Elternperspektive - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 12 Apr 2024 20:33:48 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Elternperspektive - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Schulrevolution? So ein Blödsinn! https://condorcet.ch/2024/04/schulrevolution-so-ein-bloedsinn/ https://condorcet.ch/2024/04/schulrevolution-so-ein-bloedsinn/#comments Fri, 12 Apr 2024 20:33:48 +0000 https://condorcet.ch/?p=16479

Mit diesem Schreiben rät ein Vater schulpflichtiger Kinder dazu, die geplante Schulrevolution abzusagen. Seine Beobachtungen stimmen nachdenklich.

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Als bildungsinteressierter Vater schulpflichtiger Kinder komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, wenn ich an die Interviews und Berichte von der Schulrevoluzzer-Front denke, die seit Wochen die Zeitungen füllen. Abschaffung von Noten und Leistungsniveaus in der Sek als Heilmittel für die Volksschule? Noch weiter daneben kann man ja gar nicht liegen.

Was sind stattdessen die tatsächlichen Herausforderungen der Volksschule?

  1. chaotische Zustände in den Klassenzimmern, u.a. als Folge der als alternativlos verkauften physischen Integration nicht beschulbarer Kinder und Jugendlicher, aber auch als Konsequenz «moderner» Unterrichtskonzepte, z.B. Kinder mit iPads oder irgendwelchen Aufträgen auf dem ganzen Schulareal verteilen, ohne Kontrolle, ohne Überblick, ohne Ergebnissicherung (Leerlauf, der am Elternabend als «Selbständigkeit» verkauft wird)
  2. als Folge davon Abdelegieren des Vermittelns von Unterrichtsinhalten an uns Eltern, die sich fragen, wofür sie eigentlich Steuern bezahlen, wenn sie den Bildungsauftrag privat in ihrer Freizeit übernehmen müssen
  3. bei Punkt 2. meine ich explizit auch Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben – diese werden zunehmend im Unterricht nicht mehr richtig geübt, vermittelt, gesichert; gerade in Sachen Rechtschreibung muss zuhause schauen, wer will, dass seine Kinder diese lernen – wie können eigentlich ausgebildete Lehrpersonen die Rechtschreibung als vernachlässigbar taxieren, wo sie erwiesenermassen einen massiven Einfluss auch auf das Verstehen von Texten hat?
  4. die von den Schulrevoluzzern angeprangerten «bösen» Noten sind vor allem dann ein Problem, wenn sie keine Aussagekraft besitzen (z.B. jahrelang 6er im Frühfranzösisch, obwohl das Kind überhaupt gar kein Französisch lernt) oder wenn offensichtlich wird, dass die Lehrperson keine Ahnung hat, wie man eine sinnvolle, altersgerechte Prüfung schreibt, korrigiert und bewertet (der Fachkräftemangel lässt grüssen)
  5. der vollgestopfte Lehrplan 21 hat dazu geführt, dass niemand eine Ahnung hat, was behandelt wird, jeder macht, was er will oder kann oder auch nicht – hatte man nicht Harmonisierung damit versprochen? So kannst du also mehrere Kinder an der gleichen Primarschule haben, die in NMG vollkommen unterschiedliche Themen behandeln – und als Folge davon wissen an der Sek die Lehrer nicht, worauf sie aufbauen könnten – aber das gilt offenbar auch als modern, Slogan: «Abholen, wo sie stehen», nur schade, wenn die Kinder im Regen stehen

Darum: Schulrevolution absagen! Stattdessen dafür sorgen, dass die Schule ihren Bildungsauftrag wieder erfüllen kann – und sicherstellen, dass sie das auch tatsächlich tut!

(Der Name des Verfassers ist der Redaktion bekannt.)

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“Man geht durch die Hölle, wenn das eigene Kind gemobbt wird.” https://condorcet.ch/2023/03/man-geht-durch-die-hoelle-wenn-das-eigene-kind-gemobbt-wird/ https://condorcet.ch/2023/03/man-geht-durch-die-hoelle-wenn-das-eigene-kind-gemobbt-wird/#comments Wed, 08 Mar 2023 12:37:16 +0000 https://condorcet.ch/?p=13373

Wie ist es, wenn das eigene Kind gemobbt wird? Ein Zürcher Vater sagt: «Man geht durch die Hölle.» Der Condorcet-Blog veröffentlicht einen erschütternden Bericht, den der NZZ-Journalist Giorgio Scherrer geschrieben hat. Der Artikel erschien zuerst in der NZZ.

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Hätte er es bei den blauen Flecken merken sollen? Oder als sein Sohn – eigentlich lernfreudig, ein guter Schüler – plötzlich keine Freude mehr am Unterricht hatte?

Hätte er Verdacht schöpfen sollen, als er die Schulband verliess? Oder als der Sohn seine Mutter fragte: «Mama, bin ich ein hässlicher Bub?»

Peter Widmer, der eigentlich anders heisst, hat erlebt, was kein Vater sich wünscht: Sein Kind wurde von anderen Kindern gequält. Es begann, als Tim – ebenfalls ein Pseudonym – elf Jahre alt war und Schüler in einer Stadtzürcher Schule.

Und dann, so erzählt es der Vater, hörte es einfach nicht mehr auf.

Meist beginnt Mobbing subtil. Es ist ein Ausprobieren, ein Austesten von physischer und psychischer Gewalt. Es ist gleichzeitig verborgen und allgegenwärtig.

Wenn er davon erzählt, flucht Herr Widmer. «Gottfriedhueber!», ruft er dann. «In der Schule sollte mein Kind doch sicher sein!» Dann wird Widmer – graue Haare, elegantes Hemd, ausgelatschte Sneakers – wieder ganz ruhig, will sich ein Glas Wasser einschenken, verschüttet dabei die Hälfte, entschuldigt sich. Und sagt: «Als Vater macht dich das kaputt. Wir sind einfach nur noch müde.»

“In der Schule sollte mein Kind doch sicher sein!”

Die Geschichte von Herrn Widmer und seinem Sohn ist die eines gewaltsamen Mobbingfalls, wie ihn in der Schweiz laut der Pisa-Studie rund jedes zehnte Kind im Verlauf seiner Schulzeit erlebt – ein Rekord in Europa. Sie ist aber auch eine Geschichte über Ohnmacht.

Die Ohnmacht eines Vaters, der seinem Sohn nicht helfen kann und der, wohin er sich auch hilfesuchend wendet, immer nur Ohnmacht findet.

Der Anfang

Es beginnt kurz nach einem Lehrerwechsel in Tims Klasse. Langsam, kaum merklich, wird danach Tim ein anderer Junge. Ein Jahr lang sehen seine Eltern die Zeichen, aber können sie nicht deuten.

Jede Woche schneidet Tims Mutter ihm die Zehennägel. Dabei bemerkt sie immer wieder blaue Flecken auf seinen Schienbeinen. Sie fragt ihn, woher die Flecken kommen. Und er sagt: «Ach, nur vom Turnen, das ist nichts.»

