Unterrichtsstil - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 12 Feb 2024 12:59:36 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Unterrichtsstil - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Teenager wünschen sich eine kompetente Führung im Klassenzimmer https://condorcet.ch/2024/02/teenager-wuenschen-sich-eine-kompetente-fuehrung-im-klassenzimmer/ https://condorcet.ch/2024/02/teenager-wuenschen-sich-eine-kompetente-fuehrung-im-klassenzimmer/#comments Mon, 12 Feb 2024 12:59:36 +0000 https://condorcet.ch/?p=15933

Autorität ist derzeit wieder gefragt, sei es in der Politik, in Betrieben oder in der Schule. Was aber ist Autorität und welche Autorität ist hier gefragt? Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz versucht diese Fragen zu beantworten und hat Verständnis, dass der Begriff "Autorität" auch negative Erinnerungen weckt.

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Im links dominierten Stadtzürcher Parlament wurde kürzlich ein Vorstoss überwiesen, der mehr Sicherheitspersonal an Schulen verlangt und grundsätzlich die Autorität der Lehrkräfte stärken will. Das Postulat war eine Reaktion auf diverse Gewaltvorfälle im Schulbereich, die für einige Unruhe sorgten. Offensichtlich hat man erkannt, dass vor allem die Klassenlehrkräfte mehr Unterstützung für ihren anspruchsvollen Bildungsauftrag benötigen.

 Trägt die Lehrerbildung zum Autoritätsverlust der Lehrkräfte bei?

Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich:  Urvertrauen als riesiges Kapital

Die Rückbesinnung auf mehr Führung im Klassenzimmer erstaunt nicht, wenn man auf gewisse extreme pädagogische Strömungen sieht. Allen Ernstes wird von manchen Dozenten an Pädagogischen Hochschulen die Meinung vertreten, Lehrpersonen müssten die Lernprozesse nur begleiten und sich möglichst unauffällig im Hintergrund halten. Pädagogischer Gestaltungkraft in Form von anschaulicher Instruktion, packenden Erzählungen und kreativen Übungsphasen im Klassenverband wird mit viel Misstrauen begegnet. Im neusten Magazin des Tages-Anzeigers spricht sich die Bildungsexpertin Rahel Tschopp gar dafür aus, die Klassenlehrer abzuschaffen und für die Schüler eines ganzen Stockwerks ein gemeinsames Coaching einzuführen. Diese Einstellung sorgt dafür, dass im Eiltempo pädagogische Autorität verloren geht und ganze Klassen aus dem Ruder laufen. Viele Buben beginnen den Unterricht zu stören, wenn sie nicht wissen, wer der Chef im Klassenzimmer ist und was dieser Mensch fachlich zu bieten hat.

 

Erfolgreiche Pädagogik kommt nicht ohne ein gewisses Mass an begründeter Autorität aus. Gebildete Erwachsene haben gegenüber Kindern einen deutlichen Wissensvorsprung. Kinder erleben tagtäglich in verschiedenen Bereichen dieses Wissensgefälle und sind grundsätzlich bereit, von Erwachsenen zu lernen, wenn sich diese verständnisvoll zeigen. Ganz besonders gilt diese natürliche Abhängigkeit in der Schule, wo Kinder erwarten, dass ihre Lehrerin sie richtig führt. Die allermeisten Mittelstufenschüler bringen ihrer Klassenlehrerin einen grossen Vorrat an Vertrauen entgegen, wenn sie mit Freude ihren Beruf ausübt. Dieses Urvertrauen ist das riesige Kapital, auf welches pädagogische Autorität angewiesen ist. Umso wichtiger ist es, dass sich die Lehrpersonen ihrer grossen Verantwortung bewusst sind und natürliche Autorität nicht durch fragwürdige schulische Experimente untergraben wird.

15-Jährige schauen auf jeden Fall genau, was die Persönlichkeit eines Lehrers ausmacht.

