N - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Mon, 04 Oct 2021 15:39:34 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png N - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Das United World College – eine faszinierende Bildungsinstitution https://condorcet.ch/2021/10/das-united-world-college-eine-faszinierende-bildungsinstitution/ https://condorcet.ch/2021/10/das-united-world-college-eine-faszinierende-bildungsinstitution/#respond Mon, 04 Oct 2021 11:53:25 +0000 https://condorcet.ch/?p=9407

Die Leserinnen und Leser des Condorcet-Blogs wie auch die Redaktion sind mehrheitlich entschiedene Anhänger der Öffentlichen Schule. Dass wir heute Jürgen Capitain die Möglichkeit geben, das UWC vorzustellen, hat mit der faszinierenden Ausrichtung dieser Privatschule zu tun und auch mit der Tatsache, dass das UWC keine Geldschule für privilegierte Jugendliche ist

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Jürgen Capitain, pensionierter Gymnasiallehrer, wohnhaft in Evilard bei Biel und Mitglied des National Committee Switzerland: Hier werden soziale Projekte in der Umgebung der Colleges unterstützt, und es wird Freiwilligenarbeit geleistet.

Die Geschichte der United World Colleges begann vor etwa 60 Jahren mit der Gründung des Atlantic College 1962 in Wales. Kurt Hahn, der Gründer, wollte seine Idee umsetzen, junge Menschen aus aller Welt gemeinsam zu unterrichten, gleichgültig, welcher Rasse, Religion oder politischen Richtung sie angehörten. Er glaubte daran, dass Jugendliche im Alter von 16 Jahren offen genug seien, um sich gegenseitig positiv zu beeinflussen und kulturelle Missverständnisse im gemeinsamen Erleben und Lernen abzubauen. Und im Gegensatz zu anderen Privatschulen sollten Stipendien gewährleisten, dass alle von National Committees gewählten Kandidat*innen, unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Eltern, an einem United World College studieren konnten.

Zwölf Jahre später wurde das zweite UWC gegründet, das Pearson College UWC in Kanada. Lester Pearson, kanadischer Premierminister und Friedensnobelpreisträger, erachtete die UWC Bewegung als eine geradezu revolutionäre Kraft im Bereich internationaler Erziehung. Die Abstände zwischen der Gründung einzelner Colleges wurden kürzer, schon 1975 wurde das UWC South East Asia gegründet, 1981 wurde die bereits existierende Schule Waterford Kamhlaba in die UWC-Bewegung aufgenommen und in Waterford Kamhlaba UWC of Southern Africa umbenannt. Der Name ‚Kamhlaba’ stammt von einem König von Swaziland, der betonte: “Wherever you are in the world, the earth does not distinguish who you are. You live in it whatever your colour, whatever your religion, whatever your race. You live in it and it does not try to ostracise you or show any difference as to what you are. And this is the meaning of Kamhlaba.” D.h., die Grundidee dieser Schule war die gleiche, die auch zur Gründung des Atlantic College geführt hatte. Inzwischen gibt es weltweit 18 United World Colleges.

Inzwischen gibt es weltweit 18 United World Colleges.

UWC-Abgänger schliessen mit dem international anerkannten IB (International Baccalaureate) ab, der ihnen den Zugang zu Universitäten weltweit ermöglicht.

Im Gegensatz zu anderen Formen des Schüleraustauschs, der normalerweise nach einem Jahr mit der Rückkehr nach Hause beendet ist, studieren die Schüler*innen die letzten zwei Jahre vor dem gymnasialen Abschluss an einem UWC. Sie schliessen mit dem international anerkannten IB (International Baccalaureate) ab, der ihnen den Zugang zu Universitäten weltweit ermöglicht. Viele der UWC Schüler*innen aus der Schweiz studierten anschliessend an einer Schweizer Universität, andere studierten in den USA (z.B. Princeton, Duke, Stanford, Hawaii) oder England (z.B. London School of Economics, Imperial College) oder weiteren Universitäten im Ausland.

Das akademische Niveau der UWCs ist sehr hoch, die Lehrkräfte sind äusserst motiviert und hervorragend qualifiziert.

Das akademische Niveau ist hoch.

