Doris Ilg - Condorcet https://condorcet.ch Bildungsperspektiven Fri, 27 Dec 2019 15:50:39 +0000 de-DE hourly 1 https://condorcet.ch/wp-content/uploads/2019/05/favicon-100x100.png Doris Ilg - Condorcet https://condorcet.ch 32 32 Plattitüden aus dem Elfenbeinturm https://condorcet.ch/2019/12/plattitueden-aus-dem-elfenbeinturm/ https://condorcet.ch/2019/12/plattitueden-aus-dem-elfenbeinturm/#respond Fri, 27 Dec 2019 15:50:39 +0000 https://condorcet.ch/?p=3460

Am 23. Oktober 2019 hat der Basler Grosse Rat mit 72 gegen 12 LDP- Stimmen eine Motion an die Regierung überwiesen, die verlangt, dass in der Verordnung „über die Schulung und Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Bildungsbedarf“ Kleinklassen als Förderangebot wieder eingeführt werden. Alles nur Nostalgiker? Nach Meinung der Volksschulleitung würde es sich […]

The post Plattitüden aus dem Elfenbeinturm first appeared on Condorcet.

]]>
Roland Stark, ehem. SP-Parteipräsident der Sektion Basel-Stadt, Heilpädagoge

Am 23. Oktober 2019 hat der Basler Grosse Rat mit 72 gegen 12 LDP- Stimmen eine Motion an die Regierung überwiesen, die verlangt, dass in der Verordnung „über die Schulung und Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Bildungsbedarf“ Kleinklassen als Förderangebot wieder eingeführt werden.

Alles nur Nostalgiker?

Nach Meinung der Volksschulleitung würde es sich bei dieser Reform um „einen massiven Rückschritt“ in „frühere, oft auch leicht glorifizierte Zeiten“ handeln. Die 72 renitenten Parlamentarier aus (fast) allen Parteien müssen zerknirscht zur Kenntnis nehmen, dass sie zur offenbar unheilbaren Spezies der Nostalgiker zählen, die noch immer einer versunkenen pädagogischen Welt nachtrauern.

Und viele ehemalige Lehrkräfte haben sicher mit grösstem Erstaunen gelesen, dass die Kleinklassen „gegen Ende ihres Bestehens (…) schon damals nicht mehr angemessen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen reagieren“ konnten.

Eine Replik geht in der Regel auf die Argumente der Gegenseite ein und versucht, sie mit Fakten zu widerlegen. Im vorliegenden Fall wird aber ausser Worthülsen und warmer Luft nichts geboten.

Die Selbstbeweihräucherung aus der Schreibstube des Erziehungsdepartements („BaZ“, 17. Dezember 2019) war wohl ursprünglich als Antwort gedacht auf den Gastbeitrag von Riccardo Bonfranchi und mir vom vergangenen Samstag, in dem wir die Abschaffung der Kleinklassen als „bildungspolitischen Irrweg“ bezeichneten. Eine Replik geht in der Regel auf die Argumente der Gegenseite ein und versucht, sie mit Fakten zu widerlegen. Im vorliegenden Fall wird aber ausser Worthülsen und warmer Luft nichts geboten.

In Anlehnung an den bekannten Dokumentarfilm „Die Wüste lebt“ (Walt Disney, 1953) beginnen Dieter Baur und Doris Ilg ihre schönfärberische Beschreibung der Basler Schullandschaft mit dem Satz „Die integrative Schule lebt.“ Zahlreiche positive Rückmeldungen aus der Lehrerschaft auf unseren Artikel zeigen dagegen eindrücklich, wie weit sich die Bildungsbürokratie von der schulischen Realität entfernt und Augen und Ohren vor den Problemen in den Klassenzimmern verschlossen hat. „Die Wirklichkeit“, zitiere ich nochmals Marcel Proust, „ dringt nicht in die Welt des Glaubens.“

Kein Wort verlieren die Bewohner des Elfenbeinturms über die blamablen Ergebnisse der ersten schweizerischen Erhebung der Grundkompetenzen in der Volksschule. Die „Neue Zürcher Zeitung“ wählte für ihren Bericht eine drastische Überschrift: „Katastrophales Zeugnis für die Basler Schulen“. (NZZ, 24.5.2019)

Blamable Ergebnisse

Zur Erinnerung: Schüler aus Freiburg, Wallis und Appenzell Innerrhoden beweisen sowohl in Mathematik wie bei den Sprachen überdurchschnittliche Kompetenzen. Die rote Laterne schwenken die Schülerinnen und Schüler beider Basel und aus Solothurn. Bei den Schülern aus Basel-Stadt leuchtet die Lampe sogar dunkelrot. In Mathematik genügt nicht einmal die Hälfte der Schüler den Anforderungen, aber auch bezüglich der Sprachkompetenzen wird weniger erreicht als in fast allen anderen Kantonen.

