Linguistik - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Sun, 10 Sep 2023 12:01:19 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Linguistik - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Welche Sprachen sind leicht zu lernen? https://condorcet.ch/2023/09/welche-sprachen-sind-leicht-zu-lernen/ https://condorcet.ch/2023/09/welche-sprachen-sind-leicht-zu-lernen/#comments Sun, 10 Sep 2023 12:01:19 +0000 https://condorcet.ch/?p=14915

Wer Deutsch als Muttersprache spricht, hat in der Regel mit Englisch keine großen Probleme: Die beiden Sprachen sind eng verwandt. Gemeinsame Wurzeln sind allerdings nicht allein entscheidend. Es gibt linguistische Eigenarten, die das Erlernen einer Fremdsprache für alle erschweren. Wir bringen einen Beitrag von Christiane Gelitz, der in der Zeitschrift Spektrum erschienen ist.

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Deutsch ist eine verrückte Sprache. Löffel und Gabel haben ein Geschlecht. Das Verb steht mal am Anfang, mal am Ende eines Satzes. Und mit dem Wörtchen “sie” kann eine Frau gemeint sein, aber ebenso gut 100 Männer. “Gewiss gibt es keine andere Sprache, die derart schlampig und unsystematisch ist”, schimpfte der US-Schriftsteller Mark Twain 1880 in einem Essay über die deutsche Sprache. Vor allem die Deklination trieb ihn zur Verzweiflung. “Es ist so schlimm wie im Lateinischen”, schrieb er. “Ich habe einen kalifornischen Studenten in Heidelberg sagen hören, er werde lieber zwei Drinks ausschlagen als ein deutsches Adjektiv deklinieren.”

Gastautorin Christiane Gelitz, Diplompsychologin und Redakteurin für Psychologie

Offenbar hatte der Schriftsteller noch keine Bekanntschaft mit dem Finnischen und dessen 15 Fällen gemacht. Verglichen damit ist das Deutsche für Twain und seine Landsleute leicht zu lernen – wenn auch schwieriger als andere germanische Sprachen, wie die Erfahrungen des Auswärtigen Dienstes in den USA zeigen. Dessen Trainingszentrum, das Foreign Service Institute (FSI), bereitet jedes Jahr rund 100 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Regierungsbehörden auf ihre Auslandseinsätze vor und bietet dazu Unterricht in mehr als 70 Sprachen an.

Für die Trainees ist der Besuch der nahe dem Pentagon gelegenen Sprachschule ein Vollzeitjob: Sie werden 25 Stunden pro Woche unterrichtet, dazu kommen täglich drei Stunden Selbststudium. Mit diesem Pensum erreichen sie in einigen Sprachen schon nach knapp einem halben Jahr ihr Ziel, Level 3: Sie können flüssig lesen, in normaler Geschwindigkeit sprechen und an den meisten Gesprächen teilnehmen. In den schwierigsten Sprachen brauchen sie dafür drei- bis viermal so lang.

Deutsch und Französisch sind schwieriger als gedacht

Anhand dieser Erfahrungen hat das Foreign Service Institute die Sprachen nach ihrer Schwierigkeit eingeteilt. Für Deutsch und Französisch waren ursprünglich 24 Wochen veranschlagt, wie für die übrigen germanischen und romanischen Sprachen. Doch das genügte nicht: Weit mehr als die Hälfte der Trainees scheiterte an den Lernzielen. Die Dauer wurde zunächst für beide auf 30 Wochen verlängert, für Deutsch schließlich auf 36 Wochen. Nun steht es auf einer Stufe mit Suaheli und Indonesisch.

“Ich habe einen kalifornischen Studenten in Heidelberg sagen hören, er werde lieber zwei Drinks ausschlagen als ein deutsches Adjektiv deklinieren.”

Mark Twain, Schriftsteller

 

Die meisten Sprachen, zum Beispiel Griechisch, Russisch und Türkisch, zählen zur nächsthöheren mittleren Kategorie. Unter ihnen gibt es wiederum ein paar, für die es in der Regel etwas mehr Zeit braucht, wie Finnisch, Ungarisch und Vietnamesisch. Als größte Herausforderung gelten jedoch Arabisch, Chinesisch (Mandarin und Kantonesisch), Japanisch und Koreanisch: Für sie sind 88 Wochen veranschlagt, knapp viermal so viel wie für Spanisch oder Schwedisch. Dem FSI zufolge erreichen etwa 60 Prozent der Trainees Level 3 in der vorgesehenen Zeit, und mit Verspätung gelangen rund 90 Prozent ans Ziel.

