Bildungswesen - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Tue, 23 Apr 2024 07:05:14 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Bildungswesen - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Frühjahrsputz im Bildungswesen: Was muss weg? Was muss her? https://condorcet.ch/2024/04/fruehjahrsputz-im-bildungswesen-was-muss-weg-was-muss-her/ https://condorcet.ch/2024/04/fruehjahrsputz-im-bildungswesen-was-muss-weg-was-muss-her/#comments Tue, 23 Apr 2024 07:05:14 +0000 https://condorcet.ch/?p=16563

Viele neue Lernkonzepte entmutigen die Schüler und verringern ihre Kompetenzen. Daher wäre es richtig, ein paar bewährte Bildungsprinzipien zu rehabilitieren. Und zwar in Kombination mit modernsten Mitteln. Die Heilpädagogin und Dozentin Mirjam Stiehler nimmt sich im 5. Teil ihrer Kritik am deutschen Bildungssystem diesmal die Bildungsforscher und -planer vor. Vom Kindergarten bis zum Abitur hat ein ideologisch begründeter Wandel stattgefunden, der die Qualität von Erziehung und Unterricht gesenkt hat. Die Einstellungen der Bildungspolitiker und -forscher müssen sich ändern, damit unsere Kinder wieder etwas Handfestes lernen können.

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Neue Besen kehren gut. Aber die alten wissen, wo der Dreck sitzt! Das gilt in vielerlei Hinsicht für unsere Schulen. Bevor es nun heißt, die Stiehler will zurück zur Rohrstockpädagogik: Nichts läge mir ferner. Aber die neuen konzeptuellen Besen haben sich als fadenscheinige Waschlappen entpuppt, die Schüler entmutigen und Kompetenzen verringern statt aufzubauen.

Gastautorin Mirjam Stiehler, Heilpädagogin, Dozentin und Schulleiterin

Daher sollten wir ein paar bewährte Bildungsprinzipien rehabilitieren. Und zwar in Kombination mit modernsten Mitteln – für mich ist es kein Widerspruch, gezielte Diktate und zugleich die Messung der Lesegeschwindigkeit einzuführen; mehr Handschrift zu fordern und zugleich das elende Vokabelheft flächendeckend durch Apps abzulösen; Schüler gezielt nach Leistungsfähigkeit zu gruppieren, aber zugleich die Anwesenheitspflicht durch eine Lernpflicht zu ersetzen.

Es geht mir nicht um eine Methodensammlung, sondern ein grundlegendes Umdenken: Nicht nur “Was müssen wir tun?”, sondern auch “Wie müssen wir sein?” (Paul Moor). Das Leitprinzip darf nicht länger Unlustvermeidung sein, sondern Mut zur Tatkraft und zur Leistung. Solches Umdenken ist nicht für Geld zu haben. Es erfordert eine veränderte Einstellung von der Schwangerschaft bis zum Abitur, und zwar bei einer Mehrheit von Bildungspolitikern, Eltern, Ärzten und Pädagogen. Dieses Umdenken müsste sich in konkreten Änderungen zeigen:

Selbsterziehung der Eltern von Tag 1 an fördern

Viele frischgebackene Eltern können schlecht unterscheiden, ob ihr Kind aus Unlust, Trauer oder Angst schreit. Sie glauben, gute Eltern dürften ihren Kindern keine dieser Emotionen zumuten. Angst und Trauer sollten tatsächlich die Ausnahme sein – das Erleben und Aushalten von Unlust hingegen ist notwendig und erstrebenswert, denn Unlust gelassen auszuhalten ist Frustrations-Toleranz. Es ist so unvermeidbar wie harmlos, seinem Kind täglich vielfach Unlust zu bereiten, denn Kinder sind zunächst sehr lustgetriebene Wesen. Sie müssen erst lernen, einem größeren Ziel zuliebe auf Triebbefriedigungen zu warten oder zu verzichten.

Das Leitprinzip darf nicht länger Unlustvermeidung sein, sondern Mut zur Tatkraft und zur Leistung. Solches Umdenken ist nicht für Geld zu haben.

 

In diesem Sinne müssen Hebammen aufhören, die Mär vom Stillen und Schlafen nach Bedarf zu verbreiten. Wir müssen kindliche Antriebe mit Maß und Rhythmus befriedigen, damit Kinder Resilienz entwickeln. Eltern müssen Taktgeber sein, denn berechenbare Rhythmen geben seelischen Halt – und nur wer ausgeschlafen ist, kann sich kognitiv gut entwickeln.

Kinderärzte müssen aufhören, Bachblüten und Globuli zu verkaufen und Eltern davor warnen, beim Sturz aufs Knie dramatisch die Rescue-Creme zu zücken. Ein Pflaster und ein aufmunterndes Wort stärken. Wer immer gleich Tabletten einwirft, fokussiert auf sein Leid. Hospitäler sollten Schwangeren weder den Wunschkaiserschnitt noch die PDA pauschal andienen, denn auch elterliche Resilienz ist ein hohes Gut.

