{"id":4005,"date":"2020-02-17T23:02:11","date_gmt":"2020-02-17T22:02:11","guid":{"rendered":"https:\/\/condorcet.ch\/?p=4005"},"modified":"2020-02-17T23:02:11","modified_gmt":"2020-02-17T22:02:11","slug":"auch-im-klimadiskurs-gilt-zuhoeren","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/condorcet.ch\/2020\/02\/auch-im-klimadiskurs-gilt-zuhoeren\/","title":{"rendered":"Auch im Klimadiskurs gilt: Zuh\u00f6ren!"},"content":{"rendered":"
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Leon Wiederkehr, Student am Imperial-College in London: Habe meine Meinung ge\u00e4ndert.<\/figcaption><\/figure>\n

Sehr geehrter Herr Bandelt, sehr geehrter Herr Geiger, sehr geehrter Herr H\u00e4nggi<\/strong><\/p>\n

Ich m\u00f6chte mich Ihnen kurz vorstellen. Ich heisse Leon Wiederkehr, bin 23 Jahre alt, Sohn von Alain Pichard und studiere derzeit Elektroingenieur in London. Meine Schulen besuchte ich in Biel. In der 5. Klasse der Primarschule \u2013 es handelte sich um eine sogenannte Brennpunktschule \u2013 ging es um den Klimawandel. Unsere Lehrerin zeigte uns den Film \u00abEine unbequeme Wahrheit\u00bb von Al Gore. Ich verstand mit meinen 11 Jahren kaum etwas, und meine 15 anderen Mitsch\u00fcler, die meisten von ihnen fremdsprachig, verstanden rein gar nichts.<\/p>\n

Vergiftete Diskussion am Gymnasium<\/strong><\/p>\n

Im Gymnasium besuchte ich die PAM-Klasse (PAM= Physik und angewandte Mathematik). Es war eine reine Knabenklasse. Wieder einmal kam es zu einer Lerneinheit \u00fcber den drohenden Klimawandel. Mein Geografielehrer erkl\u00e4rte unserer Klasse die drohende Klimakatastrophe in allen Einzelheiten. Ich hingegen fragte ihn, warum denn die Temperaturen in den letzten 15 Jahren nicht mehr gestiegen seien, und das obwohl der CO2-Austoss in diesem Zeitrahmen um 75% zugenommen habe. Er verneinte dies vehement, worauf ich ihm in der anschliessenden Lektion die NASA-Resultate als Beleg vorlegte. Mein Lehrer meinte: \u00abOkay, vielleicht stagnieren sie ein bisschen\u00bb.<\/p>\n

Ich (und \u00fcbrigens auch ein Teil meiner damaligen Klasse) machten uns einen Spass daraus, unserem beflissenen Lehrer immer wieder zu widersprechen, und ich selber wurde so mit der Zeit ein Klimaskeptiker, und das mit 15 Jahren. Ich vernetzte mich mit anderen Kritikern und bewegte mich von nun an in meiner eigenen Blase von Klimaskeptikern. Diskussionen mit Leuten, die anders dachten, wurden beidseits nie wissenschaftlich, daf\u00fcr aber sehr emotional gef\u00fchrt, was mich wiederum nur in meinem eigenen Standpunkt best\u00e4rkte.<\/p>\n

Erlebte meinen ersten Shitstorm schon mit 15 Jahren<\/strong><\/p>\n

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Das Seeland Gymnasium in Biel: Ein Ort des kritischen Denkens?<\/figcaption><\/figure><\/blockquote>\n

Zu dieser Zeit \u00a0war ich allerdings bereits in der Lage, anst\u00e4ndige Texte zu schreiben. Deshalb beschloss ich, selbst Initiator einer Sch\u00fclerzeitung, in die Fussstapfen meines Vaters zu treten, und verfasste meinen ersten Artikel f\u00fcr eine richtige Zeitung.<\/p>\n

Unter anderem schrieb ich: \u201eIch merke, wie dieser indoktrinierende \u00d6kounterricht oft ohne wissenschaftlichen Background immer mehr das Gegenteil dessen bewirkt, was er eigentlich will.\u00bb<\/p>\n

So erntete ich mit meinen 15 Jahren den ersten Shitstorm \u2013 bzw. ich musste erkennen, dass das ehrw\u00fcrdige Gymnasium es mit seinen Leitlinien nicht ganz so ernst meinte. Dort hiess es n\u00e4mlich unter Kritikf\u00e4higkeit:<\/p>\n