 

 

Es geht aber auch schneller. Der US-Opernsänger Gabriel Wyner berichtet, er habe in drei bis vier Monaten fließend Deutsch gelernt, in fünf Monaten Französisch, in zehn Monaten Russisch. Heute bringt er anderen bei, wie man Sprachen lernt. Er sagt: “Es gibt keine schwierigen Sprachen. Es gibt aber Sprachen, die für dich schwieriger zu lernen sind, weil sie nicht zur Familie der Sprache(n) gehören, die du bereits kannst.” Englisch und Japanisch etwa hätten nur wenig Wortschatz und Grammatik gemeinsam. Anders das Englische und Französische: Beide zählen, wie das Deutsche, zur indoeuropäischen Sprachfamilie.

Die indoeuropäische Sprachfamilie

Im 18. Jahrhundert entdeckte der englische Gelehrte Sir William Jones Ähnlichkeiten des altindischen Sanskrit mit dem Lateinischen, dem Griechischen, den germanischen sowie keltischen Sprachen und schloss daraus auf deren gemeinsamen Ursprung. Heute sind knapp 450 indoeuropäische Sprachen bekannt, darunter so unterschiedliche wie Isländisch, Französisch, Russisch und Persisch. Mit 3,3 Milliarden Sprechern bilden sie die größte der rund 20 Sprachfamilien. Nur wenige Sprachen gehören zu keiner Familie, etwa Japanisch und Baskisch.

Der Verwandtschaftsgrad ist aber nicht allein entscheidend. Beispielsweise hat das Deutsche mit seinem westgermanischen Bruder Englisch weniger gemeinsam als mit seinen nordgermanischen Cousins. “Wortschatzmäßig steht das Deutsche dem heutigen Dänischen und Schwedischen ungleich näher als dem Englischen”, heißt es im Fischer-Lexikon “Sprachen” von 1987. Phonetisch, also in der Aussprache, hätten sich die germanischen Sprachen teils sogar so stark auseinanderentwickelt, “dass nur wenige Brücken von der einen zur anderen Sprache führen”. Deutsche könnten beispielsweise das Türkische und das Indonesische lautlich leichter nachahmen als das Dänische.

“Es gibt keine schwierigen Sprachen. Es gibt aber Sprachen, die für dich schwieriger zu lernen sind, weil sie nicht zur Familie der Sprache(n) gehören, die du bereits kannst.”

Gabriel Wyner, US-Opernsänger

 

Neben einer engen Verwandtschaft gibt es noch andere Merkmale, die das Lernen grundsätzlich eher erleichtern. Die indonesische Grammatik etwa ist sehr regelmäßig – ein Vorteil, wie 2021 ein Experiment in den Niederlanden zeigte. Eine Gruppe um die Psychologin Antje Meyer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nimwegen, ließ Versuchspersonen konstruierte Fantasiesprachen lernen. Das gelang bei hochgradig systematisch aufgebauten Sprachen leichter. Ein nur teilweise systematischer Aufbau half hingegen wenig. Bloß bei hoher Regelhaftigkeit und überschaubaren Ausnahmen könne man das Gelernte gut verallgemeinern, erläutern die Forscherinnen.

Worin sich Sprachen unterscheiden

Gibt es noch mehr solche Merkmale, die das Fremdsprachenlernen grundsätzlich erleichtern oder erschweren? Niemand weiß Sprachen besser zu vergleichen als Martin Haspelmath, Professor für Linguistik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Herausgeber des »World Atlas of Language Structures« (WALS). In diesem Werk wurden 2005 zum ersten Mal linguistische Merkmale von Sprachen systematisch erfasst und kartografiert. Mehr als 2600 Sprachen sind darin zu finden, gut ein Drittel der über 7000 bekannten, wobei alle geografischen Regionen und Sprachfamilien der Welt vertreten sind. Verzeichnet ist zum Beispiel die Art und Weise, wie Sätze gebaut und wie Wörter gebildet werden. “Das Lernen einer Fremdsprache fällt leichter, wenn sie der Muttersprache darin gleicht”, sagt Haspelmath.