Ich spreche hier nicht von Notfällen, sondern ganz normalen Schwangerschaften. Die Vorbereitung auf eine natürliche Geburt hilft Eltern bei der Selbsterziehung, bei ihrem eigenen Umgang mit Unlust und Ängsten, bei der Abkehr von einer Full-Service-Mentalität. Und nur wer sich selbst erzieht, kann andere erziehen.

KiTas: Weniger Wohlstandsverwahrlosung, mehr Qualität

Im Kindergarten ist eine Abkehr vom Situationsansatz, von “romantischen Vorstellungen” und falsch verstandenem Konstruktivismus nötig (Verbeek). Konzepte, die den Erzieher zur Passivität verurteilen, führen zu einer “für das Kindeswohl gefährlichen Mischung zwischen Verwöhnung und Vernachlässigung” (ebd. 99). Wir brauchen nicht bloß mehr Personal, sondern klügeres, leistungsbereiteres und kenntnisreicheres. Prof. Veronika Verbeek bildet seit 30 Jahren Fachkräfte für KiTas aus und konstatiert, dass dem Gros der Fachkräfte die Anstrengungsbereitschaft und die kognitiven Kompetenzen fehlen, um in ihrem Fach schlussfolgernd zu denken oder wichtige Konzepte in die Anwendung zu übertragen (ebd. 160).

Werden Kinder nur halbtags betreut, können Familien Mängel in der Betreuungsqualität ausgleichen. Aber weder Eltern noch KiTas sollten sich einbilden, dass man neun Stunden Betreuung anbieten kann, ohne systematischer Elternersatz zu sein. Ganztägig betreute Kinder müssen vom Händewaschen bis zur deutschen Sprache fast alles in der KiTa lernen. Die meisten Eltern wollen ihr Kind in den verbleibenden drei Wachstunden “genießen”, statt die anstrengenden ungelösten Erziehungsaufgaben anzupacken oder mit ihm zu üben, wie man mit der Schere schneidet und Wörter reimt.

Wir brauchen nicht bloß mehr Personal, sondern klügeres, leistungsbereiteres und kenntnisreicheres.

 

Solange Kinder aber in der KiTa primär nach den Lustprinzip leben, sind sie am Abend besonders anstrengend, worauf viele Eltern wiederum mit Verwöhnung oder Ablenkung reagieren. Das verstärkt Egozentrik und narzisstische Überempfindlichkeit weiter, statt ein Gegengewicht zu schaffen. Wer zugunsten der Erziehungsarbeit beruflich nicht kürzer treten möchte, wäre oftmals mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder einem Haustier besser bedient.

Sprachdefizite verschlimmern die Lage zusätzlich. Wer mit Kindern einwandern will, sollte deshalb vorher seine Deutschkenntnisse unter Beweis stellen müssen, und wer bereits hier lebt und Kindergeld beziehen will, erst recht. Anstatt zu versuchen, alles irgendwie aufzufangen, müssen wir ausländischen Eltern klar machen, dass Schulbildung ohne sehr gute Deutschkenntnisse einfach nicht machbar ist. Ich wandere auch nicht nach Gouadeloupe aus, ohne vorher mit meiner Familie Französisch zu lernen – Sprachlern-Apps und Lehrbücher gibt es genug.

Dass ich einen gewissen Kenntnisstand und ein eigenes Einkommen nachweisen muss, ehe ich Ressourcen des Gastlands nutzen darf, wäre nur logisch. Alternativ gibt es teure, private internationale Schulen. Wenn ich mir die nicht leisten kann und die Sprache nicht auf eigene Faust lernen möchte, scheidet das Einwanderungsziel aus.

Grundschulen: Lesen, Schreiben, Rechnen aus dem Effeff

Die Grundschulen müssen sich auf die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen zurückbesinnen und hier nicht bloß rudimentäre Kenntnisse, sondern felsenfeste Routine erreichen. Zusätzliche Stunden lassen sich gewinnen, indem man Religionsunterricht durch eine Stunde verbindlichen Ethikunterricht ersetzt und das in seiner Effektivität sehr umstrittene Frühenglisch streicht. Den Werkunterricht hingegen sollte man m.E. nicht kürzen wie in Bayern, sondern ausbauen, da handwerkliche Tätigkeiten wichtig sind und schon jetzt zu wenig Zeit ist, um ausgiebig zu üben und anschließend ein Werkstück anzufertigen, auf das man stolz sein kann.

Anstatt zu versuchen, alles irgendwie aufzufangen, müssen wir ausländischen Eltern klar machen, dass Schulbildung ohne sehr gute Deutschkenntnisse einfach nicht machbar ist.