Tim ist ein sportlicher Junge – da gehören ein paar blaue Flecken wohl dazu, denken sich Herr Widmer und seine Frau.

Die Früherkennung von Mobbing bleibt schwierig.

«Einmal fragte er uns auch, ob er eigentlich ein hässliches Kind sei», erzählt Herr Widmer. «Da fanden wir beide: ‹He hallo, wie kommst du darauf?› Und er meinte: ‹Die anderen sagen das.›»

Seine Eltern sagten ihm: «Du musst dir eine dicke Haut zutun. Fokussier dich auf den Unterricht, ignorier die anderen.» Herr Widmer sagt: «Wir haben zu spät gemerkt, dass das nichts brachte. Die anderen haben ihn eben nicht ignoriert.»

“Tim hat gut versteckt, was wirklich los war.”

Im Nachhinein machen Tims Eltern sich Vorwürfe. Nie wirkt Herr Widmer im Gespräch so traurig, wie wenn er vor seiner frühen Ahnungslosigkeit spricht. «Tim hat gut versteckt, was wirklich los war», sagt er. «Erst als es eskalierte, brach alles aus ihm heraus.»

Der Fall von Tim ist darin typisch. Denn Mobbing in Schulen ist gleichzeitig verborgen und allgegenwärtig. Seit Jahrzehnten werden Lehrer, Sozialarbeiterinnen, Psychologen und Polizistinnen darauf angesetzt. Und doch bleibt die Früherkennung schwierig.

Meist beginnt Mobbing subtil. Es ist ein Ausprobieren, ein Austesten von physischer und psychischer Gewalt. Wie weit kann ich gehen, ohne bestraft zu werden? Wie bringe ich andere dazu, mitzumachen? Wie ist es, von einem anderen Menschen gefürchtet zu werden?

Oft sind Mobbing-Täter dabei in anderen Konstellationen selbst die Opfer. Leiden zu Hause zum Beispiel unter einem patriarchalen Erziehungsstil oder stehen unter hohem Leistungsdruck.

Besonders anfällig für Mobbingfälle sind jene Momente, in denen sich die Dynamik einer Schulklasse ändert – bei einem Übertritt etwa oder einem Lehrerwechsel. So erklärte es die Sozialwissenschafterin Melanie Wegel von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften kürzlich im Gespräch mit der NZZ. Wenn sich dann neue Gruppen bilden, kann Gewalt oder Herabwürdigung zum Mittel werden, um sich voneinander abzugrenzen und untereinander zu beweisen.

Je später das bemerkt wird, desto schwieriger ist es, die Dynamik einer Schulklasse wieder zu ändern. Kommt ein Mobbing-Fall erst bei einer Eskalation aufs Radar von Eltern und Schule, ist das oft zu spät.

Die Eskalation

Ein Jahr nach den ersten Warnzeichen wird Tim auf dem Pausenplatz zusammengeschlagen. Er hat beim Fussball ein Tor reingelassen, daraufhin stossen ihn zwei Klassenkameraden zu Boden und treten ihn.

Als er das seinem Vater erzählt, sagt Herr Widmer zu ihm: «Wenn sie dich noch einmal plagen und dich niemand schützt, läufst du einfach davon und kommst nach Hause.» Und das tut Tim dann auch.

Zwei Wochen später ist das, an einem Montag. «Ich komme da immer etwas früher heim, um zu kochen», sagt Herr Widmer. «Und dann war plötzlich mein Sohn schon da, obwohl die Schule noch nicht aus war. Ich fragte ihn: ‹Was machst du hier?› Und er sagte: ‹Ja, nein, nichts . . .›»

Er weiss nie, wann der nächste Schlag kommt oder die nächste Beleidigung.

Aber Tim ist ein sensibler Junge. Man sieht ihm an, wenn es ihm nicht gut geht. Und als sein Vater nachhakt, kommt alles aus ihm heraus – die ganze Geschichte.

Wie ihn drei Buben aus seiner Klasse seit einem Jahr ans Schienbein kicken, wann immer sich ihnen eine Gelegenheit bietet. Wie er irgendwo in der Schule sitzt – bei einer Gruppenarbeit, in der Pause – und dann wie aus dem Nichts, zack, eine Handkante in seinem Nacken landet. Wie er seine Brille in der Schule nicht trägt, weil er dafür ausgelacht wird. Wie ihn eine Fünfergruppe seit einem Jahr einen hässlichen Menschen nennt, einen Streber, Loser, Wichser.

Wie er nie weiss, wann der nächste Schlag kommt oder die nächste Beleidigung.

Mobbing ist ein Machtspiel.

So wie an diesem Tag, als er es nicht mehr aushält und nach Hause kommt. Es ist ein vergleichsweise kleiner Vorfall, der das Fass zum Überlaufen bringt: ein Kick ans Schienbein. Und ein Satz: «Tim, du bist ein Opfer. Du hast keine Freunde.»

«Er war ein Häufchen Elend, als er mir das erzählte», sagt Herr Widmer. «Er meinte: ‹Ich will nicht mehr in die Schule. Ich will so nicht mehr leben.›»

Wer Mobbing-Opfer wird, folgt keiner klaren Regel. Wen es trifft, ist oft willkürlich. Vielleicht gibt sich jemand im falschen Moment eine Blösse, fällt durch ein äusseres Merkmal auf oder tanzt sonst wie aus der Reihe. Lernt zu gern oder zu ungern, ist zu laut oder zu leise.

“Ich will nicht mehr in die Schule. Ich will so nicht mehr leben.”

Doch um all das geht es beim Mobbing nur vordergründig. Eigentlich geht es nicht um das Opfer und auch nicht in erster Linie um Gewalt. Mobbing ist ein Machtspiel. Das Ziel eines Mobbers ist es, den eigenen Status durch die Herabwürdigung von anderen zu erhöhen, zum Chef im Klassenverbund zu werden. Insofern ist Mobbing auch ein Angriff auf die Lehrperson, die diese Rolle eigentlich innehaben sollte.

Mobbing wird in der Schule so zum Problem eines ganzen Klassenverbunds – mit Opfern, Tätern, Mitläufern und denen, die wegschauen. Deshalb ist laut Schulvertretern und den Mobbing-Spezialisten der Zürcher Kantonspolizei (Kapo) die Entfernung eines Kindes auch selten eine nachhaltige Lösung. Auch ein allzu harsches Eingreifen der Eltern kann demnach den Konflikt anheizen.

Wenn alle Erwachsenen gemeinsam eine klare Grenze ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass ein Kind sein Verhalten ändert.

Das eigene Kind in die Schule begleiten, dessen Mobber konfrontieren, den Streit zu ihren Eltern tragen: Von all dem raten Polizei und Schulen ab, weil es zu einer weiteren Eskalation und einer Verfestigung der Täter- und Opferrolle führen könne.

Auch eine Strafanzeige sei kein Allheilmittel, erklärte der Leiter der Kapo-Jugendintervention kürzlich im Gespräch mit der NZZ: «Es gibt Eltern, die alle Hoffnungen in uns setzen – aber denen wir am Ende mit den Mitteln des Strafrechts nicht helfen können.»

