{"id":10617,"date":"2022-03-02T11:35:36","date_gmt":"2022-03-02T10:35:36","guid":{"rendered":"https:\/\/condorcet.ch\/?p=10617"},"modified":"2022-03-13T13:40:47","modified_gmt":"2022-03-13T12:40:47","slug":"schulreformen-der-helvetik","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/condorcet.ch\/2022\/03\/schulreformen-der-helvetik\/","title":{"rendered":"Schulreformen der Helvetik"},"content":{"rendered":"
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Philipp Albert Stapfer 1766 – 1840, Bildungsminister der Helvetischen Republik und massgeblich an der Entstehung des Kantons Aargau beteiligt. Wikipedia<\/figcaption><\/figure>\n

Als franz\u00f6sischer Revolutionsexport wurde mit dem Franzoseneinfall in der Alten Eidgenossenschaft die \u00abHelvetische Republik\u00bb am 12. April 1798 ausgerufen und am 10. M\u00e4rz 1803 aufgel\u00f6st.<\/p>\n

Erziehungsr\u00e4te und Schulinspektoren<\/strong><\/p>\n

Philipp Albert Stapfer, Minister der 1. Helvetischen Republik f\u00fcr Sch\u00f6ne K\u00fcnste und Wissenschaften und sp\u00e4terer Botschafter in Paris befasste sich mit der Schulreform. Dazu wurde im Sommer 1798 in jedem Kanton ein achtk\u00f6pfiger Erziehungsrat geschaffen, der unabh\u00e4ngig von der Kirche das Schulwesen des Kantons leiten sollte. F\u00fcr jeden Distrikt wurde ein Schulinspektor ernannt. Weitere Pl\u00e4ne waren die Einf\u00fchrung eines dreigliedrigen Schulsystems mit Elementarschule, Industrieschule (Gymnasium) und einer Nationaluniversit\u00e4t. Auch sollte die allgemeine Schulpflicht durchgesetzt werden, dies als Voraussetzung f\u00fcr eine Republik. Einer seiner engsten Mitarbeiter im Ministerium war der aus\u00a0Magdeburg<\/a>\u00a0stammende\u00a0Heinrich Zschokke<\/a> und auch mit\u00a0Johann Heinrich Pestalozzi<\/a>\u00a0hatte er beruflich zu tun.<\/p>\n

Orientierung an der Aufkl\u00e4rung<\/strong><\/p>\n

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Marquis de Condorcet 1742 -1794: Seine Vorschl\u00e4ge wurden in der Helvetischen Republik umgesetzt.<\/figcaption><\/figure>\n

Mit seinen Erziehungskonzepten und konkreten Reformpl\u00e4nen orientierte sich Stapfer auch an franz\u00f6sischen Vorbildern wie Condorcet und verband deutsche und franz\u00f6sische Aufkl\u00e4rung theoretisch und in einem praktischen Reformprogramm. Der Schulreformplan, den Stapfer der Regierung und dem Parlament vorlegte, war gr\u00f6sstenteils eine angepasste Kopie des Vorschlages, den Condorcet bereits 1793 der franz\u00f6sischen Nationalversammlung vorgelegt hatte.<\/p>\n

Die Orientierung an der Aufkl\u00e4rung charakterisierte die gesamte helvetische Regierung. Der Theologe Stapfer blieb mit seiner konstant christlichen Orientierung (Rolle der Geistlichkeit und der Kirche im neuen Staat) in einer Minderheitenposition. Die Regierung war auf aktuelles Wissen angewiesen, um ihre zentralstaatliche Politik gestalten zu k\u00f6nnen. Mit den Konzepten der \u201epolitischen Arithmetik\u201c (Young 1777) bzw. \u201esozialen Mathematik\u201c (Condorcet 1793) widmeten sie sich der Frage der effizienten Planung von Fortschritt und Perfektibilit\u00e4t (Vervollkommnungsf\u00e4higkeit), die bis Mitte des 20. Jahrhunderts im Bildungswesen eine zentrale Rolle spielten.<\/p>\n