 

Besonders die schwächeren Schüler sollten derweil in homogenen, aber durchlässigen Klassen gefördert werden, nicht in leistungsgemischten Klassen. Eine große soziologische Studie zeigt, dass dies negative Herkunftseffekte stark verringert. Bei intelligenteren Schülern hingegen können gemischte Gruppen förderlich sein, zumindest schaden sie weniger. Wo der Zugang zu den weiterführenden Schulen anhand von Leistung und Intelligenz streng geregelt ist, lernen die Kinder auf allen weiterführenden Schularten besser.

Ein Pilotversuch in Franken zeigte ganz konkret, dass Kinder mit Legasthenie-Diagnose innerhalb von nur einem Halbjahr einen normalen Leistungsstand im Lesen und Schreiben erreichten, also “geheilt” waren, sobald sie für drei Stunden pro Tag die Fördergruppe einer gut ausgebildeten Lehrkraft besuchen durften. Eltern, Lehrer und Schüler waren begeistert. Dennoch verbot das Kultusministerium die Fortsetzung dieser Fördermaßnahme, da sie “segregativ” sei und nicht mit der Inklusions-Ideologie vereinbar. Sprich: Was zählt, ist die irrationale Selbstdarstellung der Bildungspolitik und nicht der Lernerfolg der Kinder.

Sachgemäß statt spielerisch rechnen und schreiben

Im Bereich Mathematik sollten Experten aus der Dyskalkulie-Forschung an Unterrichtskonzepten mitarbeiten. Im ersten Halbjahr müssen alle Erstklässler das kleine EinsPlusEins und EinsMinusEins (1+ 9  = 10, 2 + 8 = 10…) auswendig beherrschen, ohne dabei zu zählen. Das Dezimalsystem muss als Prinzip und daher bis zur 100 im zweiten Halbjahr erarbeitet werden. Materialien wie Muggelsteine, die zum Zählen verleiten, sollten keinen Platz im Unterricht haben.

Was zählt, ist die irrationale Selbstdarstellung der Bildungspolitik und nicht der Lernerfolg der Kinder.

 

Die Handschrift muss gestärkt werden: Grundschüler schrieben in den 1960er Jahren etwa sieben Mal so viel wie heute pro Woche. Man weiß inzwischen, dass solche Routine die Auslastung des Gehirns um den Faktor 50 bis 100 senkt und Prüfungsangst verringert. Kinder müssen daher wieder wesentlich mehr schreiben, und zwar als Fließtext, anstatt Lücken auf Arbeitsblättern auszufüllen.

Nachschriften und Diktate sind zur Übung sehr sinnvoll, wenn in ihnen die aktuell thematisierte Rechtschreibregel sehr häufig vorkommt, aber wenige andere Schwierigkeiten. Dabei sollte die Rechtschreibung auf Basis von Ortho- und Basisgraphemen vermittelt werden, anstelle des Silbenkonzepts und des unkorrigierten Schreibens nach Gehör. Schüler müssen ab der 2. Klasse systematisch lernen, ihre eigenen Fehler zu analysieren und deren Schwere einzuschätzen.

In normalem Sprechtempo lesen lernen

Im Lesen muss ein verbindliches Ziel für die Lesegeschwindigkeit pro Trimester eingeführt werden. Aktuell kann die Mehrheit der Schüler nach vier Jahren Unterricht noch nicht einmal in normaler Sprechgeschwindigkeit lesen. Dieses Tempo entspricht 150 Wörtern pro Minute (WPM). Fleißige Leser erreichen dies bereits in der 2. Klasse, zum Ende der 4. Klasse muss es das Ziel für alle normal intelligenten Kindern sein.

Dazu sind wesentlich mehr verpflichtende Lesezeiten und eine strengere Regelung des Medienkonsums zuhause notwendig. In Sprechgeschwindigkeit lesen zu können ist sowohl entscheidend für das genussvolle, noch schnellere stille Lesen als auch für die Informationsaufnahme in der weiterführenden Schule. Nur, wer schneller als Sprechgeschwindigkeit liest, kann in einer Stunde das lesen, was andere aus drei Stunden Videos entnehmen.

Gezielte Förderung statt Medikalisierung

Eltern, Lehrer und Psychiater müssen sich bei der Diagnose von Legasthenie und Dyskalkulie stärker zurückhalten. Diese Diagnosen sind oft nicht kriteriumsgemäß, perpetuieren Lernrückstände und verstärken, im Sinne J. Haidts, das Selbstbild als machtloses Opfer. Wie man im o.g. Projekt sieht, kann man erfolgreich die Zuständigkeit fürs Lesen, Schreiben und Rechnen aus der Psychiatrie zurück an die Schulen verlagern, wo sie hingehört. Schließlich besteht die Therapie dieser “Störungen” ausschließlich in einem ermutigenden, qualifizierten Unterricht mit hohem Übungsanteil.