Die Laute und ihre Verbreitung sind im Sprachstrukturatlas ebenfalls dokumentiert. Demnach gibt es die Vokale “ö” und “ü” äußerst selten. Sie existieren im Deutschen, Französischen, Finnischen, Türkischen, vereinzelt auch in Asien – also in unterschiedlichen Sprachfamilien, die sich tausende Kilometer voneinander entfernt entwickelt haben. “Solche Ähnlichkeiten, die man nicht gut durch Entlehnung erklären kann, sind ein großes Rätsel”, berichtet Haspelmath.

Die deutsche Eigenart, bei Ja-Nein-Fragen das Verb an den Anfang zu stellen, gibt es nur in 1,4 Prozent der Sprachen.

Auch wenn die Ähnlichkeiten mit der Muttersprache viel ausmachen: Manche Merkmale erschweren das Lernen für alle. Zum Beispiel mehrere Konsonanten hintereinander, wie im deutschen Wort “Herbst” oder im russischen »Borschtsch«, erläutert der Linguist. Offene (auf einen Vokal endende) Silben wie das japanische Wort “ko” sind in der Regel einfacher auszusprechen als geschlossene Silben wie “Kind”, die deutsche Übersetzung. Auch der Verzicht auf grammatische Geschlechter sei ein Vorteil, sagt Haspelmath. “Wir unterscheiden im Deutschen drei Formen: männlich, weiblich, sächlich. Trotzdem lernen auch wir leichter eine Sprache, die nur ein Genus kennt, wie das Englische.”

Was die deutsche Grammatik ebenfalls verkompliziert, ist das sprunghafte Verb. Es steht im Hauptsatz an zweiter Stelle, im Nebensatz am Ende, in Fragesätzen vorne, und noch verwirrender wird es, wenn es aus zwei Teilen besteht oder ein Hilfsverb dazukommt. “Das gibt es in der Form nirgendwo anders”, berichtet der Sprachatlas-Autor. Menschen mit Englisch oder Niederländisch als Muttersprache kennen zumindest ähnliche Konstruktionen, sie haben es damit beim Deutschlernen leichter.

Die Liga der Sonderlinge

Linguisten aus den USA haben anhand solcher Seltsamkeiten eine Rangliste der merkwürdigsten Sprachen erstellt. Sie ermittelten zunächst 21 linguistische Merkmale, die voneinander unabhängig sind, etwa die Stellung der Verben und die Anzahl der Vokale. Für 239 Sprachen fanden sie Informationen zu allen 21 Merkmalen. Die Sprache mit den meisten seltenen Eigenschaften war demnach “Chalcatongo Mixtec”, ein mexikanischer Dialekt. Eine seiner Besonderheiten: Aussagen beginnen mit dem Prädikat, also einem Verb, anstatt wie üblich mit dem Subjekt, dem Satzgegenstand, auf den sich das Prädikat bezieht. Außerdem lässt sich eine Ja-Nein-Frage nicht von einer Aussage unterscheiden – auch die Betonung ist gleich.

Die Eigenart, bei Ja-Nein-Fragen das Verb an den Anfang zu stellen (“Kommst du?”), gibt es nur in 1,4 Prozent der Sprachen, darunter auch das Deutsche. Es landete auf Platz 10 und war damit die sonderbarste indogermanische Sprache. Überhaupt erwiesen sich die germanischen Sprachen als recht merkwürdig; sie verwenden zum Beispiel Pronomen wie “ich” und “du”, worauf die meisten Sprachen verzichten. Das Englische (Platz 33) zeichnet sich vor allem durch eine unberechenbare Aussprache aus.

 

 

“Die Muttersprache setzt Grenzen.”

Job Schepens, Linguist

 

Michael Cysouw, Professor für Sprachtypologie an der Universität Marburg, hat ebenfalls einen Seltenheitsindex berechnet. Er griff dazu gleich auf 142 Merkmale aus dem Sprachatlas zurück und fand Raritäten insbesondere unter den Sprachen im Nordwesten Europas: Englisch, Deutsch, Niederländisch, Friesisch, Französisch. Er gibt aber zu bedenken, dass die vorliegenden Daten vor allem von Menschen mit indoeuropäischem Sprachhintergrund gesammelt wurden. Eine andere Perspektive könnte die Ergebnisse verändern.