Der Schulreformplan, den Stapfer der Regierung und dem Parlament vorlegte, war gr\u00f6sstenteils eine angepasste Kopie des Vorschlages, den Condorcet bereits 1793 der franz\u00f6sischen Nationalversammlung vorgelegt hatte.<\/p><\/blockquote>\n

P\u00e4dagogische Vorstellungen der Helvetischen Gesellschaft<\/strong><\/p>\n

Die \u201eHelvetische Gesellschaft” hatte in der Sp\u00e4taufkl\u00e4rung vor allem in S\u00fcddeutschland und Frankreich das Renommee eines Modells aufkl\u00e4rerisch-reformerischen Wirkens. Viele namhafte Mitglieder bauten ihre p\u00e4dagogischen Beitr\u00e4ge in der Gesellschaft auf ein breites Studium der p\u00e4dagogischen Literatur, eigene Ausarbeitung und breite Korrespondenz \u00fcber beides auf. Die p\u00e4dagogische Auseinandersetzung ging weit \u00fcber die Werke der \u201eklassischen” Vertreter \u201eschweizerischer” P\u00e4dagogik, Pestalozzi und Fellenberg hinaus.<\/p>\n

Der Gegensatz von \u00abinstruction\u00bb und \u00abeducation\u00bb wurde aufgehoben und dem Begriff der \u00d6ffentlichkeit gegen\u00fcber der Staatlichkeit eine Eigenst\u00e4ndigkeit gegeben.<\/p><\/blockquote>\n

Stapfers Plan einer fortschreitenden Volksbildung waren dem Konzept von Condorcet \u00e4hnlich, unterschieden sich jedoch in der Begr\u00fcndung: Der Gegensatz von \u00abinstruction\u00bb und \u00abeducation\u00bb wurde aufgehoben und dem Begriff der \u00d6ffentlichkeit gegen\u00fcber der Staatlichkeit eine Eigenst\u00e4ndigkeit gegeben. Bezeichnend daf\u00fcr war, dass die Gesellschaft nach den Kriegswirren und der Aufl\u00f6sung der Helvetischen Republik alles daransetzte, wenigstens die von Stapfer geplanten B\u00fcrgerschulen durch Umwandlung der ehemaligen kirchlichen Landschulen umzusetzen.<\/p>\n

Der Vernunftbegriff, wie ihn Condorcet in der Tradition der Aufkl\u00e4rungsphilosphie entwickelt hatte und wie ihn auch die Helvetische Gesellschaft verstand, ist empirisch bestimmt. Der Staat d\u00fcrfe sich keine Eingriffe in die inneren, freien und vern\u00fcnftigen Zwecke der Schule erlauben, weil die Schule dem Staate nicht untergeordnet sei, sondern zur Seite stehen.<\/p><\/blockquote>\n

Die Bedeutung der sich bildenden \u00d6ffentlichkeit der Erziehung begr\u00fcndete die Gesellschaft mit dem ehemals besseren Zustand der Eidgenossenschaft und mit der Bedeutung der Erziehung aus der naturrechtlichen, vern\u00fcnftigen Bestimmung des Menschen und seiner Entwicklungsf\u00e4higkeit. Weil der Mensch von Natur aus frei und vernunftbegabt sei, m\u00fcsse und d\u00fcrfe er nicht unterjocht, sondern entwickelt (neuer Begriff: erzogen) werden.<\/p>\n

Der Vernunftbegriff, wie ihn Condorcet in der Tradition der Aufkl\u00e4rungsphilosphie entwickelt hatte und wie ihn auch die Helvetische Gesellschaft verstand, ist empirisch bestimmt. Der Staat d\u00fcrfe sich keine Eingriffe in die inneren, freien und vern\u00fcnftigen Zwecke der Schule erlauben, weil die Schule dem Staate nicht untergeordnet sei, sondern zur Seite stehen. Diese inneren Zwecke der Schule k\u00f6nnen nur aus der \u00d6ffentlichkeit der Vernunft hervorgehen und kritisiert werden, \u201eje lauter und \u00f6ffentlicher, desto besser” (Schulthess 1799). In Stapfers Erziehungsplan f\u00fcr die Helvetik wurden diese Vorstellungen \u00fcbernommen, da \u201enichts den Fortgang der Kultur so belebt, als die Publizit\u00e4t” (Stapfer 1799). Neben der Institutionalisierung der Schule galt dieser \u00d6ffentlichkeit die Hauptanstrengung indem die Institution der Erziehungsr\u00e4te geschaffen wurde, die ihr gegen\u00fcber dem Staat ein gr\u00f6sseres Gewicht geben sollte.<\/p>\n