Mobbing bedeutet für die betroffenen Eltern deshalb auch, die eigene Hilflosigkeit ertragen zu müssen.

Die Ohnmacht

Nach dem Vorfall in der Turnhalle geht Tim eine Woche lang nicht mehr zur Schule, lässt sich unter keinen Umständen dazu bewegen. Irgendwann geht er zurück, hat aber grosse Angst. Sein Vater bringt ihn einen Teil des Weges, das letzte Stück will Tim aber alleine gehen.

In der Schule soll ein Mensa-Mitarbeiter über Mittag ein Auge auf ihn haben. Das funktioniert laut Tims Vater eine Zeitlang ganz gut. Es gibt auch vier Halbtage mit Gewaltprävention für die ganze Klasse und einen Elternbrief, in dem von Ärgern, Schubsen und Schlägen unter den Kindern die Rede ist. Es bleibt für eine Weile ruhig.

“Die Schule muss mein Kind doch schützen, die Mobber bestrafen.”

Und dann, kurz vor den Frühlingsferien, beginnt das Mobbing wieder. Wie wenn nichts geschehen wäre. Tim sagt zu seinen Eltern: «Sie fangen wieder an, mich zu plagen. Blöde Sprüche, hier ein Gingg, dort ein Gingg.»

«Ich habe das kaum ausgehalten», sagt Herr Widmer. «Ich dachte: Die Schule muss mein Kind doch schützen, die Mobber bestrafen! Für einen Vater ist so eine Situation eine Berg-und-Tal-Fahrt. Erst hofft man, dann schläft man wieder die ganze Nacht nicht. Da ist eine Welt zusammengebrochen. Meine Frau und ich mussten realisieren: Unser Kind ist in der Schule nicht sicher – und wir können nichts dagegen tun.»

Als Eltern, so erlebt es Tims Vater, könne man seinem Kind nur sagen: «Auf uns kannst du dich verlassen. Wir stehen hinter dir.»

Dass sie in die Schule mitgehen, will Tim nicht – es würde seinen Peinigern nur neuen Anlass zum Hänseln geben. Herrn Widmer und seiner Frau wird auch davon abgeraten, die Eltern der Mobber zu kontaktieren. Und aus der Schule wollen sie Tim nicht nehmen. «Dann hätten die Mobber doch gewonnen!»

Ist ein Mobbing-Fall erst einmal eskaliert, hilft eigentlich nur eines: eine geeinte Front aus Lehrern, Schule und Eltern – gerade auch jenen der Täterinnen und Täter. Wenn alle Erwachsenen gemeinsam eine klare Grenze ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass ein Kind sein Verhalten ändert.

In Tims Fall schreiben die Eltern eines mutmasslichen Mitläufers kurz nach der ersten Eskalation eine E-Mail an alle Beteiligten. Sie seien «zutiefst erschüttert», schreiben sie und übernähmen für das Verhalten ihres Kindes «die volle Verantwortung». In der Folge beteiligt sich der Junge nicht mehr am Mobbing, wie auch aus einer E-Mail der Klassenlehrerin hervorgeht.

Jede fünfte Lehrperson wünscht sich mehr Unterstützung beim Thema Mobbing.

Das ist der Idealfall, aber auch die Ausnahme. Häufiger führt eine Eskalation zu noch mehr Konflikten: zwischen Eltern und Eltern, Eltern und Schule. Gerade Lehrpersonen sind oft überfordert. Mehr als jede fünfte von ihnen wünscht sich im Kanton Zürich laut einer Umfrage von 2021 mehr Unterstützung bei diesem Thema.

Auch in Tims Fall eskaliert neben dem Mobbing ein Streit zwischen Eltern und Schule. Die Eltern fühlen sich alleingelassen, die Schule findet dagegen, es würden klare Grenzen gesetzt, es werde viel unternommen, und es gebe auch Fortschritte, wie sie den Eltern in mehreren Briefen und Gesprächen mitteilen.

Klar ist: Funktioniert die Kommunikation zwischen Eltern und Schule nicht mehr, wird auch die Mobbingbekämpfung schwieriger.

Die Folgen

Ein halbes Jahr, nachdem das Mobbing gegen ihn eskaliert ist, verlässt Tim im Sommer 2022 seine Schule. Nicht wegen des Mobbings, sondern weil er die sechste Klasse beendet hat. Sein Vater sagt heute, er hätte seinen Sohn sofort aus der Schule nehmen sollen.

Er glaubt: «Bei Mobbingfällen verliert heute das Opfer. Es muss gehen, wenn es sicher sein will.»

Tim geht jetzt in eine Privatschule, weil seine Eltern dem öffentlichen Schulwesen seit den Vorfällen misstrauen. Der Vater eines Klassenkameraden, der das Mobbing von Tim hautnah miterlebte, hat sich gleich entschieden, wie er im Gespräch sagt.

Manchmal überkamen den Vater Gewaltfantasien, die ihn heute selbst erschrecken.

Tims Vater sagt, er schlafe heute wieder ruhig, aber vergessen habe er nicht. «Wenn deinem Kind so etwas passiert, gehst du durch die Hölle», sagt er. Manchmal überkamen ihn Gewaltphantasien, die ihn heute selbst erschrecken. «Man wünscht den Mobbern dann plötzlich schlimme Dinge. Dabei sind das ja auch nur Kinder.»

Ein dickes Dossier mit Briefen, Mails und Protokollen hat Herr Widmer über das Mobbing seines Sohnes zusammengestellt. Es war sein Weg, um mit seiner Hilflosigkeit umzugehen. Und doch findet man auch darin nur die Spuren jener Ohnmacht, die das Phänomen Mobbing ausmacht.

Ohnmacht allenthalben im Umgang mit Mobbing.

Der Ohnmacht einer Mutter, deren Sohn beim Mobbing mitgemacht hat und die ihn deshalb nicht wiederzuerkennen scheint. Der Ohnmacht einer Schulkreispräsidentin, die sich eine bessere Kommunikation zwischen Schule und Eltern wünscht und Letztere um mehr Geduld bittet – weil Gewaltprävention eben Zeit brauche.

Und natürlich der Ohnmacht eines Vaters, der bei Lehrern und Schulbehörden, Politikern und Fachleuten um Hilfe bittet und das Mobbing am Ende doch nicht verhindern kann.

Und Tim? Der hat heute alle Kontakte zu seiner alten Klasse abgebrochen. Seinen ehemaligen Pausenplatz meidet er. Und wenn er mitbekommt, dass ein neuer Klassenkamerad früher auch gemobbt wurde, kommt plötzlich wieder alles hoch, weint er einen Abend lang.

Aber an den meisten Tagen, erzählt sein Vater, gehe es Tim eigentlich sehr gut. Er geht gerne zur Schule, hat Freunde, ist Teil eines Sportteams, geht alleine ins Skilager.

Und blaue Flecken an den Beinen hat er so gut wie keine mehr.

