Logopädie - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 22 Sep 2023 07:13:16 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Logopädie - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 “Wir müssen handeln. Und zwar schnell.” https://condorcet.ch/2023/09/wir-muessen-handeln-und-zwar-schnell/ https://condorcet.ch/2023/09/wir-muessen-handeln-und-zwar-schnell/#comments Fri, 22 Sep 2023 07:13:16 +0000 https://condorcet.ch/?p=14979

Der Basler Erziehungsdirektor gibt zu, dass das Pendel wohl etwas stark in die Richtung der ausnahmslosen Integration geschwungen ist. Das soll nun korrigiert werden. Wir bringen ein Interview des BaZ-Journalisten Sebastian Briellmann, das in der Basler Zeitung erschienen ist.

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Conradin Cramer, die integrative Schule steht in Basel-Stadt schon lange in der Kritik – nun unterlegt ein “Reporter” des Schweizer Fernsehens diese Kritik mit erschreckenden Bildern. Wie tief sitzt bei Ihnen der Schock?

Von einem Schock mag ich nicht sprechen. Der Film bestätigt aber meine Einschätzung: Wir müssen handeln. Und zwar schnell. Und deshalb haben wir ja bereits ein Massnahmenpaket auf den Weg gebracht, das wir noch dieses Jahr dem Grossen Rat vorlegen (vgl. Box 1). Damit – und das möchte ich betonen – solche Zustände nicht länger bestehen. Aber ich möchte auch sagen: Diese Klassen sind eine Ausnahme und nicht die Regel in Basler Schulhäusern.

Wenn eine erfahrene Lehrerin in die Kamera sagt, dass sie hilflos, kraftlos sei, sie so nicht mehr weitermachen könne, fragt man sich: Wieso sind solche Zustände nicht schon viel früher erkannt und behoben worden?

Weil die Anzahl Kinder, die Sondersettings benötigen, in den letzten Jahren dramatisch angestiegen ist (vgl. Box 2). Das ist tatsächlich beängstigend. Bei gewissen Klassen ist deswegen eine Grenze erreicht oder überschritten worden: Wenn Lehrpersonen nicht mehr unterrichten können, ist das ein grosses Alarmzeichen.

Hätten Sie nicht früher schärfer eingreifen müssen? Sie sind seit sechseinhalb Jahren im Amt – und man hat von aussen schon das Gefühl, dass die Probleme nicht wirklich offen diskutiert worden sind, wegen eines LDP-SP-Nichtangriffspakts.

Also ich finde schon, dass gerade über die integrative Schule sehr offen debattiert wird. Aber zur Frage: Wenn ich die Zahlen von besonderen Unterstützungsmassnahmen, die nötig sind, zwischen meinem Amtsantritt und jetzt, also innerhalb von sechseinhalb Jahren, vergleiche: Dieser Anstieg ist enorm. Den hat man nicht voraussehen können. Ich wäre gerne zwei Jahre früher dran, aber die Pandemie hat uns ausgebremst.

 

“Es gibt eben nicht die eine Kausalität, an der wir ansetzen und sagen können: Wenn wir das und jenes behoben haben, gehts den Kindern wieder besser.”

 

Die Missstände sind nicht erst seit Corona bekannt. Gibt es nun wenigstens Erkenntnisse, warum so viele Kinder ein Sondersetting – oder nicht selten sogar mehrere – benötigen?

Wir kennen gewisse Gründe, allerdings hat auch die Forschung nicht die alles erklärende Antwort. Man diagnostiziert früher – und mehr. Es gibt mehr psychische Erkrankungen in der Gesellschaft. Ebenfalls ist eine Zunahme an problematischen Familienkonstellationen erkennbar. Aber es gibt eben nicht die eine Kausalität, an der wir ansetzen und sagen können: Wenn wir das und jenes behoben haben, geht’s den Kindern wieder besser. Sehen Sie: Wir sind für alle Kinder da, die kommen – und jedes hat Anspruch auf die Förderung, die es braucht.