War der Staat nach franz\u00f6sischem Vorbild streng zentralistisch, so blieben die Erziehungsr\u00e4te f\u00f6deralistisch.<\/p><\/blockquote>\n

F\u00f6deralistische Erziehungsr\u00e4te zur Herstellung von \u00d6ffentlichkeit<\/strong><\/p>\n

Noch vor der Ausarbeitung des Erziehungsplanes setzte die Helvetische Regierung in allen Kantonen Erziehungsr\u00e4te ein. Diese sollten das Gef\u00e4ss sein, worin sich die \u00d6ffentlichkeit sammeln, sogar gegen den Staat bilden kann. War der Staat nach franz\u00f6sischem Vorbild streng zentralistisch, so blieben die Erziehungsr\u00e4te f\u00f6deralistisch. War der Staat streng laizistisch – wie die neue staatliche Schule so sollten die Pfarrer in den Erziehungsr\u00e4ten mitarbeiten. Diese R\u00e4te sollten auch den inneren Gang jeder einzelnen Schule und der Institution insgesamt bestimmen, und zwar nach den Gesetzen der Vernunft (Stapfer 1799). Die Erziehungsr\u00e4te dienten nicht nur als Vermittlung zwischen Regierung und Schule, Volk und Schule, sondern sie hatten eine eigenst\u00e4ndige Funktion: n\u00e4mlich der \u00d6ffentlichkeit Einlass in die Schule und der Schule Einlass in die \u00d6ffentlichkeit zu gew\u00e4hren.<\/p>\n

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Die Schule sollte den \u00abCitoyen\u00bb heranbilden, den Menschen f\u00fcr die \u00d6ffentlichkeit erziehen.<\/figcaption><\/figure>\n

Dieser Vorstellung entsprach auch die Bestimmung der Aufgabe des neuen Schulsystems. Die unterste Stufe, die B\u00fcrgerschule, sollte allen B\u00fcrgern Kenntnisse, Fertigkeiten und F\u00e4higkeiten vermitteln, die es ihnen erlauben, sich beruflich, gesellschaftlich und dem Staat gegen\u00fcber vernunftgem\u00e4\u00df zu verhalten. So war auch vorgesehen, jenen B\u00fcrgern, die nicht \u00fcber die Kenntnisse der Volksschule verf\u00fcgen, die staatsb\u00fcrgerlichen Rechte zu entziehen. Die Schule sollte den \u00abCitoyen\u00bb heranbilden, den Menschen f\u00fcr die \u00d6ffentlichkeit erziehen.<\/p>\n

In den Jahren nach dem Zusammenbruch der Helvetischen Republik wurden nicht nur diese Vorstellungen in die Helvetische Gesellschaft und ihren Konsens integriert, sondern die bestehenden Erziehungsr\u00e4te konnten sich im Gegensatz zum Regime, das sie ins Leben rief, halten und wurden damit selbst zum Sammelpunkt der \u00d6ffentlichkeit und der p\u00e4dagogischen Erneuerung bis zum liberalen Aufschwung. In diesem Aufschwung wurde diesem doppelt fixierten Verh\u00e4ltnis von \u00d6ffentlichkeit und Erziehung noch eine dritte Bestimmung zugef\u00fchrt: dass \u00d6ffentlichkeit \u00fcberhaupt erst durch Erziehung, das hei\u00dft Volksbildung und Nationalerziehung, entstehen k\u00f6nne.<\/p>\n

Stapfer-<\/strong>Enqu\u00eate<\/strong><\/a><\/p>\n

Um einen \u00dcberblick \u00fcber den damaligen Zustand des Schulwesens zu erhalten, f\u00fchrte Stapfer im Januar 1799 bei allen Lehrern der Helvetischen Republik eine Umfrage (Stapfer-Enqu\u00eate<\/a>)\u00a0durch. Sie war eine reichhaltige Momentaufnahme der Schweizer Schulverh\u00e4ltnisse jener Zeit, die ihresgleichen sucht und auch heute noch als historische Quelle dient.<\/p>\n