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Die Volksschule als Tollhaus – Erlebnisbericht eines Elternpaars https://condorcet.ch/2022/08/die-volksschule-als-tollhaus-erlebnisbericht-eines-elternpaars/ https://condorcet.ch/2022/08/die-volksschule-als-tollhaus-erlebnisbericht-eines-elternpaars/#comments Tue, 02 Aug 2022 17:41:51 +0000 https://condorcet.ch/?p=11146

Über die Schule wird viel geschrieben, meistens von Personen, die im Bildungsbereich arbeiten. Dieser Erlebnisbericht von Eltern gibt zu denken. Der Name ist der Redaktion bekannt.

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Als Eltern von drei Kindern im Volksschulalter haben wir die heutige Volksschule seit 11 Jahren aus nächster Nähe miterlebt. Wir sind höchst besorgt darüber, wie sich die öffentliche Schule entwickelt. Auch wenn wir Verständnis haben für die grossen Herausforderungen durch Corona oder Flüchtlinge, wirken leider viele Probleme hausgemacht.

Wir haben in diesen Jahren bei den Lehrerinnen und Lehrern unserer Kinder die ganze Bandbreite zwischen «ausgezeichnet» und «katastrophal» angetroffen. Leider ist unserer Meinung nach der Anteil an nicht wirklich geeigneten Lehrkräften nicht einfach verschwindend klein.

Wenn man will, dass die eigenen Kinder etwas wirklich lernen, muss man sich zuhause darum kümmern. Das gilt z.B. sowohl für die Rechtschreibung als auch für das Einmaleins.

Eine Lehrerin der ersten Klasse hatte ein so schlechtes Deutsch, dass wir das Protokoll des Elterngesprächs, das auf einer A4-Seite über 20 Rechtschreibe- und Interpunktionsfehler aufwies, zurückweisen mussten. Am Elternabend scrollte die Lehrerin ihre Informationen in einem Worddokument mit Schriftgrösse 8 nach unten, Powerpoint oder andere Präsentationstools schienen komplett unbekannt zu sein. Am Besuchstag, der ein halbes Jahr zuvor angekündigt worden war, führte dieselbe Lehrerin eine Matheprüfung durch, als wir dort waren.

Kam am Besuchstag tatsächlich zum Einsatz.

Bei einem anderen Lehrer herrschte am Besuchstag das totale Chaos im Zimmer. Jeder machte, was er wollte, es herrschte ein grauenhafter Lärm im Klassenzimmer, es war unmöglich, konzentriert zu arbeiten. Und tatsächlich – der Pamir, den wir für eine mediale Übertreibung gehalten hatten, kommt wirklich zum Einsatz, wenn Kinder in Ruhe arbeiten wollen! Wir trauten unseren Augen nicht. An einem Besuchstag an der Oberstufe erteilte der Lehrer der Klasse einen zweistündigen Lektüre-Auftrag in Deutsch – ebenso eine grossartige Planung für einen Besuchstag!

Was uns immer wieder negativ aufgefallen ist: Wenn man will, dass die eigenen Kinder etwas wirklich lernen, muss man sich zuhause darum kümmern. Das gilt z.B. sowohl für die Rechtschreibung als auch für das Einmaleins. Konzentriertes, wiederholten Üben unter Anleitung der Lehrkraft scheint total aus der Mode gekommen zu sein. Im Deutsch auf der Primarstufe wurde vor allem betont, was die Kinder alles noch nicht können müssten – anstatt von Anfang an auf eine korrekte Schreibung zu achten und diese einzuüben. Man fragt sich dann als Eltern schon, wofür man Steuern bezahlt, wenn man nach dem Arbeitstag seinen Kindern noch Unterrichtsinhalte vermitteln muss, die im Unterricht nur gestreift wurden. Viele Eltern aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis machen ähnliche Erfahrungen, darunter auch solche, die selber unterrichten.

Die Klasse umfasste gerade einmal 15 Schülerinnen und Schüler, aber der Lehrer merkte erst nach zwei Jahren, dass sie Basics der Mathematik nicht beherrschten?

Ein Lehrer der vierten Klasse schrieb am Ende des Schuljahres an alle Eltern, er sei total überrascht gewesen, wie schlecht die Klasse das Einmaleins beherrschen würde. Aber zum Glück würde das Leben ja nicht nur aus Zeugnissen bestehen. Was ist denn das für eine Aussage? Die Klasse umfasste gerade einmal 15 Schülerinnen und Schüler, aber der Lehrer merkte erst nach zwei Jahren, dass sie Basics der Mathematik nicht beherrschten? Ja, was hat dieser Lehrer denn im Unterricht gemacht, dass er das nicht früher gemerkt hat?

Eine Antwort darauf dürften nicht-altersgerechte Methoden sein. So wurde bereits in der dritten Klasse damit begonnen, Themen in verschiedene Dossiers aufzuteilen, von denen aber immer nur das erste als obligatorisch galt, der Rest, mit schwierigeren Aufgaben, als freiwillig. Nach Dossier 1 konnten die Kinder – wir reden von Neunjährigen – selbst entscheiden, ob sie die schwierigeren Dossiers noch lösen wollten. Alternative: etwas spielen! Folge: Die 10% der Leistungsstärksten, die sowieso «unkaputtbar» sind, lösen auch den Rest, die grosse Mehrheit aber spielt doch lieber, was völlig normal ist für neunjährige Kinder. Im Elterngespräch aber wird diesen Kindern dann vorgehalten, es würde ihnen an Selbstständigkeit fehlen oder es werden gar «Fördermassnahmen» vorgeschlagen. Alle etwas langsameren, verträumteren Kinder oder solche mit einer anderen Muttersprache bleiben in so einem System doch auf der Strecke. Vollkommen verrückt!

Der komplette Wahnsinn geht im Fach NMG ab. Dieses Fach ist so überladen, dass die Kinder schon mit 10 Jahren mit Dossiers aus dem Internet im Umfang von 40, 50, 60, 70 Seiten bombardiert und zugeschüttet werden.

Zum Thema (angebliche) Selbstständigkeit noch ein Beispiel: Der komplette Wahnsinn geht im Fach NMG ab. Dieses Fach ist so überladen, dass die Kinder schon mit 10 Jahren mit Dossiers aus dem Internet im Umfang von 40, 50, 60, 70 Seiten bombardiert und zugeschüttet werden. Gemeinsames Erarbeiten, Veranschaulichen, Besprechen im Unterricht weitgehend Fehlanzeige. Stattdessen sollen sie sich das «selbstständig» erarbeiten – was an Elternabenden gerne als «moderner Unterricht» verkauft wird. Viele der Unterlagen sind nicht im Ansatz kindgerecht. Die Kinder werden mit unzähligen Papierhaufen alleine gelassen. Wir haben den Eindruck, viele Lehrkräfte sind mit dem NMG-Lehrplan 21 selber überfordert und dann wird einfach irgendwas genommen, das irgendwo gefunden wird.

Den vielkritisierten Frühfremdsprachenunterricht haben wir als reine Geld- und Zeitverschwendung erlebt.