“Unsere Schule ist ein Ort kritischen Denkens <\/em><\/strong><\/p>\n

Die Sch\u00fclerinnen und Sch\u00fcler lernen, Argumente abzuw\u00e4gen, unterschiedliche Positionen einzunehmen und Selbstverst\u00e4ndliches zu hinterfragen. <\/em><\/strong><\/p>\n

Die Lehrenden sind Vorbilder in dieser Haltung.” <\/em><\/strong><\/p>\n

Es gab auch noch eine 2-st\u00fcndige Lehrerkonferenz, der Direktor rief meinen Vater an und sprach von einem d\u00fcmmlichen Artikel und dass es jetzt f\u00fcr seinen Sohn gef\u00e4hrlich werden k\u00f6nne. Meine Eltern wurden vor die Schulleitung zitiert. Der Hinweis auf die Leitideen nahm allerdings dem Zorn schnell den Wind aus den Segeln. Am Schluss hiess es nur noch, man solle das intern besprechen.<\/p>\n

So also, dachte ich, sieht der freie Diskurs aus!<\/p><\/blockquote>\n

Auf dem Weg in mein Klassenzimmer sprach mich ein Lehrer an und fl\u00fcsterte mir zu, dass er meinen Artikel als sehr gut und mutig empfand. Einige Minuten sp\u00e4ter kam er wieder zu mir und bat mich, sein Gest\u00e4ndnis niemandem zu erz\u00e4hlen. So also, dachte ich, sieht der freie Diskurs aus!<\/p>\n

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United World College, Standort Freiburg: der V\u00f6lkerverst\u00e4ndigung verpflichtet.<\/figcaption><\/figure>\n

Ich verliess die Schule und wechselte in das UWC in Freiburg (D) \u2013 das United World College \u2013 und machte dort die Internationale Matur. Das United World College ist ein englischsprachiges College, das der V\u00f6lkerverst\u00e4ndigung gewidmet ist. Pal\u00e4stinenser teilen das Zimmer mit Israelis, Pakistanis mit Indern. Das UWC ist keine Bezahlschule, die meisten Sch\u00fclerinnen und Sch\u00fcler (70%) erhalten Vollstipendien, die aus Spenden finanziert werden.<\/p>\n

In dieser Schule herrschten der freie Geist und ein lebendiger Diskurs. Man konnte mit den Lehrkr\u00e4ften und den Mitsch\u00fclern \u00fcber alles reden und hatte es nicht n\u00f6tig, mit Machospr\u00fcchen die anderen niederzumachen. Und es gab viel zu diskutieren. Beispielsweise gab es Studenten aus Kulturkreisen, welche die Homosexualit\u00e4t als schlimm empfanden und nichts mit Schwulen zu tun haben wollten. Es gelang mir nach unz\u00e4hligen intensiven Diskussionen, bei einigen einen Meinungsumschwung zu<\/p>\n

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UWC \u2013 viele Studentinnen und Studenten aus anderen Kulturen<\/figcaption><\/figure>\n

bewirken. Wie dies gelang? Es brauchte Zeit, ich interessierte mich f\u00fcr sie, wertete sie nicht ab und h\u00f6rte vor allem auch zu. H\u00e4tte ich mich so verhalten, wie es einige in der derzeitigen Klimadiskussion tun, w\u00e4ren sie in ihrer Haltung nur best\u00e4rkt worden.<\/p>\n

Sich f\u00fcr seine Mitstudenten interessieren, auch bei Meinungsverschiedenheiten<\/strong><\/p>\n

Ich will Homosexualit\u00e4t und den Klimawandel nicht gleichsetzen, es geht mehr um ein Prinzip. Wir m\u00fcssen in der Lage sein, objektive Diskussionen zu f\u00fchren und uns respektvoll mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.<\/p>\n

Ich bin heute \u00fcberzeugt, dass der Klimawandel eine Tatsache ist.<\/p><\/blockquote>\n

Ich schreibe dies, weil sich durch solche Diskussionen auch meine Haltung zum Klimawandel ver\u00e4ndert hat. Ich sah mich nicht mehr gen\u00f6tigt, sie hochzuschaukeln, sondern konnte mich mit den Fakten auseinandersetzen. Ich bin heute \u00fcberzeugt, dass der Klimawandel eine Tatsache ist und er auch eine existentielle Bedrohung f\u00fcr viele Menschen in verschiedenen Regionen der Welt bedeutet.<\/p>\n