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Die Stapfer-Enqu\u00eate im Appenzell<\/figcaption><\/figure>\n

Die Enqu\u00eate<\/a> weist nach, dass Elementarschullehrer (wenige Lehrerinnen) in der Schweiz um 1800 meist sozial hoch geachtete, fachkompetente Spezialisten mit lebenslanger Amtsaus\u00fcbung waren. Entgegen landl\u00e4ufiger Klischees wies die Schweizer Elementarschullehrerschaft am Ende der Fr\u00fchen Neuzeit trotz ihrer sozio-\u00f6konomischen und konfessionellen Heterogenit\u00e4t eine Vielzahl von biografischen Gemeinsamkeiten auf und war weder von kollektiver Armut noch von sozialer Verachtung gepr\u00e4gt.<\/p>\n

Rolle der Pfarrer im Schulwesen<\/strong><\/p>\n

Das Schulwesen war noch zur Zeit der Helvetik lokalpolitisch organisiert und unterlag weiterhin kirchlicher Obhut. Die Geistlichen waren lange Zeit die einzigen (akademisch) Gebildeten in den Landgemeinden. Obwohl Stapfer offiziell f\u00fcr die Ernennung neu zu w\u00e4hlender Lehrkr\u00e4fte zust\u00e4ndig war, \u00fcberliess er die Entscheidung den Pfarrern oder lokalen Beamten. Es war ihm bewusst, dass die Reformen ohne die Unterst\u00fctzung der Kirche nicht durchgesetzt werden konnten. \u00a0Die bildungspolitischen Massnahmen waren f\u00fcr Stapfer die Grundvoraussetzung f\u00fcr das \u00dcberleben der Republik. Dazu geh\u00f6rte auch die aktive Einbindung der Pfarrer in den Bildungsbetrieb.<\/p>\n

Die Pfarrer erteilten den heranwachsenden Kindern einen weiterf\u00fchrenden Schreibunterricht, blieben Ansprechpartner f\u00fcr Schulmeister und Eltern, Vertrauensperson der Gemeinde, Vermittler beh\u00f6rdlicher Erlasse und Schulordnungen und geh\u00f6rten der neuen Schulaufsichtsbeh\u00f6rde als Schulinspektoren wie Jeremias Gotthelf an.<\/p><\/blockquote>\n

Die Pfarrer erteilten den heranwachsenden Kindern einen weiterf\u00fchrenden Schreibunterricht, blieben Ansprechpartner f\u00fcr Schulmeister und Eltern, Vertrauensperson der Gemeinde, Vermittler beh\u00f6rdlicher Erlasse und Schulordnungen und geh\u00f6rten der neuen Schulaufsichtsbeh\u00f6rde als Schulinspektoren wie Jeremias Gotthelf an. Die sahen die Antworten der Lehrer bei der Stapfer-Enqu\u00eate<\/a> durch und versahen sie mit Anmerkungen oder Zus\u00e4tzen, da sie eine lesbare Schrift beherrschten und in der Rechtschreibung meist sicherer waren.<\/p>\n

Pfarrer waren auch in der Lehrerausbildung t\u00e4tig, wie Johann Rudolf Steinm\u00fcller in Rheineck (Kanton S\u00e4ntis\/St. Gallen), der nebenberuflich \u00fcber 800 J\u00fcnglinge zu Lehrern ausbildete und eine Reihe von methodisch-p\u00e4dagogischen Ver\u00f6ffentlichungen f\u00fcr Lehrer und Schulb\u00fccher ver\u00f6ffentlichte.<\/p>\n

Lese- und Schreibunterricht als Einf\u00fchrung in b\u00fcrgerliche Rechte und Pflichten<\/strong><\/p>\n