Den vielkritisierten Frühfremdsprachenunterricht haben wir als reine Geld- und Zeitverschwendung erlebt. Die Kinder können nach Jahren noch immer nichts, wirklich gar nichts. Ein Aufbau der Fremdsprache ist nicht erkennbar. Was wir nicht verstehen: Obwohl Lehrmittel wie «Mille feuilles» nicht mehr obligatorisch sind und viele Lehrkräfte sich im Gespräch über diese Lehrmittel beklagen, verwenden sie sie trotzdem weiter. Als «Begründung» müssen dann «Absprachen im Schulkreis» oder Ähnliches herhalten. Ja, wo ist denn da die Priorität? Bei irgendwelchen Absprachen oder beim Lernfortschritt der Kinder? Auch über das Mathebuch wurde wiederholt von den Lehrkräften geklagt, dennoch gebrauchen sie es immer weiter. Warum?

Ebenfalls unverständlich ist der übertriebene Teamgedanke unter den Lehrkräften. In allen Fächern zu allen Themen schreiben alle 6 Parallelklassen die gleichen Tests. Als Folge davon warten die Kinder dann bis zu 5 Wochen auf eine Testkorrektur, weil in irgendeiner anderen Parallelklasse irgendein Schüler noch diesen Test nachholen muss. Zu diesem Phänomen gehört auch, dass dann in den Tests Aufgaben auftauchen, die im Unterricht gar nicht vorgekommen sind. Wahrscheinlich, weil eben irgendeine andere Lehrkraft aus einer Parallelklasse den Test geschrieben (oder heruntergeladen) hat und nicht die «eigene» Lehrkraft einer Klasse.

Wen trifft die Schuld an diesen Zuständen? Wahrscheinlich sind viele daran beteiligt. Und durch den Mangel an Lehrkräften finden sich auch Personen an den Schulen, die dafür nicht geeignet sind. Das trifft auch auf die Schulleitungen zu. Innerhalb von 6 Jahren wird in unserer Gemeinde diesen Sommer die fünfte Schulleitung installiert. Googelt man den Namen des neuen Stelleninhabers, stösst man als erstes auf Schulen in anderen Kantonen, wo er entlassen wurde …

Wir halten die Volksschule für eine wichtige Institution. Leider haben wir zunehmend Verständnis für andere Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Aber eigentlich kann das nicht die Lösung sein.

Ein Elternpaar aus der Deutschschweiz

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Ein Hoch auf unsere Volksschule https://condorcet.ch/2020/09/ein-hoch-auf-unsere-volksschule/ https://condorcet.ch/2020/09/ein-hoch-auf-unsere-volksschule/#respond Sun, 20 Sep 2020 08:47:11 +0000 https://condorcet.ch/?p=6409

Der Mamablog (ab und zu Papablog) im Tagesanzeiger ist der Ort, an welchem Eltern ihre Sicht der Dinge über Erziehungsfragen und ab und zu auch über unsere Schulen publizieren. In den bildungspolitischen Diskursen kommt diese Optik (so auch in unserem Blog) oft zu kurz. Einer der Autoren des Mama/Papablogs ist der Werber Markus Tschannen, dessen Beitrag wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags und des Autors hier publizieren. Markus Tschannen ist Kommunikationsberater, Blogger und Kolumnist. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern – 1 und 6 Jahre alt – in der Nähe von Bern. Brecht ist übrigens der Vorname eines der Kinder des Autors.

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Gut ausgebildete Lehrer, Chancengleichheit und endlos Bastelmaterial: Unser Papablogger sagt, warum er das Schweizer Bildungssystem super findet.

Ich bin ein HarmoS-Fanboy

Jörg Kachelmann hätte es weniger überheblich formulieren können, als er seiner deutschen Followerschaft das Schweizer Schulsystem um die Ohren schlug. Ich persönlich finde das deutsche System nicht sonderlich schlecht und möchte hier keine Vergleiche anstellen. Aber wo ich mit Kachelmann einig bin: Unsere Volksschule ist supi!

Ja, ich bin ein Harmos-Fanboy. Ich finde die obligatorische Einschulung mit 4 Jahren richtig – ob in den Kindergarten oder in die Basisstufe. Die Schule nimmt den Kindern nicht die Kindheit, wie manchmal behauptet, sondern eröffnet ihnen neue Möglichkeiten, Begegnungen und Welten. Das bedingt eine gewisse Qualität. Und die hat die Volksschule in der Schweiz:

  1.     Sie ist fair finanziert, egal wie viele Ärztinnen und Banker im Quartier wohnen.
  2.     Sie beschäftigt anständig bezahlte, gut ausgebildete Lehrkräfte.
  3.     Sie bietet den Kindern ein gutes Betreuungsverhältnis und je nach Bedürfnissen       Spezialunterricht.
  4.     Sie geniesst in allen Bevölkerungsschichten einen hohen Stellenwert und kann gegen Privatschulen bestehen.

All das schafft Chancengleichheit und ist wichtig, um den Kindern im Einzelnen gerecht zu werden. Aber ich bin kein Bildungsexperte, sondern einfach ein Vater, dessen Kind in eine durchschnittliche Schweizer Schule geht. Das nehme ich zumindest an.

Der Unterricht erfolgt überwiegend im Teamteaching. Dank Stellvertretungen selbst dann, wenn eine der Lehrerinnen kurzfristig krank wird.

Bastelkarton und Glitzerkleberli als Service Public

Brechts Basisstufenklasse besteht aus 24 Schüler*innen. Der Unterricht erfolgt überwiegend im Teamteaching. Dank Stellvertretungen selbst dann, wenn eine der Lehrerinnen kurzfristig krank wird. Die Kinder haben ab Schuleintritt mit 4 Jahren Zugang zu DaZ (Deutsch als Zweitsprache), Integrativer Förderung, Logopädie und Psychomotorik-Spezialunterricht.

Die Schule ist gut ausgestattet und als Eltern müssen wir fast nichts aus dem eigenen Sack bezahlen. Maximilian-Jasons Matheheft und Lea-Marihuanas Malschürzli übernimmt die Schule. Und wenn Jennifer-Shakira zu Hause etwas basteln soll, kriegt sie den Rucksack derart mit Bastelsachen gefüllt, dass man ihren Schulweg noch wochenlang an der Glitzerspur erkennt.

Klar, nicht alles was glitzert, ist ein Diamant. Das gilt auch für die Volksschule. Wir sind in der Schweiz und «es chunnt ufe Kanton drufab». Oder auf den Ort, das Quartier, die Schulleitung, die Lehrpersonen und die Kinder und deren Eltern. An manchen Schulen sind die Herausforderungen grösser als an anderen.

Kritik ist wichtig, aber wir haben hier eine gute Basis für Verbesserungen.

Auch Inhalte und Lehrmethoden stehen immer wieder in der Kritik: Manche fordern besseren Sexualkundeunterricht, mehr individuelle Förderung, zeitgemässe Digitalisierung. Und das ist gut so: Kritische Stimmen und die Leute an der Bildungsfront treiben die Schule voran. Wir dürfen uns auf einem guten Bildungssystem nicht ausruhen, aber man darf auch mal sagen: Wir haben eine gesunde Basis für Verbesserungen.