Cysouw kombinierte außerdem die linguistischen Merkmale aus dem WALS mit den Statistiken des Foreign Service Institute in den USA. Er bestätigt: “Eine Fremdsprache zu lernen, ist umso schwieriger, je mehr sie sich von der Muttersprache unterscheidet.” Bei englischer Muttersprache fallen demnach die indoeuropäischen Sprachen mit lateinischer Schrift und ähnlichen grammatischen Strukturen am leichtesten, allen voran die germanischen Geschwister Norwegisch und Schwedisch. Japanisch und Koreanisch bildeten die Schlusslichter, noch hinter Chinesisch und Arabisch.

“Die Muttersprache setzt Grenzen”, hat der Niederländer Job Schepens von der TU Dortmund auch diesseits des Atlantiks beobachtet. Der Linguist und sein Team analysierten Daten von 50’000 Migrantinnen und Migranten, die sich für eine Arbeitserlaubnis in den Niederlanden einer Sprachprüfung unterzogen hatten. Die Muttersprache erklärte ein bis zwei Drittel der Unterschiede in ihren Prüfungsergebnissen, unabhängig von anderen Faktoren wie Geschlecht, Alter und Bildung. Vor allem die Ähnlichkeit im Wortschatz war entscheidend. Kein Wunder, dass viele Deutsche das niederländische Staatsexamen schon nach wenigen Wochen Unterricht schaffen, wie Schepens berichtet: Fast die Hälfte der Wörter ähnelten einander.

Die Bedeutung des gemeinsamen Wortschatzes

Kommt es also am meisten auf den gemeinsamen Wortschatz an? “Für verwandte Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Französisch würde ich das so erwarten”, sagt Schepens. Aber nicht, wenn eine Sprache weniger Verwandte habe, wie das Griechische oder das Koreanische, denn dann gebe es nicht so viele ähnliche Wörter. “In dem Fall ist der gemeinsame Wortschatz wahrscheinlich weniger wichtig für die Frage, wie leicht man eine Sprache lernen kann.”

Die Verwandtschaft ist noch in anderer Hinsicht bedeutsam: bei der Frage, ob das Alter das Lernen erschwert. “Wenn Deutsche Niederländisch lernen, spielt das Alter kaum eine Rolle”, hat Schepens herausgefunden. Ist die Fremdsprache mit der Muttersprache nicht oder wenig verwandt, sehe es etwas anders aus. Die Unterschiede seien für Ältere ein größeres Hemmnis als für Jüngere.

Einen allgemeinen Übungseffekt im Sprachenlernen hat Schepens nicht feststellen können.

Vorkenntnisse in anderen Fremdsprachen brächten vor allem dann viele Vorteile, wenn diese der Zielsprache ähnlicher sind als die Muttersprache, sagt der Linguist. Etwa wenn ein Amerikaner schon Deutsch gelernt habe: Dann falle ihm Niederländisch leichter als seinen Landsleuten ohne Deutschkenntnisse. Einen allgemeinen Übungseffekt im Sprachenlernen habe er nicht feststellen können. So helfe Latein wahrscheinlich nur beim Lernen von romanischen Sprachen wie Französisch, aber kaum beim Japanisch lernen, vermutet Schepens.

Lassen sich die Erkenntnisse aus den Niederlanden und den USA auf Deutschland übertragen? Einen Datenschatz wie den des Foreign Service Institute gibt es hier zu Lande nicht. “Wir führen keine empirischen Erhebungen zu Zwecken von Wissenschaft und Forschung durch”, teilt das Bundessprachenamt auf Anfrage mit. Seine rund 1000 Beschäftigten unterrichten jedes Jahr mehr als 15’000 Angehörige der Bundeswehr sowie Angestellte aus Bundes- und Landesressorts in Fremdsprachen von Amharisch bis Vietnamesisch. Sofern sie auch Abschlusstests absolvieren, sollten also umfangreiche Daten vorliegen. Das Amt bräuchte nur, wie das FSI, Unterrichtsdauer und Prüfungsergebnisse in den verschiedenen Sprachen zu vergleichen, um deren Schwierigkeit für Deutschsprachige zu bestimmen.