W\u00e4hrend das Buchstabieren und Lesen von den Eltern noch vermittelt werden konnte, reichten deren F\u00e4higkeiten im Schreiben und Rechnen oft nicht aus. Diese L\u00fccke konnte nur die Schule schliessen, die auf Lehrer angewiesen war, die das Schreiben und Rechnen beherrschten. Das ist einer der wesentlichen Gr\u00fcnde, weshalb die Schule immer wichtiger wurde und hierdurch zu einer progressiven Institution avancierte.<\/p>\n

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Kinder lernten den Umgang mit Feder, Tinte und Papier f\u00fcr das Schreiben.<\/figcaption><\/figure>\n

F\u00fcr die im deutschsprachigen Raum entwickelten p\u00e4dagogischen Richtlinien zum Schreibenlernen in der Schule waren verschiedene Lehr- und Lernprozesse erforderlich. Neben der h\u00e4uslichen Erziehung \u00fcbernahm die Schule hierbei eine zunehmend gr\u00f6ssere Rolle. Dort lernten die Kinder den Umgang mit Feder, Tinte und Papier f\u00fcr das Schreiben. Ziel des Schreibunterrichts war es, den Kindern das Federschreiben beizubringen und sie damit in ihre b\u00fcrgerlichen Rechte und Pflichten einzuf\u00fchren, um aus \u201elallenden und h\u00fclflosen Z\u00f6glingen der Natur\u201c (Stapfer 1799) eigenst\u00e4ndige und gl\u00fcckliche B\u00fcrger zu formen.<\/p>\n

F\u00fcr den Schreibunterricht kamen die Kinder mit f\u00fcnf oder sechs Jahren in die Schule. Sie lernten\u00a0 Buchstaben zu unterscheiden und wurden in die Buchstabiermethode eingef\u00fchrt, durch die sie schliesslich auch lesen lernten. Ab dem achten Lebensjahr wechselten die Lesesch\u00fcler in den Schreibunterricht. Sch\u00fcler dieser Stufe hatten damit jene Voraussetzungen zu selbstbestimmten B\u00fcrgern zu werden, wie sie der Staat und seine Intellektuellen verlangte und brauchte.<\/p>\n

Auf dieser Stufe wurden den Kindern Buchstaben, Silben, W\u00f6rter, S\u00e4tze, zuweilen auch Zahlen vorgeschrieben und den fortschreitenden Sch\u00fclern erst kleinere (religi\u00f6se Texte), dann gr\u00f6ssere (literarisch, historisch, naturkundliche) Schreibvorlagen (handschriftlich oder Kupferstiche) vorgelegt.<\/p>\n

Der Schreibunterricht in der Schweiz um 1800 war auf dieser Stufe f\u00fcr viele Kinder beendet, weil sie als Arbeitskr\u00e4fte in der Familie gebraucht wurden oder eine Handwerkslehre begannen.<\/p><\/blockquote>\n

Stapfer schwebte dabei folgendes vor: \u201eDer Elementarunterricht in den B\u00fcrgerschulen sollte sich freylich auf alle Kenntnisse und \u00dcbungen erstrecken, ohne welche der Mensch nie zum vollen Gef\u00fchl seiner W\u00fcrde und Bestimmung, der B\u00fcrger nie zur genauen Kenntnis seiner Rechten und Pflichten gelangt\u201c.<\/p>\n

Der Schreibunterricht in der Schweiz um 1800 war auf dieser Stufe f\u00fcr viele Kinder beendet, weil sie als Arbeitskr\u00e4fte in der Familie gebraucht wurden oder eine Handwerkslehre begannen. Der Schreibunterricht f\u00fcr fortgeschrittene Sch\u00fcler zwischen 12 und 17 Jahre war didaktisch und inhaltlich komplex. Die Lehrer diktierten und liessen ihre Sch\u00fcler anspruchsvolle Vorlagen und Alphabete nachschreiben, aus gedruckten B\u00fcchern abschreiben, Briefe und Aufs\u00e4tze abfassen. Die Rechtschreibung r\u00fcckte in den Mittelpunkt der \u00dcbungen. Der weiterf\u00fchrende Schreibunterricht bot begabten und lernwilligen Kindern die M\u00f6glichkeit sich zu vervollkommnen, indem man sie in ihre b\u00fcrgerlichen Pflichten einf\u00fchrte und sie \u201en\u00fctzliche Sachen\u201c abschreiben lie\u00df. F\u00fcr unentbehrlich hielt man Vorschriften mit alltagspraktischen Inhalten, deren Beherrschung im b\u00fcrgerlichen Leben hilfreich sein konnten (Aufsetzen einer Quittung, eines Schuldscheines, einer Rechnung, eines Kauf- oder Tauschbriefes).<\/p>\n