Es ist besser, an der Mittelschule der Klassenbeste zu sein als sich mit Gewalt durchs Gymnasium zu quälen.

 

Mit diesen Veränderungen würden wir erreichen, dass alle Kinder auf Basis ihrer angeborenen Möglichkeiten ein gutes Leistungsniveau erreichen und die weiterführende Schule wählen können, die zu ihnen passt. Wenn man die richtige weiterführende Schule gewählt hat, sollte man dort mit etwas Fleiß gute Noten erlangen. Es ist besser, an der Mittelschule der Klassenbeste zu sein als sich mit Gewalt durchs Gymnasium zu quälen. Für die weiterführenden Schulen wünsche ich mir noch radikalere Veränderungen – zu lesen im nächsten und letzten Teil dieser Serie.

 

Literatur:

Esser, Hartmut und Seuring, Julian: Kognitive Homogenisierung, schulische Leistungen und soziale Bildungsungleichheit. In: Zeitschrift für Soziologie 49, 2020.

Gaidoschik, Michael: Rechenschwäche – Dyskalkulie: Eine unterrichtspraktische Einführung für LehrerInnen und Eltern (1. bis 4. Klasse)

Moor, Paul: Heilpädagogik. Ein pädagogisches Lehrbuch. Bern, 1965

Thomé, Günther: Deutsche Orthographie – Historisch, systematisch, didaktisch. Oldenburg 2023

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Eine Erosion des Bildungswesens https://condorcet.ch/2023/05/eine-erosion-des-bildungswesens/ https://condorcet.ch/2023/05/eine-erosion-des-bildungswesens/#comments Sat, 27 May 2023 12:44:32 +0000 https://condorcet.ch/?p=14106

Als vor bald 20 Jahren in der Schweiz das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft trat, gab die Bildungspolitik unter dem Stichwort “Inklusion” ein grosses Versprechen ab: Alle Kinder, egal, wie verschieden sie sind, sollen einen Platz in den Regelklassen finden - unabhängig von Lernschwierigkeiten, schulischer Begabung, psychischen Problemen oder Verhaltensstörungen. Die “Inklusion” ist eines der grossen Dogmen der Bildungsreformer. Aber was gut gemeint ist, stösst in der Praxis an Grenzen. Die Sonntagszeitung veröffentlichte vor kurzem einen Bericht eines anonymen Lehrers, der bald eine 9. Klasse aus der obligatorischen Schulzeit entlassen wird. Fazit: Kaum notiert von der Öffentlichkeit, stellen wir eine eigentliche Erosion der Bildungsqualität fest. Opfer sind wie immer die unterprivilegierten Kinder und die Einwanderergeneration. Der Autor ist der Redaktion der Sonntagszeitung bekannt.

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Eigentlich bin ich Mathematik-, Naturkunde- und Physiklehrer. Der desolate Lehrkräftemangel machte es aber nötig, dass ich während meines Einsatzes an dieser Schule abwechslungsweise als Troubleshooter auch noch Französisch, Englisch, Deutsch und Geschichte unterrichten muss. Das ist nicht weiter tragisch. Erstens besitze ich aufgrund meiner seminaristischen Ausbildung ein Generalpatent, das heisst, ich bin befugt, alle Fächer zu unterrichten, und zweitens ist es von Vorteil, dass diese schwierige Klasse nicht zu viele Lehrkräfte hat.

Zunächst einmal ein kleines Soziogramm: Von den 24 Schülerinnen und Schülern dieser 9. Klasse, die ich vor zwei Jahren übernommen habe, sind 13 Knaben und 11 Mädchen. Sage und schreibe 8 Schülerinnen und Schüler dieser Klasse können wenige Wochen vor dem Schulabschluss kaum richtig lesen und schreiben. Das ist ein Drittel.

Knapp ein Drittel der Eltern benötigt trotz langjährigem Aufenthalt in der Schweiz bei Elterngesprächen einen Dolmetscher.

Rund 20 von ihnen sprechen zu Hause nicht Deutsch, obwohl 18 der 24 Schülerinnen und Schüler in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind. Knapp ein Drittel der Eltern benötigt trotz langjährigem Aufenthalt in der Schweiz bei Elterngesprächen einen Dolmetscher. Ich unterrichte eine sogenannte integrierte Klasse. In der Stammklasse sind alle Schulkategorien versammelt: wir haben 11 Sekundarschülerinnen und -schüler, 7 Realschüler (allesamt Knaben) und 6 Schülerinnen, die einen Realstatus haben, aber kaum auf Realniveau unterrichtet werden können. Sie sind überfordert.

Gravierend sind die ständigen Disziplinlosigkeiten. In meiner Klasse konnte ich sie durch meine langjährige Unterrichtserfahrung unter Kontrolle behalten, aber sie geben zu tun. In den anderen Klassen haben die Frechheiten, die Pöbeleien und Beleidigungen gegenüber dem Lehrkörper massiv zugenommen. «Bitch», “Fick dini Fotze” und die ostentative Weigerung, Anweisungen von Lehrkräften zu befolgen, geschehen wöchentlich. Die Hälfte der Knaben-WC’s an unserer Schule musste wegen Vandalismus geschlossen werden.