Merkel lässt grüssen

Das Erziehungsdepartement hat die Abschaffung der Kleinklassen und der Einführungsklassen stets damit begründet, dass sie die Forderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes erfüllen müsse. Diese Massnahmen seien, Angela Merkel lässt grüssen, alternativlos. „Freiheitlich angelegte demokratische Strukturen“, wendet hier mein verehrter Heilpädagogik-Lehrer Emil E. Kobi ein , „vertragen sich nicht mit ekklesialen Alleinseligmachensansprüchen.“ (Heilpädagogik online 02/08)

Die UN-Konvention von Salamanca verlangte keineswegs die Liquidierung der Sonderschulen.

Stillschweigend geht die Volksschulleitung auch an unserem Einwand vorbei, dass die UN-Konvention von Salamanca aus dem Jahr 1994 an keiner Stelle die Liquidierung der Sonderschulen verlangt hat. Im Mittelpunkt der Bemühungen um Integration stehen nicht organisatorische und räumliche Fragen, sondern die Erfüllung der Bedürfnisse aller Lernenden. Es kann wohl nicht wirklich an einer UN-Konferenz in der Universitätsstadt in Kastilien-León entschieden werden, welche spezifischen Schulformen in Basel-Stadt oder Riehen notwendig und erlaubt sind.

Dieter Baur, Leiter Volksschulen, Erziehungsdepartement der Stadt Basel: “Diffamieren, wenn man keine Argumente hat:”

Banalitäten und Durchhalteparolen

Zum krönenden Abschlusses eines Artikels voller Banalitäten und Durchhalteparolen werden die Verfasser nochmals unverschämt. Sie diskreditieren die fundierten Argumente zweier Heilpädagogen mit jahrzehntelanger Erfahrung als „rückwärtsgerichteten Blick in vergangene Zeiten“, der den Lehrerinnen und Lehrern im Alltag weniger helfe als ihre departementale Anerkennung.

Diese Platte kennen wir doch: Kritikern der integrierten Schule nach dem Gusto der Obrigkeit, die sich nicht vorbehaltlos der karikativ-missionarischen Agitation unterwerfen und sich einem „romantisierenden Idealismus“ (Emil E. Kobi) verweigern, werden Vorurteile, falsches Bewusstsein, Aberglaube, antiquiertes Denken und mangelnde geistige Beweglichkeit vorgeworfen.

Eine ernsthafte Debatte kann mit Drohgebärden gegen aufmüpfige Lehrkräfte und mit lammfrommen, ED-hörigen „Gewerkschaften“ allein jedenfalls nicht geführt werden.

 

The post Plattitüden aus dem Elfenbeinturm first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/12/plattitueden-aus-dem-elfenbeinturm/feed/ 0
Es braucht eine zeitgemässe Förderung https://condorcet.ch/2019/12/es-braucht-eine-zeitgemaesse-foerderung/ https://condorcet.ch/2019/12/es-braucht-eine-zeitgemaesse-foerderung/#comments Fri, 27 Dec 2019 15:36:15 +0000 https://condorcet.ch/?p=3411

Dieter Baur und Doris Ilg, leitende Beamte des Erziehungsdepartements der Stadt Basel, haben den Artikel von Roland Stark und Riccardo Bonfranchi (Abschaffung der Kleinklassen - ein bildungspolitischer Irrweg, 11. Dez. 2019) nicht goutiert. In der BAZ ist ihre Antwort erschienen, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

The post Es braucht eine zeitgemässe Förderung first appeared on Condorcet.

]]>
Dieter Baur, Leiter Volksschulen, Erziehungsde-partement der Stadt Basel
Doris Ilg, Stellverterin Leitung Volksschulen des Erziehungs-departements der Stadt Basel

Die integrative Schule lebt. Sie lebt durch das tägliche riesige Engagement unserer Lehr- und Fachpersonen und unserer Schulleitungen. Sie lebt auch dadurch, dass sie sich ständig neuen Herausforderungen anpasst. Diese Aufgabe ist äusserst anspruchsvoll. Die Volksschule hat den Auftrag, die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu erfüllen. Unsere Klassen sind meist sehr heterogen zusammengesetzt. Die Kinder und Jugendlichen bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit in die Schule, sind nicht alle gleich weit in ihrer Entwicklung, haben unterschiedliche familiäre Hintergründe und nicht dieselben Lernvoraussetzungen.