Erfolgreiches Lernen ist mehr eine Bergtour als eine Seilbahnfahrt

 Auch auf der Oberstufe wünschen Teenager eine verständnisvolle Führung im Klassenzimmer. Das schliesst nicht aus, dass durch den entwicklungspsychologisch notwendigen Prozess der Abgrenzung von den Erwachsenen Phasen des Protests auftreten. 15-Jährige schauen auf jeden Fall genau, was die Persönlichkeit eines Lehrers ausmacht. Kann ein Lehrer jedoch für ein Fach begeistern und bietet er Gewähr für grundlegende Fairness im Umgang mit Jugendlichen, folgen die allermeisten seinen pädagogischen Intentionen. Dieses Vertrauen erlaubt es einem Lehrer, den Weg zu einem Bildungsziel als herausfordernde Bergtour zu deklarieren. Das ist zwar strenger als eine Fahrt mit der Seilbahn, aber als Lohn winken unbezahlbare Gemeinschaftserlebnisse. Die pädagogische Festigkeit des Lehrers hilft dabei, auch mühsame Passagen zu überwinden.

 

Böse Erfahrungen

Notwendige Auflehnung gegen falsche Autoritäten

 Zu Recht wird hinter dem Begriff der Autorität oft ein dickes Fragezeichen gesetzt. Die bösen Erfahrungen der Europäer mit politischen Massenbewegungen, bei denen autoritäre Führer ganze Völker in den Abgrund führten, haben den Autoritätsbegriff schwer beschädigt. Wenn Menschen auf kritisches Denken verzichten und wesentliche Freiheiten nicht verteidigen, wird es tatsächlich gefährlich. Das gilt auch für die Schule, wo das längerfristige Ziel eines guten Unterrichts nicht Abhängigkeit, sondern eine möglichst grosse Selbständigkeit der Heranwachsenden ist. Echte pädagogische Autorität will den Menschen befreien, damit er seinen eigenen Weg gehen kann und ihn auf keinen Fall am Gängelband führen. Diese Zielsetzung gilt es bei allen pädagogischen Bemühungen stets vor Augen zu haben.

Krisen beim pädagogischen Autoritätsbegriff sind in der Geschichte oft durch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst worden. Die Auflehnung der 68er gegenüber schikanierenden Lehrmethoden waren eine Reaktion der Jugend auf unnötig einengende Lebensformen ihrer Eltern aus der Weltkriegsgeneration. Erziehungsmethoden mit Körperstrafen waren in den frühen Sechzigerjahren an der Tagesordnung und mancher Lehrer verwechselte Autorität mit autoritärem Verhalten. Doch mit der von vielen 68ern geforderten radikalen Abwertung jeder Autorität wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die pädagogische Kulturrevolution jener Jahre diskreditiert.

Kulturelle Errungenschaften müssen kompetent vermittelt werden

Die heutige Welle gegen schulische Autorität hat andere Wurzeln als bei den 68ern. Sie wird aus der Vorstellung abgeleitet, dass jedes Kind sich seine Welt weitgehend selbst erschaffen könne und individuell gefördert werden müsse. Dabei wird glatt unterschlagen, dass das Erlernen wesentlicher kultureller Errungenschaften eine hoch komplexe Aufgabe ist und ohne umsichtige Führung kaum gelingt. Oft wird man auch den Eindruck nicht los, dass gewisse Exponenten der neuen Didaktik grundsätzlich Mühe haben, Autorität mit Vertrauen in Verbindung zu bringen und im Schulbereich der unangenehmen Autoritätsfrage ausweichen. Verwirrende Vorstellungen über eine passive Lehrerrolle haben in der Volksschule bereits erheblichen Schaden angerichtet. Wenn zutiefst verunsicherte Lehrpersonen es nicht mehr wagen, aus der Rolle der grauen Maus herauszuschlüpfen und in ihren Klassen die Führung zu übernehmen, führt dies unweigerlich zu mehr disziplinarischen Problemen.

Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kraft aufbringen und den Mut haben, eine Art pädagogische Gegenwelt zur schrillen Freizeitkultur zu schaffen.

Konzentriertes Lernen muss möglich sein.

Mut für eine pädagogische Gegenwelt zur digitalen Freizeitkultur

Konzentriertes Lernen ist die Basis für erfolgreichen Unterricht. Die Fokussierung auf ein angestrebtes Lernziel ist mit Schülern, die in der Freizeit einer Dauerberieselung durch Push-Nachrichten ausgesetzt sind, eine riesige Herausforderung. Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kraft aufbringen und den Mut haben, eine Art pädagogische Gegenwelt zur schrillen Freizeitkultur zu schaffen. Diese Welt kann kein Konsumparadies der raschen Wunscherfüllung sein. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet dies, sich gründlich mit wesentlichen Themen auseinanderzusetzen und Freude an der eigenen Leistungsfähigkeit zu gewinnen.

Die pädagogische Gegenwelt ist kein Raum der Abschottung vom eigentlichen Leben, aber sie ermöglicht es, mit einer Art Filter die für Lernprozesse störenden Einflüsse zu reduzieren. Durch konzentrierte Präsenz in einem lebendigen und mit attraktiven Elementen gewürzten Unterricht wird die gewohnte Hektik der medialen Ablenkung ersetzt. Das Unmittelbare des Lernens in der Klassengemeinschaft, wo das einander Zuhören eine zentrale Rolle spielt, hilft dabei mit, die soziale Entwicklung zu fördern. Die Erfahrungen zeigen, dass dieser anspruchsvolle Bildungsauftrag am besten gelingt, wenn kompetente Lehrinnen und Lehrer mit innerer Überzeugung und der nötigen gesellschaftlichen Unterstützung ihre Führungsfunktion wahrnehmen.

 

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«Neue Autorität» an der Schule! – Wie bitte? https://condorcet.ch/2024/02/neue-autoritaet-an-der-schule-wie-bitte/ https://condorcet.ch/2024/02/neue-autoritaet-an-der-schule-wie-bitte/#respond Sun, 04 Feb 2024 08:14:10 +0000 https://condorcet.ch/?p=15878

Zuerst verpönt man sie, die pädagogische Autorität, und dann kehrt sie ins Schulzimmer zurück, versehen mit dem Attribut des «Neuen». Durch die Hintertüre und über ein privates Institut. Gedanken von Condorcet-Autor Carl Bossard zur Slalomfahrt eines elementaren Begriffs.

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Carl Bossard, Condorcet-Autor und Bildungsexperte: Das kontaminierte Wort «führen» hat einen schalen Beigeschmack.

«Neu» muss es sein. Fast alles, was etwas auf sich hält, wird als «neu» erklärt. Das bringt Beifall und Akzeptanz. Das «Neue» gilt vielen schon als das Bessere und dem «Alten» Überlegene. Das versteht sich; niemand will als altbacken gelten. Die Pädagogik ist dafür besonders anfällig und mit ihr die Bildungspolitik – aus Sorge, nicht mehr zeitgemäss zu sein. Vergessen gehen die anthropologischen Konstanten, ignoriert wird das, was immer gilt – weil wir Menschen sind. Die menschliche Evolution ist eben nicht mit der technischen Innovation gleichzusetzen. Doch das geschieht. Und wo nicht mehr nachgedacht wird, da wird vorgedacht – mit neuen Begriffen und Slogans: «Neues Lernen» beispielsweise oder «Neue Lernkultur». Nun ist die Autorität an der Reihe, die «Neue Autorität», wie sie aktuell heisst.