Das akademische Niveau der UWCs ist sehr hoch, die Lehrkräfte sind äusserst motiviert und hervorragend qualifiziert. Und aufgrund der Tatsache, dass die Schüler*innen mit den unterschiedlichsten Lernhintergründen aus zum Teil extrem verschiedenen Bildungssystemen in ihren Heimatländern kommen, entwickelt sich sozusagen von selbst eine innovative Kraft, und zwar in allen Fächern. Es werden zwar weniger Fächer unterrichtet als an Schweizer Gymnasien, diese allerdings mit mehr Tiefgang. Das IB erfordert Eigenverantwortung, legt Wert auf selbständiges Lernen und bereitet so optimal auf ein Hochschulstudium vor. Kleine Klassen erlauben individuelle Förderung und kritische Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. Für das akademische Programm sind normalerweise der Morgen und der frühe Nachmittag reserviert.

UWC-Indien: Hier werden soziale Projekte in der Umgebung der Colleges unterstützt, und es wird Freiwilligenarbeit geleistet.

Neben der akademischen Ausbildung nehmen alle Schüler*innen an einem ausserschulischen Programm am Nachmittag teil, das aus drei Teilen besteht: Creativity, Action und Service (CAS). Der Bereich ‚Creativity’ umfasst z.B. ein Engagement im musischen Bereich (Theater, Musik, Malerei etc.), Workshops im Bereich ‚Action’, die z.T. auch von Studierenden selbst geleitet werden können, bieten verschiedenartigste Sportarten an, aber auch Naturerlebnisse, etwa zweiwöchige Wanderungen in kleinen Gruppen in einem Naturpark in der Nähe des UWC USA. Und was die Ausbildung an einem UWC vielleicht am meisten von der an einem Schweizer Gymnasium unterscheidet, ist der Bereich ‚Service’. Hier werden soziale Projekte in der Umgebung der Colleges unterstützt, und es wird Freiwilligenarbeit geleistet. Die Studierenden erhalten auch Grundkenntnisse in der Landessprache ihrer Colleges, damit sie Kontakt zur lokalen Bevölkerung knüpfen können. Zudem werden die Schüler*innen aufgefordert, eigene Projekte zu entwickeln, die, wenn nötig, von den Lehrkräften unterstützt werden können. Ziel ist es, die Eigeninitiative und das Verantwortungsbewusstsein der Jugendlichen zu fördern. Und dabei entstehen aufgrund der Verschiedenheit der nationalen wie sozialen Herkunft der Studierenden spannende Diskussionen, interessante Ideen und Lösungsansätze. Alle diese Aktivitäten sind auch zu sehen im Kontext der Idee, dass UWC Schüler*innen künftige ‚Changemaker’ sein sollten, die sich gesellschaftlich engagieren.

Nach dem Anmeldeschluss Ende November trifft eine Auswahlgruppe eine Vorentscheidung und lädt die etwa zehn überzeugendsten Kandidat*innen zum Selection Day im Januar ein, an dem ein etwa zwanzigminütiges Interview geführt und ein Aufsatz (in einer der Landessprachen oder Englisch) geschrieben wird.

Die Rolle der National Committees

In über 150 Ländern gibt es UWC National Committees, die vor allem zwei Aufgaben haben. Sie wählen die Kandidat*innen aus, in der Schweiz jeweils etwa drei bis fünf pro Jahr. Nach dem Anmeldeschluss Ende November trifft eine Auswahlgruppe eine Vorentscheidung und lädt die etwa zehn überzeugendsten Kandidat*innen zum Selection Day im Januar ein, an dem ein etwa zwanzigminütiges Interview geführt und ein Aufsatz (in einer der Landessprachen oder Englisch) geschrieben wird. Ausserdem finden während des ganzen Tages Gruppenübenübungen statt. Die zweite Aufgabe der National Committees ist es, für das Studium an einem UWC (Teil-)Stipendien zu vergeben, die durch Beiträge von Mitgliedern, Ehemaligen und Gönnern, z.B. Stiftungen, finanziert werden.

Nelson Mandela präsidierte die UWC-International von 1995 bis 1999: Powerful cells of innovation, catalysts for change.