Die Schule muss den gesellschaftlichen Wandel mitgehen

Das war schon früher so und ist es heute deutlich ausgeprägter. Die Volksschule kann nicht für jedes einzelne Kind zu jedem Zeitpunkt die perfekte Lösung anbieten. Sie bietet aber für alle Schülerinnen und Schüler ausgezeichnete förder- und leistungsorientierte Angebote, seien diese separativ oder integrativ. Die Volksschule muss den gesellschaftlichen Wandel mitgehen. Sie braucht immer wieder Lösungen für neue Herausforderungen wie etwa die deutliche Zunahme von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten oder mit Autismus. Sie braucht Lösungen für die Kinder und Jugendlichen, sie braucht aber auch genügend Ressourcen für die Lehrerinnen und Lehrer, damit sie ihren höchst anspruchsvollen Job jeden Tag aufs Neue meistern können.

Es gibt keinen Zwang zur Integration

Die Volksschule in Basel ist eine integrative Schule, soweit dies im jeweiligen Fall sinnvoll und möglich ist. Es gibt aber keinen Zwang zur Integration. Unseren Schülerinnen und Schülern stehen sowohl integrative als auch separative Angebote zur Verfügung. Denn es gibt in der Tat Situationen, in denen ein Kind in einem separativen Angebot besser lernen kann und sich wohler fühlt als in einer Regelklasse.

Kleinklassen sind keine zeitgemässe Lösung

Es gibt auch Situationen, in denen ein Kind mit einer massiven Verhaltensauffälligkeit den Unterricht in einer Regelklasse stört oder gar verunmöglicht. Auch in diesem Fall ist ein separatives Angebot sinnvoll. Kleinklassen, wie es sie früher gab, sind dafür aber keine zeitgemässe Lösung. Gegen Ende ihres Bestehens konnten die Kleinklassen schon damals nicht mehr angemessen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen reagieren. Denn die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler in den Kleinklassen hatte sich deutlich verändert. Zusehends intensivere Förderung in noch kleineren Klassen wurde nötig und wurde von den Lehrpersonen auch eingefordert. Diese Entwicklung hat sich fortgesetzt.

Verbesserte personelle Ausstattung

Fakt ist aber: Basel-Stadt führt nach wie vor speziell kleine Klassen mit einer gegenüber den früheren Kleinklassen sehr stark verbesserten personellen Ausstattung. Es sind die Klassen der sogenannten Spezialangebote. Die Spezialangebote sind als separatives Angebot an verschiedenen Schulstandorten und für alle Schulstufen in der Volksschule ein wichtiger Teil der integrativen Schule. Sie entsprechen den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft. Wir entwickeln die Spezialangebote laufend weiter. Dasselbe tun wir mit den vielen integrativen Förderangeboten. Ein Zurück in frühere, oft auch leicht glorifizierte Zeiten wäre ein massiver Rückschritt. Das wollen wir nicht.

Die Gesellschaft entwickelt sich rasch und stetig. Dasselbe gilt für unsere Schülerinnen und Schüler. Die Schule hat die spannende, aber anspruchsvolle Aufgabe, mit all diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Lassen Sie uns unsere integrativen und separativen Lösungen weiterentwickeln. Lassen Sie uns mit einer etablierten und zeitgemässen Vorgehensweise die bestmögliche Förderung für unsere Kinder und Jugendlichen finden und umsetzen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer setzen sich mit grossem Engagement und Wissen mit immer komplexer werdenden Beeinträchtigungen und Ansprüchen auseinander. Sie geben dabei täglich ihr Bestes. Dafür gebührt ihnen grosser Respekt. Unsere Anerkennung hilft ihnen mehr als der rückwärtsgerichtete Blick in vergangene Zeiten. Es braucht eine zeitgemässe Förderung. Kleinklassen werden den gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen nicht gerecht.

The post Es braucht eine zeitgemässe Förderung first appeared on Condorcet.

]]>
https://condorcet.ch/2019/12/es-braucht-eine-zeitgemaesse-foerderung/feed/ 1