Ein kaputtes Schulsystem

Eigentlich sollte dieser Beitrag ein Podcast-Tipp werden, bevor ich ihn in einer Lobrede ersäuft habe. Der fünfteilige Reportage-Podcast «Nice White Parents» der New York Times lässt tief in ein komplett anderes, fundamental kaputtes Schulsystem blicken. Er zeigt, was passiert, wenn ehrgeizige Eltern mit Geld und Privilegien die öffentliche Schule vor sich hertreiben. Zum Glück sind wir davon weit entfernt.

Markus Tschannen

Dieser Beitrag erschien zuerst im Mamablog des Tagesanzeigers

 

 

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Bei der Logopädin https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/ https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/#comments Thu, 12 Dec 2019 12:25:20 +0000 https://condorcet.ch/?p=3251

Endlich wieder einmal ein Beitrag aus der Elternperspektive. Condorcet-Autor und Redaktionsmitglied Daniel Goepfert schildert eine persönliche Erfahrung mit der therapeutischen Abteilung.

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Daniel Goepfert, BS, ehem. Grossratspräsident, SP, Gymnasiallehrer und dreifacher Vater

Die Stadt Basel brodelte, als ich meinen jüngeren Sohn um 14:00 Uhr zur Logopädin brachte. Das Gespräch fand in einem grossen, leeren Haus statt, die Stimmung war ein bisschen gespenstisch. Die Logopädin entschuldigte sich, sie sei soeben aus Biel nach Basel gezogen und hätte nicht gewusst, dass dieser Tag mitten in der Fastnacht liege. Ich gestand ihr, dass mir die Überschneidung der beiden Termine nicht nur bewusst gewesen sei, sondern dass sie mir damit einen Gefallen getan habe, weil ich ein Fastnachtsmuffel sei. Nach dieser Begrüssung wandten wir uns dem Problem meines Sohnes zu.

 

Wir schickten unseren Sohn allerdings nicht zur Logopädie, weil wir dachten, die Sache würde sich, wie bei anderen Kindern auch, von alleine auswachsen.

Schon seine Kindergärtnerin hatte meine Frau und mich darauf hingewiesen, dass er den Buchstaben „s“ falsch aussprach. Dasselbe wiederholte sich an der Primarschule. Wir schickten unseren Sohn allerdings nicht zur Logopädie, weil wir dachten, die Sache würde sich, wie bei anderen Kindern auch, von alleine auswachsen. Zudem hatte ich meinen Sohn geradezu zum Lispeln ermutigt, in dem ich sein Anstossen als „herzig“ bezeichnet und es im Gespräch mit ihm sogar imitiert hatte. Das würde ich in Zukunft unterlassen.

Die Primarlehrerin drängte auf eine Therapie

Die Primarlehrerin drängte jedoch auch auf eine Therapie. Ich bekam mit der Zeit den Eindruck, dass sie meine Frau und mich für renitente Eltern hielt, die das Problem ihres Kindes nicht ernst nahmen. Die Tatsache, dass wir beide Lehrkräfte waren, machte die Sache nicht besser. Langsam fürchteten wir, unser Sohn könnte mit der Zeit wirklich unter der Situation leiden, sei es wegen seines Lispelns, sei es wegen der mangelnden Kooperation seiner Eltern mit der Schule. Um das zu vermeiden, stimmten wir der Therapie schliesslich zu.

Gibt es in deiner Familie Probleme?

Nun waren wir also die knarrende Holztreppe hoch gestiegen und sassen zu dritt um einen kleinen, niedrigen Tisch: mein jüngster Sohn, die Logopädin und ich. Meine anderen Kinder und meine Frau vergnügten sich unterdessen an der Fastnacht, deren Dröhnen durch das Turmfenster eindrang. Die ersten Fragen drehten sich um die Personalien meines Sohnes. Dann wandte sich die Logopädin ihm zu und bedeutete mir, ich dürfe gerne im Raum bleiben. Damit sagte sie indirekt, dass ich von nun an zu schweigen habe. Mit den ersten Fragen ergründete sie, ob sich mein Sohn an der Schule wohl fühle, wie es mit dem Verhältnis zu den Lehrkräften bestellt sei und ob er Freunde habe. Dann fragte sie ihn, ob es in seiner Familie Probleme gebe. Ich hielt die Luft an und bewegte die Augen nach oben, was die Logopädin bemerkte. Ich sei sicher erstaunt über diese Frage, meinte sie. Die vorübergehende Redeerlaubnis nutzte ich, um mein Erstaunen zu bestätigen. „Wissen Sie“, so daraufhin die Logopädin, „eine schwere Sprachstörung kann ein Hinweis auf eine familiäre Dysfunktion sein.“ Darauf gab ich mir selbst das Wort und erwiderte, es handle sich beim Problem meines Sohns keineswegs um eine schwere Störung. Das genau kläre sie doch gerade ab, entgegnete die Logopädin, sie gehe aber auch davon aus, dass es nicht schwerwiegend sei.

Befund: Nichts Schwerwiegendes!

Kein schwerwiegendes Problem

Als die Untersuchung fertig war, eröffnete sie mir denn auch, mein Sohn habe kein unüberwindbares Problem. Kurz zusammengefasst könne er den Buchstaben „s“ korrekt aussprechen, tue es aber nicht. Meine Frau und ich müssten ihn einfach jedes Mal korrigieren.

Nun sassen wir zu dritt im leeren Haus und schwiegen uns einen Moment lang an. „Wie soll es weitergehen?“, fragte dann die Logopädin, „schliesslich wurde Ihr Sohn mit Dringlichkeit zu einer Therapie bei uns überwiesen“. „Damit niemand das Gesicht verliert“, schlug ich ihr nach kurzem Überlegen vor, „könnte mein Sohn ja für eine Stunde zu Ihnen kommen und die richtige Aussprache des Buchstabens „s“ üben“. Wir einigten uns darauf.

Noch weitere 29 Stunden für ein “nicht schwerwiegendes Problem”

Tatsächlich bot ihn der Logopädische Dienst nach der einen noch zu weiteren 29 Stunden auf. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist mir nicht klar, warum so viele Therapiestunden nötig waren. Auf jeden Fall besuchte er sie gerne, weil sich die Therapeutinnen unterhaltsame Spiele ausdachten, zum Beispiel Eishockey mit einem Blasrohr. Heute ist mein Sohn 18 Jahre alt und absolviert das dritte Lehrjahr. Er ist mit dem Leben zufrieden und lispelt kein bisschen.