Ein Vorschlag, der im Film von Lehrern geäussert wird: Anstatt allein soll zu zweit in der Regelklasse unterrichtet werden. Damit müssten auch nicht so viele Kinder auf dem Gang oder draussen arbeiten. Überzeugt Sie dieser Vorschlag?

Das Doppel-Unterrichten gibt es heute schon, deshalb: ja. Und es zeigt sich, dass in schwierigen Klassen das Unterrichten allein oft nicht mehr geht – dann braucht es mehr als eine Lehrperson. Klar ist: Wir müssen mehr Ruhe in die Klassen bringen. Das ist denn auch das Ziel unseres Massnahmenpakets.

Vor 18 Monaten haben Sie im BaZ-Interview gesagt: “Es gibt kein Geläuf in den Klassen.” Im Film ist ersichtlich: Doch, das gibt es …

Auch das wollen wir mit unserem Massnahmenpaket verbessern. Wenn es zu viele Kinder mit besonderer Unterstützung gibt, entsteht diese Unruhe. Aber nochmals: Die im Film gezeigten Klassen sind Ausnahmen. Eine der Massnahmen, die wir deshalb vorschlagen, sind Lerninseln. Sie sollen die Möglichkeit bieten, unruhige Kinder vorübergehend aus der Regelklasse zu nehmen.

 

“Es wird neue separative Elemente geben, die die Situation stark entlasten sollen. Das sind substanzielle Eingriffe.”

 

Aber solche Klassen sind doch keine Einzelfälle mehr. Sie rütteln jedoch nicht an der integrativen Schule – und sagen: Das braucht einfach seine Zeit.

Ja. Dazu stehe ich auch. Ich muss jedoch betonen, dass ich innerhalb der integrativen Schule wirklich Reformbedarf sehe. Das Massnahmenpaket wird grundlegend sein. Es wird neue separative Elemente geben, die die Situation stark entlasten sollen. Das sind substanzielle Eingriffe. Aber wir möchten nicht zurück zu den Kleinklassen – weil alle Studien zeigen: Integration vor Separation ist der erfolgversprechende Weg für Kinder, die es schwer haben. Sei es wegen ihrer Herkunft und der Sprache, sei es wegen einer Beeinträchtigung.

Ihr Argument ist doch vor allem jenes: Kleinklässlern hat früher ein Stigma angehaftet. Ist es nicht umgekehrt? Wer ständig aus einer Regelklasse in ein Setting muss, spürt doch auch: Bei mir ist etwas anders …

Natürlich. Kinder merken sehr gut, was vorgeht. Aber die Lehrpersonen sind Profis – und schauen, dass sich die Schüler nicht stigmatisiert fühlen, dass Fördermassnahmen niemanden ausgrenzen. Das Problem bei den Kleinklassen ist für mich der Weg zurück in die Regelklasse, der für diese Schülerinnen und Schüler so schwierig ist. Einmal dort, immer dort. Und dann fehlen die Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Das sagt auch die Wissenschaft. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Wir sind in Basel nicht für die ausnahmslose Integration. Aber das Pendel ist wohl etwas stark in diese Richtung geschwungen. Das soll nun korrigiert werden.

Sind die Missstände überhaupt noch eine Frage des integrativen Modells – und nicht eher ein grundlegendes Problem der öffentlichen Schule?

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das ungefiltert auf die Schulen prallt. Kinder, die sehr wenig von zu Hause mitbringen, weil sie noch nie im Wald gewesen sind, ihre Schuhe nicht selber binden und nicht auf einem Bein stehen können: Das ist Realität an Basler Schulen – und ja: Das überfordert sie zunehmend. Denn klar ist: Unsere Kernaufgabe ist eigentlich nicht die Erziehung, sondern die Bildungsvermittlung.

 

“Wenn Lehrer nicht mehr wirksam unterrichten können, ist das ein Alarmzeichen.”

 

Ist Letzteres überhaupt noch möglich?

Gewisse Bereiche muss man ganz neu denken. Es muss schon vor der Schule viel mehr passieren. Die Betreuung in den Kitas ist top, am Zentrum für Frühförderung kann Logopädie schon im Kleinkindalter helfen – und es gibt die obligatorische Deutschförderung für Dreijährige. Diese wollen wir jetzt weiter ausbauen. Das braucht auch mehr Geld, kein Zweifel.