Wenn die Schulqualität erodiert

«Allahu Akbar», so riefen Jugendliche der Primarschule Bern Bethlehem und umzingelten dabei eine Lehrerin. Der Vorfall von Mitte Dezember 2023 erregte Aufsehen. Die Stadtberner Schule will ihn mit dem Ansatz der sogenannten «Neuen Autorität» aufarbeiten.  In der Schweiz bekannt gemacht hat ihn das ‘Systemische Institut für Neue Autorität’ (sina) in Zürich. Das Konzept boomt.  Die Schulen buchen Kurse.

Das Buch von Chaim Omer landete einen Riesenerfolg

Die Not ist gross, Burnout selbst bei Kindergärtnerinnen kein Einzelfall. Vielerorts ist das Schulsystem an der Grenze der Belastbarkeit angelangt, sagen Insider. Gar von «Erosion der Schulqualität» ist die Rede und vom «Tohuwabohu» in gewissen Klassenzimmern, wie «Der Beobachter» vor einiger Zeit gemahnt hat.  Die «Neue Autorität» soll nun Regeln und damit Ruhe in die Schule bringen und «entgegenkommende Verhältnisse» schaffen. So fordert es der deutsche Soziologe Jürgen Habermas fürs Gelingen eines guten Unterrichts. Die Idee der «Neuen Autorität» geht auf den israelischen Psychologen Heim Omer zurück.  Sie entstammt nicht dem Unterrichtsalltag; sie kommt aus der Familientherapie. Das Konzept beruht auf einer unmissverständlichen Sprache und hoher Präsenz von Eltern oder Lehrpersonen sowie dem Abstecken verbindlicher Regeln.

Abgrenzung gegenüber einer Autorität, die es nicht mehr gibt

Was ist nun so neu an der «Neuen Autorität»? Die empirische Unterrichtsforschung, die Hirnbiologie, die Resonanzpädagogik fordern das alles, und zwar unmissverständlich. Dazu finden sich die Prinzipien der «Neuen Autorität» längst in der aussagekräftigen Studie von Jacob S. Kounin zum Classroom-Management.[5] Neu ist an der «Neuen Autorität» wenig, mindestens für die Schule – trotz des verheissungsvollen neuen Namens. Interessanter ist vielmehr die Abgrenzung. An die Stelle einer Autorität durch Macht trete eine neue Autorität durch Beziehungsarbeit, sagt Sebastian Teuscher, Schulleiter der Primarschule Bern Bethlehem. Und dezidiert fügt er bei: «Die klassische Autorität hat ausgedient.»

Lehrer Lämpel ist out – nicht aber personale Autorität.

Damit grenzt er sich gegenüber einer Autorität und «autoritären Personen» ab, wie sie der Philosoph Theodor W. Adorno um 1950 analysiert hat und Siegfried Lenz sie in seiner «Deutschstunde» schildert. Das war Autorität als Position; sie setzte auf rigorose formale Hierarchie – und verletzte viele junge Menschen. «Der Schüler Gerber» von Friedrich Torberg hat sie erlebt und ist daran tragisch gescheitert. Frank Wedekind karikiert sie in seinem gesellschaftskritisch-satirischen Drama «Frühlings Erwachen» – mit dem Untertitel «Eine Kindertragödie». Warum also solche Zerrbilder konstruieren, wenn sie doch überwunden sind?[6]

Autorität ist ein schwieriger Begriff, ein «Anwärter auf die Rolle des Generalbösewichts», wie es der Philosoph Hans Blumenberg ausdrückt.

Auf die Manege des Klassenzimmers ungenügend vorbereitet

Autorität ist ein schwieriger Begriff, ein «Anwärter auf die Rolle des Generalbösewichts», wie es der Philosoph Hans Blumenberg ausdrückt. Autorität hat man nicht einfach, sie wird einem zugesprochen – oder eben nicht. Personale Autorität ist ein Beziehungsverhältnis, eine Art Vertrauen – und unerlässlich in der Manege des Klassenzimmers und im härter gewordenen pädagogischen Alltag. Gefordert ist Führungs- und Widerstandkraft. Darauf sind manche Junglehrer nur ungenügend vorbereitet und vor allem nicht eingeübt. Das zeigt der verzweifelte Ruf nach „neuer“ Autorität.