 

 

 

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Schreiben nach Gehöa: „Kinder werden systematisch in die Irre geführt“ https://condorcet.ch/2019/07/schreiben-nach-gehoea-kinder-werden-systematisch-in-die-irre-gefuehrt/ https://condorcet.ch/2019/07/schreiben-nach-gehoea-kinder-werden-systematisch-in-die-irre-gefuehrt/#respond Tue, 23 Jul 2019 13:09:53 +0000 https://lvb.kdt-hosting.ch/?p=1657

Karlheinz Wagner und Michael Hesse, Journalisten des Kölner Stadtanzeigers, führten ein Gespräch mit Prof. Una Röhr-Sendlmeier (Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Psychologie). Frau Röhr-Sendlmeier untersuchte zusammen mit Tobias Kuhl die Auswirkungen der Lernmethodik "Schreiben durch Gehör". Die Studie zum Grundschulunterricht war auf vier Jahre angelegt. Die brisanten Ergebnisse sorgten für grosses Aufsehen. Der Condorcet-Blog veröffentlicht hier das Gespräch, das zuerst im Kölner Stadtanzeiger erschienen ist.

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Es spricht für die Brisanz des Themas, wenn sich an einem lauen Frühsommerabend 150 oder mehr Menschen – Pädagogen, Gewerkschafter, Eltern – zu einem Vortrag in die Aula des Irmgardis- Gymnasiums von Köln-Bayenthal hocken. „Schraim nach Gehöa“ hatten Prof. Una Röhr- Sendlmeier von der Uni Bonn und ihr Doktorand Tobias Kuhl den Abend orthografisch angemessen keck benannt, denn um „Wege und Irrwege  im Rechtschreibunterricht“ sollte es ja gehen. Die Wissenschaftler stellten ihre Studie vor; sie hatten untersucht, nach welchen Methoden und mit welchem Erfolg Grundschüler in NRW Schreiben und Lesen lernen.

Prof. Una Röhr-Sendlmeier

Im Auditorium herrschte eine Form von zorniger Ratlosigkeit

Die Ergebnisse– die Mehrzahl der Kinder lernt Orthografie nicht oder nicht hinreichend gut – hatten die Zuhörer geahnt; dennoch herrschte am Ende im Auditorium eine Form von zorniger Ratlosigkeit: Warum werden Schüler nach Methoden unterrichtet, die im Ergebnis nicht funktionieren? Wir haben mit Frau Professor Una Röhr-Sendlmeier gesprochen.

Frau Röhr-Sendlmeier, eine Frage zum Beginn der Ferien: Was wird sich im nächsten Schuljahr ändern – immerhin hat die NRW-Landesregirung eine Neuausrichtung zum Thema Rechtschreib-Unterricht angeordnet?

Wenn – wie die Ministerin sagt – Fehler von Anfang an korrigiert werden sollen, wenn die Kinder einen verbindlichen Mindestwortschatz erwerben und wenn die Regeln der Schriftsprache vermittelt werden sollen – dann sind das drei wichtige Säulen, die man nur begrüßen kann. Wenn aber gesagt wird, dass der Ansatz „Lesen durch Schreiben“ weiterhin im Anfangsunterricht möglich sein soll, dann ist Vorsicht geboten. Bei systematischem Unterricht kann man Anlauttabellen als Zusatzmaterial anbieten. Man darf die Kinder aber nicht in dem Glauben lassen, sie könnten sich die Rechtschreibung über die Anlauttabelle selbst erschließen. Und es muss freundlich korrigiert werden von Personen, die die Orthografie beherrschen, damit sich die Kinder nichts Falsches einprägen.

Wollen Sie die unterschiedlichen Methoden noch einmal skizzieren?

Wir haben drei didaktische Ansätze untersucht.

  1. Fibel-Unterricht: Dabei spielen die Lehrer als Wissensvermittler eine zentrale Rolle, es wird geübt und das Geschriebene Der Unterricht ist strukturiert nach den Prinzipien der Schriftsprache – es geht vom Einfachen zum Schwierigen; vom Häufigen zum Seltenen.
  2. Rechtschreib-Werkstatt: Es gibt Arbeitsblätter und Kärtchen für Abschreibübungen, die die Kinder selbst auswählen. Der Lehrer hat eine beratende Rolle, er korrigiert nicht; die Kinder sollen sich selbst korrigieren und mit dem Material selber das Schreiben beibringen. Gelernt wird unter anderem mit der Anlaut-Tabelle.
  3. Lesen durch Schreiben (oder: Schreiben nach Gehör): Der Lehrer gibt Anregungen zum Schreiben mit Hilfe der Anlauttabelle. Es soll motiviert, nicht korrigiert werden; die Kinder legen Stoff und Lerntempo selbst fest – sie managen ihren Orthografie-Unterricht selbst.
Bild: Von Wartburg

Zu diesem Themenbereich haben Sie eine Studie veranlasst. Was war der Grund?

Die Rektorin einer Grundschule aus NRW ist auf mich zugekommen mit der Beobachtung, dass ihre Schüler am Ende des 4. Schuljahres nicht korrekt schreiben können. Und sie fragte, welche Didaktik sie an ihrer Schule einsetzen solle. Ohne eine breitangelegte und methodisch sauber durchgeführte Studie konnte ich keine Antwort geben.

Wie sind Sie vorgegangen?

Begonnen haben wir in der Schule, deren Rektorin mich damals angesprochen hatte. Es sind dann elf weitere Schulen hinzugekommen – insgesamt haben wir über drei Jahre hinweg bei denselben 284 Schülern von Schulbeginn an die Entwicklung der Rechtschreibung nach einem gesicherten Verfahren gemessen: nach der Einschulung und dann jedes schulische Halbjahr – insgesamt also fünfmal. Das ist eine sogenannte Längsschnittstudie. Zusätzlich haben wir von 2800 Kindern der Klassen eins bis vier jeweils zum Ende der Schulhalbjahre die Rechtschreibkenntnisse erfasst.

Wie waren die Ergebnisse?

In beiden Teilstudien waren die Ergebnisse der Kinder mit Fibel-Unterricht signifikant besser als bei den Kindern, die nach Lesen durch Schreiben oder Rechtschreibwerkstatt gelernt hatten. In der Längsschnittstudie konnten wir auch die Vorkenntnisse der Schüler erfassen– denn es ist wichtig, ob Kinder zum Beispiel schon Buchstaben kennen. Diese Vorkenntnisse wurden in der Auswertung berücksichtigt und nur die Lernzuwächse der Schüler verglichen. Das Ergebnis:

  1. Kinder, die  strukturiert nach einer Fibel lernen, erreichen in ihren Rechtschreibleistungen mindestens ein durchschnittliches bis überdurchschnittliches Niveau; nur wenige Kinder lernen nicht gut schreiben, aber auch das auf einem relativ moderaten Niveau.
  2. Kinder, die nach einer der frei- en Methoden lernen, erreichen vielfach nicht ein mittleres Niveau, sondern schreiben unterdurchschnittlich. Es gibt allerdings auch bei den freien Methoden Kinder, die gute und sehr gute Leistungen zeigen.

Man kann fragen, ob das auch an der Unterstützung liegt, die diese Schüler vom Elternhaus erfahren. Die Kinder, die Schulen mit der „Lesen durch Schreiben“-Methode besuchten, hatten signifikant höhere Vorkenntnisse. Dies ist ein Hinweis auf bildungsnähere Familien. Recht neu ist zudem das Phänomen, dass Schüler in großer Zahl in Nachhilfe-Institute gehen, um die Orthografie zu lernen, damit Rechtschreibdefizite, die durch die freien Methoden entstehen, ausgeglichen werden.

