des Bundes, des Kantons und der Stadt Zürich: „Allen untersuchten Lehr- und Lernmitteln liegt eine rassistische Perspektive zu Grunde“. Es handelt sich dabei nicht etwa um historische Schriften, sondern um aktuelle Bücher wie „Welt der Wörter 1“ oder „Durch Geschichte zur Gegenwart, Band 2“.

Das pädagogische Milieu ist grossmehrheitlich von hoher Sensibilität gegenüber Diversity- und Genderfragen geprägt.

Ich wurde nun um eine Stellungnahme gebeten, da ich 1999 zusammen mit dem Ethnologischen Seminar der Universität Basel die Integrationsstrategie und die Antidiskriminierungprogramme entwickelt habe. Diese sind inzwischen national verankert und in die eidgenössische Integrationsgesetzgebung eingeflossen. Als Praktiker und Berater an Schulen sowie Gastdozent im In- und Ausland habe ich diese Anfrage gerne angenommen. Dies auch, weil das pädagogische Milieu grossmehrheitlich von hoher Sensibilität gegenüber Diversity- und Genderfragen geprägt ist und es deshalb bemerkenswert ist, dass ausgerechnet Schulbücher Rassistisches verbreiten sollen.

Grobe Manipulation

Völlig verkehrte Interpretation

Ein Blick in den Flyer und die untersuchten Bücher gibt allerdings rasch Entwarnung. Das Produkt entlarvt sich schon bei der ersten Probe aufs Exempel als grobe Manipulation. Unter „Einige charakteristische Beispiele“ für die Beweisführung wird eine Zeichnung aus „Durch Geschichte zur Gegenwart“, Band 2, Seite 241, als rassistisch kritisiert. Ein sitzender Europäer ist abgebildet, wie er einem Afrikaner zusieht, der „Despise not your Enemy“ auf die Wandtafel schreibt.

Langfädig wird das Gezeichnete aufgeschlüsselt, ausgehend von den unterschiedlichen Kleidungen. Auszug: „Eine solche Abbildung beinhaltet verschiedene stereotyp-rassistische Merkmale und zeichnet die gesellschaftliche Hierarchisierung nach. Der weisse Mensch ist hier einmal mehr als rational, „zivilisiert“ – weil bekleidet und beherrscht – dargestellt und die Schwarze Person als zu belehrende, naturgebundene Schüler*in. Dadurch wird Schwarz-Sein objektiviert und abgewertet, denn die Bildaussage gilt stellvertretend für alle weissen bzw. Schwarzen Menschen. Die Aussage auf der Wandtafel – „Verachte nicht deinen Feind“ – eröffnet eine weitere Dimension der gewaltvollen Erniedrigung in Form von zugewiesener Naivität“.

Im Flyer fehlt jeder Hinweis zu den abgebildeten Personen, Kontext und Bedeutung der Karikatur – eine Irreführung der Leserschaft.

Und was steht dazu im Schulbuch?

Unter dem Titel „Afrika und Asien werden verteilt“ wird das Zeitalter des Imperialismus beschrieben, mit den Triumphen und Niederlagen der Eroberer. Eben eine solche wird mit der Zeichnung dargestellt, die schwere Niederlage, die 1879 die Zulus in Südafrika den Engländern zufügten: „Der Londoner „Punch“ kommentierte diese mit einer Karikatur: „Verachte deine Feinde nicht“, schreibt der „Schüler“, der Zuluhäuptling Tschetschwayo, dem „Lehrer“, dem britischen Ministerpräsidenten Disraeli, an die Tafel.“

Der (sitzende) Verlierer ist also der Brite, der (stehende) Sieger der Zuluhäuptling, der dem Eindringling den Tarif durchgibt. Im Flyer fehlt jeder Hinweis zu den abgebildeten Personen, Kontext und Bedeutung der Karikatur – eine Irreführung der Leserschaft.

Wer sich nun die Mühe macht, die Reisen des David Livingstone und weiterer Forscher (nochmals) zu studieren, kommt zum Schluss, dass die Schulbücher durchaus korrekt berichten.

Ähnlich konstruiert sind die weiteren Beispiele für den angeblichen Rassismus in den Schulbüchern. Unter dem Titel „Warum wurden Kolonialreiche gegründet?“ erklärt das erwähnte Geschichtsbuch mit elf Themen die Voraussetzungen und Probleme Europas, von der Demografie, über Wirtschaft und Nationalismus bis Imperialismus.

Im Flyer wird der Kontext zu den weiteren zehn Themen und aufklärenden Originaltexten aus der Zeit verschwiegen, eine Differenzierung zwischen Forschungsreisenden, Militärs, Missionaren und Händlern findet nicht statt.

