{"id":11831,"date":"2022-10-07T23:48:31","date_gmt":"2022-10-07T21:48:31","guid":{"rendered":"https:\/\/condorcet.ch\/?p=11831"},"modified":"2022-10-07T23:48:31","modified_gmt":"2022-10-07T21:48:31","slug":"die-abenteuerliche-geschichte-des-dreisprachenkonzepts-ein-klassisches-luftschloss","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/condorcet.ch\/2022\/10\/die-abenteuerliche-geschichte-des-dreisprachenkonzepts-ein-klassisches-luftschloss\/","title":{"rendered":"Die abenteuerliche Geschichte des Dreisprachenkonzepts – ein klassisches Luftschloss"},"content":{"rendered":"
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Hanspeter Amstutz<\/figcaption><\/figure>\n

Die Harmos-Bildungsgeschichte kann noch um einen sehr realit\u00e4tsnahen Treppenwitz erweitert werden. So wollte um die Jahrtausendwende der Z\u00fcrcher Bildungsdirektor Ernst Buschor mit seinem Flair f\u00fcr den angloamerikanischen Zeitgeist das Primarschulfranz\u00f6sisch durch immersiv vermitteltes Fr\u00fchenglisch ersetzen. Die Proteste aus der Romandie hielten ihn aber nicht davon ab, das wichtige Englischprojekt umzusetzen. Vielmehr sollten im Kanton Z\u00fcrich nun beide Fremdsprachen bereits in der Primarschule in gestaffelter Reihenfolge eingef\u00fchrt werden.<\/p>\n

Die Begeisterung f\u00fcrs Englisch und die politische Konzession ans Franz\u00f6sisch f\u00fchrten dazu, dass pl\u00f6tzlich die unsinnige Didaktik einer schulischen Dreisprachigkeit in der Mittelstufe salonf\u00e4hig wurde. Seri\u00f6se Sprachwissenschafter warnten zwar vor einem Irrweg, doch die P\u00e4dagogischen Hochschulen versprachen mit spielerischen Methoden und sensationellen neuen Lehrmitteln einen garantierten Erfolg. Die Euphorie weckte die hohe Erwartung in der Bev\u00f6lkerung, dass fast jedes Kind mit Leichtigkeit fr\u00fch drei Sprachen lernen werde.<\/p>\n

Man indoktrinierte unerfahrene Lehrpersonen mit h\u00f6chst umstrittenen Lehrmethoden und lehnte einen klar strukturierten Sprachenunterricht ab.<\/p><\/blockquote>\n

Eine von den Z\u00fcrcher Lehrerverb\u00e4nden unterst\u00fctzte Volksinitiative, welche eine einzige Fremdsprache an der Primarschule vorsah, hatte in dieser aufgeheizten Stimmung einen schweren Stand. Als Bundesrat Berset ank\u00fcndigte, dass im Falle einer Annahme der Initiative das beliebte Englisch gestrichen werden m\u00fcsste, war die Sache entschieden. Die Abstimmung wurde verloren und zementierte so die Dreisprachigkeit an der Z\u00fcrcher Primarschule. Nachdem auch in anderen Kantonen \u00e4hnliche Volksinitiativen ohne Chancen waren, konnte die EDK ihr fragw\u00fcrdiges Mehrsprachenkonzept fast widerstandslos durchsetzen.<\/p>\n

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Die Freude am Sprachenlernen hat bei vielen Kindern abgenommen.<\/figcaption><\/figure>\n

Im Kanton Z\u00fcrich war der Aufwand zur Entwicklung der Lehrmittel und f\u00fcr die Ausbildung der Primarlehrkr\u00e4fte im Englisch gewaltig. Die P\u00e4dagogische Hochschule Z\u00fcrich versuchte sich als ein f\u00fchrendes Zentrum f\u00fcr moderne Sprachendidaktik im europ\u00e4ischen Bildungswettbewerb zu positionieren. Man indoktrinierte unerfahrene Lehrpersonen mit h\u00f6chst umstrittenen Lehrmethoden und lehnte einen klar strukturierten Sprachenunterricht ab. Das Schwergewicht in den Fachdidaktiken der Lehrerbildung verschob sich zum Englisch, welches auf Kosten anderer Bildungsbereiche sehr viel Ausbildungszeit verschlang. Die f\u00fcr die Deutschf\u00f6rderung so wichtigen Realienf\u00e4cher z\u00e4hlten zu den Verlierern. F\u00fcr den arg zusammengestrichenen Geschichtsunterricht fehlte ein \u00fcberzeugendes Konzept und die unterdessen wieder aufgewerteten Naturwissenschaften f\u00fchrten ein Mauerbl\u00fcmchendasein.<\/p>\n

Man redete sich heraus und liess die unangenehmen Studien in den tiefsten Schubladen verschwinden.<\/p><\/blockquote>\n

In der Schulpraxis zeigte das \u00fcberladene Sprachenkonzept schon bald seine unerfreulichen Auswirkungen. Statt besserer kommunikativer F\u00e4higkeiten machte sich Hektik und Oberfl\u00e4chlichkeit im Unterricht der Mittelstufe breit. Wie mehrere bekannte Studien aufdeckten, waren die Kenntnisse im Franz\u00f6sisch bei den meisten Sch\u00fclern am Ende der Primarschulzeit rudiment\u00e4r und im Deutsch stellte man erhebliche M\u00e4ngel bei den Grundlagen fest. Sp\u00e4testens nach den ern\u00fcchternden Resultaten der offiziellen Zentralschweizer Studie zur Bilanz des fr\u00fchen Franz\u00f6sischunterrichts und dem Absturz eines F\u00fcnftels unserer Schulabg\u00e4nger beim nationalen Vergleichstest im Deutsch h\u00e4tten bei den Bildungsdirektionen die Alarmglocken l\u00e4uten m\u00fcssen. Doch die vielger\u00fchmte Bildungssteuerung versagte kl\u00e4glich. Man redete sich heraus und liess die unangenehmen Studien in den tiefsten Schubladen verschwinden.<\/p>\n

Das \u00fcberladene Sprachenkonzept ist uns in jeder Hinsicht teuer zu stehen gekommen. Der neue Lehrplan platzt aus allen N\u00e4hten, die Freude am Sprachenlernen hat bei vielen Kindern abgenommen, die aufsummierten Kosten f\u00fcr den fr\u00fchen Fremdsprachenunterricht sind enorm und die angestrebte Harmonisierung der Bildung bleibt ein nicht eingel\u00f6stes Versprechen. Ein Weiterwursteln mit noch mehr finanziellen Mitteln hilft nicht weiter. Die Bildungspolitik muss jetzt endlich \u00fcber die B\u00fccher und den Mut aufbringen, das gescheiterte Dreisprachenkonzept der Primarschule zu \u00e4ndern.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz erinnert uns in seinem Beitrag noch an die Entstehungsgeschichte des Fr\u00fchfremdsprachendebakels. Erkenntnisreich an seinen Ausf\u00fchrungen: DieRolle der P\u00e4dagogischen Hochschulen.<\/p>\n","protected":false},"author":17,"featured_media":1610,"comment_status":"open","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_acf_changed":false,"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[1565,46,74,1553,1026],"coauthors":[977],"acf":[],"aioseo_notices":[],"post_mailing_queue_ids":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11831"}],"collection":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/users\/17"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=11831"}],"version-history":[{"count":7,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11831\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":11874,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/11831\/revisions\/11874"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/media\/1610"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=11831"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=11831"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=11831"},{"taxonomy":"author","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/coauthors?post=11831"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}