Die Kinder werden systematisch in die Irre geführt. Man soll dadurch, dass man viel schreibt, lesen lernen. Das ist Unsinn, denn die Prozesse sind lernpsychologisch sehr verschieden.

Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Nun, das Lernen mit Anlaut-Tabellen suggeriert, man könne sich mit einer solchen Abbildung sämtliche Realisierungen von Wörtern erschließen. Dabei enthalten die Tabellen viel zu starke Vereinfachungen. Der Buchstabe E ist etwa illustriert mit einem Esel – da entspricht der Laut tatsächlich dem Namen des Buchstabens. Aber es ist auch eine Ente abgebildet, und das E von Ente ist ein anderer Laut als das E des Esels. Oder: Für das I wird ein Igel gezeigt. Das lange I wird aber in 72 Prozent der Fälle mit „ie“ geschrieben. Die Kinder werden systematisch in die Irre geführt. Man soll da- durch, dass man viel schreibt, lesen lernen. Das ist Unsinn, denn die Prozesse sind lernpsychologisch sehr verschieden. Es wird den Kindern gesagt: Schreib, wie du sprichst. Und weil kein Kind genau weiß, wie es spricht, wurde das abgewandelt: Schreib auf, was du hörst. Die Kinder sollen die Laute, die sie beim Vorsprechen hören, in der Anlauttabelle suchen und die entsprechenden Buchstaben aufschreiben.

Aber Deutsch wird eigentlich nicht geschrieben, wie man es spricht…

Es gibt nur relativ wenige Eins-zu-eins-Entsprechungen zwischen Lauten und Buchstaben. Wir haben Buchstaben, die unterschiedlichen Lauten zugeordnet werden– wie bei Ente und Esel – und wir haben Laute, die verschiedenen Buchstaben zugeordnet sind. Ein gutes Beispiel ist der Laut K, den wir in folgenden Schreibweisen finden: Krokodil, Computer, Qualle, Stück, Fuchs, Weg, Akku, Macchiato … Es ist einfach falsch, wenn man den Kindern suggeriert: Ihr könnt euch die Schriftsprache durch Hören und richtiges Sprechen selbst erschließen.

In Ihrem Vortrag haben Sie erläutert, dass sich eine Alphabetschrift nicht von alleine entwickelt; Schriftsprache sei eine kulturelle Errungenschaft, nicht das Ergebnis eines biologischen Prozesses…

Das gilt für die Schriftsprache, ja. Die mündliche Sprachfähigkeit ist uns angeboren und biologisch verankert– Kinder können schon vor der Geburt die sprachlichen Laute ihrer natürlichen Umgebung unterscheiden von anderen Geräuschen – bald nach der Geburt versucht das Kind, die sprachlichen Laute seiner Umgebung zu imitieren. Aber die Schriftsprache ist ein ganz anderer Fall; sie ist eine besondere kulturelle Errungenschaft; es gibt viele Kulturen, die gar keine Schrift entwickelt haben, oder Bilderschriften, die keine Hinweise auf die Lautung enthalten. Die Idee, die enorme Abstraktionsleistung, Einzellaute mit Symbolen in Beziehung zu setzen, ist gar nicht sehr alt; erste Zeugnisse deuten auf ein Entstehung etwa 2000 v. Chr. hin; sie entstanden zunächst parallel zu den ägyptischen Hieroglyphen.

Das war eine ideologische Vorgabe, die in den damaligen Zeitgeist passte.

Wie konnten sich diese freien Didaktik-Modelle denn gegen den strukturierten Unterricht so flächendeckend durchsetzen?

Nun, der Zugang über eine Anlaut-Tabelle wurde als neue Idee in den 80er Jahren propagiert – von dem Schweizer Jürgen Reichen. Er wollte alles Bürgerliche abschaffen und eine völlig freie Entfaltung auch für Kinder verwirklichen. Systematische Vermittlung von Strukturen und Korrekturen – das sei nicht gut, befand er. Wörtlich: „Je weniger ein Kind belehrt wird, umso mehr lernt es.“ Das war eine ideologische Vorgabe, die in den damaligen Zeitgeist passte.

Bild: AdobeStock

Wenn Sie den gesellschaftlichen Zeitgeist ansprechen – ist die Debatt auch eine politische Auseinandersetzung zwischen einer eher konservativen Auffassung – die Fibel ist ja ein klassisches Bildungswerkzeug – und einer eher linken Methodik?

Ich bin Wissenschaftlerin und möchte Fragen objektiv beantworten. Die nüchterne Frage nach einer hilfreichen Didaktik ist zu einer ideologischen Debatte auf gesellschaftlicher Ebene geworden, leider. Es wird dabei ausgeblendet, dass der moderne Fibel-Unterricht nur wenig zu tun hat mit den traditionellen Fibeln, wo es häufig um langweilige Dinge ging und es keine Differenzierungsmöglichkeiten gab zwischen denen, die etwas langsamer lernen, und denen, die schneller vorankommen. Die Debatte selbst beinhaltet somit eine Schieflage. Es sollte ausschließlich um das Wohl der Kinder gehen und nicht um politische Glaubenssätze.

Wie geht die Politik mit Ihren Erkenntnissen um? NRW hat ja offensichtlich reagiert….

Als wir die Ergebnisse hatten – etwa vor einem Jahr– haben wir sie auf einer Tagung in Dortmund vorgestellt und sie Frau Ministerin Gebauer in Kurzform regelrecht in die Hand gedrückt. In der Folge gab es weitere Fachkonferenzen, und es gab Presseberichte. Danach erreichte uns die Aufforderung, dass man sich im Ministerium doch mal treffen solle. Herr Kuhl hat die Studie vorgestellt, ich habe den Hintergrund dargelegt – es wurde sehr engagiert diskutiert. Eine Woche später hat die Ministerin die veränderten Vorgaben ausgegeben: Mindestwortschatz, Korrekturen und Einführung in die Struktur der deutschen Orthografie.

Gab es weitere Reaktionen?

Wir haben viele Einladungen erhalten, unsere Studie vorzustellen. Und in Brandenburg, Schleswig-Holstein und zwei Schweizer Kantonen darf Lesen durch Schreiben künftig nicht mehr als eigene Didaktik verwendet werden. In Hamburg und Baden- Württemberg gibt es schon länger solche Verbote. Insgesamt haben wir durchaus Gehör gefunden bei der Politik. Und die Zahl der Einladungen und Anfragen nimmt nicht ab – die Unzufriedenheit ist offenbar groß mit dem Lese-Rechtschreib-Unterricht unserer Kinder.

Das Gespräch führten Karlheinz Wagner und Michael Hesse

Das Gespräch wurde zuerst im Kölner Stadt-Anzeiger Samstag/Sonntag, 13./14. Juli 2019 veröffentlicht

 

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