Massaker von Nyangwe 1871
Massaker von Nyangwe, 1871

Der Flyer kritisiert die unter 5. genannte Forschung: „Hier müsste z. B. das glorifizierende „mutige Forscher“ durch „plündernde Abenteurer*innen“ ersetzt werden.“ Wer sich nun die Mühe macht, die Reisen des David Livingstone und weiterer Forscher (nochmals) zu studieren, kommt zum Schluss, dass die Schulbücher durchaus korrekt berichten. Livingstone hat sich übrigens stark gegen die Sklaverei engagiert und 1871 erlebt, wie arabische Sklavenhändler auf dem Marktplatz von Njangwe 1500 Menschen einkreisten, 400 töteten, viele abführten und 27 Dörfer niederbrannten. Im Flyer wird der Kontext zu den weiteren zehn Themen und aufklärenden Originaltexten aus der Zeit verschwiegen, eine Differenzierung zwischen Forschungsreisenden, Militärs, Missionaren und Händlern findet nicht statt. Stattdessen empfehlen die Autorinnen als Beitrag gegen den Rassismus, die gut dokumentierten Expeditionen der forschenden Männer im Nachhinein in Raubzüge von gemischten Gruppen mit Abenteurerinnen zu verwandeln. Die  Erwähnung der arabischen Sklavenjäger wird zudem als „Antimuslimischer Rassismus“ bezeichnet. Dass es diesen Sklavenhandel in Mauretanien, Libyen oder Irak (mit geraubten Jesidinnen) immer noch gibt, kümmert die Autorinnen nicht.

Die  Erwähnung der arabischen Sklavenjäger wird zudem als „Antimuslimischer Rassismus“ bezeichnet. Dass es diesen Sklavenhandel in Mauretanien, Libyen oder Irak (mit geraubten Jesidinnen) immer noch gibt, kümmert die Autorinnen nicht.

Die Kunst der Lehrerin oder des Lehrers

Es kümmert sie auch nicht, dass die Pädagogischen Hochschulen über breite Angebote in Diversity- und Genderfragen verfügen. Die Forderung nach solchen Kursen erstaunt die Betroffenen der PH, sie sind schon lange fester Teil der Grund- und Weiterbildung. Meine Wenigkeit unterstützt solche Angebote seit 1999. Was hingegen alle angefragten Dozentinnen anfügen: Die Vermittlung des Wissens und Sensibilisierung bleibt schlussendlich stets die Kunst der Lehrerin oder des Lehrers.

Ideologisches Pamphlet

Ich habe einige von ihnen mit dem Flyer konfrontiert. Die Reaktionen der erfahrenen Lehrkräfte reichen von „Parodie“, „sektenhaft“, „inhärente Widersprüche“, „voller Stereotypen“, „ideologisches Pamphlet“ über „groteske Arroganz mit billigem Moralismus“ bis zu „Satire“. Die Herausforderungen seien ganz woanders, in der konkreten Praxis im Schulzimmer und auf dem Pausenplatz. Gerade an Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus verschiedenen Ländern und Kulturen sei das beispielhafte Vorleben von Anstand und Respekt und das Durchsetzen der Regeln zentral. Und vor allem wesentlich komplexer als das Schwarz-Weiss-Denken der Flyer-Autorinnen. Die Konfliktlinien verlaufen häufig zwischen Migrantengruppen, auch mit Bezug zu Problemen in den Heimatländern. Staats- und Rechtskunde werden als Korrektiv im Unterricht bedeutungsvoller, namentlich die Vermittlung der Errungenschaften der Aufklärung – mit dem Rechtsstaat und dem Gewaltmonopol des Staates.

Staats- und Rechtskunde werden als Korrektiv im Unterricht bedeutungsvoller, namentlich die Vermittlung der Errungenschaften der Aufklärung – mit dem Rechtsstaat und dem Gewaltmonopol des Staates.

Erfreuliche Entwicklung

Diese Aussagen decken sich mit den Erfahrungen der Meldestellen. Wir haben in Basel-Stadt und Baselland vor 30 Jahren solche eingerichtet, um möglichst niederschwellig und breit Hinweise oder Erlebtes in allen Formen der Diskriminierung und des Rassismus dokumentieren und angehen zu können. Gleichzeitig haben wir die Aus- und Weiterbildung von Polizei, Sozialhilfe und weiteren Behörden mit viel Kundenkontakt zusammen mit dem Ethnologischen Seminar entsprechend ergänzt.

Dank dem dualen Bildungssystem erfolgt der soziale Aufstieg der Immigrierten nirgends so schnell wie in der Schweiz.