Ausserschulische Anlässe sind zwar gern gesehen, werden aber immer wieder durch lustloses, undiszipliniertes Auftreten gestört. Dazu ein Beispiel: Bei einer Velotour kam es zu drei Unfällen und in der Badi gingen von 20 Schülerinnen und Schülern nur 6 ins Wasser.

Verzweifelte Eltern verteidigen ihre Kinder

Viele Lehrpersonen sind am Ende ihrer Kräfte und versuchen dennoch, den Karren zu ziehen. Die Schulleitung spricht Schulverweise aus, was einen enormen administrativen und zeitlichen Aufwand bedeutet. Bis zu einer Woche liegt in ihrer Kompetenz. Verzweifelte Eltern, die mit ihrem Nachwuchs selbst nicht mehr zu Rande kommen, verteidigen ihre Kinder, verbünden sich mit ihnen gegen die Lehrkraft, in der Hoffnung damit etwas Goodwill in den eigenen vier Wänden “einzukaufen”, nach dem Motto: “Schau, wie ich mich für dich einsetze, und jetzt sei du doch etwas lieber mit mir.”

Viele Familien, deren Kinder in der Schule Schwierigkeiten verursachen, befinden sich in einem sozialen Sondersetting, haben z. B. eine Familienbegleiterin. Nach einem Unterrichtsrauswurf lief ein Achtklässler zu seiner Familienbegleiterin ins Büro und erzählte ihr seine Version der Dinge. Die junge Sozialarbeiterin nahm den Hörer und telefonierte der Schulleiterin, nicht etwa, um den genauen Sachverhalt zu eruieren, sondern um der Schulleiterin empört mitzuteilen: “Man hat K. angeschrien.”

15 bis 20 Prozent kommen einer Verdreifachung der problematischen Fälle gleich

Die Schulen haben hier schon manche Sturmphase überstanden und immer wieder gelang es den Lehrkräften einen einigermaßen geregelten Unterricht zu garantieren. Bis vor kurzem legten etwa 5 Prozent der Schülerinnen und Schüler die soeben geschilderten Verhaltensweisen an den Tag und zeigten sich in irgendeiner Weise lernresistent. Mit 95% der jungen Menschen konnte man jeweils arbeiten. Inzwischen ist dieser Anteil an den Schulen in meiner Gemeinde teilweise auf bis zu 20 Prozent gestiegen. Das bedeutet zwar immer noch, dass 80 bis 85 Prozent der Schülerinnen und Schüler gut arbeiten und sich anständig benehmen. Aber 15 bis 20 Prozent kommen einer Verdreifachung der problematischen Fälle gleich. Das heisst dreimal so viele Elterngespräche, dreimal so viele Anmeldungen bei den dafür vorgesehenen Institutionen, eine Verdreifachung der Wartezeiten.

Als Lehrkraft habe ich alle Hände voll zu tun, die Disziplin aufrecht zu erhalten.

Ein Problem ist auch der grosse Absentismus. Absenzen bis zu 60 Lektionen und mehr pro Jahr sind nicht mehr die Ausnahme sondern bilden die Mehrheit. Als Lehrkraft habe ich alle Hände voll zu tun, die Disziplin aufrecht zu erhalten. Das erreiche ich, indem ich eine  strenge Linie fahre, durch ständigen Kontakt mit den Eltern, der Entfernung aus dem Unterricht bei Unterrichtsstörungen und Verfrachtung in Sondersettings.

Ich habe schon sehr viele Neuntklässler in das Berufsleben entlassen und stelle fest: Das Lernverhalten in meiner jetzigen Klasse, in der ich seit etwa zwei Jahren unterrichte, ist bei einem Drittel der Schülerinnen und Schüler immer noch völlig unterentwickelt, das Können liegt weit unter einem Niveau, das ich als normal taxieren kann. Gerade im Fach Mathematik beherrscht die Realgruppe grundlegende Kompetenzen beim Bruchrechnen, bei den proportionalen Zuordnungen oder gar in der Algebra nicht. Einfache Volumen- und Quaderberechnungen gehen. Ist allerdings das Volumen gegeben und die Höhe gefragt, ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Berechnungen mit der Dichte? Keine Chance! Geschwindigkeitsberechnungen? Nie durchgenommen.

Oberstes Prinzip: Kein Chaos, die Schülerinnen und Schüler müssen lernen können.