Die aktuelle Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen hin zur Individualisierung vernachlässigt das konsequente Führen einer Klasse.

Erklärbar ist das nur, weil die personale Autorität – sie galt lange und vielerorts als selbstverständlich – zur Seite geschoben wurde. Die aktuelle Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen hin zur Individualisierung vernachlässigt das konsequente Führen einer Klasse. Angehende Lehrer würden heute nicht mehr primär Klassen führen, heisst es; es werde individualisiert. Die Lehrperson sei Coach, und in der Funktion als «Partnerin» oder «Berater» begleite sie die Lernenden. Der gemeinsame Unterricht sei tendenziell out, die Klassenführung darum sekundär geworden. Ohnehin habe das historisch kontaminierte Wort «führen» einen schalen Beigeschmack.

Kinder suchen einen Häuptling

Solche Tendenzen verkennen die Realität. Die pädagogische Leadership-Aufgabe muss gezielt geschult werden. Der Neurobiologe Joachim Bauer drückt es so aus: «Kinder und Jugendliche wollen beides: Verständnis und Führung.» Das seien unerlässliche Tragpfeiler eines respektvollen und effizienten Unterrichts. Anders formuliert: Kinder wollen einen fairen Häuptling; sie wünschen sich eine empathische Dirigentin.

Das Bejahen der Leadership im Schulzimmer hängt zusammen mit einem positiven Bezug zur pädagogischen Autorität. Ein Schüler erlaubt sich eben mehr, wenn eine Lehrperson über wenig Autorität verfügt. Respekt, wie ihn die «Neue Autorität» einfordert, ist an personale Autorität gebunden. Er wird zugeschrieben und braucht ein vitales Vis-à-Vis: eine Lehrperson mit positiver Autorität, die schülerzentriert steuert und mit einem verbindlichen Commitment das Verhalten in der Klasse regelt.

Zentral sind die Lehrpersonen und ihr Unterricht – und ihre spürbare Beziehung zu den Kindern.

Teachers are leaders of learning and learners

Die empirische Bildungsforschung zeigt es: Zentral sind die Lehrpersonen und ihr Unterricht – und ihre spürbare Beziehung zu den Kindern. Da gibt es weder Anbiederung noch Laissez-faire oder fraternisierende Nähe. Das wissen begabte Pädagogen. Sie führen straff-locker und strahlen dabei eine charmante und natürliche Autorität aus. Sie kennen auch den Mut zum Nein. Solchen Autoritäten gegenüber empfindet man Respekt. Er bildet sich durch Zuschreibung personaler und sozial-humaner Werte. Eine Respektperson überzieht man nicht mit lärmigen Übergriffen à la Bern Bethlehem.

Wer mit achtsamer Autorität zu führen gelernt hat, wird in der Dynamik einer pulsierenden Klasse bestehen. Das ist im heutigen Gedränge des Unterrichtszimmers zwar keine Garantie gegen renitentes Schülerverhalten, aber eine wichtige Prävention – im Wissen: Kinder suchen einen «Leader». In der amerikanischen Pädagogischen Psychologie heisst es pragmatisch: «Teachers are leaders of learning and learners.» Lehrer führen das Lernen und die Lernenden. Wer dieses elementare Handwerkszeug in der Grundbildung gelernt hat, braucht keine «Neue Autorität».

[1] Nina Fargahi, An den Schulen boomt die «Neue Autorität», in: Tages-Anzeiger 16.01.2024, S. 4.

[2] Susanne Balli, «Neue Autorität»: Ein Konzept macht Schule, in: CH Media, 29.01.2024, S. 19.

[3] Julia Hofer, Tohuwabohu im Klassenzimmer, in: Beobachter 25/2021, S. 92.