Nelson Mandela, der von 1995 bis 1999 gemeinsam mit Queen Noor von Jordanien die UWC Bewegung präsidierte und anschliessend bis zu seinem Tod Ehrenpräsident war, begründete sein Interesse an den und seinen Einsatz für die United World Colleges mit den Worten: “The virtue and the strength of UWC is that it provides small, but powerful cells of innovation, catalysts for change, breaking barriers of habit and opening broader vistas of experience for both pupils and educationalists.” Dieser Satz formuliert präzis die Gründe, weshalb die UWC Bewegung eine Erfolgsgeschichte wurde.

 

Jürgen Capitain

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wo holistische Modelle scheitern: Ein Unterrichtsprotokoll https://condorcet.ch/2020/02/wo-holistische-modelle-scheitern-ein-unterrichtsprotokoll/ https://condorcet.ch/2020/02/wo-holistische-modelle-scheitern-ein-unterrichtsprotokoll/#comments Tue, 25 Feb 2020 14:39:58 +0000 https://condorcet.ch/?p=4123

Ein junger Lehrer unterrichtet an einer 7. Reaklasse zwei Lektion NMM-Natur. Er will es gut machen, ganz wie er es in seiner Ausbildung gelernt hat: Gruppenarbeiten, selbstentdeckendes Lernen, Diskussionen. In der Absicht, dass die Schüler etwas lernen. Er stösst auf Hindernisse und reagiert. Lesen Sie das anonymisierte Unterrichtsprotokoll von B. auf unserem Condorcet-Blog.

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B. arbeitet nicht mehr an dieser Schule.

Ich hatte als Fachlehrer eine Doppellektion im NMM-Natur an einer 7. Realklasse zu geben. Ich gebe gerne Naturlektionen. Es ging um den Themenbereich Mensch und Tier. Und da es sich um eine disziplinarisch schwierige Klasse handelte, bereitete ich mich auch entsprechend sorgfältig vor. Meine Doppellektion sah methodisch sämtliche als modern geltenden methodischen Ansätze vor, so wie es heute in den Lehrerausbildungsstätten gelehrt wird. Ich plante:

1. ein Präkonzept zu erheben: Gruppenauftrag, Zuordnungen, intern differenziert, anschliessende Diskussion über Ergebnisse, Erfahrungsaustausch

2. und wenn noch Zeit bleibt, mit dem Film “Geschichte der Naturlandschaft Schweiz” weiterzuarbeiten (samt Erstellen eines gemeinsamen Filmprotokolls).

Für die Vorbereitung der Doppellektion (es beinhaltete neben Wandtafel-Einträgen auch das Bereitstellen von Material) benötigte ich knapp 50 Minuten, was ich am Mittag in der Schule erledigt hatte.

Dieses Protokoll verfasste ich dann kurz nach den beiden gehaltenen Lektionen:

13.45 Uhr 

Ich betrete das Klassenzimmer, es ertönt ein rechtes Gegröle, ich werde begrüsst mit: Hallo, Herr B., wie geht’s, Herr B? Drei Schüler reden miteinander, nehmen keine Notiz von mir. A. kommt zu mir und will etwas sagen. Es herrscht grosser Lärm. Ich rede laut, betone, dass ich jetzt hier sei, schicke alle an die Plätze, fordere A. auf, die Hand zu heben, um zu sagen, was er wolle. A. meint, er habe Kopfweh. Was ich damit tun solle, frage ich. Er brummelt etwas. Ich wiederhole noch einmal, dass ich immer noch nicht wisse, was er mir sagen wolle, ob er nach Hause gehen wolle, ich sei kein Arzt. Daraufhin winkt er ab.

13.50 Uhr  

Ich erkläre die Unterrichtsinhalte und fordere die Klasse auf, sich in den NMM-Raum zu begeben. Vorher gebe ich an, was mitzunehmen sei: Dossier, Schere, Leim, Schreibzeug. Die Klasse grölt laut, alle rennen hinunter, die Türe ist verstopft, es kommt zu wüsten Wortwechseln, Sachen fallen auf den Boden.