Welche Fremdsprachen dem Deutschen am meisten ähneln

Erste Hinweise geben die Arbeiten von Ingo Isphording am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn und seinem Kollegen Sebastian Otten, heute an der Universität Duisburg-Essen. Die beiden Ökonomen haben lexikalische Unterschiede zwischen Deutsch und anderen Sprachen bestimmt, indem sie Alltagswörter verglichen wie “ich” und “du”, “Mensch” und “Hund”, “trinken” und “sterben”. Dem Deutschen am ähnlichsten waren demnach wie erwartet germanische Sprachen, besonders Luxemburgisch, Schweizerdeutsch, Niederländisch, Schwedisch, Norwegisch und Dänisch.

Aus Daten des deutschen Sozio-oekonomischen Panels von 1997 bis 2003 schlossen sie außerdem: Wenn jemand mit höchstens elf Jahren nach Deutschland einwandert, spielt die Muttersprache keine Rolle dabei, wie gut er Deutsch lernt. Hingegen hänge die Sprachkompetenz bei den bereits erwachsenen Zugewanderten vor allem davon ab, wie sehr deren Muttersprache dem Deutschen in Wortschatz und Aussprache ähnelt. Das heißt: Ältere Schweden haben es beim Deutschlernen ungleich leichter als zum Beispiel ältere Iraker oder Chinesen.

“Wähle eine Sprache, die du magst.”

Gabriel Wyner, US-Opernsänger

 

Umgekehrt ist es für Menschen aus der germanischen Sprachfamilie nicht anders, wie eine Studie in Israel verdeutlicht. Dort tun sich die englischsprachigen Einwanderer mit dem Hebräischen am schwersten. Jene mit arabischer Muttersprache lernen Hebräisch am besten – beide zählen zu den semitischen Sprachen.

Wenn Deutsche fremdsprachige Bücher im Original lesen wollen, sollten sie sich dann also besser für die schwedische “Pippi Langstrumpf” entscheiden als für chinesische Volksmärchen? “Die härteren Sprachen brauchen mehr Zeit”, sagt der polyglotte Gabriel Wyner. “Aber es gibt keinen Grund, sie nicht lernen zu können.” Er empfiehlt: “Wähle eine Sprache, die du magst.”

Christiane Gelitz, Diplompsychologin und Redakteurin für Psychologie

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Die Schule als Turing-Test-Anstalt https://condorcet.ch/2023/03/die-schule-als-turing-test-anstalt/ https://condorcet.ch/2023/03/die-schule-als-turing-test-anstalt/#comments Sat, 11 Mar 2023 08:31:34 +0000 https://condorcet.ch/?p=13391

Was kann der Computer? Was kann der Mensch? In Zeiten der ChatGTP und KI fordern diese Fragen vor allem das Bildungssystem heraus. Laut Physiker und Philosoph Eduard Käser droht das gegenseitige Vertrauen von Lehrer und Schüler zu erodieren.

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Eduard Käser, Physiker, Philosoh und Jazzmusiker: Die Liebe zur Sprache wiederentdecken.

KI-Systeme imitieren unsere kognitiven Fähigkeiten immer besser. Und je besser sie das tun, desto deutlicher rückt ein Unterschied in den Fokus, den man aus der Linguistik kennt: zwischen Kompetenz und Performanz. Ich kann zum Beispiel einige Sätze Italienisch sprechen. Diese Performanz ist natürlich kein Beleg für meine Italienisch-Kompetenz. Eher lässt sich sagen: I’m faking it, not making it. Und das scheint mir auch eine treffende Kurzcharakterisierung der Künstlichen Intelligenz (KI) zu sein.

I’m faking it, not making it.

KI-Systeme demonstrieren schon heute eine eindrückliche Performanz. Jüngst der Textgenerator ChatGPT von OpenAI. Auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Kompetenz und Performanz «antwortet» er: Kompetenz ist das Vermögen, etwas erfolgreich zu tun, während Performanz die aktuelle Demonstration dieses Vermögens ist.

Man prüft nicht den Schüler, sondern den Hybrid.