Ist das noch realistisch? Es gibt so viele Probleme – und viele Lehrer geben nach wenigen Jahren im Beruf entnervt auf …

Wenn Lehrer nicht mehr wirksam unterrichten können, ist das ein Alarmzeichen. Aber wir haben genügend Bewerbungen von jungen Lehrern, die genau an solchen Schulen etwas bewegen wollen – und nicht in einem Dorf fernab auf dem Land.

Sie haben im Fernsehen gesagt: Änderungen brauchen eine Generation, bis sie wirken. Haben wir diese Zeit noch?

Wir sind nicht zu spät dran, aber es ist höchste Zeit für die Massnahmen, die wir vorschlagen. Aber nochmals eine Reform, die alles auf den Kopf stellt: Das sehe ich nicht als zielführend an. Das System ist an einer kritischen Grenze angekommen, aber noch immer tragfähig.

 

Kommentar:

Sebastian Briellmann, Journalist bei der Basler Zeitung BaZ

Schon eine ganze Weile lang verbleibt nicht mehr einfach jeder verhaltensauffällige Schüler in einer Regelklasse: Es gibt kleine Gruppen – und ebenfalls Kleinstklassen mit nur zwei, drei Kindern. Aber dass das schon lange nicht mehr reicht: Das weiss auch Conradin Cramer. Aus Überzeugung will er nun weitere Massnahmen präsentieren, das schon auch – aber vor allem, weil es da eben auch noch die Förderklasseninitiative, die wieder deutlich mehr auf Separation setzt, gibt und die wie ein Damoklesschwert über der Politik des Erziehungsdirektors hängt. Kommt dazu: Zuletzt hat Cramer auch im Parlament mehr Widerstand erfahren müssen, hat eine Mehrheit einer Motion der FDP für Einführungsklassen – wenn ein Kind nach dem Kindergarten noch nicht reif für die Primarschule ist, soll es die 1. Klasse in zwei Jahren absolvieren dürfen – gegen seinen Willen zugestimmt. Nun also wird Cramer in diesem Jahr ein grosses Massnahmenpaket vorlegen, das den Förderklasseninitianten weit entgegenkommen soll. Ob das reichen wird, um einen Rückzug der Initiative zu erreichen, ist derzeit allerdings unsicher. (sb)

 

Zwischen den Schuljahren 2016/17 und 2022/23 – also ziemlich genau während der Amtszeit von Conradin Cramer – ist die Anzahl von Basler Schülern (ohne Riehen und Bettingen), die sogenannte verstärkte Massnahmen benötigen, massiv angestiegen. Waren es vor sieben Jahren noch 278 Kinder, die ein separatives Angebot in Anspruch genommen haben, waren es im letzten Schuljahr bereits 620. Zudem hat sich die Zahl der Schüler in Einstiegsgruppen – kleinere Klassen, zumeist für Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse – in dieser Zeitspanne von 88 auf 199 erhöht. Der Anstieg um 95 Schüler im letzten Schuljahr, schreibt das Erziehungsdepartement (ED), «ist auf die 90 Ukraine-Flüchtlinge zurückzuführen, die ein solches Angebot besuchen, um sich Deutschkenntnisse anzueignen». Die Schülerzahlen der separativen Angebote sind in den letzten sieben Jahren von 525 auf 474 zurückgegangen. «Dies entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (Sonderpädagogik- Konkordat), wonach Schülerinnen und Schüler mit besonderem Bildungsbedarf vermehrt in Regelklassen zu fördern sind», schreibt das ED. (sb)

Sebastian Briellmann

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Logopädie – erfolgreich integrierende Therapie https://condorcet.ch/2020/03/logopaedie-erfolgreich-integrierende-therapie/ https://condorcet.ch/2020/03/logopaedie-erfolgreich-integrierende-therapie/#comments Wed, 18 Mar 2020 19:04:57 +0000 https://condorcet.ch/?p=4320