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Zum Schulstreik keine abschliessende Meinung<\/figcaption><\/figure>\n

Zum Schulstreik habe ich keine Meinung. Es mag sein, dass er zu einer Sensibilisierung beigetragen hat. Mit einem fortdauernden Schulstreik schaden sich die Sch\u00fcler aber nur selber. Ich sage dies, weil ich hier am Imperial College, einer sogenannten Eliteuniversit\u00e4t, zusammen mit vielen Asiaten studiere, die sich in der Regel weder f\u00fcr den Klimawandel noch \u00fcberhaupt f\u00fcr politische Zusammenh\u00e4nge \u00a0interessieren. Sie wollen nur eines: lernen, etwas entwickeln und Karriere machen.<\/p>\n

Mit apokalyptischen Horrorszenarien wird uns dies nicht gelingen. Eine CO2<\/sub>-Bepreisung ist aber durchaus ein Anreiz, auch in Indien oder China.<\/p><\/blockquote>\n

Und das tun sie auf einem Niveau, das sogar mich als sehr gutem Studenten in Erstaunen versetzt. Solche Menschen brauchen wir, um die technologischen Abwehrmassnahmen zu entwickeln, ohne die es nicht gehen wird. Die CO2-Emmissionen der EU und der USA sind in den letzten Jahrzehnten im Verh\u00e4ltnis zum Weltmassstab massiv gesunken. Indien und China sind die neusten Player im CO2<\/sub>-Business. Und die besten Studentinnen und Studenten hier am Imperial-College kommen genau aus diesen L\u00e4ndern. Junge Frauen und M\u00e4nner, die n\u00e4chtelang \u00fcber Probleme gr\u00fcbeln und ohne Ende Mathematik und Physik b\u00fcffeln. Hier in London, wie auch an der ETH, erhalten sie die Bildung und das intellektuelle R\u00fcstzeug, was uns erlaubt, neue Antriebstechnologien, Bew\u00e4sserungs- und Entsalzungsanlagen und umweltschonende Batterien zu entwickeln. Egal worauf wir im Alltag verzichten, genau das werden wir ben\u00f6tigen. Herr Geiger hat schon recht, wenn er schreibt, dass es einen starken Staat braucht, der zum Beispiel den Katalysator verordnet. Aber ein solcher Katalysator muss erst einmal erfunden werden, ebenso wie umweltschonende Elektro-Speicheranlagen.<\/p>\n

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Meine chinesischen und indischen Kommilitonen interessieren sich kaum f\u00fcr den Klimawandel.<\/figcaption><\/figure>\n

Dazu brauchen wir Ingenieure und Wissenschaftler, die diese neuen Technologien entwickeln. Mit apokalyptischen Horrorszenarien wird uns dies nicht gelingen. Die haben meistens eine kurze Laufzeit bis zur n\u00e4chsten Hype. Eine CO2<\/sub>-Bepreisung ist aber durchaus ein Anreiz, auch in Indien oder China.<\/p>\n

Ich habe meinem Vater geholfen, die Condorcet-Webseite zu entwickeln. Mich hat \u00fcberzeugt, dass hier linke, liberale und konservative Kr\u00e4fte am Werk sind, die gemeinsam diesen Blog betreiben \u2013 f\u00fcr eine Bildung, die den Namen verdient. Das sollte uns auch im Klimadiskurs gelingen.<\/p>\n

Leon Wiederkehr<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Der 23-j\u00e4hrige Student der Elektrowissenschaften am Imperial-College in London, Leon Wiederkehr, schaltet sich in den Klimadiskurs ein. Seine eigene Erfahrung reflektierend, kommt er zum Schluss: Zu viel Penetranz im Unterricht kann das Gegenteil von dem bewirken, was man erreichen will. Und da sind ja auch noch seine asiatischen Kommilitonen, die sich f\u00fcr den Klimawandel \u00fcberhaupt nicht interessieren. <\/p>\n","protected":false},"author":5,"featured_media":3538,"comment_status":"open","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_acf_changed":false,"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[],"coauthors":[],"acf":[],"aioseo_notices":[],"post_mailing_queue_ids":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4005"}],"collection":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/users\/5"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=4005"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4005\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":4018,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/4005\/revisions\/4018"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/media\/3538"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=4005"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=4005"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=4005"},{"taxonomy":"author","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/coauthors?post=4005"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}