Um 1800 konnten alle Schweizer lesen (vollst\u00e4ndig alphabetisiert), wenn sie die Schule verliessen, die M\u00e4dchen etwas besser.<\/p><\/blockquote>\n

Diese Textvorlagen waren bei den Sch\u00fclern so beliebt, dass sie ein Schreiblehrer im Oberemmental hinter Glas fasste. Wer diese Dinge beherrschte, hatte Korrespondenzf\u00e4higkeit und war f\u00fcr das berufliche Fortkommen gewappnet. Stapfers ambitionierter Schulreformplan wurde vom Parlament auf ein Mindestmass zurechtgestutzt\u00a0und konnte im Vorfeld des\u00a0Zweiten Koalitionskrieges<\/a>\u00a0nicht mehr umgesetzt werden. \u00a0Seine w\u00e4hrend der Helvetischen Republik ausgearbeiteten Ideen im Bildungsbereich, die ihrer Zeit teilweise weit voraus waren, wurden durch andere erfolgreich umgesetzt:<\/p>\n

Um 1800 konnten alle Schweizer lesen (vollst\u00e4ndig alphabetisiert), wenn sie die Schule verliessen, die M\u00e4dchen etwas besser. Schreiben konnten noch nicht \u00fcberall gleich viele, in den St\u00e4dten jedoch fast 100% der Knaben und M\u00e4dchen. 1829 waren noch 17.5% der Rekruten Analphabeten, aber bereits 1835 konnten 95% der Rekruten sowohl lesen als auch schreiben.<\/p>\n

Quellen:<\/strong><\/p>\n

Fritz Osterwalder: Die p\u00e4dagogischen Vorstellungen in der Helvetischen Gesellschaft und die
\n<\/strong>Franz\u00f6sische Revolution. \u00dcber die Zusammenh\u00e4nge von
\n<\/strong>Nationalerziehung, Volksbildung, Staatsschule und \u00d6ffentlichkeit, Beltz Basel 1989<\/p>\n

Daniel Tr\u00f6hler (Hrsg.): Volksschule um 1800. Studien im Umfeld der Helvetischen Stapfer-Enqu\u00eate 1799<\/p>\n

https:\/\/de.wikipedia.org\/wiki\/Johann_Rudolf_Steinm%C3%BCller<\/a> Johann Rudolf Steinm\u00fcller<\/p>\n

https:\/\/stapferenquete.ch\/<\/a>\u00a0 Stapfer-Enqu\u00eate 1799<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Der bei uns weitgehend unbekannte Mathematiker, Philosoph und Aufkl\u00e4rer Jean Marie de Condorcet stand auch Pate beim Beginn des Aufbaus des schweizerischen Schulsystems. Der massgebliche Antreiber war Albert Stapfer, der sich im Wesentlichen auf die Entw\u00fcrfe von Condorcet abst\u00fctzte. Unser Haushistoriker Peter Aebersold ruft uns die atemberaubende Bildungsgeschichte der Helvetischen Republik noch einmal in Erinnerung und \u00fcberrascht wieder einmal mit seinen Detailkenntnissen. Oder wussten Sie, dass um 1800 fast alle Schulabg\u00e4nger lesen konnten?<\/p>\n","protected":false},"author":5,"featured_media":10618,"comment_status":"open","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_acf_changed":false,"footnotes":""},"categories":[1],"tags":[1452,38,962,576,1453],"coauthors":[1170],"acf":[],"aioseo_notices":[],"post_mailing_queue_ids":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10617"}],"collection":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/users\/5"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=10617"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10617\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":10665,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10617\/revisions\/10665"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/media\/10618"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=10617"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=10617"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=10617"},{"taxonomy":"author","embeddable":true,"href":"https:\/\/condorcet.ch\/wp-json\/wp\/v2\/coauthors?post=10617"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}