[4] Haim Omer/Arist von Schlippe (2010), Autorität durch Beziehung. Die Praxis des gewaltlosen Widerstands in der Erziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Dazu: Haim Omer/Philip Streit (2016), Neue Autorität: Das Geheimnis starker Eltern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

[5] Jacob S. Kounin (2006), Techniken der Klassenführung. Standardwerke aus Psychologie und Pädagogik. Reprints von Jacob S. Kounin, hrsg. von D. H. Rost (2006). Waxmann: Münster/München/Berlin.

[6] Vgl. Roland Reichenbach (2011), Pädagogische Autorität. Macht und Vertrauen in der Erziehung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

 

 

 

 

 

 

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Die Kunst der Erziehung – nicht ohne Grenzen https://condorcet.ch/2020/08/die-kunst-der-erziehung-nicht-ohne-grenzen/ https://condorcet.ch/2020/08/die-kunst-der-erziehung-nicht-ohne-grenzen/#comments Sat, 01 Aug 2020 08:26:28 +0000 https://condorcet.ch/?p=5985

Die junge Lehramtstudentin aus Deutschland veröffentlicht ihre Artikel im Condorcet-Blog unter dem Pseudonym Anna Stahl. Immer wieder setzt sich die angehende Lehrerin kritisch mit dem Menschenbild auseinander, welches ihr in ihrer Ausbildung beigebracht wird.

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Kinderzentriert unterrichten: Jeder darf sein, was er will.

In einem didaktischen Seminar im Rahmen meiner Lehrerausbildung beschäftigen wir uns mit folgender Situation: In einer zweiten Klasse findet eine Deutschstunde statt. Es geht darum, dass sich die Kinder in einem Bewegungsspiel als Fantasiewesen aus einer zuvor vermittelten Erzählung bewegen sollen, um die thematisierten Eigenschaften der Tiere aufzugreifen und zu veranschaulichen. Die vom Lehrer festgelegten Wesen werden von 2 Schülern konsequent abgelehnt. Nun entbrennt eine lautstarke Diskussion über die zu wählenden Fantasiewesen. Nach einigem Durcheinander gibt der Lehrer seinen ursprünglichen Plan ab mit der Bemerkung, dass dann eben jeder sein dürfe, was er wolle, wohl wissend, dass dadurch der Sinn des Spiels abhandengekommen ist.

Das Handeln des Lehrers wurde von meinen Kommilitonen positiv bewertet, mich jedoch lässt es nachdenklich zurück. Ist es wirklich das, was wir den Kindern auf den Weg geben wollen? Hat der Lehrer damit wirklich einen praktikablen Kompromiss erreicht oder eher seine Autorität untergraben, weil die Wahl der Tiere keine willkürliche sein sollte, sondern ein didaktischer Gedanke dahinterstand? Hat er sich durch sein Nachgeben nicht seinem Erziehungsauftrag entzogen?

Mein Fazit ist, dass in diesem Beispiel ein Erziehungsstil lanciert wird, in dem den Kindern die letzte Entscheidungsgewalt zugesprochen wird. Die Option fällt weg, dass die Kinder etwas machen, was ihnen nicht gefällt.

Du darfst dich frei entfalten. Wenn mich als Lehrer etwas stört, dann bitte ich dich ganz lieb, dein Verhalten zu ändern. Wenn ich gar nicht mehr weiter weiß, drohe ich womöglich noch, aber ich ziehe nicht die Konsequenzen.

Während meiner Arbeit an den Schulen komme ich mit interessanten Auswirkungen dieses Erziehungsstils in Berührung. Denn er geht nicht nur von den Eltern aus, sondern hat sich mittlerweile fest in einigen Köpfen der neuen Lehrergeneration eingenistet. Ihr Mantra für das Kind lautet: Du darfst dich frei entfalten. Wenn mich als Lehrer etwas stört, dann bitte ich dich ganz lieb, dein Verhalten zu ändern. Wenn ich gar nicht mehr weiter weiß, drohe ich womöglich noch, aber ich ziehe nicht die Konsequenzen.