Es ist in der Stammklasse unmöglich einigermassen komplexe geschichtliche Zusammenhänge spontan zu diskutieren. Für einen Drittel braucht es immer Spezialaufgaben, die aber kaum selbständig, sprich ohne Aufsicht  gelöst werden. Dozieren geht, konkrete Fragen, die einfache Antworten verlangen, gehen. Einzel- und Gruppenarbeiten funktionieren bei der Hälfte dieser Schülerinnen und Schüler kaum. Der Unterricht macht daher auch mir selbst sowie den Schülerinnen und Schülern wenig Spass. Ich musste die Sitzordnung dahingehend ändern, dass ich keine Lerninseln mehr zulasse. Hufeisen und Einzelpulte stärken einen lehrerzentrierten Unterricht. Oberstes Prinzip: Kein Chaos, die Schülerinnen und Schüler müssen lernen können.

Am Freitag ist in den 9. Klassen jeweils Projekttag. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in dieser Zeit an eigenen selbstgewählten Projekten. Wir müssten bereits einen Viertel der Schülerschaft vom Projekt ausschliessen und anderweitig beschäftigen. Grund: Sie können es einfach nicht! Die traditionelle Ausstellung der Arbeiten mit Präsentationen müssen wir ausfallen lassen. Erstens ist die Qualität zu schlecht und zweitens kommt die Mehrheit unserer Eltern nicht an solche Schulanlässe.

Ein Dank gilt hier den vielen Betrieben, die es trotz ungenügender Voraussetzungen versuchen wollen.

Die Erosion der Unterrichtsqualität ist nach Corona, dem ständigen Zustrom neuer Schüler sowie wegen den vielen Problemfällen und dem gravierenden Lehrkräftemangel nicht mehr zu kaschieren. So wird nichts mit dem jungen Nachwuchs, der den so dringend benötigten Fachkräftemangel beheben soll.

Mit einem riesigen Einsatz gelang es meinem Team und mir, dass wenige Wochen vor dem Schulabschluss anfangs Juli 18 Schülerinnen und Schüler  einen Lehrvertrag in der Tasche haben. Ein Dank gilt hier den vielen Betrieben, die es trotz ungenügender Voraussetzungen versuchen wollen. Drei Mädchen besuchen eine weiterführende Schule. Bei drei Jugendlichen konnte bislang keine Lösung für eine Integration in den Arbeitsmarkt gefunden werden – sie sind aufgrund ihres Könnens und ihres Verhaltens schlicht nicht vermittelbar.

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Das befreite Klassenzimmer: Was es braucht, damit der Lehrerberuf wieder attraktiver wird https://condorcet.ch/2022/09/das-befreite-klassenzimmer-was-es-braucht-damit-der-lehrerberuf-wieder-attraktiver-wird/ https://condorcet.ch/2022/09/das-befreite-klassenzimmer-was-es-braucht-damit-der-lehrerberuf-wieder-attraktiver-wird/#respond Wed, 07 Sep 2022 09:15:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=11437

Die Debatte um den Lehrermangel hat einige Schwachstellen im heutigen Bildungswesen offengelegt. Nun gilt es, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Dafür muss ein Tabu fallen, findet der NZZ-Journalist Daniel Fritzsche. Das ist bemerkenswert, hat doch diese Zeitung in der Vergangenheit viele Reformen, welche die Lehrkräfte heute belasten, unterstützt.

Dieser Beitrag ist zuerst in der NZZ erschienen: https://www.nzz.ch/meinung/lehrer-in-der-schweiz-wie-der-beruf-wieder-attraktiver-wird-ld.1700669

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Daniel Fritzsche, Journalist NZZ: Die Ansprüche sind in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen.

Es ist eine Frage, die früher auf dem Pausenplatz einfach zu beantworten war: «Was arbeitet deine Mutter, was dein Vater?» Die Leute hatten selbsterklärende Berufe: ein Schreiner schreinert, eine Schneiderin schneidert. Heute, in einer Zeit, in der Eltern als «Brand Evangelists» und «Chief Happiness Officers» tätig sind, ist alles viel komplizierter.

Ein Beruf, der heute wie gestern eigentlich einfach zu beschreiben sein sollte, ist jener des Lehrers. Ein Lehrer lehrt. Punkt. Doch so einfach ist es leider auch in diesem ehrenwerten Berufsstand nicht mehr.

Dass eine Lehrerin einmal alleine vor ihrer Klasse steht, kommt kaum mehr vor.

Leute, die an den öffentlichen Schulen wirken, sind spezialisiert, arbeiten als IF- oder DaZ-Fachpersonen, als Klassen- oder Schulassistenzen, in der Logopädie oder Psychomotorik. Für den Unterricht und alles darum herum ist ein ganzer Stab an Unterstützungspersonen verantwortlich. Dass eine Lehrerin einmal alleine vor ihrer Klasse steht, kommt kaum mehr vor. Im Schulzimmer wimmelt es von Personal, das sich den ganzen Tag lang um die «SuS» – das steht für Schülerinnen und Schüler – zu kümmern hat. Möglichst integrierend, möglichst individualisiert.