Kinder würden “unnötig therapiert” oder “Therapien würden dauernd zunehmen” ist eine – auch durch die Medien – weitverbreitete Meinung. Dabei werden die schulischen Therapien oft mit der Sonderpädagogik verwechselt. Es ist schon vorgekommen, dass Politiker solche Falschmeldungen als Grund für Budgetkürzungen genommen haben. Leidtragende sind dann immer die Kinder, die deswegen keine Therapie erhalten und denen so die Zukunft verbaut wird. Unser Autor Peter Aebersold überrascht unsere Redaktion immer wieder mit seinem Flair für den Sonderunterricht und die Beschreibung grosser Persönlichleiten, welche in diesem Bereich wirkten.

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Als Therapien gelten in der Volksschule die Logopädie, die Psychomotorik und Psychotherapie, alle anderen – wie sonderpädagogische Massnahmen – gelten nicht als Therapien. Die Therapien finden in einem Therapieraum mit einer Therapeutin und normalerweise einem Kind statt. Bevor eine Therapie stattfindet, wird – ähnlich wie beim Arzt – eine Diagnose mit Hilfe von geeigneten, meist validierten Diagnosetests erstellt. Rund 5 von 100 Kinder benötigen diese Therapien, davon rund 70% Logopädie. 2008 musste die Volksschule wegen dem Nationalen Finanzausgleich (NFA) alle bisher von der Invalidenversicherung (IV) bezahlten privaten Therapien übernehmen. Seither ist dieses Verhältnis unabhängig vom Anteil fremdsprachiger Schüler stabil geblieben. Die Therapeutinnen haben kein Interesse, unnötig Kinder zu therapieren, da sie oft eine längere Warteliste haben. Im Kanton Zürich zum Beispiel gibt es ein Kostendach – im Gegensatz zur Sonderpädagogik -, dass die Anzahl Therapeuten beschränkt. Es werden normalerweise nur Kinder in die Therapie oder auf die Warteliste aufgenommen, deren Eltern bereit zur Mitarbeit sind, damit auch daheim geübt wird und ein Therapieerfolg so möglich wird.

Die Logopädie als interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin grenzt an Teilgebiete der Medizin, der Linguistik, der Pädagogik sowie der Psychologie und beschäftigt sich dabei mit der Ätiologie, Diagnostik und Intervention hinsichtlich sämtlicher Kommunikations- und Schluckstörungen.

In der Logopädie werden Sprach-, Sprech-, Stimm-, Schluck- oder Hörbeeinträchtigungen behandelt und behoben. Vor dem Beginn einer Logotherapie findet eine Abklärung mit Tests statt. Dabei wird auch genau abgeklärt, ob eine Therapie notwendig ist oder ob ein allfälliger Entwicklungsrückstand auch ohne Therapie aufgeholt werden kann. Voraussetzung jeder Therapie ist der Aufbau einer Vertrauensbeziehung zwischen dem Therapeuten und dem Schüler. Die Störungen im Bereich der Logopädie umfassen eine grosse Bandbreite und reichen von fehlender oder falscher Lautbildung (sch, s, ch und R), falscher Zungenhaltung, mangelndem Wortschatz bis zu Stottern und Mutismus (Stummheit). Deshalb ist die Dauer der Therapie sehr unterschiedlich. Mangelndes Sprachverständnis be- oder verhindert das Lernen in fast allen Schulfächern.

Die Logopädie ist auch ein Kind der Wiener Schulreform und der jungen Tiefenpsychologie. Im Gegensatz zu Letzterer wurde sie jedoch schon früh von der Medizin akzeptiert und fand auch deshalb weltweite Verbreitung.

Emil Fröschels führte 1924 den Begriff Logopädie in den medizinischen Sprachgebrauch ein.