13.55 Uhr 

Ich erkläre den Auftrag und weise die SchülerInnen auf die Plakatdarstellung an der Wandtafel hin. Auch die Gruppen mit Namen sind an der Wandtafel aufgeführt. Trotzdem kommt es vor, dass ich mich zur Tafel drehen muss. Jedes Mal, wenn ich mich umdrehe, höre ich ein lautes Zischen, vermutlich von E. und J. Ich ermahne die Betreffenden, dass sie mit den Geräuschen unverzüglich aufhören sollen. Sie erklären, sie täten ja gar nichts. Ich drehe mich wieder um, um etwas zu zeichnen, und höre erneut – laut vernehmbar – ein Glucksen, was von einem Kichern begleitet wird. V. nervt sich und fordert laut Ruhe. Ich kann die Täter nicht genau eruieren, spreche aber E. noch einmal direkt an und verwarne ihn.

14.05  

Die (einfachen) Aufträge sind erklärt, die Gruppen eingeteilt (8 Gruppen, und H., ein motivierter und ambitionierter Schüler erhält einen Zusatzsprachauftrag). Rund die Hälfte der SchülerInnen hat weder Leim noch Schere, andere holen das Schreibzeug. Ich habe vorgesorgt und halte Ersatzwerkzeug bereit. Die Gruppen sind auf dem Stockwerk verteilt und können auch auf dem Gang arbeiten. Ich gehe von Gruppe zu Gruppe. Im Gang bemerke ich, wie drei Gruppen, Schk., A. /J, Ay., R. / S. und B. miteinander reden, ohne am Auftrag zu arbeiten. Ich ermahne sie, setze sie auseinander, markiere Präsenz. Alle drei Gruppen wissen trotz Erklärung und schriftlich formuliertem Auftrag nicht, was zu tun ist. Ich erkläre ihnen den Auftrag noch einmal, betone, sie müssten bis 14.25 Uhr fertig sein. Ich gehe in den NMM-Raum, dort  arbeiten die Gruppen relativ gut. Ich hole die Gruppe im Gang und zeige, wie gearbeitet wird. Noch zehn Minuten. A. fragt mich, ob er auf die Toilette gehen dürfe. Ich erkläre ihm, es dauere noch zehn Minuten, der Gruppenauftrag müsse fertig werden. Das sei kein Problem, meint A., geht auf die Toilette und erscheint nach 7  Minuten wieder. Die Schülerin in seiner Gruppe macht alles alleine, schafft es aber nicht, zeitgemäss fertig zu werden. Ebenso die anderen Gruppen im Gang: S. und B. machen alles falsch, was man falsch machen kann. Nur zwei Gruppen schaffen den Auftrag in der entsprechenden Zeit.

Pause

Nach der Pause sind 5 Schüler nicht im NMM-Raum. Sie seien oben im Klassenzimmer, heisst es. Ich lasse sie holen. Sie sagen lachend, sie hätten gedacht, die 2. Lektion finde oben im Klassenzimmer statt. Die Klasse beginnt plötzlich zu grölen. Es folgt ein hysterisches Kreischen, einige flippen fast aus. Der Grund: Notizzettel sind wie ein Kifferjoint zusammengedreht im Mundwerk des Skeletts hinter dem Lehrerpult zu sehen, ein anderer Notizzettel hängt im Genitalbereich. Ich nehme die Papiere weg, versuche zu beruhigen, was nur schwer gelingt. Ar. lacht sich fast „kaputt“. Ich kann einige nicht bremsen und muss sie hinausschicken. Riesige Unruhe, ich werde laut, die Klasse verstummt. Ein Gespräch über die Ergebnisse ist so nicht möglich. Ich entschliesse mich, auf Präsentation und Interpretation der Resultate zu verzichten. Ich fahre mit dem begonnenen Film fort und bitte die Klasse, die Dossiers hervorzunehmen. 8 SchülerInnen haben keine. Ich schicke sie hinauf, um sie zu holen. Erneut lautes Gegröle und Gekreische. Ich wende mich an die Schüler, die sich im NMM-Raum befinden, ob sie sich nicht manchmal genieren wegen ihres Verhaltens. Mehrere SchülerInnen (vor allem die Mädchen) beklagen sich heftig über ihr Benehmen. „Es ist peinlich,“ meint V. „Wir sind eine Behindertenklasse,“ meint ein anderer. Ich sage ihnen, dass ich hier sei, damit sie etwas lernen. Sie müssten halt auch Mitverantwortung übernehmen. Sie meinen, das nütze ja eh nichts.