Das wäre autoritär

Der „neue Lehrer“ setzt keine Grenzen, denn das wäre autoritär. Die „neue Lehrerin“ arbeitet auf der Beziehungsebene, will auf Augenhöhe in der Grundschule agieren. Sie reden von Präsenz und von den Schwingungen im Klassenraum. Für eigene Fehler werden Ausreden gesucht, Hauptsache die Kinder haben „Spaß“. Sie sind am liebsten die Kumpel, die von allen gemocht werden. Vergeblich suche ich in diesem Umgang unsere Hauptaufgabe: nämlich den Auftrag, die Kinder zu bilden. Dafür braucht es auch Freude, vor allem aber Arbeit auf der Beziehungsebene. Doch, um meiner Aufgabe als Lehrerin gerecht zu werden, benötigt es insbesondere ein konsequentes Auftreten, klare Regeln und Strukturen. Es ist die Symbiose aus Herz, Regeln und Strukturen, die Kinder anspricht und mitzieht.

Die Krux mit dem NEIN

Der „neue Lehrer“ hat aber vor allem Angst davor, dem Kind mit seinen angedrohten Konsequenzen zu schaden. Deshalb unterlässt er aufgrund einer Mischung aus Mitleid, Angst vor Uneinigkeit und schlechten Schwingungen lieber die Durchführung der Konsequenzen. Doch damit schadet man als Lehrer – meiner Ansicht nach – doppelt. In der Erziehung reicht nicht immer ein vorsichtiges, zaghaft bittendes Nein. Ein sicheres Nein ist von Nöten. Erst das klar formulierte Nein ermöglicht es dem Kind, Grenzen zu erkennen. Aber auch eine Stärkung der Persönlichkeit wird so ermögicht. Manchmal ist diese augenscheinliche Missstimmung geradezu notwendig, um die Persönlichkeit des Kindes zu fördern und ihm solche Verhaltensweisen aufzuzeigen, die es zu einem positiven und produktiven Selbstzwang führen. Autorität kann im Jugendalter erst kritisch hinterfragt werden, wenn diese im angemessenen Maße erfahren wurde.

Iwan Alexandrowitsch Iljin, 1883 -1954, russischer Philosoph, Schriftsteller und Publizist: Nicht von sich aus zügellos.

Im Leben wird einem nicht immer alles recht gemacht, man kann nicht fortwährend tun, worauf man gerade Lust hat, und es gibt Momente, in denen man nicht seinen Willen bekommt. Die Schule soll auf das Leben vorbereiten, doch nicht nur bezogen auf Lehrplaninhalte, sondern auch in erzieherischer Hinsicht. Dazu gehört, dass Lernen für die Kleinen harte Arbeit ist, vor der man die Kinder aber nicht immer bewahren kann und sollte. Nicht nur das:  Als Lehrer sollten wir die Kinder gerade dazu erziehen, dass man nicht alles nach eigenem Gusto bestimmen kann, sondern dass man auch Aufgaben erledigen muss, die einem nicht gefallen. Es sollte die Aufgabe von Eltern und Lehrern sein, diesem Erziehungsauftrag gerecht zu werden, damit die Kinder später gefestigt im Leben stehen können.

Ich möchte den Artikel mit einem Zitat des Philosophen Iwan Iljin schließen. Es ist provokant formuliert, regt vielleicht aber nicht nur mich zum Nachdenken an.

„Der zügellose Mensch ist nicht nur von sich aus zügellos geworden, sondern auch durch eine Öffentlichkeit, die ihm erlaubt hat, zügellos zu werden. Nur dort ist alles erlaubt, wo die Menschen sich alles erlauben.“

Anna Stahl

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