Vor lauter Vernetzung bleibt weniger Zeit für das eigentlich Wesentliche, die Arbeit mit den Kindern.

Wegen der vielen Leute braucht es viele Absprachen und noch mehr unnötige Sitzungen. In der Stadt Zürich etwa tagt regelmässig die Schulkonferenz, in der Fragen, die das ganze Schulhaus betreffen, behandelt werden. Dazu kommen Stufen- und Jahrgangskonferenzen, die ebenfalls periodisch stattfinden. Nicht zu vergessen die Besprechungen von Unterrichts- und Standortteams sowie einer Steuergruppe, die eine beratende Funktion der Schulleitungen einnimmt. In sogenannten K-Teams, was für «Kooperationsteams» steht, geht es um die Koordination zwischen Schule und Mittagshort – eine Aufgabe, die mit der flächendeckenden Einführung von Tagesschulen noch an Umfang zunehmen wird. Vor lauter Vernetzung bleibt weniger Zeit für das eigentlich Wesentliche, die Arbeit mit den Kindern.

Die Schule als Gleichmacherin

Wegen der vielen Leute braucht es viele Absprachen und noch mehr unnötige Sitzungen.

Um reine Wissensvermittlung geht es im Lehrerberuf ohnehin längst nicht mehr. Die Ansprüche sind in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Dies aus einem an sich hehren Grund: der vielbeschworenen Chancengerechtigkeit. Die Schule soll Rückstände, die Kinder aus unterschiedlichen Umfeldern mitbringen, aufholen – nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch im Sozialen. Einen entsprechend hohen Stellenwert nimmt für Lehrerinnen und Lehrer heute die Arbeit mit und an den Eltern ein; eine weitere Zusatzbelastung.

Man will sich nicht eingestehen, dass viele der Bildungsreformen der jüngsten Vergangenheit gescheitert sind und einer Überholung bedürfen.

Nach der obligatorischen Schulzeit sollen alle Schülerinnen und Schüler die mehr oder weniger identischen Startchancen für ein erfolgreiches Leben erhalten haben. Die Schule als grosse Gleichmacherin. Lehrpersonen müssen dabei oft ausbügeln, was Eltern verschlafen haben oder noch so gerne delegieren. Das ist anstrengend, oft undankbar und damit ein wesentlicher Grund für den grassierenden Lehrermangel. Nur wird er von den politischen Verantwortlichen und Bildungstheoretikern kleingeredet.

Man will sich nicht eingestehen, dass viele der Bildungsreformen der jüngsten Vergangenheit gescheitert sind und einer Überholung bedürfen. Viel lieber rufen Lehrerverbände und Gewerkschaften nach immer mehr «Ressourcen», also nach noch mehr Lehrpersonal – dem Zauberwort in einem Bildungssystem, in dem es nicht an kostspieligen Ressourcen mangelt, sondern an Fokus.

Was es braucht, sind keine höheren Löhne, wie das zuweilen auch gefordert wird. Viel wichtiger sind bessere Arbeitsbedingungen, vor allem weniger Bürokratie, weniger Sitzungen und Absprachen, weniger geteilte Verantwortung, dafür mehr Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit für jede einzelne Lehrerin und jeden einzelnen Lehrer, letztlich ein von Ideologie möglichst befreites Klassenzimmer.

Die erste Seite der Salamanca-Erklärung, 1994.

Es ist immer schwierig, den Beginn einer Fehlentwicklung präzise zu datieren. Solche Prozesse dauern lange und sind fliessend. Dennoch hat der 10. Juni 1994 ohne Zweifel eine grosse Bedeutung. An diesem Tag wurde im spanischen Salamanca eine Unesco-Erklärung unterzeichnet. An einer Konferenz mit 300 Teilnehmern, die 92 Regierungen und 25 internationale Organisationen repräsentierten, stand das Ziel «Bildung für alle» im Zentrum.

Die sogenannte Salamanca-Erklärung hält seither fest, dass jedes Kind einmalige Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und Lernbedürfnisse habe. Und dass Regelschulen «mit integrativer Orientierung» das beste Mittel seien, «um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen, den individuellen Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden und eine integrierende Gesellschaft aufzubauen».

Die Schweiz, vorbildlich in der Umsetzung wie meist, ging voran und erklärte die integrative Förderung einige Jahre später in vielen kantonalen Volksschulgesetzen zum Goldstandard, so etwa im grossen Kanton Zürich. Seither gilt die Regel, dass grundsätzlich alle Kinder in einer normalen Schulklasse Platz finden sollen. Auch «schwierige» Fälle, die den Unterricht permanent stören.

Es gibt Situationen, in denen eine Integration schlicht keinen Sinn hat.

«Weichere» Schulfächer wie Musik oder Zeichnen können auch in Zukunft integrativ geführt werden.