Der Laryngologe Emil Fröschels führte 1924 den Begriff Logopädie in den medizinischen Sprachgebrauch ein. 1913 hatte er sein Lehrbuch der Sprach- und Stimmheilkunde veröffentlicht, das mit den Werken des Begründers der Phoniatrie, Hermann Gutzmann sen., zur Anerkennung der Sprach- und Stimmheilkunde innerhalb der Medizin beitrug. 1920 errichtete er zusammen mit Kollegen und Pädagogen eine Sprachfürsorgestelle für Schulkinder der Stadt Wien. 1921 veranstalteten Emil Fröschels und Karl Cornelius Rothe in Wien erstmals Sonderkurse über Stimm- und Sprachheilkunde für Pädagogen, gründeten die Sprachheilschule zur Ausbildung von Sprachheillehrern in Österreich und gelten deshalb als Gründer der Sprachheilpädagogik. Fröschels gründete 1924 die internationale Gesellschaft für Logopädie und Phoniatrie (International Association for Logopedics and Phoniatrics IALP), deren Vorsitzender er von 1924 bis 1953 war. Er engagierte sich im Rahmen der Wiener Schulreform im Verein für Individualpsychologie bei der Erziehungsberatung und gründete 1926 ein individualpsychologisches Ambulatorium für

Alfred Adler, Mitbegründer der Wiener Schulreform, arbeitete eng mit Fröschels zusammen.

Er führte das Stottern auf psychische und nicht auf angeborene Ursachen zurück.

Sprachstörungen an der Poliklinik, das er in Zusammenarbeit mit Alfred Adler und Leopold Stein leitete. Seine Forschung galt den psychologischen Ursachen der verschiedenen Sprach- und Sprechstörungen. Er führte das Stottern auf psychische und nicht auf angeborene Ursachen zurück. Nach dem Anschluss Österreichs wurde Fröschels wegen seiner jüdischen Herkunft zwangsbeurlaubt, verlor seine venia legendi und emigrierte 1939 in die USA. Dort konnte er seine Tätigkeit fortsetzen und sie fiel auf fruchtbaren Boden.

Amerikanischer Logopädenverband beweist hohe Wirksamkeit der Logopädie

Der amerikanische Logopädenverband (American Speech-Language-Hearing Association, ASHA) dürfte mit seinen 211’000 Mitgliedern der weltweit grösste sein. Wegen den Sparmassnahmen im Gesundheitswesen und den Forderungen von Krankenkassen, Gesetzgebern, Behörden, Politikern und Eltern sah sich der Berufsverband mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Wirksamkeit der von den Logopäden erbrachten Dienstleistungen nachzuweisen. Um die kritischen Fragen im Zusammenhang mit den Behandlungsergebnissen beantworten zu können, führte der Verband ein freiwilliges Datenerfassungssystem (National Outcomes Measurement System, NOMS) mit aggregierten lokalen und nationalen Ergebnisdaten ein.

Amerikanische Studie weist hohen Effekt nach

Der Schlüssel zum NOMS ist die Verwendung der funktionalen Kommunikationsmassnahmen (FCM). Diese wurden entwickelt, um die funktionellen Fähigkeiten im Laufe der Zeit von der Aufnahme bis zur Entlassung aus der Logotherapie oder im Laufe eines Schuljahres zu beschreiben. Das System besteht unter anderem aus einer Skala mit sechs Stufen (FCMs) (von nicht vorhandenen bis erheblichen Schwierigkeiten), die für jeden Therapiebereich speziell formuliert wurden. Die Schwierigkeitsstufen sollten je nach Alter der Kinder erreicht werden können.

Eine Studie beweist die hohe Wirksamkeit

Die von der ASHA durchgeführte Wirkungsstudie basierte auf Daten von 4‘444 Vorschulkindern, die von 2006 bis 2010 logopädische Leistungen erhalten hatten. Die Stufen der funktionalen Fähigkeiten (FCMs) der Vorschulkinder wurden für jeden der folgenden Therapiebereiche speziell definiert: Pragmatische Therapie (kontextabhängige Bedeutung), Artikulation/Phonologie und Verständlichkeit, gesprochenes Sprachverständnis, Produktion gesprochener Sprache, Schlucken.