Bündiger kann man das nicht formulieren. Aber was für ein Vermögen demonstriert denn eigentlich der Textgenerator? Schreibt ChatGPT wirklich? Liegt seine Kompetenz nicht schlicht darin, aus einer Bitfolge mittels eines Transformer-Algorithmus eine neue Bitfolge zu generieren? Na und? Nenne man das nun «schrei­ben» oder auch nicht. Wenn man die «intelligente» Maschinenleistung – Problemlösen – auf vielen Gebieten nicht mehr von der menschlichen Leistung unterscheiden kann, weshalb dann nicht die Gänsefüsschen bei «intelligent» streichen?

Man schreibt der Maschine ein Vermögen zu, das sich aus einer Schwäche des Menschen ableitet.

Mit solchen Fragen stecken wir mitten in einem dornigen Problemnest. Es ist so alt wie die KI selbst. Einer ihrer theoretischen Pioniere, der Mathematiker Alan Turing, stellte vor gut 70 Jahren die Frage: Können Maschinen denken? Turing gab keine direkte Antwort, sondern schlug ein sogenanntes Imitationsspiel vor, in dem eine Jury prüft, ob die Maschine den Menschen so imitieren kann, dass dieser zur Überzeugung gelangt, sie denke. Je weniger dies dem Menschen gelingt, als umso intelligenter kann man die Maschine betrachten. Der definitorische Trick ist offensichtlich: Man schreibt der Maschine ein Vermögen zu, das sich aus einer Schwäche des Menschen ableitet: seiner Neigung, gefoppt zu werden.

Kernauftrag durch Informationstechnologie herausgefordert

Seither investieren Computerwissenschaftler, Kognitionsforscher und Philosophen eine Menge Hirnschmalz in die Aufgabe, den Output künstlicher Hirne zu «entlarven». Und vermehrt sehen Lehrerinnen und Lehrer ihren Kernauftrag durch die Imitationstechnologie herausgefordert. Wir befinden uns auf der Schwelle zu einer neuen technischen Ära. Die KI-Systeme sind nicht mehr bloss Werkzeuge. Schüler und Studenten sollen Kompetenzen lernen. Nun begleiten sie ständig lernende Artefakte, die vielleicht sogar gelehriger sind als Menschen. Sie «emanzipieren» sich vom Hilfsmittel zum künstlichen Schüler. Sie wollen «erzogen» werden. Das heisst, Grundeinheit des Unterrichtens ist heute Schüler-plus-Chatbot – ein Hybrid aus Mensch und Maschine. Man prüft nicht den Schüler, sondern dieses Hybrid. Einen Aufsatz schreiben? Einen Roman zusammenfassen? Einen Text auf logische Stringenz überprüfen? «There’s an app for that»..

In der ganzen Entwicklung liegt eine tiefe Ironie.

Das hat Folgen, die man noch kaum bedenkt, bedenken kann. In der ganzen Entwicklung liegt eine tiefe Ironie. Mittel- und Hochschulen feierten die digitalen Medien als Initiatoren für selbstgesteuertes Arbeiten. Nun stellt sich die Frage: Wer oder was ist dieses Selbst? Prüfungs-, Matura-, Seminar-, Masterarbeiten – von wem stammt der geschriebene Text, vom Schüler oder vom ChatGPT? Wem attestieren wir welche Kompetenzen? Wie unterscheiden und verteilen wir sie? Fragen, die wohl über kurz oder lang zum Standard des Unterrichts gehören dürften. Die Schule mutiert von der Lehranstalt zur Turing-Test-Anstalt.

Es droht ein digitales Katz- und Maus-Spiel

Wie immer gibt es die vorschnelle technische Lösung. Schon arbeitet OpenAI an Test-Programmen, die in den ausgegebenen Wortfolgen von ChatGPT heimliche statistische Muster und andere Indizien ihrer Künstlichkeit entdecken. Ein Programm zur «Entlarvung» von Programmen. Inwieweit ist darauf Verlass? Die Testläufe zeigen mässigen Erfolg.[1] Ein nicht unwahrscheinliches Szenario zeichnet sich ab: Der Schüler rüstet sich mit immer raffinierterer Schreib-Software aus, der Lehrer mit entsprechend ausgeklügelter Entlarvungs-Software. Eine digitale Katz-und-Maus-Schleife, in dem nicht unbedingt der Lehrer obenaus schwingen wird. Bis er sich die fatale Frage stellt, ob es sich überhaupt noch lohne, Schreiben zu unterrichten.

Erodiert der vitale Boden des Unterrichtens?