So löblich die Absicht, so untauglich die Alltagspraxis. Das integrative Prinzip hat vielerorts zu Unruhe, Überforderung und der geschilderten Personalschwemme geführt. In einer Umfrage unter 10 000 Lehrerinnen und Lehrern gab mehr als die Hälfte an, dass sie die integrative Schulung als Zusatzbelastung wahrnehme. Entsprechend gross sollte der Handlungsbedarf sein. Das Mittel kann nicht sein, Gehörschutze im Klassenzimmer zu verteilen, wie das in mittlerweile vielen Schulen getan wird, weil sich die Kinder nicht mehr konzentrieren können.

Vielmehr sollte das System grundsätzlich überdacht werden. Es gibt Situationen, in denen eine Integration schlicht keinen Sinn hat. Dann etwa, wenn eine Schülerin mit dem Pflichtstoff masslos überfordert ist oder wenn ein Schüler den Unterricht dermassen stört, dass seine Klassenkameraden abgelenkt und die Lehrpersonen total absorbiert sind. Dann sind Sonderschulen, Förder- und Kleinklassen die besseren Mittel als hartnäckige Versuche, Kinder in eine Regelklasse zu pressen.

Auch für die betroffenen Schüler kann dies Vorteile haben: Auf ihre Bedürfnisse kann besser eingegangen werden, sie haben Lernerfolge und müssen sich nicht stets mit den fortgeschritteneren Klassenkameraden vergleichen.

Widerstand in den Kantonen

Es ist ein zaghaftes, aber dennoch hoffnungsfrohes Zeichen der Einsicht, was Silvia Steiner als Zürcher Bildungsdirektorin und Präsidentin der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren kürzlich in einem NZZ-Interview sagte: Bei der Sonderpädagogik sehe sie «Möglichkeiten, wie man die Lehrer entlasten könnte». Wenn es um Kinder gehe, die ernsthafte Probleme hätten, die verhaltensauffällig seien und eine Schulklasse durcheinanderbrächten, brauche es für die Schulen bessere Instrumente, um die Lage zu beruhigen.

Sonderschulen könnten beispielsweise vermehrt in reguläre Schulhäuser aufgenommen werden.

Steiner spricht von «Lerninseln», auf die gewisse Kinder vorübergehend geschickt werden können. Das geht zu wenig weit und kann höchstens ein erster Schritt sein. An einigen Schulen wird es bereits so gehandhabt. Die Gefahr ist gross, dass die Bürokratie so nur noch weiter wächst und es zusätzliches Personal braucht.

Vorstellbar wären andere Mischformen, um das an und für sich löbliche Ziel der Integration doch noch – zumindest teilweise – zu erreichen: Sonderschulen könnten beispielsweise vermehrt in reguläre Schulhäuser aufgenommen werden. Begegnungen fänden so immerhin auf dem Pausenplatz statt. «Weichere» Schulfächer wie Musik oder Zeichnen können auch in Zukunft integrativ geführt werden.

«Die Lehrer dürfen nicht ausbrennen. Diese Gefahr besteht leider.»

Conradin Cramer, Basler Bildungsdirektor

Bewegung ist erfreulicherweise in einigen Kantonen zu beobachten. Sowohl im urbanen Genf als auch im ländlichen Nidwalden wird das bisherige Modell hinterfragt. In Basel-Stadt hat ein Komitee eine Initiative lanciert, die die Einführung von Förderklassen vorsieht. Der Basler Bildungsdirektor Conradin Cramer scheint bereit, gewisse Änderungen anzugehen: Die integrative Schule müsse eine «bessere Wirkung erzielen», sagte er unlängst. «Die Lehrer dürfen nicht ausbrennen. Diese Gefahr besteht leider.» In einer Umfrage befürworteten fast drei Viertel der teilnehmenden Lehrer die Wiedereinführung von Kleinklassen.

Die Aussagen und Beispiele zeigen, dass die Zeit für eine Reform der Reformen im Bildungsbereich reif ist. Die Debatte um den Lehrermangel in den Sommerferien legte manche Mängel des heutigen Systems korrekt offen. Nun gilt es, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Die Individualisierung ist eine Errungenschaft, die aber nicht mit immer höheren Ansprüchen überfrachtet werden darf.

Natürlich wünscht sich niemand eine Rückkehr zur autoritären Lehrer-Lämpel-Schule, in der Frontalunterricht sowie Zucht und Ordnung vorherrschten. Die Individualisierung ist eine Errungenschaft, die aber nicht mit immer höheren Ansprüchen überfrachtet werden darf. Von pädagogischen Konzepten, die dem Gros der Schüler und Lehrer mehr schaden als nützen, gilt es sich zu verabschieden.

Was es im Schulbetrieb braucht, ist eine Entschlackung und Konzentration auf den Kern des Unterrichtens. Dieser kann kinderleicht zusammengefasst werden: Ein Lehrer lehrt.

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