Sehr hohe Therapieerfolge bei der Integration von sprachauffälligen Kindern

Die ausgewerteten Daten zeigten, dass nach 12 bis 20 Therapiesitzungen bei rund 75% der Vorschulkinder Fortschritte in allen Therapiebereichen von mindestens einer Stufe möglich waren. In einzelnen Therapiebereichen konnten sich 20 bis 50% der Kinder um zwei Stufen verbessern. Eine kurzfristige Therapie half nur einer kleinen Gruppe von Kindern. Kinder mit schwereren Kommunikationsstörungen brauchten eine längere Therapie, um das gleiche funktionelle Kommunikationsniveau für ihre Altersgruppe zu erreichen, als Kinder mit weniger schweren Störungen.

Bei rund 70 Prozent der behandelten Kinder konnten die Sprachauffälligkeiten bei allen funktionalen Fähigkeiten zu 100% behoben werden.

Damit konnte nachgewiesen werden, dass bei rund 70 Prozent der behandelten Kinder die Sprachauffälligkeiten bei allen funktionalen Fähigkeiten zu 100% behoben werden konnten, so dass sie mit den Gleichaltrigen mithalten konnten und keine Therapie mehr benötigten. Bei 30 Prozent konnte immerhin eine Verbesserung erzielt werden. Diese Erfolgsquote wurde auch international bestätigt. Die vielfältigen Ursachen für weniger oder keine Fortschritte reichten von zu wenig Therapiestunden über Verweigerung der Kooperation durch Kinder oder Eltern bis zu Krankheiten.

Mit der Therapie, präventiven Massnahmen (unter anderem Reihenuntersuchungen im Kindergarten) sowie fachlichen Stellungnahmen, Empfehlungen und Unterstützung der Lehrpersonen leistet die Logopädie einen wichtigen Beitrag zur schulischen Integration bei Sprachauffälligkeiten. In der Schweiz wären ohne die logopädischen Therapien die 24 Prozent (Pisa 2018) der bei der Lesekompetenz getesteten Schweizer Schulabgänger unterhalb des minimalen Niveaus 2 vermutlich noch höher ausgefallen.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Fr%C3%B6schels

https://de.wikipedia.org/wiki/Logop%C3%A4die

https://www.asha.org/  American Speech-Language-Hearing Association (ASHA)

https://ialpasoc.info/  International Association of Logopedics and Phoniatrics (IALP)

 

 

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Bei der Logopädin https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/ https://condorcet.ch/2019/12/bei-der-logopaedin/#comments Thu, 12 Dec 2019 12:25:20 +0000 https://condorcet.ch/?p=3251

Endlich wieder einmal ein Beitrag aus der Elternperspektive. Condorcet-Autor und Redaktionsmitglied Daniel Goepfert schildert eine persönliche Erfahrung mit der therapeutischen Abteilung.

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Daniel Goepfert, BS, ehem. Grossratspräsident, SP, Gymnasiallehrer und dreifacher Vater

Die Stadt Basel brodelte, als ich meinen jüngeren Sohn um 14:00 Uhr zur Logopädin brachte. Das Gespräch fand in einem grossen, leeren Haus statt, die Stimmung war ein bisschen gespenstisch. Die Logopädin entschuldigte sich, sie sei soeben aus Biel nach Basel gezogen und hätte nicht gewusst, dass dieser Tag mitten in der Fastnacht liege. Ich gestand ihr, dass mir die Überschneidung der beiden Termine nicht nur bewusst gewesen sei, sondern dass sie mir damit einen Gefallen getan habe, weil ich ein Fastnachtsmuffel sei. Nach dieser Begrüssung wandten wir uns dem Problem meines Sohnes zu.

 

Wir schickten unseren Sohn allerdings nicht zur Logopädie, weil wir dachten, die Sache würde sich, wie bei anderen Kindern auch, von alleine auswachsen.

Schon seine Kindergärtnerin hatte meine Frau und mich darauf hingewiesen, dass er den Buchstaben „s“ falsch aussprach. Dasselbe wiederholte sich an der Primarschule. Wir schickten unseren Sohn allerdings nicht zur Logopädie, weil wir dachten, die Sache würde sich, wie bei anderen Kindern auch, von alleine auswachsen. Zudem hatte ich meinen Sohn geradezu zum Lispeln ermutigt, in dem ich sein Anstossen als „herzig“ bezeichnet und es im Gespräch mit ihm sogar imitiert hatte. Das würde ich in Zukunft unterlassen.