14.45

Ich beginne den zweiten Teil, das Abspielen einer DVD, allerdings ohne die acht SchülerInnen, die immer noch oben im Klassenzimmer sind, um angeblich ihr Dossier zu suchen. Die Fragen zum Film haben sie schon das letzte Mal erhalten. Da zwei Schüler nicht da waren und mit Se. auch noch ein Neuer in der Klasse ist, wiederhole ich die ersten Fragen des Filmprotokolls und lasse die aufmerksamen SchülerInnen die Antworten vorlesen. Das geht sehr gut, sie machen mit.

14.50

Ich möchte den Film jetzt zeigen, aber die 8 SchülerInnen sind immer noch nicht da. Ich schicke B. hinauf, da er nun auch gemerkt hat, dass er das Dossier mit den Fragen zum Film nicht bei sich hat. Ich schalte noch eine Frage dazwischen, B. kommt hinunter (mit seinem Dossier). Die anderen seien oben am suchen (es sind jetzt bereits 11 Minuten vergangen!!!). Ich starte den Film.

14.53 

Die SchülerInnen von oben treten in den NMM-Raum. Ich schicke sie hinaus, während der Film läuft und stelle sie zur Rede. Sechs haben das Dossier nicht mehr, zwei haben es gefunden. Ich notiere die Namen.

14.58

Ich halte den Film an. Die SchülerInnen sollen die Fragen 10-14 beantworten. Viele haben Mühe, wissen nicht, was gesagt wurde, ich helfe, werde aber von J. immer wieder mit bewusst falschen Antworten (“Wiesentier?”– Antwort: “Nashorn”, kicher, kicher) unterbrochen. Es wird lauter.

15.02

Ich habe genug. Jetzt ändere ich den Unterrichtsstil und schalte um. Ich beschliesse, die Klasse eng zu führen. Kündige dies an und schicke den ersten Schüler, der herummault, mit einem Schreibauftrag hinaus. Ich sorge für strikte Ruhe. Ich zeige Filmsequenzen, halte den Film an, lasse mir die Antworten diktieren, schreibe sie an die Tafel, die Klasse schreibt ab. Es herrscht Ruhe, zum ersten Mal kommt so etwas wie Konzentration auf, wir kommen vorwärts. Ein weiterer Schüler wird mit Auftrag (den er ohnehin nicht machen wird) hinausgewiesen.

15.20

Ich sammle das ausgeliehene Material ein. Es fehlen zwei Scheren und drei Leimstifte. Nach längerem Insistieren kommen die Scheren zum Vorschein, die Leimstifte bleiben verschwunden.

Mein Fazit:

Ich kann in dieser Klasse kaum einen fördernden, den konstruktivistischen Prinzipien verpflichtenden individualisierenden NMM-Unterricht durchführen. Darunter leiden vor allem die leistungswilligen SchülerInnen, die es regelrecht „anscheisst“. Andere SchülerInnen sind völlig überfordert, wenn ich nicht individualisiere, das heisst ganz einfach, Aufträge zu erteilen. Individualisierung aber setzt die Bereitschaft voraus, selbständig zu arbeiten. Mir fällt der aussergewöhnlich rüde Umgangston während der Gruppenarbeit auf. Aus den nichtigsten Anlässen (A: “Wo hast du das hingeklebt?” – S.: “Unter Säugetiere.” – A.: “Halt d’Fresse du huere Lugisiech!”) werden kränkende und unschöne Dialoge geführt. Der von mir in der letzten Viertelstunde praktizierte „geführte Unterricht“ sorgt dagegen für Ruhe, ist etwas effizienter und führt zu kleinen Lernerfolgen.

Der Lehrer – er ist nicht der Klassenlehrer – schickte mir sein Unterrichtsprotokoll, das er ursprünglich für die Schulleitung erstellt hat. Es ist anonymisiert.

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