Nun war die Schule ja schon immer das Übungsfeld von Schummelei. Zum herkömmlichen Verdachtsmoment des Plagiats tritt jetzt das neue der technischen Imitation hinzu. Und damit erodiert der vitale Boden des Unterrichtens: das gegenseitige Vertrauen von Lehrer und Schüler. «Ein Rückgriff auf konventionelle Arbeits- und Prüfungsformen scheint derzeit die einzige Möglichkeit zu sein», schreibt der Deutschlehrer Andreas Pfister kürzlich: «Dazu gehören die 45-Minuten-Prüfung, der 90-Minuten-Aufsatz, die Mündlichprüfung. Denn wer möchte Schülerarbeiten mit dem grundsätzlichen Misstrauen begegnen, es habe ein Co-Autor mitgeschrieben?» [2]

Den Blick auf die menschlichen Kompetenzen neu kalibrieren

Es gibt eine optimistischere Perspektive. Sie lässt sich zusammenfassen mit dem Motto «Wiederentdeckung verdrängter Selbstverständlichkeiten». Wozu ist Sprache da? Welche Kompetenzen fördert man mit ihr eigentlich? Das heisst, wir sollten unsere Aufmerksamkeit von der Maschine lösen und sie auf den Menschen richten. Gerade weil die Maschine so gut menschliche Kompetenzen performen kann, hält sie uns an, den Blick auf unsere Kompetenzen neu zu kalibrieren. Was ist daran das genuin Menschliche? Eigentlich sollten wir dem Computer danken dafür, dass er uns die Möglichkeit verschafft, eine solche Frage zu stellen; unser Können in der «Kommunikation» mit der Maschine wieder kennen zu lernen oder vielleicht erst zu entdecken.

Neue Aussichten auf die Bildung eröffnen sich. Der ChatGPT bietet sich geradezu als ein massgefertigtes Tool an. Aber nicht im Sinn von «Text auf Knopfdruck». Vielmehr andersrum: Das Leichte ins Schwierige verkehren. Das Leichte ist das Generieren eines Textes. Das kann ausserhalb des Unterrichtens stattfinden. Der Schüler eignet sich individuell sein Wissen und seine Kompetenzen an, mit welcher KI-Technologie auch immer. Aber was er abliefert, ist nichts Endgültiges, sondern Ausgangsmaterial, anhand dessen er nun seine Kompetenzen «coram publico» vorzuführen hat: im realen Gespräch mit dem Lehrer und den anderen Schülern, von Angesicht zu Angesicht. Das ist das Schwierige.

Trivialitäten gewinnen im Rahmen eines massiv technisierten Unterrichts an pädagogischem Gewicht.

Die verdrängte Selbstverständlichkeit, die hier zum Vorschein kommt, lautet: Schreiben ist mehr als Textgenerieren – Schreiben ist ein Handwerk. Es verlangt das Erlernen und Einüben von Routinen; Geduld, Disziplin und Liebe im Umgang mit der Sprache; das vertiefte Studium eines Themas; das Einschätzen von Behauptungen; das Zusammenfügen von Wissensgebieten; den Ausdruck von Ideen in klarer, kohärenter Sprache. Daraus entwickelt sich im besten Fall eine innere Bindung an den Text. Das klingt trivial, aber genau solche Trivialitäten gewinnen im Rahmen eines massiv technisierten Unterrichts an pädagogischem Gewicht. Der Philosoph Odo Marquard hat vom «Homo compensator» gesprochen. Der «ausgleichende» Mensch, der in all dem, was heute die Maschinen für ihn tun, sich selber, seine eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen wiederentdeckt und neu bewertet. Und die Schule definiert sich als Ort dieses Ausgleichens.

Wohin geht der Homo sapiens?

Wir treten ein in eine neue Runde der Selbstbegegnung. Was kann der Computer, was kann der Mensch? Diese Unterscheidungsfrage wird zu einer vordringlichen Bildungsaufgabe. Und sie hechelt der Technologie hinterher.

[1] https://www.nzz.ch/wissenschaft/chat-gpt-erfinder-praesentieren-eine-programm-das-erkennen-soll-ob-texte-von-maschinen-geschrieben-wurden-ld.1724050

[2]  https://www.nzz.ch/meinung/chatgpt-wird-das-bildungswesen-auf-eine-harte-probe-stellen-ld.1721909

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