Schnelle Integration dank des dualen Prinzips

Die Fallzahlen waren und sind erfreulich überschaubar. Einzelfälle liessen sich praktisch immer in kurzen Mediationen klären und bereinigen. Es bewährte sich, für die komplexen Themen der Migration, Integration und der Anti-Diskriminierung exponierte Stellen zu bezeichnen, die den öffentlichen Bedarf an Diskussion, Klärung und auch als Frust-Ableiter leisten können. Gemessen an der Situation in den 2000ern sind die Schulen und Behörden heute erfahrener und personell viel diverser. Anstelle moralisierender Flyer bringt die öffentliche Unterstützung der Lehrkräfte, Polizistinnen, Sozialarbeiter und Lehrmeisterinnen für ihre wertvolle, tägliche Arbeit für das erfolgreiche und friedliche Zusammenleben Mehrwert. Es braucht nicht belehrende Parastrukturen, sondern möglichst gute Arbeit im bestehenden Konkreten. Dank dem dualen Bildungssystem erfolgt der soziale Aufstieg der Immigrierten nirgends so schnell wie in der Schweiz. Pflegen wir es also und stärken die Bildung im Kern, nicht mit Kosmetik.

Thomas Kessler, Consulter in Migration, Internationale Kooperation und Stadtentwicklung, Leiter Integration & Antidiskriminierung BS / Stadtentwicklung 1999-2017, Drogendelegierter BS 1991–98, Internationale Projekte 1982–90, Agronomie / Drogenforschung ab 1977. 

 

 

 

 

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Rassismus an Schulen ist nicht tolerierbar. Deshalb hat die Redaktion des Condorcet-Blogs auch sofort reagiert, als die beiden Expertinnen für Anti-Rassismus und Bildung (so sieht es der Blick), Rahel El-Maawi und Abou Shoak, im Sonntagsblick erklärten, dass Rassismus in unseren Schulbüchern omnipräsent sei. Sie bot den Autorinnen an, ihre Ergebnisse auf dem Condorcet-Blog zu begründen. Dies ist bis anhin noch nicht erfolgt. Eine Erklärung der Redaktion.

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Es waren happige Vorwürfe, die da im Sonntagsblick (15.11.20) geäussert wurden:

«Die Schulbücher sind in ihrem Kern rassistisch.» In den Büchern, so schreiben die Autorinnen Rahel El-Maawi und Abou Shoak in ihrer Analyse, werden rassistische Vorurteile und Hierarchisierungen zwischen Menschen weiter gelehrt und reproduziert.

So würden zum Beispiel nicht weisse Menschen mit rassistischen Begriffen bezeichnet oder als unterlegen dargestellt. Zudem werde die Kolonialzeit Europas verherrlicht und damit eine rassistische Weltsicht transportiert – etwa indem vermeintlichen Abenteurern gehuldigt werde, «ohne mit einem Wort auf die ausbeuterische koloniale Vergangenheit einzugehen».

Die Redaktion hat einer der Autorinnen eine Mail geschrieben mit folgender Anfrage:

Werte Frau El-Maawi
Ich habe im Blick einen Beitrag über Sie und Ihre Untersuchung über rassistische Lehrbücher an Schweizer Schulen gelesen. Mein Name ist Alain Pichard. Ich bin Mitbegründer eines kritischen Bildungsblogs, der dem Aufklärer und Philosophen Jean-Marie Condorcet und seiner Frau Sophie de Condorcet gewidmet ist.
www.condorcet.ch
Wir verstehen uns als Diskursblog und schalten gerne auch kontroverse Meinungen auf. Gerne würden wir einen Beitrag von Ihnen zu diesem Thema aufschalten. Könnten Sie uns auch die Broschüre zukommen lassen, die im Blick erwähnt wurde.

Nach einer zweiten Anfrage unsererseits antwortete Frau El-Maawi und wünschte sich mehr Eckdaten. Unter anderem fragte sie: Und auch Kontext drumrum. Steht der für sich oder schreiben Sie/Condocret auch etwas dazu? Beste Grüsse, Rahel El-Maawi

Wiederum antworteten wir, dass wir ein Diskursblog seien und uns daher sehr gut vorstellen können, dass es hier auch kritische Reaktionen geben werde. Seitdem herrscht Funkstille.

Wir haben uns deshalb entschlossen, den renomierten ehemaligen Integratiosfachmann Thomas Kessler aus Basel anzufragen, ob er für uns  die Vorwürfe einer genaueren Prüfung unterziehen könnte. Und auch unser Doyen des Geschichtsunterrichts, Hanspeter Amstutz, seines Zeichens Condorcet-Autor, lieferte uns seine Sicht der Dinge.

Wir möchten betonen, dass unser Angebot an die beiden Damen immer noch gilt. Denn wie eingangs erwähnt: Rassismus ist nicht tolerierbar und gehört bekämpft. Und wir sind ein Diskursblog.

Die Redaktion des Condorcet-Blogs

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