Die Primarlehrerin drängte auf eine Therapie

Die Primarlehrerin drängte jedoch auch auf eine Therapie. Ich bekam mit der Zeit den Eindruck, dass sie meine Frau und mich für renitente Eltern hielt, die das Problem ihres Kindes nicht ernst nahmen. Die Tatsache, dass wir beide Lehrkräfte waren, machte die Sache nicht besser. Langsam fürchteten wir, unser Sohn könnte mit der Zeit wirklich unter der Situation leiden, sei es wegen seines Lispelns, sei es wegen der mangelnden Kooperation seiner Eltern mit der Schule. Um das zu vermeiden, stimmten wir der Therapie schliesslich zu.

Gibt es in deiner Familie Probleme?

Nun waren wir also die knarrende Holztreppe hoch gestiegen und sassen zu dritt um einen kleinen, niedrigen Tisch: mein jüngster Sohn, die Logopädin und ich. Meine anderen Kinder und meine Frau vergnügten sich unterdessen an der Fastnacht, deren Dröhnen durch das Turmfenster eindrang. Die ersten Fragen drehten sich um die Personalien meines Sohnes. Dann wandte sich die Logopädin ihm zu und bedeutete mir, ich dürfe gerne im Raum bleiben. Damit sagte sie indirekt, dass ich von nun an zu schweigen habe. Mit den ersten Fragen ergründete sie, ob sich mein Sohn an der Schule wohl fühle, wie es mit dem Verhältnis zu den Lehrkräften bestellt sei und ob er Freunde habe. Dann fragte sie ihn, ob es in seiner Familie Probleme gebe. Ich hielt die Luft an und bewegte die Augen nach oben, was die Logopädin bemerkte. Ich sei sicher erstaunt über diese Frage, meinte sie. Die vorübergehende Redeerlaubnis nutzte ich, um mein Erstaunen zu bestätigen. „Wissen Sie“, so daraufhin die Logopädin, „eine schwere Sprachstörung kann ein Hinweis auf eine familiäre Dysfunktion sein.“ Darauf gab ich mir selbst das Wort und erwiderte, es handle sich beim Problem meines Sohns keineswegs um eine schwere Störung. Das genau kläre sie doch gerade ab, entgegnete die Logopädin, sie gehe aber auch davon aus, dass es nicht schwerwiegend sei.

Befund: Nichts Schwerwiegendes!

Kein schwerwiegendes Problem

Als die Untersuchung fertig war, eröffnete sie mir denn auch, mein Sohn habe kein unüberwindbares Problem. Kurz zusammengefasst könne er den Buchstaben „s“ korrekt aussprechen, tue es aber nicht. Meine Frau und ich müssten ihn einfach jedes Mal korrigieren.

Nun sassen wir zu dritt im leeren Haus und schwiegen uns einen Moment lang an. „Wie soll es weitergehen?“, fragte dann die Logopädin, „schliesslich wurde Ihr Sohn mit Dringlichkeit zu einer Therapie bei uns überwiesen“. „Damit niemand das Gesicht verliert“, schlug ich ihr nach kurzem Überlegen vor, „könnte mein Sohn ja für eine Stunde zu Ihnen kommen und die richtige Aussprache des Buchstabens „s“ üben“. Wir einigten uns darauf.

Noch weitere 29 Stunden für ein “nicht schwerwiegendes Problem”

Tatsächlich bot ihn der Logopädische Dienst nach der einen noch zu weiteren 29 Stunden auf. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist mir nicht klar, warum so viele Therapiestunden nötig waren. Auf jeden Fall besuchte er sie gerne, weil sich die Therapeutinnen unterhaltsame Spiele ausdachten, zum Beispiel Eishockey mit einem Blasrohr. Heute ist mein Sohn 18 Jahre alt und absolviert das dritte Lehrjahr. Er ist mit dem Leben zufrieden und lispelt kein bisschen.

 

 

 

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